Kitabı oku: «BEUTEZEIT – Manche Legenden sind wahr», sayfa 4
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Nachdem ihr Gepäck in einem der Lastwagen verstaut worden war, gesellte sich Jules für das Briefing zu den anderen am Rand des Parkplatzes. Der Sergeant in grüner Uniform wartete, bis die Gruppe sich niedergelassen hatte.
»Guten Morgen miteinander. Mein Name ist Sergeant Taine McKenna«, begann er, und seine feste, vertrauensvoll wirkende Stimme erinnerte Jules an einen bekannten Nachrichtensprecher. »Ich wurde mit der Leitung der Armeeeskorte betraut, die Sie in den Urewera-Urwald begleiten wird. Wie es aussieht, lässt der Leiter der Spezialeinheit noch auf sich warten, weshalb ich einfacherweise mit einer kleinen logistischen Einweisung beginnen möchte. Wir werden um 0800 aufbrechen und unsere Armeefahrzeuge werden uns bis an den Ausgangspunkt des Wanderweges bringen. Dafür werden …« Er pausierte, als der Mann, der sich kurz vorher noch einmal von der Gruppe entfernt hatte, wieder zu ihnen stieß. Keuchend hob der Mann entschuldigend seinen Kaffeebecher und nickte dem Sergeant zu.
Ein letzter Kaffee.
Verdammt, so einen hätte Jules auch gebrauchen können. Das hätte vielleicht ihre Nerven ein wenig beruhigt. Andererseits hatte sie sich in der Zeit mit Louise angefreundet. Und die Technikerin war es wert gewesen. Genau die richtige Art von Zeltpartnerin, um die Woche im Hinterland zu überstehen.
»Dafür werden wir etwa zwei Stunden Fahrt benötigen«, sagte McKenna, »und dann einen halben Tag, um die Hütte der Naturschutzbehörde zu erreichen, wo wir unsere erste Nacht verbringen werden. Es wird einen zweiten Tag dauern, um zu dem ungefähren Fundort der Goldnuggets zu gelangen, und dort werden Dr. de Haas und Dr. Asher dann mit ihren Untersuchungen beginnen.« Er nickte Jules zu und fixierte sie mit seinen stahlblauen Augen. Verlegen, persönlich angesprochen worden zu sein, senkte Jules ihren Blick und musterte ihre Stiefel.
Der Sergeant fuhr fort. »Als Nächstes möchte ich Ihnen meine Einheit vorstellen. Da hätten wir Corporal Jackson Liu, der auf den Spitznamen Coolie hört, die Privates Trevor ›Trigger‹ Grierson, Adrian Eriksen und Eddie ›Lefty‹ Wright, Jugraj Singh, unseren Sanitätsoffizier, Anaru Winters, Kommunikation …« Während McKenna die einzelnen Namen aufrief, nahmen die Männer Haltung an und rührten sich, wenn der nächste Soldat in der Reihe benannt wurde. Die letzten beiden Männer des Teams waren kaum ihrer Schuluniform entwachsen – Matt Read und Hamish Miller. Wahrscheinlich ihr allererster Einsatz, Reads Gesicht nach zu urteilen. Der erhitzt wirkende Soldat schien seine Aufregung kaum verbergen zu können.
»Und schließlich unser ortskundiger Führer, Nathan Kerei.«
Kerei, der auf einem Poller saß, paffte eine Zigarette und blies blauen Rauch in die Luft über seinen Kopf. Er bedachte die Gruppe mit einem Kopfnicken.
McKenna wollte gerade fortfahren, als de Haas vorwärts stürmte. Jules bemerkte, dass er sich absichtlich vor McKenna stellte, wobei er damit nur den Unterschied ihrer Körpergrößen unterstrich, überragte der Sergeant den Geologen doch um gut zwei Köpfe.
»Ich übernehme von hier, Corporal«, unterbrach ihn de Haas. Dann wedelte er mit der Hand nach ihm, als wäre er ein Vorschullehrer, der seine Schüler in die Pause schickte.
Der Sergeant ließ es unkommentiert, aber Jules bemerkte das leichte Zucken in seinem Kiefer. Er trat einen Schritt zurück, zu seinen Männern.
