Kitabı oku: «VIRUS – Im Fadenkreuz», sayfa 3
Karben
Die Hausarbeit war getan, und Jan saß nun endlich mit einer Savinelli 320 KS auf dem Balkon im ersten Stock, wo er sein Raucherzimmer eingerichtet hatte. Der S.V.H. von DTM war eine seiner liebsten Mischungen und glimmte bedächtig in der Pfeife, wobei sich ein äußerst angenehmer Geruch ausbreitete, den Jan so sehr liebte. Normalerweise hätte er sich jetzt drinnen, beim Rauchen, einen schönen Film angesehen. Doch dank Natascha war heute alles anders.
Gegen fünfzehn Uhr würde er sich fertigmachen und gemütlich nach Frankfurt fahren, wobei er zuvor Hanna einen Besuch abstatten wollte, um – wie versprochen – Döner und Lahmacun zu besorgen.
Was sie wohl heute vorhat, fragte sich Jan, dem Natascha noch immer viele Rätsel aufgab. Sie war wunderschön – nahezu perfekt. Und eben dies gab ihm immer wieder zu denken. Nicht, dass er nicht auch früher Chancen bei anderen Frauen gehabt hätte. Die hatte er, hatte sie aber immer links liegenlassen, da er mit seiner Jugendliebe glücklich zusammen und später glücklich verheiratet gewesen war.
Doch Natascha?
Seiner Meinung nach spielte sie in einer völlig anderen Liga. Dass ein Otto Normalbürger wie er mit einer Frau wie Natascha ins Bett ging, ohne dafür bezahlen zu müssen, erschien ihm zunehmend genauso wenig möglich wie eine sexuelle Beziehung einer Frau wie Jessica Alba mit einem Typen wie Steve Buscemi. Diese Vorstellung war einfach nur absurd!
Je länger Jan Pfeife rauchend darüber nachdachte, umso mehr hatte er das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmen konnte.
Bloß: Was?
Nachdem sie am Samstag stundenlang gevögelt hatten, als gebe es kein morgen mehr, hatte er, während Natascha kurz duschte, sein Portemonnaie überprüft. Es hatte nichts gefehlt. Geld und Kreditkarte waren noch da. Auch danach hatte sie nie Geld von ihm verlangt. Die Bestellungen mit dem Essen an Samstag und Sonntag hatte sie über Handy vorgenommen und direkt online bezahlt. Selbst das gemeinsame Essen am Freitagabend, beim Griechen – jeder hatte seine eigene Zeche bezahlt.
Auf sein Geld konnte sie es folglich nicht abgesehen haben. Zudem hatte er zwar ein Haus, war finanziell jedoch trotz allem keine gute Partie. Seine Arbeit warf nicht genug ab, um davon reich werden zu können. Auf seinem Girokonto waren keine zehntausend Euro, und seine Sparbücher würden erst in ein paar Jahren ausgezahlt werden. Viel war bei ihm wirklich nicht zu holen.
Wieso also interessiert sich so eine heiße Schnitte wie Natascha für einen Loser wie mich, fragte Jan sich wieder und wieder. Mit seinem Bauch, seinen nicht unbedingt schönen Beinen und seinem grau werdenden, blonden Haar war er alles andere als ein Adonis, und so einer würde wesentlich besser zu Natascha passen.
Vorhin hatte er spaßeshalber im Internet nach Natascha Papst – so hatte sie sich ihm in der S-Bahn vorgestellt – gesucht und nichts gefunden. Auch das wunderte ihn sehr, da Social Media Plattformen wie facebook, LinkedIn und Instagram heute praktisch zum guten Ton gehörten, und insbesondere Leute im Alter von Natascha waren dort praktisch omnipräsent. Doch zu seiner Natascha gab es absolut nichts. Gut, überlegte er, vielleicht machte sie sich nichts daraus, ihr Leben jedem öffentlich zugänglich zu machen. Doch selbst seine Eltern waren in facebook mit ihren Freunden und Verwandten vernetzt.
Fragen über Fragen, und Jan hoffte inständig, dass Natascha sie ihm möglichst bald beantworten konnte. Was auch immer das Geheimnis hinter dieser blonden Schönheit war, nichts konnte so schlimm sein, dass sie es ihm nicht sagen könnte.
Frankfurt

Die SMS von Odysseus war knapp und in Großbuchstaben geschrieben – wie immer.
