Kitabı oku: «Phantastica»

Yazı tipi:

Louis Lewin

Phantastica

Die betäubenden und erregenden Genussmittel

Für Ärzte und Nichtärzte

Mit einem einleitenden Essay von Helena Gand

Impressum

ISBN 978-3-940621-77-1 (epub)

ISBN 978-3-86408-006-7 (pdf)

Digitalisat basiert auf der zweiten erweiterten Auflage von 1927 aus der Bibliothek des Vergangenheitsverlags; bibliografische Angaben:

Lewin, Louis, Phantastica. Die betäubenden und erregenden Genussmittel. Für Ärzte und Nichtärzte, Berlin 1927.

Bearbeitung: Helena Gand / Frank Petrasch

Einleitendes Essay von Helena Gand

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© Vergangenheitsverlag, 2011 – www.vergangenheitsverlag.de


eBook-Herstellung und Auslieferung:

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Inhalt

Louis Lewin – Entgegen der „faustischen Qual des Nichterkennenkönnens“

Vorwort.

EINLEITUNG.

1. Zur allgemeinen Orientierung.

2. Die Beweggründe für den Gebrauch betäubender und erregender Genussmittel.

3. Die Bedeutung der persönlichen Veranlagung in Bezug auf fremde Reize, die den Körper treffen.

4. Toleranz und Gewöhnung.

5. Immunität gegen Gifte.

DIE BETÄUBUNGSMITTEL.

1. Die Wirkungsart der Betäubungsmittel.

2. Systematik der betäubenden und erregenden Genussmittel.

EUPHORICA. SEELENBERUHIGUNGSMITTEL.

Opium. Morphin.

1. Geschichte des Opium- und Morphingebrauchs als Genussmittel. Opiumproduktion. Opiumbewegung.

2. Verbreitung des Opium- und Morphingenießens in der Jetztzeit.

3. Der Morphinismus.

4. Die erkennbaren Vorgänge bei Morphinisten und Opiumisten.

5. Fragen allgemeiner Natur, die sich an den Morphinismus knüpfen.

6. Die Hilfe gegen den wachsenden Morphinismus.

Kodein und Derivate, Dionin, Heroin, Eukodal, Chlorodine als Genussgifte.

Kodein.

Dionin.

Heroin.

Eukodal.

Chlorodine.

Der Kokainismus.

1. Die Geschichte der Koka und des Kokains.

2. Wirkungen von gewohnheitsmäßig aufgenommener Koka und Kokain.

3. Die Erscheinungsformen des Kokainismus.

PHANTASTICA. SINNESTÄUSCHUNGSMITTEL

Das Problem der Sinnestäuschungen.

Anhalonium Lewinii.

1. Die Geschichte der Pflanze.

2. Anhalonium Lewinii als Genussmittel.

3. Wirkungsbilder.

Der indische Hanf. Cannabis indica.

1. Die Verbreitung des Cannabinismus in Afrika.

2. Der Hanfgebrauch in Kleinasien und Asien.

3. Die Wirkungen des Hanfrauchens.

Der Fliegenpilz. Agaricus muscarius.

Die Art der Rauschzustände.

Nachtschattengewächse.

Das Bilsenkraut. Hyoscyamus niger.

Hyoscyamus muticus. (Hyoscyamus albus.)

Der Stechapfel. (Datura Stramonium.)

Datura arborea.

Duboisia Hopwoodii.

Banisteria Caapi.

Gelsemium sempervirens.

Die Loco-Kräuter.

INEBRIANTIA. BERAUSCHUNGSMITTEL.

Der Alkohol.

1. Bemerkungen zu der akuten Vergiftung.

2. Der chronische Alkoholismus.

a) Alkoholismus und Nachkommenschaft.

b) Individuelle toxische Störungen in der Trunksucht.

c) Rückblicke in die alkoholische Vergangenheit.

d) Die alkoholischen Getränke.

e) Mäßigkeitsbestrebungen und Abstinententum.

f) Schlussbetrachtungen.

Hoffmannstropfen.

Die Chloroformsucht.

