Kitabı oku: «Der Zorn der Hexe», sayfa 6

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5. Kapitel

5. Kapitel

Die Menschen haben sich ein interessantes Sprichwort angeeignet: Blut ist dicker als Wasser. Nun, anscheinend war da tatsächlich etwas dran. Oder wie ließ es sich sonst erklären, dass Sabine tatsächlich in den Keller ging, sogar mehr als einmal, und alle Unterlagen nach oben trug? Sie tat es für ein Familienmitglied, von dem sie nicht einmal wusste, ob es diese Person tatsächlich gab. Für einen Fremden hätte sie das bestimmt nicht getan.

Während dieser Zeit kamen ihr Gedanken, warum das Ganze absurd war, hirnrissig. Ihr Vater hätte ihr doch bestimmt erzählt, wenn er noch Schwester oder Bruder gehabt hätte, oder? Und in der gleichen Sekunde: Warum hätte er es tun sollen? Na schön, na schön, sie wusste es nicht – und konnte nur hoffen, dass sie Anhaltspunkte fand, die das entweder belegten oder nicht.

Sie schaffte alles aus dem Keller – und danach war sie geschafft. Sie hatte ohne Unterbrechung Stunden geschuftet, und jetzt verlangte ihr Körper, was ihm zustand. Er wollte schlafen, ruhen. Doch noch konnte sie nicht. Sie musste noch etwas schleppen. Es war nämlich fraglich, ob sie noch einmal hinunter in den Keller ging, wenn sie jetzt aufhörte, sich schlafen legte und alles beließ, wie es war. Nein, diesen Mut brachte sie dann ganz gewiss nicht noch einmal auf …

Eineinhalb Stunden und unzählige Treppenstufen später war sie endlich fertig und gestattete ihrem Körper eine Pause. Sie hatte eigentlich nur vorgehabt, sich kurz hinzusetzen, ein paar Minuten zu verschnaufen und sich dann die Akten anzusehen. Doch ihre Müdigkeit machte ihr einen Strich durch die Rechnung. Sie schlief nämlich so ein, wie sie dasaß – am Küchentisch, die Arme verschränkt, Stapel von Papier vor sich auf dem Tisch und zu ihren Füßen noch jede Menge andere, die Beine langgestreckt und den Kopf nach hinten gefallen. Nur einen Augenblick später fielen ihre Arme schlaff zu Boden, und dann drang auch schon der erste Schnarcher aus ihrem Mund. Ihre Rechte zitterte noch ein paar Mal leicht, doch dann war auch das vorbei. Sabine saß still wie eine Wachsfigur in der Küche.

Sie hatte mehrere Stunden geschlafen. Nun fühlte sie sich wie gerädert. Nicht nur, dass sie jetzt fast noch müder war als zuvor, nein, zur Krönung hatte sie auch noch einen steifen Hals und kreischenden Kopfschmerz. Dem konnte sie mit ein paar Aspirin Einhalt gebieten, aber was den steifen Hals anging, war sie mit ihrem Latein am Ende.

In einem Märchen heißt es: Die Prinzessin erwachte nach einem Jahrhundert des Schlafes selig und ausgeruht durch den Kuss eines Prinzen. Nun, Sabine war weder selig noch ausgeruht, und wenn jemand den Fehler begangen hätte, sie jetzt anzusprechen, hätte dieser Jemand mit seinem Leben gespielt. Dagegen wären die Abenteuer hierher, durch die dichte Dornenhecke hindurch und so weiter, nur Peanuts gewesen. Aber Sabine war ja auch keine Prinzessin.

Sie rekelte sich auf dem unbequemen Stuhl, streckte Arme und Beine weit von sich und grummelte missmutig. Sie war noch so müde. Sie hätte wie ein Baby weiterschlafen können, einfach nur schlafen. Babys hatten es so gut. Warum hatte das nicht so weitergehen können? Wäre `ne feine Sache, nur zum Füttern und Windelwechseln aufwachen und den Rest des Tages schlafen. Jau, das wäre was für meinereiner, hätte Bugs Bunny wohl gesagt und dabei zufrieden an seiner Möhre geknabbert.

Sabine stützte sich mit den Händen auf die Tischkante und erhob sich. Und da merkte sie, wie erschöpft sie war. Es bereitete ihr eine gewaltige Anstrengung, sich aufzurichten. Und dann auch noch gerade stehen bleiben? Vielleicht noch, ohne sich irgendwo abzustützen? Nein, das ging nun wirklich nicht! Es musste aber gehen. Sie konnte unmöglich alle Zeit hier stehen bleiben. Oder vielleicht doch? Ach, Unsinn.

