Kitabı oku: «Anna Karenina, 1. Band», sayfa 9
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Zur Theestunde für die Erwachsenen erschien Dolly aus ihrem Zimmer; Stefan Arkadjewitsch kam nicht mit. Er mochte wohl, das Gemach der Gattin verlassend, einen Ausgang nach hinten benutzt haben.
„Ich fürchte, es wird dir oben zu kalt werden,“ wandte sich Dolly zu Anna, „und wünschte recht sehr, dich mehr nach unten zu placieren; wir sind uns dann auch näher.“
„O, meinetwegen beunruhige dich nicht,“ antwortete Anna, in das Gesicht Dollys blickend und sich bemühend aus ihm herauszulesen, ob die Aussöhnung zustande gekommen sei oder nicht.
„Es wird dir hier zu hell sein,“ versetzte die Schwägerin.
„Ich sage dir, daß ich überall schlafen kann und stets wie ein Murmeltier schnarche.“
„Wovon sprecht ihr denn?“ frug Stefan Arkadjewitsch, aus dem Kabinett hereintretend und sich an seine Frau wendend.
An seinem Tone erkannten Anna und Kity sofort, daß die Aussöhnung zustande gekommen war.
„Ich will Anna tiefer einlogieren, es müssen aber die Gardinen anders gesteckt werden. Niemand versteht dies jedoch richtig zu machen, ich muß es daher selbst thun,“ antwortete Dolly, sich an ihren Gatten wendend.
„Wer weiß ob die schon vollkommen ausgesöhnt sind,“ dachte Anna, als sie den kalten ruhigen Ton der Stimme Dollys vernahm.
„O, es ist genug so, Dolly, mach dir nicht zu viel Umstände,“ sagte Stefan Arkadjewitsch, „wenn du aber willst, so werde ich selbst alles thun.“
„Aha, es muß wohl so sein; sie sind versöhnt,“ dachte Anna.
„Ich weiß schon, wie du alles thust,“ erwiderte Dolly, „du sagst dem Mattwey, er möge thun, was sich gar nicht ausführen läßt, fährst dann fort von hier und er bringt alles durcheinander;“ das gewohnte spöttische Lächeln verzog die Mundwinkel Dollys bei diesen Worten.
„Die Versöhnung ist vollständig, vollständig,“ dachte Anna, „Gott sei gedankt!“ und in der Freude darüber, daß sie die Ursache derselben war, trat sie zu Dolly hin und küßte dieselbe.
„Es ist ganz und gar kein Grund vorhanden, wegen dessen du mich und den Mattwey so über die Achsel ansehen könntest,“ sagte Stefan Arkadjewitsch, mit kaum merkbarem Lächeln sich zu seinem Weibe wendend.
Den ganzen Abend hindurch war Dolly, wie stets, ein wenig zu einem gewissen leichten Spotte gegen ihren Gatten gestimmt, doch dieser selbst befand sich in sehr zufriedener und heiterer Stimmung, gleichwohl aber nicht so weit, daß er damit gezeigt hätte, er habe nach erlangter Verzeihung seinen Fehltritt schon vergessen.
Um halb zehn Uhr abends wurde jedoch die ausnehmend lustige und angenehme Unterhaltung im Familienkreis beim Theetisch der Oblonskiy durch ein dem Anschein nach höchst harmloses Ereignis plötzlich gestört; dieses harmlose Ereignis erschien indessen allen aus einem unbekannten Grunde seltsam.
Als man von den allgemeinen Petersburger Verhältnissen sprach, stand Anna Karenina plötzlich schnell auf.
„Sie befindet sich in meinem Album,“ sagte sie, „und ich werde sogleich auch meinen Sergey zeigen,“ fügte sie mit dem stolzen Lächeln der Mutter hinzu.
Um die zehnte Stunde, wo sie für gewöhnlich von ihrem Söhnchen Abschied nahm und ihn sogar oft selbst, bevor sie etwa auf einen Ball fuhr, zu Bett brachte, befiel sie Traurigkeit darüber, daß sie jetzt so weit von ihm entfernt sei. Wovon man auch sprechen mochte, sie blieb unzugänglich und ihre Gedanken schweiften fortwährend zu ihrem lockigen Sergey zurück. Jetzt wollte sie wenigstens sein Bildnis betrachten und von ihm reden. Unter dem ersten besten Vorwand der sich bot, erhob sie sich und ging mit ihrem elastischen energischen Gang nach dem Album. Die Treppe nach oben führte auf einen kleinen Vorsaal und ging dann als geheizte Zwischentreppe nach ihrem Zimmer.
