Kitabı oku: «Liljecronas Heimat», sayfa 15
Er war ihr nachgegangen und hatte sie beinahe eingeholt. Als sie sich nun so plötzlich umdrehte, standen sie einander Auge in Auge gegenüber.
Wahrhaftig, mußte nicht eine solche Flammenglut wie die, die jetzt in ihr brannte, auf den andern überspringen? In seinen Augen flammte ein Widerschein auf, oder war es vielleicht nicht nur ein Widerschein? Sie schienen ihr zu stark zu glänzen, diese Augen! Maja Lisa wußte ja noch so wenig von der Liebe, die Leidenschaft aber, mit der er sie jetzt an sein Herz drückte, schien dieselbe heiße Sehnsucht auszudrücken, die sie zu ihm hinzog.
Ihr Erstaunen war unbeschreiblich. Sie wußte nicht, ob sie ihren Sinnen trauen dürfte. Aber die Worte, die er jetzt in kurzen Ausrufen hervorstieß, diese beglückenden Fragen, ob sie ihn liebe, dieses feurige Bekenntnis, daß er sie vom ersten Augenblick an geliebt, sich aber seiner Schwachheit geschämt habe, diese schmerzliche Reue darüber, daß er sich selbst etwas vorzulügen gesucht und sich vor seiner Liebe versteckt hatte, diese trotzige Rede, daß er jetzt weder nach Lebenden noch nach Toten frage, wenn nur sie ihn liebe – konnte es anders sein, als daß sein Herz in derselben verzehrenden Liebe für sie glühte wie das ihre für ihn?
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Die Erdgeister auf Lövdala
Phylax stand auf der Freitreppe und bellte und heulte die ganze Nacht. Die Kleine hatte ihn noch nie so fürchterlich heulen hören, sie konnte unmöglich einschlafen. Mamsell Maja Lisa wachte sicher auch und konnte kein Auge schließen, und sie hätte doch den Schlaf in ihrem angegriffenen Zustand so nötig gehabt. Nein, es ging nicht anders, die Kleine mußte einen Versuch machen, den Hund zum Schweigen zu bringen.
Sie warf sich Rock und Jacke über und schlich durch die Küche in den Flur hinaus. Ehe sie indes die vielen Schlösser und Riegel an der Haustür aufgebracht hatte, war der Hund still geworden; aber sie ging doch für alle Fälle auf die Veranda hinaus, um ihn hereinzulocken.
Aber wie merkwürdig! Sie konnte ihn nirgends sehen. Sie wußte bestimmt, daß er die ganze Nacht auf der Veranda gestanden hatte; jetzt aber, wo sie sich die Mühe gemacht hatte aufzustehen, war er natürlich verschwunden. Sie ging sogar bis auf die Freitreppe vor und rief und lockte ihn; aber der Hund war nirgends zu sehen.
Es war eine herrliche Nacht. Der Himmel war mit kleinen weißen Wolken bedeckt, die sich zu Kränzen und Ringen ineinandergeschoben hatten, als wollten sie nun, wo sie niemand sah, allerlei künstliche Spiele vornehmen. Die Sonne war noch nicht hinter dem Berge aufgegangen, aber trotzdem war es taghell. Dabei war es nicht im geringsten kalt, sondern so lau und mild, daß die Kleine kein bißchen fror, obwohl sie mit bloßen Füßen herausgetrippelt war.
Die sechs großen Ebereschen, die in einer Reihe vor der Scheune standen und mit ihren breiten Wipfeln wie eine grüne Mauer aussahen, entfalteten schon ihre Blüten. Die großen weißen Blütendolden leuchteten hell aus dem dunklen Grün hervor. Das war ebenso schön wie die glänzenden Sternenlichter an einem dunklen Nachthimmel.
Ob es nun der Gegensatz zwischen dem frischen Grün war, das jetzt im Frühling überall hervorleuchtete – der Kleinen kamen alle die Gebäude, die rings um den Hof standen, plötzlich so alt und so baufällig vor. Sie betrachtete den Altan über dem Stall und die halbrunden Scheunenfenster, die unter dem schwarz gewordenen Strohdach hervorschauten, sowie die schiefe Tür des Brauhauses – alles sah in dieser Frühlingsnacht gar so betrübt aus und seufzte über sein Alter. Sie betrachtete auch das Gesindehaus, das ein steinernes Erdgeschoß hatte, sowie das Vorratshaus, das auf Pfosten stand. Dann schweifte ihr Blick über die vielen Gattertüren hin, die jetzt im Frühjahr wieder in die Zäune eingesetzt waren, sowie über die langen Reihen von Pfählen, die die Zäune bildeten. Alles war so alt, daß es krumm, schief und verfallen aussah. Die Dachfirste waren eingesunken, die Wände waren grau geworden, und zwischen dem Gebälk wucherte grünes Moos hervor.