Morgen geht es also endlich los, dachte sich Natascha. Dann sollte sie erfahren, was eigentlich ihr Auftrag war, und was Jan dabei für eine Rolle spielte.
Laut Andromeda war er wirklich bloß ein Zivilist, den Natascha schließlich selbst ausgewählt hatte. Ihre Wahl war auf ihn gefallen, weil sie in Frankfurt niemand anderes hatte entdecken können, der auch nur halbwegs den Vorgaben aus Berlin entsprochen hätte. Es sollte ein Mann zwischen dreißig und sechzig Jahren sein, unverheiratet, harmlos und unauffällig aussehend, um kein Aufsehen zu erregen. Jan war leider der einzige halbwegs normale Mann gewesen, an dessen Hand sie keinerlei Ehering hatte entdecken können. Nun musste sie es also durchziehen …
Jan erschien pünktlich um siebzehn Uhr an ihrer Tür. Natascha öffnete ihm, küsste ihn zur Begrüßung und freute sich riesig über den Döner Kebab, den er ihr mitgebracht hatte.
Jan hingegen überlegte bei jeder ihrer Regungen, ob sich etwas dahinter verbarg.
War sie ehrlich zu ihm?
Spielte sie nur mit ihm?
Sollte es bloß ein Spiel sein, so überlegte er, werde ich alles tun, um in der Kürze der Zeit mitzunehmen, was nur geht. Wie sagte schon Michael Douglas in Basic Instinct über Sharon Stone? ›Sie ist der Fick des Jahrhunderts‹. Dieser Gedanke überkam Jan, während er sein Wohnzimmer saugte, und eben deshalb hatte er auch mehr und mehr das Gefühl, dass mit Natascha vielleicht irgendetwas nicht stimmte. Er erwartete förmlich, dass plötzlich eine ihrer Ex-Gespielinnen auftauchte, die er vielleicht eines Tages – wissentlich oder unwissentlich – vor den Kopf gestoßen hatte, und die es ihm oder ihr heimzahlen wollte.
»Wie war dein Tag?«, fragte Natascha und riss ihn aus seinen Gedanken.
»Danke, gut. Hausputz und so. Und bei dir?«
»Meeting mit einer Kollegin. Nichts Weltbewegendes. Ein ganz normaler Arbeitstag, könnte man sagen.« Natascha packte den Döner und Jans Lahmacun auf je einen Teller und richtete alles auf ihrem kleinen Esstisch an. »Möchtest du ein Bier?«
»Leitungswasser reicht, danke.«
»Vielleicht einen Wein?«
»Mach dir bitte keine Umstände.«
»Jan, Süßer, wenn es um dich geht, sind es für mich keine Umstände«, entgegnete sie und lächelte ihn zuckersüß an.
»Darf ich dich was fragen?«
Natascha hatte es bereits befürchtet, doch es ließ sich offenbar nicht verhindern. Daher antwortete sie: »Du darfst mich alles fragen.«
»Wieso gibt es hier nirgends private Fotos von dir? Ihr Frauen könnt doch sonst nie ohne Fotos von euren Familien, Freunden oder Tieren. Hier, in deiner Wohnung, sehe ich kein einziges Foto. Von nichts und niemandem.«
Es ist ihm also aufgefallen, überlegte sie und versuchte, ihre Erschrockenheit zu verbergen. Da sie jedoch mit dieser Frage gerechnet hatte, hatte sie sich bereits eine Antwort zurechtgelegt: »Die sind noch bei meinem Ex – und viele meiner Bücher ebenfalls.«
»Bei deinem Ex?«, fragte Jan überrascht. Zwar hatte er ihr von Steffi erzählt, sie jedoch hatte nie etwas von einer früheren Beziehung erwähnt.
»Ja, ziemlich dumm, oder?«
»Bekommst du deine Sachen irgendwann zurück?« Beinah hätte er noch gefragt: ›Soll ich dir dabei vielleicht helfen?‹, doch das hatte er sich gerade noch rechtzeitig verkneifen können.
»Erinnerst du dich noch, weshalb ich dich auserwählt hatte?«
»Ja«, antwortete Jan und blickte sie fragend an.
