Kitabı oku: «Gösta Berling: Erzählungen aus dem alten Wermland», sayfa 30
Der Schatz des Pfarrers von Broby
Es herrschte Schweigen im Kavalierflügel. Die krummen Waldhörner, die in Veranlassung des Marktes geputzt und mit neuen grünen Schnüren und Quasten verziert waren, hingen unbenutzt in den Ecken. Die Violinen lagen, in rohe Seide gewickelt, in ihren Kasten, den Bogen zur Seite, das Harz und die Reservesaiten am Kopfkissen. Die Flöten waren nicht aus dem Bade herausgenommen, in dem sie lagen, um dicht zu werden. Die Bellmanslieder ertönten nicht, man hörte kein Scherzen und Lachen. Auf dem großen Tisch, der voll weißer Ringe von den Groggläsern war, stand noch das Tablett, aber niemand mischte den dampfenden Trunk. Beerencreutz saß da und spielte mit den Karten, niemand aber machte Miene, Geld auf den Spielteller zu werfen.
Diese Kavaliere, die zu Wächtern der Freude angestellt waren, glichen jetzt den frierenden Winterfliegen, die in das Dunkel und den Schutz des Ofens kriechen. Es war kalt und einsam um sie her geworden. Gestern war Hauptmann Lennart gestorben, von seinem Sterbebett war Gösta Berling in die Wälder und in die Wildnis hinausgeflüchtet, wie es seine Gewohnheit war, wenn sein Gewissen eine neue, schmerzende Wunde erhalten hatte. Sie wußten, daß er lange fortbleiben würde, vielleicht Wochen, bis die Zeit sein Elend geheilt hatte. Ihre junge Gräfin hielt sich eingeschlossen und wollte niemand von ihnen sehen.
Die Rosen waren verwelkt, die Blätter waren abgefallen, das Gras war gelb geworden. Und die Kavaliere fingen an zu glauben, daß das Leben selber ausgeblüht habe. Örneclou sah plötzlich, daß er alt und häßlich war, Onkel Eberhard hatte sein großes wissenschaftliches Werk abgeschlossen, Patron Julius’ Gewissen wollte nicht schlafen, Liliencrona sehnte sich nach Hause.
Und sie fragten sich selber, womit sie es verschuldet hatten, daß der Wein seinen Geschmack verloren, daß das Kartenspiel ihnen keine Freude mehr machte, daß die Musik sie nicht mehr belebte. Weshalb war die Macht der Freude von ihnen gewichen? Welch Verbrechen hatten sie begangen, die armen, elenden Kavaliere?
Da öffnete sich die Tür, und die Tochter des Pfarrers von Broby trat zu den versammelten Kavalieren ein. Sie war eine energische kleine Person, die das ganze Jahr hindurch gegen die liederliche Wirtschaft und die Verschwendung angekämpft hatte. Es war etwas so Strenges, Pflichtgetreues an ihr, daß die Kavaliere stets einen gewissen Respekt vor ihr gehabt hatten, obwohl sie kaum die Kinderschuhe ausgezogen hatte.
»Heute bin ich wieder zu Hause gewesen und habe nach dem Geld meines Vaters gesucht«, sagte sie zu den Kavalieren. »Aber ich habe nichts gefunden. Alle Schuldbeweise sind ausgestrichen, und Schubfächer und Schränke stehen leer.«
»Das ist traurig für Sie, Jungfer«, sagte Beerencreutz.
»Als die Majorin aus Ekeby fortzog,« fuhr die Tochter des Pfarrers von Broby fort, »bat sie mich, acht auf ihr Haus zu geben. Und falls ich nun das Geld meines Vaters gefunden hätte, würde ich es dazu verwendet haben, Ekeby wieder instand zu setzen. Da ich aber nichts anderes fand, nahm ich einige von den Stöcken und Zweigen von meines Vaters Schandhügel mit, denn es harrt meiner große Schande, wenn meine Herrin heimkehrt und mich fragt, was aus Ekeby geworden ist.«
»Nehmen Sie sich doch eine Sache nicht so zu Herzen, an der Sie keine Schuld haben, Jungfer«, entgegnete Beerencreutz.
