Kitabı oku: «Psychotische Reaktionen und heiße Luft», sayfa 4

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»Madame George« ist der Strudel des Albums. Wahrscheinlich eines der einfühlsamsten Musikstücke, die je gemacht wurden, es bittet uns – nein, arrangiert es –, das Elend einer, wenn ich es ganz brutal ausdrücke, liebeskranken Drag Queen mit so intensivem Gefühl zu sehen, dass wir, wenn der Sänger sie verletzt, dasselbe tun. (Morrison hat in einem Interview immerhin gesagt, dass der Song nichts mit einem Transvestiten zu tun hat, zumindest seines Wissens nicht, wie er schnell hinzufügte, aber das ist Schwachsinn.) Die Schönheit, Sensibilität, Heiligkeit des Songs liegt darin, dass ihm nichts Sensationslüsternes, Ausbeuterisches oder Geschmackloses anhaftet; so gesehen hat Van Recht, wenn er behauptet, der Song handle nicht von einer Drag Queen, genau wie meine Freunde bei der Pädophilie Recht hatten, nicht ich: er handelt von einer Person, wie alle großartigen Songs, wie alle große Literatur.

Der Schauplatz ist derselbe wie im vorangegangenen Stück, »Cyprus Avenue«, offensichtlich ein Ort, wo Leute sich gehen lassen, von Sehnsucht in selbstzerstörerische, blicklose Konfrontation mit ihrem Schicksal getrieben. Ein Elementarplatz gnadenlosen Urteils – Wind und Regen spielen in beiden Songs eine Rolle. Interessanterweise ist es auch ein Ort des noch grausameren Urteils der Kinder über Erwachsene, in beiden Fällen Objekte der Liebe, die ihren erwachsenen Möchtegern-Liebhabern absolut indifferent gegenüber stehen. Die kleinen Jungs von Madame George sind geradezu verächtlich – wie die Straßenkinder in Tennessee Williams’ Plötzlich letzten Sommer, die schließlich den homosexuellen Cousin in einem kannibalistischen Akt töten –, sie sind nur zu gerne dabei, wenn es Musik, Partys, Drinks und Hasch umsonst gibt, und spucken allzu schadenfroh auf Georges Zuneigung, wenn der Stoff ausgeht und der alles begrabende Winter nicht nur mit Wind und Regen, sondern mit Graupel, Hagel und Schnee Einzug hält.

Am merkwürdigsten erscheint jedoch, dass genau jene Charakteristika – Alter, Trunksucht, die Jungs, die sein Geld nehmen und seine Liebe wegwerfen –, die George so erbärmlich wirken lassen, etwas im Herzen des Jungen anrühren, dessen Song das ist. Offensichtlich ist der Junge nicht einfach verliebt in die Liebe, »fallen in love with love« oder etwas in der Art, sondern – was? Woran liegt es, dass tief in den verdorbensten Perversionen ein menschliches Wesen ein zweites für etwas anderes als seine Menschlichkeit lieben könnte: für seine Schwächen, Makel, letztendlich seinen Verfall? Verfall ist menschlich – das ist eine der ultimativen Botschaften, und ich meine hier keinesfalls eine Auslegung in Richtung Dekadenz. Ich meine, dass Van Morrison in diesem Song, oder was ihn auch immer inspiriert haben mag, die absolute Möglichkeit sah, menschliche Wesen auch in ihrem extremsten Elend zu lieben, und dass die damit verbundenen Folgen schrecklich sein können, weitaus schrecklicher als das bloße Sehen von Körpern, die das Alter entstellt hat, oder die scheinbare Absurdität eines Mannes, der sein Leben dem wackligen Kunstgriff verschrieben hat zu versuchen, wie eine Frau auszusehen.

Man könnte auch sagen, um die Fragen zu lieben, muss man auch die Antworten lieben, die das Ende der Liebe beschleunigen, die geliebt wird, um die schreckliche Ungleichheit menschlicher Erfahrungen zu lieben, die liebend gerne sagen, wir stehen über denen, die diese Liebe zu lieben verloren haben, die Liebe, die Freiheit bedeuten könnte, der Zug in die Freiheit, den wir nicht erreichen, lieber winken wir denjenigen generös Adieu, die Opfer ihrer selbst sind. Aber wer bestimmt, dass jemand, der sich selbst zum Opfer gemacht hat, nicht genauso viel uneingeschränktes Mitgefühl verdient, wie das ausgezehrteste Dritte-Welt-Waisenkind in der Anzeige einer New Yorker Zeitschrift? Nein, es ist besser, über ihre Leichen zu schreiten, vielleicht zollt man ihnen damit den Respekt, den sie einst verdient hätten. Da, wo ich lebe, in New York (ich will nicht mehr daraus machen, als es ist, was ziemlich schwierig ist), schreitet jeder, den ich kenne, schmerzfrei über Körper, die sehr gut tot oder im Sterben begriffen sein könnten. Und ich frage mich, welches Konzept eigentlich zum Inhalt hat, dass eine solche Handlung menschlichem Abfall den ultimativen Respekt, den er verdient, erweist.