»Mein Ex ist das glatte Gegenteil von dir: Groß, dunkel, gutaussehend, …«
»Bitte, Natascha, nicht zu viel des Lobes … gutaussehend … ich danke für die Blumen!«
»So war das nicht gemeint, Jan. Ehrlich.« Sie ging kurz um den Tisch zu ihm herum und küsste ihn zärtlich auf die Lippen. »Komm, setz dich«, bat sie und ging zurück auf ihren Platz. »Er war einfach jünger und ein gänzlich anderer Typ als du. Vor allem stand er auf heiße Wagen und heiße Tussis, die das Wort ›nein‹ nicht kennen. Ich war es einfach leid, dass er sein Geschoss ständig in anderen Carports oder gar Hinterhöfen geparkt hat.«
»Und da dachtest du, du suchst dir einen melancholisch aus dem Fenster guckenden Mittvierziger, der sein Geschoss zuverlässig nur in deiner Garage und deinem Hinterhof parkt, statt es woanders unterzubringen.«
»Du hast es erfasst«, antwortete sie und zwinkerte ihm zu. »Oder sollte ich mich in dir getäuscht haben?«
»Deine Garage ist toll …«
»Wie wäre es mit einer Spritztour?«, gurrte sie.
»Dann wird das Essen kalt«, antwortete Jan und schnitt sich ein Stück von seinem Lahmacun ab.
Natascha lachte und sagte: »Das ist mir noch nie passiert …«
»Eine rein rationale Überlegung: Ich laufe dir nicht fort, doch das Essen wird kalt.« Jan stopfte sich das Stück türkische Pizza in den Mund und schmunzelte sie an.
»Na, warte!«
Kapitel 2
Frankfurt Airport
Dienstag, 8. Oktober 2019
Natascha wartete bereits seit einer guten Viertelstunde am Frankfurter Rhein-Main-Flughafen auf die Landung von Schmitt, der sie mit weiteren Informationen, ihren brisanten Auftrag betreffend, versorgen sollte. Es waren noch gute fünf Minuten bis zur planmäßigen Landung und sie stand dort, wo die Passagiere in der Halle A ankommen sollten.
Beinah acht Minuten später entdeckte sie ihn.
Mit ihm und Odysseus hatte sie damals über ihren Auftrag sprechen müssen. Beide Männer hatten sie gemeinsam instruiert, wobei jedoch kaum etwas Wichtiges erwähnt worden war. Sie hatten ihr lediglich von Phase eins berichtet, in der sie als Venusfalle nach einem geeigneten männlichen Zivilisten schauen und ihn sich gefügig machen sollte.
Diesen Teil hatte sie erfüllt, wenn auch nicht ganz so erfolgreich, wie zunächst angenommen. Jan Wagner lag ihr zwar zu Füßen, doch er war alles andere als ein schwanzgesteuerter Homo Sapiens, der für ein paar pralle Tittchen und einen knackigen Arsch alles stehen und fallen lassen würde. Doch Odysseus hatte dazu nichts Weiteres geschrieben.
»Guten Morgen«, sagte Schmitt knapp. »Wo können wir reden?« Auch heute trug er seinen gewohnten, anthrazitfarbenen Anzug mit Nadelstreifen und schwarzer Krawatte.
Noch unauffälliger ging es wohl nicht, dachte Natascha, und sagte: »Guten Morgen. Ich habe uns für 12:15 Uhr einen kleinen Raum im Airport Conference Center gebucht.«
Nachdem sie in ihrem Besprechungsraum platzgenommen hatten, öffnete Schmitt seinen kleinen Aktenkoffer, den er bei sich trug, und förderte eine Akte sowie zwei kleine, nahezu identisch aussehende Pappschachteln hervor und legte sie vor sich auf den Tisch. Die Akte schob er Natascha rüber und sagte: »Die Akte ›Wagner‹«.
