Kitabı oku: «Unsichtbare Bande: Erzählungen», sayfa 17
Römerblut
Wenn ihr in Rom gewesen seid, so sind euch gewiß die kleinen Landgüter vor der Stadtmauer aufgefallen. Man hat ein paar Hufen Land, auf denen man Artischocken, Erbsen und Blumenkohl zieht, je nach der Jahreszeit. Man hat ein paar niedrige, strohbedeckte Wohnhäuser, einen niedrigen Eselstall, einen großen gemauerten Brunnen und ein paar Hühnersteigen. Man hat natürlich eine Menge Federvieh, und nicht nur Hühner, Truthähne und Enten, sondern auch Pfauen und Fasane.
Und dann schafft man sich, um ein bißchen besser leben zu können – denn Grünzeug und Hühner werfen keinen glänzenden Gewinn ab – ein paar große Fässer römischen Schloßwein an und legt sie in eine der niedrigen Hütten, deren jede nicht mehr als ein Gelaß hat. Dahin stellt man auch einen Ladentisch und ein Wandbrett mit Gläsern und Literflaschen, draußen aber auf dem Hofe, zwischen dem Brunnen und den Hühnersteigen, stellt man lange Bänke und feste Tische auf. Hier hinter der Stadtmauer wehen die Campagnawinde stark und ungehemmt. Darum bringt man kleine Schutzdächer über den Bänken an und umgibt sie mit Rohrwänden, durch die die Sonne hereinrieselt, gelb wie Gold. Zuletzt läßt man auch ein Schild malen und hängt es über das kleine Mauerpförtchen, das nach der Straße und der Stadt führt. Und die Osteria ist fertig.
Nino Beppone war nun zehn Jahre Kellner in solch einer kleinen Osteria gewesen, man darf aber nicht glauben, daß er des Lohnes und der Trinkgelder wegen so lange geblieben wäre, oder weil er zu nichts anders getaugt hätte. Nino war ein prächtiger, ja ein gebildeter junger Mann; wenn er sich damit begnügte, Kellner in einer Osteria vor dem Stadttor zu bleiben, geschah es, weil er in Teresa, die älteste Tochter des Hauses, verliebt war.
Ah, wie Nino sie liebte! Sie war so schön. Sie war gerade in der Art schön, wie Nino es haben wollte, mit großen, starken Zügen und warmen, klaren Farben. Sie ging so stolz und so leicht wie eine Königin. Sie sprach mit einer hellen, klingenden Stimme, und so deutlich, daß keine Silbe ihrer Worte verloren gehen konnte. Sie lachte so rein, wie ein Silberglöckchen läutet. Ihre Hände waren schön, weiß und fest, und ihr Händedruck stärkend wie ein Segen.
Alle, die in die Osteria kamen, wollten bei ihr bestellen und verlangten, daß sie immer hinter dem Schanktisch zur Hand sei. „Wo ist Teresa?“ fragten sie sicherlich, wenn sie sie nicht sahen. Und das begriff Nino sehr wohl. Wußte er nicht selbst, um wie viel besser die Suppe schmeckte, wenn sie sie aus dem Kochtopf schöpfte, als wenn ihre Schwestern es taten? Es war nicht zu verwundern, daß jedermann mit ihr zu tun haben wollte. War es nicht schon eine Freude, in demselben Raume zu weilen wie sie?
Er war fest davon überzeugt, daß die Leute nicht so sehr um Wein zu trinken hereinkämen, als vielmehr um Teresa alle ihre Sorgen anvertrauen zu können. Wenn einem der Esel gestorben war, wenn man ihn im Ballspiel besiegt hatte, oder wenn der tolle Pietro wieder einem das Messer in den Leib gestoßen hatte, so war es eine Erleichterung, es ihr zu erzählen. Nino wußte, daß junge, frische Burschen, die gar keine Sorgen hatten, zuweilen dasaßen und sich lange, traurige Geschichten ausdachten, nur damit sie ein Weilchen bei ihrem Tische stille stehe, ihnen zuhöre und sich ihrer ein wenig annehme. Ach nein, sie waren nicht in sie verliebt, aber sie wollten doch, daß sie den Wein in ihr Glas gieße oder ihnen eine Mandarine zustecke, wenn sie gingen, und ihnen verspreche, sich in ihren Gebeten ihrer zu erinnern.
Die andern Schwestern verheirateten sich, sobald sie ihr sechzehntes Jahr erreicht hatten; eine zog fort, und eine blieb mit Mann und Kindern daheim. Aber Teresa wollte nicht heiraten, und Nino wußte schon, warum. Er wußte wohl, daß sie weder ihn noch irgendeinen andern aus dem Landvolk wollte, einen Signor wollte sie.