Natürlich gibt es dafür eine vernünftige Erklärung – was auch sonst –, aber sie steht nur für die Angst gegenüber unserer eigenen Hilflosigkeit angesichts der endlosen Weite des Lebens, wie es wirklich ist: eine Ebene, die sich in die Unendlichkeit jenseits aller Horizonte ausdehnt, die wir gerade erfunden haben. Komm, stirb doch. Während ich dies schreibe, lese ich in der Village Voice Anzeigen von Leuten, die in Manhattan heterosexuelle S&M-Klubs eröffnen, Sachen wie: »S&M ist nur eine andere ebenso gültige Form der Liebe. Warum die Leute das nicht akzeptieren können, verstehen wir nicht.« Da springt man doch lieber aus dem fünften Stock, als so was zu lesen, aber das ist wohl kaum das Ende der Welt; es ist nicht annähernd so schlimm wie die Verletzungen, die überall jeden Tag passieren, die wir so beiläufig als Lebenswahrheiten akzeptieren. Vielleicht läuft es auch darauf hinaus, was man sich tatsächlich aufbürden will. Wenn man sich nur einen Augenblick vorstellt, jedes menschliche Leben sei so zart und wertvoll wie eine Schneeflocke und man sich dann den Penner im Eingang anschaut, dann schmerzt das, man saugt die Probleme all der anderen Arschlöcher wie ein Schwamm auf, bis man sich selbst wie ein Arschloch fühlt, also zieht man angemessene Grenzen. Man hört auf zu fühlen. Aber dann beginnt man zu sterben. Also kämpft man ein bisschen mit sich selbst. Wie viel Horror kann ich tatsächlich zulassen? Vielleicht ist der stumpfste Knirps klüger als jemand, der erlaubt, dass seine Sensibilität ihn dazu bringt, alles zu zerstören, was er berührt – aber, den Hut von Madame George zu lüften, nur um zu erkennen, dass diese Person existiert, seine Wange zu berühren und dann vermutlich zu erlöschen, weil die Feststellung, dass man die Welt mit ihm teilen muss, so ultimativ unerträglich ist, ist nur der erste Schritt. Die Feststellung, dass das Leben so gering ist und so verherrlicht und so unerträglich und so heiß ersehnt. Bitte komm zurück und lass mich allein. Aber wenn wir alle zusammen allein sind, können wir solange wir wollen über die Universalität dieses Abgrunds reden. Es macht keinen Unterschied, der höchste trifft den niedrigsten, um irgendeine verlogene Hilfe zu leisten, UNICEF für Arme, also kratzt man und spuckt und flucht in verzweifelter Resignation vor der klaren Tatsachen, dass man nichts tun kann, außer letztendlich jeden zurückzuweisen, der größere Schmerzen als man selbst hat. In einem solchen Moment ist jeder weitere Atemzug Hochverrat. Deswegen gibt man seine liberalen Beweggründe auf, lässt die leidende Menschheit in noch größerem Elend sterben, als sie es kannten, bevor man des Weges kam. Man hat ihnen Hoffnung geschenkt. Was einen noch bösartiger macht als das skrofulöseste Aas. Bösartiger als die ignoranten Jungs, die Madame George für ein paar Zigaretten nahmen. Weil man das Verbrechen begangen hat zu wissen, und deswegen nicht nur an jemandem vorbei oder über jemanden hinweg gelaufen ist, von dem man wusste, dass er leidet, sondern auch weil man seine Privatsphäre verletzt hat, den letzten Besitz der Besitzlosen.

