Kitabı oku: «Krieg und Frieden», sayfa 28

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III

Der alte Fürst Nikolai Andrejewitsch Bolkonski erhielt im November 1805 von Fürst Wasili einen Brief, worin ihm dieser seinen und seines Sohnes bevorstehenden Besuch ankündigte. »Ich mache eine Revisionsreise«, schrieb er, »und da sind mir selbstverständlich hundert Werst kein Umweg, um Sie, hochverehrter Gönner, zu besuchen. Mein Sohn Anatol begleitet mich und geht demnächst zur Armee ab; und ich hoffe, daß Sie ihm erlauben werden, Ihnen persönlich die tiefe Verehrung zu bezeigen, die er nach dem Vorbild seines Vaters für Sie hegt.«

»Ei, ei, wir brauchen Marja gar nicht in Gesellschaft zu bringen; die Bewerber kommen von selbst zu uns hergefahren«, sagte die kleine Fürstin unbedachtsam, als sie von dem bevorstehenden Besuch hörte.

Fürst Nikolai Andrejewitsch runzelte die Stirn und antwortete nicht.

Vierzehn Tage nach Eingang dieses Briefes kam eines Abends zunächst die Dienerschaft des Fürsten Wasili an, und am andern Tag sollte er selbst mit seinem Sohn eintreffen.

Der alte Bolkonski hatte von jeher eine geringe Meinung von dem Charakter des Fürsten Wasili gehabt, und ganz besonders in der letzten Zeit, wo Fürst Wasili in dem neuen Verwaltungssystem unter Kaiser Paul und Kaiser Alexander es zu hohen Ehren und Würden gebracht hatte. Jetzt nun ersah er aus den Andeutungen des Briefes und der Äußerung der kleinen Fürstin, worauf es abgesehen war, und die geringe Meinung von Fürst Wasili ging in der Seele des Fürsten Nikolai Andrejewitsch geradezu in ein Gefühl der Feindseligkeit und Verachtung über. Er stieß beständig prustende, schnaubende Töne aus, wenn er von ihm sprach. An dem Tag, wo Fürst Wasili ankommen sollte, war Fürst Nikolai Andrejewitsch ganz besonders mißgestimmt und übelgelaunt. Ob er nun deswegen übelgelaunt war, weil Fürst Wasili ankommen sollte, oder ob er über die Ankunft des Fürsten Wasili deswegen besonders mißgestimmt war, weil er übelgelaunt war, das war schwer zu sagen; aber jedenfalls war er übelgelaunt, und Tichon hatte schon am Morgen dem Baumeister davon abgeraten, mit seinem Bericht zum Fürsten hineinzugehen.

»Hören Sie nur, wie er geht«, sagte Tichon, indem er den Baumeister auf den Klang der Schritte des Fürsten aufmerksam machte. »Er tritt mit dem ganzen Hacken auf ... dann wissen wir immer schon ...«

Indessen verließ der Fürst wie gewöhnlich zwischen acht und neun Uhr sein Zimmer, um in seinem Samtpelz mit dem Zobelkragen, den Kopf mit einer Mütze von gleicher Art bedeckt, seinen Spaziergang zu machen. Am Abend vorher war Schnee gefallen. Der schmale Weg, auf welchem Fürst Nikolai Andrejewitsch nach den Treibhäusern ging, war gesäubert; die Spuren des Besens waren auf dem auseinandergefegten Schnee sichtbar, und eine Schaufel war in den lockeren Schneewall hineingestoßen, der sich auf beiden Seiten des schmalen Weges hinzog. Der Fürst wanderte durch die Treibhäuser, durch das Leutehaus und in den Neubauten umher, immer mürrisch und schweigsam.

»Ist Schlittenbahn?« fragte er den Verwalter Alpatytsch, der ihm bis zum Haus das Geleit gab; es war ein ehrwürdig aussehender alter Mann, der im Gesicht und Benehmen mit seinem Herrn eine gewisse Ähnlichkeit hatte.