Noch ein paar Sekunden blieb Sabine in dieser gebückten Haltung sitzen, als könne sie sich nicht entscheiden, ob sie nun stehen, sitzen oder liegen wollte. Dann fasste sie sich und richtete sich auf.

Und dann dauerte es auch gar nicht mehr so lange, bis sie sich wieder den Schriftstücken widmete.

6. Kapitel

6. Kapitel

Seit drei Tagen ging es jetzt so. Seit drei Tagen tat sie nichts anderes, als zu sitzen, ein Blatt nach dem anderen durchzukauen und darauf zu hoffen, endlich einen Anhaltspunkt zu finden. Doch bis jetzt war die Suche ergebnislos. Die Dokumente waren einmal nach Jahreszahlen geordnet gewesen; dummerweise hatte Sabine sie beim Transportieren jedoch kunterbunt durcheinandergewirbelt. Sie hatte sich diesen Salat also selbst eingebrockt. Na ja, so hatte sie wenigstens jemanden, auf den sie sauer sein konnte.

Drei Tage war es her, da hatte sie das letzte Mal etwas gegessen. Und es war auch genauso lange her, dass sie nicht mehr geschlafen hatte. Dennoch wollte sie die Suche nicht unterbrechen, nicht einmal für eine Sekunde. Es reichte schon, wenn sie alle paar Stunden aufs Klo ging, da verschwendete sie schon genug Zeit.

Momentan war sie nicht müde, obwohl sie schon etliche Tiefphasen hinter sich hatte, in denen ihr der Kopf vor Müdigkeit fast von den Schultern gefallen war. Sie hatte auch keinen Hunger, und das war ein echtes Wunder. Wo sie doch früher eine Naschkatze gewesen war! Aber davon war im Moment nichts zu spüren. Stattdessen fühlte sie etwas anderes. Und zwar, dass sie eine Dusche bitter nötig hatte. Die Kleider klebten ihr an der Haut, und die Haare hingen ihr fettig ins Gesicht. Seit dem Tod ihres Vaters hatte sie sich nicht mehr gewaschen.

Sabine hatte also den Eindruck, ihr könne eine Dusche gut tun. Das hieß aber noch lange nicht, dass sie auch eine nahm. Sie machte diesbezüglich keinerlei Anstalten, kratzte sich höchstens mal nachdenklich den Kopf.

Es war bereits Abend. Ein stürmischer Abend, um genau zu sein. Aber auch das interessierte sie nicht im mindesten. Sie hatte nur Augen für die verdammten Schriftstücke. Und dabei achtete sie nicht einmal so sehr auf die Geschichten, die sie ihr erzählten. Nein, ihre Aufmerksamkeit galt etwas anderem: Es war die Frage, ob ihr Daddy eine Schwester oder einen Bruder hatte. Etwas anderes kam ihr nicht in den Sinn. Sie war regelrecht besessen von der Möglichkeit, sie könnte eine Tante oder einen Onkel haben. Mit allen dazugehörigen Konsequenzen.

Ihre Augen schmerzten, sie waren trocken wie die Wüste Gobi. Und ihr Rücken fühlte sich an wie ein Brett. Aber sonst war da nur ein einziger Gedanke: Habe ich eine Tante? Oder einen Onkel? Haben sie eine Familie? Wo sie wohl leben? Haben sie Kinder? Natürlich haben sie Kinder, verdammt. Wer, glaubst du, soll sonst den Fluch fortsetzen?

Und das holte sie zurück auf den Boden der Tatsachen. Plötzlich wusste sie wieder, was sie hier tat. Sie musste ihre Namen herausfinden! Wenn ihre Vermutung zutraf und ihr Vater wirklich noch Angehörige hatte, war sie es diesen Menschen und ihrer Familie schuldig. Dann musste sie sie warnen. Koste es, was es wolle.

Diese verdammten Schriftstücke, diese dreimal verdammten! In ihnen stand jede Einzelheit, wie es zu dem Schlamassel hier gekommen war, wer ein Opfer geworden war und wann. Was aber nicht darin zu stehen schien, war ausgerechnet die Frage, die Sabine so brennend interessierte. Und das war doch wirklich zum Mäusemelken!

Sie suchte noch etliche Stunden weiter, und während der ganzen Zeit überlegte sie, wie es ihr sonst möglich sein könnte, an die Namen heranzukommen. Im Grunde genommen konnte das nicht allzu schwer sein. Oder?