Derartiges Wissen ist vermutlich das Schlimmste, was einem Menschen (einem glücklichen Menschen) widerfahren kann, es ist also kein Wunder, dass Morrisons Protagonist sich von Madame George abwendet, zum Bahnhof rennt und versucht, so weit wie ihn ein Leben nur bringen kann, vor dem wegzurennen, was er gesehen hat. Und es ist auch kein Wunder, dass Van Morrison nie wieder so nah dran war, dem Leben direkt ins Gesicht zu sehen, kein Wunder, dass er sich auf Tupelo Honey und sogar auf Hard Nose the Highway auf einer ganzen Seite Songs über fallende Blätter zuwandte. In Astral Weeks und »T.B. Sheets« hat er genug für das Leben eines Einzelnen gesehen. Natürlich kann man es schlecht jemandem ankreiden, der diese unglaublich aufwühlende und gleichzeitig erschreckende Gabe von Morrison entgegengenommen hat, dass er sich nicht so furchtbar sehr um Old, Old Woodstock und kleine Sermone wie »You’ve Got to Make It Through This World on Your Own« und »Take It Where You Find It« sorgt.

Auf der anderen Seite sollte man aber darauf hinweisen, dass Verzweiflung, Schmerz und Qual nicht die einzigen Dinge im Leben oder in Astral Weeks sind. Sie sind vielleicht nur die Dinge, die wir am leichtesten erfassen und erklären können, was vermutlich zeigt, auf welcher Ebene sich unsere Seelen befinden. Ich sagte, ich würde die anderen Songs auf diesem Album nicht durch den Versuch, sie zu erklären, reduzieren, und das tue ich auch nicht. Aber das soll nicht heißen, wenn man alles in Betracht zieht, dass eine Nebeneinanderstellung von Dichtern nicht in Ordnung geht.

If I ventured in the slipstream

Between the viaducts of your dreams

Where the mobile steel rims crack

And the ditch and the backroads Stopp

Could you find me

Would you kiss my eyes

And lay me down

In silence easy

To be born again

Van Morrison

Mein Herz aus Seide

so voller Lichter

mit verlorenen Glocken

mit Lilien und Bienen

Ich werde sehr weit reisen

weiter als diese Berge

weiter als die Meere

bis zu den Sternen

um Gott unseren Herren zu bitten

mir die Seele zurückzugeben

die ich hatte als ich ein Kind war,

gereift an Legenden

mit einer gefiederten Mütze

und einem hölzernen Schwert

Frederico Garcia Lorca

Stranded, 1979

Teil Zwei

Blowing It Up

Von Pop und Pies und Fun

Ein Programm zur Befreiung der Massen in Form einer

Stooges-Rezension

Oder: Wer ist der Depp? (1970)

James Taylor: Vom Tod gezeichnet (1971)

Von Pop und Pies und Fun

Ein Programm zur Befreiung der Massen in Form einer Stooges-Rezension. Oder: Wer ist der Depp?

Teil I: Anatomie der Krankheit

Wie die meisten unverfälschten Originale haben die Stooges mehr als ihren Teil an Beschimpfungen, Spott, herablassender Kritik bis zu offenen Anfeindungen abbekommen. Ihr Liveauftritt ist guter Stoff, liefert zugleich aber auch leicht die Munition, sie niederzumachen. Auf den ersten Blick scheint ihre Musik so einfach zu sein, dass ein jeder mit nur rudimentärer Ausbildung in der Lage sein sollte, sie zu spielen (dass nur wenige, mit welchen Fähigkeiten auch immer, eine halbwegs vernünftige Imitation hervorbringen können, wird dabei übersehen). Während die Kritiker (so wie ich) ihren Spaß damit haben, den Erfolg ihres ersten Albums »The Stooges« John Cale zuzuschreiben und sie auf ein mehr oder weniger lustiges Teenagerphänomen reduzieren, Programmmusik für Highschoolkids aus der Vorstadt, die von Speedpillen (»reds«) und pubertären Phantasien nihilistischer Apokalypsen an den Rand des Wahnsinns getrieben werden, so scheint ein Großteil der Hörerschaft sie fast genauso verächtlich als lediglich eine weitere lärmende Gruppe anzusehen, deren Gimmick (Iggy) auch nicht ausreicht, um an so richtig losdonnernden Frontrunner im Heavy-Bereich wie Grand Funk Railroad heranzukommen. Die haben Songs, die zumindest Sinn ergeben, ihre Auftritte beweisen echte Showmanship (d.h., sie bringen Horden ekstatisch verpeilter Freaks dazu, vor der Bühne mit den üblichen Tausendschaften erhobener Hände eine marginal politische Geste der Einigkeit zur Schau zu stellen, die ausreicht, das Herz auch noch des letzten Propagandisten der Bewegung zu erwärmen). Die würden sich auch niemals so zum Deppen machen, wie dieser Stooges-Penner es tut. Was soll das denn, wie er sich an sich selber festkrallt, sich das Mikrophon in den Rachen steckt, in die Meute springt, um in einem Wald aus Beinen und Ellbogen zu baden und weiß Gott nicht noch alles? Dann singt er auch noch diese ekligen Songs über TV-Augen, Sich-wie-Dreck-Fühlen und Überhaupt-keinen-Spaß-nicht-haben, weil man halt verfickt adoleszent ist, notgeil, aber neurotisch, gelangweilt und einsam und nicht fähig, mit sich oder irgend jemand anderem zu kommunizieren. Scheiße. Wer kann schon Songs gebrauchen, die so miese Vibes verbreiten? Schließlich erleben wir hier gerade, wie eine herrlich eigenständige und ein bisschen beschränkte Hip-Gemeinde, vielleicht sogar eine ganze Hip-Nation, aufblüht. Und unsere Kunst ist doch dazu da, uns selbst als befreite Individuen und befreite Massen zu feiern – wir das Volk, klar? Und asoziale Kunst passt da nicht dazu, Brüder und Schwestern. Wer will schon deprimiert sein?