»Andromeda hat mir bereits alles erzählt.«
»Werfen Sie bitte trotzdem einen Blick hinein. Wir haben ein paar Punkte ergänzt. Vielleicht haben Sie noch weitere Informationen? Besonders im Bett sind Männer oftmals sehr gesprächig.«
Natascha tat, wie ihr geheißen, und überflog die Akte. »Er hat die Lebensversicherung seiner Frau ausbezahlt bekommen?«
»Ja. Hundertfünfzigtausend Euro. Die gleiche Summe war auch auf seinen Namen ausgestellt mit ihr als Begünstigten. Das ist nicht ungewöhnlich, das machen viele. Allerdings normalerweise in der Höhe der Gesamthypothek für das Eigenheim, um sich gegenseitig abzusichern. Doch es scheint, die monatlichen Beiträge waren den Wagners damals zu hoch gewesen.«
»Stimmt. Er hatte mir gegenüber erwähnt, dass er eine Zeit lang finanziell recht schlecht gestellt war und sogar seinen Vectra verkaufen musste. Seither fährt er seinen alten Opel Kadett, der hauptsächlich durch den Rost zusammengehalten wird.«
»Er ist ansonsten schuldenfrei, hat nur die Hypothek, die er stets pünktlich abbuchen lässt. Auch sonst gibt es absolut null Auffälligkeiten. Den haben Sie wirklich sehr gut ausgewählt.«
»Danke.«
»Wie ist er im Bett?«
»Muss ich darauf antworten?«
»Nein.«
»Ich komme auf meine Kosten – was ich, ehrlich gesagt, nicht erwartet hätte.«
»Das freut mich zu hören.«
»Ach, tatsächlich?«
»Nein.« Schmitt öffnete indes die beiden Schachteln, die vor ihm lagen.
»Was ist eigentlich mein ach so wichtiger Auftrag? Einen Zivilisten bumsen, dafür braucht es keine Agentin wie mich. Was genau habe ich also zu tun?«
»Sie werden von mir einen USB-Stick erhalten, der als Anhänger an einer silbernen Kette hängt und wie ein Obsidian mit silberner Fassung aussieht. Dieser USB-Stick soll von Ihnen auf dem Landweg nach Berlin gebracht werden. Nehmen Sie einen Wagen und lassen Sie sich Zeit! Planen Sie mindestens drei Übernachtungen ein. Überzeugen Sie ihren neuen Lover, dass er sie begleiten soll. Wie Sie das anstellen, spielt keine Rolle.«
»Das sollte zu schaffen sein.«
»Sie müssen es schaffen! Anderenfalls suchen Sie sich ein neues Opfer, doch es pressiert! Wir sind kein Karnevalsverein, bei uns geht es um die nationale Sicherheit. Das sollten Sie nie vergessen!«
»Ich werde es schaffen!«
Schmitt griff in eine der beiden nahezu identisch aussehenden Schachteln und zeigte Natascha die Kette mit dem USB-Stick.
»Die ist wunderschön«, sagte sie, während sie den Stick genauer betrachtete. »Was ist auf dem Stick gespeichert?«
»Das werde ich Ihnen gleich erklären. Sie werden Ihrem Lover jedenfalls sagen, dass auf diesem Stick brandheiße Informationen seien, die Ihnen ein Whistleblower aus China zugesteckt habe, mit der Bitte, diese in Berlin über die Medien publikmachen zu lassen. Man habe dort ein neues Virus gezüchtet, gegen das das SARS-Virus der Epidemie von 2003 nicht mehr als ein leichter Schnupfen sei. Damals waren weltweit fünfundzwanzig Länder betroffen, darunter auch die Bundesrepublik Deutschland! Es gab weltweit mehr als achttausend Infizierte und über siebenhundert Tote, vor allem in China, Taiwan, Singapur und Kanada. Auch in Frankreich gab es mindestens einen Toten. Zum Glück hatte die Bundesrepublik keine Todesopfer zu beklagen. Weisen Sie daher auf die Brisanz des Materials hin, und dass es wichtig sei, die Informationen über die Bundeshauptstadt verbreiten zu lassen – dies habe sehr viel mehr Gewicht.«
»Okay.«
»Sie werden stets von mindestens einem unserer Teams ständig überwacht werden. Zwei weitere Teams werden sich im Hintergrund halten und etwaige Verfolger unter die Lupe nehmen.«
»Die Daten sind also eine Finte? Es gibt kein tödliches Virus aus China?«
»Die Daten sind der Köder für die Bestie, wenn Sie so wollen. Wir werden verbreiten lassen, dass die erwähnten Informationen auf dem Weg nach Berlin seien. Die Route gebe ich Ihnen später vor. Dann werden wir sehen, welche Regierungen sich darauf stürzen werden.«
»Ich verstehe die grundsätzliche Idee, die dahintersteckt. Doch weshalb sollte sich eine fremde Regierung für solche Daten interessieren? Es geht doch schließlich nicht um Proben des Virus‘ selbst. Mit den Daten, Informationen, Beweisen kann doch an sich niemand etwas anfangen.«
»Wissen ist Macht, Frau Kollegin! Wer von dem Virus weiß, der weiß auch um die Möglichkeiten, die dieses bietet. Eine Regierung oder auch eine terroristische Gruppe könnte zum Beispiel auf die Idee kommen, dieses Virus erwerben zu wollen. Und wir wüssten dann, welche Länder oder Gruppen sich für diese biologische Waffe interessieren. Es geht also beinah um Politik.«
»Ein gefährliches Spiel!«
»Sie haben sich diesen Beruf ausgesucht.«
»Wieso der Zivilist?« Natascha blickte Schmitt fragend an.
