Kitabı oku: «Der lebende Leichnam. Drama in sechs Akten (zwölf Bildern)», sayfa 5
Achtes Bild
Salon bei Protasows
Erster Auftritt
Karenin, Lisa
Karenin: Er hat es so fest versprochen, daß ich bestimmt glaube, er wird sein Versprechen zur Ausführung bringen.
Lisa: Es ist mir peinlich, aber ich muß es doch sagen, daß das, was ich über diese Zigeunerin erfahren habe, mir ein vollständiges Gefühl innerer Freiheit gegeben hat. Glaube nicht, daß das Eifersucht wäre. Es ist nicht Eifersucht, sondern, weißt du, ein Gefühl der Befreiung. Wie soll ich Ihnen das deutlich machen?..
Karenin: Wieder „Ihnen”.
Lisa (lächelnd): Nun also: dir. Aber lassen Sie mich, laß mich meine Empfindungen aussprechen! Was mich am meisten quälte, war das Gefühl, daß ich zwei Männer liebte. Denn das bedeutet, daß ich eine sittenlose Frau bin.
Karenin: Du eine sittenlose Frau?!
Lisa: Aber seit ich erfahren habe, daß er mit einer anderen Frau zusammenlebt und ich also für ihn keine Bedeutung mehr habe, seitdem bin ich innerlich frei geworden und fühle, daß ich ohne zu lügen sagen darf: ich liebe Sie, – dich. Jetzt ist in meiner Seele alles hell und klar, und nur meine äußere Lage quält mich noch. Diese Scheidung. Das ist alles so qualvoll! Dieses Warten!
Karenin: Es wird sich in allernächster Zeit entscheiden. Abgesehen davon, daß Fedja uns sein Versprechen gegeben hat, habe ich auch noch meinen Sekretär ersucht, sich mit einem Bittgesuche an das Konsistorium zu ihm zu begeben und nicht eher wieder fortzugehen, als bis er seine Unterschrift gegeben hat. Wenn ich ihn nicht so genau kennte, so würde ich glauben, daß sein Zaudern Absicht ist.
Lisa: Absicht? Nein, das ist alles bei ihm nur Schwäche und Ehrenhaftigkeit. Er will nicht die Unwahrheit sagen. Aber du hast nicht gut daran getan, ihm Geld zu schicken.
Karenin: Es ging nicht anders. Das konnte die Ursache der Verzögerung sein.
Lisa: Nein, Geld hat etwas Unschönes.
Karenin: Nun, er könnte schon weniger pointilleux sein.
Lisa: Was wir für Egoisten geworden sind!
Karenin: Ja, ich bekenne es auch von mir. Aber daran bist du selbst schuld. Nach all diesem Warten und dieser Hoffnungslosigkeit bin ich jetzt so glücklich. Und das Glück macht egoistisch. Du bist daran schuld.
Lisa: Du glaubst, du allein seist glücklich. Ich bin es ebenfalls. Ich fühle, daß meine Seele ganz voll Glücksempfindung ist, sich gleichsam in ihrem Glücke badet. Alles kommt zusammen: Mischa ist wieder gesund geworden, und deine Mutter liebt mich, und du liebst mich, und, was die Hauptsache ist, ich, ich selbst liebe.
Karenin: Ja? Und du befürchtest nicht, es jemals zu bereuen und anderen Sinnes zu werden?
Lisa: Seit jenem Tage hat sich alles in mir umgewandelt.
Karenin: Und das Alte kann nicht wiederkehren?
Lisa: Nein, niemals. Ich habe nur einen Wunsch: daß auch in deiner Seele alles Vergangene ebenso vollständig abgetan sein möchte wie in der meinigen.
Zweiter Auftritt
Karenin, Lisa. Die Kinderfrau mit dem Knaben tritt ein. (Der Knabe geht zur Mutter. Sie nimmt ihn auf den Schoß.)
Karenin: Was sind wir doch für unglückliche Menschen!
Lisa: Wieso? (Sie küßt das Kind.)
