Kitabı oku: «Die letzte Seele», sayfa 10

Yazı tipi:

„Tut mir leid, dass du es von mir erfahren musstest. Anscheinend will sie keinen Kontakt mehr zu dir.“

„Das habe ich erwartet, und ich muss zugeben, dass es mir vollkommen egal ist.“ Erstaunlicherweise stimmte das sogar. „Was schmerzt, ist, dass sie Benny und Stefanie die Strapazen einer solchen Reise zumutet! Und dann auch noch allein! Gottverdammt, sie benimmt sich gerade so, als müssten sie vor mir beschützt werden! Als würde ich ihnen was Böses wollen!“

„Das bildest du dir nur ein.“ Bestimmt ein gutgemeinter Einwand, aber er trieb Paul nur noch mehr auf die Palme.

„Schwachsinn! Von wegen, ich bilde mir das nur ein! Das sieht doch ein Blinder mit Krückstock, was hier gespielt wird! Sie will, dass die Kinder sich von mir abwenden, dass sie sich von ihrem eigenen Vater abwenden! Ich hätte nie gedacht, dass sie zu so was fähig ist. Ich liebe meine Kinder. Ich liebe sie über alles. Ich habe sie nie missbraucht, nie geschlagen oder sonst was mit ihnen angestellt. Ich hab sie immer gut behandelt und war ihnen immer ein guter Vater. Das ist pure Rache, das weiß ich! Sie weiß, wie weh mir das tut, wie ich an den beiden hänge und jetzt versucht sie, sie mir zu entfremden. Dieses Aas! Dieses verdammte, hinterfotzige Aas!“

„Sachte, sachte! Nun beruhige dich doch erstmal!“ Jerome wollte beschwichtigend auf ihn zugehen, doch noch ehe er einen Schritt machen konnte, bellte Paul wieder los.

„Wie soll ich mich da beruhigen, hä? Du hast gut reden! Deine Kinder sollen ja nicht ans andere Ende der Welt!“ Paul sprang vom Sessel. Er hatte eine Wut im Bauch, als könnte er explodieren. In seinen Mundwinkeln sammelte sich Schaum wie bei einem tollwütigen Hund. Mit voller Wucht trat er gegen den Fernseher, bis die Bildröhre implodierte. Er war so in Rage, dass er davon nichts bemerkte. Wie konnte sie das nur tun? Wie konnte sie ihm das antun? In seiner Wut zertrümmerte er nicht nur den Fernseher, sondern auch die Stereoanlage, die er erst vor kurzem mühevoll wieder aufgerichtet hatte.

Allmählich bekam Jerome es mit der Angst zu tun. Er hatte Paul noch nie so gesehen. Besorgt fragte er sich, ob er alles hier drinnen demolieren würde. Obwohl sein Verhalten ihm unheimlich war, verstand er ihn. Auf irgendeine Art verstand er ihn sogar gut. Wahrscheinlich lag das daran, dass er genauso reagiert hätte, wäre er an seiner Stelle gewesen.

Schließlich legte Jerome sein Unbehagen ab und näherte sich ihm. Er sah, dass Paul Tränen in den Augen standen und er am ganzen Körper zitterte. Vorsichtig legte er die Hand auf seine Schulter. Auch sie zitterte. Offenbar fürchtete er einen tätlichen Angriff. Und das lag durchaus im Bereich des Möglichen, schließlich waren schon aus weit weniger gewichtigen Gründen Schlägereien entstanden.

Paul beäugte alles argwöhnisch, ließ es aber ohne Gegenwehr geschehen. Er war sich noch immer nicht sicher, was er von alledem halten sollte. Noch vor wenigen Sekunden war er wie ein junger Hund ausgelassen durch den Garten getobt, hatte sich wie eine Wildsau im Dreck gesuhlt, und nur Augenblicke später, war er wieder am Boden zerstört. Schluchzend ließ er sich fallen und flennte wild drauflos.

Jerome fühlte sich immer unwohler. Was sollte er tun? Ihn trösten? Oder ihn einfach weinen lassen? Vielleicht war es besser, wenn die Tränen ungehindert flossen. Manchmal gab es Tränen, die geweint werden mussten.