»Aber ich habe nicht allein für mich Stöcke vom Schandhügel genommen«, sagte das junge Mädchen. »Ich nahm auch einige für die guten Herren mit. Bitte recht sehr, meine Herren! Mein Vater ist nicht der einzige gewesen, der Schmach und Schande in diese Welt gebracht hat.«
Und sie ging von dem einen zum andern und legte vor einen jeden einige der dürren Zweige. Mehrere von den Kavalieren fluchten, die meisten aber ließen sie gewähren. Schließlich sagte Beerencreutz mit der ruhigen Würde eines vornehmen Herrn:
»Es ist gut, Jungfer. Haben Sie Dank! Jetzt können Sie gehen.«
Als sie fort war, schlug er mit der geballten Faust auf den Tisch, so daß die Gläser tanzten. »Von diesem Augenblick an«, sagte er, »trinke ich nie wieder. So etwas soll der Branntwein nicht zum zweitenmal über mich bringen.« Dann erhob er sich und ging hinaus, und tiefes Schweigen lagerte sich wieder über den Kavalierflügel.
Aber vor einem jeden der Kavaliere lagen einige von den Hölzern und Zweigen des Schandhügels. Und von ihnen ging eine Reihe unheimlicher Fragen aus:
Wo ist die Majorin? Was ist aus Ekebys Ehre und Macht geworden? Weshalb ist Gottes Gesandter getötet worden? Wo ist der Reichtum, der ehemals am Löfsee herrschte?
Und es war plötzlich, als ertöne der Kavalierflügel von tausend Stimmen, die alle antworteten. Es war den alten Herren, als säßen sie mitten in einem summenden, stechenden Bienenschwarm. Denn auf alle diese Fragen vernahmen sie stechende, beißende Antworten.
Die Kavaliere haben ihre Wohltäterin vertrieben, die Kavaliere, denen sie ein Heim gab, haben sie heimatlos gemacht. Sie gab ihnen Speisung und Freude, sie gaben ihr Hunger und Sorgen.
Die Kavaliere haben das stolzeste Gut in ganz Wermland ruiniert. Die Kavaliere haben dem Gesandten Gottes sein eigenes Haus verschlossen. Der Raufbold, der ihm das Leben nahm, hat ihm weniger Schaden zugefügt als wir, die wir seine liebste Hoffnung töteten. Die Kavaliere haben die Sorglosigkeit und den Trunk unter den Armen verbreitet, sie haben die ganze Löfseer Harde ruiniert.
Diese Stimmen hatten nicht lange gesummt und gestochen, als ein Kavalier nach dem andern sich erhob und hinausging. Und es traf sich so, daß sie sich nach einer Weile alle unten am Gießbach zusammenfanden, dort, wo die Mühle und die Schmiede gestanden hatten. Überall sah man Spuren der Zerstörung. Der große Hammer ragte aus einem Haufen von Sparren und Brettern hervor, die dicken Ofenmauern standen noch mitten in der Zerstörung, und am Boden sah man noch die große Esse ihren weiten Schlund öffnen.
Und seht nur! In all diesem Wirrwarr ging der Oberst umher und arbeitete, er machte Platz für eine neue Schmiede und eine neue Mühle. Und allmählich, als die anderen kamen, gingen auch sie an die Arbeit. Bald waren sie alle da; sie schleppten Balken fort, brachen Steine auf, gruben und zimmerten. Und bald fingen die Lieder wieder an zu klingen, und Scherzen und Lachen erschallte im Kreise. Wieder waren sie mutig und stark; sie würden Ekeby schon wieder aufrichten. Sie wollten die Majorin heimholen; sobald es möglich war, sollte die Tochter des Pfarrers von Broby zu ihr hinaufreisen. Die Armen am Löfsee sollten wieder Arbeit haben.
Aber der Kontrakt, der schwarze, mit Blut geschriebene Kontrakt aus der Christnacht? Ach – sie handelten jetzt weit mehr kavaliermäßig als ehedem. Sie arbeiteten, und sie wollten fortfahren zu arbeiten, ihr Lohn aber sollte in Ehre bestehen und nicht in Geld.
Am Sonntagmorgen kam Gösta Berling nach der Brobyer Kirche. Der Gottesdienst hatte bereits begonnen, infolgedessen war es vor der Kirche leer, vor dem Portal aber stand ein in Eile zusammengeschlagener Sarg.
Es ward Gösta Berling schwer, an diesem Sarg vorüberzugehen. Er wußte, daß der gute Hauptmann Lennart darin ruhte, und es war ihm, als wenn er ihm den Weg zur Kirche versperre.
Gösta war einen Tag und zwei Nächte im Walde umhergewankt, er hatte nichts gegessen, war müde, hungrig, erschöpft von Leiden. Jetzt war er gekommen, um die armen Leute in der Kirche zu sehen, denn da droben in der Einsamkeit hatte er an den Tag gedacht, da er am Schandhügel des Pfarrers von Broby gesessen, an die Nacht, da er die finsteren Scharen mit der Leiche des Mädchens von Nygaard hatte fortziehen sehen, da ihn das Verlangen ergriff, der Diener und Freund der Armen zu sein. Jetzt wollte er sie in der Kirche sehen, um Kraft zu sammeln, damit er ihnen dienen könne.
