Kitabı oku: «Anna Karenina, 1. Band», sayfa 40
Vierter Teil
1
Die Karenin, Gatte und Gattin, fuhren fort in einem Hause zusammen zu leben; sie sahen sich wohl alltäglich, waren aber einander vollständig entfremdet.
Aleksey Aleksandrowitsch hatte es sich zum Gesetz gemacht, sein Weib alltäglich nur deshalb zu sehen, daß die Dienerschaft kein Recht haben möchte, Vermutungen zu hegen. Die Mittagstafel daheim mied er jedoch. Wronskiy war nie im Hause Aleksey Aleksandrowitschs erschienen, Anna sah ihn aber außerhalb desselben und ihr Gatte wußte dies.
Die Lage war für alle drei peinvoll; und niemand von ihnen würde die Kraft besessen haben, auch nur einen einzigen Tag in derselben auszuhalten, wäre nicht die Erwartung dagewesen, daß sie sich ändern werde, daß alles dies nur eine zeitweilige, bittere und schwere Lage sei, welche vorübergehen würde. Aleksey Aleksandrowitsch wartete, daß diese Leidenschaft vergehen sollte, wie ja alles vergeht, daß alle die Sache vergessen möchten und sein Name nicht geschändet würde. Anna, von welcher diese ganze Situation abhing, und für die dieselbe peinlicher war, als für alle sonst, ertrug sie, weil sie nicht nur wartete, sondern fest überzeugt war, daß alles dies sehr bald zur Entwickelung und Klärung gelangen müsse. Sie wußte freilich nicht im geringsten, was denn eigentlich die Schwierigkeit lösen solle, aber sie besaß die Überzeugung, daß etwas jetzt und sehr schnell eintreten müsse.
Auch Wronskiy, der sich ihr unwillkürlich fügte, erwartete etwas, das von ihm unabhängig, alle Schwierigkeiten klären müsse.
Inmitten des Winters hatte Wronskiy eine sehr langweilige Woche durchlebt. Er war einem ausländischen, in Petersburg zugereisten Prinzen zubeordert worden, und hatte die Aufgabe, diesem die Sehenswürdigkeiten Petersburgs zu zeigen. Gerade Wronskiy war es, welcher vorgestellt wurde, denn abgesehen davon, daß dieser die Kunst, sich mit Würde und zugleich Ehrerbietung zu benehmen, besaß, war er es auch gewohnt, mit Männern ähnlichen Ranges umzugehen; allein diese Pflicht wurde ihm zu einer sehr schweren. Der Prinz wünschte nichts zu übergehen, bezüglich dessen er in der Heimat gefragt werden konnte, ob er es in Rußland gesehen, ja, er wünschte auch selbst, soviel es möglich war, russischen Vergnügungen beizuwohnen. Wronskiy war nun verpflichtet, ihn hier und dorthin zu führen, und des Vormittags fuhren sie nun, um die Sehenswürdigkeiten in Augenschein zu nehmen, des Abends, um an nationalen Vergnügungen teilzunehmen. Der Prinz erfreute sich einer selbst unter Prinzen ungewöhnlichen Gesundheit; sowohl durch leibliche Übungen wie durch gute Pflege seines Körpers hatte er eine solche Kraft erworben, daß er trotz des Übermaßes, mit welchem er sich den Zerstreuungen hingab, frisch aussah wie eine mächtige, grüne holländische Gurke. Der Prinz war viel gereist und hatte gefunden, daß einer der vorzüglichsten Vorteile der modernen Verkehrsbequemlichkeiten die Möglichkeit, nationalen Vergnügungen beiwohnen zu können, bilde.
Er war in Spanien gewesen und hatte dort Serenaden veranstaltet und sich einer Spanierin genähert, welche Mandoline spielte. In der Schweiz hatte er Gemsen gejagt. In England im roten Frack unter Wetten zweihundert Fasanen erlegt. In der Türkei war er in einem Harem gewesen, in Indien hatte er auf Elefanten geritten und in Rußland jetzt wollte er alle echtrussischen Vergnügungen kennen lernen.