»Dr. Christian de Haas. Ich werde der Leiter dieser Spezialeinheit während dieser Expedition sein. Die Ureweras waren bislang nur von geringem Interesse, was die Erkundung von Bodenschätzen anbelangt, aber neueste Information haben das geändert. Die Regierung hat diese Gruppe zusammengestellt, um das Potenzial der Fundstelle zu bewerten. Wir sind hier, um die goldene Gans zu finden.«
Der Nachzügler hob seinen Kaffeebecher. »Dr. de Haas?«
»Ja, ähm …?«
»Ben Fogarty, Ingenieur, Australian Minerals. Nichts für ungut, aber wieso begleitet uns die Armee?«
Jules warf Louise einen flüchtigen Blick zu und diese hob die Augenbrauen.
Also sind wir nicht die Einzigen, die sich das fragen.
»Ah, nun, normalerweise würde eine Expedition dieser Größe wegen des zusätzlichen Risikos von Springfluten und Erdrutschen nicht im Winter auf die Beine gestellt werden, aber die Regierung wollte in diesem Fall schnell reagieren – daher die zusätzliche Unterstützung«, antwortete de Haas. »Die Armee wird einen Großteil unserer Campingausrüstung tragen, unsere Gerätschaften und alle Proben, die wir sammeln werden. Sehen Sie sie einfach als unsere Packesel an.« Er lachte über seinen eigenen Witz. Ein Blick in die Gesichter der Soldaten verriet, dass diese nicht darüber lachen konnten.
Ben Fogarty hob erneut die Hand. »Das erklärt aber noch nicht, wieso McKennas Männer bewaffnet sind. Ich habe Gerüchte darüber gehört, dass sich Separatisten in den Wäldern versteckt halten. Ich bin nicht gerade scharf darauf, durch diese Wälder zu spazieren, wenn das Risiko besteht, von ein paar durchgeknallten Fundamentalisten über den Haufen geschossen zu werden.«
De Haas gluckste. »Gerüchte!« Er winkte ab. »Ich bin ein Wissenschaftler, Mr. Fogarty. Ich ziehe es vor, mich auf harte Fakten zu verlassen anstatt auf Spekulationen und Mutmaßungen. Die Aufgabe der Armee ist es, das Instrumentarium für die geophysikalischen Ziele dieser Mission zu transportieren und die Gesteinsbrocken nach Hause zu bringen. Was die Waffen anbelangt …« Er zuckte mit den Achseln. »Wir wissen doch alle, wie sehr die Armee ihre Spielzeuge liebt. Wenn sie der Meinung sind, ihre Knarren mit sich herumschleppen zu wollen, ist das deren Entscheidung. In Ordnung, wenn das alles wäre, sollten wir aufbrechen.«
Kapitel 6
Die winterliche Witterung hatte den Pfad uneben und tückisch werden lassen, wenn auch nicht ganz so tückisch wie eine Fahrt entlang der Wüstengrenze zwischen Sinai und Israel. Taine manövrierte den Lastwagen um ein weiteres gigantisches Schlagloch herum, was Jules dazu veranlasste, nach dem Handgriff zu greifen. Als er das Schlagloch umfahren hatte, bemerkte Taine die Reifenspuren. Jemand war vor ihnen diese Straße entlanggefahren, und durch den Regen am Morgen konnte das nur ein oder zwei Stunden her sein. Aber wieso? Wenn man nicht gerade ein Bergwanderer oder Einheimischer war, gab es wenig Gründe, so weit rauszufahren. Besonders im Winter.
Nach etwa einem Kilometer passierten sie einen Jeep mit Allrad-Antrieb, der am linken Straßenrand parkte. Taine bremste den Pinzgauer ab und zwängte sich durch die schmale Lücke zwischen dem abgestellten Fahrzeug und einer Lehmbank auf der rechten Seite. Rostbraune Erde klebte an dem Jeep wie Blutflecken aus einer Polizeiserie. Er warf einen Blick hinein, als sie den Wagen passierten. Auf dem Rücksitz lag ausgebreitet eine Häkeldecke, mit einer Kiste Dosennahrung darauf. Keine offensichtlichen Waffen – es sei denn, jemand beabsichtigte, sie mit gebackenen Bohnen zu bombardieren …
Taine fuhr um die Kurve. Etwa dreißig Meter voraus, in der Mitte der Straße, blockierten zwei Männer den Weg: ein alter Mann um die siebzig oder achtzig, und ein jüngerer Mann, wahrscheinlich sein Sohn. Bekleidet mit schweren Buschhemden saßen die beiden auf Klappstühlen, die um eine Thermoskanne aus rostfreiem Stahl aufgestellt waren. Um sie herum ragten ein paar weiße Plastikbecher wie Leuchttürme aus einem Ozean aus Kies.