Aber er konnte nicht an Hauptmann Lennarts Sarg vorüberkommen. Es war ihm, als rufe der Tote ihm zu: »Gösta Berling, wie willst du den Armen helfen? Du schleppst noch die Folgen all des Bösen, das du getan, hinter dir her. Vorerst mußt du, müssen alle, die du liebst, die Früchte von dem Unheil ernten, das du gesäet hast.«
Er trat an den Sarg heran und fiel davor auf die Knie. »Hilf mir, der Helfer der Armen zu werden,« sagte er, »hilf mir, daß ich der Geliebten nie wieder Kummer mache.« Und einmal über das andere wiederholte er: »Hilf mir, daß ich fortan keinen Kummer, keine Schande, Not und anderes Elend in diese Welt bringe!«
Da legte sich eine schwere Hand auf Göstas Schulter. Hinter ihm stand Sintram.
»Gösta, willst du jemand einen tüchtigen Streich spielen, so leg dich hin und stirb. Es gibt nichts so Raffiniertes, als zu sterben, nichts, das einem braven Menschen einen ärgeren Strich durch die Rechnung macht, wenn er es am wenigsten ahnt. Leg dich hin und stirb, sage ich dir!«
»Das wäre auch das Beste für mich«, meinte Gösta.
»Vorerst aber ersinne etwas, Gösta, wodurch ich den da im Sarge ärgern kann.«
»Hat er dich angeführt?«
»Freilich hat er das! Sieh mich nur an, mein Junge! Ich bin ein betrogener Mann. Weshalb mußte er sich auch so dumm anstellen und mich zum besten haben, so daß ich an seine Dummheit glaubte, während er schlau genug war, sich gerade im rechten Moment hinzulegen und zu sterben. Aber er soll seinen Lohn haben! Ich reiße Flor und Kränze von seinem Sarge, stoße ihn um und trete mit Füßen darauf.«
»Nicht, so lange ich lebe!« rief Gösta.
Sintram kreuzte die Arme über der Brust und hob den Kopf in die Höhe; es lag etwas von der entsetzlichen Majestät des Bösen über diesem ihrem Diener.
»Es ist mein gutes Recht!« sagte er feierlich. »Es war ein großes Werk, und der Plan war geschickt gelegt; er aber hat ihn zerstört. Es handelte sich um die ganze Löfseer Harde. Hätte ich meinen Willen durchgesetzt, würde die ganze Harde zugrunde gerichtet sein. Worauf habe ich denn sonst dies ganze Jahr hindurch hingearbeitet? Ich habe die Majorin vertrieben. Ich habe Melchior Sinclaire elend gemacht. Ich halte den Schatz des Pfarrers von Broby verborgen. Ich habe die Kavaliere regieren lassen. Und jetzt war das Volk so wild und unglücklich geworden, daß niemand sie daran hindern konnte, sich ins Verderben zu stürzen, niemand, mit Ausnahme dieses Mannes, der sich gerade im rechten Augenblick hinlegte und starb. Sahest du es, mein Junge, sahest du es wohl? Die Bauern rückten gegen die Westgotländer, die Dalekarlier gegen die Bauern vor; hätte es nur eine Sekunde länger gewährt, so wäre der ganze Marktplatz in einen großen Walplatz verwandelt gewesen. Frauen und Kinder wären mit Füßen getreten, die Waren in den Schmutz geworfen worden, Raub und Mord hätten gehaust. Wäre Hauptmann Lennart nicht gestorben, so wäre das alles eingetroffen. Und hinterher wäre dann das Gericht gekommen. Hungersnot, neue Aufstände, Einquartierungen würden sie ausgesogen haben. Die ganze Harde wäre so häßlich, so verrufen, so verhaßt geworden, daß niemand außer dem alten Sintram dort hätte wohnen mögen. Wäre das nicht ein großes Werk gewesen?«
»Aber welchen Zweck sollte dies alles nur haben?«
Sintrams Augen sprühten Blitze, als er antwortete: »Es wäre mir eine Freude gewesen, denn ich bin schlecht. Ich bin der Bär im Gebirge, ich bin der Schneesturm auf der Ebene; meine Lust ist es, zu morden und zu verfolgen. Fort, sage ich, fort mit den Menschen und mit dem Menschenwerk! Ich kann sie nicht leiden. Ich kann sie zwischen meinen Klauen hindurchlaufen und ihre Sprünge machen lassen – das kann mich eine kleine Weile amüsieren –, aber nun hatte ich das Spiel satt, Gösta, nun wollte ich zuschlagen, jetzt wollte ich zerstören.«
Er wäre wahnsinnig, vollständig wahnsinnig. Er hatte vor langer Zeit zum Scherz mit diesen Höllenkünsten begonnen, jetzt aber hatte die Bosheit Oberhand über ihn gewonnen, jetzt glaubte er selber, daß er einer der Geister der Hölle sei.
