Kitabı oku: «Krieg und Frieden», sayfa 29

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IV

Als Prinzessin Marja in den Salon trat, waren Fürst Wasili und sein Sohn dort bereits anwesend und in einer Unterhaltung mit der kleinen Fürstin und mit Mademoiselle Bourienne begriffen. Als sie mit ihrem schweren Gang (sie trat mit den Hacken auf) hereinkam, erhoben sich die Herren und Mademoiselle Bourienne, und die kleine Fürstin stellte sie den Herren mit den Worten vor: »Da ist Marja.« Prinzessin Marja blickte sämtliche anwesenden Personen aufmerksam an und beobachtete an ihnen mancherlei Einzelheiten: sie sah das Gesicht des Fürsten Wasili, das bei ihrem Anblick noch einen Augenblick lang ernst blieb und dann sofort lächelte, und das Gesicht der kleinen Fürstin, die neugierig von den Gesichtern der Gäste abzulesen suchte, welchen Eindruck Marja auf sie mache; sie sah auch Mademoiselle Bourienne mit ihrem Band im Haar und mit ihrem hübschen Gesicht und dem ganz ungewöhnlich lebhaften Blick, den sie auf »ihn« richtete; aber »ihn« konnte sie nicht sehen: sie sah nur etwas Großes, Leuchtendes, Schönes, das sich auf sie zubewegte, als sie ins Zimmer trat. Zuerst trat Fürst Wasili zu ihr heran, und sie küßte seinen kahlen Kopf, der sich über ihre Hand beugte, und antwortete auf seine Bemerkung, daß sie sich seiner wohl nicht mehr erinnere, sie erinnere sich seiner im Gegenteil sehr wohl. Dann trat Anatol zu ihr. Sie sah ihn noch immer nicht. Sie fühlte nur eine weiche Hand, welche mit festem Griff die ihrige faßte, und berührte kaum mit ihren Lippen die weiße Stirn unterhalb des schönen, blonden, pomadisierten Haares. Als sie ihn dann schließlich doch anblickte, war sie von seiner Schönheit überrascht. Anatol hatte den Daumen der rechten Hand hinter einen zugeknöpften Knopf seiner Uniform gesteckt, drückte die Brust heraus, zog den Rücken ein, wiegte sich auf dem einen seitwärts gestellten Bein und hielt den Kopf ein wenig geneigt: in dieser Stellung hielt er schweigend und heiter die Augen auf die Prinzessin gerichtet, aber es machte den Eindruck, als ob er überhaupt nicht an sie denke. Anatol besaß nicht die Gabe der Geistesgegenwart, hatte keine schnelle Fassungskraft und bei der Unterhaltung keine gewandte Zunge; aber dafür besaß er die im gesellschaftlichen Leben sehr wertvolle Eigenschaft der Ruhe und ein durch nichts zu erschütterndes Selbstvertrauen. Wenn jemand, der des Selbstvertrauens ermangelt, bei der ersten Bekanntschaft verstummt und merken läßt, daß er sich der Unschicklichkeit dieses Schweigens bewußt ist und angestrengt nach einem Gesprächsthema sucht, so wirkt das ungünstig; Anatol aber wiegte sich, während er schwieg, auf einem Bein und betrachtete mit vergnügter Miene die Frisur der Prinzessin. Es war deutlich, daß er imstande war, so noch sehr lange in Seelenruhe zu schweigen. »Wenn euch dieses Stillschweigen unbehaglich ist, nun, dann redet; ich für meine Person habe keine Lust dazu«, schien seine Miene zu sagen. Außerdem hatte Anatol im Verkehr mit Frauen eine Manier an sich, die in ganz besonderem Grad geeignet ist, bei diesen Neugier, Furcht und sogar Liebe zu erwecken: er brachte seine Geringschätzung der Frauen und das Bewußtsein seiner eigenen Überlegenheit stark zum Ausdruck. Er sagte gleichsam durch sein Benehmen zu ihnen: »Ich kenne euch, kenne euch genau; aber wozu soll ich mich mit euch abgeben? Ja, das würde euch freuen, wenn ich's täte!« Möglich, daß er das gar nicht dachte, wenn er mit Frauen zusammen war (und es war sogar wahrscheinlich, daß er es nicht tat, da er überhaupt nur sehr wenig dachte); aber sein Äußeres und sein Benehmen machten diesen Eindruck. Die Prinzessin fühlte das heraus, und wie um ihm zu zeigen, daß sie es nicht im entferntesten darauf anlege, sein Interesse zu erwecken, wandte sie sich zum Fürsten Wasili. Es kam ein lebhaftes, gemeinsames Gespräch in Gang, namentlich durch das Verdienst der kleinen Fürstin mit dem munteren Stimmchen und der Oberlippe mit dem Schnurrbärtchen, die sich hinaufzog, so daß die weißen Zähne sichtbar wurden. Sie brachte dem Fürsten Wasili gegenüber jene scherzhafte Gesprächsart zur Anwendung, deren sich vergnügte, plauderlustige Leute häufig bedienen, und welche darin besteht, daß man so tut, als beständen zwischen einem selbst und dem andern, mit dem man in dieser Weise verkehrt, schon längst scherzhafte Beziehungen und amüsante, den anderen Zuhörern zum Teil unbekannte, gemeinsame Erinnerungen, während doch in Wirklichkeit dergleichen Beziehungen und Erinnerungen gar nicht existieren, wie denn auch zwischen der kleinen Fürstin und dem Fürsten Wasili keine vorhanden waren. Fürst Wasili ging gern auf diesen Ton ein; die kleine Fürstin zog in diese Erinnerungen komische Vorgänge hinein, die sich niemals ereignet hatten, sowie auch die Person Anatols, den sie fast gar nicht kannte. Auch Mademoiselle Bourienne beteiligte sich an diesen gemeinsamen Erinnerungen, und sogar Prinzessin Marja fühlte sich mit Vergnügen in dieses lustige Geplauder hineingezogen.

»Jetzt werden wir Sie wenigstens voll und ganz genießen können, lieber Fürst«, sagte die kleine Fürstin, natürlich auf französisch, zu dem Fürsten Wasili. »Hier ist es anders als auf unsern Abendgesellschaften bei Annette, wo Sie immer sehr bald weglaufen; denken Sie wohl noch an unsere liebe Annette?«

»Gewiß! Aber reden Sie nur nicht mit mir über Politik, wie Annette!«

»Und denken Sie noch an unsern Teetisch?«

»O ja!«

»Warum haben Sie denn nie bei Annette verkehrt?« fragte die kleine Fürstin Anatol. »Ah, ich weiß, ich weiß«, fuhr sie, mit den Augen zwinkernd, fort. »Ihr Bruder Ippolit hat mir von Ihnen Geschichten erzählt, Geschichten! Oh!« Sie drohte ihm mit dem Finger. »Ich weiß von den Streichen, die Sie noch zuletzt in Paris verübt haben.«

»Hat dir Ippolit nicht erzählt, wie es ihm ergangen ist?« sagte Fürst Wasili, zu seinem Sohn gewendet, und ergriff dabei die Fürstin an der Hand, als ob sie ihm hätte weglaufen wollen und es ihm noch gerade gelungen wäre, sie festzuhalten. »Hat er dir nicht erzählt, wie er, Ippolit, vor Leidenschaft für die liebenswürdige Fürstin ganz krank war, und wie sie ihn aus dem Haus wies?«

»Oh! Sie ist die Perle der Frauen, Prinzessin!« wandte er sich an Prinzessin Marja.

Mademoiselle Bourienne ihrerseits ließ bei dem Wort Paris die Gelegenheit nicht unbenutzt, sich an dem gemeinsamen Gespräch über Erinnerungen auch zu beteiligen.

Sie erlaubte sich die Frage, ob es schon länger her sei, daß Anatol Paris verlassen habe, und wie ihm diese Stadt gefalle. Anatol antwortete der Französin mit großem Vergnügen und unterhielt sich, indem er sie lächelnd ansah, mit ihr von ihrem Vaterland. Anatol hatte sich gleich, sowie er dieses hübsche Fräulein erblickt hatte, gesagt, daß es auch hier in Lysyje-Gory nicht langweilig sein werde. »Sehr nett«, dachte er jetzt, während er sie betrachtete; »diese Gesellschafterin ist wirklich sehr nett. Ich hoffe, daß die Prinzessin sie mitnimmt, wenn sie meine Frau wird; die Kleine ist allerliebst.«

Der alte Fürst kleidete sich in seinem Zimmer an, ohne sich zu beeilen, und überlegte mit finsterer Miene, was er zu tun habe. Die Ankunft dieser Gäste ärgerte ihn. »Was habe ich mit dem Fürsten Wasili und seinem Söhnchen zu schaffen? Fürst Wasili ist ein hohler Prahlhans; na, und sein Sohn wird wohl auch ein nettes Bürschchen sein«, brummte er vor sich hin. Er ärgerte sich darüber, daß die Ankunft dieser Gäste in seiner Seele eine Frage wiederaufleben ließ, die er nie hatte entscheiden mögen, sondern, sooft sie in ihm laut wurde, beständig übertäubt hatte, eine Frage, in betreff deren der alte Fürst sich immer einer Selbsttäuschung hingab. Diese Frage bestand darin, ob er sich jemals entschließen werde, sich von Prinzessin Marja zu trennen und sie einem Mann zur Frau zu geben. Der Fürst hatte sich diese Frage noch nie geradezu vorlegen mögen, da er vorherwußte, daß er eine gerechte Antwort darauf geben würde; diese gerechte Antwort aber widerstritt nicht nur seiner Empfindung, sondern in noch höherem Grad seiner gesamten Lebenseinrichtung. Ein Leben ohne Prinzessin Marja, das konnte Fürst Nikolai Andrejewitsch, so wenig er auch seine Tochter anscheinend schätzte, sich gar nicht vorstellen. »Und wozu soll sie heiraten?« dachte er. »Wohl um unglücklich zu werden. Da hat Lisa nun Andrei geheiratet (ein besserer Mann dürfte jetzt schwer zu finden sein), und ist sie etwa mit ihrem Schicksal zufrieden? Und wer wird Marja aus Liebe nehmen? Sie ist häßlich und unbeholfen. Wer sie heiratet, nimmt sie nur um der Konnexionen und des Geldes willen. Und es leben doch so viele als alte Jungfern und sind dadurch eher noch glücklicher.« So überlegte Fürst Nikolai Andrejewitsch, während er sich ankleidete; aber dabei verlangte die immer beiseite geschobene Frage nun unverzügliche Entscheidung. Fürst Wasili hatte seinen Sohn offenbar in der Absicht mitgebracht, um Marjas Hand anzuhalten, und es war zu erwarten, daß er heute oder morgen eine klare Antwort verlangen werde. Name und gesellschaftliche Stellung waren anständig. »Meinetwegen, ich habe nichts dagegen«, sagte der Fürst zu sich selbst; »aber er muß ihrer würdig sein. Und daraufhin müssen wir ihn uns erst einmal ansehen.«

»Daraufhin müssen wir ihn uns erst einmal ansehen!« sagte er laut vor sich hin. »Daraufhin müssen wir ihn uns erst einmal ansehen!«

Er ging wie immer mit energischen Schritten in den Salon, musterte rasch mit einem Blick alle Anwesenden, bemerkte den Kleiderwechsel der kleinen Fürstin und das Haarband der Mademoiselle Bourienne und die häßliche Frisur der Prinzessin Marja und das Lächeln der Mademoiselle Bourienne und Anatols und die Vereinsamung seiner Tochter bei dem allgemeinen Gespräch. »Sie hat sich wie eine Närrin aufgeputzt«, dachte er und sah seine Tochter zornig an. »Schämt sich nicht; und er will gar nichts von ihr wissen!«

Er trat zum Fürsten Wasili.

»Nun, willkommen, willkommen; ich freue mich, dich zu sehen.«

»Für einen lieben Freund kommt's einem auf einen Umweg von ein paar Werst nicht an«, sagte Fürst Wasili in seiner gewöhnlichen Weise: schnell, selbstbewußt und in familiärem Ton. »Das hier ist mein Zweiter; wenden Sie ihm, bitte, Ihr freundliches Wohlwollen zu.«

Fürst Nikolai Andrejewitsch musterte Anatol aufmerksam.

»Ein hübscher Bursche, ein hübscher Bursche!« sagte er. »Na, komm her und küsse mich.« Er hielt ihm die Wange hin.

Anatol küßte den Alten und sah ihn neugierig und mit größter Seelenruhe an; er wartete darauf, ob er bald irgendeine Wunderlichkeit begehen werde, worauf ihn sein Vater vorbereitet hatte.

Fürst Nikolai Andrejewitsch setzte sich auf seinen gewöhnlichen Platz in der Sofaecke, zog einen Sessel für den Fürsten Wasili zu sich heran, wies einladend mit der Hand darauf hin und begann sich nach den neuesten politischen Ereignissen zu erkundigen. Er schien den Bericht des Fürsten Wasili aufmerksam anzuhören, sah aber fortwährend zu Prinzessin Marja hin.

»So lautet die neueste Nachricht aus Potsdam?« sagte er, die letzten Worte des Fürsten Wasili wiederholend; dann stand er plötzlich auf und trat zu seiner Tochter.

»Hast du dich für die Gäste so herausgeputzt, he?« fragte er. »Hübsch siehst du aus, sehr hübsch. Du hast dich für die Gäste auf eine neue Manier frisiert; ich aber sage dir in Gegenwart der Gäste: untersteh dich nicht wieder, ohne meine Erlaubnis deine Toilette zu ändern.«

»Daran bin ich schuld, lieber Vater«, sagte die kleine Fürstin errötend zur Verteidigung ihrer Schwägerin.

»Sie selbst können tun und lassen, was Sie wollen«, sagte Fürst Nikolai Andrejewitsch und machte vor seiner Schwiegertochter einen Kratzfuß. »Für meine Tochter aber hat es keinen Zweck, sich zu verunstalten; sie ist so schon häßlich genug.«

Damit setzte er sich wieder auf seinen Platz, ohne seine Tochter weiter zu beachten, der die Tränen in den Augen standen.

»Aber nicht doch! Diese Frisur steht der Prinzessin außerordentlich gut«, sagte Fürst Wasili.

»Nun, mein Freundchen, junger Fürst, wie heißt du denn?« wandte sich Fürst Nikolai Andrejewitsch zu Anatol. »Komm mal her, wir wollen ein bißchen miteinander reden, uns kennen lernen.«

»Aha, nun geht der Spaß los!« dachte Anatol und setzte sich lächelnd näher an den alten Fürsten heran.

»Nun also, was ich sagen wollte: Sie sind, wie ich höre, im Ausland erzogen, lieber Freund. Anders als ich und dein Vater; uns hat der Küster Lesen und Schreiben gelehrt. Sagen Sie mir, mein Lieber, Sie sind jetzt bei der Gardekavallerie?« fragte der Alte und blickte dabei aus geringer Entfernung dem jungen Mann unverwandt ins Gesicht.

»Nein, ich bin zur Linie übergegangen«, antwortete Anatol, der kaum imstande war, das Lachen zu unterdrücken.

»Ah! Aller Ehren wert! Sie wollen doch gewiß dem Kaiser und dem Vaterland Ihre Kräfte widmen, lieber Freund? Es ist eine kriegerische Zeit. Ein so kräftiger junger Mann muß dienen, muß dienen. Nun? Stehen Sie im Frontdienst?«

»Nein, Fürst. Unser Regiment ist ausgerückt. Aber ich werde jetzt bei einem anderen Regiment nur in der Liste geführt ... Bei welchem Regiment werde ich doch geführt, Papa?« wandte sich Anatol lachend an seinen Vater.

»Eine prächtige Art zu dienen, eine prächtige Art! Bei welchem Regiment werde ich geführt! Hahaha!« sagte Fürst Nikolai Andrejewitsch lachend.

Anatol lachte noch lauter als vorher. Auf einmal machte Fürst Nikolai Andrejewitsch ein finsteres Gesicht.

»Nun, dann kannst du wieder gehen«, sagte er zu Anatol.

Anatol ging lächelnd wieder zu den Damen.

»Du hast sie im Ausland erziehen lassen, Fürst Wasili, nicht wahr?« wandte sich der alte Fürst an den Fürsten Wasili.

»Ich habe für ihre Ausbildung getan, was ich nur konnte; und ich kann Ihnen versichern, daß die dortige Erziehung weit besser ist als die bei uns.«

»Ja, heutzutage ist alles anders, alles neumodisch. Ein frischer Bursche, das muß man sagen! Na, dann wollen wir in mein Zimmer gehen.«

Er faßte den Fürsten Wasili unter den Arm und führte ihn in sein Arbeitszimmer.

Sobald Fürst Wasili mit ihm allein war, eröffnete er ihm sofort, was er wünsche und hoffe.

»Was denkst du dir denn?« erwiderte der alte Fürst ärgerlich. »Meinst du, daß ich sie hier festbinden will? Daß ich mich nicht von ihr trennen kann? Törichte Ideen von euch!« rief er zornig. »Meinetwegen morgen! Nur das sage ich dir: ich will meinen Schwiegersohn erst genauer kennenlernen. Du kennst meinen Grundsatz: Offenheit und Klarheit in allen Dingen! Ich will meine Tochter morgen in deiner Gegenwart fragen; wenn sie ihn will, so mag er eine Weile hier bei uns wohnen. Dann werde ich ihn mir ansehen.« Der Fürst schnob durch die Nase. »Mag sie ihn heiraten; mir ganz gleich!« schrie er mit ebenso scharfer, kreischender Stimme wie damals, als er von seinem Sohn Abschied nahm.

»Ich will gegen Sie ganz offen sein«, erwiderte Fürst Wasili in dem Ton eines schlauen Menschen, der überzeugt ist, daß bei dem Scharfblick seines Gegenübers Kniffe und Pfiffe doch nutzlos sein würden. »Sie sehen ja doch die Menschen durch und durch. Anatol ist kein Genie, aber ein ehrlicher, braver Bursche, ein vortrefflicher Sohn und Bruder.«

»Nun, nun, gut, wir wollen sehen.«

Wie alle in der Abgeschiedenheit lebenden Frauen, die lange ohne männliche Gesellschaft gewesen sind, so hatten bei Anatols Erscheinen auch die drei Damen im Hause des Fürsten Nikolai Andrejewitsch das Gefühl, daß ihr Leben bisher eigentlich kein wahres Leben gewesen sei. Bei ihnen allen hatte sich die Kraft, zu denken, zu empfinden, zu beobachten, augenblicklich verzehnfacht, und ihr bisher gleichsam in Finsternis verbrachtes Leben wurde auf einmal von einem neuen, bedeutungsvollen Licht erhellt.

Prinzessin Marja dachte jetzt mit keinem Gedanken mehr an ihr Gesicht und an ihre Frisur. Das hübsche, offene Gesicht des Mannes, der vielleicht bald ihr Gatte wurde, nahm ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Er erschien ihr gutherzig, tapfer, energisch, mannhaft und hochherzig. Von der Richtigkeit dieses Urteils war sie überzeugt. Tausend lockende Bilder eines künftigen Familienlebens stellte ihre Phantasie ihr unermüdlich vor Augen. Aber sie wies diese Bilder von sich und suchte sie zu verdecken.

»Aber bin ich auch nicht zu kalt gegen ihn?« dachte Prinzessin Marja. »Ich suche mich zurückzuhalten, da ich in der Tiefe meiner Seele die Empfindung habe, daß ich ihm schon gar zu nahe gerückt bin. Aber er weiß ja nichts von alledem, was ich über ihn denke, und glaubt vielleicht, daß er mir unangenehm sei.«

Und nun bemühte sich Prinzessin Marja, gegen den neuen Gast liebenswürdig zu sein; aber auf diese Kunst verstand sie sich nicht. »Das arme Mädchen! Sie ist nichtswürdig häßlich«, dachte Anatol.

Mademoiselle Bourienne, die gleichfalls durch Anatols Ankunft in einen hohen Grad von Aufregung versetzt war, hatte Gedanken von anderer Art. Dieses schöne junge Mädchen, das keine feste Stellung in der Gesellschaft, keine Verwandten und Freunde und nicht einmal eine Heimat besaß, dachte natürlich nicht daran, ihr ganzes Leben dem Dienst beim Fürsten Nikolai Andrejewitsch, der Tätigkeit als seine Vorleserin und der Freundschaft mit Prinzessin Marja zu weihen. Mademoiselle Bourienne wartete schon lange auf den russischen Fürsten, der auf den ersten Blick zu würdigen wissen werde, wie weit sie den häßlichen, schlecht angezogenen, unbeholfenen russischen Fürstentöchtern überlegen sei, sich in sie verlieben und sie entführen werde; und nun war dieser russische Fürst endlich erschienen! Mademoiselle Bourienne hatte eine Geschichte im Kopf, die sie einmal von einer Tante gehört und selbst mit einem Schluß versehen hatte, und die sie sich in Gedanken gern immer wieder erzählte. In dieser Geschichte kam vor, wie vor ein verführtes Mädchen plötzlich ihre arme Mutter, sa pauvre mère, hintrat und ihr Vorwürfe machte, weil sie sich ohne Ehe einem Mann hingegeben hatte. Mademoiselle Bourienne wurde oft bis zu Tränen gerührt, wenn sie in Gedanken »ihm«, dem Verführer, diese Geschichte erzählte. Und nun war dieser »er«, ein echter russischer Fürst, erschienen; der werde sie entführen, und dann werde die arme Mutter erscheinen, und der Fürst werde sie heiraten. So legte sich Mademoiselle Bourienne im Kopf ihr ganzes zukünftiges Leben zurecht, während sie gleichzeitig sich mit »ihm« über Paris unterhielt. Mademoiselle Bourienne ließ sich dabei nicht durch besondere Berechnungen leiten (sie dachte nicht einmal einen Augenblick darüber nach, was sie nun zu tun habe), sondern sie hatte ihr gesamtes Verhalten schon längst sozusagen gebrauchsfertig daliegen und brachte es jetzt einfach bei dem auf der Bildfläche erschienenen Anatol zur Anwendung, dem sie so viel als möglich zu gefallen wünschte und sich bemühte.