Ja, ja, Teresa war sehr stolz. Das sah man schon an der Art, wie sie ihr Haar hoch aufsteckte, ganz wie eine Signorina, und an ihren Sonntagskleidern. Zu Hause trug sie eine grüne Schürze und ein rotes Tuch um den Hals, wenn sie aber nach Rom ging, war sie immer schwarz gekleidet. Und sie hatte einen großen Hut mit vielfach gebogner Krempe und einen Federkragen um den Hals, so lang, daß er bis zum Kleidsaum reichte.
Natürlich gefiel ihr der Gedanke, eine Signora zu werden. Das einzige Unnatürliche war bloß, daß sie nicht einsah, daß sie schon eine war.
Eigentlich war es Nino nicht unerwünscht, daß Teresa keinen Campagnabo nehmen wollte. Er, Nino, hatte keine Hoffnung, sie je zu bekommen. Er war dick und rund wie ein Mehlsack, und er hatte auch so eine graue Müllerfarbe. Und nur ein paar kleine Striche statt richtiger Augen. Er war zu häßlich für sie. Aber da es nun seine guten Wege hatte, bis ihr Signor kam, und da kein andrer den Versuch wagte, sie fortzuholen, konnte Nino wenigstens jahraus jahrein als ihr Kamerad umhergehen. Und das war kein geringes Glück.
Die Tage draußen auf dem Meierhof erschienen Nino voll Seligkeit. Des Morgens, wenn Teresa ihre Vögel betreute, trug Nino ihr die Schale mit dem Mais. Vormittags half er ihr, das Unkraut ausjäten oder das Gemüse in Ordnung bringen, das auf den Markt geschickt werden sollte. Und abends, wenn die Arbeitsleute auf ihrem Heimweg eintraten, ein Glas goldgelben Castello romano zu trinken, da stand sie am Fasse und füllte in die Maße ein, und er nahm sie aus ihrer Hand. Wenn es ein großer Tag war, Festtag oder Markttag, und das Volk war zusammengeströmt, so daß alle Bänke übervoll waren und der ganze Hof von Drehorgelspielern und Verkäufern von gebratenen Äpfeln und Kastanien wimmelte, und er und sie mußten atemlos und heiß mit ihren Flaschen und Gläsern zwischen den Tischen hin und her eilen, dann nickten sie einander zu, wenn sie zusammentrafen. Da fühlten sie sich so kameradschaftlich wie Soldaten, die in den Kampf ziehen.
An Abenden aber, wo keine Gäste kamen, saß Nino da und erzählte Teresa aus Büchern, die er gelesen hatte. Da ließ sie ihn von dem alten Rom erzählen, und am liebsten hörte sie von dem Aufstande der Plebejer gegen die Patrizier und von den mächtigen römischen Matronen. Nino wußte wohl, warum. Es war dasselbe Blut, sie fühlte in sich das gleiche Blut. Am nächsten Tage trug sie den Kopf noch viel stolzer, als früher. Nino wußte, daß er wie ein Tollhäusler handelte. Jedesmal, wenn er von Cornelia, der Mutter der Gracchen, erzählte, entfernte er sie weiter von sich. Warum konnte er diese Erzählungen nicht sein lassen? Warum liebte er sie am allermeisten, wenn sie den Nacken so hoch hob, und wenn ihre Augen blitzten?
Als sie vierundzwanzig Jahre alt war, hörte Nino die Leute sagen, daß es bald zu spät für sie sein würde, noch einen Mann zu bekommen. Sie sei nicht mehr schön. Nino konnte nicht begreifen, was sie meinten. War sie denn nicht schön?
Eines Tages jedoch merkte er, daß sie recht gehabt hatten. Sie war wirklich im Begriffe gewesen, alt zu werden. Sie mußte ganz verblaßt gewesen sein, obgleich er es nicht gemerkt hatte. Nun merkte er es daran, daß sie wieder aufzublühen begann. Die frische Jugendschönheit erhellte aufs neue ihr Gesicht. Was war das für ein Wunder? Nino erschrak beinahe, als er es sah.
Jeden Abend erschien jetzt ein kleiner Leutnant in der Osteria. Ach, ach, Nino konnte nicht leugnen, daß er das Netteste war, was man sehen konnte. Er hatte eine Uniform in Schwarz und Silber und ein weiches, kindliches Gesicht. Und er hatte sich in Teresa verliebt schon am ersten Abend, da er sie sah. Und sie? War ihre Schönheit um seinetwillen wiedergekommen? Gefiel ihr der kleine Leutnant? War der Signor nun endlich erschienen?