Dies war das erstemal, daß der Kleinen der Gedanke kam, der ganze Hof sei allmählich zu alt geworden und bedürfe überall der Erneuerung. Aber so etwas denkt man auch nur im Frühling, wenn man sieht, wie sich die Bäume, die Sträucher und die Felder schmücken und in ihren schönsten Staat kleiden.
Vielleicht, dachte die Kleine, gibt es auch für die Höfe etwas Ähnliches wie Sommer und Winter, obgleich für sie wohl längere Zeiten dazwischenliegen als für Bäume und Sträucher.
Frühling war es auf einem Hofe, wenn ein junges Paar hinkam, das Neues aufbaute und das, was zu alt war, wegriß. Und Winter war es, wenn diese jungen Leute alt geworden waren, wenn das, was sie aufgebaut hatten, dem Einsturz nahe war und sich nach frischen Kräften sehnte, die wiederum neu bauen und Ordnung schaffen sollten.
Die Kleine dünkte es ganz sonderbar, daß sie auf solche Gedanken gekommen war. Aber das war auch eine ganz merkwürdige Nacht, so warm und schwül und geheimnisvoll! Das Kind wurde ängstlich und wollte rasch ins Haus zurück; aber da fiel ihr der Hund wieder ein.
Als sie sich jetzt nach allen Seiten umsah, um herauszufinden, wohin der Hund wohl gegangen war, schien es ihr, als rühre sich etwas auf dem Rasen unter den Ebereschen.
Die Kleine hatte weit drinnen im dunklen Wald gewohnt, und sie hatte früh und spät für die Mutter Botengänge machen müssen; aber niemals hatte sie etwas Übernatürliches gesehen, und sie hatte auch niemals geglaubt, daß sie so etwas sehen werde. Mutter hatte immer gesagt, sie brauche sich nicht zu fürchten; sie habe keine Anlage dazu, Wichtelmännchen oder Hexen zu begegnen.
Aber dort drüben sah sie jetzt wirklich etwas höchst Merkwürdiges, darüber bestand kein Zweifel. Sie war ein wenig bestürzt; aber eigentliche Angst bekam sie nicht so leicht. Und es war auch nicht zum Erschrecken – dort drüben tanzten nur ein paar Wichtelchen.
Ja, zwei waren es, ein Herr und eine Dame, die so groß waren wie sechsjährige Kinder, aber viel schlanker und feiner gebaut. Beide waren wie die vornehmsten Edelleute gekleidet, in schwarzen Samt mit Spitzen und Tressen. Der Herr hatte einen Dreispitz auf dem Kopf, einen Degen an der Seite, einen mit seidenen Blumen gestickten Leibrock und Schnallen auf den Schuhen. Die Dame trug kurze, sehr weite Röcke, rote Strümpfe, einen großen Federhut und in der Hand einen Fächer.
Sie tanzten ununterbrochen. Er faßte sie bei der Hand, und mit erhobenen Armen trippelten sie eine Strecke vorwärts, dann wechselten sie und trippelten wieder zurück. Sie trennten sich, gingen aufeinander zu, verbeugten sich, schließlich umschlangen sie einander um die Mitte und schwangen sich im Kreise.
Nein, in ihrem ganzen Leben hatte die Kleine noch nie etwas so Schönes gesehen, das war sicher und gewiß! Die Bewegungen der beiden waren leicht und anmutig, sie flogen nur so übers Gras hin. So konnten keine Menschen tanzen, diese beiden dort waren wie aus Luft gemacht. Sie hatten Gesichter wie das allerfeinste Porzellan und sehr kleine Hände und Füße. Ach du lieber Gott, wer doch auch so klein und niedlich wäre!
Die Kleine konnte sich nicht losreißen, solange die dort drüben tanzten. Sie stand unbeweglich und fragte sich, warum die beiden wohl so froh und vergnügt waren und gerade in dieser Nacht tanzten? Na, das war nicht schwer zu verstehen. Die beiden dort waren gewiß die echten Hausgeister von Lövdala, und sie waren wohl glücklich, daß jetzt, wo die Raclitza verschwunden war, wieder alles ins rechte Geleise kam.