»Es liegt tiefer Schnee, Euer Durchlaucht. Ich habe schon in der Allee fegen lassen.«

Der Fürst trat mit gesenktem Kopf auf die Stufen vor der Haustür. »Gott sei Dank!« dachte der Verwalter. »Das Unwetter ist vorbeigezogen!«

»Es war schwer durchzukommen, Euer Durchlaucht«, fügte der Verwalter noch hinzu. »Und da wir gehört hatten, Euer Durchlaucht, daß Euer Durchlaucht Besuch von einem Minister erhalten ...«

Der Fürst drehte sich zum Verwalter um und starrte ihn mit finsteren Augen an.

»Was? Von einem Minister? Von was für einem Minister? Wer hat fegen lassen?« rief er mit seiner scharfen, harten Stimme. »Für die Prinzessin, meine Tochter, habt ihr den Weg nicht zurechtgemacht, aber für einen Minister tut ihr's! Ich weiß nichts von Ministern!«

»Euer Durchlaucht, ich dachte ...«

»Du dachtest«, schrie der Fürst, indem er die Worte immer hastiger und polternder hervorstieß. »Du dachtest ... Schurken! Halunken ...! Ich werde dich denken lehren!« Er hob seinen Stock in die Höhe, holte damit gegen Alpatytsch aus und hätte ihn geschlagen, wenn der Verwalter nicht unwillkürlich dem Schlag ausgewichen wäre. »Du hast gedacht ... Ihr Halunken ...«, schrie er hastig.

Alpatytsch näherte sich zwar, selbst erschrocken darüber, daß er die Dreistigkeit gehabt hatte, dem Schlag auszuweichen, dem Fürsten sofort wieder und senkte gehorsam vor ihm seinen kahlen Kopf; aber trotzdem, oder vielleicht auch gerade deswegen, erhob der Fürst, der fortwährend schrie: »Halunken ...! Schüttet den Weg wieder zu!« den Stock nicht zum zweitenmal, sondern lief ins Haus und in sein Zimmer.

Vor dem Mittagessen standen die Prinzessin und Mademoiselle Bourienne, welche wußten, daß der Fürst übelgelaunt war, im Eßzimmer und warteten auf ihn: Mademoiselle Bourienne mit einem strahlenden Gesicht, das besagte: »Ich weiß von nichts und bin ganz so wie immer«, Prinzessin Marja dagegen blaß, mit ängstlicher Miene und niedergeschlagenen Augen. Am meisten litt Prinzessin Marja darunter, daß sie zwar wußte, es sei in solchen Fällen zweckmäßig, sich so zu benehmen wie Mademoiselle Bourienne, sich aber doch außerstande fühlte, es zu tun. Sie sagte sich: »Tue ich, als ob ich es gar nicht merkte, so wird er denken, daß ich keine Anteilnahme für ihn besitze; und benehme ich mich selbst verdrossen und mißgestimmt, dann wird er, wie schon öfters, sagen, ich sei eine Kopfhängerin.«

Der Fürst erblickte beim Eintreten das ängstliche Gesicht seiner Tochter und schnob.

»Dummheit! Albernheit!« murmelte er vor sich hin.

»Und die andre ist gar nicht da! Der haben sie schon etwas geklatscht«, dachte er mit Bezug auf die kleine Fürstin, die nicht im Eßzimmer anwesend war.

»Wo ist die Fürstin?« fragte er. »Versteckt sie sich?«

»Sie fühlt sich nicht ganz wohl«, erwiderte Mademoiselle Bourienne, heiter lächelnd, »und möchte deswegen auf ihrem Zimmer bleiben. Das ist ja in ihrer Lage sehr begreiflich.«

»Hm, hm! Kch, kch!« brummte und räusperte sich der Fürst und setzte sich dann an den Tisch.

Sein Teller kam ihm nicht ganz sauber vor; er wies auf einen Fleck und schleuderte den Teller fort. Tichon fing ihn behende auf und reichte ihn dem Büfettdiener.

