Kitabı oku: «VIRUS – Im Fadenkreuz», sayfa 2
Samstag, 5. Oktober 2019
Natascha hatte in dieser Nacht kaum ein Auge zugemacht. Odysseus hatte bereits nach weniger als einer Stunde auf ihre SMS geantwortet gehabt und ihr mitgeteilt, dass sie Jan Wagner mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln ›bei Laune‹ halten solle.
Sie wusste sofort, was dies bedeutete.
Sie war eine so genannte Venusfalle, die ihren Körper dazu einsetzen sollte, wenn es für ihren Auftrag vonnöten war. Bereits vor ihrer Einstellung hatte man sie zahlreichen Tests unterzogen, um sicherzustellen, dass sie auch wirklich alle Register zog, wenn es darum ging, einen Auftrag bis zum Ende durchzuziehen. Sie hatte gewusst, dass dies auch bedeuten konnte, Sex mit Fremden zu haben, die man normalerweise nicht einmal mit einer Kneifzange anfassen würde.
Zwar war Jan Wagner nicht unbedingt ihr Traummann – dafür hatte er eindeutig zu viel Speck auf den Rippen und zu viele Lebensjahre auf dem Zeiger –, doch sie wusste, dass es sie auch schlimmer hätte treffen können. Sie wusste, dass männliche Kollegen sich bereits auf homoerotische Abenteuer hatten einlassen müssen, obwohl diese absolut heterosexuell waren. Doch Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps, hatten sie früher gewitzelt. Heute war sie plötzlich selbst in der Situation, jeden Moment vielleicht Dinge tun zu müssen, die sie anekelten.
Wie würde sich Jan verhalten?
War er weiterhin der zurückhaltende Mann, als den sie ihn kennengelernt hatte?
Würde er vielleicht Dinge von ihr erwarten, die ihr absolut zuwider waren?
Nein, sagte sie sich in Gedanken immer wieder, er wird weiterhin lieb und nett sein. Wir werden ein wenig vögeln, vermutlich werde ich ihm ab und zu einen blasen müssen – doch davon ist noch niemand gestorben. Hoffentlich ist es die ganze Sache wert …
Als Jan sich am frühen Morgen langsam regte, kuschelte sie sich behutsam an ihn und tat so, als läge sie dort bereits die ganze Zeit über. Es dauert eine für sie gefühlte Ewigkeit, ehe Jan tatsächlich erwachte und sich langsam und behutsam bewegte.
»Guten Morgen«, sagte er, völlig schlaftrunken. »Wo bin ich?« Erschrocken blickte er sich um.
»Guten Morgen«, gurrte Natascha. »Weißt du nicht mehr? Du bist bei mir.«
»Das sehe ich«, entgegnete Jan und blickte sich dabei um, wobei er registrierte, dass er nichts anhatte. »Doch wieso …?«
Natascha lag noch immer in seinem rechten Arm und blickte ihn verführerisch an, als sie antwortete: »Nach deinem Gin Tonic wolltest du Wasser. Als ich wiederkam, hattest du mich in die Arme genommen und geküsst. Wir haben dann auf der Couch geschmust und sind schließlich ins Bett. Das musst du doch noch wissen …«
Diese letzten Worte klangen in Jans Ohren ziemlich vorwurfsvoll. Verunsichert fragte er: »Haben wir…?«
»Und wie!«, antwortete Natascha und küsste ihn auf die Brust, während ihre Hand unter die Satindecke glitt.
»Bitte, nicht…«, antwortete Jan zu ihrer großen Überraschung.
»Wieso nicht? Heute Nacht warst du da weniger zimperlich.«
»Ich kann mich nicht erinnern«, sagte Jan und begab sich daran, aufzustehen. »Außerdem rieche ich vermutlich aus dem Mund wie eine Kuh aus dem Hintern.«
»Charmant!«, gab Natascha zurück und rollte sich auf den Rücken, wobei sie gekonnt die Satindecke nach unten zog und ihre prallen Brüste entblößte.