Gösta Berling aber, der vor Eifer entbrannte, den Notleidenden zu helfen, war durch seine Worte wie vom Blitz getroffen.
»Weißt du, wo der Schatz des Pfarrers von Broby liegt?« fragte er.
Sintram antwortete mit einem schnellen, lauernden Blick. »Willst du vielleicht der Helfer des Volkes sein, Gösta?«
»Ja«, erwiderte Gösta; er wußte, daß es am besten war, mit einem Manne wie Sintram die Wahrheit zu reden.
Ein Lichtschimmer zuckte über Sintrams Antlitz. »Sieh, sieh!« sagte er, »da will ich den im Sarge ruhig liegenlassen, denn dann weiß ich eine bessere Rache.«
»Was hast du zu rächen? Der beste Freund des Volkes ist tot, und die Not ist ebenso groß wie vorher.«
»Ich sage dir, alles ist verloren. Schau nur dahin! Siehst du? Heute habe ich den Gefängniswagen als Equipage bekommen, und es hat mich viele Tränen gekostet, den Landvogt zu bewegen, daß er draußen hält, während ich ein Gebet am Sarge des frommen Mannes verrichte.«
Und Gösta sah, daß der Gefängniswagen an der Kirchhofsmauer hielt und auf Sintram wartete.
»Ich wollte hierher und mich bei der Frau Hauptmann bedanken, daß sie gestern in alten Papieren nachsuchte, um Beweise gegen mich in der bewußten Pulvergeschichte zu finden, und mir dann die Obrigkeit auf den Hals sandte, gerade als ich mich anschickte, zum Begräbnis dieses guten Mannes zu gehen. Aber ich will den Sarg nicht anrühren, ich kann etwas tun, was noch weit besser ist. – Hör einmal! Ihr seid wohl jetzt wahre Engel Gottes da oben in Ekeby? Wenn die Tochter des Brobyer Pfarrers ihr Erbe bekommt, wollt ihr und sie dann alles unter die Armen austeilen?«
»Sie will es benutzen, um Ekeby wieder aufzurichten und den Armen zu helfen; das hat sie oft gesagt.«
Sintram lachte vor sich hin. »Du wüßtest wohl für dein Leben gern, wo das Geld steckt, Gösta?«
»Ja, das wüßte ich gern.«
»Willst du mir versprechen, geradeswegs von hier zu der Stelle im Walde zu gehen, wo das Mädchen aus Nygaard sich zu Tode fiel, und dich dort herabstürzen, so will ich dir sagen, wo das Geld ist. Es wäre so schön, wenn du da sterben könntest; dann würden alle sagen, daß deine schrecklichen Gewissensqualen dich in den Tod getrieben hätten.«
»Ich habe gelobt, mir das Leben nicht zu nehmen, so lange Anna Lisa im Dienst der Majorin steht.«
»Gilt nicht!« erwiderte Sintram. »Wenn du ihr das Geld verschaffst, dient sie ja nicht mehr.«
Aber bei Gösta Berling schien nun all das alte und all das neue Sehnen sich zu dem einen zu vereinigen – sterben zu dürfen. Es war niemals zur Klarheit gekommen zwischen ihm und ihr, die er seine Gattin nannte. Er war glücklich gewesen, daß er ihr dienen durfte wie die anderen Kavaliere, wie es aber werden sollte, wenn ihre Zeit auf Ekeby um war, das wußte er nicht. Er wußte nicht einmal, ob sie zu ihren Eltern zurückkehren oder bei ihm bleiben würde. Eins aber stand fest: er konnte ihr keinen größeren Dienst erweisen, als indem er ihr ihre Freiheit wiedergab, und dazu hatte er jetzt die beste Gelegenheit. Jetzt konnte er alle seine Gewissensqualen loswerden; jetzt konnte er die Wünsche seiner besten Momente erfüllen, er konnte Gott und den Menschen dienen; das alles und weit mehr lag in diesem schönen, herrlichen: sterben zu dürfen.
Er reichte Sintram die Hand, und dieser schlug ein.