Der arme Nino begann auf einmal den Krieg und die Krieger zu hassen. Italien führte gerade Krieg mit Abessinien, und es war Elend genug, daß Italiens Krieger übers Meer zogen, um ein fremdes Volk anzugreifen, das nichts Böses getan hatte. Es war Elend genug, was die Kriegsleute dort draußen anrichteten. Hier zu Hause hätten sie es doch lassen können, die Leute ins Unglück zu bringen.
Nino suchte Gleichgesinnte auf und kam in Friedensvereine. Hier trat er als Redner auf und forderte die Abschaffung des Kriegsheeres. Italien solle nicht als Land des Streites groß sein, sondern als ein Land des Friedens. Er wurde bald einer der Führenden. Er wurde einer der beliebtesten Redner. Armer, armer Nino. „Laßt uns diesem afrikanischen Unfug ein Ende machen, wir wollen unsre Soldaten wiederhaben, um sie in die landwirtschaftlichen Schulen zu schicken!“ Das waren Ninos Worte.
Wenn Nino aber von solch einer Friedensversammlung nach Hause kam, bei der er den Krieg und das Kriegsheer abgeschafft hatte, ging Teresa ihm entgegen. Sie blieben bei dem Brunnen stehen, wo sie immer zu sitzen und zu plaudern pflegten, und Teresa wollte vom Kriege sprechen. Um den jetzigen Krieg kümmerte sie sich nicht, aber sie wollte wissen, was die Römer in früheren Tagen vollbracht hatten. Sie wollte etwas von Scipio hören. Ob es nicht Scipio wäre, der nach Afrika gezogen wäre und die Schwarzen besiegt hätte? Und Nino mußte von ihm berichten. Nino mußte die halbe Nacht aufsitzen und von Krieg, Krieg, Krieg sprechen.
Während er davon sprach, wurde Teresa strahlend schön. Die Laterne, die auf dem Brunnenstaket hing, zeigte sie Nino wunderbar schön und mit einem geheimnisvollen Lächeln um die Lippen. Nino begriff, daß sie nur einen Helden lieben konnte. Und was war er? Er, der es ihr nicht einmal abschlagen konnte, von diesen verabscheuungswürdigen Gemetzeln zu erzählen. Er war feig. Wenn sie einen Nero geliebt hätte, so wäre Nino gezwungen gewesen, die Tyrannen zu preisen. Nino war ein feiger Kerl, er war sicherlich kein Held.
Als sie sich dann mit Leutnant Ugo verlobte, dachte Nino ernstlich daran, sich frei zu machen und einen andern Dienst zu suchen, aber er vermochte es nicht. Sie war gerade in der Zeit so gut gegen ihn. Er müßte wohl bis nach der Hochzeit warten.
Teresa vergaß Nino keinen Augenblick. Sein Geburtstag war am Tage nach der Verlobung, und Nino war am Morgen düster und glaubte, dies würde der traurigste Tag seines Lebens werden. Aber er war noch nie vorher so gefeiert worden. Teresa hatte ihm Taschentücher gestickt, mit Monogrammen, die über das halbe Tuch reichten. Sie hatte ihm auch eine Torte gebacken, und sie ging in die Kirche des heiligen Antonius von Padua und betete für Nino bei ihrem Schutzpatron. Sie scherzte mit ihm. Nino mußte sich froh zeigen. Er mußte den ganzen Tag lachen, weil sie es wollte. Jetzt sollten alle glücklich sein.
Aber bei Nacht konnte Nino doch nicht anders: er mußte weinen. Er hatte gemerkt, daß sie in diesen Tagen den Vögeln doppelte Rationen gab, der Esel hatte frisches Stroh bekommen, und die Katze durfte auf ihrer Schulter sitzen, solange sie wollte. Nie hatte sich Nino so sehr der Katze, dem Esel und den Hühnern gleichgestellt gefühlt.
Wie sie sich darüber freute, daß ihr Bräutigam Offizier war! Nächst dem Umstande, daß er ein Signor war, gefiel ihr sein militärischer Beruf am meisten. Als man sie einmal fragte, ob sie nicht Angst hätte, daß er nach Afrika geschickt werden könnte, hörte Nino, wie sie antwortete:
„Wollte Gott, er dürfte hinüber. Dann würdet ihr sehen, wie alles anders würde.“ Denn dies war im Winter 1896, und da sah es aus, als sollte aus diesem Kriege mit Menelik und seinen Schoanern nichts Rechtes werden. Man schickte nur Schiff auf Schiff mit Truppen fort. Die Truppen lagerten dort in der Aduagegend, aber man hörte nie, daß es zu etwas kam. Es war so, wie wenn Bienen aus dem Korbe fliegen und außerhalb des Fluglochs in einem großen Beutel hängen bleiben, und man geht jeden Tag hin und sieht sie an und ärgert sich, daß sie nicht schwärmen wollen.