Karenin: Als du dich verheiratet hattest und ich bei meiner Rückkehr aus dem Auslande dies erfuhr und fühlte, daß ich dich verloren hatte, da war ich unglücklich; aber ich freute mich, als ich erfuhr, daß du dich meiner noch erinnertest. Das genügte mir. Als sich dann später freundschaftliche Beziehungen zwischen uns herausbildeten und ich fühlte, daß du mir freundlich gesinnt warst, und daß in unserer Freundschaft ein Fünkchen eines Gefühles glimmte, das stärker war als bloße Freundschaft, da war ich beinahe glücklich. Es quälte mich nur das ängstliche Gefühl, daß ich Fedja gegenüber nicht ehrlich war. Indessen hatte ich immer ein so festes Bewußtsein von der Unmöglichkeit anderer als rein freundschaftlicher Beziehungen zu der Gattin meines Freundes (und ich kannte ja auch dich hinlänglich), daß ich mich nicht mit Selbstanklagen peinigte und ganz zufrieden war. Als dann nachher Fedja dich durch seinen Lebenswandel zu quälen begann und ich fühlte, daß ich dir eine Stütze war, und daß du dich vor meiner Freundschaft fürchtetest, da war ich bereits sehr glücklich, und eine unbestimmte Hoffnung regte sich in mir. Später, als er schon unmöglich geworden war und du dich entschlossen hattest, dich von ihm zu trennen, und ich dir zum erstenmal alles sagte und du nichts erwidertest, aber in Tränen von mir weggingst, da war ich schon vollkommen glücklich. Und wenn ich gefragt worden wäre, welchen Wunsch ich noch hätte, so würde ich erwidert haben: keinen. Aber dann zeigte sich die Möglichkeit, mein Leben mit dem deinigen zu vereinigen; meine Mutter gewann dich lieb; diese Möglichkeit begann sich zu verwirklichen; du sagtest mir, daß du mich geliebt hättest und liebtest; und dann sagtest du mir, wie jetzt eben, daß er für dich nicht mehr existiere, daß deine Liebe nur mir gelte: was bleibt mir da noch zu wünschen übrig, sollte man meinen? Aber nein, jetzt, jetzt quäle ich mich mit der Vergangenheit herum und möchte, daß diese Vergangenheit nicht vorhanden wäre, daß nichts vorhanden wäre, was mich an sie erinnert.
Lisa (vorwurfsvoll): Viktor!
Karenin: Verzeih mir, Lisa! Ich sage das nur, weil ich nicht will, daß irgendein Gedanke in meiner Seele, der dich betrifft, dir verborgen sei. Alles dies habe ich absichtlich gesagt, um dir zu zeigen, wie schlecht ich bin, und wie wohl ich weiß, daß ich mit mir selbst kämpfen und mich überwinden muß. Und ich habe mich überwunden. Ich liebe ihn.
Lisa: So ist es recht. Ich habe alles getan, was ich konnte. Oder vielmehr: in meinem Herzen hat sich alles so herausgebildet, wie du es nur wünschen konntest; jedes andere Bild außer dem deinen ist daraus verschwunden.
Karenin: Jedes?
Lisa: Ja, jedes, jedes. Sonst würde ich es nicht sagen.
Dritter Auftritt
Karenin, Lisa, die Kinderfrau mit dem Knaben und ein Diener
Der Diener: Herr Wosnesenski.
Karenin: Er bringt die Antwort von Fedja.
Lisa (zu Karenin): Lassen Sie ihn in dieses Zimmer eintreten!
Karenin (steht auf und geht zur Tür): Nun, da werden wir die Antwort zu hören bekommen.
Vierter Auftritt
Karenin, Lisa. (Sie gibt der Kinderfrau das Kind zurück. Die Kinderfrau ab.)
Lisa: Wird sich jetzt wirklich alles entscheiden, Viktor? (Sie küßt ihn.)
Fünfter Auftritt
Karenin, Lisa und Wosnesenski, welcher eintritt
Karenin: Nun, wie steht es?
Wosnesenski: Er war nicht zu Hause.
Karenin: Nicht zu Hause? Und er hat die Bittschrift nicht unterschrieben?