»Das Geld liegt im Kirchturm zu Bro, unter den Dielen in der Nähe der Schallöcher«, sagte Sintram. »Sorge nun aber dafür, daß du aus der Welt bist, ehe es Abend wird, denn sonst werde ich es schon so einrichten, daß die Tochter des Pfarrers von Broby ihr Geld selbst behält.«
Jetzt folgte ein schöner Tag für Gösta Berling. Er ging in die Kirche und dachte mit feierlicher Freude daran, daß er sein Leben hingeben wolle, um allen diesen Menschen zu helfen. Er ging in die Sakristei und schrieb eine Bekanntmachung aus, daß die Arbeit in Ekeby wieder aufgenommen werden solle und daß dort Korn an die Armen verteilt werden würde. Und er vernahm das Gemurmel der Freude und des Staunens, das durch die Menge ging, als das Manifest nach dem Gottesdienst verlesen wurde. Er schrieb auch ein paar Worte an seine Gattin und teilte ihr mit, wo der Schatz zu finden sei. Gegen seinen Willen lief die Feder weiter, und er schrieb ihr einige Worte des Abschieds, falls sie einander nie wiedersehen sollten. Er müsse etwas tun, um den Tod des Mädchens aus Nygaard zu sühnen, schrieb er. Sobald er den Brief abgesandt hatte, wunderte er sich, weshalb er das eigentlich geschrieben hatte, und er bereute es.
Die Welt war ihm lange nicht so schön erschienen wie an diesem Tage. Nach dem Gottesdienst sprach er mit Anna Stjärnhök und mit Marianne Sinclaire. Sie baten ihn beide, sich aufzuraffen und ein Mann zu werden. Er erfuhr, daß Anna Stjärnhök sich mit der Arbeit getröstet hatte; sie bewirtschaftete jetzt ihre großen Güter selber, und man sagte von ihr, daß sie eine zweite Majorin werden würde. Er fühlte, daß diese beiden stolzen Frauen unter dem Bewußtsein litten, sich des Mannes schämen zu müssen, den sie geliebt hatten. Jetzt, dachte er, werden sie sich darüber freuen, daß ich mein Leben hingebe, um alle die Armen aus ihrer Not zu erretten, um Ekeby wieder in seinem alten Glanz aufzurichten.
Nach dem Gottesdienst wurde Hauptmann Lennart begraben. Da er am Markttage gestorben war, hatte sich die Kunde weithin verbreitet, und zu Tausenden waren die Leute zur Kirche geströmt. Der ganze Kirchhof, die Mauer und das an die Kirche grenzende Feld waren voll Menschen. Der alte Probst war krank und predigte sonst nicht. Aber zu Hauptmann Lennarts Beerdigung hatte er versprochen zu kommen. Und er kam, gesenkten Hauptes und in seine eigenen Träume vertieft, wie er es jetzt in seinen alten Tagen zu sein pflegte, und stellte sich an die Spitze des Leichenzuges. Der Alte war vor vielen Leichenzügen hergegangen, er ging den bekannten Weg ohne aufzublicken, er warf Erde auf den Sarg, verrichtete die Gebete und merkte nichts Ungewöhnliches. Als aber der Küster den Gesang anstimmte, wurde er von hundert und aber hundert Stimmen gesungen, Männer, Frauen und Kinder sangen mit. Da erwachte der Alte aus seinen Träumen. Er strich sich über die Augen, als wenn die Sonne ihn blende, und stieg auf den aufgeschütteten Erdhügel, um sich umzuschauen. Niemals hatte er einen solchen Gesang an einem Grabe gehört, niemals eine solche Schar von Trauernden gesehen. Die Männer hatten die alten, abgetragenen Begräbnishüte aufgesetzt, die Frauen ihre weißen Schürzen mit den breiten Falten umgebunden. Sie trugen alle Trauer, sie weinten und sangen alle.
Der alte Probst zitterte vor Bewegung. Er empfand eine heilige Freude, als er die Liebe des Volks zu dem Verstorbenen sah. Als der Gesang verstummt war, streckte er dem Volk seine Arme entgegen. Er sprach einige Worte mit schwacher Stimme, hielt dann aber inne. Wieder begann er, aber nur die Zunächststehenden hörten seine Worte. Auf einmal aber schöpfte seine Stimme Kraft und Klang aus dem liebevollen Verlangen, dies trauernde Volk zu trösten.