Sie benahm sich auch großartig, als sie gegen Ende Februar erfuhr, daß er nach Afrika gehen mußte. Nino sah keine Träne in ihren Augen. Sie dachte nur daran, daß es nun endlich zu Schlachten und Siegen kommen würde. Jetzt sollte ihrem armen Italien geholfen werden.
Sie gab ein Abschiedsfest für ihn und seine Kameraden. Es war ein herrliches Fest. Der Castello-Romanowein floß in Strömen. Sie hatte ihre fettesten Truthühner geschlachtet und die ersten Artischocken gepflückt. Und sie hatte Torten und Zuckerwerk ohne Ende gebacken.
Am Brunnenstaket hatte sie eine Fahnenstange errichtet und die italienische Flagge gehißt, und der arme Nino mußte ihr behilflich sein, Transparente zu verfertigen, auf denen zu lesen war: „Es lebe die Armee! Sieg unsern tapfern Soldaten! Für Italien!“ und andre hochgestimmte Worte. Er hatte ihr helfen müssen, farbige Lampions unter den Strohdächern zu befestigen, Sänger zu mieten, die die neuen Kriegslieder singen konnten; aber er hatte geschworen, daß sie ihn nicht dazu bringen würde, eine Rede zu halten. Armer Nino, sie forderte ihn gar nicht dazu auf, sie wagte es nicht, ihm etwas so Hochwichtiges anzuvertrauen.
Aber am Abend, als die kleinen Feuerwerkskörper zu den Füßen der Gäste knallten, und als nicht nur die Strohdächer über den Bänken, sondern auch die Hühnersteigen, das Wohnhaus und der Brunnen von grün-rot-weißen Lampions strahlten, und als Nino drüben zwischen den Artischocken bengalische Feuer entzündete, da sah er, wenn sonst niemand es sah, was sie eigentlich meinte. Es war, als wollte sie mit jedem Glas Wein, das sie den Soldaten kredenzte, sagen: „Gehet hin und macht Ernst aus diesem Kriege. Roms Frauen wollen neue Triumphzüge gen Campidoglio hinaufschreiten sehen!“
Niemand wußte besser als Nino, wie sehr Teresa diesen zierlichen kleinen Mann liebte, der gegen die Barbaren ausziehen sollte. Und als er sah, wie sie ihn gehen ließ, ohne zu klagen, ohne einen Augenblick schwach zu werden, mußte er sie fast gegen seinen Willen bewundern. Sie hätte eine der Matronen des alten Rom sein können, dachte Nino. Es rollt echtes Römerblut in ihren Adern.
Als Leutnant Ugo mit seinem Regiment nach Neapel abreiste, wo es sich nach Afrika einschiffen sollte, begleitete Nino Teresa zur Eisenbahnstation.
Es war Nacht. Die Soldaten kamen in raschem Takt heranmarschiert, rings um sie schwärmten Gassenjungen, Verwandte und Kriegsenthusiasten. Unten an der Station waren der Sindaco von Rom und mehrere Generale. Es wurden Reden gehalten, man rief: „Es lebe Italien!“ man küßte sich und warf Blumen. Teresa stand bleich vor Begeisterung da und klagte nicht mit einem Worte. Es waren feine Damen da, die Blumen an die Soldaten verteilten. Das tat sie nicht.
Sie dachte nur an einen, und dem gab sie keine Blumen, aber er mußte ihr versprechen, Meneliks Hauptstadt zu erobern. Leutnant Ugo versprach, mit der Krone der abessinischen Kaiserin zu ihr zurückzukommen. Und so schieden sie.
Aber Leutnant Ugo war noch keine zwei Tage fort, er war noch gar nicht nach Afrika abgereist, als die Nachricht eintraf, daß der große Schwarm, der in Adua gelagert war, sich zu rühren anfange; er zog gegen die Abessinier und wurde geschlagen und zerstreut.
Das war gerade um die Zeit, als niemand an etwas andres dachte als an den Sieg, der dort drüben erkämpft werden müßte, nachdem man so unerhört viele Menschen hingeschickt hatte. Der König selbst hatte sich nach Neapel begeben, um die Abfahrt der letzten Truppen anzusehen. An einem Tage sprach er ihnen von dem Ruhme, den sie für das geliebte Italien erringen würden, am zweiten Tage kam ein Telegramm, das von verlorner Schlacht, zerstreutem Heere, Flucht und Panik erzählte.