Wosnesenski: Die Bittschrift hat er nicht unterschrieben; aber er hat einen Brief an Sie und Jelisaweta Andrejewna hinterlassen. (Er zieht einen Brief aus der Tasche und reicht ihn Karenin hin.) Ich kam nach seiner Wohnung; dort wurde mir gesagt, er sei in einem bestimmten Restaurant; ich ging dorthin, und da sagte mir Fjodor Wasiljewitsch, ich möchte in einer Stunde wiederkommen. Ich kam wieder hin, und da hatte er diesen Brief hinterlassen …
Karenin: Ob er wirklich immer neue Verschleppungsversuche und Ausflüchte macht? Nein, das ist geradezu häßlich von ihm. Wie tief ist er doch gesunken!
Lisa: So lies doch; mach!
Karenin (öffnet den Brief).
Wosnesenski: Bedürfen Sie meiner noch?
Karenin: Nein, adieu, ich danke Ihnen … (Er liest und stutzt erstaunt. Wosnesenski ab.)
Sechster Auftritt
Karenin und Lisa
Lisa: Was steht darin? Was steht darin?
Karenin: Das ist schrecklich!
Lisa (greift nach dem Briefe): So lies doch vor!
Karenin (liest): „Lisa und Viktor, ich wende mich an Euch beide. Ich will nicht lügen, indem ich Euch die Beiworte ‚lieb’ und ‚teuer’ gäbe. Wenn ich an Euch und Eure wechselseitige Liebe und an Euer Glück denke, so kann ich mich eines bitteren Gefühles nicht erwehren; Vorwürfe mache ich allerdings nur mir selbst, aber doch bereiten sie mir Qual. Ich weiß alles. Ich weiß, daß ich, trotzdem ich der Ehemann bin, Euch seinerzeit doch nur infolge einer Reihe von Zufälligkeiten gehindert habe, ein Paar zu werden. C'est moi qui suis l'intrus. Aber doch kann ich ein Gefühl der Bitterkeit und der Kälte Euch gegenüber nicht unterdrücken. Theoretisch liebe ich Euch beide, besonders Lisa, die gute Lisa; aber in Wirklichkeit bin ich mehr als kalt. Ich weiß, daß ich daran unrecht tue; aber ich kann mich nicht ändern.”
Lisa: Wie kann er nur …
Karenin (liest weiter): „Aber zur Sache! Eben dieses zwiespältige Gefühl veranlaßt mich dazu, Euren Wunsch in anderer Weise, als Ihr es gewollt habt, zur Ausführung zu bringen. Zu lügen, eine unwürdige Komödie aufzuführen, die Beamten des Konsistoriums zu schmieren, und was der garstigen Dinge mehr sind, all das ist mir widerwärtig und unerträglich. Wie garstig ich auch selbst sein mag, wenn auch garstig in einem anderen Sinne, so kann ich mich doch an diesem garstigen Tun nicht beteiligen; ich kann es einfach nicht. Der andere Ausweg, den ich jetzt einschlage, ist der allereinfachste! Ihr wollt Euch heiraten, um glücklich zu werden; ich bin Euch hinderlich; folglich muß ich aus dem Leben scheiden!..”
Lisa (faßt Karenin an den Arm): Viktor!
Karenin (liest weiter): „… muß ich aus dem Leben scheiden. Und das werde ich auch zur Ausführung bringen. Wenn Ihr diesen Brief erhaltet, bin ich nicht mehr. P.S. Es tut mir sehr leid, daß Ihr mir Geld zur Betreibung der Scheidung geschickt habt. Mir war das unangenehm, und Eurem ganzen Wesen entsprach es nicht. Na, da hilft nun nichts. Ich habe so viele Fehler begangen, da könnt Ihr auch einmal einen begehen. Das Geld geht Euch wieder zu. Mein Ausweg ist kürzer, billiger und sicherer. Um eines bitte ich Euch: seid mir nicht böse und behaltet mich in gutem Andenken! Und noch etwas: hier lebt ein Uhrmacher, namens Jewgenjew; könnt Ihr dem nicht helfen und seine wirtschaftlichen Verhältnisse ordnen? Er ist ein schwacher, aber braver Mensch. Lebt wohl! Fedja.”