Die Äthersucht.

Der Benzinrausch.

Die Stickoxydulsucht.

HYPNOTICA. SCHLAFMITTEL.

Chloralhydrat.

Veronal

Paraldehyd.

Der Sulfonalismus.

Bromkalium.

Bromural.

Das Kawa-Trinken.

1. Die Verbreitung der Kawa und des Kawatrinkens.

2. Die Bereitung und Verwendung des Getränkes aus der Kawa.

3. Die wirksamen Stoffe in der Pflanze und ihre Wirkungsart.

Kanna

EXCITANTIA. ERREGUNGSMITTEL.

Das Wesen der Erregungsmittel.

Der Kampfer.

Das Betelkauen.

1. Die Geschichte und die Art des Betelkauens.

2. Die Wirkungen des Betelkauens.

Das Kat.

Die Koffeinpflanzen.

Der Kaffee.

1. Die Vergangenheit des Kaffeegebrauches.

2. Kaffeeanbau und Kaffeeverbrauch.

3. Die Wirkungen des Kaffees.

Der Tee.

Die Kolanuss.

Geschichte, Herkunft, Verbreitung.

Die Wirkungen der Kola.

Ilex paraguayensis. Mate.

Ilex Cassine.

Pasta Guarana.

Kakao.

Der Tabak.

1. Allgemeine and geschichtliche Orientierung.

2. Die Verwendungsformen des Tabaks.

a) Das Tabakschnupfen.

b) Das Tabakkauen.

c) Das Tabakrauchen.

d) Die Eroberung der Menschheit durch den Tabak.

e) Die Einschätzung des Tabakgebrauches als Genuss und Gift.

f) Die körperlichen Störungen durch Tabak.

g) Ersatzmittel des Tabaks.

Das Paricá-Schnupfen.

Das Arsenikessen.

Quecksilber.

Schlusswort.

Anmerkungen und Kommentare

Louis Lewin – Entgegen der „faustischen Qual des Nichterkennenkönnens“ 1

Die „Phantastica“, ein enzyklopädistisches Werk der Drogenkunde, veröffentlichte der Chemiker Louis Lewin im Jahre 1924. Sie ist das Ergebnis einer langjährigen Faszination ihres Autors gegenüber den Drogen, „die den seelisch Gepeinigten lastfrei, den Schmerzdurchwühlten oder den dem Tode Geweihten hoffnungerfüllt [machen], dem durch Arbeit Geschwächten […] neue Leistungsimpulse [geben] […] und dem nach der Arbeit weltscheu und stumpf Gewordenen eine Stunde innerlichen Behagens und Zufriedenseins [verschaffen].“2

Schon seit 1886 beschäftigte sich der Berliner Wissenschaftler Lewin mit der Untersuchung derartiger Stoffe. Diese „betäubenden und erregenden Genussmittel“ führte Lewin in dem Neologismus „Phantastica“ zusammen. Der Autor plädierte mit diesem Werk für ein höheres wissenschaftliches Interesse, das den „phantastischen Stoffen“ auf Grund ihrer Bedeutung für Medizin, Psychiatrie, Psychologie, Jura und Ethnologie zukommen sollte. Laut Lewin hätten Genussmittel als anthropologische Konstante seit jeher in verschiedensten Kulturen existiert. Deshalb sollten sie – entgegen der bis zu diesem Zeitpunkt nur geringen Beachtung – nun in den Fokus der Wissenschaften gerückt werden.

Damit traf Lewin den Puls der Zeit. Das ausklingende 19. sowie das beginnende 20. Jahrhundert waren geprägt von einer tiefen Umbruchphase. In beinahe allen akademischen Zweigen formierten sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts durch Differenzierung und Spezialisierung der Forschungen etliche Institute, die der Suche nach Erkenntnis, Raum und Zeit boten.3 Charles Darwin, Robert Koch und Wilhelm Conrad Röntgen, sind nur einige der bekannten Wissensdurstigen dieser Epoche. Mit den Untersuchungen der „Phantastica“ zu einer Zeit, in der unablässig geforscht und ergründet wurde, befand sich Lewin folglich inmitten des Versuchs, der – wie er es nannte – „faustischen Qual des Nichterkennenkönnens“4 zu entkommen.

