Kitabı oku: «Phantastica», sayfa 6

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Welche absonderlichen Wege auch in Deutschland eingeschlagen werden, um Menschen zum Opiumgenuss gelangen zu lassen, ergibt sich aus der Tatsache, auf die im Jahre 1918 in Württemberg amtlich hingewiesen wurde, dass nämlich öffentlich Stengel und Kapseln des Mohnes als Tabakersatzstoffe empfohlen und natürlich gekauft wurden. Die Mohnkapseln enthalten im unreifen und im reifen Zustande genug Opium, um, im Rauche aufgenommen, dessen Wirkungen zu erzeugen.

3. Der Morphinismus.

Der Siegeszug des Morphins begann in Europa schon früh. Eine kurze Zeitspanne verlief zwischen 1817, dem Entdeckungsjahre dieses Pflanzenstoffes und dem Jahre 1830, in dem der Menschenkenner Balzac in der „Comédie du diable“ den Teufel die Gründe dafür aufzählen lässt, warum er keine Zeit für sein eigenes Vergnügen habe. Daran hindern ihn nämlich der wunderbare Zuwachs an Bewohnern, den sein Staat, die Hölle, dauernd erführe durch die Entdeckung des Pulvers, der Buchdruckerkunst, des Morphins usw. Es waren wohl im Wesentlichen Selbstvergiftungen, die sich damals ereigneten. Sehr bald schloss sich daran auch die Morphin-Genusssucht. Sie nahm, von wenigen in ihrem Umfange gekannt oder auch nur geahnt, im Stillen wachsend, immer mehr Menschen gefangen. Die großen Kriege – der Krimkrieg und die folgenden – trugen nicht [79] wenig zum Anwachsen bei. Nicht lange nachdem ich im Jahre 1874 den ersten Fall dieses Leidens bei einem Krankenwärter mitgeteilt hatte, wurden schon Morphium-Entziehungskuren vorgenommen. Die bisher latent gebliebene Verbreitung des Übels wurde offenkundig.

Die Ursachen seines Großwerdens waren und sind die bereits angegebenen:

1. Das Nichtmehrfreiwerdenkönnen davon, nachdem es gegen Schmerz und Schlaflosigkeit gebraucht worden war. Das erlebte Gefühl inneren Behagens wird zur Kette für den erneuten Gebrauch, auch wenn der erste veranlassende Grund längst weggefallen ist.

2. Das Befreitwerdenwollen von seelischer Erregung oder Depression.

3. Neugierde und Nachahmungssucht, die bald zu der nackten Begierde nach Euphorie führen, die das Individuum zum Sklaven des Gebrauchs werden lässt. Unter Ärzten bestand vielfach lange der Unglaube, dass sie dem Zwange des Mittels nicht anheimfallen könnten. Die Erfahrung hat das Gegenteil gelehrt. Die Ärzte stellen ein hohes Kontingent zu den Morphinisten. In einer alle Länder umfassenden Statistik der letzteren waren

40,4 Proz. Ärzte

10,0 „ Arztfrauen.

Für Paris nahm man etwa 50.000 Morphinisten an, also etwa auf 40 Menschen einen solchen. Jetzt wird die Zahl auf sehr viel höher geschätzt. Ich habe vor Jahrzehnten darauf hingewiesen, dass wenn der Alkohol die Hände, das Morphin den Kopf des Volkes vernichtet. In Wirklichkeit ist in den letzten Jahrzehnten und zumal seit dem Weltkriege überall der Morphinismus auch nach der anderen Seite hin gewachsen. Aber immer überwiegen noch weit Ärzte, Professoren, Apotheker, Literaten, Künstler, Juristen, Offiziere, höhere Staatsbeamte usw.

[80]Die dämonische Macht des Morphins ist auch bei Tieren erweislich. Ich habe Tauben tagelang immer zu einer bestimmten Tageszeit mit Morphin versehen und feststellen können, dass die Wirkung nach Stunden abklang und die Tiere dann, kaum Nahrung aufnehmend, in einem Depressivzustand im Käfig hockten, aber flügelflatternd herankamen, wenn ich mich mit der Spritze näherte.