Während die Kleine so dem Tanze zusah, fühlte sie sich noch geneigter als bisher, das zu glauben, was der lange Bengt behauptete. Er war der letzte, der die Raclitza gesehen hatte, und er war ihr am Samstagabend ganz spät drunten auf den Svartsjöer Wiesen begegnet. Sie habe ganz irr und wirr ausgesehen, genau wie an jenem Tage, wo sie sich zum erstenmal gezeigt hatte, und er behauptete aufs bestimmteste, ja, er wollte gleich darauf schwören, er habe sie in den Svartsjöbach hineinsteigen sehen.
Vielleicht, dachte die Kleine, waren nun die richtigen Hausgeister froh, daß die kalte, falsche Wasserfrau keine Macht mehr über Lövdala hatte.
Nein, wie wundervoll sie tanzten! Warum lag man nur drinnen in den Stuben und verschlief die hellen Nächte? Warum tanzte man nicht auch auf dem grünen Rasen? Warum war man nicht selbst so leicht und lustig, warum hatte man so viel Kummer, den man nie abwerfen konnte?
Da plötzlich hörte die Kleine im Hause drinnen ein dumpfes Geräusch wie von einem schweren Fall, und eilig lief sie in den Flur zurück.
Sie lauschte, vernahm aber nichts mehr. Doch war sie ganz sicher, daß das Geräusch aus dem westlichen Zimmer, dem Zimmer des Pfarrers, gekommen war.
So rasch sie konnte, lief sie zu Mamsell Maja Lisa hinein und sagte, sie solle doch aufstehen, dem Herrn Pfarrer müsse etwas geschehen sein.
Die Pfarrerstochter warf hastig ein paar Kleidungsstücke über und fragte währenddessen, was denn geschehen sei. Die Kleine berichtete mit fliegendem Atem, sie habe von der Freitreppe aus zwei kleine Gestalten tanzen sehen, und dann habe sie plötzlich droben im Zimmer des Herrn Pfarrers einen dumpfen Fall gehört.
Da wurde die Pfarrerstochter todesblaß.
»Diese beiden zeigen sich nur, wenn Lövdala einen neuen Herrn bekommen soll«, sagte sie; »aber ich glaube, bis jetzt hat sie noch kein Mensch jemals tanzen sehen.«
Sie hatte erst einen Schuh angezogen; aber sie dachte jetzt nicht an ihre Kleidung, sondern eilte hinauf in die westliche Stube.
Hier lag der Pfarrer auf dem Boden ausgestreckt und rührte sich nicht.
»Was ist Euch, Herr Vater, was ist Euch?« rief Maja Lisa, indem sie sich über ihn beugte.
Gleich darauf hob sie den Kopf wieder und sah die Kleine an, die ihr gefolgt war.
»Der Herr Vater ist tot«, sagte sie. »Komm, wir wollen ihm noch für alles danken; er ist uns vielleicht noch so nahe, daß er uns noch hören kann.«
Sie nahm seine Hand, küßte sie innig und zärtlich und flüsterte ihm ein paar Worte ins Ohr. Dann durfte ihm auch die Kleine noch die Hand küssen.
Alsdann stand die Pfarrerstochter auf und sah sich im Zimmer um, wie um zu erfahren, wie es zuletzt gewesen war. Der Vater hatte am Schreibtisch gesessen und geschrieben, in seinem Federkiel war die Tinte noch naß. Während er schrieb, hatte er sich wohl plötzlich unwohl gefühlt; da war er aufgestanden, um mit seiner Glocke zu läuten und Hilfe herbeizurufen, und da war er zu Boden gesunken.
Auf dem Tisch lag die halbfertige Predigt. Die letzten Zeilen liefen mit kritzeligen ungleichen Buchstaben schräg über die Seite herab. »Der Arbeiter, der sein Werk vollendet hat, sehnt sich nach Ruhe und freut sich, daß ein besserer an seine Stelle tritt.«
Da stürzten Maja Lisa die Tränen aus den Augen. »Jetzt verstehe ich, warum die beiden gerade für Vater tanzten. Sie wußten, daß er fort wollte. Sie wußten, daß er frei werden würde.«
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Die Heimat
Die Pfarrerstochter saß in der Küchenkammer, hatte Bibel und Gesangbuch vor sich und las Gottes Wort zum Trost in ihrem großen Leid.
Es war noch früh am Morgen, und gerade vierundzwanzig Stunden waren vergangen, seit sie den geliebten Vater tot auf dem Boden gefunden hatte. Den ganzen Tag hindurch hatte sie so viel zu besorgen gehabt, daß sie gar nicht an ihren großen Verlust hatte denken können. Aber in der Nacht war der Schmerz in seiner ganzen Größe über sie hereingebrochen, und sie hatte nicht schlafen können. So war sie aufgestanden, ehe noch irgend jemand im Hause wach war, hatte die beiden Bücher vorgenommen und las nun darin.