Gerade zur Zeit, als sie den Salon verließ, wurde im Vorzimmer die Glocke laut.
„Wer mag das sein?“ frug Dolly. „Nach mir wäre es noch zu zeitig, es wird erst später jemand kommen,“ setzte sie bemerkend hinzu.
„Wahrscheinlich ist es ein Beamter mit Akten,“ meinte Stefan Arkadjewitsch. Als Anna an der Treppe vorüberschritt, kam soeben der Diener herauf, um den Ankömmling zu melden; dieser selbst stand aber bereits bei der Hauslampe.
Anna erkannte sofort beim Hinabschauen Wronskiy, und ein seltsames Gefühl der Freude gemischt mit dem des Schmerzes regte sich plötzlich in ihrem Herzen.
Er stand, ohne den Überrock abzulegen und zog etwas aus der Tasche. In diesem Augenblick, als sie soeben die Mitteltreppe erreicht hatte, hob er die Augen, erkannte sie und auf seinen Zügen malte sich ein Ausdruck von Verlegenheit und Erschrecken.
Sie ging, das Haupt leicht geneigt weiter; hinter sich aber vernahm sie die laute Stimme Stefan Arkadjewitschs, der Wronskiy bat, einzutreten, und die halblaute, geschmeidige und ruhige Stimme Wronskiys, welcher ablehnte.
Als Anna mit dem Album zurückkam, war er schon wieder gegangen, und Stefan Arkadjewitsch erzählte, er sei gekommen, um sich bezüglich eines Diners zu erkundigen, welches am folgenden Tage einer anreisenden Standesperson gegeben werden sollte.
„Er wollte um keinen Preis eintreten, und ist überhaupt ein wenig Sonderling,“ äußerte Stefan Arkadjewitsch.
Kity wurde rot; sie dachte daran, daß sie allein wisse, weshalb er gekommen sei und nicht habe eintreten wollen.
„Er wird bei uns gewesen sein,“ dachte sie, „und, mich daselbst nicht antreffend, vermutet haben, daß ich hier sei. Er wird nicht eingetreten sein weil er zu spät sich erinnert hat, daß auch Anna anwesend ist.“
Man blickte sich gegenseitig an, ohne weiter zu sprechen und beschäftigte sich alsdann mit dem Betrachten des Albums.
Es lag zwar nichts Ungewöhnliches oder Besonderes darin, daß jemand zu seinem Freunde kam um halb zehn Uhr abends, um einige Details über ein geplantes Essen einzuholen, dabei aber nicht in das Zimmer trat; indessen gleichwohl erschien dies allen seltsam, und am meisten von allen seltsam und von übeler Vorbedeutung erschien es Anna Karenina.
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Der Ball hatte soeben begonnen, als Kity mit ihrer Mutter die große, mit Blumen garnierte und von gepuderten Lakaien in roten Röcken besetzte, lichtüberflutete Treppe betrat. Aus den Sälen ertönte ein beständiges, gedämpftes Geräusch von Bewegungen, gleich dem Summen in einem Bienenstock, und als die beiden auf dem Vorsaale zwischen den Laubbäumen vor einem Spiegel die Frisur und Toilette ordneten, wurden aus dem Saale die behutsamen, aber künstlerischen Töne der Violinen des Orchesters, welches den ersten Walzer intonierte, hörbar. Ein greiser Staatsrat, der seinen eisgrauen Backenbart vor einem anderen Spiegel ordnete und eine Fülle von Wohlgerüchen um sich her verbreitete, traf mit ihnen auf der Treppe zusammen und trat zur Seite, offenbar interessiert von Kity, die ihm noch unbekannt war.