Taine hielt den Wagen an.
»Wartet hier«, sagte er, sprang aus dem Lastwagen und trottete auf die Einheimischen zu.
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Jules kletterte aus dem Lastwagen, froh darüber, sich die Beine vertreten zu können. Die anderen Insassen des Lasters waren ebenfalls ausgestiegen. Hinter ihr stahl sich Trigger diskret in die Büsche.
Jules legte ihren Kopf zur Seite und massierte den Knoten in ihrem Genick. Die letzte halbe Stunde auf dieser Straße hatte sie mehr herumgeworfen als eine unwuchtige Zentrifuge. Armeefahrzeuge waren nicht auf Komfort ausgelegt. Ihre Anspannung, wieder in die Wälder zurückkehren zu müssen, half dabei nur bedingt.
An der Straßensperre begrüßte McKenna gerade den alten Mann mit dem traditionellen Begrüßungsritual, dem Hongi. Dabei berührten sich die beiden mit den Nasen und teilten auf diese Weise ihren Atem. An der Körperhaltung des Soldaten und daran, wie er die Schultern und den Blick sinken ließ, bemerkte Jules eine gewisse Form von Demut und Respekt.
Interessant.
»Was ist los?«, fragte Eriksen, der neben sie trat.
»Ich bin nicht sicher«, antwortete Jules, die sich noch immer ihren Hals massierte.
Christian de Haas war aus dem zweiten Lastwagen gestiegen und marschierte auf die Gruppe in der Mitte der Straße zu. Der Geologe hatte sich bei ihrem ersten Aufeinandertreffen an diesem Morgen in der Gruppe nicht gerade beliebt gemacht. Er hatte irgendetwas an sich – vielleicht waren es die wie mit dem Lineal gezogen Bügelfalten seiner Hose oder der etwas zu sehr gebogene Nasenrücken.
Oder sein wichtigtuerisches Auftreten.
Vor ihnen wurden die Stimmen lauter. Eindeutig aufgebracht ruderte der alte Mann mit den Armen und streckte sie weit von sich, als würde er seinen letzten Angelfang beschreiben. De Haas schüttelte den Kopf und erwiderte barsch etwas. Jules konnte nicht verstehen, was sie sagten, aber der Tonfall seiner Stimme genügte.
»Ups. Wie es aussieht, hat es unser Mr. Christian mit einer Meuterei zu tun, oder?«, ließ sich Eriksen leise hinter Jules vernehmen.
Gemeinsam beobachteten sie, wie der jüngere Mann – den Jules für einen Verwandten hielt – dem alten Mann beruhigend eine Hand auf die Schulter legte. McKenna nutzte den Moment, um sich vor de Haas zu schieben. Jules bezweifelte, dass er dabei den Schutz des Einsatzleiters im Sinn hatte.
»Und nun?«, fragte sie Eriksen.
Der Soldat zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht. Sie sind wie Elefanten – die Leute, die hier leben, meine ich. Kommen nie über eine Sache hinweg. Würde mich nicht wundern, wenn sich herausstellt, dass irgendjemand vor einem halben Jahrhundert mit der Urgroßoma des alten Knackers durchgebrannt ist und er deswegen noch immer sauer ist.«
Der alte Mann schien sich auf de Haas stürzen zu wollen.
»Aha«, sagte Eriksen. »Ich hatte recht. Die gute Urgroßoma ist wohl wirklich fremdgegangen.«
Jules unterdrückte sich eine Bemerkung auf Eriksens pietätlose Anspielung. Aber der Streit überraschte sie. De Haas war gereizt, aber genügte das, um den alten Mann zu einer Rauferei zu provozieren? In so kurzer Zeit?
Der Schlag des alten Mannes traf ins Leere, oder vielmehr auf die Wand aus McKennas Körper. Der Verwandte zog den alten Mann zurück.
»Kriegt euch wieder ein, Jungs«, murmelte Eriksen.