Nun gut, es hat sich schon eine ganze Menge verändert, seit die Hipness im Vaterland angekommen ist. Eine neue Kultur nimmt langsam Gestalt an. Das ist zwar sicherlich eine Verbesserung dieser gerade nervös veraltenden repressiven Gesellschaft, doch gibt es auch ein starkes Element des Kranken in unseren neuen, amorphen Institutionen. Die Kur bringt ihre eigenen Viren mit sich. In der Musik der Stooges gibt es ebenfalls ein starkes Element des Kranken, eine aufgekratzt zitternde Unsicherheit, eine ziellose Albernheit, die sehr wirkungsvoll die Absurdität und Verzweiflung unserer Zeit widerspiegelt. Allerdings denke ich, dass sie genauso ein starkes Element von Heilung mit sich bringt, eine Art Klarheit, die nach der Verstörung kommt.

Ich denke auch, dass ihre Musik genauso wichtig ist wie die irgendeiner anderen Rockgruppe zur Zeit. Nur solltest du nicht unbedingt Kunst dazu sagen, andernfalls könnte es sein, dass eine extrafeine Torte in deinem Gesicht landet. Was ist es stattdessen? Nichts weiter, als das, was der Rock’n’Roll ungeachtet der stilistischen Verirrungen, die die letzten Jahre so mit sich brachten, in seinem Herzen ist und schon immer war. Die Stooges sind nichts für die Ewigkeit – nichts, was zur Zeit gemacht wird, ist für die Ewigkeit –, sie stehen ganz unbedingt für die Gegenwart und die Zukunft und die Traditionen von zwei Jahrzehnten herrlich boppendem, manischem, simplem Jive.

Um uns Fun House zu nähern, müssen wir allerdings zurück zu den Anfängen, zu all dem Geschwätz und Streit in den Spuren eines berüchtigten ersten Albums. Schließlich herrscht gerade nicht unbedingt eine gute Atmosphäre, und so haben wir zuerst einmal alle irdische Düsternis der Ignoranz und des Missverständnisses zu beseitigen, bevor wir die wahrhaftige, makellose Düsternis der Stooges in all ihren chaotischen Facetten aufleuchten lassen wollen wie die Reflexe in einem der Zerrspiegel, wie es sie auf dem Jahrmarkt gibt. Ich möchte die Stooges hier nicht entschuldigen. Nur allzu sehr wünschte ich, die Vernunft würde herrschen, jedermann könnte klaren Blickes sehen und gesunde Geister wüssten die offenkundigen Verdienste der Stooges zu würdigen (obwohl in einer so gearteten Umgebung die Stooges vermutlich nicht länger notwendig wären – so wie William Burroughs es in einem seiner luzideren Bemerkungen formulierte: sie arbeiten wirklich daran, sich selbst obsolet zu machen). Da sich die Allgemeinheit jedoch eher im Zustand heilloser Verwirrung befindet, ist dem ganz und gar nicht so. Unschuldige Hörer werden belogen und betrogen, düpiert und betäubt. Ihnen wird eingetrichtert, sie müssten angesichts drogenverseuchter effeminierter Tommies, die früher einmal Blues78er gesammelt und ein paar Gitarrenstunden genommen haben und glauben, das allein machte sie schon zu Trägern der Fackel, vor Ehrerbietung im Boden versinken. Eine letztlich unglückselige Öffentlichkeit zartfühlender Jungen und Mädchen ist wie Pawlowsche Hunde dazu konditioniert worden, bei bloßer Erwähnung magischer Litaneien wie »Supergroup« und »Superstar« Geldscheine zu besabbern und sich mit Pillen vollzustopfen. Ist es da noch ein Wunder, dass ein armes Durchschnittskid, das in vager Aussicht auf Stoff oder ein Rockmagazin am Kiosk verpeilt durch die Straßen irrt, von den Stooges keinen blassen hat?