Ein bartloser Jüngling, einer von jenen jungen Lebemännern, die der alte Fürst Schtscherbazkiy Wachteln und Zungendrescher nannte, in einer außerordentlich weit ausgeschnittenen Weste ordnete seine weiße Krawatte und verbeugte sich vor ihnen, kehrte aber dann, vorüberschreitend, wieder um und bat Kity um eine Quadrille.
Die erste Quadrille war schon an Wronskiy vergeben, sie mußte also die zweite dem jungen Mann bewilligen. Auch ein Offizier der sich soeben die Handschuhe zuknöpfte und seitwärts nach der Thür trat, liebäugelte, seinen Schnurrbart streichend mit der rosigen Kity.
Obwohl die Toilette, Frisur und alle übrigen Vorbereitungen zum Balle Kity eine Menge Mühe und Kopfzerbrechen verursacht hatten, so ging sie jetzt in ihrem engsitzenden Tüllkleid mit rosenrotem Überwurf so frei und einfach zu Balle, als ob alle diese Rosetten und Spitzen, alle die Einzelheiten in der Toilette sie und ihrem Dienstpersonal nicht eine Minute von Aufmerksamkeit gekostet hätten, als ob sie in diesem Tüll geboren sei, in diesen Spitzen mit der hohen Frisur, der Rose mit den zwei Blättchen obenauf.
Als die alte Fürstin vor dem Eintritt in den Saal noch an der Tochter ein zurückgeschlagenes Band an der Taille ordnen wollte, wandte sich Kity leicht seitwärts. Sie fühlte, daß alles an ihr gut sein müsse und graziös und daß es nicht nötig sei, noch etwas zu verbessern.
Kity hatte heute einen ihrer sogenannten glücklichen Tage. Das Kleid drückte nirgends, nirgends war eine Spitze am Besatz losgegangen, die Rosetten hatten sich nicht geknittert oder waren gar abgerissen, die rosenroten Schuhchen mit den hohen Absätzen drückten nicht, sondern machten das kleine Füßchen beweglich. Die dichten Büschel der blonden Haare auf dem kleinen Köpfchen hielten sich in bester Ordnung, die Knöpfe an dem hohen Handschuh der ihre Hand umgab ohne deren Form zu verändern, waren alle drei zugeknöpft, keiner war abgesprungen. Ein schwarzsamtnes Medaillonband umschloß recht zart den Hals. Dieses Samtband war reizend; und als Kity daheim in dem Spiegel auf ihren Hals geblickt hatte, war es ihr vorgekommen, als ob dieser Sammet spräche.
In allem anderen konnte ein Zweifel herrschen, aber der Sammet war wunderschön.
Kity lächelte auch hier, auf dem Balle, als sie auf ihn im Spiegel schaute. Auf ihren entblößten Schultern und Armen empfand Kity ein Gefühl marmorner Kälte, ein Gefühl, welches sie besonders liebte.
Ihr Auge blitzte und die roten Lippen konnten nicht umhin, zu lächeln im Bewußtsein ihrer verführerischen Schönheit.
Sie war noch nicht in den Saal getreten zu der tüllbandspitzen- und blumenbesetzten Schar der Damen, welche der Engagements zum Tanze harrten – Kity hatte nie in diesem Kreis gegolten – als man sie schon zum Walzer engagierte; und gerade der beste Kavalier war es, der sie engagiert hatte, der erste Kavalier in der Ballkohorte, der berühmte Maître de bal und Ceremonienmeister, verheiratet aber hübsch und eine stattliche Erscheinung, Jegoruschka Korsunskiy.
Er hatte soeben die Gräfin Banina verlassen, mit welcher er die erste Walzertour getanzt hatte, als er, sein Reich überblickend, das heißt einige der tanzenden Paare, die eintretende Kity gewahrte, zu ihr hineilte mit jenem eigentümlichen, nur den Balldirigenten charakteristischen zwanglosen Pasgang, und sich verneigend, ohne zu fragen ob sie dies wünsche, die Hand erhob, um die zarte Taille zu umfangen.
Sie blickte um sich, wem sie ihren Fächer übergeben könne und lächelnd nahm die Dame des Hauses ihn in Empfang.