Jan spürte, wie ihn dieser Anblick erregte und das Blut in Richtung Lenden schoss. »Darf ich kurz duschen?«, fragte er und hoffte, sich möglichst schnell ins Bad verdrücken zu können.
»Natürlich«, antwortete Natascha. »Vor der Wohnungstür rechts.«
»Danke.«
»Lass mich bitte nicht zu lange warten …«
Jan eilte ins Badezimmer und schloss vorsorglich hinter sich ab.
Scheiße! Wie konnte das nur passieren, fragte er sich und versuchte, sich an den vergangenen Abend zu erinnern. Das erwies sich allerdings als sehr schwierig, zumal es zwischen seinen Beinen extrem pochte und er schier zu platzen drohte. Er stellte sich unter die Dusche und genoss es ausnahmsweise, dass das Wasser zunächst kalt herausströmte. Das linderte seine Erregung und half ihm, einen klaren Gedanken zu fassen. Als das Wasser schließlich endlich eine angenehme Temperatur erreichte, versuchte er, sich an die vergangene Nacht zu erinnern.
Sie waren beim Griechen gewesen, hatten gegessen und sich ein wenig über die griechische Mythologie ausgelassen, wobei sie schließlich bei entsprechenden Spielfilmen gelandet waren. Natascha hatte ihm erzählt, dass sie auf Dwayne Johnson stand.
Dann hatte er sie nach Hause gebracht, hatte sich in ihrem Wohnzimmer umgesehen, während sie in der Küche Drinks gemixt hatte – einen Gin Tonic für ihn, einen Wodka Martini für sich selbst. Sie hatten sich unterhalten, und er erinnerte sich, dass er ihr sogar von Steffi und ihrem Tod vor drei Jahren erzählt hatte. Doch was war dann geschehen? Er konnte sich einfach nicht mehr erinnern, als hätte jemand diesen Teil seiner Festplatte gelöscht. Ein Filmriss, und das nach bloß einem Glas Gin Tonic?
Jan wusste nicht mehr ein noch aus und schüttelte den Kopf. Mit dem rechten Zeigefinger schrubbte er kurz über seine Zähne und gurgelte mit Wasser, um den schalen Geschmack im Mund loszuwerden, der mit Sicherheit nicht allzu angenehm roch. Für ihn war es stets ein Rätsel, wie die Leute in Filmen und Serien direkt nach dem Aufwachen rumknutschen und Sex haben konnten, obwohl er wusste, dass man in diesem Moment alles andere als angenehm roch. Steffi und er waren damals stets gemeinsam duschen gegangen, hatten sich gemeinsam die Zähne geputzt und anschließend voller Lust und Elan die Bettlaken zerzaust. Alles andere war für ihn einfach unvorstellbar und ekelerregend.
»Jan?«, hörte er Natascha an der Tür rufen, während sie zugleich die Klinke mehrfach betätigte, als könne sie dadurch die verschlossene Tür öffnen. »Ist bei dir alles in Ordnung?«
»Ja«, antwortete er, während er die Dusche abstellte. Erst jetzt sah er, dass er Spuren von Nataschas Lippenstift an einer Stelle hatte, wo er diesen niemals vermutet hätte. Erneut stellte er die Brause an und wusch sich unten herum gründlich ab. Wieso kann ich mich an nichts erinnern, fragte er sich wieder und wieder. Und wieso bin ich kurz vorm Platzen, wenn wir doch letzte Nacht …? Er verstand die Welt nicht mehr.
»Jan!« Wieder hörte er Nataschas Stimme. »Im Spiegelschrank findest du links eine neue, noch verpackte Zahnbürste. Und nimmt einfach irgendein Handtuch!«
Nachdem sich Jan abgetrocknet und die Zähne geputzt hatte, begab er sich wieder in Richtung Schlafzimmer, das nun feuchte Handtuch um die Hüfte geschlungen.