Er lief zur Hausbar, mixte eine Bloody Mary und überreichte sie Paul. Das wird ihn beruhigen, dachte er. Zu seiner Verwunderung schnupperte Paul nur daran, verzog angewidert das Gesicht und schüttete es über die Schulter.

„He, was soll das denn? Bist du verrückt? Das Zeug wird dir guttun!“

„Das halt ich für ‘n Gerücht. Das macht alles nur noch schlimmer, glaub mir.“

„Na schön, wie du meinst. Du musst es ja wissen.“ Mit diesen Worten ging er zurück zur Bar und mixte sich selbst einen Drink. Er brauchte dringend etwas Starkes, Hochprozentiges. Jerome nippte vorsichtig an seinem Glas und ließ sich in sicherem Abstand auf einem Sessel nieder.

Paul saß auf dem Boden, hatte die Knie an die Brust gedrückt und starrte ins Leere. Er sah aus wie ein Häufchen Elend.

„Eine rauchen?“ Jerome sprach langsam und deutlich und rechnete nicht mit einer Antwort. Umso überraschter war er, dass Paul reagierte.

„Was?“

„Wollte nur wissen, ob du eine rauchen willst. Meine Lunge pfeift wie ein Schwarm Spatzen vom Dach. Und was tut man da? Man smokt eine.“

Paul begriff noch immer nicht. Er strahlt die Intelligenz eines Hammers aus, wie er so dahockt, dachte Jerome und kämpfte gegen ein Grinsen an.

Allmählich dämmerte es Paul, und ein dümmliches Grinsen wanderte über sein Gesicht. „Ob ich eine Zigarette will, hast du gefragt, stimmt’s?“ Er schien von dieser Erkenntnis hellauf begeistert zu sein.

Oh Mann, Paul war heute echt nicht der Schnellste! Jerome ließ sich nichts anmerken und warf ihm wortlos die Schachtel mitsamt Feuerzeug hin.

Ein paar Minuten lang saßen sie schweigend da, zogen an den Kippen und sahen einander unschlüssig an. Keiner hatte eine Ahnung, wie es weitergehen sollte. Und noch immer fiel der Regen in Fäden vom Himmel, rann an den Scheiben, perlte an den Blättern ab und tropfte zu Boden. Er schien sogar noch stärker geworden zu sein. Allerdings war Paul die Lust vergangen, in ihm herumzutollen. Abrupt stand er auf, sah Jerome in die Augen und fragte noch einmal, diesmal mit energischer Stimme: „In welchem Krankenhaus?“

„Ich hab dir schon gesagt, dass ich es dir nicht sagen darf.“

Paul gab sich damit keineswegs zufrieden. Er schnippte die Kippe auf den Teppich, beobachtete amüsiert, wie sie ein Loch hineinbrannte und trat sie widerwillig tot. Am liebsten wäre ihm gewesen, wenn der verdammte Scheißteppich mitsamt der ganzen Bude in Flammen aufgegangen wäre. Festen Schrittes näherte er sich Jerome.

„Hör zu, du Scheißkerl …“

„Aber, aber. Ich muss doch sehr bitten!“ Jerome war entrüstet über den verbalen Ausbruch, wagte aber nicht, energischer zu protestieren. Pauls leerer Blick ängstigte ihn noch mehr als zuvor, und er hielt es für ratsam, nicht die große Klappe zu haben. Er merkte, dass er mehr und mehr in seinem Sessel versank. Mit jedem Schritt, den Paul näherkam, schrumpfte er ein paar Zentimeter. Er spürte es, aber er war außerstande, etwas dagegen zu tun. Auch Paul sah, wie er zu Schlumpfgröße mutierte. Der Anblick befriedigte ihn. Schließlich war er es gewesen, der den guten Tag in die Tonne getreten hatte. Er musste jemanden gehörig ans Bein pissen, und da Jerome nun einmal da war, musste er eben herhalten.

„Hör zu, du Pisser!“

Diesmal wagte Jerome es nicht, aufzumucken.