Er erzählte seinen Zuhörern alles, was er von dem Gesandten Gottes wußte. Er erinnerte sie daran, daß weder äußerer Glanz noch großes Vermögen diesem Mann zu seinem Ansehen verholfen hatte, sondern nur das eine, daß er stets auf Gottes Wegen gewandelt war. Und nun bat er sie, um Gottes und Christi willen ein gleiches zu tun. Ein jeder solle seinen Nächsten lieben und ihm behilflich sein. Ein jeder solle das Beste von seinem Nächsten glauben, ein jeder solle so handeln wie dieser gute Hauptmann Lennart; denn dazu bedürfe es keiner großen Gaben, sondern nur eines frommen Sinnes. Und er setzte ihnen auseinander, daß alles, was in diesem Jahr geschehen war, eine Vorbereitung sei zu der Zeit der Liebe und des Glückes, die ihnen jetzt bevorstehe. Er habe in diesen Jahren oft menschliche Güte in zerstreuten Strahlen hervorbrechen sehen; jetzt werde sie als helle, glänzende Sonne hervortreten.
Er erhob seine Augen und Hände und verkündete Frieden über das Land. »In Gottes Namen,« sagte er, »der Unfriede höre auf! Der Friede wohne in euren Herzen und in der ganzen Natur! Möchten die toten Dinge und die Tiere und Pflanzen Ruhe finden und aufhören, Schaden anzurichten.«
Und es war Gösta und ihnen allen, als hörten sie einen Seher reden. Alle wollten einander lieben, alle wollten gut sein. Es war, als sei ein Mann Gottes gekommen, der Macht über alles Erschaffene habe. Ein heiliger Friede senkte sich auf die Erde herab. Es war, als strahlten die Berge, als lächelten die Täler, und die Herbstnebel kleideten sich in Rosenschimmer.
Schließlich bat er um einen Helfer für das Volk. »Es wird einer kommen«, sagte er. »Es ist nicht Gottes Wille, daß ihr jetzt vergehen sollt. Gott wird einen erwecken, der die Hungernden sättigt, der euch auf seine Wege lenkt.«
Da fühlte Gösta, daß der Alte von ihm redete, der sein Leben schon um der Armen willen verkauft hatte. Und viele von denen, die die Kundmachung gehört hatten, gingen heim und erzählten, nun würde sich schon alles zum Guten wenden, habe doch der tolle Pfarrer auf Ekeby gelobt, ihnen zu helfen.
Gösta aber schlug den Weg in die westlichen Berge ein und verschwand in der Finsternis der tiefen Wälder.
Es war lange vor jenem Jahr, in dem die Kavaliere auf Ekeby herrschten.
Der Hirtenbube und das Hirtenmädchen spielten zusammen im Walde, bauten Häuser aus flachen Steinen, pflückten Beeren und schnitten Holunderflöten. Sie waren beide im Walde geboren, dort war ihr Heim, ihr Reich. Sie lebten in Frieden mit allem, was da drinnen war, wie man mit dem Gesinde und mit den Haustieren in Frieden lebt.
Die Kleinen nannten die Luchse und die Füchse ihre Hofhunde, das Wiesel war ihre Katze, Hasen und Eichhörnchen ihre Spielgefährten, Bären und Elentiere ihr Großvieh. Eulen und Auerhähne saßen in ihren Vogelbauern, die Tannen waren ihre Diener und die jungen Birken ihre Gäste bei ihren Festen. Sie kannten wohl die Höhlen, in denen die Otter im Winterschlaf zusammengerollt lag, und wenn sie badeten, hatten sie die Natter durch das klare Wasser schwimmen sehen; aber sie fürchteten sich weder vor Schlangen noch vor Waldgeistern, die gehörten ja mit zum Walde, und der war ihr Heim. Nichts konnte sie erschrecken.
Tief drinnen im Walde lag die Hütte, wo der Junge wohnte. Ein hügeliger Waldpfad führte dahin, ringsumher schatteten die Berge, grundlose Moore lagen in der Nähe und entsandten das ganze Jahr hindurch ihre eiskalten Nebel. Für die Bewohner der Ebene hat eine solche Wohnung sehr wenig Verlockendes.
Der Hirtenbube und das Hirtenmädchen wollten einmal im Laufe der Jahre Mann und Frau werden, wollten dort in der Waldhütte wohnen und von ihrer Hände Arbeit leben. Ehe sie sich aber verheiraten konnten, brach das Unglück des Krieges über das Land herein, und der junge Mann ließ sich werben. Er kehrte heim ohne Wunden oder körperliche Gebrechen, aber diese Kriegsjahre hatten ihm fürs ganze Leben ihren Stempel aufgedrückt. Er hatte zu viel von der Schlechtigkeit der Welt und der Grausamkeit der Menschen gegen ihre Mitmenschen gesehen, so daß er jetzt das Gute nicht mehr erblicken konnte.