„Wie herrlich, daß Ihr rechtzeitig gekommen seid,“ sagte er zu ihr, ihre Taille umfangend, „was ist das auch für eine Manier, dieses so späte Erscheinen.“
Sie legte, sich vorbeugend, die Linke auf seine Schulter und die kleinen Füßchen in den rosenroten Schuhen begannen sich schnell, leicht und im Takt zu bewegen nach der Musik, auf dem glatten Parkett.
„Man ruht förmlich aus, mit Euch im Walzer,“ sagte er zu Kity nach den ersten langsamen Pas des Walzers.
„Reizend, welche Leichtigkeit – Präcision – ,“ sagte er zu ihr; es war das Nämliche, was er fast allen guten Bekannten zu sagen pflegte.
Sie lächelte bei seinem Lobe und schaute dabei über seine Schulter in den Saal.
Kity war hier keine erst Neuauftretende, auf welcher bei einem Balle aller Augen ruhen wie auf einer Zaubererscheinung; sie war auch keine Dame, die alle Bälle ausgekostet hatte, alle Gesichter auf denselben so kannte, daß sie von ihnen gelangweilt wurde, sondern stand in der Mitte von beidem.
In der linken Ecke des Saales gewahrte sie die Creme der Gesellschaft gruppiert. Da war die bis zur Unmöglichkeit dekolletierte Schönheit Liddy, die Frau Korsunskiys, da war die Herrin des Hauses, da glänzte mit seiner Platte Kriwin, der stets dort war, wo sich die Creme der Gesellschaft befand. Hierher wagten die jungen Männer nur zu schauen, nicht zu kommen; hier fand sie mit ihren Augen Stefan und dann erblickte sie die reizende Gestalt und das Köpfchen Annas in schwarzsamtnem Kleid.
Auch er war dort.
Kity hatte ihn nicht gesehen seit jenem Abend, da sie Lewin ihre Absage gegeben hatte. Mit ihren scharfblickenden Augen hatte sie ihn sogleich erkannt, und sogar bemerkt, daß er auch nach ihr schaue.
„Nun wie wäre es, noch eine Tour? Oder seid Ihr ermüdet?“ frug Korsunskiy leicht schnaufend.
„Nein; ich danke.“
„Wohin darf ich Euch führen?“
„Die Karenina ist dort, scheint es; führt mich zu ihr!“
„Wohin Ihr befehlt.“
Korsunskiy walzte, den Schritt mäßigend, gerade auf den Trupp in der linken Ecke des Saales zu, indem er wiederholt ausrief: „Pardon, mes dames, pardon, pardon, mes dames“! und lavierte zwischen dem Meer von Spitzen, Tüll und Bändern hindurch, ohne auch nur an der kleinsten Kante hängen zu bleiben. Er wendete seine Dame so kurz, daß deren zarte Füßchen in den roten Strümpfen à jour zum Vorschein kamen und sich ihre Schleife löste, wie ein Fächer ausgebreitet, gerade die Kniee des alten Kriwin bedeckend. Korsunskiy verbeugte sich, richtete seine ausgeschnittene Brust steif empor und gab seiner Dame die Hand, um sie zu Anna Arkadjewna zu führen.
Kity war errötet, sie nahm die Schleife von den Knieen Kriwins und suchte dann, etwas schwindlig geworden, Anna.
Diese war nicht im Lilakleid, wie es Kity so sehr gewünscht hatte, sondern in einem schwarzen, niedrig ausgeschnittenen Sammetkleid, welches ihre plastischen wie altes Elfenbein schimmernden, vollen Schultern und die Büste sehen ließ, sowie die runden Arme mit den zarten feinen Gelenken.
Das ganze Kleid war mit venetianischer Guipure besetzt. Auf dem Kopfe in ihrem schwarzen Haar das nur ihr eigenes war, befand sich eine kleine Ranke von Stiefmütterchen und eine zweite eben solche auf dem schwarzen Bande des Gürtels zwischen weißen Spitzen.
Ihre Frisur war wenig auffallend; bemerklich waren nur jene kecken kurzen krausen Löckchen die sie so schön machten und sich stets auf ihrem Nacken und an den Schläfen hervordrängten. Auf ihrem runden kräftigen Halse ruhte eine Perlenschnur.