Das staatliche Geburtenregister. Da müssten doch solche Informationen aufbewahrt werden. Da müsste doch eigentlich alles stehen. Das war schon einmal ein guter Plan. Blieb nur abzuwarten, ob er sich auch einfach in die Tat umsetzen ließ. Sabine hatte nämlich keine Ahnung, ob sie dort überhaupt Zutritt bekam. Konnte gut möglich sein, dass man sie gar nicht erst hineinließ.

Sie ging einfach vom schlimmsten Fall aus. Da sie aber schlecht vor verschlossener Tür stehen bleiben konnte, musste sie sich etwas einfallen lassen. Was tun, sprach Zeus. Und genau darüber zerbrach sie sich nun einige Zeit lang ihr hübsches Köpfchen.

Doch ihr wollte partout nichts einfallen. Es war, als sei ihr Kopf zum Bersten gefüllt und kein Platz mehr darin. Und sie saß da und versuchte, mit einem überdimensionierten Holzhammer noch mehr Informationen hinein zu prügeln. Das konnte nicht gutgehen. Da musste irgendwann etwas nachgeben. Blieb nur die Frage, ob es der Holzhammer sein würde oder ihr Kopf …

Es war ihr Kopf. Er hatte schon seit Längerem seinen Dienst einfach eingestellt und sah auch nicht ein, ihn in nächster Zeit wieder anzutreten – vor allem nicht ohne eine Pause. Aber eine Pause kam für Sabine nicht in Frage. Ob das ein Fehler war? Sie war doch aber so aufgeregt! Wie konnte sie da an eine Pause denken? Zuerst alle diese schrecklichen Neuigkeiten, dann die Nachricht, dass sie vielleicht doch nicht die Letzte ihrer Familie war, und zu guter Letzt wollte ihr nicht einfallen, wie sie Gewissheit bekommen würde. Und da sollte man nicht aufgeregt sein?

Und dann kam auch noch die bange Frage hinzu, ob die anderen, ihre unbekannten Verwandten, von dem Verhängnis wussten. Das war ein Gefühl, als säße sie auf Kohlen. Vielleicht wussten sie es nicht und es traf sie dann eines Tages wie aus heiterem Himmel? Eine schreckliche Vorstellung! Soweit wollte Sabine es nicht kommen lassen. Sie musste Gewissheit bekommen. Und das ging nur, wenn sie pausenlos arbeitete, forschte und suchte…

Und genau hier begann der Teufelskreis. Sie musste zwar hart arbeiten, sicher, aber sie musste auch einmal ruhen, um so hart arbeiten zu können. Vielleicht begriff sie diesen Punkt sogar, bevor ihr Körper seinen Tribut forderte, vielleicht aber auch nicht und es traf sie überraschend. Aber wie auch immer: Früher oder später musste sie ausruhen, ob sie nun wollte oder nicht. Die Frage war nur, auf welche Weise. Scheinbar wählte sie die Ich-arbeite-bis-zur-totalen-Erschöpfung-Methode. Denn sie gönnte sich keine Sekunde Ruhe. Na, wenn das mal gut ging!

Ein paar Stunden später saß sie immer noch da und las in den Blättern – allerdings, ohne den Inhalt zu begreifen. Ihr Kopf hämmerte wie ein Trommelkonzert, in dem keine anderen Instrumente mitwirkten, nur Trommeln, Hunderte von Trommeln. Ihr Nacken war hart, wie in Granit gehauen, in ihrem Rücken piekste und stach es, und ihre Muskeln schmerzten. Wie lange wollte sie dieses Spiel noch weiterspielen?

„Ganz einfach, so lange ich muss! Und wenn es sein muss, sogar noch länger!“, spie sie dem verdammten Papier entgegen, das in ihren Händen zitterte wie ein ängstliches Rehkitz. Sie hatte kaum noch Kraft, es zu halten, aber noch genug Kraft, um Sprüche zu klopfen.

Allmählich machte sie sich doch Gedanken. Sie überlegte, was sie eigentlich erreichen wollte und ob sie es auch erreichte, wenn sie nicht einmal mehr genug Kraft hatte, um ein Blatt Papier hochzuheben.