Wronskiy, der bei ihm eine Art erster Ceremonienmeister war, kostete es große Mühe, alle die Zerstreuungen, die dem Prinzen von verschiedenen Seiten vorgeschlagen wurden, zu sichten. Da waren die russischen Trabrennen, und die Bärenjagden, die Troiken und die Zigeuner, wie das Topfschlagen. Der Prinz accomodierte sich dem russischen Geiste mit außerordentlicher Leichtigkeit; er beteiligte sich am Topfschlagen, setzte sich eine Zigeunerin auf das Knie und frug, wie es schien, ob dies alles sei, ob nur darin der ganze russische Geist bestehe.
Am meisten von allen diesen russischen Vergnügungen gefielen allerdings dem Prinzen die französischen Schauspielerinnen, eine Balleteuse und der weißgesiegelte Champagner.
Wronskiy hatte Übung im Umgang mit Prinzen, aber – kam es davon, daß er selbst sich in letzter Zeit verändert hatte, oder von der allzu großen Nähe, in welcher er sich zu dem Prinzen befand – diese Woche erschien ihm als eine furchtbar schwere.
Die ganze Woche hindurch hatte er ohne Unterbrechung ein Gefühl empfunden, ähnlich dem eines Menschen, der zu einem gefährlichen Wahnsinnigen gesteckt wird, um zu erproben, ob er diesen wohl fürchtet und infolge der Nähe bei ihm, auch für seinen Verstand fürchten müsse.
Wronskiy empfand beständig den Zwang, nicht eine Sekunde den Ton strenger offizieller Ehrerbietung sinken lassen zu dürfen, damit er keine Schlappe erleide. Die Umgangsweise des Prinzen gerade mit denjenigen, welche zur Verwunderung Wronskiys darüber aus der Haut fuhren, daß man ihm russische Vergnügungen biete, war eine souveräne. Sein Urteil über die russischen Frauen, die er kennen zu lernen gewünscht hatte, ließen Wronskiy mehr als einmal vor Unwillen erröten, aber der Hauptgrund, weshalb der Prinz für Wronskiy außerordentlich lästig war, war der, daß er in dem Prinzen unwillkürlich sich selbst wieder erkannte, und daß das, was er in diesem Spiegel erkannte, seiner Eigenliebe nicht eben schmeichelte. Der Prinz war ein sehr beschränkter, sehr eingebildeter, sehr gesunder und an sich sehr eigener Mensch, weiter aber nichts. Er war Gentleman, das war er in Wahrheit, und Wronskiy konnte das nicht in Abrede stellen. Er war gleichmütig und nicht kriechend vor Höheren, ungezwungen und einfach im Verkehr mit Gleichstehenden und gutmütig herablassend gegenüber den unter ihm Stehenden. Ganz genau so war aber auch Wronskiy, der das für einen großen Vorzug hielt; in der Umgebung des Prinzen war er doch der tiefer Stehende und die herablassend gutmütige Behandlungsweise ihm gegenüber regte ihn auf.
„Das ist ein dummer Stier; bin ich das auch?“ dachte er bei sich.
Wie dem nun sein mochte, als er sich am siebenten Tage von ihm verabschiedete, vor der Abreise des Prinzen nach Moskau, und dessen Dank entgegennahm, war er glücklich, aus dieser peinlichen Lage und von diesem unangenehmen Spiegel erlöst zu sein.
Er verabschiedete sich von ihm auf der Station, bei der Rückkehr von der Bärenjagd, an welcher während einer ganzen Nacht russische Bravour eine Galavorstellung gegeben hatte.
2
Heimgekommen, fand Wronskiy ein Billet Annas vor.
Sie schrieb: „Ich bin krank und unglücklich. Ich kann nicht ausfahren, kann aber auch nicht länger ohne Euren Anblick sein. Kommt am Abend zu mir. Um sieben Uhr wird Aleksey Aleksandrowitsch zum Rat fahren und bis zehn Uhr dort bleiben.“
Nachdem er eine Minute lang über den seltsamen Umstand, daß sie ihn so direkt zu sich berufe, ungeachtet der Forderung ihres Gatten, daß sie ihn nicht empfangen dürfe, nachgedacht hatte, entschloß er sich, der Einladung zu folgen.