„Was glaubst du eigentlich, was das hier werden soll, hä? Kommst einfach hierher und versaust mir einen wundervollen Tag! Erzählst mir, dass meine Frau einen Unfall hatte, aber nicht, in welcher Scheißklinik sie liegt. Erzählst mir, dass unsere gemeinsamen Kinder (und die Betonung liegt auf gemeinsam!) auf dem Weg ins Känguruland sind. Hast du auch nur einen blassen Schimmer, wie lange man dahinfliegt? Mehr als zwanzig Stunden! Glaub mir, das ist purer Stress! Warum mutet sie das den beiden zu? Gottverdammt, werde ich denn überall übergangen? Ich darf meine eigenen Kinder nicht sehen, aber das Flugticket zahlt sie von meinem sauerverdienten Geld! Aber wenn dieses Miststück glaubt, ich lass mich hier so einfach abservieren, hat sie sich ins Fleisch geschnitten! Ohne mich! Da mache ich nicht mit! Sag mir jetzt, wo sie ist! Und verschon mich mit Ausreden! Raus mit der Sprache! Wo liegt sie?“

Jerome, der mittlerweile zur Größe eines Reiskornes geschrumpft war, wurde noch etwas kleiner. Paul starrte ihn so verbissen an, dass er es bereute, hergekommen zu sein. Welcher Esel hat mich bloß geritten, dachte er wieder und wieder, während er fürchtete, in den Ritzen des Sessels zu versinken.

„Ich warte.“ Ungeduldig klopfte Paul mit den Füßen auf dem Boden herum.

„Sie ist …“

„Ja? Wo denn nun? Ich höre nichts!“

In diesem Moment warf Jerome alle Versprechungen über Bord und verriet es Paul. Er dürfte es um nichts auf der Welt verraten, hatte sie ihm eingebläut. Aber das war leichter gesagt als getan, wenn man jemand gegenüber saß, der nicht nur nicht mehr alle Tassen im Schrank hatte, sondern überhaupt kein Geschirr mehr besaß.

Genau neunzehn Minuten und dreiundfünfzig Sekunden später stand Paul am Eingang des St. Georgien Hospitals. Unentschlossen zupfte er an seinem T-Shirt und ging hinein. Jerome hatte ihm verraten, wo sie lag und war dann wie ein angestochenes Schwein davongesaust – nicht, ohne ihm vorher einen Besuch bei einem Psychiater zu empfehlen. Und kaum dass Jerome sich aus dem Staub gemacht hatte, war Paul in den Porsche gesprungen und wie ein Teufel durch die Stadt gefahren. Das St. Georgien Hospital lag ein wenig außerhalb inmitten eines großen Waldstückes.

Paul fuhr die ganze Zeit mit Vollgas, das Gaspedal war bis zum Boden durchgetreten, und sein Schutzengel musste Überstunden machen, ob er nun wollte oder nicht. Als er durch den Regen preschte, überlegte er kurz, warum sie Jerome zu ihm geschickt hatte. Wollte sie ihn eins auswischen? Hatte sie Spaß daran, ihn zu quälen? Scheinbar ja. Er sah keinen anderen Grund.

Jetzt, da er sich im Eingangsbereich des Krankenhauses befand, hielt er das Ganze gar nicht mehr für eine so gute Idee. Paul hatte Bedenken, ob der Weg, den er eingeschlagen hatte, richtig war. Was erwartete ihn? Wie würde Jeannette reagieren? Ob sie ihn überhaupt beachtete? Paul kannte sie gut genug. Er wusste, wozu sie fähig war. Er hatte das in den letzten Tagen oft genug erfahren müssen.

All das ging ihm durch den Kopf, als er langsam weiterging. Es konnte seine Schritte bremsen, ihn aber nicht aufhalten. Was ihn aufhalten konnte, war die Angst vor seiner eigenen Reaktion. Bei dem Ganzen hatte er sich kein einziges Mal Gedanken um sich selbst gemacht. Wie werde ich reagieren? Kann ich mich beherrschen oder raste ich einfach aus und falle wie eine wildgewordene Hyäne über sie her? Oder bin ich imstande, mich ruhig und gesittet zu verhalten? Da das alles noch im Dunkeln lag, entschloss er sich, weiterzugehen und es auf einen Versuch ankommen zu lassen.