Ganz wunderlich, wie die Telegramme in diesen Tagen trafen. Meneliks Kugeln hatten nur etwa siebentausend Mann fällen können, aber die Depeschen nahmen das Werk der Kugeln auf, sie kamen von der Hochebene Aduas, passierten das Mittelmeer und erreichten ihr Ziel. Ach, kein italienisches Herz blieb unversehrt davon!
Teresa kam ganz vernichtet zu Nino. „Was ist dort geschehen, Nino?“ fragte sie. „Wie konnte es so schlecht gehen?“
Nino erzählte ihr, daß die Italiener nicht so sehr von ihren menschlichen Feinden geschlagen worden wären, als vielmehr von der übermächtigen Natur. Dort müßte man Berge erklimmen, von denen die niedrigsten höher wären als das Sabiner- und Albanergebirge aufeinandergetürmt. Da gebe es keinen Weg, sondern man ziehe über Halden, die mit so steifen und stachligen Disteln bewachsen wären, daß nicht einmal ein Esel sie fressen könnte. Mit der Nahrung wäre es so schlimm bestellt, daß die Soldaten sich über die Maultiere geworfen hätten, die auf dem Wege zusammengebrochen wären, und die Fleischstücke an sich gerissen hätten.
Aber das wäre doch nichts, um Menschen hinzuschicken! Ein Land, wo man Maulesel essen müßte!
Nein, das meinte Nino eben auch.
Nun konnte er frei von der Leber reden, endlich durfte er ihr sagen, wie gräßlich der Krieg wäre. Sie lasen zusammen die Zeitungen. Sie lasen, daß man fürchtete, daß die Truppen, die jetzt auszögen, Menelik und die Schoaner im Hafen von Massaua treffen würden; die jetzt abführen, zögen dem sichern Tod entgegen.
Sie las auch, daß die Barbaren vor allem auf die Offiziere schössen. Sie lägen da und zielten auf ihr blaues Rangzeichen und holten sie von den Hügelabhängen herab, wenn sie mit ihren Soldaten vorrückten.
Und es gäbe so viel Grausamkeiten und Entsetzlichkeiten, die diese Schwarzen begingen; ihre Weiber plünderten die Toten und zerstückelten sie.
Da war es um sie geschehen. Sie bebte vor Entsetzen und wagte nicht, weiterzulesen.
Nino schob seine Mütze zurück und fragte, was sie eigentlich geglaubt hätte, was die Leute im Kriege täten? Ob sie sich nicht gedacht hätte, daß sie sich dort töteten? Nein, sie wüßte nicht, was sie geglaubt hatte. Das hätte sie nicht gedacht.
Da kam ein Brief vom Leutnant Ugo, in dem er Abschied von ihr nahm. Das Dampfschiff, das ihn nach Afrika führen sollte, ging am nächsten Abend ab.
Am Abend waren sie und Nino auf dem Wege nach Neapel. Was sie dort wollte? Nino glaubte, sie wolle ihren Bräutigam noch einmal sehen, bevor er abreiste. Selbst hatte sie sich es nicht so klargemacht, warum sie fuhr, aber sie konnte es nicht lassen. Und keinen andern als Nino hatte sie zur Begleitung haben wollen.
Als sie am Morgen in Neapel angelangt waren, suchte sie ihren Leutnant in der Kaserne auf.
Er kam ihr entgegen, verwirrt und hastig, aber sichtlich geschmeichelt und gerührt, daß sie gekommen war, um ihm Lebewohl zu sagen. Aber Teresa wurde totenbleich, als sie ihn erblickte. Er trug jetzt eine helle Uniform aus gelblich-grauem Leinen mit einem blauen Bande über der Brust. Das war das blaue Band, das die Schwarzen sich zur Zielscheibe nahmen.
Er mußte gleich wieder zu seinen Soldaten zurück. Ob sie denn den ganzen Tag über nicht mit ihm zusammentreffen könnte? Ja, sie wollten gegen ein Uhr miteinander frühstücken. Er könnte zwei Stunden abkommen. Sie besprachen den Ort, und er eilte weg.