„Niemand hat gesagt, dass es leicht wird! Ich koche mir einfach einen Kaffee, der bringt mich schon wieder auf die Beine!“

Das hatte sie sich gut ausgedacht. Sie hat aber nicht bedacht, dass sie schon erschöpft war. Wenn sie saß, ging es noch. Aber wenn sie aufstand …

Jedenfalls knackten ihre Kniegelenke protestierend, doch als sie ein paar Schritte gegangen war, werkelten sie ohne zu murren. So weit, so gut. Es war aber erst die halbe Miete. Die Knie taten zwar nun, wie sie sollten, aber da war noch der Rücken, der piekste, als hätte sie im Bett eines Fakirs geschlafen und der Kopf, in dem sich scheppernd das Trommelkonzert die Ehre gab.

Anfangs sah es noch gut aus. Sabine verkraftete die Schmerzen überraschend gut. Sie kochte sich Kaffee. Als sie sich aber an der Arbeitsplatte abstützte, wurde ihr schwummerig, und für den Bruchteil einer Sekunde war es, als geriete sie mit einem kleinen Boot in einen Sturm. Der Wind schüttelte das Gefährt hin und her, und die Wellen trieben es wie ein Streichholzheftchen vor sich hin. Wenn es einen Wellenkamm erreichte, stürzte es mit Karacho zurück ins Tal. Vielleicht sollte ich mich kurz mal hinlegen, dachte sie, das hier kann ja nicht gesund sein!

Bist du verrückt, fragte ihre innere Stimme sofort, wenn du das tust, stehst du doch nie, nie, nie wieder auf!

„So weit ist es also schon: Selbst meine innere Stimme quasselt doppelt gemoppelt. Ich sollte mich wirklich einen Augenblick hinlegen …“

Sabine stapfte in Richtung Wohnzimmer und war davon überzeugt, sich nur ganz kurz hinzulegen. Nur mal eben die müden Beine ausstrecken, mehr wollte sie gar nicht! Doch sie hatte die Rechnung ohne ihre müden Glieder gemacht. Es dauerte nämlich keine zwei Sekunden, und sie war eingeschlafen. Es war kurz nach Mitternacht, und sie schlief bis zum Vormittag des übernächsten Tages. Sie schlief sechsunddreißig Stunden.

7. Kapitel

7. Kapitel

Sabine erwachte gegen zehn. Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie geschlafen hatte – sie glaubte, knapp zehn Stunden. Sie fühlte sich jedoch, als könne sie gleich noch einmal so lange schlafen. Und ihre Blase erst, die war zum Bersten gefüllt!

Sie stand mühsam auf, ging sich erleichtern und wollte sich Kaffee aufsetzen. Doch als sie die Küche betrat, lag bereits ein Duft von gebrühtem Kaffee in der Luft. Als sei nichts von alledem geschehen. Als wäre ihr Vater vor ihr aufgestanden und hätte ihn schon aufgesetzt … So war das nämlich immer: Wenn sie endlich aufstand, duftete es schon nach frisch gebrühtem Kaffee.

In der Kanne war tatsächlich Kaffee, dieses köstliche, schwarze Getränk, und einen Augenblick lang glaubte sie tatsächlich, sie hätte die letzten Tage nur geträumt. Alles war nur ein Traum gewesen, gleich würde ihr alter Herr in die Küche kommen, ein „Guten Morgen“ grummeln, sich den Kopf kratzen, wie er es immer tat und sie beide gemeinsam frühstücken.

Doch dann begriff sie, dass es leider nicht so war. Der Kaffee war nur der, den sie selbst sich gekocht hatte, bevor sie eingeschlafen war. Und das hieß leider auch: Es war leider kein Traum gewesen, sondern die bittere Wirklichkeit.

Sie schaltete das Radio an und hörte noch den letzten Refrain von Bon Jovis „It´s my Life“. Meins ist echt beschissen, dachte sie und wollte es schon wieder ausmachen, als die Moderatorin sagte, welcher Tag heute war und wieviel Uhr. Die Uhrzeit bekam sie schon nicht mehr mit. Dazu war sie zu überrascht. Heute war der einundzwanzigste, und nach ihrer Rechnung war gestern doch erst der neunzehnte gewesen? Tja, da hatte man ihr doch tatsächlich einen ganzen Tag geklaut! So was machte man doch nicht, das war wirklich rotzfrech!

Während sie das noch dachte, kam ihr in den Sinn, dass es nicht stimmen konnte. Tage konnte man sich nicht klauen lassen, egal wie schusselig man war. Und da es nun einmal nicht möglich war, blieb nur eines: Sie hatte einen ganzen Tag verschlafen. Sie hatte doch tatsächlich einen ganzen beschissenen Tag verpennt! Meine Herren, das nenne ich aber mal erfolgreich an der Matratze gelauscht!