Die Schritte führten an der Cafeteria vorbei, und hier lag ein Duft von Gebäck, Kuchen und Kaffee in der Luft. Aber da war auch noch etwas anderes. Paul stockte einen Augenblick. Vor Jahren war sein Vater in genau diesem Krankenhaus an Krebs zugrunde gegangen, und dieser Geruch brachte ihm das wieder so in Erinnerung, dass er meinte, es sei gestern gewesen. Warum meinte man in einem Krankenhaus immer die Gegenwart des Todes zu spüren? Nirgends war er so präsent wie dort. Paul glaubte, dass dies den Besuchern noch deutlicher gewahr wurde als den Patienten. Vielleicht vernebelte der Tod einem die Sinne, sodass man, wenn man einige Zeit unter seinem Einfluss stand, gar nichts mehr davon mitbekam?

Paul riss sich aus seinen Gedanken und sah sich verstohlen um. Hatte er etwa wie ein Idiot dagestanden, mit weitgeöffnetem Mund und Augen so groß wie Suppenteller? Schließlich ging er weiter.

Pling, machte es, als sich die Fahrstuhltür hinter ihm schloss. Jetzt stand er im vierten Obergeschoss. Es sah hier genauso aus wie im Erdgeschoss, nur die Cafeteria fehlte. Langsamen Schrittes ging er weiter. Der Flur lag vor ihm im Halbdunkel. Vereinzelt stand eine Tür offen. Aus dem Schwesternzimmer dudelten leise Oldies, und ab und an stöhnte jemand. Es klang wie eine stumpfe Säge auf Holz. Seine Nackenhaare richteten sich nach oben; er hatte ein Déjà-vu-Erlebnis. Damals, als er seinen Vater zum letzten Mal lebend gesehen hatte, hatte er das gleiche quietschende Geräusch gehört. Es war von seinem Vater gekommen, der solche unerträglichen Schmerzen hatte, dass jeder Atemzug einem Krächzen glich. Wenige Stunden später war es vorbei gewesen.

Paul stand stocksteif da und nahm es kaum wahr, als eine Schwester an ihm vorbeihastete. Die Erinnerung an seinen Vater war schmerzlich, aber fehl am Platz. Jetzt hieß es, einen kühlen Kopf zu bewahren. Da konnte er diesen Schmerz nicht brauchen. Es überraschte ihn, wie er den Vater in diesem Moment plötzlich vermisste. Aber vielleicht lag das auch nur an den unangenehmen Erinnerungen, die die Umgebung in ihm wachrief. Er musste schnellstmöglich auf andere Gedanken kommen. Schließlich war sein Vater seit mehr als zehn Jahren unter der Erde. Hatte er, Paul, je um ihn geweint?

Langsam löste sich die Starre, und er lief langsam den Flur hinunter. Aufmerksam studierte er die Zimmernummern. Hatte Jerome vierhundertsechzig oder vierhunderteinundsechzig gesagt? Egal, ein Versuch konnte nicht schaden.

Vierhundertsechzig war die erste. Er trat ein, ohne anzuklopfen.

Als er in das Zimmer trat, traf ihn fast der Schlag. Ja, es war das Zimmer seiner Frau. Aber als er sah, was er sah, wünschte er sich sehnlichst, er wäre nie hergekommen.