Die kleine Fürstin fühlte sich nicht unwohl; aber sie hatte vor dem alten Fürsten eine so unüberwindliche Angst, daß sie auf die Nachricht hin, er sei übler Laune, sich dafür entschieden hatte, ihr Zimmer nicht zu verlassen.

»Ich fürchte für das Kind«, hatte sie zu Mademoiselle Bourienne gesagt. »Wenn ich erschrecke, kann ja das Kind Gott weiß was für Schaden nehmen.«

Überhaupt wurde die kleine Fürstin in Lysyje-Gory ein Gefühl der Furcht und der Abneigung dem alten Fürsten gegenüber keinen Augenblick los; der Abneigung wurde sie sich allerdings nicht recht bewußt, weil die Furcht dermaßen überwog, daß sie die Abneigung nicht so deutlich empfinden konnte. Seinerseits hatte der Fürst gleichfalls eine Abneigung gegen sie, die aber von einem Gefühl der Geringschätzung in den Hintergrund gedrängt wurde. Die Fürstin hatte, nachdem sie die Bewohner von Lysyje-Gory näher kennengelernt hatte, besonderes Gefallen an Mademoiselle Bourienne gefunden; sie hatte sie am Tag viel um sich, bat sie, nachts mit ihr zusammen zu schlafen, und redete mit ihr häufig über ihren Schwiegervater, wobei sie aus ihrem ungünstigen Urteil kein Hehl machte.

»Wir werden ja Besuch bekommen, Fürst«, sagte Mademoiselle Bourienne, während sie mit ihren rosigen Fingern die weiße Serviette auseinanderfaltete. »Seine Exzellenz Fürst Kuragin mit seinem Sohn, wenn ich recht unterrichtet bin?« sagte sie in fragendem Ton.

»Hm ... diese Exzellenz ist ein dummer Junge ... ich habe ihn noch auf die Schule gebracht«, erwiderte der Fürst in gereiztem Ton. »Und was sein Sohn hier soll, das begreife ich nicht. Die Fürstin Lisaweta Karlowna und Prinzessin Marja mögen das vielleicht wissen; ich für meine Person weiß nicht, wozu er seinen Sohn mitbringt. Ich habe kein Verlangen nach ihm.« Er blickte seine Tochter an, die rot geworden war. »Ist dir nicht wohl? Vielleicht aus Furcht vor diesem Minister, wie den Menschen dieser Tölpel, der Alpatytsch, heute nannte?«

»Nein, lieber Vater, mir ist ganz wohl.«

Wenn auch Mademoiselle Bourienne bei der Wahl des ersten Gesprächsthemas arg fehlgegriffen hatte, so verstummte sie darum doch nicht, sondern plauderte über die Treibhäuser, über die Schönheit einer neuen Blume, die soeben aufgeblüht war, und der Fürst war nach der Suppe etwas sanfter geworden.

Nach dem Essen ging er zu seiner Schwiegertochter. Die kleine Fürstin saß an einem Tischchen und plauderte mit dem Stubenmädchen Mascha. Als sie ihren Schwiegervater erblickte, wurde sie blaß.

Die kleine Fürstin hatte sich in ihrem Äußern sehr verändert und war jetzt eher häßlich zu nennen als schön. Die Wangen waren schlaff geworden, die Oberlippe hatte sich hinaufgehoben, die Augen hatten sich nach unten gezogen.

»Ich fühle mich so müde und schwer«, antwortete sie auf die Frage des Fürsten nach ihrem Befinden.

»Hast du einen Wunsch?«

»Nein, danke, lieber Vater.«

»Nun, schön, schön.«

Er ging wieder hinaus; als er in das Geschäftszimmer kam, stand dort Alpatytsch mit gesenktem Kopf.

»Ist der Weg wieder zugeschaufelt?«

»Jawohl, Euer Durchlaucht; verzeihen Sie mir, ich bitte Sie inständig ... Ich habe nur aus Dummheit ...«

Der Fürst unterbrach ihn und lachte in seiner unnatürlichen Weise.

»Nun, gut, gut.«

Er streckte ihm die Hand hin, welche Alpatytsch küßte, und ging in sein Arbeitszimmer.