McKenna drehte sich zu de Haas, um den Geologen ganz offensichtlich daran zu hindern, den Streit noch mehr eskalieren zu lassen, während der jüngere Mann den Alten in Schach hielt. Eine Pattsituation.
Nathan Kerei war in dem zweiten Lastwagen mitgefahren. Er stieg aus dem Fahrzeug und lief nach vorn. Es schien, als würde er die Blockierenden kennen. Der Führer sprach einige Augenblicke mit dem jüngeren Mann, der wiederum mit seinem älteren Begleiter redete. Einige angespannte Minuten vergingen, dann gaben die beiden auf und die Absperrung aus Klappstühlen wurde entfernt.
McKenna war der Letzte, der wieder in den Lastwagen schlüpfte. Er legte einen Gang ein und fuhr los.
Jules auf dem Beifahrersitz hielt die Spannung nicht mehr aus. »Was war da los? Was wollten diese Leute?«
McKenna hob seinen Blick nicht von der tiefen Spurrinne in der Straße vor ihm. »Der Name des alten Mannes lautet Rawiri Temera, und der andere ist sein Großneffe, Wayne. Sie gehören dem örtlichen Stamm an. Es sind Tūhoe.«
Er riss das Lenkrad hart nach rechts. Jules musste sich am Armaturenbrett festhalten, als der Laster durchgerüttelt wurde. Nach ein paar Metern, als die Fahrt weniger ruckelig wurde, hakte Jules noch einmal nach. »Und was wollten sie?«
»Temera wollte, dass wir umkehren.«
»Das ist mal wieder so typisch, oder?«, ächzte Eriksen von hinten. »Da wird ein streng geheimes Einsatzkommando zusammengestellt, und am nächsten Tag wissen bereits Hinz und Kunz darüber Bescheid.«
»Ich glaube nicht, dass sie etwas von der Sondereinheit wussten. Wir wissen es ja auch erst seit gestern«, antwortete McKenna.
»Aber es war auch nicht schwer zu erraten, dass die Regierung irgendetwas unternehmen wird, nachdem man die Goldklumpen gefunden hat, oder?«, meldete sich Trigger.
McKenna wich einer Spurrille aus. »Der Neffe beteuerte allerdings, dass die beiden schon seit dem Sommer immer wieder hier raufkommen und parken. Offenbar hatte Temera eine Art Vision. Er behauptet, er hätte einen Taniwha durch die Wälder streifen sehen und will die Menschen davor warnen, sie zu betreten.«
»Einen Taniwha?«, fragte Jules, die Hände noch immer am Armaturenbrett. Ein Monster aus der Sagenwelt? Glaubte McKenna das wirklich? Sie sah zu ihm hinüber, doch sein Gesicht blieb regungslos.
»Für mich hört sich das eher so an, als hätte der alte Knacker nicht mehr alle«, sagte Eriksen hinter ihnen.
»Der Neffe behauptet etwas anderes.«
»Dann hat der auch nicht mehr alle.«
Coolie legte eine Hand auf die vordere Handablage und zog sich nach vorn. »Nehmt euch in Acht, dort draußen lauern Drachen«, murmelte er, und bei dem Klang seiner Stimme lief es Jules kalt den Rücken hinunter.
»Was sagtest du da über Drachen?«, erkundigte sich Read ungeduldig aus dem hinteren Teil des Lastwagens. Es war ein Wunder, dass er über das Dröhnen des Motors hinweg überhaupt etwas von ihrer Unterhaltung verstanden hatte.
»Dort draußen lauern Drachen«, wiederholte Coolie, dieses Mal lauter. »Kartographen schrieben früher Zeilen wie diese auf ihre Seekarten, wenn ihnen ein Gebiet gänzlich unbekannt war. Sie zeichneten eine Seeschlange dazu, markierten so das unerforschte Territorium. Und warnten auf diese Weise die Seefahrer, auf der Hut zu sein. Einige Leute glauben, dass die Legenden der Maori über den Taniwha den gleichen Zweck erfüllen. Du weißt schon, als Warnung vor einer Gefahr.«
»Ich dachte, Taniwhas hängen eher in Flüssen und Sümpfen ab«, sagte Read.
McKenna hob das Kinn und sah den Private durch den Rückspiegel hindurch an. »Meistens, aber nicht immer.«
»Außerdem gibt es reichlich Flüsse in den Ureweras«, gab Trigger zu bedenken.