Kity hatte Anna täglich gesehen, sie war verliebt in sie und stellte sie sich unfehlbar nur in Lila vor. Als sie jetzt aber Anna in Schwarz erblickte, empfand sie, daß sie deren ganze Schönheit noch nicht erkannt hatte.
Jetzt erst sah sie sie als eine ihr völlig neue, unerwartete Erscheinung, jetzt erst erkannte sie, daß Anna nicht in Lila gehen konnte, daß ihr Reiz hauptsächlich darin bestehe, daß sie stets persönlich aus der Toilette heraustrete und diese selbst nie an ihr sichtbar sein dürfe.
In der That war das schwarze Kleid mit den kostbaren Spitzen nicht sichtbar vor ihr selbst; es bildete nur den Rahmen und man sah sie allein, einfach, natürlich, schön und doch zugleich heiter und lebhaft.
Sie stand wie immer, sich sehr aufrecht haltend, und sprach gerade als Kity zu dem Trupp herantrat, mit dem Herrn des Hauses, leicht das Haupt zu diesem hinwendend.
„Nein, ich werfe keinen Stein,“ antwortete sie diesem soeben, – „obwohl ich es nicht verstehe,“ fuhr sie fort, die Schultern ziehend und sich alsdann sogleich zu Kity wendend mit einem zärtlichen Lächeln von Gönnerschaft. Mit flüchtigem Weiberblick ihre Toilette musternd, machte ihr Haupt eine kaum bemerkbare, aber für Kity verständliche, ihre Erscheinung und Schönheit billigende Kopfbewegung.
„Seid Ihr nicht tanzend schon in den Saal gekommen?“ sagte sie.
„Sie ist eine meiner treuesten Helferinnen,“ meinte Korsunskiy, Anna Arkadjewna begrüßend, die er früher noch nie gesehen hatte. „Die junge Fürstin hilft stets den Ball heiter und schön zu gestalten. Anna Arkadjewna, eine Tour Walzer?“ fügte er hinzu, sich verneigend.
„Ihr kennt euch schon?“ frug der Hausherr.
„Mit wem wäre ich nicht bekannt? Ich und mein Weib wir sind wie weiße Wölfe; alle kennen uns,“ versetzte Korsunskiy. „Also eine Tour Walzer, Anna Arkadjewna!“
„Ich tanze nicht, wenn man es umgehen kann, zu tanzen,“ antwortete diese.
„Aber heute läßt es sich eben nicht umgehen!“ lachte Korsunskiy.
In diesem Augenblick trat Wronskiy herzu.
„Nun, wenn es also unmöglich ist, heute nicht zu tanzen, wohlan denn,“ sagte sie, ohne Wronskiys Gruß zu bemerken und schnell die Hand auf Korsunskiys Schulter legend.
„Weshalb ist sie wohl ungehalten auf ihn?“ dachte Kity, als sie bemerkte, wie Anna absichtlich der Verbeugung Wronskiys nicht dankte.
Dieser begab sich zu Kity und erinnerte sie an ihre erste Quadrille unter dem Bedauern, daß er so lange Zeit nicht das Vergnügen gehabt, sie zu sehen.
Kity blickte lächelnd nach der tanzenden Anna Karenina und lauschte dabei Wronskiys Worten.
Sie hatte erwartet, daß er sie zum Walzer engagieren werde, aber er that es nicht, und sie blickte ihn deshalb verwundert an. Er errötete und engagierte sie sogleich, aber kaum hatte er ihre zarte Taille umfaßt, als die Musik plötzlich abbrach.
Kity blickte ihm ins Gesicht, das ihr jetzt so nahe war, und noch lange nachher, mehrere Jahre darauf, schnitt ihr dieser Blick, voll von Liebe, mit dem sie ihn damals angeschaut, und auf den er ihr nicht antwortete, mit quälender Beschämung in ihr Herz.
„Pardon, Pardon, Walzer, Walzer!“ rief Korsunskiy vom anderen Ende des Saales her und die erste, ihm begegnende Dame ergreifend, begann er zu tanzen.
23
Wronskiy tanzte mit Kity mehrere Touren. Nach Beendigung des Walzers ging diese zu ihrer Mutter und kaum hatte sie einige Worte mit der Gräfin Nordstone gewechselt, als Wronskiy ihr schon folgte, um für die erste Quadrille zu bitten.