Am Abend traf Fürst Wasili ein. In der Mitte kamen ihm Kutscher und Diener entgegen und halfen mit vielem Geschrei seine Schlitten auf dem geflissentlich mit Schnee beschütteten Weg nach dem Seitenflügel schaffen.

Fürst Wasili und Anatol waren jeder in einem besonderen Zimmer untergebracht worden.

Anatol hatte sich den Rock ausgezogen und saß, die Arme in die Seiten gestemmt, an einem Tisch, auf dessen Ecke er seine schönen, großen Augen unverwandt gerichtet hielt; er lächelte zerstreut. Er betrachtete sein ganzes Leben als eine ununterbrochene Reihe von Amüsements, die irgend jemand aus irgendeinem Grund für ihn zu veranstalten verpflichtet sei. So faßte er auch jetzt seinen Besuch bei dem bösen alten Mann und der reichen, häßlichen Erbin auf. Die ganze Sache konnte, wie er annahm, einen sehr hübschen, vergnüglichen Ausgang haben. »Warum soll ich sie nicht heiraten, wenn sie sehr reich ist? Geld zu haben, das kann einem niemals schaden«, dachte Anatol.

Er rasierte und parfümierte sich mit der Sorgfalt und Eleganz, die ihm zur Gewohnheit geworden waren, und trat, den schönen Kopf hoch aufgerichtet, mit dem gutmütigen, sieghaften Gesichtsausdruck, den ihm die Natur verliehen hatte, in das Zimmer seines Vaters. Um den Fürsten Wasili waren seine beiden Kammerdiener eifrig beschäftigt, ihn anzukleiden; er selbst blickte munter und lebhaft um sich und nickte dem eintretenden Sohn heiter zu, wie wenn er sagen wollte: »Recht so! So hatte ich dich auch haben wollen.«

»Nein, aber nun ohne Scherz, Papa, ist sie wirklich sehr häßlich? Ja?« fragte er auf französisch wie in Fortsetzung eines auf der Reise mehrfach geführten Gesprächs.

»Hör auf mit diesen Torheiten! Die Hauptsache ist: gib dir rechte Mühe, dich dem alten Fürsten gegenüber respektvoll und vernünftig zu benehmen.«

»Wenn er aber zu schimpfen anfängt, mache ich, daß ich davonkomme«, sagte Anatol. »Alte Leute von der Sorte kann ich nicht ausstehen.«

»Vergiß nicht, daß für dich hiervon alles abhängt.«

Unterdessen war im Zimmer der Stubenmädchen nicht nur die Ankunft des Ministers und seines Sohnes bekanntgeworden, sondern es hatte auch bereits eine detaillierte Schilderung der äußeren Erscheinung der beiden Gäste stattgefunden. Prinzessin Marja aber saß allein in ihrem Zimmer und suchte vergeblich ihre Aufregung zu bewältigen.

»Warum ist mir davon geschrieben worden? Warum hat mir Lisa davon gesagt? In welche Lage komme ich dadurch!« sagte sie zu sich selbst, während sie in den Spiegel blickte. »Wie kann ich nun in den Salon gehen? Selbst wenn er mir gefiele, könnte ich mich jetzt ihm gegenüber nicht so geben, wie ich wirklich bin.« Schon der Gedanke an den Blick ihres Vaters versetzte sie in Angst.

Die kleine Fürstin und Mademoiselle Bourienne hatten bereits alle erforderlichen Nachrichten von dem Stubenmädchen Mascha erhalten: der Sohn des Ministers sei ein hübscher junger Mann mit roten Backen und schwarzen Augenbrauen; sein Papa habe sich nur mühsam mit seinen Beinen die Treppe hinaufgeschleppt, er aber sei wie ein Hirsch hinter ihm hergelaufen gekommen, immer drei Stufen mit einem Schritt. Als sie diese Nachrichten erhalten hatten, gingen die kleine Fürstin und Mademoiselle Bourienne nach dem Zimmer der Prinzessin, welche die lebhaft redenden Stimmen der beiden schon vom Korridor her hörte.