Eriksen schnaubte. »Das ist doch alles nur dummer Aberglaube!«
»Ist alles irgendwie Auslegungssache, oder?«, entgegnete Coolie nachdenklich. »Du magst die Maori für abergläubisch halten, andere würden argumentieren, sie hätten einen siebten Sinn für solche Dinge.«
»Ja klar«, spottete Eriksen. »Auslegungssache. So, wie ich das sehe, hat der alte Kauz dieselben Nachrichten wie wir verfolgt. Er ist der Ansicht, dass die Tūhoe das goldene Ei für sich beanspruchen sollten und zaubert deshalb einen verdammten frei erfundenen Drachen aus dem Hut.«
»Ich bin derselben Meinung wie Eriksen«, sagte Trigger. »Es ist nur ein Versuch der Maori, um an Kohle zu kommen.«
Jules sah ihn scharf an. »Hat er denn nach Geld gefragt?«, wollte sie von McKenna wissen.
»Nein«, antwortete McKenna. »Er erwähnte weder eine Entschädigung noch das Abkommen. Er wollte uns nur warnen, dass es zu gefährlich sei, weiterzufahren.«
»Diese Wälder sind stets gefährlich, wenn man nicht weiß, wie man sich zu verhalten hat«, sagte Coolie. »Es gibt gefrierende Nebel, Felsstürze, überflutete Flüsse, Erdrutsche …«
Trigger grunzte. »Und wir sind die Armee. Dann gibt es eben ein paar Steinschläge. Davon lassen wir uns nicht aufhalten.«
Jules hörte, wie Triggers Sitz knarzte, als er sich wieder zurücklehnte. Er hatte seinen Standpunkt klargemacht. Ein Blick über ihre Schulter zeigte ihn gutmütig zusammengesunken auf seinem Platz. Read hatte sich bereits wieder seine Kopfhörer in die Ohren gestopft. Jules sah zu McKenna. Mit zusammengekniffenen Lippen navigierte er ihr Fahrzeug über das holperige Terrain.
Dann war das Thema damit also beendet.
Jules lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Der Wald um sie herum rückte immer näher heran. Baumstämme standen in Reih und Glied, wie Einheiten von Soldaten, die das düstere und dichte Landesinnere bewachten. Der Stamm, der hier lebte, wurde Kinder des Nebels genannt, nach den Nebelschwaden, die wie der Hauch eines Drachen durch die Täler zogen. Vielleicht war an der Warnung des alten Mannes ja doch etwas dran. Jules war nicht abergläubisch, aber sie wusste, dass die Wälder tückisch sein konnten. Die dunklen Pfade verhießen Abenteuer, und doch konnte sich nur ein falscher Schritt als verhängnisvoll, sogar tödlich erweisen.
Der Motor heulte angestrengt auf, als das Fahrzeug einen Berghang erklomm und Jules einen Blick auf den zarten Dunstschleier gewährte, der über den Berggipfeln hing und sich in das Tal hinabsenkte. Sie unterdrückte das ängstliche Zittern, das sie dabei befiel.
McKenna stoppte den Lastwagen und zog die Handbremse an. »Endstation Leute. Drachen hin oder her, von hier an müssen wir zu Fuß gehen.«
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Die folgenden fünfzehn Minuten entpuppten sich als Albtraum. Vorahnung und Angst ließen es Jules mulmig zumute werden. Mit festgezurrten Schnürsenkeln und ihrem Rucksack bereits auf den Schultern wartete sie darauf, dass McKennas Soldaten den Rest der Ausrüstung und Vorräte unter sich verteilten, und betete, dass sie sich dabei beeilen mochten. Mit ihren Stiefeln scharrte sie im Dreck.
Bringen wir es hinter uns.
Aber das Röhren eines Motors – waren das wieder Temera und sein Neffe? – ließ sie alle herumfahren.
Ein weißer und mit lehmigen Schlammspuren verdreckter Nissan Pathfinder rollte heran. Wie ein jugendlicher Fahrschüler kam der Fahrer schlitternd zu stehen und wirbelte dabei mit einem nassen Knirschen den Kies auf.
Jules lief auf den Wagen zu und riss die Fahrertür auf. »Richard! Was machst du denn hier?«
»Du sagtest, es könnte kalt werden. Also hab ich dir meine Ersatzmütze gebracht«, zog er sie auf und schwang seine Beine aus dem Geländewagen.