Um die notwendige psychische Befreiung der Massen zu fördern, ist es daher unabdinglich, den Anfang direkt im Auge des Orkans zu machen, im Zentrum aller Konfusion, aller Streitigkeiten und schlechterdings üblen Nachrede, bei Iggy Stooge höchstselbst. Ich habe Iggy zwar nie persönlich getroffen, aber von dem, was ich beim Anhören seiner Platten und Liveauftritte etc. aufgeschnappt habe, ist er im Grunde ein netter sensibler amerikanischer Junge, der inmitten der schlimmsten Auswüchse menschlicher, zwischenmenschlicher und nationaler Verwirrung aufgewachsen ist, die wir bisher erlebt haben. Will sagen, nirgendwo sonst als in Amerika könnte es zu einem Phänomen wie Iggy Stooge kommen, oder? Einmal versuchte ich einen Brief an Malcolm Muggeridge drüben in England zu schreiben, in dem ich ihm alles zum Thema Iggy und den Stooges erklären wollte; ich habe mich dazu entschlossen, das doch besser bleiben zu lassen. Er hätte sowieso nur ein weiteres Symptom für den Untergang des Abendlandes darin gesehen. Was nicht richtig wäre. Jedenfalls nicht endgültig. Bisher mag es so erscheinen, was die krasseren, halb pathologischen Auswüchse betrifft. Mal abwarten, was noch dabei herauskommt. Es besteht immer noch Hoffnung auf eine hellere Zukunft, schließlich brachte der jetzt herrschende Wahnsinn auch unentwegte Kämpen auf der Suche nach dem Besseren hervor. So wie Iggy und, vermutlich, auch der Rest der Stooges.

Iggy also: Ein unübersehbar amerikanisches Kid, das Songs darüber singt, wie es ist, in Amerika aufzuwachsen. Darüber, wie es ist, die meiste Zeit durchzuhängen (und wem ginge es schon anders?). Über Verwirrung, Zweifel und Unsicherheit, über Trägheit und Langeweile und die pubertäre Finsternis im Suburb. Denn: »I am not right / To want somethin’ / Tonight...« Da sitzt du. Minderjährig, narzisstisch, masochistisch, völlig deprimiert, schließlich könnten wir ja eine wirklich coole Zeit haben, aber ich krieg’s nicht hin, wegen Drogen oder der täglichen Schinderei oder nur ganz einfach neurotischer, nichtsnutziger Misanthrophie, ich krieg’s nicht auf die Reihe (»You don’t know me / Little Doll / And I don’t know you...«) Ah, abwarten, vielleicht kommt da doch noch ein rosiges Püppchen mit tollen Augen vorbei und heiratet dich, und dann kriegst du’s endlich besorgt. Bis dahin ist alles, ganz gewiss, kein Spaß. Du schwadronierst mit deinen Kumpels, guckst den Mädchen auf die Beine, abends zuhause wichst du dir einen, während du Plastikbunnies, die nen Teddybär im Arm halten, anglotzt. Am nächsten Tag dann wieder Drogenschlucken mit der Gang, Grass, Speed, Reds, Romilar, völlig egal, irgend ein Ochse von ’ner Studentenverbindung kauft schon noch Bier für uns, und danach gehst du wieder nach Hause, starrst kalt und verblödet an die Wand und denkst dir, was soll das verficktnochmal, verfickt. Ich hasse mich. Dieselbe Scheiße wie im letzten Jahr und in diesem wieder und dann immer so weiter, bis ich ein alter Sack bin, wenn ich’s überhaupt so lange mache. Scheiße. Ich glaub’, ich vergewaltige meine Wichsphantasiemöse heute Nacht mal von hinten.