Nach der Entdeckung des Herstellungsverfahrens von Morphin aus Opium im Jahre 1806, der Erzeugung von Kokain aus der Coca-Pflanze im Jahre 1859 sowie der Gewinnung von Heroin etwa 30 Jahre später, hätten Schriften wie Lewins von großer Bedeutung für den noch weitreichend unbekannten Umgang mit Drogen sein müssen. Doch hielt sich Lewins Erfolg im wissenschaftlichen Feld mit seinem Werk „Phantastica“ in Grenzen. Was war der Grund für diese unglückliche Entwicklung?

Lewins Schicksal spiegelt ein Stück deutscher Geschichte wider, in der Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus lange eine große Rolle spielten. Er lebte zu einer Zeit, in der antisemitische Ressentiments an den Hochschulen weit verbreitet waren und Wissenschaftler jüdischer Herkunft es nicht leicht hatten, sich akademisch Gehör zu verschaffen. Lewins Fachrichtung machte es ihm zusätzlich schwer, anerkannt zu werden. Sein fortschrittliches Denken, das heute als wissenschaftliches Pionierwerk im Umgang mit Drogen angesehen werden muss, wurde zu Lebzeiten noch äußerst zwiespältig betrachtet. Die Toxikologie und Drogenkunde waren zum damaligen Zeitpunkt unbekannte Terrains und befanden sich erst auf dem Weg, sich zu Wissenschaften zu etablieren.

Louis Lewin wurde am 9. November 1850 im westpreußischen Tuchel geboren. Mit seinen Eltern, Rahel und Hirsch Lewin, zog der sechsjährige Junge 1856 aus der polnischen Provinz Suwalki in Russland, in der es Mitte des 19. Jahrhunderts zu schweren Pogromen gegen die jüdische Bevölkerung gekommen war, in das Berliner Scheunenviertel. In dem von Friedrich Wilhelm I. geschaffenen Viertel für bedürftige Juden, das sich am dicht bebauten Alexanderplatz befand, wurden ostjüdische Einwanderer im 19. Jahrhundert bevorzugt untergebracht.5 Aus den widrigen Umständen seiner Zeit und den einfachen Verhältnissen – als Schuhmacher waren die finanziellen Mittel seines Vaters nur begrenzt – versuchte sich Lewin bereits früh zu befreien. Aus eigener Willenskraft eignete sich der Sprössling, der von seinem Elternhaus nur das Jiddische erlernte, vorerst die deutsche, anschließend die hebräische, griechische, lateinische, englische und schließlich die französische Sprache an. So schaffte er es aus seinem starken Lerneifer heraus, von der jüdischen Gemeindeschule an das renommierte Friedrich-Werdersche-Gymnasium zu wechseln, an dem er im Jahr 1871 seine Reifeprüfung erfolgreich absolvierte. Hier fand er in seinem Lehrer Paul de Lagarde einen guten Freund und Förderer, mit dessen finanzieller Hilfe Lewin sein anschließendes Studium finanzieren konnte.

Seine Wissbegierde trieb den jungen Lewin zu einem Medizinstudium an die Friedrich-Wilhelm- Universität in Berlin, der heutigen Humboldt-Universität. Er promovierte schließlich mit einer preisgekrönten Arbeit zur Untersuchungen der Wirkung des Pflanzengifts Aconitin und arbeitete, nach seinem freiwilligen Dienst im Militär, in München als Assistent am Hygieneinstitut des bayrischen Chemikers Max von Pettenkofer. Im Jahr 1878 kehrte Lewin wieder nach Berlin zurück, um als Assistent am Pharmakologischen Institut der Universität tätig zu werden. Mit 40 Jahren habilitierte sich der Mediziner und erhielt im Jahre 1893 schließlich den Titel des Privatdozenten.