Wronskiy war im Lauf dieses Winters Oberst geworden, aus dem Regiment ausgetreten und lebte jetzt frei. Nachdem er gefrühstückt hatte, warf er sich sogleich auf den Diwan und in fünf Minuten vermischten sich die Erinnerungen der unangenehmen Scenen, wie er sie in den letzten Tagen gesehen hatte, und verbanden sich mit dem Gedanken an Anna und an die Bärenjagd, und er schlief ein. Erst in der Dunkelheit erwachte er wieder, bebend vor Entsetzen. Sofort zündete er eine Kerze an. „Was war das? Wie? Was habe ich Furchtbares im Traume gesehen? Der eine Bauer auf der Bärenjagd, klein, schmutzig, mit wirrem Barte, hatte gearbeitet, indem er sich niederbeugte, und dann plötzlich einige seltsame Worte auf französisch gesprochen. Nun, weiter war es nichts mit dem Traume,“ sprach er zu sich selbst. „Aber weshalb war dies nur so furchtbar gewesen?“ Lebhaft stellte er sich wiederum den Bauern vor und jene seltsamen französischen Worte, die derselbe gesprochen hatte – und Entsetzen überlief kalt seinen Rücken.
„Welcher Unsinn!“ dachte er und schaute nach der Uhr.
Es war bereits halb neun. Er schellte seinem Diener, kleidete sich hastig an und begab sich zur Treppe hinab, seinen Traum völlig vergessend und nur noch von der Besorgnis gequält, sich zu verspäten.
Als er vor der Freitreppe der Karenin anlangte, schaute er wieder nach der Uhr und sah, daß es zehn Minuten vor neun war. Ein hoher, schmaler Wagen mit einem Paar grauer Pferde bespannt, stand unter der Einfahrt; er erkannte das Geschirr Annas. „Sie fährt zu mir,“ dachte Wronskiy, „und das wäre auch besser gewesen; denn es ist mir unangenehm, dieses Haus zu betreten. Doch gleichviel, ich kann mich nicht verstecken,“ und mit jenen ihm von Kindheit an eigenen Manieren eines Menschen, der sich vor nichts scheut, stieg Wronskiy aus dem Schlitten und schritt zur Thür hin.
Die Thür öffnete sich und der Portier, ein Plaid auf dem Arme, rief den Wagen heran. Wronskiy, nicht gewohnt, Kleinigkeiten zu bemerken, gewahrte gleichwohl jetzt den verwunderten Gesichtsausdruck, mit welchem ihn der Portier anblickte.
In der Thür selbst wäre Wronskiy fast mit Aleksey Aleksandrowitsch zusammengestoßen. Die Gasflamme beleuchtete das blutlose, eingefallene Gesicht unter dem schwarzen Hute und die weiße Halsbinde, die aus dem Biberpelz des Überrocks herausschimmerte. Die unbeweglichen, dunklen Augen Karenins richteten sich auf das Gesicht Wronskiys. Dieser verneigte sich und Aleksey Aleksandrowitsch, den Mund ein wenig bewegend, hob die Hand an den Hut und ging vorüber. Wronskiy sah, wie er, ohne aufzublicken, sich in den Wagen setzte, das Plaid und Augenglas durch das Wagenfenster nahm, und sich zudeckte.
Wronskiy betrat das Vorzimmer; seine Brauen waren zusammengezogen und seine Augen erglänzten in bösem und stolzem Glanze.
„Ist das eine Situation!“ dachte er, „wenn er kämpfte, seine Ehre wahrte, dann könnte ich handeln, meine Empfindungen äußern; aber diese Schwäche oder vielmehr Erbärmlichkeit – er versetzt mich in die Lage eines Betrügers, während ich dies doch nicht sein wollte und auch nicht sein will!“
Seit der Zeit seiner Aussprache mit Anna im Park der Wrede hatten sich die Ansichten Wronskiys geändert. Sich unwillkürlich den Schwächen Annas unterwerfend, die sich ihm ganz gegeben hatte und nur noch von ihm die Entscheidung über ihr Geschick erwartete, indem sie sich von vornherein allem unterwarf, hatte er längst aufgehört, zu glauben, daß dieses Verhältnis so enden könne, wie er damals dachte. Seine Träume voll Ehrgeiz waren wieder in den Hintergrund getreten, und er ergab sich, aus dem Kreise einer Wirksamkeit tretend, in welchem alles begrenzt war, ganz seiner Empfindung; diese Empfindung aber fesselte ihn fester und fester an sie.