Ziemlich deprimierend, oder? Nichts als adoleszentes Gewäsch. Was hat das denn mit der Realität zu tun, mit dem neuen Gesellschaftssystem, das die Yippies und die Panthers gerade aushecken? Oder mit der Tatsache, dass ich vor vier Tagen Acid genommen habe und seitdem alles glatt und sauber läuft, ganz ohne Nachwehen, so wie es die Woche nach einem Trip immer ist? Gut fühl’ ich mich, großmütig. Also was zur Hölle hat der Holden-Caulfield-Mist, von dem Iggy Stooge ständig schwafelt, mit mir zu tun? Oder mit Kunst oder Rock’n’Roll oder überhaupt irgendwas? Klar, wir alle wissen über die Adoleszenz Bescheid? Warum das noch weiter bemühen? Warum »Kunst« (oder was auch immer die Stooges glauben, was ihr Gejaule darstellt) mit etwas belasten, das in den Hinterstübchen unreifer Köpfe, die unter Umständen von selbst da herauswachsen, besser aufgehoben ist? Und wie im Namen all dessen, was offensichtliche, logische Realitäten sind, kann ein intelligenter Mensch Iggy Stooge für etwas anderes als einen völligen Deppen halten, so glotzäugig, verschwitzt und vorlaut er auch sein mag?

Gut, ich will euch erklären, wie und warum. Mit einer Unmenge Fragen, Behauptungen und Phantasien habe ich den Moment vorbereitet, an dem ich in der Lage sein werde, zum Geschäft zu kommen und über das neue Album der Stooges zu reden, so dass auch noch der letzte Strohkopf, der das hier liest und eine Sammlung öder, veralterter Rockplatten, aber keine Stooges-Musik sein eigen nennt, nicht umhin kann, es zu verstehen. Hier kommt eure Belohnung. Beantworten wir die letzte Frage zuerst. Denn die letztgültige Schlussfolgerung aller Verächter der Stooges ist definitiv wahr und führt ins Zentrum ihres Schaffens: Ihr habt verdammt recht, Iggy Stooge ist ein gottverdammter Depp. Und er erledigt seinen Job, sich zum Deppen zu machen, weit besser als jeder andere Performer, den ich gesehen habe. Das ist eines der zentralen Facetten seines Genies.

Wir brauchen mehr Rockstars, die Willens sind, sich zum Deppen zu machen, alle Grenzen zu überschreiten und das Publikum notfalls dazu zu bringen, sich für sie zu schämen, bis auch nicht das kleinste Fitzelchen ihrer Würde oder mythischen Aura mehr übrig ist. Denn dann endlich würde das pompöse Gebäude dieser überaus lächerlichen Rock’n’Roll-Industrie, das einzig errichtet wurde, um mit dem Betrug der Jugend und der Ermutigung von Phantasien rund um eine starke »Jugendkultur« einen Haufen Kohle abzugreifen, endlich zusammenbrechen und die Karrieren all der gehypten talentlosen Nichtskönner, die von ihr leben, unter sich begraben. Könnt ihr euch Led Zeppelin ohne einen Robert Plant vorstellen, wie er das Publikum verarscht: »I’m gonna give you every inch of my love«? In Wirklichkeit schenkt er ihnen nämlich gar nichts. Nichtmal ein nett gemeint grinsendes »Hallo, wie geht’s euch!« Oder ohne Jimmy Page, wie er, um sein Supermusiker-Ennui zu demonstrieren, besonders finster dreinschaut?

Neulich haben ein Freund und ich uns stoned die Übertragung vom Cincinnati Pop Festival in der Glotze angesehen und hatten eine großartige (d.h. nutzlose) Idee. Ein Großteil der Show war todlangweilig und konzentrierte sich auf Bands wie Grand Funk Railroad (mit einer schier endlos gedaddelten Version von »Inside Looking Out« und einem sich windenden, kläffenden Leadsänger, der auch noch wahnsinnig originelle lyrics improvisierte: »Oh little honey I need your love so bad ... c’mon, give it to me ... oh, little mama« usw. usf.) oder Mountain (Felix Pappalardi sonderte endlos bescheuerte Soli ab, die ungefähr so klangen wie ein Destillat der abgeschmacktesten Elemente der Sounds von Creem und Creedance, während der fette Leslie West in einer Wildlederhose mit der Gitarre draufhielt und auf Pappalardis Gedaddel mit einer wild grimassierenden Fratze und einem Grinsen und Kopfnicken kommentierte, so als würde jede einzelne Note, die Paps Bass hervorbrachte, ihn so umhauen wie Musik, die er niemals zuvor gehört hätte).