Eine Katze erhielt längere Zeit hindurch täglich Morphin eingespritzt. Nach einiger Zeit zeigte sie sich regelmäßig vor der Injektion apathisch. Durch die dann erfolgte wurde das Benehmen stets in das Gegenteil umgewandelt. Das Tier ging nach 34 Tagen durch Ernährungsstörungen unter Abmagerung zugrunde. Die leidenschaftliche Begierde nach Opium wurde auch bei einem Affen festgestellt. Weit in das Tierreich hinunter, bei Ratten usw. und sogar bei Bienen nahm man ein starkes Begehren nach Opium bzw. Mohn wahr. In Ländern, in denen Opium geraucht wird, atmen Katzen, Hunde, Affen, sobald ihr Herr die Opiumpfeife anzündet, begierig die Dämpfe mit ein, die jener ausstößt, ja, Affen sollen sogar das nicht verbrauchte in das Bambusrohr durchsickernde Opium verzehren.

Gewöhnung an Opium können auch ganz kleine Kinder aufweisen. Ein viermonatiges Kind, das zur Beseitigung von dauernder Schlaflosigkeit Abkochungen von Mohnköpfen in steigenden Mengen von der Pflegerin erhalten hatte, jedesmal nach dem Erwachen aus dem Schlaf munter war und gern die Saugflasche nahm, verfiel, als die Entziehung vorgenommen wurde. Man war genötigt, den Trank weiter gebrauchen zu lassen. Nach weiteren 2 1/2 Monaten trat der Tod ein. Die physische und geistige Entwicklung hatte inzwischen nicht die geringsten Fortschritte gemacht. Der Gehör- und Gesichtssinn war kaum feststellbar, das Kind erkannte niemand, der Blick war stier.

Die Unsitte – wenn es nicht mehr ist – Kindern solche Mohnkopfabkochungen oder Opiumtinktur in schließlich [81] erforderlichen sehr großen Mengen auch nur zur Ruhighaltung zu geben, ist weit verbreitet und schafft viele Opfer.

In den im Jahre 1896 erschienenen, viel Falsches und unrichtig Aufgefaßtes enthaltenden, mehrbändigen Untersuchungsberichten der „Royal Commission on opium“ wird nicht nur behauptet, dass der mäßige Gewohnheitsgenuss von Opium, der in Indien bei 5 - 7 % der Bevölkerung in Tagesmengen von 0,15 - 0,8 - 2,5 und mehr Gramm üblich ist, keinen schädlichen Einfluss auf die Gesundheit und die Volkswohlfahrt ausübe, weil die Indier eine sehr starke Resistenz gegen das Mittel besäßen, sondern dass auch der in den Staaten Rajputana, Malwa und in der Präsidentschaft Bombay herrschende Gebrauch, Kindern zum Ruhighalten Opium zu geben, damit die Mutter ungestört arbeiten könne, keine ungünstigen Folgen habe. Man beginnt dort schon in den ersten Lebenswochen oder -monaten mit 3 - 5 mg und steigt allmählich auf 15 - 30 mg, ja, bis auf 0,12 g ein- oder zweimal täglich. In Bombay werden Kinderpillen (Bala-Golis) mit 0,01 - 0,02 g Opium verkauft. Nach 2 bis 5 Jahren werden die Kinder vom Opium entwöhnt. Wie dies bewerkstelligt wird, erfährt man nicht. Todesfälle durch zu hohe Dosen kämen bei Indierkindern nicht vor, mitunter „nur“ Dysenterie, während europäische, dort von ihren Wärterinnen ebenso behandelte Kinder dadurch sterben könnten. In diesen Mitteilungen sind die Gebrauchstatsachen richtig, die Schlussfolgerungen aber falsch.

Morphinistische Mütter gebären Kinder, die morphinistisch sind, sich schlaflos und erregt zeigen und nur ruhig werden, wenn sie etwas Opium erhalten. Auch das Stillen mit der Milch einer morphinistischen Mutter kann den Säugling in verhältnismäßig kurzer Zeit zu einem morphingewöhnten machen. Das Morphin geht in die Milch über.