Während der Dauer dieses Tanzes wurde kein Gespräch von Bedeutung gepflogen, die Unterhaltung drehte sich fast ununterbrochen bald um die Korsunskiy, Mann und Frau, die er sehr ergötzlich zu schildern wußte, als gutmütige vierzigjährige Kinder, bald um ein projektiertes Gesellschaftstheater und nur einmal wurde ihr die Unterhaltung empfindlich, als er bezüglich Lewins frug, ob dieser noch anwesend sei und hinzufügte, derselbe habe ihm sehr gefallen.
Kity hatte sich indessen auch nicht viel von der Quadrille versprochen; sie sehnte sich vielmehr mit ganzem Herzen nach der Mazurka und in dieser, meinte sie, müsse sich alles entscheiden.
Daß er sie während der Quadrille nicht für die Mazurka engagiert hatte, beunruhigte sie nicht, denn sie war überzeugt, sie würde dieselbe ebenso mit ihm tanzen, wie auf den früheren Bällen, und schlug mindestens fünf Herren den Tanz aus unter dem Vorgeben, sie tanze ihn schon.
Der ganze Ball bis zu der letzten Quadrille war für Kity ein zauberhaftes Traumgesicht anmutiger Farben, Töne und Bewegungen. Sie tanzte nur dann nicht, wenn sie zu sehr ermüdet war, und um Erholung bat. Als sie jedoch die letzte Quadrille mit einem langweiligen jungen Manne tanzte, dem sie nicht hatte absagen können, bildete ihr vis-a-vis Wronskiy mit Anna Karenina.
Sie hatte Anna nicht wiedergesehen seit deren Erscheinen hier und jetzt zeigte sich diese wieder völlig anders und unerwartet. Sie entdeckte in ihr, die ihr selbst so gut bekannt war, den Zug der Eitelkeit auf Erfolge. Sie sah, wie Anna trunken war von dem Wein des durch sie erweckten Festrausches.
Sie kannte dieses Gefühl und kannte seine Merkmale: sie gewahrte diese Merkmale an Anna; sie sah den bebenden, lohenden Glanz in deren Augen, das Lächeln der Seligkeit und Verzückung, das unwillkürlich ihre Lippen kräuselte, die sichere Grazie, Wahrheit und Eleganz ihrer Bewegungen.
„Wer lebt in ihr?“ frug sie sich selbst. „Sind es alle, oder ist es einer?“ Und ohne ihrem jungen Tänzer beizustehen, der sich abquälte in der Unterhaltung während des Tanzes, den Faden, den er verloren, wiederzufinden, sich äußerlich aber den lustig schallenden Kommandos Korsunskiys unterordnend, der bald alles in grand rond oder in chaine verwandeln ließ, beobachtete sie, und ihr Herz wurde ihr schwerer und schwerer.
„Nein, das ist nicht die Verehrung des Haufens, welche sie trunken gemacht hat, das ist die Verzückung über einen Einzelnen. Und dieser Eine, wer war es? Sollte Er selbst es sein?“
Jedesmal, wenn er mit ihr sprach, glänzte ein freudiges Funkeln auf in ihren Augen, kräuselte ein Lächeln des Glückes ihre roten Lippen.
Sie schien sich zu bemühen, ihrerseits diese Kennzeichen der Freude nicht hervortreten zu lassen, aber sie erschienen von selbst auf ihrem Gesicht. Und wie verhielt er sich dazu?
Kity blickte nach ihm hin und erschrak. Das, was ihr so klar auf dem Spiegel des Gesichts Annas erschienen war, das gewahrte sie jetzt auch auf seinen Zügen. Wohin war seine stets ruhige, feste Haltung, der unbewegt stoische Ausdruck seines Gesichts gelangt? Nein, jetzt, jedesmal, wenn er mit ihr sprach, nickte ihr sein Haupt leise zu, als wünsche es zu fallen vor ihr, und in seinem Blick lag ein Ausdruck der Ergebenheit und zugleich der Besorgnis „ich will dich nicht kränken“, es war, als spräche sein Blick stets „aber retten möchte ich mich vor dir, ohne daß ich weiß, wie“.