»Marja, sie sind angekommen, weißt du schon?« sagte die kleine Fürstin, ging mit dem watschelnden Gang, zu dem ihr Zustand sie nötigte, auf einen Lehnstuhl zu und ließ sich schwerfällig in ihn hineinsinken.

Sie trug nicht mehr den Morgenrock, in welchem sie vorher auf ihrem Zimmer gesessen hatte, sondern hatte eines ihrer besten Kleider angelegt; ihr Kopf war sorgfältig frisiert, und auf ihrem Gesicht lag der Ausdruck einer fröhlichen Lebhaftigkeit, die jedoch die erschlafften und blaß gewordenen Gesichtszüge nicht verbergen konnte. Bei dieser Toilette, die sie gewöhnlich auf Gesellschaften in Petersburg zu tragen pflegte, wurde es noch augenfälliger, wie sehr die kleine Fürstin an Schönheit verloren hatte. Auch Mademoiselle Bourienne hatte bereits an ihrem Anzug diese und jene leise Vervollkommnung angebracht, was ihrem hübschen, frischen Gesicht noch mehr Reiz verlieh.

»Nun, und Sie bleiben, wie Sie gerade waren, Prinzessin?« sagte sie. »Es wird uns gleich gemeldet werden, daß die Herren im Salon sind; wir müssen dann hinuntergehen, und Sie machen nicht einmal ein ganz klein bißchen Toilette!«

Die kleine Fürstin stand von ihrem Lehnstuhl auf, klingelte dem Stubenmädchen, entwarf fröhlich und eilig einen Plan für die Toilette der Prinzessin Marja und begann ihn zur Ausführung zu bringen. Prinzessin Marja hatte die Vorstellung, daß die Erregung, in welche die Ankunft dieses Bewerbers sie versetzte, ihrer eigenen Würde nicht entspreche, und dies war ihr peinlich; noch peinlicher aber war es ihr, daß ihre beiden Freundinnen eine derartige Erregung für ganz selbstverständlich hielten. Hätte sie ihnen gesagt, wie sehr sie sich wegen ihrer eigenen Gemütsverfassung und für sie beide schäme, so hätte sie damit ihre Erregung verraten; überdies hätte ein Sträuben gegen die ihr vorgeschlagene bessere Toilette nur zu längeren Neckereien und hartnäckigem Zureden geführt. Sie wurde rot, ihre schönen Augen trübten sich, ihr Gesicht überzog sich mit Flecken, und mit jener unschönen Miene eines Opferlammes, die ihr Gesicht am allerhäufigsten trug, gab sie sich ganz in die Gewalt ihrer Gesellschafterin und ihrer Schwägerin. Beide bemühten sich mit vollster Aufrichtigkeit, sie schön zu machen; denn sie war so häßlich, daß keine von beiden auf den Gedanken an die Möglichkeit einer Rivalität kommen konnte. Daher machten sich beide mit vollster Aufrichtigkeit daran, sie zu putzen, in der naiven, festen Überzeugung der Frauen, daß die Toilette ein Gesicht schön machen kann.

»Nein, wirklich, meine Liebste, Beste, dieses Kleid taugt nichts«, sagte Lisa, indem sie aus einiger Entfernung von der Seite her die Prinzessin betrachtete. »Du hast ja ein dunkelrotes, das laß dir geben. Wirklich! Wer weiß, vielleicht entscheidet sich dadurch das Schicksal deines Lebens. Aber dieses ist zu hell, das taugt nichts, nein, das taugt nichts!«