Besonders tragisch ist der familiäre Morphinismus, die Verführung der Ehefrau und sogar auch noch der Kinder [82] durch den Vater. Kein Weg führt zu der Erklärung des seelischen Triebes, der den Verführer zu seiner Tat bringt. Nähme man nicht an, dass eine geistige Störung die Veranlasserin für sie sei, so würde sie moralisch ein Verbrechen darstellen. Denn jeder Morphinist weiß oder kann erfahren, dass seine Leidenschaft ihn einen schlimmen Leidensweg bis zum Ende durchmessen lassen wird. Läge bei ihm nicht eine Intellektstörung vor, so würde er durch chronische Darbietung von Gift einen anderen, zumal ihm so Nahestehenden bewusst in das Unglück gestoßen haben. Dass dies schließlich mit Billigung des Opfers geschieht, ändert an dieser Auffassung nichts.

Die Möglichkeit, trotz der Giftzufuhr nach außen hin normal zu erscheinen und in Wirklichkeit in einer gewissen Breite in einer bestimmten Gebrauchsphase noch werktätig sein zu können, wird – wie ich dies bereits ausführte – durch die allmähliche Steigerung der Mengen, die durch die Zellen des Gehirns dem Individuum aufgezwungen wird, wahr. Von Hundertsteln Gramm des Beginnes kann der Tagesverbrauch bis zu mehreren (4 - 5) Gramm steigen. Selbst bei kleinen Kindern tritt die Not des Steigernmüssens dieses Stoffes zutage. Ein solches von sieben Monaten erhielt wegen Hydrocephalus täglich 0,2 mg. Bald mussten die Dosen bis auf 0,6 g erhöht werden, was den Tod nach 81/2 Monaten zur Folge hatte.

Der stets drohende und stets wachsende innere Erschlaffungszustand des durch das Mittel immer wieder zu einer gewissen Leistungshöhe emporgezwängten, Geist und Körper beherrschenden Gehirns tritt schließlich ein und bleibt, weil die endlichen übergroßen Morphinmengen nur Vergiftung aber kein halbwegs normales Leben mehr zulassen. Wie lange dies dauert, bestimmen die Individualitat, d. h. die inneren Widerstandskräfte. Jede Voraussage zerschellt an diesen im Voraus nicht erkennbaren Möglichkeitsgrenzen der Lebensbetätigung.

[83] Die Erkenntnis der intimeren Vorgänge, die sich bei dem Morphingebrauch abspielen, ist uns absolut verschlossen. Wir sehen nur die Erscheinungen – nach dem Wie? fragen wir vergebens. Es ist ein ratloses Grübeln danach, das stets in die Aussichtslosigkeit des Erkennenkönnens ausläuft. Die Psychologie ist bisher den Erscheinungsformen solcher abgeänderter geistiger Tätigkeit, wie sie Narkotika erzeugen – bis auf die Untersuchungen der Wirkungen von Anhalonium Lewinii – aus dem Wege gegangen. Ob sie auch bei intensiven analytischen Versuchen darüber viel wird zutage fördern können, ist mehr als fraglich. Es wird z. B. meiner Überzeugung nach nie festzustellen sein, warum die Gehirnzellen – was nach Alkohol so nicht zutage tritt – das gierige Verlangen gerade nach Morphin kundgeben, warum auch der festeste Wille des Morphinisten ihrem kategorischen Drängen gegenüber nach dem Mittel in das Nichts zergeht.

4. Die erkennbaren Vorgänge bei Morphinisten und Opiumisten.

Die Wirkungen des fortgesetzten Morphingebrauches haben in den einzelnen, voneinander nicht scharf trennbaren, aber doch vorhandenen Stadien ein besonderes Gepräge. Der Beginn sieht den Morphinisten in der Einschätzung seines Könnens, Leistens und seiner Genießensfreudigkeit auf einer auf Selbsttäuschung beruhenden Höhe. Das Ich wird zu sich selbst und in seinen Beziehungen zur Umwelt falsch bewertet – aber, wie auch immer dieses veränderte Sein zustande kommen mag – , das Individuum empfindet es, die Arbeit scheint ihm leichter vonstatten zu gehen, die kleinen Stöße, die die rauhe Wirklichkeit austeilt, werden von ihm nicht oder nicht so wie früher empfunden und dieser gehobene Menschenzustand von einer sechs- bis achtstündigen Dauer ist das Ergebnis einer einzigen Morphindosis.