Schon vom Vorzimmer aus vernahm er sich entfernende Schritte. Er erkannte, daß sie ihn erwartet hatte, gelauscht hatte und jetzt in den Salon zurückkehrte.
„Nein!“ rief sie aus, als sie seiner ansichtig wurde, und beim ersten Tone ihrer Stimme traten ihr die Thränen in die Augen, „wenn das so fortgehen soll, so wird das Unglück noch viel, viel früher eintreten!“
„Was denn, mein Kind?“
„Was? Ich warte und martere mich, eine Stunde, zwei, – aber nein, ich will, ich kann nicht mit dir hadern. Du konntest wahrscheinlich nicht früher. Nein, ich will es nicht thun!“
Sie legte beide Hände auf seine Schultern und blickte ihn lange mit tiefem, verzücktem und zugleich forschendem Blicke an. Sie prüfte sein Gesicht nach der Zeit, seit welcher sie ihn nicht gesehen hatte. Wie bei jedem Wiedersehen, so verglich sie wieder ihr innerliches Bild von ihm – das unvergleichlich besser, und in der Wirklichkeit unmöglich war – mit ihm, wie er wirklich aussah.
3
„Bist du ihm begegnet?“ frug sie, als beide am Tische hinter der Lampe Platz genommen hatten. „Da hast du ja deine Strafe dafür, daß du dich verspätet hast.“
„Ja, aber wie ist das? Er müßte doch im Rate sein?“
„Er war dort und kam zurück, worauf er wieder fortgefahren ist. Doch das thut nichts; sprich nicht davon. Wo bist du gewesen? Stets mit dem Prinzen?“
Sie kannte alle Einzelheiten seines Lebens. Er hatte ihr sagen wollen, daß er die ganze Nacht nicht geschlafen habe und eingeschlafen sei, als er aber ihr aufgeregtes und glückliches Antlitz sah, fühlte er Gewissensbisse, und er teilte ihr mit, daß er hätte Rapport erstatten müssen über die Abreise des Prinzen.
„Jetzt aber ist alles vorüber und er ist fort?“
„Gott sei Dank, es ist vorbei. Du kannst nicht glauben, wie unerträglich mir das gewesen ist.“
„Weshalb denn? Dies ist doch das gewöhnliche Leben von euch jungen Männern allen?“ sagte sie, die Brauen ziehend, und nach einer Häkelei, die auf dem Tische lag greifend, ohne Wronskiy anzublicken.
„Ich habe dieses Leben schon lange aufgegeben,“ sagte er, verwundert über die Veränderung im Ausdruck ihres Gesichts und sich bemühend, die Bedeutung derselben zu erforschen. „Ich gestehe,“ fuhr er fort, lächelnd seine engstehenden weißen Zähne zeigend, „daß ich in dieser Woche mich wie in einem Spiegel gesehen habe, indem ich dieses Leben schaute, und es ist mir unangenehm geworden.“
Sie hielt ihre Arbeit in den Händen, häkelte aber nicht, sondern schaute ihn mit seltsamem, glänzendem und freundlichem Blick an.
„Heute morgen ist Lisa bei mir auf Besuch gewesen – man scheut sich noch nicht, mich zu besuchen, trotz der Gräfin Lydia Iwanowna,“ begann sie, „und sie erzählte mir von Eurem athenischen Abend. Welche Abgeschmacktheit das doch war!“
„Ich wollte nur erzählen, daß“ —
Sie unterbrach ihn.