Das war ein Tag! Nino und sie gingen in die „Villa“ hinunter und setzten sich auf eine Bank, um zu warten. Sie tat nichts andres, als daß sie Nino unaufhörlich fragte, wieviel es auf seiner Uhr wäre. Und als sie nun mit Nino allein blieb, da war ihr Gesicht starr und bleich, wie die Gesichter der Statuen, die rings um sie standen, und ihre Augen schienen nicht mehr zu sehen, als die steinernen. Nino fragte sie, warum sie so wunderlich vor sich hinstarre. Sie sagte, sie säße da und sähe seine Leiche an. Die ganze Nacht hatte sie ihn tot in einer Bergkluft liegen sehen, und auch die alten Weiber der Schwarzen waren ihr erschienen, wie sie herbeieilten, ihn zu plündern und zu zerstückeln. Nino hatte ja gesagt, daß sie dort die Leichen zerstückelten.
Nino versuchte, ihr etwas Tröstliches zu sagen. Alle würden ja nicht fallen, meinte er, und Leutnant Ugo, der so tapfer wäre, könnte sich der Barbaren schon erwehren.
Was helfe es, tapfer zu sein, sagte sie, wenn der Feind in Schlupfwinkeln verborgen läge und auf das blaue Band zielte. Ob Nino das blaue Band bemerkt hätte? Warum es blau wäre, das Todesband, warum es nicht rot wie Blut wäre?
Sie nahm Nino das Versprechen ab, daß er sie nicht verlassen würde, sie den ganzen Tag nicht verlassen würde.
„Nein, nein, Teresa.“
Er war auch beim Frühstück dabei. Leutnant Ugo bestellte ein Zimmer, und die drei aßen zusammen.
Im Anfang war Teresa munter, sie zeigte sich ebenso sorglos, als säße sie daheim in der Osteria. Nino dachte, sie wolle für diese zwei Stunden allen Kummer von sich werfen und einzig und allein glücklich sein. Sie war sogar viel muntrer als gewöhnlich, sie kokettierte mit Leutnant Ugo, bis er ganz toll war. Und sie ließ es zu, daß er sie küßte.
Nino sah in seinen Teller, aber er bemerkte es doch. Von Zeit zu Zeit sah er sie an, und seine kleinen grauen Äuglein bettelten um die Erlaubnis, gehen zu dürfen. Aber da kam ihre Hand, die ganz eiskalt war und zitterte, unter dem Tisch herangeschlichen und legte sich auf die seine und hielt ihn zurück. Der Leutnant fand Nino wohl höchst überflüssig, sie aber wollte ihn offenbar da haben.
Es gab Asti spumante und Lacrimae Christi, und Nino trank, wie er nie zuvor getrunken hatte. Aber es gelang ihm nicht, sich taub oder blind zu machen.
Plötzlich, als Nino sich dachte, daß Leutnant Ugo ganz berauscht von ihren Blicken und ihren Küssen sein müßte, neigte sie sich zu ihm und fragte schelmisch, ob er es nicht lassen könnte, zu reisen. Ob es sich nicht so einrichten ließe, daß er daheim bleiben könnte?
Er lachte. Nein, er könnte nicht entrinnen.
Ob er nicht krank werden könnte? Sich krank stellen? Nein, nein, das könnte er nicht.
Aber ob er denn daran gedacht hätte, wie lange es dauern würde, bis sie ihre Hochzeit feiern könnten?
Der Leutnant glaubte kaum, daß sie im Ernste sprach. Gewiß hatte er daran gedacht, aber das ließ sich ja nicht ändern.
Teresa lächelte nicht mehr, sondern sie sprach mit einer Stimme, die vor Rührung bebte.
Sie bekannte, daß sie sich furchtbar gesehnt hätte, seit er abgereist war. Sie könnte keinen Tag ohne ihn sein. Ob er sich nicht irgendeinen Vorwand ausdenken könnte, um bleiben zu können?
„Teresa,“ sagte er, „ich wäre ja ein Mann ohne Ehre. Bitte mich nicht!“
„Ehrlos?“ sagte sie mit schmeichelnder Stimme. „Wie kannst du so etwas sagen? Du würdest ja nicht hier bleiben, weil du feig wärest, sondern weil ich dich so liebe, daß ich dich nicht ziehen lassen kann.“
Und sie lächelte und sie bat, Leutnant Ugo aber war unerschütterlich.
Da fing sie von etwas anderm an. Wenn es nun zur Schlacht käme und die Schwarzen zu schießen begännen? Ob er ihr versprechen wolle, dann das blaue Band fortzunehmen?
Nein, das wolle er nicht. Er dürfe es nicht.
Überhaupt glaubte der Leutnant, daß sie im Grunde nur scherze.
Nino sah, daß sie wie ermattet den Kopf sinken ließ.
Als sie aufblickte, war jede Spur von Heiterkeit aus ihrem Gesicht verschwunden. Sie war so, wie sie am Vormittag gewesen war.