Auf seinen Zügen lag ein Ausdruck, wie sie ihn noch niemals zuvor an ihm wahrgenommen hatte.
Sie sprachen beide von gemeinsamen Bekannten, führten die denkbar langweiligste Unterhaltung, und dennoch schien es Kity, als wenn jedes Wort, das von ihnen gesprochen wurde, nicht nur ihr Schicksal besiegelte, sondern auch das jener beiden.
Seltsam, daß, obwohl sie in der That nur davon sprachen, wie lächerlich Iwan Iwanowitsch mit seinem Französischen sei, oder daß man für die kleine Helene eine bessere Partie suchen müsse, ihre Worte dennoch für sie selbst eine gewisse Bedeutung hatten, und sie dies ganz ebenso fühlten wie Kity.
Der ganze Ball, die ganze Umgebung, alles hüllte sich in Nebel in der Seele Kitys, und nur die strenge Schule der Erziehung die sie durchlaufen hatte, erhielt sie aufrecht und ließ sie das thun, was man von ihr forderte, das heißt, tanzen, auf Fragen antworten, reden, ja selbst lächeln.
Vor dem Beginn der Mazurka indessen, als man schon anfing die Stühle zu stellen und einige Paare sich aus den kleinen Räumen nach dem großen Saale bewegten, überkam Kity ein Augenblick der Verzweiflung und des Schreckens.
Sie hatte fünf Tänzern abgesagt und sollte jetzt die Mazurka gar nicht tanzen. Es war auch keine Hoffnung mehr, daß man sie noch engagierte, weil sie einen allzugroßen Erfolg in der Gesellschaft davongetragen hatte, und deshalb niemand in den Kopf kommen konnte, daß sie bis jetzt noch nicht engagiert sei. Man mußte also Mama sagen, daß man sich unwohl fühle und nach Haus fahren, dazu aber mangelte ihr die Kraft, sie fühlte sich gebrochen.
Sie begab sich nach der Stille eines kleinen Nebenraumes und sank hier in einen Lehnsessel. Der luftige Rock des Kleides hob sich wie eine Wolke um ihre zarte Taille; die eine unbekleidete, schmächtige und zarte Mädchenhand kraftlos herabgesunken, verschwand in den Falten der rosenfarbenen Tunika, in der anderen Hand hielt sie den Fächer und fächelte sich mit schnellen heftigen Bewegungen das glühende Antlitz.
Aber mochte sie auch dem Schmetterling gleichen, der sich soeben im Grase niederließ und im Begriff ist, die Flügel wieder zu recken und weiterzuflattern – eine furchtbare Verzweiflung lastete ihr auf dem Herzen.
„Aber vielleicht kann ich mich noch irren, vielleicht verhält es sich gar nicht so,“ dachte sie und stellte sich nochmals alles im Geiste vor, was sie gesehen hatte.
„Aber Kity, was ist denn das?“ frug die Gräfin Nordstone, die unhörbar auf dem Teppich zu ihr herangetreten war. „Ich verstehe das nicht!“
Kitys Unterlippe begann zu zucken; das Mädchen erhob sich schnell.
„Kity, tanzest du die Mazurka nicht?“
„Nein, nein,“ antwortete Kity mit einer Stimme, in welcher Thränen zitterten.
„Er hatte sie in meiner Gegenwart um die Mazurka gebeten,“ sagte die Gräfin Nordstone, in der Annahme, Kity werde wohl verstehen, wer Er und Sie sei. „Sie hat aber geantwortet, ob er denn nicht mit der jungen Fürstin Schtscherbazkaja die Mazurka tanzte!“
„O, mir ist alles gleichgültig,“ versetzte Kity.
Niemand als sie selbst verstand ihre Lage, niemand wußte, daß sie gestern einen Mann den sie vielleicht liebte, von sich gewiesen, weil sie einem anderen vertraut hatte.
Die Gräfin Nordstone fand Korsunskiy mit dem sie eine Mazurka getanzt hatte und befahl ihm Kity zu engagieren.
Kity tanzte im ersten Paar und zu ihrem Glück brauchte sie hier nicht zu reden, da Korsunskiy die ganze Zeit über hin- und herlief und von seiner Eigenschaft als Herr des Balles Gebrauch machte. Wronskiy und Anna befanden sich ihr ziemlich gegenüber.