War das möglich? Konnte sie wirklich so lange geschlafen haben? Na ja, wenn man bedachte, dass sie vorher drei Tage durchgemacht hatte, war es möglich. Schwer vorstellbar, das gebe ich zu, aber möglich.

Sie kratzte sich den Kopf, wie ihr Vater es getan hatte, gähnte und konnte nicht anders: Sie begann zu lachen. Es war so komisch, obwohl eigentlich überhaupt nichts komisch war. Sie lachte und lachte und war zum ersten Mal seit Tagen wieder richtig gut drauf. Schlaf war eben doch die beste Medizin!

Da stand sie nun, um einen Tag gealtert, um einen bestohlen und wusste nicht so recht, wie es weitergehen sollte. Der lange Schlaf hatte ihr zwar gut getan, sie hatte sich erholt. Aber er hatte auch ihren Kopf leergefegt; sie wusste rein gar nichts mehr. Blieb nur zu hoffen, dass sich das wieder ändern würde …

Wie wäre es mit Frühstück? Hm, ein guter Plan.

Sie schüttete den uralten Kaffee in den Ausguss und setzte sich neuen auf. Kaffee war wichtig. Was zum Kauen eher zweitrangig.

Eine knappe Stunde später war sie fertig. Sie hatte sich gestärkt und konnte endlich mit etwas Nützlichem beginnen.

Inzwischen sah die Welt anders aus. Ihr Kopf war nicht mehr ganz so leer. Sie konnte sich endlich Gedanken machen, wie das hier weitergehen sollte. Wie sie herauskriegen konnte, ob ihr Vater wirklich noch lebende Verwandte hatte. Denn dieses Geheimnis galt es nun zu ergründen, das hatte oberste Priorität. Es war sogar noch wichtiger als der vermaledeite Fluch und die Opfer, die er bis jetzt gefordert hatte. Sie waren schon tot, aber dieser Verwandte, wenn es ihn gab, war es noch nicht. Er erfreute sich noch seines Lebens, wusste wahrscheinlich nicht einmal, was ihm blühte und war unvorbereitet. Sabine aber wusste davon, und sie musste dieses Wissen weitergeben. Sie konnte es nicht verheimlichen.

Sie war in ihren Gedankengängen schon so weit gekommen, dass es am besten sein würde, im Geburtenregister der Stadt nachzusehen. Sie wusste, ihr Vater war hier geboren, und so standen die Chancen bestimmt gut, dass ein eventueller Verwandter auch hier geboren war. Es war zumindest anzunehmen. Und irgendwo musste sie ja schließlich anfangen, nicht wahr? Wenn sie nur Zuhause rumsaß, würde sie niemanden retten.

Ihr Plan war also schon ausgereift. Nun, das war doch schon mal was! Sie wusste nur nicht, ob sie die Unterlagen einsehen durfte. Aber das war bestimmt der Fall. Schließlich standen da ja keine Staatsgeheimnisse drin, sondern nur Angaben über ihre Familie. Außerdem wollte sie ja nicht die ganze Stadt auskundschaften.

Sabine trank den letzten Schluck Kaffee, stellte das schmutzige Geschirr in die Spülmaschine, wusch sich, zog sich an und machte sich auf den Weg ins Standesamt.

Kräftig schüttelte Sabine den Schirm aus, denn den hatte sie gebraucht. Es hatte so stark zu regnen begonnen, dass es einem Inferno gleichkam. Als sie vom Anwesen losgefahren war, hatte es leicht zu tröpfeln begonnen. Aber es war schnell kräftiger geworden, und jetzt regnete es so stark, dass sie für die paar Schritte vom Auto zum Standesamt einen Schirm brauchte, um nicht bis auf die Knochen durchzuweichen. Sie hatte nur mit Schrittgeschwindigkeit fahren können, weil die Straßen unter Wasser standen.

Hier drinnen war es überraschend kühl, doch vielleicht war nur der Regen schuld daran, dass es ihr so vorkam. Wenigstens war es trocken.

Eigentlich hatte Sabine geschäftiges Treiben erwartet. Oder zumindest etwas, das darauf hindeutete, dass hier gearbeitet wurde. Aber hier war tote Hose, wie sie überrascht feststellte. Entweder wurde hier aus Prinzip nicht gearbeitet und es war der ruhigste Posten der Welt, oder aber sie war einfach nur zur Mittagszeit aufgekreuzt. Mal schauen, woran es lag!