Der Fehler lag nicht an dem Kleid, sondern an dem Gesicht und der ganzen Gestalt der Prinzessin; aber dafür hatten Mademoiselle Bourienne und die kleine Fürstin kein Verständnis; sie meinten, wenn sie zu dem hinaufgekämmten Haar ein blaues Band hinzutäten und eine blaue Schärpe über das dunkelrote Kleid herabfallen ließen und mehr dergleichen, dann werde alles gut sein. Sie vergaßen, daß das ängstliche Gesicht und die ganze Gestalt sich eben nicht ändern ließen; und daher blieb, mochten sie auch in der Umrahmung und dem Schmuck dieses Gesichtes noch so viele Änderungen vornehmen, doch das Gesicht selbst kläglich und unschön. Nach zwei oder drei Umänderungen, denen Prinzessin Marja sich gehorsam fügte, war man fertig: das Haar war nach oben gekämmt (eine Frisur, die das Gesicht der Prinzessin völlig veränderte und entstellte) und um das elegante, dunkelrote Kleid eine blaue Schärpe geschlungen. Die kleine Fürstin ging ein paarmal im Kreis um die Prinzessin herum, legte mit ihrer kleinen Hand hier eine Falte am Kleid in Ordnung, zupfte dort an der Schärpe und betrachtete mit schiefgehaltenem Kopf das Werk bald von der einen, bald von der andern Seite.

»Nein, es geht nicht!« sagte sie in entschiedenem Ton und schlug die Hände zusammen. »Nein, Marja, das steht dir entschieden nicht. Du gefällst mir weit besser in deinem einfachen grauen Alltagskleid. Bitte, tue es mir zuliebe! Katja«, sagte sie zu dem Stubenmädchen, »bringe der Prinzessin das graue Kleid! Und dann sollen Sie sehen, Mademoiselle Bourienne, wie ich es zurechtstutzen werde«, sagte sie lächelnd, im Vorgeschmack der Künstlerfreude.

Aber als Katja das verlangte Kleid brachte, saß Prinzessin Marja, ohne sich zu rühren, vor dem Spiegel und blickte ihr Gesicht an, und Katja sah im Spiegel, daß der Prinzessin die Tränen in den Augen standen, und daß ihr Mund zitterte und sie nahe daran war, loszuschluchzen.

»Bitte schön, Prinzessin«, sagte Mademoiselle Bourienne, »jetzt nur noch eine kleine Anstrengung.«

Die kleine Fürstin nahm das Kleid dem Stubenmädchen aus den Händen und trat damit zur Prinzessin Marja.

»Jetzt wollen wir aber die Sache ganz einfach und doch allerliebst machen«, sagte sie.

Die Stimmen der Fürstin, der Gesellschafterin und des Stubenmädchens, die über etwas lachte, flossen zu einem munteren Gezwitscher zusammen, ähnlich dem Durcheinander von Vogelstimmen.

»Nein, laßt mich!« antwortete die Prinzessin.

Ihre Stimme klang so ernst und leidvoll, daß das Vogelgezwitscher sofort verstummte. Die kleine Fürstin und Mademoiselle Bourienne blickten in diese großen, schönen, mit Tränen angefüllten Augen, welche die Gedanken der Prinzessin erkennen ließen und mit dem deutlichen Ausdruck flehender Bitte auf sie gerichtet waren, und sie sahen ein, daß alles weitere Zureden nutzlos, ja grausam sein würde.

»Ändere wenigstens die Frisur«, sagte die kleine Fürstin. »Ich habe es Ihnen ja gesagt«, fügte sie, zu Mademoiselle Bourienne gewendet, vorwurfsvoll hinzu. »Marja hat eine Figur, zu der diese Art von Frisur absolut nicht paßt. Absolut nicht, absolut nicht. Bitte, bitte, ändere die Frisur, ja?«

»Laßt mich, laßt mich, mir ist das alles ganz gleichgültig«, antwortete Prinzessin Marja, und es war ihrer Stimme anzuhören, daß sie nur mit Mühe die Tränen zurückhielt.