Aber schon nach ganz kurzer Zeit machte sie die Bücher zu, faltete die Hände und dankte nun Gott von Herzensgrund, daß sie jetzt nicht allein und verlassen war, sondern einen treuen, zuverlässigen Freund zu eigen hatte, der ihr helfen und sie beschützen konnte. Denn jetzt würde wohl die Stiefmutter zurückkommen, um die Herrschaft über den Hof an sich zu reißen, und wenn Maja Lisa dann den Freund nicht gehabt hätte, wäre sie ganz in der Stiefmutter Gewalt gewesen. Und dann hätte sie nicht allein über den Verlust ihres guten Vaters, sondern auch über ihr eigenes Schicksal weinen müssen.
Kaum hatte Maja Lisa dies gedacht, als draußen vor dem Fenster, das nach dem Garten hinausging, herrliche, gedämpfte Geigentöne erklangen.
Maja Lisa wußte wohl, wer spielte; sie selbst hatte gestern nach ihm geschickt.
Einen Augenblick stieg der Gedanke in ihr auf, es schicke sich wohl nicht, daß er vor einem Trauerhaus spiele; aber sie verwarf ihn sofort wieder. Ihrem Freund fiel es schwer, in Worten auszudrücken, was er ihr sagen wollte, deshalb hatte er die Geige mitgebracht. Es war durchaus nicht unpassender, wenn er ihr auf diese Weise sagte, wie sehr er teil an ihrem Schmerz nahm, als wenn er es ihr mit Worten ausgedrückt hätte.
Sie saß mit dem Rücken gegen das Fenster und konnte ihn nicht sehen; aber sie wagte sich nicht umzudrehen. Sie hörte ihn zum ersten Male spielen, denn jenes Aufspielen auf Svansskog konnte nicht gerechnet werden. Und sie konnte nichts dafür, aber mitten in ihrem tiefen Leid bereitete es ihr eine innige Freude, daß er wieder nach dem Bogen gegriffen hatte. Ja, ja, seine große Liebe zu ihr, sie war es, die ihn instand gesetzt hatte, ihn wieder zu führen.
Ach, daß man einer Geige solche Töne zu entlocken vermochte! Daß der Bogen und die Saiten so hinschmelzend hold erklingen konnten!
Was er spielte, klang so traurig, so traurig! Maja Lisa liefen große Tränen die Wangen herab.
Aber allmählich veränderte sich sein Spiel. Jetzt war es nicht mehr ruhig und tröstend. Sie wußte zwar nicht, ob sie es richtig deuten konnte, aber es kam ihr auf einmal wild und erschreckend düster vor.
Sie verwunderte sich mehr und mehr. Das war kein Spiel, das für den Vater paßte! Der gute Vater war immer glücklich gewesen und hatte auch andere glücklich zu machen gesucht. Nie hatte er etwas von Kummer und Angst wissen wollen. Als er gefunden hatte, daß das Leben schwer und verworren wurde, war er dahingegangen. Ja gewiß würde sie um den geliebten Vater trauern und sich von ganzem Herzen nach ihm sehnen. Aber doch war die Erinnerung an ihn hell und licht.
Nein, jetzt konnte sie nicht mehr glauben, daß er da draußen sie mit seinem Spiel trösten wollte. Aus einem anderen Grunde führte er den Bogen. Eines andern Menschen Not und Verzweiflung klang aus den Saiten, die er rührte.
Ja, sie hatten recht, sie, die ihn einen Meister nannten! Sowenig ausgebildet Maja Lisa auch in der Musik war, sie verstand ihn, wie wenn er mit ihr redete.
Er klagte so jammervoll! Jemand war in den schwärzesten Abgrund versunken, jemand war in Ketten geschlagen, jemand brannte im verzehrendsten Feuer!
Und niemand, niemand konnte ihn ans Licht heraufbringen, niemand konnte ihm die Freiheit schenken, niemand die Glut löschen, die ihn marterte!
Maja Lisa wurde das Herz so schwer, so schwer! Es war wie zusammengepreßt, wie wenn es zermalmt werden sollte. Wenn ein großer Sünder, der in der tiefsten Hölle schmachtet, eine Geige in die Hände bekäme, dann könnte er vielleicht in solchem Spiel seiner ganzen Qual Ausdruck verleihen.