Doch Lehrauftrag sowie Prüfungserlaubnis blieben aus – Lewin wurden weder Räumlichkeiten zur Lehrtätigkeit zugesprochen, noch durfte er offiziell unterrichten. Der jüdische Mediziner wusste sich jedoch zu helfen, worin sich wieder sein starker Wille zeigt: Er zog in der Nähe der Berliner Charité und richtete dort sein eigenes Labor inklusive Lehrraum ein. In diesen Räumlichkeiten hielt Lewin fortan private, unentgeltliche Vorlesungen, die zahlreich besucht und von vielen Studierenden sogar auf Grund ihrer unkonventionellen und leidenschaftlichen Vortragsweise geschätzt wurden.6

Die Anerkennung an der Universität – die für ihn von größter Bedeutung war – blieb Lewin jedoch weiterhin verwehrt. Mehrmalige Bitten, die Kosten für sein Privatinstitut zu übernehmen, wurden von der Universität abgelehnt. War das aufgrund seines jüdischen Glaubens?

Das Lehrpersonal an den Universitäten des Deutschen Reiches entstammte im 19. Jahrhundert überwiegend dem wohlhabenden Bürgertum. Weniger als ein Viertel des Lehrkörpers der Berliner Universität in den Jahren 1871 bis 1933 war jüdischer Herkunft, davon hatten ungefähr 40 Prozent ihren Glauben gewechselt oder waren aus der jüdischen Gemeinde ausgetreten, um ihre Karrierechancen zu steigern.7 Lewin stellte mit seinem jüdischen Ursprung somit eine der wenigen Ausnahmen an der Berliner Universität dar. Er lehnte es ab, zugunsten seiner Karriere zu konvertieren – vielleicht ein Grund wieso der Wissenschaftler so lange auf seinen Lehrauftrag warten musste.

1919 wurde Lewin dennoch zum Honorarprofessor an der Technischen Hochschule in Charlottenburg ernannt, doch blieb damit die ihm auf Grund seiner Leistung eigentlich zustehende ordentliche Professur weiterhin verwehrt. Erst 1923 erhielt er den offiziellen Lehrauftrag an der Charlottenburger Hochschule. Kurz zuvor verlieh ihm die Berliner Universität den Titel des Extraordinarius und damit endlich einen offiziellen Lehrauftrag. Das Lewinsche Privatinstitut am Charitégelände wurde erst im Jahr 1924 von der Universität übernommen, womit nun auch die dafür anfallenden Kosten übernommen wurden.

Lewin konnte diese geringe Würdigung seiner Forschungsleistung jedoch nicht lange schätzen. Nur fünf Jahre später erlag er den Folgen eines Schlaganfalls. Dadurch blieben ihm zumindest die Demütigungen, welche die jüdische Bevölkerung während des Nationalsozialismus erleiden musste, und damit das Schicksal seiner Frau Clara, die 1942 im Konzentrationslager Theresienstadt starb, erspart.

Louis Lewin stellte sein Leben in den Dienst der Wissenschaft und leistete dadurch Pionierarbeit in der Drogen- und Arzneimittelforschung. Das Herausragende an seiner Leistung wird in der „Phantastica“ deutlich. In dieser Drogenenzyklopädie stellte Lewin erstmals Wirkung und Nebenwirkung verschiedener bewusstseinsverändernder Stoffe dar und zeichnete zudem die Geschichte des Drogenkonsums sowohl im eigenen Kulturkreis als auch in fremden Kulturen nach. In der Lewinschen Neuschöpfung des Begriffs „Phantastica“ benannte der Forscher fünf Gruppen von Genussmitteln, die er anhand ihres Wirkungsverlaufs von einander trennte. Zu unterscheiden waren für Lewin „Erregungs-“, „Sinnestäuschungs-“, „Berauschungs-“, „Schlaf-“ und „Seelenberuhigungs- mittel“. Mit einem wortreichen und gewaltigen Sprachduktus berichtete Lewin von Vorkommen und Wirkungen der „phantastischen Stoffe“, die teilweise – wie im Falle des Kaffees – nützliche Reaktionen, teilweise jedoch auch – wie am Beispiel des Kokains – verheerenden Folgen haben können. Lewin verklärt den Drogenkonsum damit in seiner Enzyklopädie nicht, sondern stellt auch die häufig beängstigenden Bilder der Abhängigkeit dar und lässt so seine dringliche Warnung vor dem Gebrauch bestimmter Stoffe verlauten.