[84] Dieses erste, einleitende, verführerische, eventuell monatelang anhaltende Stadium führt durch steigende Dosen in die noch morphinglücklichere zweite Episode, die erfüllt ist von Lebensbehagen, Zufriedenheit ohne Begehren, absoluter Selbstgenügsamkeit, Seelenruhe, die durch nichts erschütterbar ist.

Es kann als wirklich empfunden angenommen werden, was ein Opiumesser von diesem Stadium emphatisch geschildert hat: „O Opium, gerecht, sanft und doch gewaltig! Du, das den Herzen der Armen und Reichen gleichermaßen für nimmer heilende Wunden und den Schmerz, dagegen sich der Geist empört, lindernden Balsam spendest. Du baust aus dem Schoße der Finsternis, aus der luftigen Einbildungskraft des Gehirns Städte und Tempel auf, kunstvoller als die Werke des Phidias39 und Praxiteles40 …und rufst ans dem regellosen Reich des Schlafes und der Träume an das Tageslicht hervor die Züge längst begrabener Schönheiten. Du allein spendest der Menschheit diese Gaben und in deiner Hand ruht der Schlüssel zum Paradiese.“

Die Brandungen der Widerwärtigkeiten des Lebens brechen sich eindrucks- und folgelos am morphinisierten Gehirn. Kein unangenehmer körperlicher Zustand wird als belästigend empfunden, Kummer, Sorgen streifen kaum die Seele und leichtere gemütliche Erregungen, wie Verdruss und Ärger, verhauchen eindruckslos. Losgelöst von allem, was den Menschen an die Erde fesselt, selbst frei von dem Gefühl, einen Körper zu besitzen, lebt das Individuum offenen Auges, mit Bewusstsein, in der Tagesarbeit seiner gesellschaftlichen Stellung eine Art von Traumleben. Dieses Leben ist jedoch ein reines Ich-Leben, nur ein Gegenwartsleben. Die Gedanken wenden sich nicht der Zukunft, sondern nur dem Tage mit seinem Opium- bzw. Morphinbedarf zu. Dadurch wird bald das höhere Empfindungsleben defekt. Herz und Gemüt leiden. Die Einschränkung der Welt auf sich schafft moralische Stumpfheit, Unbarmherzigkeit auch gegenüber Frau und Kindern. Das Besorgtsein um diese kommt erst lange nach der Sorge um Morphin oder besteht gar nicht. Das Dichterwort ist hier in übertragenem Sinne wahr:

Zur Warnung hört` ich sagen,

Dass, der im Mohne schlief,

Hinunter ward getragen

In Träume schwer und tief,

Dem Wachen selbst geblieben

Sei irren Wahnes Spur,

Die Nahen und die Lieben

Hält er für Schemen nur.

Die Wirkungsdauer einer Dosis, die jetzt schon auf 0,2 bis 0,5 g gestiegen ist, wird kürzer. Das Mittel muss häufiger und in größeren Mengen eingespritzt werden, um noch, wie im Beginn, angenehm zu wirken, die Sklavenkette wird immer kürzer und zerrt den Morphinisten. Die Gläubiger, die Gehirnzellen, pochen, fordern, schreien und – rächen sich durch Erregung von Schmerzen, sobald sie nicht prompt befriedigt werden. Wo die geldlichen Mittel zur Erlangung des Stoffes fehlen, da wird auch gestohlen und betrogen. Sollen sich doch sogar bisher achtbare Frauen der Prostitution ergeben haben, um Morphin kaufen zu können! Löste im Beginne der Morphinleidenschaft der höchste Genuss das Vergnügen ab, so erscheint jetzt ein Zustand, in dem das zufriedenzustellende Gehirn wohl noch auf eine geeignete Morphindosis die alte Reaktion aufweist, in der Zwischenzeit zwischen zwei Dosen aber schon beginnt, sich unangenehm vernehmen zu lassen, wenn die volle Wirkung zu schwinden anfängt.