Nun begann sie, ihm mit Heftigkeit alles zu erzählen, was sie von dem fremden Lande und der Kriegsführung der Schwarzen gehört hatte. Sie sprach von den Bergen und den Distelgewächsen und der Hungersnot. Als sie von den Mauleseln erzählte, lachte er und sagte, das sei nicht wahr.
Sie sprach von dem Leutnant Petrini, der von den Weibern der Schoaner verbrannt worden war. Ob er das wüßte, ja, ob er das wüßte? Und was für eine Ehre wäre es, im Kampf gegen die Barbaren zu siegen? Und sie schössen alle Offiziere nieder, ob er das wüßte? Sie zielten auf die blauen Bänder und schössen auf die Offiziere.
„Ah, Teresa,“ sagte er, „willst du mich erschrecken? Sind das Worte für eine Römerin?“
„Ja, ja, gerade für eine Römerin. Roms Frauen haben nie zugelassen, daß man ihnen raube, was sie liebten.“ Und sie sei nur gekommen, um ihm zu sagen, sie wüßte bestimmt, daß er fallen würde, wenn er jetzt reiste. Sie sehe ihn tot vor sich. Sie sehe seinen Körper zerstückelt und blutig. Und nachdem sie dies gesagt hatte, war es mit aller Beherrschung vorbei, und sie zeigte ihm ihre ganze Verzweiflung. Sie warf sich vor ihm auf die Knie und bettelte, weinte, flehte.
Er war sehr gerührt, aber auch befangen. Einen Augenblick sah er zu Nino hin, gleichsam unschlüssig, was er beginnen solle. Nino zog seine Uhr hervor. Ja, gewiß, das war das einzige, was er tun konnte: sagen, daß die Zeit abgelaufen sei, und dann gehen.
„Was willst du?“ sagte er. „Was willst du, daß ich tun soll? Ich kann mich nicht losmachen.“
„Stelle dich krank. Es reisen ohnehin so viele. Es ist unrecht, zu reisen. Die dort drüben verteidigen nur ihr Haus und Heim. Sage, daß du nicht gegen sie kämpfen willst.“
„Dann ist es um mich geschehen.“
„Du wirst dort sterben. Das ist nichts, um dafür zu sterben. Die Schwarzen haben uns nichts getan. Laß sie in Frieden. Sie wollen uns ja unser Land nicht nehmen, warum sollen wir ihres rauben?“
„Teresa,“ sagte Leutnant Ugo, „sage mir jetzt mutig Lebewohl, wie eine Römerin. Ich muß gehen.“
„Du mußt?“
„Ja.“
„Nun, so geh!“
„Teresa!“
„Geh doch. Ich werde versuchen, nicht an dich zu denken. Du bist tot für mich.“
Sie stand nicht auf, sondern blieb auf dem Boden liegen. Sie sah ihn nicht einmal an. Er strich über ihr blauschwarzes Haar. Sie rührte sich nicht. Er seufzte tief, er wußte nicht, was er sagen oder tun solle, und ging wirklich.
Mit einem angstvollen Griff drückte er Ninos Hand. Es war, als vertraute er ihm Teresa an. Abends gegen zehn Uhr standen Nino und Teresa am Hafen. Ein paar große Dampfer lagen da, bereit, abzugehen, und eine Menge Boote warteten darauf, die Soldaten hinzubringen. Einige tausend Menschen standen auf dem Kai, um die Abfahrt anzusehen.
Aber war das ein andres Bild, jetzt nach der Niederlage! Früher im Winter hatte man nicht genug jubeln können, als die Truppen an Bord geführt wurden. Jetzt lag nichts als Düsterkeit über den Wartenden. Man hätte am liebsten die Boote und die Dampfer versenkt, damit sie keinen Sohn Italiens nach dem verfluchten Barbarenland führen könnten. Die Soldaten kamen so still, als wollten sie sich fortschleichen. Keine Musik, keine Schüsse, keine Hochrufe. Aber aus der wartenden Menge stieg ein dumpfes Murren der Empörung auf, und man beschleunigte die Einschiffung so viel wie möglich. Man war nicht ganz sicher, daß das Volk nicht auf den Gedanken verfiele, die Abfahrt zu verhindern.
Teresa schien etwas Ähnliches zu hoffen. „Sie werden es nicht zulassen, Nino,“ sagte sie. „Alle diese Männer werden es nicht zulassen, daß man ihre Söhne fortführt, damit sie von den Barbaren geschlachtet werden.“
Aber ein vollbesetztes Boot nach dem andern wurde weggebracht, und die Menge ließ es geschehen. Einige Menschen durchbrachen die Reihen der Soldaten, aber nur um zu küssen und Abschied zu nehmen. Nino sah Leutnant Ugo am Kai stehen und die Einschiffung überwachen.