Aber er da draußen, wessen Unglück drückte er in seinem Spiel aus? War es seine eigene Qual, oder war es die eines andern?
Maja Lisa erwartete, daß das Spiel sich wieder verändern, daß er auf etwas anderes übergehen werde. Aber das war eine eitle Hoffnung. Nichts anderes konnte er spielen als zunehmende Angst. Jetzt war es nicht mehr schön anzuhören, es klang schrill und gellend.
Sie konnte nicht länger ruhig zuhören. Ein furchtbares Unglück mußte ihn betroffen haben, es war nicht anders möglich. Sie mußte ein Fenster aufmachen und ihn fragen.
Als er sie sah, brach er mitten drin mit einem Ton ab, der ihr wilder in den Ohren gellte als irgendeiner vorher. Der Hut war ihm während des aufgeregten Spiels vom Kopf gefallen, und das Haar lag wirr auf seiner Stirn. Er war blaß wie ein Kranker, und alle seine Gesichtszüge waren von Schmerz verzerrt.
»Du hast gesagt, du möchtest mich spielen hören«, preßte er hervor. »Jetzt hast du deinen Willen, nun weißt du, wie es klingt.«
Ach, seine Stimme war so scharf und seine Worte so heftig, daß Maja Lisa glauben mußte, er sei über sie aufgebracht! Sie erschrak und wagte nicht, den Mund aufzumachen, um zu fragen, was ihm geschehen sei.
Da sagte er mit derselben Leidenschaft: »Du hast mich noch nie spielen hören. Du hast vielleicht nicht einmal gewußt, daß ich es war, der hier spielte.«
Da fiel ihr ein zu sagen: »Ich glaubte, es sei der Nöck.«
»Hast du ihn denn gehört?«
»Er soll ja spielen wie einer, der sich nach der Seligkeit sehnt und doch weiß, daß er sie niemals gewinnen kann.«
Bei diesen Worten trat er weiter vor. Er stand ihr jetzt so nahe, daß sie ihm gut die Haarlocke aus der Stirne hätte streichen können; sie wagte es aber nicht.
»Ja, ganz recht, so ist es«, sagte er. »Ich bin auch einer, dem der Himmel verschlossen ist.«
Zugleich schlug er die Hände vors Gesicht und schluchzte laut.
Es war herzzerreißend; und Maja Lisa hätte gern ihr Leben hingegeben, um die Qual, die ihn marterte, zu lindern.
»Was ist dir? Was ist dir?« fragte sie. »Hast du etwas Böses getan? Hast du ohne deine Absicht jemand umgebracht?«
Sie verstummte jäh. Dies war ja das Schlimmste, was sie hätte sagen können!
Er nahm die Hände vom Gesicht und streckte die geballten Fäuste aus.
»Ich bin ein Mörder, ich weiß es. Eine Zeitlang hab’ ich es jede Nacht aufs neue durchgemacht. Ich spielte ihr den Todestanz, und sie tanzte, bis sie tot umfiel. Man sieht es mir wohl an, was ich für einer bin.«
Maja Lisa konnte nichts entgegnen; es war gewiß am besten, sie ließ ihn ausreden, nachdem er nun im Zug war.
»Im letzten Winter hab’ ich ihr nicht mehr vorgespielt. Deshalb hab’ ich es gewagt, um dich zu freien, Maja Lisa. Ich glaubte, sie wolle es. Aber sie war es nicht, die es wollte, nein, nur ich selbst hab’ es gewollt.«
Zu sprechen wagte Maja Lisa nicht; aber sie streckte die Hand aus, um sie ihm auf die Stirne zu legen und ihn zu beruhigen. Er aber fuhr zurück, bis er außer dem Bereich ihrer Hand war.
»Du hättest mich nicht bitten sollen, zu spielen, nie, nie! Die Saiten an meiner Geige hättest du zerschneiden sollen, sobald du mich spielen hörtest. Das Geigenspiel hat alles wieder ins Leben zurückgerufen.«
Er lachte unbeschreiblich wild und unheimlich auf.
»Ich bin hierhergeeilt, sobald ich deine Botschaft bekommen hatte, und ich nahm meine Geige mit, weil ich dachte, sie könne dich besser trösten als ich. Aber als die Saiten einmal gerührt waren, da wachte alles, alles wieder auf. Ich sah das große Zimmer vor mir, wo sich die stampfenden, erhitzten Paare hurtig im Kreise drehten, und zwischen ihnen sah ich eine, die so leicht und fein dahinschwebte, als gehörte sie gar nicht zu den andern. Und da spielte ich nur noch für sie, ganz allein für sie. Und da jagte ich sie in den Tod.«
Er rang die Hände, daß sie knackten.