So gebiert die Zeit unter schlimmen Wehen das letzte Stadium: das Erwachen der Erkenntnis des Überliefertseins an das Morphin nicht auf Gnade und Ungnade, sondern auf absolute Ungnade. Die Willenskraft ist gänzlich gelähmt. Zur geringsten Leistung fehlt der Entschluss und der standige

[86] Kampf zwischen Wollenmüssen und Nichtvollbringenkönnen gereicht dem jetzt das Gefühl innerlicher Erbärmlichkeit mit sich Herumtragenden zur namenlosen Pein. Und auch selbst in die Träume setzt sich die seelische Marter fort, weil die glückliche, willensfreie Vergangenheit in quälende Vergleiche zu der trostlosen Gegenwart tritt. Die Arbeitspflicht in Amt oder freiem Erwerbsleben kann nur noch durch übergroße Dosen erfüllt werden. Wohl kann der morphinistische Chirurg – ich sah dies bei einem der besten dieses Faches, den auch einst die Muse zum Schaffen von bleibendem Wert begeistert hatte – durch solche noch die zuvor zittrige Hand festigen, den trüben Blick, das unklare Urteil aufhellen, ein Reiter auf der Rennbahn den Sieg erringen, der Richter richtig entscheiden, aber das zum Können aufgepeitschte Wollen verflackert schnell. Das Nichtvollgeladensein mit dem Mittel, der Abstinenzzwang, schafft geistige und körperliche Unruhe und damit Zornmütigkeit, Rücksichtslosigkeit gegen andere, zumal Abhängige, mit den Varianten, die durch den früheren Charakter eines solchen Menschen bedingt sind. Viele Blätter ließen sich allein mit ihren Schilderungen füllen. Sie würden von morphinistischen Richtern erzählen, die in einem solchen Zustande die Angeklagten ungebührlich behandelten, von Vorgesetzten, die ihr Nervenzerren der Abstinenz an ihren Untergebenen auslassen, ja selbst von einem jetzt längst toten Professor, der den Examinanden gegenüber – so erzählte man mir vor Jahren – nur dann menschlich sich benahm, wenn sein Diener, der dafür von den Prüflingen bezahlt wurde, ihm vor dem Examen gut mit Morphin geladene Morphinspritzen bereitgehalten hatte.

Bei solchen Individuen sind jetzt die Springfedern erhebender seelischer Empfindungen für Liebe zu den Seinigen, für jede frohe Laune, für den Glauben, für die Schönheiten der Natur und des menschlichen Schaffens für immer zerbrochen, die Sonnenblicke des Daseins leuchten nicht mehr auf, die auch einem armen, verlassenen Menschenleben mit [87] freiem Gehirn für Minuten oder Stunden als individuelle Glücks- oder Befriedigtseinsempfindung gelegentlich zuteil werden – ungelöscht auf der Tafel des Gedächtnisses bleiben nur, reueumrahmt, die Erinnerungsbilder früherer Glückeszeiten. Das Klagen über das verlorene Leben ist der Miserere-Gesang der Vernichtung.

In langsamer Entwicklung gestalten sich nun auch als Folgen gestörten Gehirnlebens die dadurch bedingten körperlichen Störungen. Das Gehirn als Lenker so vieler Leibesfunktionen erlahmt in seiner regulatorischen Arbeit. Die Nahrungsaufnahme leidet, das Aussehen wird schlecht, Abmagerung stellt sich ein, das Arbeitsvermögen mindert sich auffällig. Nur noch in vergiftender Dosis vermag Morphin körperliche Leistungen irgendwelcher Art zu erzwingen.

Der Morphinist ist meistens jetzt nur noch Haut, Bein und bebender Nerv. Klebrige Schweiße werden, besonders nachts, am ganzen Körper oder nur am Kopfe abgesondert. Haltung und Körperpflege werden nachlässig. Bisweilen erscheinen mehrstündige Fieberanfälle mit Frost, Kopfweh, Beklemmung. Hautjucken, auch in Verbindung mit einem Ausschlag, quält. Dazu gesellen sich: Magenschmerzen, Koliken, Durchfälle mit Brennen am After nach der Entleerung – wohl durch ein unbekanntes Zersetzungsprodukt des Morphin bedingt – , vereinzelt Störungen bei der Harnentleerung, auch Konjunktivitis und Tränenträufeln, Akkommodationsstörungen und Schwachsichtigkeit.