Ah, wo war Teresa? Eben noch hatte sie an Ninos Arm gehangen, jetzt aber sah er sie unten am Landungsplatz. Sie schlang die Arme um Leutnant Ugo. Er küßte sie, dann wollte er sich aus ihrer Umarmung lösen. Es war die Reihe an ihn gekommen, einzusteigen.
Sie schien sich zurückzuziehen, aber da sah Nino etwas Blankes in ihrer Hand leuchten. Sie schien den Leutnant noch einmal umarmen zu wollen. In demselben Moment wankte dieser und schrie auf.
Nino eilte hinunter. Er riß Teresa an sich. Er zog sie in den Volkshaufen, in das heißeste Gedränge.
„Stehe hier still.“
Sie lachte beinahe irrsinnig. „Jetzt wird er nicht reisen, Nino,“ sagte sie.
Nino packte sie am Handgelenk. „Schweig,“ sagte er und drückte es so, daß es schmerzte.
„Meinethalben können die Gendarmen …“
Nino drückte mit eiserner Faust zu, und sie schwieg.
Das war ein Drängen, ein Hin- und Herstoßen. Nino blieb gelassen in dem dichtesten Getümmel. Er versuchte nicht zu fliehen.
„Recht so,“ flüsterte ein Neapolitaner Nino zu. „Nur stillstehen, daß die Gendarmen keinen Verdacht schöpfen. Kein Neapolitaner wird euch verraten.“
Teresa begann plötzlich zu schluchzen.
„Laß das sein,“ sagte er, „du darfst nicht.“
Und ihre Tränen versiegten. Sie stand stumm und still da, so lange Nino es wollte. Er hatte sie ganz in seiner Gewalt.
Leutnant Ugo wurde fortgetragen, die Polizei begann nach der zu forschen, die ihn verwundet hatte. Nino und Teresa hörten, wie man Fragen an die Menge stellte. „Wohin ist sie geflohen? Wer hat sie gesehen?“
Es war eine große Signorina – nein, eine kleine. – Hier hatte man sie gesehen – nein, hier. Sie hatte den Weg zur Station genommen – nein, nach Santa Lucia. Und die Polizisten zerstreuten sich nach rechts und nach links.
Nino führte Teresa zur Eisenbahnstation, und sie reisten kühn nach Hause. Er verließ sich darauf, daß Leutnant Ugo sie nicht angeben würde.
In der Zeitung las er am nächsten Tag auch, daß der Leutnant erklärt habe, er kenne die Frau nicht, die ihn verwundet hatte.
Er war verwundet, aber nicht gefährlich. In der nächsten Woche kam ein Brief von ihm an Teresa.
Seit der Reise nach Neapel ließ sie sich in allem von Nino lenken und leiten. Nun kam sie auch mit dem Briefe zu ihm.
„Lies ihn, Nino,“ bat sie.
Er erbrach das Kuvert, sie stand zitternd daneben.
„Ist es aus, Nino?“ fragte sie.
Nino antwortete ja, so angstvoll, als verkünde er ihr ein Todesurteil.
„Laß mich hören,“ sagte sie und richtete sich auf. Nino las ihr vor, daß Leutnant Ugo sie nicht mehr liebte. „All meine Liebe ist tot,“ schrieb er, „meine arme Liebe ist tot.“
Sie zuckte verächtlich die Achseln.
„Die Liebe eines Signor verträgt es wohl nicht, Blut zu sehen,“ sagte sie.
„Du, Teresa,“ schrieb Leutnant Ugo, „du warst für mich des Vaterlandes Stolz, du warst das wiedergeborene Rom, du warst das starke Weib der Vorzeit. Du warst die, die die Römer einst zu Helden machen sollte, du solltest Seelenstärke genug haben, uns hinauszuschicken, um die Welt zu erobern. Vergib mir, daß ich mich täuschte. Nun weiß ich, daß die alten Römerinnen tot sind, die Töchter des neuen Rom senden keinen Mann hinaus, um Ehre zu erringen, sie haben nur den Mut, ihn zu hindern, seine Pflicht zu tun.“
Teresa legte ihre Hand auf die Ninos. „Ich will nicht mehr hören,“ sagte sie.
Nino schwieg.
„Wenn ich es nicht getan hätte, Nino,“ sagte sie, „wäre er jetzt tot. Ich verstehe nicht, was er meint. Ich sah ihn tot in einer Bergschlucht liegen. Da läge er jetzt, wenn ich nicht gewesen wäre. Wie hätte ich ihn da ziehen lassen können?“