Lisa: Er hat sich das Leben genommen! Ja …
Karenin (klingelt und läuft in das Vorzimmer): Rufen Sie Herrn Wosnesenski zurück!
Lisa: Ich habe es gewußt, ich habe es gewußt! Fedja, lieber Fedja!
Karenin: Lisa!
Lisa: Es ist nicht wahr, nicht wahr, daß ich ihn nicht geliebt hätte und auch jetzt nicht liebte. Ich liebe nur ihn allein. Ich liebe ihn. Und ich habe ihn ins Verderben getrieben! Laß mich! (Wosnesenski tritt ein.)
Siebenter Auftritt
Karenin, Lisa und Wosnesenski
Karenin: Wo ist Fjodor Wasiljewitsch? Was hat man Ihnen gesagt?
Wosnesenski: Man hat mir gesagt, er sei am Morgen unter Hinterlassung dieses Briefes weggegangen und nicht wieder zurückgekehrt.
Karenin: Das muß ich in Erfahrung bringen, Lisa; ich verlasse dich.
Lisa: Verzeih mir, aber auch ich kann nicht lügen. Laß mich jetzt allein! Geh und stelle fest, was geschehen ist!..
Vorhang
Fünfter Akt
Neuntes Bild
Ein schmutziges Zimmer in einer Schenke. Ein Tisch mit Gästen, welche Tee und Branntwein trinken. Im Vordergrunde ein Tischchen, an welchem Fedja, ganz heruntergekommen und in zerlumpten Kleidern, sitzt und bei ihm Pjetuschkow, ein höflicher, zarter Mensch, dem seine langen Haare ein geistliches Aussehen verleihen. Beide sind ein wenig angetrunken
Erster Auftritt
Fedja und Pjetuschkow
Pjetuschkow: Ich verstehe, ich verstehe. Ja, das ist echte Liebe. Nun, und was dann?
Fedja: Ja, wissen Sie, wenn diese Gefühle bei einem jungen Mädchen aus unserer Sphäre zutage kämen, so daß sie für den geliebten Mann alles zum Opfer brächte, dann würde man das noch erklärlich finden; aber hier handelt es sich um eine Zigeunerin, deren ganze Erziehung auf Eigennutz gerichtet war; und dabei doch diese reine, selbstlose Liebe! Sie gibt alles hin, ohne für sich selbst auch nur das geringste zu verlangen. Dieser Kontrast ist besonders merkwürdig.
Pjetuschkow: Ja, das nennt man bei uns in der Malerei valeur. Ein volles, grelles Rot kann man nur dann herausbringen, wenn ringsumher Grün ist. Na, aber das gehört nicht hierher. Ich verstehe, ich verstehe …
Fedja: Ja, und das ist, glaube ich, die einzige gute Tat, die ich zur Rettung meiner Seele getan habe, daß ich ihre Liebe nicht mißbrauchte. Und wissen Sie warum?
Pjetuschkow: Aus Mitleid.
Fedja: Ach nein. Mein Gefühl ihr gegenüber war nicht Mitleid. Ich war, wenn ich sie sah, immer voller Entzücken, und wenn sie sang, – ach, wie sang sie! Auch jetzt singt sie vielleicht noch – Und immer blickte ich zu ihr wie zu einem höheren Wesen empor. Ich habe sie einfach deswegen nicht unglücklich gemacht, weil ich sie liebte, sie innig liebte. Und selbst jetzt noch ist das für mich eine schöne, schöne Erinnerung. (Er trinkt.)
Pjetuschkow: Sehen Sie, ich verstehe das, ich verstehe das. Das ist etwas Ideales.