Anfangs war keine Veränderung an ihm zu bemerken. Er ging mit seiner Jugendliebe zum Pfarrer und bestellte das Aufgebot. Die Waldhütte oberhalb Ekeby ward ihr Heim, wie sie es sich längst ausgemalt hatten; aber das Glück sollte nicht in diesem Heim wohnen.
Die junge Frau ging einher und schaute ihren Mann an wie einen Fremden. Seit er vom Kriege heimgekehrt war, hatte sie ihn nicht wiedererkennen können. Er lachte so hart und redete wenig. Sie fürchtete sich vor ihm.
Er tat nichts Böses und war ein fleißiger Arbeiter. Doch war er nicht beliebt, denn er traute allen Menschen Böses zu. Er fühlte sich selber wie ein verhaßter Fremdling; jetzt waren die Tiere des Waldes seine Feinde, der Berg, der ihn beschattete, das Moor, das seine Nebel entsandte, waren seine Gegner. Der Wald ist eine unheimliche Wohnung für jemand, der sich mit bösen Gedanken trägt.
Wer in öden Gegenden wohnt, muß sich einen Vorrat von lichten Erinnerungen schaffen. Sonst sieht er nur Mord und Unterdrückung unter Tieren und Pflanzen, wie er es unter den Menschen gesehen hat. Er erwartet Böses von allem, was ihm begegnet.
Jan Hök, der Soldat, konnte selber nicht verstehen, was ihm war, aber er merkte, daß ihm alles zuwiderging. Sein Heim bot ihm nur geringen Frieden. Die Söhne, die dort heranwuchsen, wurden stark, aber wild; abgehärtete, mutige Männer waren sie, aber auch ihre Hand war gegen alle, wie aller Hand gegen sie war.
Seine Frau ließ sich von ihrem Kummer verlocken, die Geheimnisse der Natur zu erforschen. In Mooren und Dickichten suchte sie heilende Kräuter. Sie ergründete das Wesen der Unterirdischen und wußte, welche Opfer erforderlich waren. Sie konnte Krankheiten heilen, konnte guten Rat gegen Liebeskummer erteilen. Sie stand in dem Ruf, Zauberkräfte zu besitzen, und ward gemieden, obwohl sie den Menschen großen Nutzen erwies.
Einmal faßte die Frau sich ein Herz und redete mit dem Mann über seinen Kummer. »Seit du in den Krieg gingst, bist du wie verhext«, sagte sie. »Was haben sie dir angetan?«
Da fuhr er auf und war nahe daran, sie zu schlagen, und so ging es jedesmal, wenn sie den Krieg erwähnte. Er wurde wie wahnsinnig vor Zorn. Er duldete es nicht, daß jemand das Wort Krieg aussprach, das wurde bald bekannt; da nahmen sich denn die Leute vor diesem Thema in acht.
Aber keiner seiner Kriegskameraden konnte sagen, daß er mehr Böses getan hatte als andere. Er hatte wie ein guter Soldat gekämpft. Nur all das Entsetzliche, das er gesehen, hatte es ihm so angetan, daß er fortan nur noch das Schlechte sehen konnte. Es war ihm, als wenn die ganze Natur ihn hasse, weil er an dergleichen teilgenommen hatte. Diejenigen, die es besser wissen, können sich damit trösten, daß sie für das Vaterland und die Ehre kämpfen. Was wußte er davon? Er wußte nur, daß alles ihn haßte, weil er Blut vergossen und Gewalt geübt hatte.
Zu jener Zeit, als die Majorin aus Ekeby vertrieben wurde, wohnte er allein in seiner Hütte. Seine Frau war gestorben, und seine Söhne waren fortgezogen. Aber zur Marktzeit war die Hütte doch voller Gäste. Die dunkelhäutigen Zigeuner kehrten dort ein, sie gedeihen am besten bei dem, den die Menschen scheuen. Kleine, langhaarige Pferde kamen dann den Waldweg hinaufgeklettert, die Wagen voll von verzinnten Gerätschaften, Kindern und Lumpen. Früh gealterte Frauen mit vom Trunk und vom Tabakrauchen angeschwollenen Gesichtern und Männer mit bleichen, scharfen Zügen und sehnenstarken Gliedern folgten den Wagen. Wenn sie an der Waldhütte anlangten, wurde die Stimmung heiter, Branntwein und Karten und Spektakel führten sie mit sich, sie erzählten von Diebstählen, Pferdetausch und blutigen Schlägereien.
Es war an einem Freitag, als der Brobyer Markt begann und Hauptmann Lennart getötet wurde. Der starke Måns, der Mörder, war der Sohn des Alten in der Waldhütte. Als deswegen die Zigeuner am Sonntagnachmittag da oben zusammensaßen, reichten sie dem alten Jan Hök die Branntweinflasche häufiger als sonst und sprachen mit ihm von Gefängnisleben und Gefangenenkost und Verhören, denn das kannten sie.