Der Sprachstil des Chemikers gepaart mit den oft amüsanten Anekdoten zur Kulturgeschichte des Drogenkonsums erheben die „Phantastica“ zu einem Werk, das einen wissenschaftlichen Anspruch mit Leselust und Spannung vereint. Die Modernität und Fortschrittlichkeit Lewins in seiner „Phantastica“ ist noch heute, fast ein Jahrhundert nach ihrem Erscheinen, von bestechender Aktualität.

Vorwort.

Eine innigere Beziehung zum Leben der gesamten Menschheit haben, wenn man von Nahrungsstoffen absieht, keine von den unzählbaren chemischen Stoffen der Welt, als diejenigen, deren Geschichte und Wirkungen in diesem Werke zur Darstellung gebracht worden sind.

Ich gab ihm den Namen Phantastica, obschon unter diesen von mir formulierten Begriff nicht alles das fällt, was ich im engeren Sinne darunter verstanden wissen will. Aber fast allen hierher gehörigen Stoffen ist eine direkte Gehirnwirkung eigen, die in allen ihren Gestaltungen rätselhaft, unbegreiflich ist.

Ist in der belebten Natur der Wunder vielleicht größtes die Empfindung, so lässt der Versuch, pharmakologisch in das Gebiet der betäubenden und erregenden Stoffe einzudringen, dieses Wunder noch bedeutsamer erscheinen, weil hier der Mensch es vermag, das Alltagsempfindungsleben samt Willen und Denken durch chemische Stoffe, auch bei freiem Bewusstsein, in ungewohnte Formen zu wandeln oder den normalen Empfindungen Leistungshöhen und Leistungsdauer zu geben, die dem Gehirn sonst fremd sind. Chemische Stoffe sind es, die derartiges bewirken können. Die besten [2]von ihnen bildet das gewaltige Pflanzenreich, in dessen stillstes Wachsen und Schaffen menschliches Auge und Forschen noch nicht gedrungen sind. Werden sie auf das Gehirn übertragen, so rufen sie dort Wunder an energetischen Äußerungen wach. Sie machen den seelisch Gepeinigten lastfrei, den Schmerzdurchwühlten oder den dem Tode Geweihten hoffnungerfüllt, dem durch Arbeit Geschwächten geben sie neue Leistungsimpulse, die auch ein starker Wille nicht zustande brächte und dem nach der Arbeit weltscheu und stumpf Gewordenen eine Stunde innerlichen Behagens und Zufriedenseins.

Und alles dieses vollzieht sich auf der gesamten Welt durch einen oder den anderen dieser Stoffe bei allen, die im Besitze derer sind, nach denen sie Begehren tragen. Und sie sind es: Im Urwaldwinkel, wo ein Blätterbehang die kümmerliche Unterkunft bildet, wo auf meerumtobtem Eiland Menschen einen Zuwachs an zeitlich höherer Lebensintensität erwünschen oder ohne Wunschbedürfnis erhalten, wo auf fernen Bergeshöhen der Einsame von dem dumpfen, nicht zum Bewusstsein kommenden Gefühl seiner äußerlichen und innerlichen Lebensbeschränktheit bedrückt, das niedrige Einerlei seines Vegetierens durch Erregungsmittel belebter zu machen vermag oder wo Menschen der Zivilisation aus einem der vielen möglichen Gründe eine solche zeitliche, subjektiv angenehme Zustandsänderung ersehnen. Die Zauberkraft der betäubenden und erregenden Mittel versagt nie.

Weit strahlt die Bedeutung dieser Stoffe aus. Sie führen bei den Einen in die dunkelste Nachtseite menschlicher Leidenschaft, die schließlich in sittliche Ohnmacht, Verkommenheit und körperliches Elend ausklingt, bei den Anderen in fernerleuchtete Freudenstunden oder in gemütvolle und beschauliche Geisteszustände.