Fedja: Ich will Ihnen was sagen: ich habe seinerzeit auch so meine Schwärmereien und Liebschaften gehabt. Und so war ich denn auch einmal verliebt, in eine schöne Dame, und ich war in einer häßlichen, sinnlichen Art verliebt, und sie gab mir ein Rendezvous. Und ich blieb weg, weil ich der Ansicht war, das sei eine Gemeinheit gegen den Ehemann. Und bis auf den heutigen Tag geht es mir merkwürdig: wenn ich daran zurückdenke, so möchte ich mich freuen und mich dafür loben, daß ich ehrenhaft gehandelt habe; aber – ich bereue es wie eine Sünde. Aber hier, bei Mascha, ist es gerade umgekehrt. Ich freue mich immer, freue mich sehr, daß ich dieses mein Gefühl mit nichts beschmutzt habe. Ich kann noch tiefer sinken, kann ganz verkommen, alles, was ich auf dem Leibe habe, verkaufen, kann verlaufen und die Krätze bekommen; aber dieser Brillant, oder besser, dieser Sonnenstrahl, ja, der bleibt für immer das Eigentum meiner Seele.
Pjetuschkow: Ich verstehe, ich verstehe. Wo ist sie denn jetzt?
Fedja: Ich weiß es nicht. Und ich möchte es auch gar nicht wissen. Das gehörte alles einem andern Leben an. Und jenes Leben will ich nicht mit meinem jetzigen vermischen. (Man hört das Geschrei einer Frau an dem hinteren Tische. Der Wirt tritt heran; ein Schutzmann erscheint; die Frau wird abgeführt. Fedja und Pjetuschkow schauen hin, hören zu und schweigen.)
Pjetuschkow (nachdem es dort wieder ruhig geworden ist): Ja, Ihr Leben ist ein ganz wundersames gewesen.
Fedja: Nein, ein ganz gewöhnliches. Wir alle in der Lebenssphäre, in der ich geboren bin, haben zwischen drei Dingen die Wahl, nur zwischen dreien. Erstens, ein Amt zu bekleiden, Geld zu verdienen, den Schmutz, in dem wir leben, noch zu vergrößern; das war mir zuwider; vielleicht verstand ich es auch nicht; aber die Hauptsache war: es war mir zuwider. Zweitens, diesen Schmutz zu bekämpfen; dazu muß man ein Held sein, und ich bin kein Held. Oder drittens, sich selbst zu vergessen, zu trinken, zu bummeln, zu singen; und eben dies habe ich getan. Und nun ist das Lied ausgesungen. (Er trinkt.)
Pjetuschkow: Nun, und das Familienleben? Ich wäre glücklich, wenn ich eine Frau hätte. An meinem Unglück ist meine Frau schuld.
Fedja: Das Familienleben? Ja. Meine Frau war eine ideale Frau. Sie ist auch jetzt noch am Leben. Aber was soll ich Ihnen sagen? Es fehlten die kleinen Rosinen. Wissen Sie, die kleinen Rosinen im Kwas?2 Es fehlte in unserm Leben das Element des heiteren Spieles. Und es war mir doch Bedürfnis, mich zu vergessen. Und ohne solches heiteres Spiel kann man sich nicht vergessen. Und da fing ich an, garstige Dinge zu tun. Sie wissen ja aber: wir lieben die Menschen wegen des Guten, das wir ihnen getan haben, und empfinden Abneigung gegen sie wegen des Bösen, das wir ihnen zugefügt haben. Und ich habe ihr viel Böses zugefügt. Sie schien mich zu lieben.
Pjetuschkow: Warum sagen Sie: „Sie schien”?
Fedja: Das sage ich, weil sie mir seelisch nie so nahe gestanden hat wie Mascha. Aber darum handelt es sich jetzt nicht. Sie war in andern Umständen, und dann nährte sie das Kind; ich aber trieb mich umher und kam betrunken nach Hause. Natürlich liebte ich sie eben deswegen immer weniger. Ja, ja. (Er gerät in Entzücken.) Da fährt mir eben ein Gedanke durch den Kopf: darum liebe ich Mascha, weil ich ihr Gutes getan habe und nicht Übles. Darum liebe ich sie. Jene aber habe ich gequält, und darum … aber ich kann nicht sagen, daß ich Abneigung gegen sie empfände; nein ich liebe sie einfach nicht. Eifersüchtig bin ich gewesen, ja; aber auch das gehört der Vergangenheit an.