Der Alte saß auf dem Haublock in der Ofenecke und sprach nicht viel. Seine großen, glanzlosen Augen starrten über die wilde Schar hin, die die Stube füllte. Die Dämmerung war hereingebrochen, aber das flackernde Fichtenholz erleuchtete den Raum. Es beschien Lumpen und Elend und Not.
Die Tür öffnete sich leise und zwei Frauen traten ein. Es war die junge Gräfin Elisabeth, gefolgt von der Tochter des Pfarrers von Broby. Sonderbar wollte es dem Alten erscheinen, als sie, liebenswert und strahlend in ihrer milden Schönheit, in den Lichtkreis des Feuers trat. Sie erzählte ihnen, daß Gösta Berling sich seit Hauptmann Lennarts Tod nicht auf Ekeby hatte sehen lassen. Sie und ihr Mädchen hätten den ganzen Nachmittag den Wald durchsucht. Jetzt sähe sie, daß hier Männer seien, die weit umhergewandert waren und alle Wege kannten. Hatte niemand von ihnen Gösta bemerkt? Sie sei hereingekommen, um zu fragen, ob ihn jemand gesehen habe.
Vergebliche Frage. Niemand hatte ihn gesehen.
Sie rückten ihr einen Stuhl ans Feuer, sie sank darauf nieder und saß eine Weile schweigend da. Der Lärm im Zimmer war verstummt; alle sahen sie an und wunderten sich über sie. Dann ward ihr das Schweigen unheimlich, sie fuhr zusammen und suchte nach einem gleichgültigen Gesprächsstoff.
»Wenn ich mich nicht irre, bist du Soldat gewesen?« wandte sie sich an den Alten. »Erzähle uns doch etwas vom Kriege!«
Das Schweigen wurde nur noch unheimlicher. Der Alte saß da, als habe er nichts gehört.
»Ich möchte gern etwas vom Kriege hören, von einem, der mit dabeigewesen ist«, sagte die Gräfin. Aber sie hielt plötzlich inne, denn ihre Begleiterin machte ihr ein Zeichen mit dem Kopf. Sie mußte etwas Unpassendes gesagt haben; alle da drinnen starrten sie an, als habe sie gegen die ersten Anstandsregeln verstoßen. Plötzlich begann eine der Frauen mit scharfer Stimme: »Ist das nicht die ehemalige Gräfin auf Borg?«
Ja, die sei sie.
»Die sollte doch auch was Besseres tun, als dem tollen Pfarrer im Walde nachzulaufen. Pfui!«
Die Gräfin erhob sich und sagte Adieu, sie habe jetzt genügend geruht. Die Frau, die vorhin gesprochen hatte, begleitete sie hinaus.
»Ich wollte der Frau Gräfin nur sagen, daß ich meine Äußerung von vorhin gar nicht so gemeint habe. Ich mußte nur etwas sagen, denn der Alte wird wie rasend, wenn er von Krieg reden hört. Ich meinte es ja nicht böse.«
Die Gräfin eilte weiter, aber sie stand bald wieder still. Sie sah den drohenden Wald, den schattenwerfenden Berg, den dampfenden Sumpf. Es mußte unheimlich sein hier zu wohnen, wenn der Sinn mit bösen Erinnerungen angefüllt war. Sie hatte Mitleid mit dem Alten, der da drinnen saß, die dunklen Zigeuner als einzige Gesellschaft.
»Anna Lisa,« sagte sie, »laß uns umkehren! Sie waren gut gegen uns dort in der Hütte, ich aber habe mich nicht gut aufgeführt. Ich will mit dem Alten über freundlichere Dinge reden.« Und glücklich, jemand gefunden zu haben, den sie trösten konnte, begab sie sich wieder in die Hütte zurück.
»Ich fürchte,« sagte sie, »daß Gösta Berling hier im Walde umhergeht mit dem Gedanken, sich das Leben zu nehmen. Deswegen ist es wichtig, daß man ihn bald findet und ihn daran verhindert. Anna Lisa und ich haben oft gemeint ihn zu sehen; aber er ist uns immer wieder entschwunden. Er hält sich gewiß in der Nähe des Berges auf, wo das Mädchen von Nygaard ums Leben kam. Da fiel es mir eben ein, daß ich wohl nicht ganz bis Ekeby zurückzugehen brauche, um Hilfe zu holen. Hier sind so viele starke Männer, daß sie Gösta Berling sicher fangen können!«