»Und ich glaubte, ich könnte das vergessen! Könnte den Gewissensqualen entgehen und glücklich werden! Könnte von dem Gelübde frei werden, das ich an ihrem Grabe abgelegt habe! Ich war wie verzaubert, hatte alles vergessen, bis mich die Geige wieder zu mir selbst brachte.«
Maja Lisa war es, als sei sie gar nicht mehr für ihn vorhanden; aber sie wollte trotzdem noch einen Versuch machen, sich und ihr Recht zu behaupten.
»Denkst du gar nicht mehr an mich?« fragte sie. »Auch mir hast du dein Wort gegeben.«
»Ja, ich hab’ es dir gegeben, weil ich glaubte, sie wolle es. Aber jetzt weiß ich es besser. Sie will mich ganz allein haben, verstehst du? Du mußt mich freigeben.«
»Ach, Liebster, wie könnte ich dich freigeben? Ich habe ja niemand als dich. Wenn es sich um eine Lebende handelte, die ein Recht auf dich hätte, dann müßte es wohl sein. Aber ich sehe nicht ein, warum ich dich einer Toten abtreten soll.«
In Maja Lisas Stimme mußte etwas gelegen haben, das ihn rührte. Er sah zu ihr auf, und dabei verschwand der düstere, erschreckende Ausdruck aus seinem Gesicht. Er hielt noch immer die Geige und den Bogen in der Hand, und plötzlich kam es ihm beschwerlich vor, sie noch länger halten zu müssen; aber er wollte sie nicht auf die Erde legen, und so reichte er sie Maja Lisa zum Fenster hinein. Maja Lisa nahm sie schweigend in Empfang und legte sie auf einen Tisch im Zimmer.
Als sie darauf wieder ans Fenster trat, griff er nach ihren beiden Händen. Er drückte sie gegen seine Stirne und hielt sie so eine Weile ganz still fest, wohl damit sie fühlen sollte, wie heiß und verwirrt seine Gedanken da drinnen durcheinanderwogten. Darauf begann er mit unsäglich trauriger Stimme und mit vielen Unterbrechungen, aber doch so, daß sie ihn wiedererkennen konnte, zu reden.
»Nein, Maja Lisa, du darfst nicht glauben, daß ich es so meine, wie ich vorhin gesagt habe. Nicht meinetwegen bitte ich dich, mich freizugeben, nein, durchaus nicht. Aber ich kann nicht so gewissenlos sein, dich mit in mein Unglück hineinziehen zu wollen. Jetzt hast du gesehen, wie ich bin, wenn die Schwermut mich überkommt. Nun kannst du nicht mehr wünschen, mit mir vereinigt zu werden.«
Er schwieg, wie um eine Antwort abzuwarten; aber Maja Lisa war so betrübt und erschrocken, daß sie nichts zu sagen wußte, und so fuhr er fort:
»Ich weiß ja recht wohl, wie es dir geht; und jetzt, wo du deinen Vater verloren hast, möchte ich nichts lieber tun, als dir zur Seite stehen und dir helfen. Aber bedenke: was du auch Schweres von deiner Stiefmutter erleiden magst, kann in keiner Weise mit dem Elend verglichen werden, das dich erwartet, wenn du mit mir vereinigt wirst. Ich muß dir bekennen, ich kann nicht anders. Es kann mich zuzeiten eine so tiefe Schwermut überkommen, daß ich es nicht mehr daheim aushalte, sondern in die Wildnis hinauswandere und dort, ohne mit einem Menschen zu verkehren, oft wochenlang umherstreife, ja und bisweilen stürze ich mich auch in das wildeste Leben hinein, nur um Vergessen zu finden. Ach, aber das verstehst du doch wohl, Maja Lisa, daß ich dich zu liebhabe, um dich in dieses hineinziehen zu wollen. Ich hätte mich dir nie nähern sollen, und ich würde es auch nicht getan haben, wenn ich nicht geglaubt hätte, ich sei geheilt.«
Wieder hielt er inne; da Maja Lisa aber ihre Antwort noch nicht fertig hatte, fuhr er fort:
»Vorhin fühlte ich fast Zorn gegen dich in meinem Herzen aufsteigen, weil ich deinetwegen wieder gespielt hatte; denn gerade das Spiel hat mir gezeigt, daß das Schwere und Düstere noch immer in meinem Herzen wohnt. Und da hab’ ich gewünscht, diese Gefahr wäre mir gar nicht zum Bewußtsein gekommen, und wir hätten geheiratet, während ich noch glaubte, alles stehe gut. Aber das wirst du doch verstehen, daß ich nur einen einzigen Augenblick so dachte. Ich habe dich zu lieb, Maja Lisa, ja, ja, zu lieb, um zu wünschen, daß du meine Frau werden sollst.«
Während er all dies sagte, sah ihn Maja Lisa unverwandt an. Sie begriff, er sprach die Wahrheit, wenn er sagte, er leide an tiefer Schwermut, und es war wohl möglich, daß sie, wenn sie ihn heiratete, noch unglücklicher wurde, als wenn sie wieder unter die Herrschaft der Stiefmutter kam. Aber sie konnte an nichts anderes denken, als daß sie ihm zur Seite stehen und ihm helfen wollte.