»Richard, ich meine es ernst«, schalt sie ihn.
Mit einer Hand auf der Tür stieg Richard aus dem Fahrzeug. »Ich hatte noch etwas Urlaub, und nachdem du fort warst, war es so einsam bei der Arbeit, also dachte ich, wieso nicht einfach etwas spontan sein?« Er sah sich um. »Welcher der Burschen ist de Haas?«
Wie vor den Kopf geschlagen deutete Jules auf den Geologen, der gerade einen Pickel an der Seite seines Rucksackes festzurrte. Richard war in wenigen Schritten bei ihm und streckte ihm die Hand entgegen.
»De Haas? Richard Foster, CEO bei Landsafe. Ich freue mich, Sie kennenzulernen. Ich habe natürlich einige Ihrer Publikationen gelesen. Grundlegendes Hintergrundwissen für unsere Boden- und Gesteinsforschungen.«
De Haas, der offensichtlich genauso überrumpelt war wie Jules, schüttelte Richards Hand und wartete darauf, dass dieser zum Punkt kam.
»Hören Sie, es tut mir leid, dass ich hier so unangemeldet aufschlage, aber ich würde mich Ihnen gern anschließen, wenn es Ihnen nichts ausmacht?«
Richard wollte sie ablösen? Fantastisch!
Jules konnte bereits spüren, wie die Anspannung von ihr abfiel.
»Natürlich nicht in offizieller Funktion, sondern als Freiwilliger«, erklärte Richard. »Als Jules Vorgesetzter wurde ich bereits in alles eingeweiht …«
Jules biss sich auf die Zunge. Wenn Richard sich der Expedition unbedingt anschließen wollte, wieso dann dieses ganze Trara gestern, dass er angeblich niemand anderen entbehren konnte und ihre Kollegen zu beschäftigt seien? Richard wusste, was sie durchgemacht hatte, wusste, was sie angesichts dieser Feldforschung empfand. Sie hatte in der letzten Nacht kein Auge zugemacht, weil sie die ganze Zeit an die vor ihr liegende Woche im Wald denken musste! Und auf einmal tauchte er hier auf und erzählte etwas von Urlaub?
»Jules ist ein wenig eingerostet, was Untersuchungen vor Ort anbelangt«, fuhr Richard fort. Er trat ein paar Schritte zurück und legte einen Arm um ihre Schulter. »Ich bin sicher, sie wird etwas Unterstützung zu schätzen wissen.«
Unterstützung? Jetzt untergrub er auch noch ihre Fähigkeiten als Wissenschaftlerin?
Jules wandte sich aus Richards Umarmung und nestelte an den Trageriemen ihres Rucksacks herum, obwohl dieser bereits perfekt saß. Diese Gedanken … waren unangemessen. Richard hatte sie in ihrer Karriere stets unterstützt. Wenn er glaubte, dass ihr das nötige Selbstvertrauen fehlte, dann sicher deshalb, weil sie sich hinter ihrer Laborarbeit versteckt hatte. Höchstwahrscheinlich wollte er ihr die Angst nehmen, wieder in den Wäldern zu sein, und ihr mit seiner Anwesenheit die Möglichkeit geben, sich stärker auf ihre Studien konzentrieren zu können. Jules runzelte die Stirn. Aber wenn das der Fall war, ging sein Handeln über das Verhalten eines besorgten Chefs weit hinaus. Wahrscheinlich sollte sie das im Hinterkopf behalten, denn im Moment war dafür keine Zeit. De Haas hatte Richards Bitte offenbar stattgegeben, denn dieser zerrte bereits seine Ausrüstung aus dem Kofferraum des Pathfinders.
»Das werden Sie aber nicht brauchen, Foster«, sagte de Haas und deutete auf die rechteckige Ausbuchtung in Richards Hemdtasche. »Da, wo wir hingehen, werden sie keinen Empfang haben.«
Richards verzog das Gesicht zu einem dümmlichen Grinsen. »Ich nehme es trotzdem mit, wenn Sie nichts dagegen haben. Ich bin gewissermaßen süchtig nach Angry Birds.«
»Wie Sie wollen«, erwiderte de Haas, drehte sich um und gab Kerei ein Zeichen, voranzugehen.