Das Geschlechtsleben leidet. Nachdem im Beginn des Morphinismus eine erhöhte geschlechtliche Erregbarkeit sich eingestellt hat, sinkt später der Geschlechtstrieb bis zur Impotenz: „Infringit stimulos veneris Opium.“ Untersuchung des Samens von einem Morphinisten, der seit mehreren Monaten 0,3 - 0,5 g Morphin einspritzte, ergab ganz dünne, unbewegliche Samenfäden, die auch durch chemische Reagentien nicht beweglich gemacht werden konnten. Bei morphinistischen Frauen stellen sich Men[88]struationsstörungen bis zum Verluste der Menstruation ein. Findet noch vorher Konzeption statt, so kann die Frucht normal ausgetragen werden oder Abort erfolgen. Aber auch im ersteren Falle ist die Möglichkeit eines frühen Todes des Kindes durch eine Art von Lebensschwäche vorhanden. Auch der Same bzw. das mütterliche Ei können morphinisiert und in der Entfaltung ihrer normalen Wirkungsenergie so unangenehm beeinflusst werden, wie dies auch andere chemische Stoffe, z. B. Blei, bei Bleiarbeitern und Bleiarbeiterinnen oder Quecksilber oder Schwefelkohlenstoff in Gewerbebetrieben oft zuwege bringen. Nach der Geburt kann das Kind einer Morphinistin Symptome der Morphinentziehung aufweisen.

So gestaltet, blickt der Morphinist nach Hilfe aus. Er will vom Morphin, seinem Erwürger, frei werden. Es lässt sich auch nicht einmal annähernd voraussagen, wann dieser Zeitpunkt eintritt, wie lange er unter dem vergiftenden Einflusse arbeits-, denk- und lebensfähig bleibt, ehe er sich durch die Pforte einer Entziehungsanstalt zwingt. Die Fristung des trostlosen Lebens bis dahin kann lange währen. Nach drei bis sechs Jahren schon, bei anderen noch nach viel längerer Zeit, kommt der Zeitpunkt des Nichtweiterkönnens. Das Individuum stellt jetzt nur noch ein durch die lange, unheimlich überwältigende Morphinarbeit geschaffenes Wrack dar, dessen Ende, der Zerfall in einen Trümmerhaufen, selten noch abwendbar ist. Für den endlichen Erfolg der Entziehung ist es gleichgültig, ob dieselbe mit einem Male oder in Etappen vollzogen wird. Im ersteren Falle ist das erzeugte Leiden schwer: Erregung auch seitens der bis dahin verlorengegangenen sexuellen Sphäre, Unruhe, Jammer nach Morphin, Wutausbrüche auch mit Zerstörungstrieb, Angstzustände, die das Leitmotiv für Delirien oder für Selbstmordversuche abgeben, nebenher Schmerzempfindungen in den verschiedensten Nervenbahnen, Erbrechen, Diarrhöen, Präkordialangst, gefolgt von Herzkollaps u.a.m., treten für [89] Tage ein. Die langsame Entziehung erneuert bei jeder Verringerung der Dosis den Schrei der Gehirnzellen nach der vollen Dosis, auf die sie eingestellt waren. In beiden Fällen kann schließlich der Morphinist von der nächsten Begierde nach seinem Mittel frei werden – dies ist aber auch alles! Etwa 80 - 90% der Unglücklichen – vielleicht noch mehr – werden rückfällig. Hierin sind auch diejenigen miteingeschlossen, die nicht in einer Entziehungsanstalt, sondern durch ihre zwangsweise Internierung im Gefängnis zeitweilig von ihrer Leidenschaft frei geworden sind.

Der Gebrauch anderer betäubender oder erregender Mittel als Ersatz von Morphin macht das Unheil größer, weil dann beide, das alte und das neue, gebraucht werden. Es tritt der Zustand ein, den ich als „gepaarte Leidenschaft“ bezeichnet habe. Schon vor vierzig Jahren wies ich auf diese Tatsache des gedoppelten Gebrauches mehrerer Narkotika zu Genusszwecken hin, z. B. des Morphins mit Chloroform oder mit Kokain oder mit Äther usw.41

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