Langsam ging sie zu der Informationstheke, hinter der eine gertenschlanke, uralte Frau saß, die sie schon die ganze Zeit missmutig über ihre dicke Hornbrille hinweg beobachtet hatte. Als sie die alte Hexe da so sitzen sah, fröstelte sie gleich noch ein wenig mehr. Schau sie dir nur an, wisperte es in ihr, wenn das keine Hexe ist, fresse ich einen Besen! Und dafür brauche ich noch nicht mal Salz, den krieg ich nämlich so runter. Die ist doch für euren verdammten Scheißfamilienfluch verantwortlich, das steht ihr doch buchstäblich ins Gesicht geschrieben! Und dann, weil es so schön war, fügte sie noch hinzu: Sieh sie dir doch nur mal an!

Und Sabine sah sie sich tatsächlich genau an – jedoch nicht, ohne sich nicht zu fragen, ob sie vielleicht ein paar Tage ausspannen sollte. Wenn es nämlich schon so weit war, dass sie jede alte Frau für eine Hexe hielt, war es dafür wirklich höchste Zeit.

Die gute Frau hinter der Infotheke sah aber auch wirklich … Nun ist es aber genug!

„Einen wunderschönen guten Tag. Ich hätte da mal eine Frage.“

„Fragen Sie! Fragen Sie!“

Trotz des ersten Eindruckes schien die Alte ein freundliches Persönchen zu sein. Sie schwang sich jedenfalls auf keinen Besen und flog kreischend von dannen. Sabine, reiß dich gefälligst zusammen! Sie ist keine Hexe, okay? Deine Nerven liegen einfach nur blank. Du bist erschöpft, überspannt, gereizt …

Ja, ja, schon gut, ab jetzt halte ich den Ball flach, ich verspreche es!

Fein, aber kann ich mich darauf auch verlassen?

Ja, verdammt!

„Mein … mein Vater ist letzte Woche leider gestorben.“

„Oh, das tut mir wirklich sehr leid, mein Kind.“

„Es war … ein Herzinfarkt. Es ging aber sehr schnell. Er musste nicht lange leiden.“

„Das freut mich für ihn.“

Warum, zum Geier, erzählst du ihr das? Glaubst du tatsächlich, sie interessiert sich dafür? Nein, das glaubte sie nicht. Aber sie wusste einfach nicht, wie sie die richtigen Worte finden sollte. Und ehe Schweigen zwischen ihnen lag, redete sie lieber. Schließlich wollte sie die Frau bei der Stange halten. Doch während sie das dachte, hatte sie ein paar Sekunden geschwiegen.

„Nun sagen Sie schon, mein Kind: Was kann ich für Sie tun?“

„Ich … ich möchte ihn nächste Woche beerdigen, und ich weiß, dass er sich gewünscht hätte, dass die ganze Familie da endlich mal wieder beisammen ist. Doch genau da gibt es ein Problem. Unsere Familie ist nämlich in alle Himmelsrichtungen verstreut, und dementsprechend schwer ist es, sie alle zu informieren.“ Das war natürlich schlichtweg gelogen. Ihr Vater war längst beerdigt, aber das musste die Frau nicht wissen.

„Ich verstehe.“ An dem Kommentar war nicht zu erkennen, was sie davon hielt.

„Und genau dabei bräuchte ich Ihre Hilfe.“

„Was kann ich denn da für Sie tun?“

„Nun, ich würde gerne wissen, ob es so etwas wie ein Geburtenregister gibt. Und ob ich da wohl einen Blick hineinwerfen könnte?“

„Im Prinzip spricht nichts dagegen. Sie müssen sich nur ausweisen und natürlich die Geburtsurkunde Ihres Vaters vorlegen. Dann steht dem eigentlich nichts im Wege.“

Was denn? So einfach ging das? Sabine war überrascht. Sie hatte nicht gewusst, dass es so einfach ging. Sie hat mit Schwierigkeiten gerechnet und dass man ihren Wunsch abwehren würde. Dass es so schnell und fast unbürokratisch funktionieren sollte, daran hatte sie in ihren wildesten Träumen nicht glauben wollen. Ihren Ausweis hatte sie ohnehin immer bei sich, und sogar die Geburtsurkunde ihres Vaters hatte sie vorausschauend mit eingepackt.