Ich schaute mir also diesen Schwachsinn an. Mit einem Auge schon das Bücherregal prüfend, ob sich dort nicht ein geeigneter Band finden würde, um die Zeit bis zu Iggys Auftritt zu überbrücken, der dann auch völlig in Ordnung war, natürlich nicht so gut wie Carlos Santanas Schielaugen und Cunt Joe (gemeint ist wohl Country Joe McDonald, A.d.Ü.), als er in Woodstock »FUCK« buchstabierte, was glaubt ihr denn, aber immerhin ein feiner Fernsehmoment. Der Teil der Show, der uns am besten gefiel, passierte allerdings während des Auftritts von Alice Cooper (eine Band, die, so unangenehm schrill ihre Amphetamin-Schwuchtel-Hysterie auch sein mag, ganz gewiss nicht beschuldigt werden kann, sich allzu ernst zu nehmen – am Tag der Revolution werden sie daher auch nicht zusammen mit Pappalardi, West, George Harrison und ähnlichen Leuten an die Wand gestellt werden müssen), nämlich als Alice sich hinhockte, sein wogendes Cape wie eine Mönchskutte über seinen strähnigen Haarmob warf und somit seinen von Hormonbehandlung modellierten Oberkörper den Blicken aussetzte, um schließlich mit einem »duckwalk« wie ein Chuck Berry aus einem Stechapfel-Albtraum zum Bühnenrand zu kriechen, wo er eine Taschenuhr hervorzog, diese dann wie zur Hypnose pendeln ließ und in ruhigem Konversationston sein Mantra anstimmte – »Bodies ... need ... rest« –, das er im selben Tempo so lange wiederholte, bis ein (in der Tat schlauer) Schlauberger aus den vorderen Reihen zur Bühne rief: »Na wenn schon«.

Gute Frage. Was würde wohl geschehen, wenn jemand »Na wenn schon« zu Richie Havens sagte, wenn er Anlauf zu seiner wackeren »Freedom«-Nummer nimmt? Dumme Frage natürlich, weil prompt drei Dutzend devoter Richie-Havens-Fans das flegelhafte Großmaul zusammenprügeln, wenn nicht sogar gleich komplett erledigen würden (um ihn, im letzteren Fall, nach den Richtlinien der Zeit post mortem als Schwein zu brandmarken). Niemand gibt jedoch auch nur einen Scheiß drauf, was irgendjemand zu A.C. sagt, am wenigsten A.C. selbst, der möglicherweise enttäuscht war, nicht noch mehr Schmähungen von den billigen Plätzen erhalten zu haben. Die ersehnte Publikumsreaktion erhielt er dann einen Augenblick später, als ein treffsicherer Meisterschütze aus der Menge eine ganze Torte (oder vielleicht war es ein Törtchen, ja, sagen wir es war ein Törtchen, nur um der Phantasie willen, die ich hier ausbreiten möchte) auf ihn warf und ihn mitten ins Gesicht traf. Da war er nun, Alice Cooper, der Rockstar. Hockte mitten in seinem Auftritt am Bühnenrand und hatte eine Torte im Gesicht, die ihm klumpenweise vom Kinn und den Ohren tropfte. Was also machte er? Wie gewann er die heiliggesprochene Würde des performenden Künstlers zurück, der die Bühne als sein magisches Kraftfeld ansieht, das er nutzt, um das hilflose Publikum blendend zu unterhalten? Er nahm sich eine Hand voll Schmand und schmierte ihn sich wieder ins Gesicht, tief bis in die Poren und über die Augen, und leckte sich dabei kostend die Finger. Wieder und wieder wiederholte er diese Geste, bis er sich so richtig eingeschmiert hatte. Das Publikum sagte kein Wort mehr.