»Sollte etwas schiefgehen und der Name des Zivilisten bekannt werden – und das wird er, verlassen Sie sich drauf! –, so wird niemand etwas Anderes über ihn finden als wir selbst: Nämlich nichts! Jan Wagner ist ein absolut unbeschriebenes Blatt. Niemand würde bei ihm je darauf kommen, dass wir hinter all dem stecken.«
»Und ich?«
»Sie sind Profi! Sie wissen, was im Zweifelsfall zu tun ist. Ihre Ausweispapiere sind echt, eine mögliche Suche führt ins Nirgendwo. Sollten Sie gefangen werden …«
»Ja, ich weiß. Doch was ist mit Jan? Was, wenn er gefangen werden sollte?«
»Dann haben Agenten einer anderen Regierung – oder meinetwegen auch Mitglieder einer terroristischen Gruppe – einen unbescholtenen deutschen Staatsbürger in ihrer Gewalt. Wir sind fein raus, und die anderen sind die Bösen.«
»Ich verstehe.«
»Nein, Frau Kollegin, das tun Sie nicht. Noch nicht, zumindest …«
Karben
Auch heute hatte Natascha wieder zu arbeiten, und Jan hatte die Zeit genutzt, um seinen alten Opel in der Werkstatt überholen zu lassen. Gegen Mittag sollte sein Wagen fertig werden, weshalb er seinen Eltern einen Besuch abgestattet hatte. Von Natascha hatte er vorsichtshalber nichts erwähnt; es gab noch zu viele offene Fragen, denen Natascha entweder geschickt ausgewichen war, oder die sie nur ausweichend beantworten wollte.
Eben hatte er den Wagen abgeholt, in die Garage gestellt und sich vor den Fernseher gesetzt, als die Nachrichten liefen. Die meisten Meldungen waren für Jan eher uninteressant, weswegen er sich wieder eine Pfeife stopfte.
Doch dann kam eine Meldung, die ihn aufhorchen ließ: Es war von einem Whistleblower die Rede, der streng geheime Informationen über ein neues, tödliches Virus aus China in seinen Besitz gebracht habe. Dem Bericht folgten Bilder von 2003 und Diagramme, die den damaligen Verlauf der SARS-Pandemie aufzeigten. Jan konnte sich noch ganz grob daran erinnern, allerdings wusste er nur, dass es in Europa damals wohl vor allem Frankreich getroffen haben sollte.
Anschließend folgte der Wetterbericht, und Jan bekam bestätigt, dass das kommende Wochenende vielleicht doch recht schön werden könnte. Er würde auf jeden Fall für ein paar Tage wegfahren und Natascha später fragen ob sie mitkommen möchte. Spontan und ohne Reservierung in sein Auto zu steigen und loszufahren war zwar in gewisser Weise riskant, doch andererseits, dachte er, war nun ohnehin Nebensaison, und da sollte es doch wohl möglich sein, auch ohne Vorabreservierung in einer Pension oder auf einem Bauernhof abzusteigen.
Jan hatte zwar eben noch eine Pfeife gestopft, doch er merkte, dass er jetzt nicht mehr groß zum Rauchen kommen würde. So räumte er sie wieder aus, packte alles zurück an seinen Platz im Pfeifenschrank und überlegte, welche Route er am besten nehmen sollte.
Er dachte darüber nach, bereits am Freitag loszufahren. Ab Samstag sollte das Wetter wieder schön werden, und er wollte in seinem Urlaub jeden möglichen Tag im Freien verbringen können. Die Hinfahrt im möglichen Regen störte ihn hingegen weniger, da er so oder so nicht länger als vielleicht drei oder vier Stunden am Stück fahren wollte.
Von Karben in den Schwarzwald, weiter ins Allgäu und über Uffing nach Bad Tölz und zurück nach Hause. Die Route war bequem zu schaffen, und ab dem Schwarzwald wollte er zudem Autobahnen vermeiden und stattdessen über Bundes-, Landes- und Kreisstraßen fahren. Sein Kadett fuhr zwar immer noch sehr zuverlässig, doch er war eben alles andere als ein geeignetes Autobahnfahrzeug.