Zweiter Auftritt
Fedja, Pjetuschkow und Artemjew, welcher herantritt. (Er trägt eine Kokarde, einen alten, geflickten Anzug und hat einen gefärbten Schnurrbart.)
Artemjew: Guten Appetit. (Er verbeugt sich vor Fedja.) Sind Sie mit dem Künstler bekannt geworden?
Fedja (kühl): Ja, wir sind miteinander bekannt.
Artemjew (zu Pjetuschkow): Nun, haben Sie das Porträt fertiggemacht?
Pjetuschkow: Nein, ich war nicht bei Stimmung.
Artemjew (setzt sich): Ich störe Sie doch nicht? (Fedja und Pjetuschkow schweigen.)
Pjetuschkow: Fjodor Wasiljewitsch hat allerlei aus seinem Leben erzählt.
Artemjew: Geheimnisse? Dann will ich nicht stören; fahren Sie nur fort! Was mach ich mir aus euch, ihr Ochsen! (Er geht zum Nachbartische und läßt sich Bier geben. Während der ganzen folgenden Zeit biegt er sich zu Fedja und Pjetuschkow hin und behorcht ihr Gespräch.)
Dritter Auftritt
Fedja: Ich kann diesen Herrn nicht leiden.
Pjetuschkow: Er hat sich beleidigt gefühlt.
Fedja: Na, meinetwegen. Ich kann mir nicht helfen: wenn so ein Mensch dabeisitzt, bringe ich kein Wort heraus. Sehen Sie, in Ihrer Gesellschaft fühle ich mich wohl und behaglich. Wovon redete ich doch gerade?
Pjetuschkow: Sie sagten, Sie seien eifersüchtig gewesen. Nun, und auf welche Weise haben Sie sich von Ihrer Frau getrennt?
Fedja: Ach! (Er wird nachdenklich.) Das ist eine wunderliche Geschichte. Meine Frau ist verheiratet …
Pjetuschkow: Wie denn das? Ist eine Scheidung erfolgt?
Fedja: Nein. (Er lächelt.) Sie ist als meine Witwe zurückgeblieben.
Pjetuschkow: Aber wie meinen Sie denn das?
Fedja: Nun ja, als meine Witwe. Ich lebe nicht mehr.
Pjetuschkow: Sie leben nicht mehr?
Fedja: Nein. Ich bin ein Leichnam. Ja. (Artemjew biegt sich herüber und horcht.) Sehen Sie, Ihnen kann ich es ja sagen. Es ist schon lange her, und meinen richtigen Familiennamen kennen Sie nicht. Die Sache trug sich so zu. Als ich meine Frau schon ganz zermartert, alles, was ich konnte, vergeudet hatte und ganz unerträglich geworden war, da erschien ein Beschützer für sie. Glauben Sie nicht, daß da irgendetwas Schmutziges, Häßliches vorgegangen wäre; nein, der Betreffende war mein eigener Freund und ein guter, sehr guter Mensch, nur in jeder Hinsicht das gerade Gegenteil von mir. Und da ich viel mehr schlechte Eigenschaften besitze als gute, so war und ist er denn ein guter, sehr guter Mensch: ehrenhaft, charakterfest, enthaltsam, mit einem Worte tugendhaft. Er hatte meine Frau von Jugend auf gekannt, sie geliebt und dann, als sie mich heiratete, sich mit seinem Schicksal ausgesöhnt. Später aber, als ich so garstig wurde und anfing, sie zu quälen, da begann er häufiger bei uns zu verkehren. Ich wünschte das selbst. Und sie gewannen einander lieb; ich aber geriet zu jener Zeit ganz und gar auf Abwege und sagte mich selbst von meiner Frau los. Und dann kam noch Mascha hinzu. Ich machte ihnen selbst den Vorschlag, sie möchten sich heiraten. Sie wollten es nicht. Aber ich machte mich immer unmöglicher, und die Sache endete damit, daß …
Pjetuschkow: Wie immer …
Fedja: Ich bin davon überzeugt und weiß, daß sie rein blieben. Er ist ein religiöser Mensch und hielt eine Ehe ohne kirchlichen Segen für Sünde. Na, sie begannen also die Scheidung zu verlangen; ich sollte dazu meine Einwilligung geben. Wenn aber die Scheidung durchgesetzt werden sollte, mußte ich die ganze Schuld auf mich nehmen und mich zu einer großen Lügerei verstehen. Und das brachte ich nicht fertig. Werden Sie es glauben: es wäre mir leichter geworden, mir das Leben zu nehmen als zu lügen. Und ich wollte mir auch schon das Leben nehmen. Aber da sagte eine gute Person zu mir: „Warum willst du das tun?” Und es wurde alles arrangiert. Ich ließ ihnen einen Abschiedsbrief zukommen, und am andern Tage fand man am Ufer meine Kleider und meine Brieftasche mit verschiedenen an mich gerichteten Briefen. Schwimmen kann ich nicht.