Neben diesen die ganze Menschheit als Beteiligte interessierenden Seiten bieten diese Stoffe ein sehr hohes wissenschaftliches Interesse für den Arzt, zumal [3] den Psychiater und den Psychologen, sowie für den Juristen und Ethnologen. Variationen des geistigen Sehens und Empfindens, die tangential oder, mehr als dies, an geistige Erkrankung heranrücken, können die Folgen des zu starken Gebrauches einiger solcher Stoffe sein. Psychoanalytisch, im wissenschaftlichen Sinne, wird hier die Möglichkeit besserer Wesenheitserkenntnis gewisser, auch in Geisteskrankheiten vorkommender seelischer Vorgänge gegeben. Hier bietet sich der Psychologie ein weites Arbeits- und Erkenntnisfeld dar, dessen Gatter bisher nur ganz vereinzelte Forscher hat eintreten lassen. Der Jurist soll in den hier für ihn auftauchenden Fragen über Verantwortlichkeitsbreite, Handlungsfähigkeit und Zurechnungsfähigkeit von Menschen orientiert sein, die, unter dem dauernden Einfluss zumal von betäubenden Stoffen stehend, Anlass geben, dass man sich mit ihnen zivilrechtlich oder strafrechtlich beschäftigt. Für den Ethnologen bieten Verbreitung und Gründe des Gebrauches solcher Stoffe nach vielen Seiten hin und nicht zum mindesten in bezug auf die religionsphilosophische, überaus viele und für neue Aufklärungen vielversprechende Probleme dar. Ich habe der Anregungen für neue Forschungen in diesem Buche genügend gegeben. Ich ließ es frei von belastendem literarischen Rankenwerk, um die pharmakologische Auffassung klarer hervortreten zu lassen und gab doch genug für die sachliche und historische Orientierung.

„Es gibt in der gesamten Pharmakologie kaum ein schwierigeres Kapitel als eine erschöpfende und nach allen Richtungen zutreffende Analyse der Wirkungen der Genussmittel.“ Dieses Wort eines Pharmakologen ist wahr. Ich habe, nachdem ich im Jahre 1886 die ersten, auch chemischen, Untersuchungen über ein solches Genussmittel, die Kawa, kundgab, die so umfangreich nutzbar geworden sind, nicht aufgehört, an diesen Fragen zu arbeiten und manches in meinen Schriften folgen lassen. Dieses Werk, das erste [4] seiner Art, soll nicht nur die Ergebnisse meiner pharmakologischen Auffassungen widerspiegeln, die auch durch das Viele gestützt sind, was ich, in stets sehr lebendigen Beziehungen zur Wirklichkeitswelt, selbst gesehen oder Hilfesuchende mir unterbreitet haben, sondern auch belehrend und aufklärend für jene Hunderttausende wirken, die in dem wogenden Kampfe der Meinungen über betäubende und erregende Genussmittel sich einen klaren Blick über die Bedeutung derselben verschaffen wollen.

Nachdem die erste Auflage dieses Werkes in so kurzer Zeit in vieler Menschen Hände gekommen und überreich mit Zustimmung und Lob bedacht worden ist, folgt ihr die neue, von dem gleichen Geiste getragene und nur im Tatsachenstoff erweiterte. Erneut wird die Menschheit auf das hier dargelegte große Problem hingewiesen, das nicht im schnellen Ansturm gelöst werden wird und gelöst werden kann. Ändernwollen und Ändernmüssen bedürfen sehr viel Zeit zu ihrer Erfüllung, weil übergroße Hemmnisse, die ihre weitverzweigten und mächtigen Wurzeln nicht nur in menschlicher Leidenschaft haben, sich ihnen entgegenstellen. Aber jeder, auch der kleinste Schritt des Vorrückens in der Abwehr von Schädigung des Menschengeschlechts stellt einen wahren Segen dar.

Berlin,

im Sommer 1924,

im Frühling 1926.

Louis Lewin.

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ISBN:
9783940621771
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