„War es nicht Therese, die du früher gekannt hast?“
„Ich wollte erzählen“ —
„Wie ihr Männer doch häßlich seid! Wie könnt ihr euch denken, daß ein Weib dies je vergäße,“ sprach sie, mehr und mehr in Erregung geratend, und ihm damit die Ursache ihrer Aufregung zeigend, „und besonders das Weib, welches dein Leben nicht kennen kann. Was weiß ich davon? Was habe ich davon gewußt?“ sagte sie, „nur das, was du mir selbst davon erzählst. Aber woher könnte ich wissen, ob du mir die Wahrheit damit gesagt hast?“
„Anna! Du kränkst mich. Glaubst du mir denn nicht? Habe ich dir denn nicht gesagt, daß ich keinen einzigen Gedanken hege, den ich dir nicht entdeckte?“
„Ja, ja,“ antwortete sie, offenbar im Bemühen, die Regungen der Eifersucht von sich zu weisen, „aber hättest du gewußt, wie schwer mir zu Mute ist. Ich glaube, ich glaube dir ja – doch was sagtest du?“
Er war nicht imstande, sich sofort dessen zu entsinnen, was er hatte sagen wollen. Diese Anfälle von Eifersucht, die sie in der letzten Zeit immer häufiger und häufiger überkamen, erschreckten ihn, und so sehr er sich auch mühte, es zu verbergen, stimmten ihn kühler gegen sie, obwohl er recht gut wußte, daß die Ursache dieser Eifersucht ihre Liebe zu ihm war. Wie vielmal schon hatte er sich gesagt, daß ihre Liebe für ihn ein Glück sei; und nun, da sie ihn liebte, wie ein Weib nur lieben kann, für welche alle Güter im Leben von der Liebe überwogen werden – fühlte er sich bei weitem ferner von jener Glückseligkeit, als damals, da er ihr von Moskau aus nachgereist war.
Damals hatte er sich für unglücklich gehalten, aber das Glück kam noch; jetzt fühlte er hingegen, daß das höchste Glück bereits dahinten liege. Sie war durchaus nicht mehr die Nämliche, als welche er sie in der ersten Zeit gesehen hatte; innerlich und äußerlich hatte sie sich zu ihren Ungunsten verändert. Sie war dicker geworden, und als sie von der Schauspielerin sprach, lag ein schlimmer, verderbenschwangerer Ausdruck auf ihren Zügen, der sie entstellte.
Er blickte sie an, wie ein Mensch auf eine durch ihn selbst abgerissene und nun welk gewordene Blüte schauen mag, an welcher er nur mit Mühe noch die Schönheit wiedererkennt, wegen deren er sie brach und dem Untergange weihte.
Außerdem aber fühlte er auch, daß er seine Liebe damals, als sie noch stärker war, wenn er ernstlich gewollt hätte, aus seinem Herzen zu reißen vermocht haben würde. Jetzt aber, da ihm, wie in dem gegenwärtigen Augenblick, schien, als ob er gar keine Liebe zu ihr empfinde, jetzt erkannte er, daß sein Bund mit ihr nicht mehr gelöst werden könne.
„Ah, du wolltest mir doch wohl vom Prinzen erzählen? Ich habe den Satan verjagt, ich habe ihn verjagt,“ fügte sie hinzu. Satan nannten sie beide unter sich die Eifersucht. „Also was begannst du denn vom Prinzen zu erzählen? Weshalb ist es dir bei ihm so lästig geworden?“
„O, unerträglich!“ sagte er, sich bemühend, den Faden zu dem ihm entfallenen Gedanken wieder zu erfassen. „Er gewinnt nicht im näheren Umgang, und soll man ihn näher bezeichnen, so ist er ein vorzüglich gepflegtes Tier, für das man auf den Ausstellungen die Preismedaillen zu erhalten pflegt, weiter nichts,“ sagte er mit einem Verdruß, der bei ihr Interesse hervorrief.
„Wie, in der That?“ fiel sie ein. „Er hat aber doch so viel gesehen, ist so gebildet?“
„Es ist eine grundverschiedene Bildung – die Bildung solcher Leute. Er ist offenbar nur deswegen gebildet worden, damit er ein Recht besitzen möchte, die Bildung von oben herab anzusehen, wie sie überhaupt alles verachten – mit Ausnahme der Gegenstände ihres Vergnügens.“
„Ihr liebt aber doch auch diese Gegenstände des Vergnügens!“ sagte sie, und er bemerkte wiederum jenen düstern Blick, der ihn mied.
„Warum nimmst du ihn in Schutz,“ frug er lächelnd.
„Ich verteidige ihn nicht; es ist mir alles vollkommen gleichgültig; aber ich glaube, daß du, wenn du selbst diese Zerstreuungen nicht liebtest, wohl hättest absagen können. Dir aber machte es Vergnügen, Therese zu sehen im Kostüme der Eva.“
„Wieder und wieder der Diabolus,“ erwiderte Wronskiy, die Hand ergreifend, welche sie auf den Tisch gelegt hatte, und sie küssend.