„Das ist wirklich sehr lieb von Ihnen. Ich stehe tief in Ihrer Schuld.“

„Nun übertreiben Sie aber, mein Kind! Es ist Ihr Bürgerrecht, Einsicht in familiäre Akten zu erhalten. Es gibt natürlich Standesämter, bei denen das nicht so schnell möglich ist. Aber bei uns ist es das. Soll ich Ihnen verraten, wieso?“

„Ja, bitte …“

Sabine war noch immer so überrascht, dass sie lammfromm war. In diesem Zustand konnte sie keiner Fliege etwas zuleide tun.

„Ganz einfach: In anderen Standesämtern ist es üblich, die Geburten, wie auch die Sterbedaten, nach Jahren einzutragen.“

Anscheinend guckte Sabine ratlos, denn die Alte fuhr gleich fort, es ihr zu erklären: „Jeder Ordner beinhaltet normalerweise die Daten der Sterbenden und der Lebenden, und zwar für ein ganzes Jahr: vom ersten Januar null Uhr bis zum einunddreißigsten Dezember dreiundzwanzig Uhr neunundfünfzig. Und, wenn Sie so wollen, neunundfünfzig Sekunden. Aber bei uns ist das nicht der Fall. Wir tun noch ein klein wenig mehr. Wir haben eine Abteilung, die das genauso macht, aber dann noch eine, die es für die einzelnen Familien tut. Und deshalb können wir Ihnen so einfach Einblick gewähren. Sie sehen nur die Daten ihrer Familie, und so bleibt der Datenschutz gewährt.“

„Interessant.“

Das war es wirklich. Den Bruchteil einer Sekunde lang merkte sie, dass es nicht nur interessant war, nein, mehr als das: Es war phänomenal, zumindest, was ihr Anliegen anging. So konnte sie nämlich beliebig die Zeit zurückblättern bis … ja, bis wann eigentlich?

„Eine Frage hätte ich aber noch.“

„Nur zu. Ich sitze einzig und allein hier, um Fragen zu beantworten.“

Wieder musste Sabine einen ersten Eindruck revidieren. Sie hatte diese Frau, noch ehe sie ein Wort mit ihr gewechselt hatte, nur nach ihrem Aussehen beurteilt, und das hatte sich als völlig ungerecht herausgestellt. Sie war weder eine Hexe noch für ihren, Sabines, Familienfluch verantwortlich. Ganz im Gegenteil: Sie war eine wahre Rarität, sie gehörte nämlich zum Schlag jener Menschen, die hilfsbereit waren und freundlich. Damit gehörte sie einer aussterbenden Rasse an.

„Seit wann ist das hier schon so?“

„Sie meinen, seit wann wir hier diese Eintragungen vornehmen?“

„Ja. Entschuldigen Sie bitte, wenn ich ein bisschen umständlich daherkomme. Der Tod meines Vaters steckt mir doch noch sehr in den Knochen …“

„Das verstehe ich sehr gut, mein Kind. Sie müssen sich dafür nicht entschuldigen. Um ihre Frage zu beantworten: Seit 1951 wird jede Geburt und jeder Sterbefall notiert. Davor war es ein wenig schwieriger; gerade im Zweiten Weltkrieg war es fast unmöglich. Da sind die Unterlagen sehr bruchstückhaft. In den Jahren zwischen den Kriegen ist es wieder etwas besser. Aber natürlich lange nicht befriedigend.“

„Und seit wann werden diese Eintragungen vorgenommen?“

„Begonnen wurde damit um 1920, wobei ich dazu sagen muss, dass erst seit den fünfziger Jahren wirklich jeder aufgeführt ist.“

„Haben Sie vielen Dank. Sie haben mir sehr geholfen.“

„Gern geschehen, mein Kind.“

Seltsam, diese völlig fremde Frau sagte nun schon zum wievielten Male mein Kind? Und Sabine schraubte sich dabei nicht wütend durch die Decke? Wozu auch. Sie war diejenige, die etwas von ihr wollte, da musste man schon ein bisschen freundlich sein. Und außerdem: Sie war schließlich nur eine Fremde. Da wollte sie nicht gleich vor Wut platzen.

„Haben Sie denn nun die Geburtsurkunde Ihres Herrn Vaters und Ihren Ausweis dabei, bitte?“

„Ach so, ja! Das habe ich doch ganz vergessen! Wie dumm von mir! Ich habe alles da. Warten Sie einen Moment, ich suche sie nur schnell in meiner Handtasche.“

Sie kramte darin herum, förderte eine Packung Tictac und einen Zehnerstreifen Wrigley´s hervor – und schließlich auch die nötigen Unterlagen.