Frankfurt
Natascha hatte noch mehr als eine Stunde lang mit Schmitt zusammengesessen und mit ihm sämtliche Einzelheiten bis ins kleinste Detail besprochen.
Ihre Mission leuchtete ihr inzwischen ein, auch wenn sie selbst vielleicht andere Mittel und Wege gewählt hätte. Mit Jan Wagner hatte sie es definitiv schlimmer treffen können, allerdings störte es sie schon, dass man mit ihm einen Zivilisten miteinbeziehen mochte. Nicht nur, dass er schnell zu einem Opfer in einem Krieg werden könnte, von dem er nichts wusste und den er auch nicht verstehen würde – sie arbeitete generell lieber mit Profis zusammen, die im Zweifelsfall auf sich selbst achtgeben konnten.
Für ihren Auftrag stand ihr keinerlei Waffe zur Verfügung, da diese – in Verbindung mit dem notwendigen Waffenschein – ihre Tarnung gefährdet hätte. Zwar würde sie unterwegs immer mit ihren Leuten in Kontakt treten können, doch im Ernstfall standen ihr zur Selbstverteidigung lediglich ihre Nahkampfkünste zur Verfügung. Und niemand konnte bisher sagen, wie sich Jan Wagner in einer Krisensituation verhalten würde.
Fest stand, dass er und sie als Köder dienen würden. Man rechnete ganz fest damit, dass sich ihre Gegner bald schon an ihre Fersen heften würden. Ihre eigenen Leute würden diese dann zumindest erfassen und gegebenenfalls ausschalten. So der Plan. Der USB-Stick würde dann früher oder später in Berlin ankommen. Bliebe nur noch die Frage, wer ihn überbrachte. Jan Wagner oder sie selbst.
Zuhause angekommen, richtete sie bereits alles wieder für Jan ein, der mit Sicherheit gegen siebzehn Uhr eintreffen würde. Irgendwie musste sie ihm schmackhaft machen, mit ihr für ein paar Tage nach Berlin zu fahren. Da sie angeblich an der Uni arbeitete, würde es Sinn machen, am Freitag oder Samstag loszufahren. Dann hätten Odysseus und Schmitt zudem ausreichend Gelegenheit, alles für einen möglichst reibungslosen Ablauf vorzubereiten.
Kurz nach fünf klingelte es, und Jan stand vor der Tür.
Auch heute trug der Mittvierziger ein Poloshirt, das ihm – nach Nataschas Meinung – so gar nicht stand. Wieso trägt er nie enganliegende Hemden, sinnierte sie, und bemerke erst jetzt, wie sehr sich der Stoff der kurzen Ärmel über Jans Bizeps spannte. Ohne Bauch, führte sie ihren Gedanken fort, wäre er eigentlich ganz attraktiv. Denn dass er über ein gewisses Maß an Muskeln verfügte, davon hatte sie sich in den vergangenen Tagen selbst überzeugen können. Insbesondere Schulter, Arme und Rücken schienen bei ihm sehr gut trainiert zu sein. Ein wenig gezieltes Beintraining, den Speck am Bauch weg, und Jan würde mit Sicherheit um einige Jahre jünger wirken.