»Ach,« sagte sie, »das weißt du doch wohl, daß ich lieber Sorgen und Unglück mit dir teile, als mit einem andern lauter frohe Tage verleben möchte. Wenn es wahr ist, daß du mich lieb hast, dann sollst du nicht von mir gehen. Wie könnte ich –«
Sie verstummte plötzlich, denn sie sah ja, daß das, was sie sagte, keine Macht über ihn hatte.
»Ach,« dachte sie, »wie kann ich ihn doch zu der Einsicht bringen, daß es das größte Unglück für mich ist, wenn ich nicht bei ihm sein und ihm nicht in seiner Not beistehen darf!«
»Das ganze Jahr hindurch«, dachte sie weiter, »habe ich immerfort in Sorge und Angst gelebt. Nun sollte ich doch etwas gelernt haben. Ich bin jetzt kein solches Kind mehr wie damals, wo ich meinen guten Vater verloren habe, und ich will über das alles, was ich zu erdulden hatte, nicht klagen, wenn ich nur dadurch an Verstand so zugenommen habe, daß ich jetzt den, den ich liebe, festzuhalten vermag.«
Sie schlug die Augen auf und sah über den Garten hin, wie wenn sie jemand suchte, der ihr helfen könnte. Und da war sie ganz überrascht. Wohl möglich, daß sie gestern kein Auge für so etwas gehabt hatte, möglich auch, daß es erst über Nacht so geworden war. Jedenfalls hatte sie vor diesem Augenblick nicht bemerkt gehabt, daß in Vaters Obstgarten alle Apfelbäume in voller Blüte standen. Es war, als dehne sich ein großes weiß und rosa schimmerndes Dach vom Wohnhaus bis hinüber zu dem Birkengehölz, das den Garten gegen den Nordwind beschützte. Alle Zweige waren mit Blüten bedeckt, ja, Maja Lisa war es, als entfalteten sie sich, während ihr Blick auf ihnen ruhte. Eine große Menge Bienen und Hummeln schwirrten und summten um die duftenden, schimmernden Blüten. Die Sonne war über den Berggipfel emporgestiegen, ihre Strahlen lagen auf den Baumwipfeln des Gehölzes, sie glitten und tanzten über die Ackerfelder hin, als hätten sie große Eile, zu den glänzenden Apfelblüten hinzugelangen, um ihnen noch mehr Glanz und Schimmer zu verleihen, als sie schon vorher hatten.
Als Maja Lisa dies sah, war es ihr, als müßte ihr das Herz vor Mitleid brechen.
»Der Ärmste, der Ärmste!« dachte sie. »Ist es verwunderlich, daß er schwermütig ist? Seit seinem vierzehnten Jahre hat er keine Heimat mehr gehabt. Das würde anders werden, wenn ich ihn hier auf Lövdala hätte. Welch eine gute Heimat könnte ich ihm bereiten! Ich weiß, wie schön ich es bis zum letzten Jahre immer gehabt habe. Schließlich würde er hier unter den Apfelbäumen ebenso glücklich umherwandeln wie einst mein guter Vater. Ach, wenn ich doch nur für ihn sorgen dürfte!«
Sie wurde ganz rot vor Eifer, und ihre Augen glänzten. Wenn es ihr doch nur gelänge, so von Lövdala mit ihm zu reden, daß er verstand, wie herrlich es hier war und daß ihm eine solche gute Heimat gerade fehlte!
Sie erwachte aus ihren Gedanken, als Liljecrona ihre Hände, die er noch immer festgehalten hatte, losließ.
»Gib mir meine Geige wieder, damit ich gehen kann«, sagte er. »Ich sehe, du begreifst, daß mir keine andere Wahl bleibt.«
Sie konnte sich nicht darüber verwundern, daß er glaubte, sie wolle ihn gehen lassen. Da stand sie ja noch immer und suchte nach den richtigen Worten, die ihn zurückhalten sollten, fand sie aber nicht.