Sie beobachtete beide mit ihren scharfen Augen, sah sie nahe zusammen als sie Paare bildeten und je länger sie sie beobachtete, umsomehr überzeugte sie sich, daß ihr Unglück vollkommen sei.
Sie sah, wie jene beiden sich völlig allein fühlten inmitten des überfüllten Saales und auf dem Gesicht Wronskiys, welches stets so fest und unabhängig erschien, gewahrte sie jenen sie verwirrenden Ausdruck der Selbstverlorenheit und Ergebung, welcher eher dem Gesichtsausdruck eines klugen Hundes ähnlich war, der sich einer bösen That bewußt ist.
Anna lächelte und ihr Lächeln pflanzte sich auf ihn über. Sie wurde nachdenklich, da wurde er ernst. Eine fast übernatürliche Kraft hielt Kitys Augen auf das Gesicht Annas gerichtet.
Diese war verführerisch in ihrem einfachen, schwarzen Kleid; verführerisch waren ihre vollen Arme mit den Bracelets, reizend der kräftige Hals mit der Perlenschnur, reizend die sich ringelnden Locken der locker gewordenen Frisur, reizend die graziösen, leichten Bewegungen der kleinen Füße und Hände, reizend dieses schöne Gesicht mit seiner Lebhaftigkeit – aber es lag etwas Furchtbares und Hartes in ihrem Reiz. —
Kity beobachtete sie noch mehr als vorher, und im selben Maße stieg ihr Leid. Sie fühlte sich zerschmettert und ihr Gesicht verlieh dem Ausdruck. Als Wronskiy ihrer ansichtig wurde, während der Mazurka mit ihr zusammentreffend, erkannte er sie nicht sogleich – so sehr hatte sie sich verändert.
„Ein reizender Ball!“ sagte er zu ihr, um doch etwas zu sagen.
„Ja,“ versetzte Kity.
Inmitten der Mazurka, bei der Wiederholung einer Figur, die Korsunskiy ganz neu ausgedacht hatte, trat Anna in die Mitte eines Kreises, nahm zwei Kavaliere und rief eine Dame und Kity zu sich.
Kity blickte erschrocken auf sie, und näherte sich. Anna schaute sie mit den Augen blinzelnd an und lächelte, ihr die Hand drückend. Als sie aber bemerkte, daß Kitys Züge ihr nur mit dem Ausdruck der Verzweiflung und des Staunens antworteten, wandte sie sich ab von ihr und unterhielt sich heiter mit der anderen Dame.
„Ja, etwas Fremdes, Dämonisches und zugleich Verführerisches liegt in ihr,“ sagte Kity zu sich selbst.
Anna wollte nicht zum Essen bleiben, allein der Hausherr begann sie zu bitten.
„Genug nun, Anna Arkadjewna,“ sagte Korsunskiy, und nahm ihren entblößten Arm unter den Ärmel seines Frackes; „o welche Idee habe ich für den Cotillon! Un bijou!“ —
Er bewegte sich ein Stück weiter in dem Bestreben, sie mit sich zu ziehen. Der Hausherr lächelte billigend dazu.
„Nein; ich werde nicht bleiben,“ antwortete Anna lächelnd, aber trotz des Lächelns erkannten Korsunskiy wie der Hausherr an dem entschiedenen Tone, mit welchem sie antwortete, daß sie nicht bleiben werde.
„Nein, nein; ich habe in Moskau auf Eurem einen Balle schon mehr getanzt, als ich in Petersburg den ganzen Winter hindurch tanze,“ sagte Anna, auf den neben ihr stehenden Wronskiy blickend. „Ich muß mich vor der Rückreise noch erholen.“
„Fahrt Ihr entschieden morgen schon wieder weg?“ frug Wronskiy.
„Ja, ich denke,“ versetzte Anna, gleichsam wie in Verwunderung über die Verwegenheit seiner Frage; aber der nicht zu dämpfende, bebende Glanz ihrer Augen und ihres Lächelns versengten ihn, als sie dies sprach.
Anna Arkadjewna blieb nicht zum Essen da, sondern fuhr weg.