Jeannette hatte ein Einzelzimmer. Kein Kunststück, schließlich war sie privat versichert. Um ihren Kopf war ein Verband gewickelt, auf dem sich rote Flecken abzeichneten. Trotzdem war sie noch immer so schön, wie er es in Erinnerung hatte. In ihrem Gesicht tummelten sich Sommersprossen, und ihre Lippen schienen fast noch voller als bei ihrer letzten Zusammenkunft. Ihr langes Haar, das unter der Bandage hervorlugte, war gepflegt, wenn auch blutig. Einen Moment meinte Paul sogar, es riechen zu können. Als sie noch ein frischverliebtes Paar waren, hatte er ihr öfter das Haar gewaschen. Wieder etwas, was er schon lange nicht mehr getan hatte, wurde es ihm siedend heiß bewusst. Das einzige, was ihre Schönheit ein wenig entstellte, war der Bluterguss an ihrer linken Wange. Er erstreckte sich fast über die gesamte Gesichtshälfte. Sie musste böse hingefallen sein. Aber nicht der Bluterguss war es, der ihm einen Schlag versetzte, sondern der wildfremde Mann, der da auf ihrem Bett saß und ihre Hand hielt. Einen Moment war er so naiv zu glauben, es sei der Arzt. Allerdings hielt das nur den Bruchteil einer Sekunde vor. Wenn aber nicht der Arzt, wer dann? Wer?

Langsam dämmerte es ihm. Das hatte er weniger seiner Intelligenz als vielmehr dem ramponierten Aussehen des Mannes zu verdanken. Er sah aus, als hätte er vor nicht allzu langer Zeit einen Unfall gehabt. Einen … Motorradunfall vielleicht? Aber das hieße ja … nein, nein! Oder doch? War das möglich?

Mit einem Mal war ihm speiübel.

He, was soll das, wollte er sie anfahren, aber er brachte kein Wort heraus. In seinem Kopf leuchtete immer wieder ein einziger Satz auf, wie eine Leuchtreklame. Er war hell und grell und verkündete in roten, blauen, grünen und gelben Lettern: Diese verdammte Saubande hat ein Techtelmechtel! Diese verdammte Saubande hat ein Techtelmechtel! Diese verdammte Saubande hat ein Techtelmechtel! Diese verdammte Saubande hat ein Techtelmechtel! Licht an. Licht aus. Licht an. Licht aus. Licht an. Licht aus. Licht an.

Wie sie sich anstarren, igitt! Sie haben mich noch nicht mal bemerkt. Warum, zum Henker? Fieberhaft sann er über den Grund nach. Da verschwand endlich die Neonreklame aus seinem Kopf. All das geschah im Bruchteil einer Sekunde. Plötzlich ein dumpfer Knall hinter ihm. Die Zimmertür. Aha, dachte er, darum kam ich mir vor wie Luft.

Nun sahen auch Jeannine und der Fremde zu ihm herüber, und ihre Gesichter sprachen Bände. Sie waren kreidebleich und hatten Ähnlichkeit mit denen von halbstarken Rotzbengeln, die irgendeinen Blödsinn getrieben haben, auf frischer Tat ertappt worden sind und nun der Bestrafung harren.

„Was geht hier vor?“, donnerte es aus Pauls Mund.

„Was willst du hier?“, spie Jeannine ihm entgegen.

Das war keineswegs die Reaktion, die er erwartet hatte. Noch dazu, dass sie auf einmal wie eine tollwütige Hyäne wirkte. Ihre Augen schossen Giftpfeile in seine Richtung, und ihre Stimme war wie Eis. Paul ließ sich davon nicht abschrecken und fragte noch einmal, was los sei. In seinem Inneren fragte eine altkluge Stimme, ob das etwa nötig war, ob er so blind war und es nicht sehen konnte. Er ließ die Stimme links liegen und schenkte ihr keine Beachtung.

„Woher weißt du …? Ach, vergiss es! Hätte ich mir gleich denken können, dass dieser Kerl sein Schandmaul wieder nicht halten kann. Also, was willst du, Paul? Aber fass dich bitte kurz, ja? Ich kann deinen Anblick keine Sekunde länger als unbedingt nötig ertragen.“

Peng. Der Hieb in die Magengrube hatte gesessen. Das musste Paul erstmal verdauen. Aber so hatte er wenigstens einen Augenblick Zeit, seine Gedanken zu ordnen. Was zum Henker wollte er hier? Eine verdammt gute Frage, die sie ihm da gestellt hatte. Was wollte er eigentlich hier? Tja, meine Damen und Herren Geschworenen, was soll man dazu sagen? Er hatte selbst keinen blassen Schimmer. Anfangs hatte er noch eine gehörige Wut im Bauch gehabt, aber die war inzwischen verschwunden. Jetzt war da nur noch Leere, gähnende Leere. Also, warum zum Kuckuck, war er hier? Er musste sich eingestehen, dass er darauf keine Antwort wusste. Also war es wohl besser, die Frage einfach zu übergehen und an einer anderen Stelle weiterzumachen.

„Wo sind die Kinder?“

Zugegeben, das war auch nicht unbedingt das Gelbe vom Ei, schließlich wusste er ja, wo sie waren. Aber es war immerhin ein Anfang. Er konnte nach ihnen fragen. Er hatte schließlich ein Recht, es zu erfahren. Das war jedenfalls seine Ansicht zu dem Thema. Jeannine allerdings war da anderer Meinung.

„Das geht dich einen verdammten Scheißdreck an, geht dich das.“

Wieder hatte Paul etwas zu verdauen. So allmählich nimmt das überhand, dachte er. Die Wut, die ihn hierhergeführt hatte und die schon abgeflaut war, loderte wieder auf. Aber sie war hier so nützlich wie ein Kropf. Also versuchte er sie, so gut es eben ging, herunterzuschlucken.

„Bloß damit ich das richtig verstehe, es geht mich einen verdammten Scheißdreck an, wo meine eigenen Kinder sind, aber für die Flugtickets darf ich löhnen? Habe ich das richtig verstanden? Was glaubst du eigentlich, wen du vor dir hast?“

„Einen egoistischen, blinden Idioten.“

Diesmal ging der Schlag nicht in die Magengrube, sondern mitten ins Herz. Alle Hoffnungen auf eine friedliche Lösung des Konfliktes zerplatzten wie Seifenblasen.

„Ich will wissen, wo meine Kinder sind! Und deine Beleidigungen kannst du dir sparen! Die prallen an mir ab!“ Aber seine Augen verrieten etwas anderes. Aber noch konnte er sich beherrschen, konnte die Tränen zurückhalten, obwohl seine Augen schon wässrig waren. Er hatte ein wenig Respekt von ihr erwartet, aber was er hier bekam, war nur Scheiße und Verachtung. Wie schnell Liebe in Hass umschlagen konnte!

„Ach übrigens, ehe ich es vergesse: Du hast dich doch ebenso darüber erregt, dass du die Flugtickets bezahlen sollst, oder? Da habe ich eine gute Nachricht für dich: Das muss dich nicht mehr kümmern. Ich habe sie bezahlt und“, sie sah auf die Uhr an der Wand, „wenn ich mich mit dem Zeitunterschied nicht verrechne, müssten sie jede Sekunde landen. Du siehst also: Du wirst noch nicht mal mehr dazu gebraucht.“

„Wo … wo hast du das Geld her? Wieso hast du das getan?“

Paul stotterte. Jetzt konnte er die Tränen nicht mehr zurückhalten. Was für ein beschissener Tag! Kann kaum noch schlimmerer werden, dachte er. Ein paar Sekunden später wusste er, dass es das sehr wohl konnte.

„Du wagst es zu fragen, woher ich das Geld habe?“ Diesmal klang ihre Stimme wie eine rostige Kette. „Na schön, ich werde es dir verklickern. Aber schön langsam, damit du es auch schnallst. Er hier“, jetzt deutete sie auf den Mann, der auf ihrem Bett saß, „hat es mir gegeben.“

Paul fiel aus allen Wolken. Er hatte die Anwesenheit des Fremden völlig vergessen. Bis jetzt.

„Und er ist es auch, der ab jetzt die Rolle ihres Vaters übernehmen wird.“

Einen Moment wurde es Paul schwarz vor Augen, und fast wäre er nach hinten weggesackt.

„Und nun tu mir bitte einen Gefallen und verpiss dich. Du widerst mich an.“

Paul war so perplex, dass er es tat.

Den Weg vom Zimmer zum Wagen legte er zurück wie im Delirium. Alles um ihn herum schien in einer anderen Dimension stattzufinden, Lichtjahre von dem entfernt, was einmal sein Leben gewesen war. Er hatte Mühe, aufrecht zu gehen. Seine Beine zitterten wie Götterspeise, und seine Muskeln besaßen in etwa die Stärke eines Marmeladenbrotes.