„So, da haben wir sie ja!“

Die Frau studierte alles über ihre Hornbrille hinweg. Wozu brauchte sie das Ding eigentlich? Sie schien doch bestens sehen zu können!

„Hm“, blubberte sie vor sich hin.

„Was? Was ist denn?“

Sabine war in Sorge. Bis eben hatte alles so gut geklappt. Sollte doch noch etwas schiefgehen?

„Wie ich gerade sehe, wurde Ihr Herr Vater 1938 geboren.“

„Und?“ Sie kam sich vor wie auf glühenden Kohlen.

„Nun, wie ich Ihnen bereits mitteilte, könnte es sein, dass Ihr Vater gar nicht aufgeführt ist.“

„Ich verstehe.“

Doch eigentlich verstand sie gar nichts.

Die Alte schien das zu spüren, denn sie erklärte: „Wie ich ihnen bereits mitteilte, können die Aufzeichnungen in dieser Zeit etwas … nun ja, lückenhaft sein.“

„Selbstverständlich.“

Als hätte sie es gewusst. Aber so war Sabine schon immer gewesen: Sie ließ sich höchst ungern belehren. Sie kam sich dann immer dumm und unwissend vor. Diesmal hielt es sich jedoch in Grenzen; sie konnte ihre Unkonzentriertheit immer noch auf den Tod ihres Vaters schieben.

„Einen kleinen Moment noch. Ich klingele kurz durch. Es ist möglich, dass die zuständige Mitarbeiterin heute woanders tätig ist oder vielleicht sogar frei hat.“

„Tun Sie das bitte.“

Keine drei Minuten später betrat Sabine den Fahrstuhl, der sie in den vierten Stock bringen sollte. Die zuständige Mitarbeiterin war anwesend, und sie hatte auch ein paar Minuten Zeit für Sabine. Mehr brauchte sie nicht. Sie sollte ja nur die Unterlagen ihrer Familie heraussuchen, ihr geben, und damit war ihre Aufgabe auch schon erledigt.

Die Frau, die sie erwartete, war nicht halb so alt wie die an der Rezeption. Und sie war auch, was Freundlichkeit und Zuvorkommen anging, eher zugeknöpft. Fast wirkte sie ein wenig grimmig. Aber, was soll’s? Sabine wollte sie ja nicht zur Freundin haben. Sie wollte von ihr nur den Ordner über ihre Familie kriegen, und dann konnte sie ihr gestohlen bleiben …

Sie nahm in einem Kämmerlein Platz, in dem es kühl war, fast noch kühler als auf der Straße. Der Regen prasselte gegen das Fenster und wirkte einschläfernd. Aber um sich zu entspannen, war sie viel zu aufgeregt. Ihr Herz pochte ihr bis zum Hals. Und in diesem stillen Kämmerlein klang das so laut, als wolle es explodieren. In der Mitte des Raums stand ein kleiner Schreibtisch mit einer Schreiblampe und einem Stuhl. Sie knipste sie an, denn sie wollte in dem Schummerlicht nicht müde werden und vielleicht noch einschlafen.

Der Raum war spärlich eingerichtet, nur der Stuhl in der Mitte, eine Gardine vor dem Fenster und ein paar Stadtansichten an den Wänden. Aber das war Sabine so gleichgültig wie der Missmut der Beamtin. Sie stand noch einmal auf, legte den Mantel ab, hängte ihn an den Haken, setzte sich wieder, verschränkte die Arme vor der Brust und wartete, bis die Frau zurückkam.

Vielleicht war Sabine kurz weggedämmert, vielleicht war sie auch nur kurz in Gedanken woanders gewesen, jedenfalls stand die unfreundliche Frau plötzlich vor ihr wie aus dem Nichts und blickte missmutig zu ihr herab. Unter ihrem rechten Arm hielt sie einen schwarzen Ordner geklemmt, der nicht sehr dick war, allenfalls zwanzig Seiten mochte er haben. Aha, dachte Sabine, da drin ist also alles verzeichnet. Viel ist es ja nicht.

Die Frau legte die Akte mit mürrischem Gesicht auf den Tisch, und wenn Sabine sich nicht täuschte, grummelte sie dabei leise vor sich hin. Was stimmte mit ihr nicht? Hatte Sabine ihr irgendetwas getan? Außer ihr Arbeit zu beschaffen und ihre Ruhe zu stören? Doch dann besann sie sich. Es war nicht wert, dass sie sich darüber den Kopf zerbrach. Sie hatte andere Aufgaben.

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