Natascha rekelte sich dort lasziv auf der Satindecke, und ihm wurde schlagartig wieder bewusst, wie wunderschön sie war … und wie erregend. Sofort spürte er wieder, wie sein Körper auf diesen Anblick reagierte, doch diesmal war er nicht mehr ganz so schüchtern.
»Wozu das Handtuch?«, fragte sie ihn mit gurrender Stimme und legte sich auf die Seite, wobei ihre freie Hand über ihre Brüste glitt.
Jan spürte, dass der Druck unten enorm anwuchs. Er ließ das Handtuch hinabgleiten und begab sich zurück ins Bett.
Eine gute Stunde später lagen beide schweißgebadet auf der Satindecke, Jan auf dem Rücken und mit Natascha im rechten Arm.
»Wieso ich?«, fragte er sie nun erneut, während sie ihre Finger über seinen Bauch gleiten ließ.
»Ich kann es dir nicht sagen«, gab sie zur Antwort. »Es hat bei mir einfach ›klick‹ gemacht. Du hast gestern so verträumt ausgesehen. Ich kann es dir nicht erklären.«
»Du wusstest aber schon, dass ich deutlich älter bin als du?«
»Ja, und das hat vermutlich den Ausschlag gegeben.«
»Du stehst auf ältere Männer?« Jan bedachte sie mit einem zweifelnden Blick.
»Nein. Aber auf reifere Männer. Auf Männer, die nicht nur auf die nächste Eroberung aus sind, um später mit ihr vor den Freunden angeben zu können. Ich stehe auf Männer, die nicht wie ein wilder Hengst vorgehen, sondern die zärtlich und rücksichtsvoll sind. Ich stehe auf Männer, die eine selbständige Frau akzeptieren, auch wenn diese nicht das Heimchen am Herd ist. Und ich stehe auf Männer, die mich zu befriedigen verstehen.«
»Na, das konntest du ja wohl nicht wissen«, gab er zu bedenken.
»Das vielleicht nicht. Doch ich liebe Teddybären. Und du bist schön kuschelig.«
Sie liebt Teddybären, dachte Jan über ihre Worte nach. Komisch, dass ich hier keine sehe. Laut fragte er hingegen: »Wie lief es gestern Nacht? Ich kann mich an nichts erinnern.«
»Du warst angetrunken«, antwortete Natascha und spielte mit den wenigen Haaren auf Jans Brust. »Ich war gerade dabei, dich auf Touren zu bringen, als du auch schon eingeschlafen warst.«
»Hmm«, brummte Jan und dachte über Nataschas Worte nach. Einerseits würde das ihren Lippenstift an seinem besten Stück erklären. Es erklärte aber nicht, wieso er nach nur einem Glas Gin Tonic dermaßen weggetreten sein konnte. Schon gar nicht nach dem üppigen Mal vom Griechen. Doch spielte das in diesem Augenblick eine Rolle? Vielleicht, überlegte er, sollte ich weiter mitspielen und sehen, was passiert.
»Dafür warst du eben umso besser«, flötete Natascha wieder und animierte Jan zu einer weiteren Runde …
Berlin
»Super!«, rief Odysseus laut aus, während er noch beim Frühstück saß und die neueste SMS las. Der Zivilist war am Haken, und sein Agent bat um Informationen bezüglich des weiteren Vorgehens.
Odysseus schrieb:

Danach wählte er die Kurzwahlnummer von Schmitt und sagte bloß: »Am Dienstag fliegen Sie nach Frankfurt und treffen sich mit Venus am Flughafen. Übergeben Sie ihr das Päckchen und die neuesten Instruktionen. Geben Sie mir Ihre Flugdaten, damit ich Venus informieren kann.« Danach legte Odysseus auf, ohne auf eine Reaktion von Schmitt zu warten.
Montag, 7. Oktober 2019
Karben
Jan und Natascha hatten das gesamte Wochenende bei ihr zuhause verbracht. So viel Spaß hatte Jan seit dem Tod seine geliebten Steffi nicht mehr gehabt. Natascha war so prickelnd, voller Energie und Leidenschaft, überlegte er, während er seinen weißen Opel Kadett das letzte Stück nach Roggau lenkte, wo er sein kleines Häuschen auf dem Land hatte.