»Liebster,« sagte sie nun hastig, »du brauchst doch wohl nicht so rasch zu gehen. Willst du dich nicht wenigstens erst auf Lövdala etwas umsehen? Ist es nicht wunderschön hier mit all den herrlichen Blüten? Siehst du den Sonnenschein, der wie Gold auf dem Grase liegt? Möchtest du denn nicht –«
Sie kam nicht weiter, wieder fehlten ihr die Worte. Ach, sie hätte so gerne von der guten Heimat mit ihm gesprochen, die sie und er hier auf Lövdala miteinander bauen würden; aber es war ihr, als sei das nichts, was einen Wert in seinen Augen hätte. Eine gute Heimat bedeutete für ihn durchaus nicht dasselbe wie für sie.
Wieder bat er sie um die Geige. Danach, sagte er, werde er ihren Weg nie mehr kreuzen.
Sie legte die Hand aufs Herz und atmete schwer. Nun würde er gehen und nie wiederkommen. Und sie konnte und konnte die Worte nicht finden, die Macht über ihn haben würden; sie konnte ihn nicht zurückhalten.
Nein, sie wußte keinen Ausweg, sie mußte ihm nachgeben. So trat sie vom Fenster zurück, um die Geige zu holen und sie ihm auszuhändigen.
Aber als sie die Geige in der Hand hielt, blieb sie unbeweglich stehen; höchst wunderliche Gedanken stiegen in ihrem Herzen auf.
Jetzt hielt sie das in der Hand, was die größte Macht über ihn gehabt hatte. Diese Geige war in früheren Tagen seine Stärke und sein Trost gewesen.
Sie begriff, sie begriff! Diese Geige war es, die Musik, die er auf ihr spielte, sie war für ihn das, was für sie selbst Lövdala war. Die Musik, sie war seine Heimat. Sie, sie konnte ihm Ruhe, Sicherheit und Erquickung bringen. Wenn er spielte, spannten die Töne ein Dach über seinem Haupte aus, das strahlender war als Apfelblüten und Sonnenschein. Dann trat er ein in seine wahre Heimat, sie, die während seiner ganzen einsamen Jugendzeit seine Zuflucht gewesen war.
In früheren Zeiten hatte er schwere Tage aushalten können, ohne zu erliegen, nur weil er seine Geige gehabt hatte. Da hatte er nur den Bogen in die Hand zu nehmen brauchen, um sich eine Welt zu erschließen, in der er sich glücklich fühlte. Jetzt aber hatte die Schwermut die Oberhand bekommen, weil er während der letzten Jahre nicht mehr hatte spielen können.
Ach, wie unglücklich würde sie sich fühlen, wenn sie nicht auf Lövdala bleiben dürfte! Wie verloren, wie einsam würde sie in der Fremde sein! Und so war es wohl auch bei ihm; er konnte sich da nicht zurechtfinden, wußte nicht mehr, wo er sich Ruhe und Erquickung holen sollte.
Und plötzlich fühlte sich Maja Lisa ihrer selbst ganz sicher. Nun kannte sie ja seine Krankheit, nun wußte sie auch, wie das Heilmittel hieß. Wenn sie nur diese, seine richtige Heimat wieder für ihn öffnen konnte, dann wurde er wieder wie früher und konnte das überwinden, was ihn jetzt quälte.
Sie trat wieder ans Fenster, behielt aber die Geige in der Hand.
»Liebster,« sagte sie, »darf ich dich um eins bitten, ehe du gehst? Hier, nimm die Geige und spiele noch einmal. Es wäre ja möglich, daß es dir vorhin so schwer wurde, weil es das erstemal war, seit das Unglück geschehen ist. Aber ich kann nicht glauben, daß es immer so bleiben wird. Willst du nicht noch einen Versuch machen, damit ich dich doch schließlich einmal richtig geigen höre? Du wirst dich doch wohl überwinden und mir zuliebe spielen können? Vorhin hast du ja gesagt, du habest den ganzen Winter hindurch nicht an dieser Schwermut gelitten, weil du glaubtest, du seiest geheilt. Vielleicht ist es auch so; das Böse ist gewiß nicht tatsächlich zurückgekehrt, ich kann es nicht glauben. Du wirst sehen, wenn du es jetzt noch einmal wagst …«
Er zuckte die Schultern. »Es ist unmöglich«, sagte er; »es wird nur siebenmal schlimmer.«
Aber sie bestand darauf, und sie bat: