Kitabı oku: «Anna Karenina, 1. Band», sayfa 10

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„Ja; etwas ist an mir widerlich, abstoßend,“ dachte Lewin, das Haus der Schtscherbazkiy verlassend und sich zu Fuße nach der Wohnung seines Bruders begebend.

„Ich tauge nicht für meine Mitmenschen; mein Stolz sei daran schuld, sagen sie. Nein; Stolz ist nicht in mir. Wäre es der Fall, dann hätte ich mich nicht in eine solche Situation gebracht.“

Er stellte sich nun Wronskiy vor, den Glücklichen, Guten, Verständigen, den ruhigen Menschen, der wahrscheinlich niemals in einer so furchtbaren Lage gewesen war, in der er selbst sich heute Abend befunden. Ja sie mußte jenen wählen, es mußte so kommen und er hatte sich über niemand und über nichts zu beklagen. Er war selbst schuld. Denn welches Recht besaß er, zu denken, daß sie ihr Leben mit dem seinigen vereinen sollte? Wer war er? Ein gewöhnlicher Mensch den niemand brauchte und der niemand nützlich war.

Er dachte an seinen Bruder Nikolay und mit Freude gab er sich der Erinnerung an ihn hin.

„Hat er nicht recht, daß alles in der Welt schlecht und häßlich ist? Sind wir etwa gerecht gewesen im Urteil über unseren Bruder? Natürlich, vom Standpunkte Prokops, der ihn im zerrissenen Pelze und berauscht gesehen hat, ist er ein Verworfener; aber ich kenne ihn anders; ich kenne seine Seele und weiß, daß wir beide einander ähnlich sind. Und ich, anstatt daß ich gekommen wäre ihn aufzusuchen, bin hierher gekommen, um zu dinieren.“

Lewin trat an eine Laterne, las die Adresse seines Bruders, die er in seiner Brieftasche trug, und rief einen Mietkutscher.

Den ganzen langen Weg zum Bruder Nikolay hin erinnerte er sich nochmals aller Vorkommnisse aus dessen Leben. Er entsann sich, wie sein Bruder auf der Universität und noch ein Jahr nach derselben ungeachtet des Spottes seiner Freunde, wie ein Mönch gelebt hatte, mit Strenge alle Anforderungen des Glaubens erfüllend, des Ritus, der Fasten und alle Vergnügungen meidend, insbesondere den Verkehr mit den Weibern. Dann war er plötzlich umgeschlagen, mit den niedrigsten Geschöpfen in Berührung getreten und hatte sich der zügellosesten Ausschweifung ergeben. Lewin entsann sich ferner eines Ereignisses mit einem Knaben, den Nikolay aus dem Dorfe genommen hatte, um ihn ausbilden zu lassen, den er aber in einem Wutanfall so geschlagen hatte, daß infolge dessen ein Prozeß, unter Anklage zugefügter körperlicher Schädigung begann. Er entsann sich jenes Vorkommnisses mit einem Schüler, an den er Geld verspielt und Wechsel gegeben und welchen er in der Folge diesbezüglich verklagt hatte unter dem Nachweis, daß jener ihn betrogen habe. Es waren dies die Gelder, welche Sergey Iwanowitsch zahlte. Dann dachte er daran, wie Nikolay wegen ungebührlichen Benehmens eine Nacht im Stockhaus untergebracht gewesen, und wie ferner von ihm jener schmähliche Prozeß gegen den Bruder Sergey Iwanowitsch angestrengt worden war, weil ihm dieser nicht seinen Anteil aus dem mütterlichen Erbe ausbezahlt hätte, und schließlich, wie er fortgegangen war, um in einer westlichen Provinz in Dienst zu treten und ihm hier der Prozeß gemacht wurde, weil er den Vorgesetzten geprügelt hatte.

Alles das war unsagbar widerlich, aber Lewin erschien es durchaus nicht so widerlich, wie es denen erscheinen mußte, die Nikolay nicht kannten, von seiner ganzen Lebensgeschichte nichts wußten und nichts von seinem Herzen.

Lewin vergegenwärtigte sich, daß zu jener Zeit, da Nikolay sich der Religiosität, den Fasten, dem Mönchsleben, und dem Dienste der Kirche hingegeben hatte, um in der Religion Hilfe zu suchen und die Zügel für seine leidenschaftliche Natur, niemand ihm beistand, sondern alle nur – ja Lewin selbst mit – über ihn gelacht hatten. Man hatte ihn verspottet, ihn Noah und Mönch genannt. Als er aber dann zusammenbrach, da hatte ihm keiner beigestanden, sondern sie hatten sich alle mit Schrecken und Abscheu von ihm abgewandt.

Lewin fühlte, daß sein Bruder Nikolay in seiner Seele, auf dem Grunde seines Gemütes, trotz aller Ungeschlachtheiten in seinem Leben, nicht schlechter war, als diejenigen, welche ihn verachteten.

Er trug keine Schuld daran, daß er mit so unbezähmbarem Naturell und einem in gewisser Beziehung beengten Horizont geboren war. Er hatte doch stets gestrebt darnach, gut zu sein!

„Ich werde ihm alles sagen, alles will ich ihm sagen lassen und ihm beweisen, daß ich ihn liebe und daher auch verstehe,“ sagte Lewin zu sich selbst, um elf Uhr nachts vor dem auf der Adresse angegebenen Gasthaus vorfahrend.

„Oben, Nr. 12 und 13,“ antwortete der Portier auf seine Frage.

„Ist er daheim?“

„Er muß wohl da sein.“

Die Thür zu Nr. 12 stand halbgeöffnet und aus ihr heraus quoll in einem lichten Streifen der dichte Qualm von schlechtem und schwachem Tabak. Lewin vernahm eine ihm unbekannte Stimme, erkannte aber alsbald, daß sein Bruder anwesend sei, denn er hörte dessen Husten.

Als er eintrat, sprach die unbekannte Stimme gerade:

„Alles hängt davon ab, inwieweit die Sache verständig und mit Überlegung geführt wird.“

Konstantin Lewin schaute in die Thür und gewahrte, daß ein junger Mann in einer ungeheuren haarigen Pelzmütze und Pelzjacke soeben sprach, während auf dem Sofa ein junges pockennarbiges Weib in einem wollenen Kleid ohne Ärmel und Kragen saß. Sein Bruder war nicht sichtbar.

Konstantin drückte es schwer auf das Herz, als er sich vergegenwärtigte, in welcher Umgebung sein Bruder lebe. Niemand hatte ihn vernommen und so streifte er seine Galoschen ab und lauschte auf das, was der Mann in der Pelzjacke sprach. Er perorierte soeben über ein gewisses Unternehmen.

„Ja; der Teufel mag sie holen, diese privilegierten Stände,“ hörte er die Stimme seines Bruders zugleich mit dessen Husten.

„Mascha, bringe uns das Abendbrot, gieb Branntwein wenn noch welcher da ist, sonst schicke darnach.“

Das Weib erhob sich, ging hinter eine Zwischenwand und gewahrte jetzt Konstantin.

„Es ist ein Herr da, Nikolay Dmitritsch,“ sprach sie.

„Zu wem will er?“ antwortete die Stimme Nikolay Dmitritschs gereizt.

„Ich bin es,“ versetzte Konstantin Lewin, in den Lichtkreis tretend.

„Wer ist das, ‚ich‘?“ wiederholte noch rauher die Stimme Nikolays. Man vernahm, wie er schnell aufstand, wobei er an irgend einem Gegenstande hängen blieb. Lewin erblickte nun vor sich in der Thür die wohlbekannte Gestalt des Bruders, die ihn aber jetzt mit ihrer Wildheit und Krankhaftigkeit, hochgewachsen, abgezehrt und zusammengehockt, mit großen, verstörten Augen, in Schrecken versetzte.

Er war noch hagerer geworden als er vor drei Jahren gewesen, wo Konstantin Lewin ihn zum letztenmal gesehen hatte. Seine Hände erschienen jetzt noch abgezehrter, seine Haare waren dünner geworden, aber dieselben starr ragenden Barthaare bedeckten noch seine Lippen, die nämlichen Augen schauten seltsam und groß auf den Eintretenden.

„Ah, mein Kostja!“ rief er diesem plötzlich zu, den Bruder erkennend, und seine Augen strahlten in freudigem Glanze auf; aber in derselben Sekunde schaute er auch auf den jungen Mann und machte dann eine Konstantin nur zu gut bekannte heftige Bewegung mit dem Kopfe und Halse, als wenn ihn das Halstuch drückte.

Ein Ausdruck völliger Wildheit, Krankhaftigkeit und doch Härte lagerte sich auf seinen abgezehrten Zügen.

„Ich habe doch dir und Sergey Iwanowitsch geschrieben, daß ich Euch nicht kenne und nicht kennen will. Was willst du also, was wünschest du!“

Er war also doch ganz anders, als Konstantin ihn sich vorgestellt hatte. Das Fühlbarste und Abstoßendste in seinem Charakter, was den Verkehr mit ihm so schwierig machte, hatte Konstantin Lewin ganz vergessen gehabt, als er des Bruders gedachte; jetzt aber, als er dessen Gesicht wieder erblickte, da fiel ihm – namentlich als er diese krampfhafte Kopfbewegung gewahrte – alles wieder ein.

„Ich komme nicht zu dir, weil ich etwas von dir wünschte,“ antwortete Lewin schüchtern, „ich bin nur gekommen, um dich einmal zu sehen.“

Die Verzagtheit des Bruders stimmte Nikolay sichtlich zugänglicher. Er zuckte die Lippen.

„Ah, dazu kommst du?“ antwortete er, „nun, tritt ein, setze dich. Willst du Abendbrot mit essen? Mascha, bring drei Portionen. Oder nein, halt; weißt du denn, wer das ist?“ wandte er sich an seinen Bruder, auf den Fremden im Halbpelz weisend, „das ist Herr Krizkiy, mein Freund noch von Kieff her, ein sehr interessanter Mensch. Man sucht ihn, verstehst du, seitens der Polizei, weil er kein Niedriger sein will.“

Nach seiner Gewohnheit ließ Nikolay den Blick auf sämtliche im Zimmer befindliche Anwesende herumgleiten. Als er bemerkt hatte, daß das Weib, welches schon an der Thür stand, gehen wollte, rief er ihm zu: „Halt, habe ich gesagt!“

Mit jener Unsicherheit, jener zusammenhanglosen Sprechweise, die Konstantin am Bruder längst kannte, begann er jetzt, wiederum alle der Reihe nach musternd, die Geschichte Krizkiys zu erzählen, und berichtete, wie man diesen von der Universität relegiert habe, weil er einen Verein zur Unterstützung armer Studierender und Sonntagsschulen gegründet hatte; wie er dann Lehrer an der Volksschule geworden, aber auch hier verjagt, endlich aus Gründen dem Gericht in die Hände gefallen sei.

„Ihr waret an der Universität Kieff?“ frug Konstantin Lewin Krizkiy um das nach der Erzählung Nikolays eingetretene peinliche Schweigen zu brechen.

„Ja, dort war ich,“ antwortete Krizkiy verbissen.

„Und das Weib dort,“ fiel diesem Nikolay Lewin in die Rede, auf die Frau weisend, „ist meine Freundin für das Leben, Marja Nikolajewna. Ich habe sie aus einem gewissen Hause genommen,“ er ruckte wieder mit dem Hals als er dies sagte, dann fuhr er fort mit erhobener Stimme und drohender Miene, „aber ich liebe und achte sie, bitte mir aus, daß wer mich kennen will, sie liebt und achtet. Es thut nichts, wer mein Weib ist; ganz gleich. Also du weißt jetzt, mit wem du es zu thun hast, und falls du denkst, du erniedrigst dich hier, so ist dort Gott und meine Schwelle!“

Wiederum liefen seine Augen fragend über alle Anwesenden hin.

„Weshalb sollte ich mich erniedrigen, ich verstehe dich nicht.“

„So laß also, Mascha, das Abendessen bringen; drei Portionen, Wein und Branntwein. Oder nein, halt – Nein – es ist nicht nötig – doch geh, geh!“ —

25

„Sieh einmal,“ fuhr er fort, vor Anstrengung die Stirne runzelnd; es wurde ihm offenbar schwer, sich vorzustellen, was er jetzt eigentlich sagen oder thun solle.

„Siehst du dort“ – er wies in eine Ecke des Gemachs auf einige eiserne Stangen, die zusammengebunden waren. „Siehst du das dort? Dies ist der Anfang eines neuen Werkes, an das wir gehen wollen; es handelt sich um die Errichtung einer produktiven Arbeitergenossenschaft.“

Konstantin hörte kaum etwas. Er sah nur das leidende, abgezehrte Gesicht und es wurde ihm weh und weher zu Mut, so daß er nicht imstande war, dem ein aufmerksames Ohr zu leihen, was sein Bruder ihm von der Arbeitergenossenschaft berichtete.

Er sah, daß diese Genossenschaft nur ein Anker werden sollte zur Errettung vor der Selbstverachtung. Nikolay Lewin sprach weiter:

„Du weißt ja, daß das Kapital den Arbeiter erdrückt. Die Arbeiter, die wir haben, die Bauern, tragen alle Last der Arbeit und sind so gestellt, daß sie, wie viel sie auch immer arbeiten mögen, nicht aus ihrer Stellung als menschliche Tiere herauskommen können.

„All den Gewinn des Arbeiterlohnes, für den sie ihre Lage verbessern, und sich auch eine Ruhezeit gönnen könnten und infolge davon auch eine Bildung – all den Überschuß dieses Ertrags nehmen ihnen die Kapitalisten hinweg. Die Gesellschaft ist jetzt so eingerichtet, daß die Kaufleute, die Gutsherren umsomehr zu genießen haben, je mehr jene arbeiten, und sie werden stets arbeitendes Ackervieh bleiben. Diese Einrichtung aber muß geändert werden,“ – schloß Nikolay und blickte dabei fragend auf den Bruder.

„Natürlich,“ versetzte dieser mit einem Blick auf die Röte, welche auf den hervorstehenden Backenknochen des Bruders erschienen war.

„Wir wollen nämlich eine Schlossergenossenschaft errichten, in welcher alle Erzeugnisse und der Ertrag, sowie die hauptsächlichsten Instrumente zur Arbeit, gemeinsam sein sollen.“

„Und wo soll diese Arbeitergesellschaft ihren Sitz haben?“ frug Konstantin Lewin.

„Im Dorfe Wosdremo, im Gouvernement Kasan.“

„Weshalb denn auf einem Dorfe? Auf den Dörfern, scheint mir, giebt es doch schon genug zu thun. Was soll eine Schlossergesellschaft auf einem Dorfe?“

„Nun, deshalb, weil die Bauern jetzt noch die nämlichen Sklaven sind, die sie von jeher waren; dir und Sergey Iwanowitsch freilich wird es unangenehm sein, daß sie dieser Knechtschaft entrissen werden sollen,“ versetzte Nikolay Lewin, von der Entgegnung aufgebracht.

Konstantin Lewin seufzte, und blickte zu gleicher Zeit in dem düsteren, schmutzigen Raume umher. Sein Seufzer schien Nikolay noch mehr zu erregen.

„Ich kenne deine und Sergey Iwanowitschs aristokratische Anschauungen, und weiß, daß er zumal alle seine Verstandeskräfte dazu anwendet, um die herrschenden Übelstände zu rechtfertigen.“

„O nein, indessen wozu sprichst du von Sergey Iwanowitsch,“ antwortete lächelnd Lewin.

„Sergey Iwanowitsch? Nun dazu!“ rief plötzlich bei der Nennung dieses Namens Nikolay Lewin aus, „ich will dir sagen wozu! Aber was soll ich dir sagen? Es ist immer dasselbe! Warum bist du zu mir gekommen? Du verachtest doch diese Umgebung, also gut denn, und nun geh mit Gott, geh!“ rief er, von seinem Stuhle aufstehend, „geh, geh!“

„Ich verachte gar nichts,“ antwortete Lewin mild, „und ich streite ja gar nicht.“

In diesem Augenblick kehrte Marja Nikolajewna zurück. Nikolay Lewin blickte heftig erregt auf sie und sie trat schnell zu ihm hin und flüsterte ihm etwas zu.

„Ich bin leidend und daher reizbar geworden,“ fuhr er beruhigt und schwer atmend fort, „später aber erzähle mir von Sergey Iwanowitsch und seinem Artikel. Es steht solch ein Unsinn darin, so viel Lüge, so viel Selbsttäuschung! Was kann er schreiben von der Gerechtigkeit der Menschheit! Er, der diese gar nicht kennt! Habt Ihr den Aufsatz gelesen?“ wandte er sich an Krizkiy, indem er sich an dem Tische niederließ und bis auf die Hälfte desselben die darauf verstreut umherliegenden Cigaretten wegschob, um Platz zu bekommen.

„Ich habe ihn nicht gelesen,“ antwortete Krizkiy finster, augenscheinlich keine Lust verspürend, in das Thema mit einzugreifen.

„Weshalb denn nicht?“ wandte sich Nikolay Lewin jetzt gereizt an Krizkiy.

„Weil ich nicht für nötig halte, damit Zeit zu verlieren.“

„Das heißt bitte sehr, woher wißt Ihr denn, daß Ihr damit nur Zeit verliert? Vielen freilich ist der Artikel gar nicht zugänglich; er ist ihnen zu hoch geschrieben. Ich aber – bei mir ist es etwas anderes – ich lese alle seine Ideen heraus und weiß, wo die Schwächen liegen.“

Alle schwiegen. Krizkiy erhob sich langsam und griff nach seinem Hute.

„Wollt Ihr nicht mit zu Abend essen? Nun, lebt wohl, also morgen mit dem Schlosser!“ —

Kaum war Krizkiy gegangen, als Nikolay Lewin zu lächeln begann und mit den Augen zwinkerte.

„Auch schlecht,“ sagte er, „ich sehe schon“ —

In diesem Augenblick rief Krizkiy von der Thür her nochmals nach Nikolay.

„Was willst du noch?“ antwortete dieser und folgte Krizkiy mit auf den Korridor hinaus. Lewin, mit Marja Nikolajewna allein zurückbleibend wandte sich an diese:

„Lebt Ihr schon lange bei meinem Bruder?“ frug er sie.

„Es geht jetzt in das zweite Jahr. Seine Gesundheit ist sehr schwach geworden, er trinkt wohl zu viel,“ antwortete sie.

„Was trinkt er denn?“

„Branntwein, und der ist ihm sehr schädlich.“

„Soviel trinkt er davon?“ flüsterte Lewin.

„Ja,“ antwortete Marja, schüchtern nach der Thüre schauend, in welcher jetzt Nikolay Lewin wieder erschien.

„Wovon habt Ihr gesprochen?“ frug er stirnrunzelnd und den verstörten Blick von einem auf den andern schweifen lassend. „Wovon?“ wiederholte er.

„Von nichts Wichtigem,“ versetzte Konstantin in einiger Verlegenheit.

„Ihr wollt nur nicht sprechen so wie Ihr möchtet. Übrigens hast du gar nichts mit ihr zu reden. Sie ist eine Magd und du bist ein Herr,“ fuhr er fort, wiederum mit dem Halse ruckend. „Du hast alles verstanden und weißt alles zu würdigen, das sehe ich wohl, und du stellst dich auf den Standpunkt des Mitleids meinen Irrungen gegenüber,“ sagte er darauf, seine Stimme erhebend.

„Nikolay Dmitritsch, Nikolay Dmitritsch,“ flüsterte abermals Marja Nikolajewna, an ihn herantretend.

„Gut, schon gut. Aber was wird mit unserem Abendessen? Da kommt er ja schon,“ sagte Nikolay, den Diener gewahrend, welcher mit dem Servierbrett hereintrat.

„Hierher, setze hierher,“ rief er heftig und ergriff sogleich den Branntwein, füllte ein Glas und leerte es gierig. „Trink, willst du nicht?“ wandte er sich dann an seinen Bruder, gleichsam neu auflebend. „Nun laß uns von Sergey Iwanowitsch sprechen. Ich sehe dich doch gern bei mir. Was du auch dort sprechen mögest, wir beide sind uns nicht so ganz entfremdet. Also trink und erzähle mir, was du machst,“ fuhr er fort, gierig ein Stück Brot mit den Zähnen zermalmend und ein zweites Glas Branntwein darauf einschenkend. „Wie befindest du dich?“

„Einsam auf meinem Dorfe, wie ich schon früher lebte; ich beschäftige mich mit meinem Gutswesen,“ antwortete Konstantin, mit Schrecken auf die Gier blickend, mit welcher sein Bruder aß und trank. Er bemühte sich indessen, seine Aufmerksamkeit nicht zu Tage treten zu lassen.

„Weshalb heiratest du denn nicht?“

„Es ist noch nicht dazu gekommen,“ antwortete Konstantin errötend.

„Warum nicht? Mit mir – ist es vorbei. Ich habe mein Leben verdorben. Das Eine habe ich schon früher gesagt und werde ich stets behaupten; hätte man mir damals mein Erbteil gegeben, als ich es brauchte, dann würde mein ganzes Leben ein anderes geworden sein.“

Konstantin beeilte sich, der Unterhaltung eine neue Richtung zu geben.

„Weißt du schon, daß dein Wanjuschka bei mir in Pokrowsko auf dem Kontor ist?“ sagte er.

Nikolay reckte seinen Hals und versank in Nachdenken.