Natascha hatte heute an der Uni zu tun, was ihm etwas Zeit verschaffte, um sich um seine eigenen Angelegenheiten zu kümmern. Im Haus hatte er schon lange nichts mehr gemacht, und eigentlich hatte er vor, die kommenden zwei Wochen Urlaub zu machen und ein paar Tage zur Entspannung wegzufahren. Gegenbach im Schwarzwald, Waltenhofen, Uffing am Staffelsee und Bad Tölz wären ursprünglich die möglichen Ziele einer kurzen, spontanen Rundreise geworden. Leider sah Petrus dies im Moment anders und hielt mit leichtem Regen und Temperaturen von knapp unter 10°C ein Wetter bereit, das Jan nicht wirklich für einen Ausflug gebrauchen konnte. Erst das kommende Wochenende versprach derzeit eine Besserung.
Als Jan sein Haus betrat, bemerkte er nicht, dass ein schwarzer Mercedes mit zwei Gestalten darin in Sichtweite zu ihm blieb und man ihn beobachtete.
Da es weiterhin beständig regnete, wenn auch nicht mehr allzu stark, hatte Jan sich darauf beschränkt, innerhalb des Hauses für Klarschiff zu sorgen. Er saugte die Zimmer, lüftete und wischte Staub, wo es dringend nötig war. Zeitgleich liefen Waschmaschine und Trockner, zumal er auch dringend die Bettwäsche einer gründlichen Reinigung unterzog.
Die vergangenen Wochen waren sehr kräftezehrend gewesen. Zwar hatte er genügend Geld verdient, um bequem über die Runden zu kommen und sich ein paar Tage Auszeit zu gönnen, doch dafür hatte er auch beinah täglich mindestens zehn Stunden gearbeitet – sieben Tage die Woche! Das war eben der Nachteil, wenn man selbständig war und ehrlich bleiben wollte. Doch alles war besser als sein früherer Job im Einzelhandel und später gar bei einer Autovermietung. Kurz vor Steffis Tod hatte er sich selbstständig gemacht, doch seitdem funktionierte er bloß noch. Ackern von früh bis spät, um später ja einen angenehmen Lebensabend verbringen zu können. Zeit für eine Freundin hatte er dadurch praktisch nie … und dann kam Natascha und wirbelte alles durcheinander.
Sie meinte vorhin zu ihm, dass sie gegen vier Uhr nachmittags fertig würde und gegen fünf zuhause sei. Sie liebte Fastfood, was Jan – mit Hinblick auf ihren tollen Körper – völlig paradox vorkam. So hatten sie am Wochenende praktisch von Pizza und Brathähnchen gelebt. Später, so hatte sie ihn gebeten, solle er bitte etwas vom Türken mitbringen.
Zum Glück kannte Jan eine sehr gute Imbissbude in Dortelweil, direkt vor einem Möbel- und Einrichtungshaus. Er würde ihr daher einen Döner Kebab und für sich ein Lahmacun besorgen. Doch bis dahin gab es hier, zuhause, noch sehr viel zu erledigen. Seine Kakteen verlangten nach Wasser – in der letzten Oktoberwoche würde er sie zum letzten Mal gießen, bevor es zur Winterruhe ging –, und wenn alles erledigt war, würde er sich vielleicht endlich wieder mal eine Pfeife gönnen. Zwar rauchte er nicht viel, doch zu Zeiten der Entspannung war eine Pfeife mit einer süßlichen DTM-Mischung ganz nach seinem Geschmack.
Frankfurt
Kaum hatte sich Jan liebevoll von ihr verabschiedet, da hatte Natascha auch schon alle Hände voll zu tun. Sie duschte ausgiebig und begab sich später zur Zeil, der berühmten Fußgängerzone der Mainmetropole. Hier sollte sie sich mit Mitarbeitern des Frankfurter Büros treffen, das für ihre Sicherheit verantwortlich war.