Mit letzter Kraft erreichte er den Porsche, ließ sich in den Sitz fallen, und von da an konnte er den Tränen keinen Einhalt mehr gebieten. Sie flossen in Sturzbächen und durchweichten seinen Hemdkragen. Er ließ es einfach geschehen. Es waren Tränen, die geweint werden mussten. Sie kribbelten auf seiner Haut und brannten. Es war ihm egal. Er wollte nur noch weinen. Weinen wie ein Schlosshund und nie wieder aufhören.

Langsam verschwand der letzte Fetzen Helligkeit, und noch immer saß er da, rauchte eine Zigarette nach der anderen und machte keine Anstalten, nach Hause zu fahren. Unzählige Menschen waren an ihm vorbeigekommen. Die Besuchszeit rückte heran, und der Menschenstrom wurde dichter. In vielen dieser Gesichter stand die Sorge um ihre Angehörigen geschrieben. Ja, dachte er, ein Krankenhaus ist wahrlich ein beschissener Ort. Ein Ort, wo Menschen sterben. Ein Ort, wo Frauen zu Witwen, Männern zu Witwern und Kinder zu Waisen werden. Wie bei ihm selbst. Wenn auch auf andere Art und Weise ….

Er drückte die Zigarette aus und zündete sich sofort eine neue an. Sein Hals fühlte sich trocken an und rau; trotzdem wollte und konnte er nicht auf sie verzichten.

Irgendwann endete die Besuchszeit. Wie viele Stunden saß er nun schon hier? Er hatte keine Ahnung. Mittlerweile mussten es schon fünf sein. Je später es wurde, umso verlassener wirkte die Straße. Nur ab und zu näherte sich ein Krankenwagen mit raschem Tempo, bog ab und verschwand hinter einer hohen Mauer. Paul brauchte kein Hellseher zu sein, um zu wissen, dass da neue Kundschaft eingeliefert wurde.

Während er kettenrauchend dasaß, dachte er über vieles nach. Er dachte an viele Dinge, aber am meisten an den Satz, den sie ihm an den Kopf geknallt hatte: Du widerst mich an.

Gab es da noch etwas misszuverstehen? Wohl kaum. Das war eindeutig. Es gab kaum einen Satz, der mehr verriet als dieser. Wenn er noch Zweifel an ihren Trennungsabsichten gehegt hatte, dieser Satz hatte sie ausgelöscht. Und ihr Geliebter (mittlerweile hatte er es geschnallt, dass es ihr Geliebter war) hatte bei ihr gesessen, hatte ihre Hand gehalten und, was am Schlimmsten war, er hatte die Tickets der Kinder bezahlt. Selbst das hatte sie ihm genommen.

Wieder näherte sich ein Krankenwagen, diesmal ohne Martinshorn und deutlich langsamer. Wieder bog er rechts ab und verschwand hinter der Mauer.

Warum wollte sie, dass er das alles erfuhr? Konnte sie so gehässig sein? Er konnte sich noch immer keinen Reim darauf machen.

Paul fühlte sich wie durch den Fleischwolf gedreht. Er war durstig, sein Kopf schmerzte wie nach tausend Nadelstichen, und seine Eingeweide schienen Polka in Holzpantoffeln zu tanzen. Er war müde, als hätte er seit Tagen nicht mehr geschlafen. Trotz allem kam es ihm nicht in den Sinn, den Motor zu starten und heimzufahren.

Irgendwann schälte er sich aus dem Sitz und schlich mit hängendem Kopf in eine dunkle Ecke, öffnete den Hosenschlitz und entleerte seine Blase. Keine zwei Minuten später saß er wieder im Wagen, hatte eine Kippe zwischen den Lippen und beobachtete die dunkle Straße. Zwei, drei Stunden später, es musste schon nach Mitternacht sein, entschied er sich endlich, den lieben Gott einen guten Mann sein zu lassen und heimzufahren.

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