„Ja, sage mir doch, wie geht es in Pokrowsko? Steht unser Haus noch, was machen die Birken und die Felder? Lebt der Gärtner Philipp noch? Ich besinne mich noch auf die Laube und das Sofa darin! Sieh nur zu, daß nichts im Hause verändert wird, aber – heirate möglichst bald und führe alles wieder so ein wie es vordem gewesen ist. Dann werde ich auch zu dir kommen wenn dein Weib gut ist.“

„Komm doch jetzt zu mir,“ antwortete Lewin, „wir könnten es uns so bequem machen!“

„Ich würde wohl zu dir kommen, wenn ich wüßte, daß ich Sergey Iwanowitsch nicht bei dir fände.“

„Du wirst ihn nicht treffen. Ich lebe vollständig unabhängig von ihm.“

„Ja, aber was du auch sagen mögest, du müßtest doch wählen zwischen ihm und mir,“ beharrte Nikolay, dem Bruder schüchtern in die Augen blickend.

Die Zaghaftigkeit rührte Konstantin.

„Wenn du ein offenes Bekenntnis von mir haben willst in dieser Beziehung, so werde ich dir sagen, daß ich in euerem Zwist mit Sergey Iwanowitsch weder deine, noch die andere Partei ergriffen habe. Ihr befindet euch beide im Unrecht; du hattest dies mehr der äußeren Form nach, er mehr nach dem inneren Gehalt der Sache.“

„Ah! Du hast es erkannt, du hast es erkannt?“ rief freudig erregt Nikolay aus.

„Ich persönlich aber, wenn du auch das wissen willst, ziehe mir die Freundschaft mit dir vor, denn“ —

„Denn, denn?“ —

Konstantin vermochte nicht zu sagen, daß er den Bruder deswegen lieber habe, weil derselbe unglücklich war und ihm Freundschaft nötig sei. Aber Nikolay verstand selbst, daß er eben dies sagen wollte, und widmete sich unter Stirnrunzeln wieder der Flasche.

„Es ist genug jetzt, Nikolay Dmitritsch,“ sagte Marja Nikolajewna, die fleischige Hand nach der Flasche ausstreckend.

„Laß los! Laß mich gehen, oder – ich schlage dich!“ rief er.

Marja Nikolajewna lächelte mit sanftem, gutmütigem Ausdruck, der sich auch Nikolay selbst bald mitteilte, und nahm ihm den Branntwein weg.

„Du denkst wohl, die hier versteht nichts?“ sagte er, „sie versteht alles das besser, als wir alle. Nichtwahr, es liegt etwas Gutes, Liebes in ihr?“

„Ihr waret früher wohl nicht in Moskau?“ wandte sich Lewin an sie, um ihr einige Worte zu sagen.

„Sprich sie nicht mit ‚Ihr‘ an, sie fürchtet sich davor. Seit der Zeit, da sie verurteilt wurde, weil sie das Haus des Lasters verlassen wollte, hat sie mit Ausnahme des Friedensrichters niemand wieder mit ‚Ihr‘ angeredet. Mein Gott, was ist das für ein Unsinn in der Welt!“ rief er plötzlich aus. „Diese neuen Einrichtungen, diese Friedensrichter, diese Semstwos, was ist das alles für Unsinn!“

Er begann hierauf alles was er gegen die neuen Institutionen auf dem Herzen hatte, herunterzusprechen.

Konstantin Lewin hörte ihn an; aber die Negierung jedes höheren Sinnes in allen gesellschaftlichen Institutionen, welche er ja mit ihm teilte und oft ausgesprochen hatte, war ihm jetzt unangenehm im Munde des Bruders.

„In jener Welt werden wir alles Ersehnte haben,“ sagte er im Scherz.

„In jener Welt? O, ich liebe diese nicht. Ich liebe sie nicht,“ wiederholte er, das verstörte, wilde Auge auf seinem Bruder ruhen lassend. Es ist ja freilich wahr, daß es, wenn man all den Greuel und Wirrwarr, den fremden sowohl wie seinen eigenen, verlassen könnte, recht gut sein würde, aber ich fürchte den Tod, ich fürchte mich entsetzlich vor dem Sterben!“ Er schauerte zusammen. „Trinke doch etwas. Willst du lieber Champagner? Oder wollen wir ein wenig ausfahren? Zu den Zigeunern! Weißt du, ich liebe gar zu sehr die Zigeuner und die russischen Lieder!“

Seine Zunge begann zu stocken, und er sprang von einem Thema auf das andere über. Konstantin sowohl wie Marja vermochte ihn nur mit Mühe zu überreden, daß er nicht ausfuhr und beide brachten alsdann den völlig Berauschten zur Ruhe.

Marja versprach Konstantin, im Falle der Not zu schreiben und Nikolay auch bewegen zu wollen, daß er zu dem Bruder käme, um bei diesem zu leben.

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02 mayıs 2017
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