Auch wenn Natascha noch immer nicht wusste, was eigentlich von ihr erwartet wurde, so hatte sie dennoch Kontakt zu ihren Kollegen aufzunehmen. Odysseus hatte ihr vorgeschlagen, dies an einem öffentlichen Platz mit vielen Menschen zu tun, wo sie einfach in der Menge untertauchen konnte. Zwar rechnete niemand damit, dass jemand sie in Frankfurt kannte, doch konnte eben dies dennoch nie gänzlich ausgeschlossen werden.
Am vereinbarten Treffpunkt sah sie eine Kollegin, die als Erkennungszeichen einen beigen Trenchcoat trug und einen Zigarillo rauchte, während sie auf sie an der Konstablerwache wartete und scheinbar beiläufig den Verkehr auf der Konrad-Adenauer-Straße beobachtete.
Natascha näherte sich ihr, stellte sich neben sie, zog eine Schachtel Dannemann Moods heraus und fragte: »Dürfte ich mir kurz bitte ihr Feuerzeug leihen?«
»Ich benutze ein Zippo.«
»Das ist noch besser.« Natascha zündete den Zigarillo an und dachte über den dämlichen Erkennungsspruch nach, der – leicht abgewandelt – einem James Bond Film entliehen war. Sie hielt sowas für affig und überholt, doch Odysseus hatte nun einmal darauf bestanden.
»Sie sind Venus?«
»Ja. Und wie nennt man Sie?«
»Andromeda. Lassen Sie uns in Richtung Hauptwache flanieren, damit wir nicht auffallen.«
»Was haben Sie für mich?« Natascha rauchte privat tatsächlich Zigarillos, sodass die Tarnung tatsächlich realistisch wirkte.
»Jan Wagner. Der Mann ist sauber. Hat vor drei Jahren seine Frau verloren, lebt seitdem allein. Seine Eltern sind Rentner und leben in Karben, er hat noch einen Bruder in NRW. Jans Beruf ist sein Leben, er hält sich Kakteen und besitzt ein kleines Einfamilienhaus in Roggau. Musste seinen Vectra verkaufen, weil er Geldprobleme hatte, fährt seitdem einen alten Kadett. War von 1995 bis 1996 bei der Luftwaffe, hat jedoch nie an Reserveübungen teilgenommen. Laut SCHUFA ist er wieder solvent und hat lediglich eine Resthypothek von rund hunderttausend Euro abzubezahlen. Sein Freundeskreis ist überschaubar, da er keine Zeit für soziale Kontakte hat. Er ist aus der Kirche ausgetreten, war in seiner Jugend Judoka und hat eine blütenreine Weste. Eben ein ganz normaler, langweiliger Durchschnittsdeutscher der Mittelschicht.«
»Sonst gibt es nichts?«, hakte Natascha nach.
»Nein. Ich sagte doch: Ein Langweiler.«
»Haben Sie schon Näheres zu meinem Auftrag?«
»Nein. Wir haben bloß Order, den Zivilisten zu beschatten. Zwei unserer Leute sind an ihm dran, seit er Ihre Wohnung verlassen hat.«
»Gibt es sonst noch etwas?«
»Nein. Odysseus wird sich bei Ihnen melden. Es wird sonst keinerlei Kontakt mehr geben.«
»Gut.« Natascha wandte sich ohne ein weiteres Wort von ihrer Kollegin ab und ging nach Süden in Richtung Berliner Straße.
So hatte sie sich ihren Auftrag nicht vorgestellt.