»Sag mal, Schatz«, säuselte sie ihm ins Ohr. »Woher hast du eigentlich deine Muskeln?«
»Ich war früher im Judo.«
»Ehrlich? Ich auch! Bis zu meinem Umzug nach Frankfurt war ich jede Woche zweimal trainieren. Seit meinem zwanzigsten Geburtstag habe ich den schwarzen Gürtel – den ersten Dan.«
»Erster Dan? Hut ab! Ich war nur als Jugendlicher im Judo und habe mit zwanzig aufhören müssen. Berufliche Ausbildung und so, da war keine Zeit mehr für Sport. Bei mir hat es nur zum zweiten Kyu gereicht. Bin über den blauen Gürtel nie hinausgekommen.«
»Erzähl mir doch nichts, Jan«, antwortete Natascha und beobachtete den Bizeps, der durch den eng ansitzenden Ärmel beinah wie abgeschnürt wirkte. »Die Muskeln sind doch nicht von einem Sport, den du vor fünfundzwanzig Jahren aufgegeben hast.«
»Doch, im Großen und Ganzen schon.«
»Aha!«, feixte sie. »Also doch nicht aus den neunziger Jahren.«
»Ich war eine Zeit lang im Fitnessstudio; hauptsächlich, um mich nach Steffis Tod vor drei Jahren abzulenken und zumindest ein bisschen was für meine Gesundheit zu tun. Und zuhause trainiere ich gelegentlich auch heute noch Liegestützen und arbeite mit zwei 10-kg-Kurzhanteln.«
»Wieso joggst du nicht einfach? Deinem Bauch täte das mal ganz gut – Ausdauertraining ist gut für die Fettverbrennung.«
»Meine Knie sind kaputt. Wandern, Walking, Marschieren – all das stellt kein Problem für mich dar. Doch beim Jogging würden die Knie zu sehr belastet, daher hatte mein Arzt mir davon abgeraten.«
»Ich jogge normalerweise jeden Abend ein bisschen; naja, zumindest, bis ich dich kennengelernt hatte. Jetzt fehlt auch mir die Zeit dafür.« Mit diesen Worten schmachtete sie ihn beinah an. Sie wusste, dass sie ihn für die Fahrt nach Berlin begeistern musste und warf alles in die Waagschale, was sie an Anreizen zu bieten hatte.
Jan hingegen beobachtete sie, so unauffällig es ihm möglich war, ehe er sagte: »Hättest du Lust, mit mir für ein paar Tage wegzufahren?«
Natascha, die seit ihrer Kindheit nicht an Gott glaubte, dachte in diesem Moment trotz allem ›O mein Gott, es gibt dich wirklich!?‹ und sprang Jan freudestrahlend in die Arme.
Dieser war von ihrer Reaktion völlig überrascht und wäre mit ihr beinah rückwärts umgekippt, so viel Schwung hatte sie eben gehabt.
»Ich hatte dich eben schon fragen wollen, ob du nicht mit mir für ein paar Tage nach Berlin fahren möchtest.« Dabei griff sie sein stoppeliges Gesicht mit beiden Händen und bedeckte es mit stürmischen Küssen.
Nachdem die Küsserei aufgehört hatte, fragte Jan: »Berlin? Wieso nach Berlin?«
»Ich habe heute an der Uni einen Virologen aus China kennengelernt, der hat mir das hier geschenkt …« Sie zeigte Jan ihre neue Silberkette mit dem schwarzen Anhänger.
»Hübscher Stein. Doch was hat das mit Berlin zu tun?«
»Er meinte zu mir, er habe auf einem USB-Stick wichtige Informationen über einen in China entwickelten Super-Virus gespeichert. Und dieser USB-Stick ist hier, in diesem Anhänger, versteckt. Ich soll ihn nach Berlin bringen und möglichst öffentliche Verkehrsmittel vermeiden. Er meinte, die Daten seien zu brisant und Flugzeug und Bahn unter Umständen zu anfällig für Störungen von außen.«
»Moment«, sagte Jan und setzte sich auf Nataschas weiße Couch. »Du sollst einen USB-Stick nach Berlin bringen, auf dem Top-Secret-Informationen über ein tödliches Virus gespeichert sind. Verstehe ich das richtig?«
»Ja! Ist das nicht ungemein spannend?«, jauchzte Natascha und schien kaum noch zu bremsen.
»Auf dem Landweg, nicht per Bahn oder Flugzeug, weil dein Chinese befürchtet, jemand könnte diese von außen her … sabotieren?«
Natascha blickte ihn plötzlich fragend an. Mit solchen Gedanken hatte sie von Jans Seite her nicht gerechnet.
»Ein USB-Stick, nach dem sich Regierungen und Terroristen vermutlich die Finger lecken würden? Informationen, für die chinesische Agenten vielleicht gar töten würden, damit sie nicht in falsche Hände gelangen?«
»Wenn du es so betrachtest …«, setzte Natascha an.
Doch Jan unterbrach sie: »Hast du eine Idee, in welche Gefahr du dich vielleicht gebracht hast?« Noch während er sie dies fragte, fiel ihm auf einmal die Nachrichtensendung ein, die er vorhin gesehen hatte. »Schalt bitte schnell den Fernseher ein.«
»Wieso?«, fragte sie und suchte die Fernbedienung.