Es geht nicht darum, besondere Sympathie für Alice Cooper zu wecken, sondern eher darum, dass Alice Cooper in gewisser Weise besser ist als Richie Havens (obwohl sie beide öde Musik machen). Bei Alice Cooper genießt man wenigstens das Recht, seine Ansicht über die Show kreativ auszudrücken. Die meisten Rockstars haben ihr Publikum bereits so sehr eingeschüchtert, dass einem schlecht wird. Welch himmlische Gerechtigkeit würde heranbrechen, wenn alle Rockstars mit dem konkurrieren müssten, was Leute wie Alice Cooper ans Licht bringen; wenn es für ein Publikum allgemein üblich würde, sein Urteil damit zu bekräftigen, in regelmäßigen Abständen Torten ins Gesicht von Performern zu schmeißen, von denen es glaubt, sie wollten es mit bullshit abspeisen. Denn die Elite der Rockmusiker hat noch immer eine mythische Aura an sich: »Superstar«. Und das ist kein gesunder Status quo. Tatsächlich ist genau das der Virus, der den Rock ruiniert, eine Unterart des Virus’, von dem ich vorhin gesprochen habe, der »unsere« Kultur von den Popstars bis zur Politik infiziert hat (stellt euch vor, eine Torte ins Gesicht von Eldridge Cleaver zu schmeißen. Oder in das von Joan Baez!), und dem die Stooges unbedingt gegenüberstehen. Sie bilden den Spähtrupp im sich ankündigenden Krieg, der geführt werden wird, um alle betrogenen und narkotisierten Bewusstseinsformen aus der Welt zu schaffen und uns von einem grundsätzlich unschöpferischen Lebensstil zu befreien, in dem Menschen, die nicht einmal die Hälfte des Talents, der Persönlichkeit oder des Charismas von dir oder mir besitzen, in gottgleiche Positionen gehoben werden. Reiner Pomp und die Zeitumstände.

Ihr merkt vielleicht, worauf ich hinauswill. Was macht die Stooges so wichtig, abgesehen davon, dass sie gute Musiker sind, wie ich später noch beweisen werde? Es braucht Mut, sich zum Deppen zu machen, zu sagen »Versteht ihr, das ist alles Quatsch, die ganze Show und die zugedrogte Echter-als das-Leben-Geschichte; und die Tatsache, dass ihr da unten steht und ich hier oben, die bedeutet rein gar nichts.« Weil es das eben nicht tut. Die Stooges haben diesen Mut, aber nur wenige Performer teilen ihn. Jim Morrison in letzter Zeit. Wie inspirierend war es doch zu sehen, wie der vormalige Atropin-äugige, byroneske, S/M Lizard King sich offenbarte und mit einem 45er Colt in der Hand über die Bühne taumelte, um schließlich mit seinem Schwanz in Richtung all der niedlichen Teenager zu wedeln, die gekommen waren, um genau das zu sehen, während er seine Wampe einzog und ihnen eine noch etwas lebendigere Vorstellung gab, die zwar nichts Echtes vermittelte, aber alles, was ein erfindungsreiches pubertierendes Hirn sich so ausmalen könnte, immerhin andeutete.

Morrison kriegt also keine Torte ins Gesicht. Er hat Buße getan. Und selbst der gute alte John Lennon, der eine Zeit lang als einer der ersten Kandidaten galt, die allergrößte aller Torten abzukriegen (um ihn und Yoko Ono in einem Schlonz zu ersäufen, der genauso ersatzmäßig (»ersatz« im Orig deutsch – A.d.Ü.) ist, wie alles, was die beiden selbst über der gesamten westlichen Welt abgesondert haben), hat inzwischen eine Bilanz an absurder Selbstparodie aufzuweisen, die den Bedarf der Revolution noch weit übersteigt (wie z.B. zu sagen »Ich hab den MBE u.a. deshalb zurückgegeben, weil »›Cold Turkey‹ in den Charts abgestiegen ist«; eine feine Geste, die wir uns zu merken haben), dass er sich von der Crème-Guerilla ein mindestens einjähriges Moratorium durchaus verdient hat. Aber es gibt ja noch andere: Georges Harrison (eine gigantische Torte, mit dem Gesamtwerk von Manly P. Hall als Füllung) und dieser infernalische Snob Paul McCartney und dann die radikal dilettantischen Kapitalistenschweine The Jefferson Airplane (ist schon in Ordnung, ein weißes Landei zu sein; in der Tat sind alle Marxisten reif für ein paar Törtchen; Priorität: in pronto, aber all das Gesülze, von wegen Outlaw zu sein, wenn der eigene unflätige, illegale Auftritt dann darin besteht, seine lyrics vom armen alten A.A. Milne und anderen SciFi-Schreiberlingen in Geldnot zu klauen, ist das nix, was wir vom Crème Komitee besonders gutheißen können, Nachbar!)