„Ja wohl, aber ich kann nicht anders! Du weißt nicht, wie ich mich gemartert habe, indem ich deiner harrte. Ich denke wohl, daß ich nicht eifersüchtig bin; ich bin nicht eifersüchtig und glaube dir, wenn du hier bei mir bist; aber sobald du anderswo allein dein Leben, das mir unverständlich ist, führst“ – Sie wandte sich ab von ihm, sich wieder mit ihrem Häkelzeug beschäftigend, und begann mit Hilfe des Zeigefingers eine Masche der im Schein der Lampe hellschimmernden weißen Wolle nach der anderen aufzunehmen, wobei sich die zarte Hand mit nervöser Hast in dem Ärmel umwendete. „Aber, wo trafst du denn mit Aleksey Aleksandrowitsch zusammen?“ erklang plötzlich ihre Stimme in fast unnatürlichem Tone.
„Wir trafen an der Thür zusammen.“
„Grüßte er dich?“
Sie zog das Gesicht in die Länge, schloß die Augen halb, schnell den Ausdruck ihrer Züge verändernd und die Hände ineinander legend. Wronskiy gewahrte auf ihrem schönen Antlitz plötzlich den nämlichen Ausdruck, mit welchem ihn Aleksey Aleksandrowitsch gegrüßt hatte.
Er lächelte, sie aber lachte heiter auf mit jenem lieben, herzlichen Lachen, welches einen ihrer Hauptreize ausmachte.
„Ich begreife ihn entschieden nicht,“ antwortete Wronskiy. „Wenn er noch nach deiner Erklärung auf der Villa mit dir gebrochen und mich zum Duell gefordert hätte – aber dies verstehe ich nicht. Wie vermag er eine solche Lage zu ertragen? Er leidet ja; das ist offenbar.“
„Er?“ sagte sie lächelnd, „er ist vollkommen zufrieden.“
„Weshalb aber martern wir uns dann alle, wenn alles ganz gut werden könnte?“
„Nur er martert sich nicht. Soll ich sie etwa nicht kennen, diese große Lüge, in welcher er großgezogen ist? Ist es möglich, – wenn man nur ein wenig fühlt, – so zu leben, wie er mit mir lebt? Er versteht nicht und fühlt nicht. Kann denn ein Mensch, welcher nur einigermaßen fühlt, mit seiner verbrecherischen Frau in einem Hause leben? Kann er mit einer solchen sprechen? Sie mit ‚du‘ anreden?“ Unwillkürlich stellte sie sich sein, „du, ma chère, Anna,“ vor. „Er ist kein Mann und kein Mensch, er ist eine Puppe! Niemand weiß das, als ich. O, wäre ich an seiner Stelle, ich hätte längst gemordet, ich hätte in Stücke zerrissen dieses Weib, das so handeln konnte, wie ich, – aber ich hätte nicht gesagt ‚ma chère, Anna!‘ Das ist kein Mensch, sondern eine Maschine des Ministeriums. Er begreift nicht, daß ich dein Weib bin, daß er mir ein Fremder ist, ein Überflüssiger. Aber wir wollen nie mehr miteinander davon sprechen!“ —
„Du bist im Unrecht, ganz im Unrecht, meine Liebe,“ sagte Wronskiy, sich bemühend, sie ruhiger zu stimmen. „Aber immerhin sprechen wir nicht mehr von ihm. Erzähle mir lieber, was du bisher gethan hast? Wie geht es dir selbst? Wie steht es mit deiner Gesundheit und was hat der Arzt gesagt?“
Sie blickte ihn spöttisch und voll Freude zugleich an. Offenbar hatte sie lächerliche oder ungeheuerliche Seiten in diesem Manne da vor ihr entdeckt, und wartete nun nur auf den Augenblick, da sie dies mitteilen konnte.
Er aber fuhr fort: „Ich vermute, es ist kein eigentliches Leiden, sondern nur deine Situation, welche dich krank macht. Wann wird dann die Krisis eintreten?“
Der spöttische Glanz ihrer Augen erlosch, aber ein anderes Lächeln, das Kennzeichen eines ihm unbekannten, verborgenen Schmerzes, löste den früheren Ausdruck ab.