Mademoiselle Bourienne und die kleine Fürstin mußten sich im stillen bekennen, daß Prinzessin Marja in dieser Toilette sehr häßlich war, häßlicher als sonst; aber es war nun schon zu spät. Sie blickte die beiden mit einem Ausdruck an, den diese auf ihrem Gesicht recht wohl kannten: dieser Ausdruck sprach von vielem Denken und von tiefer Traurigkeit. Dieser Gesichtsausdruck flößte ihnen zwar keine Furcht vor Prinzessin Marja ein (dieses Gefühl erweckte sie überhaupt bei niemandem); aber sie wußten, daß, sobald sich auf ihrem Gesicht dieser Ausdruck zeigte, sie ganz schweigsam wurde und sich in ihren Entschlüssen nicht wankend machen ließ.

»Du wirst die Frisur noch ändern, nicht wahr?« sagte Lisa und verließ, als Prinzessin Marja keine Antwort gab, das Zimmer.

Prinzessin Marja blieb allein. Lisas Wunsch ließ sie unerfüllt; sie unterließ es nicht nur, ihre Frisur zu ändern, sondern blickte auch überhaupt nicht mehr in den Spiegel. Mit niedergeschlagenen Augen und kraftlos herabhängenden Armen saß sie schweigend da und dachte nach. Sie dachte sich einen Mann, ein starkes, ihr in allem überlegenes Wesen von unbegreiflicher Anziehungskraft, und dieser Mann würde sie dann plötzlich in seine eigene, völlig andersartige, glückselige Welt versetzen. Und sie dachte sich ein eigenes Kind an ihrer eigenen Brust, ein solches Kind, wie sie gestern eines bei der Tochter ihrer Amme gesehen hatte; und der Mann würde daneben stehen und sie und das Kind zärtlich anblicken. »Aber nein, es ist nicht möglich; ich bin zu häßlich«, dachte sie.

»Bitte, zum Tee; Seine Durchlaucht der Fürst werden sogleich in den Salon kommen«, meldete das Stubenmädchen, die Tür ein wenig öffnend.

Sie kam von ihren Träumereien wieder zu sich und erschrak über ihre Gedankengebilde. Sie stand auf, trat, ehe sie nach unten ging, vor den Heiligenschrein, richtete ihre Augen auf das von einem Lämpchen beleuchtete, schwarz gewordene Antlitz eines großen Christusbildes und blieb einige Minuten lang mit gefaltenen Händen vor ihm stehen. Ein qualvoller Zweifel erfüllte schon seit längerer Zeit ihre Seele. War für sie die Freude der Liebe, der irdischen Liebe zu einem Mann, möglich? Bei ihren Gedanken an die Ehe träumte Prinzessin Marja ja auch von Familienglück und Kindern; aber das wesentlichste, wichtigste, geheimste Stück ihrer Träumereien war doch die irdische Liebe. Dieses Gefühl war um so stärker geworden, je mehr sie es vor andern und sogar vor sich selbst zu verbergen gesucht hatte. »Mein Gott«, sagte sie jetzt bei sich, »wie kann ich nur in meinem Herzen diese mir vom Teufel eingegebenen Gedanken ersticken? Wie soll ich es anfangen, mich auf immer von solchen bösen Wünschen freizumachen, um mit ruhiger Seele Deinen Willen zu erfüllen?« Und kaum hatte sie diese Frage gestellt, als ihr auch schon Gott durch ihr eigenes Herz die Antwort darauf gab: »Wünsche nichts für dich selbst; suche nicht, beunruhige dich nicht, sei nicht neidisch. Das zukünftige Schicksal der Menschen und deine eigene Bestimmung müssen dir unbekannt bleiben; aber lebe so, daß du zu allem bereit bist. Wenn es Gott gefallen sollte, dich in den Pflichten des Ehestandes zu prüfen, so sei bereit, Seinen Willen zu erfüllen.« Mit diesem beruhigenden Gedanken (aber doch mit der Hoffnung auf Erfüllung ihres verbotenen irdischen Wunsches) bekreuzte sich Prinzessin Marja seufzend und ging hinunter; sie dachte nun weder an ihr Kleid, noch an ihre Frisur, noch daran, wie sie eintreten und was sie sagen solle. Wie unwichtig war das alles im Vergleich mit der Vorherbestimmung Gottes, ohne dessen Willen kein Haar von dem Kopf eines Menschen fällt!

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