Pjetuschkow: Nun, und wie war es mit der Leiche? Wurde die nicht gefunden?
Fedja: Ja, die wurde gefunden; denken Sie sich nur: eine Woche darauf wurde eine Leiche gefunden. Meine Frau wurde zur Besichtigung hinzugerufen. Die Leiche war schon stark in Verwesung übergegangen. Meine Frau sah sie an. „Ist er es?” wurde sie gefragt. „Ja, er ist es!” antwortete sie. Und dabei blieb es denn auch. Ich wurde begraben, und sie heirateten sich und leben hier und fühlen sich glücklich. Und ich lebe auch; ich lebe und trinke. Gestern ging ich an dem Hause der beiden vorbei. Hinter den Fenstern war Licht; der Schatten eines Menschen glitt an dem Rouleau vorüber. Manchmal ist mir dabei scheußlich zumute; aber manchmal mache ich mir nichts daraus. Scheußlich ist mir zumute, wenn ich kein Geld habe … (Er trinkt.)
Artemjew (tritt näher): Na, nehmen Sie es nicht übel, ich habe Ihre Geschichte mit angehört. Es ist eine sehr nette und vor allen Dingen eine sehr nützliche Geschichte. Sie sagen, es sei Ihnen scheußlich zumute, wenn es Ihnen an Geld fehle. Allerdings, es gibt nichts Scheußlicheres. Aber Sie in Ihrer Lage müßten doch eigentlich immer Geld haben. Sie sind ja ein Leichnam. Nun gut …
Fedja: Erlauben Sie! Ihnen habe ich das nicht erzählt, und ich wünsche Ihre Ratschläge nicht.
Artemjew: Ich aber wünsche sie Ihnen dennoch zu geben. Sie sind ein Leichnam, und wenn Sie wieder aufleben, dann sind jene beiden, Ihre Gattin und der betreffende Herr, die sich jetzt so glücklich fühlen, einfach Bigamisten und spazieren günstigsten Falls nach einem nicht allzu entlegenen Verbannungsorte. Also warum sollte es Ihnen an Geld fehlen?
Fedja: Ich ersuche Sie, mich in Ruhe zu lassen.
Artemjew: Schreiben Sie ganz einfach einen Brief! Oder wenn Sie wollen, werde ich einen schreiben; Sie brauchen mir nur die Adresse zu geben. Sie werden mir später noch dankbar sein.
Fedja: Scheren Sie sich weg, sage ich Ihnen! Ich habe Ihnen nichts mitgeteilt.
Artemjew: Doch, das haben Sie getan. Da ist ein Zeuge. Der Kellner hat es gehört, daß Sie sagten, Sie seien ein Leichnam.
Der Kellner: Ich weiß von nichts.
Fedja: Sie Taugenichts!
Artemjew: Ich ein Taugenichts?! He, Schutzmann! Es muß ein Protokoll darüber aufgenommen werden!
Fedja (steht auf und geht hinaus). (Artemjew halt ihn fest. Ein Schutzmann kommt.)
Vorhang
Ein säuerliches Getränk aus Roggenmehl und Malz.
Anmerkung des Übersetzers.
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