„Bald, bald. Du sagtest, daß unsere Lage peinlich sei, daß wir ihr ein Ende machen müßten. Wüßtest du doch, wie mir dies schwer wird, was ich darum geben möchte, dich frei und kühn lieben zu dürfen. Dann würde ich weder mich noch dich mit meiner Eifersucht quälen. Jene Krisis wird bald eintreten, aber nicht so, wie wir denken.“ Bei dem Gedanken daran, wie es kommen würde, erschien sie sich selbst so beklagenswert, daß ihr die Thränen in die Augen traten und sie nicht weiter zu sprechen vermochte. Sie zog ihre in der Lampe weißschimmernde beringte Hand in den Ärmel zurück. „Sie wird nicht so eintreten, wie wir denken. Ich wollte es dir nicht sagen, aber du veranlaßtest mich dazu. Bald, bald wird sich alles lösen und wir alle, alle werden ruhig werden und uns nicht mehr quälen.“
„Ich verstehe nicht,“ sagte Wronskiy, sie recht wohl verstehend.
„Du frugest mich, wenn die Krisis käme? Nun bald! Ich selbst werde sie nicht überleben. Unterbrich mich nicht.“ Sie fuhr hastig fort zu sprechen, „ich weiß das, ich weiß es gewiß! Ich werde sterben, und bin sehr froh, daß ich sterben und mich und euch erlösen werde.“ Thränen rannen ihr aus den Augen; er aber beugte sich auf ihre Hand herab und küßte sie, um seine Bewegung zu verbergen, die – er wußte es – zwar keinerlei Grund hatte, aber gleichwohl nicht zu beschwichtigen war. „So wird es kommen, und so wird es am besten sein,“ sagte sie, seine Hand mit heftiger Bewegung pressend; „das ist das Einzige, was uns geblieben ist.“
Er kam zu sich und hob das Haupt.
„Welch eine Thorheit! Welch sinnlose Thorheit du da sprichst!“
„Nein, nur Wahrheit.“
„Was, was für eine Wahrheit?“
„Daß ich sterben werde. Ich habe einen Traum gehabt.“
„Einen Traum?“ Wronskiy fiel sofort der Bauer in seinem eigenen Traume ein.
„Ja, einen Traum,“ sagte sie. „Schon vor Langem habe ich ihn einmal gehabt diesen Traum. Ich träumte, daß ich in mein Schlafzimmer eilte, weil ich dort etwas holen, nach etwas sehen wollte – du weißt ja, wie das im Traume ist,“ sagte sie, vor Schrecken die Augen weit aufreißend, „im Schlafzimmer aber stand etwas“ —
„Thorheiten, wie kann man glauben“ —
Doch sie ließ sich nicht unterbrechen; das, was sie erzählte, war viel zu wichtig für sie.
– „und dies Etwas bewegte sich. Ich sah, daß es ein Bauer war, mit wirrem Bart, klein und furchterweckend von Aussehen. Ich wollte davon laufen aber er beugte sich über einen Sack und wühlte mit den Händen darin.“ Sie vergegenwärtigte sich, wie die Erscheinung in dem Sacke gewühlt hatte, und Entsetzen spiegelte sich in ihren Zügen. Wronskiy empfand in der Erinnerung an seinen eigenen Traum einen gleichen Schrecken, der ihm die Seele erfüllte. „Er wühlte und hatte französisch gesagt ‚il faut le battre le fer, le broyer, le pétrir!‘ Ich wollte voll Entsetzen erwachen und erwachte – aber ich war nur im Traume erwacht. Ich frug mich nun, was das zu bedeuten habe. Korney sagte mir ‚das bedeutet, daß Ihr an einer Geburt sterben werdet, Matuschka, an einer Geburt.‘ – Dann erwachte ich wirklich.“ —
„Thorheiten, was für Thorheiten!“ sagte Wronskiy, fühlte aber selbst, daß nichts Überzeugendes in seinen Worten lag.
„Doch lassen wir das. Klingle, ich will Thee geben lassen. Oder warte noch, ich habe noch nicht lange erst“ – plötzlich hielt sie inne. Der Ausdruck ihres Gesichts veränderte sich momentan; Schrecken und Aufregung wechselte mit dem Ausdruck einer stillen, ernsten und verzückten Aufmerksamkeit. Er war nicht imstande, die Bedeutung dieser Verwandlungen zu begreifen. Sie hatte in sich die Bewegung eines neuen Lebens wahrgenommen.