Man hatte ihr gesagt, dass es ein bedeutender Auftrag sei, dass alles von ihrem Einsatz abhänge. Gleich zu Beginn hatte man ihr gesagt, dass sie als Venusfalle dienen und einen wildfremden Mann verführen solle – mit allen möglichen Konsequenzen. Doch niemand hatte ihr gesagt, wie lange der Auftrag dauern solle. War am Dienstag vielleicht alles schon vorbei? Oder würde sie dann erst den eigentlichen Zweck ihres Auftrags erfahren? Einen unscheinbaren Zivilisten zu vögeln, der ganz offensichtlich keinerlei Verbindungen zu irgendwelchen ausländischen Nachdiensten hatte, konnte doch wohl kaum der ach so bedeutsame Auftrag sein. Dazu hätte man ebenso gut eine Professionelle bestellen können, und Natascha weigerte sich, etwaige Parallelen zu ihrem eigenen Verhalten zu ziehen.
Wieso sollten ihre männlichen Kollegen die Helden sein, wenn es ihnen gelang, feindliche Agentinnen zu verführen und gegebenenfalls sogar umzudrehen, und eine Agentin mit ähnlichem Aufgabengebiet nicht? Vögelte ein Mann fremde Frauen, war er den Hengst, der Könner – war er bei allen Leuten angesehen. Vögelte eine Frau hingegen fremde Männer, war sie gleich ein Flittchen – wenn nicht gar Schlimmeres. Nein, von solchen Gedanken wollte sie sich gekonnte distanzieren. Ihr Job war ihr Job. Sie hatte ihn sich damals ausgesucht und noch recht romantisch vom Agentenleben geträumt. Doch selbst, als sie die Wirklichkeit erkannt hatte, hatte sie sich für mögliche Außendiensteinsätze vormerken lassen – wissend, dass selbst das für die meisten Menschen Undenkbare von ihr gefordert werden könnte.
Inzwischen war Natascha in der Berliner Straße angekommen und bog nach links ab, in Richtung Osten, zurück zur Konstablerwache. Sie würde dann zurück in die Dienstwohnung in Bornheim fahren und alles für Jans Rückkehr vorbereiten.
Auch wenn Jan Wagner äußerlich absolut nicht ihr Typ war – er war zu alt, zu dick, unrasiert, blond und blauäugig, während sie eher für einen George Clooney oder einen Pierce Brosnan zum Äußersten gegangen wäre –, so war er trotz allem liebevoll, zärtlich und vielleicht ein bisschen zu naiv, fand sie. Es schien ihn nicht einmal zu stören, dass es in der gesamten Wohnung keinerlei Fotos von ihrer Familie oder von Freunden gab – das wäre ihr selbst nämlich als erstes aufgefallen. Diesen Fehler konnte sie nun leider nicht mehr glaubwürdig ausbügeln und hoffte, dass er niemals nach ihren Eltern oder nach Freunden fragen würde.
An der Konstablerwache angekommen, zog Natascha sich eine Fahrkarte, um mit der U-Bahn die fünf Minuten bis zur Seckbacher Landstraße zu fahren. Zwar hätte sie diese drei Kilometer auch bequem zu Fuß zurücklegen können, doch es hatte wieder leicht zu regnen begonnen, und mit ihren hochhackigen Schuhen wollte sie sich den Weg im Nassen nicht unnötig antun.
Von der Seckbacher Landstraße aus waren es bloß noch dreihundert Meter Fußweg, die sie in knapp vier Minuten zurücklegte. Es war gerade einmal zehn Minuten nach zwei nachmittags, sie hätte also noch mindestens zwei Stunden Zeit, ehe sie mit Jan rechnen musste. Und diese Zeit wollte sie in Ruhe mit sich allein verbringen.
So lieb Jan auch war, so anstrengend war es, ihn ständig verführen zu müssen, um ihn bei Laune zu halten. Nichts war gefährlicher als ein Mann, der die falschen Fragen stellte. Und Jan hatte die Angewohnheit, beinah alles von ihr wissen zu wollen. Zwar hatte sie für die meisten Fragen sorgfältig ausgearbeitete Antworten, doch bei Intimpartnern konnte es eben immer wieder vorkommen, dass Fragen auftauchten, auf die man sie nicht zuvor gebrieft hatte. Und was sollte sie dann antworten?