»Da lief vorhin etwas in den Nachrichten, etwas über ein neues Supervirus aus China, verglichen mit einer Pandemie von 2003.«
»Ehrlich?« Nataschas Reaktion war diesmal nicht gespielt. Mit einer derart schnellen Information der Medien hatte sie nicht gerechnet. Oder war es vielleicht bloß reiner Zufall? Sie zappte durch die Programme und fand schließlich einen privaten, reinen Nachrichtensender. Es dauert nicht lang, als die von Jan erwähnte Reportage folgte.
Jan und Natascha saßen beide vor dem Fernseher auf der weißen Couch und verfolgten die Reportage. Erneut wurde über das neue Super-Virus aus China berichtet, und dass ein Whistleblower mit brisanten Daten nach Deutschland gekommen sei. Es folgten Datenblätter von 2002/2003 mit Zahlen zu Infizierten, Genesenen und Toten weltweit und der Bundesrepublik im Speziellen. Ferner wurde behauptet, dass noch niemand wisse, wer der Whistleblower sei. Einige behaupteten sogar, es sei möglicherweise ein schlechter Scherz.
Doch Jan wusste sofort, dass damit nur Nataschas Whistleblower gemeint sein konnte.
Sie saß noch immer neben ihm, hatte inzwischen seine Hand ergriffen und konnte nicht glauben, dass Odysseus solch einen Druck ausübte. Heute war erst Dienstag, und vor dem Wochenende würden sie vermutlich nicht nach Berlin fahren können. Das bedeutete, dass ein möglicher Zwischenfall schon in Frankfurt eintreten konnte.
Jan und sie befanden sich vielleicht schon jetzt in großer Gefahr!
Unterwegs wären sie in Bewegung, doch hier, in Frankfurt, waren sie die perfekten Zielscheiben.
»Na, super!«, sagte Jan schließlich und stand auf. »Die ganze Welt weiß jetzt von den Informationen über das Super-Virus, und ausgerechnet du trägst sie um deinen Hals.«
Natascha stand ebenfalls auf und schlang ihre beiden Arme um Jans Hals, ehe sie sagte: »Wir werden es schon schaffen. Niemand weiß, dass ich die Daten auf einem USB-Stick habe. Lass uns nach Berlin fahren, ganz gemütlich – über Seitenstraßen, weitab von der Hauptroute. Jeder wird nach einem Chinesen suchen, der die Daten an den Mann bringen möchte. Wer verdächtigt da schon ein verliebtes Pärchen in einem uralten Opel?«
»Du hast wohl noch nie Agentenfilme gesehen?« Jan war alles andere als begeistert von dieser Idee und ließ es sich auch unüberhörbar anmerken.
»Wieso?«
»Na, auch wenn vieles nur Fiktion sein mag, so sind die Spionagesatelliten dennoch real. Und wer weiß, ob die diversen Geheimdienste nicht schon längst überprüft haben, wer die Daten aus China nach Deutschland geschmuggelt haben könnte? Wer wird denn an solche Daten kommen? Virologen? Labortechniker? Und wo könnte so einer in Deutschland Gehör finden? Beim Militär? Beim Bundesnachrichtendienst? Oder vielleicht doch eher an einer Uniklinik, wo es andere Virologen und Labortechniker gibt? Wie schnell wird sie dann am Ende der Weg zu dir führen? Hast du darüber mal nachgedacht?«
Natascha war verblüfft, wie schnell Jan reagierte und mögliche Szenarien entwarf. Nachdenklich betrachtete sie ihren Bären und überlegte, wie sie ihn doch noch von der Fahrt nach Berlin überzeugen konnte.
»Ich hatte dich eigentlich in den Schwarzwald und nach Bayern entführen wollen. Romantische Bauerhöfe, Natur, leckeres Essen …«
»Romantisch? Ach, du bist süß …«, säuselte sie und drückte ihm einen Kuss auf die Lippen. »Geheimagenten, eine Mission in die Bundeshauptstadt … das klingt doch auch nach einem romantischen Abenteuer. Findest du nicht?«
»Ein etwas zu gefährliches Abenteuer, fürchte ich.«
»Mit meinem starken Mann an meiner Seite, fürchte ich nichts und niemanden!« Bei diesen Worten verschränkte sie ihre Hände hinter seinem Nacken und ließ ihren Oberkörper nach hinten fallen, um ihm sinnlich in die Augen zu blicken. »Verträumte Landstraßen, mein Geheimagent und ich, immer die Gefahr im Nacken. Klingt das nicht verführerisch?«
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.