Der kleinen Fürstin aber ging es wie einem alten Kavalleriepferd, das den Klang der Trompete hört und zum Galopp ansetzt: ohne sich dessen bewußt zu werden und ohne an ihren Zustand zu denken, griff sie zu den gewohnten Künsten der Koketterie, ohne jeden Hintergedanken und ohne die Absicht, mit jemand um den Preis zu ringen, lediglich in harmloser, leichtsinniger Fröhlichkeit.

Trotzdem Anatol sich in weiblicher Gesellschaft gewöhnlich das Ansehen gab, als seien ihm die eifrigen Bemühungen der Frauen um ihn zuwider, fühlte er doch bei der Wahrnehmung des Eindrucks, den er auf diese drei Damen gemacht hatte, seine Eitelkeit angenehm gekitzelt. Außerdem begann sich bei ihm der hübschen, herausfordernden Mademoiselle Bourienne gegenüber jenes leidenschaftliche, animalische Gefühl zu regen, das ihn immer mit außerordentlicher Schnelligkeit überkam und zu den ärgsten und tollkühnsten Handlungen hinriß.

Die Gesellschaft begab sich nach dem Tee ins Sofazimmer, und man bat die Prinzessin, doch etwas auf dem Klavier vorzuspielen. Anatol stand, sich auf das Klavier stützend, ihr gegenüber, neben Mademoiselle Bourienne, und seine fröhlichen, lachenden Augen blickten die Prinzessin Marja an. Prinzessin Marja merkte mit qualvoller und zugleich freudiger Erregung, daß seine Blicke auf sie gerichtet waren. Durch ihre Lieblingssonate fühlte sie sich in eine poetische Welt seelischen Empfindens versetzt, und der Blick, den sie auf sich ruhen fühlte, verlieh dieser Welt einen noch höheren poetischen Reiz. Indessen bezog sich Anatols Blick, obgleich er auf die Prinzessin gerichtet war, gar nicht auf diese, sondern auf die Bewegungen von Mademoiselle Bouriennes Füßchen, das er gleichzeitig unter dem Klavier mit seinem Fuß berührte. Auch Mademoiselle Bourienne sah die Prinzessin an, und in ihren schönen Augen lag ebenfalls ein der Prinzessin Marja neuer Ausdruck, ein Ausdruck erschrockener Freude und erwachender Hoffnung.

»Wie lieb sie mich hat!« dachte Prinzessin Marja. »Wie glücklich bin ich jetzt, und welch ein Glück steht mir noch bevor mit einer solchen Freundin und einem solchen Gatten! Wird er wirklich mein Gatte werden?« dachte sie und wagte ihm nicht ins Gesicht zu blicken, da sie immer diesen selben Blick auf sich gerichtet fühlte.

Nach dem Abendessen, als die Gesellschaft auseinander ging, küßte Anatol der Prinzessin die Hand. Sie wußte selbst nicht, wie sie den Mut dazu fand, aber sie blickte ihm gerade in sein schönes Gesicht, das ihren kurzsichtigen Augen nahe kam. Nach der Prinzessin trat er auch zu Mademoiselle Bourienne und küßte ihr die Hand (dies war unpassend; aber er tat alles mit der größten Sicherheit, als müßte es so sein); Mademoiselle Bourienne wurde rot und blickte die Prinzessin erschrocken an.

»Wie zartfühlend sie ist!« dachte die Prinzessin. »Denkt Amélie« (so hieß Mademoiselle Bourienne) »wirklich, ich könnte eifersüchtig werden und ihre reine Zärtlichkeit und Anhänglichkeit an mich nicht zu schätzen wissen?« Sie ging zu Mademoiselle Bourienne hin und küßte sie herzlich. Anatol trat auch zu der kleinen Fürstin, um ihr die Hand zu küssen.

»Nein, nein, nein! Wenn Ihr Vater mir schreiben wird, daß Sie sich gut betragen, will ich Sie meine Hand küssen lassen. Aber nicht vorher.« Sie hob lächelnd den Zeigefinger in die Höhe und verließ das Zimmer.

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