Kitabı oku: «Luft an Land»

Yazı tipi:

Luft an Land

Ein Roman von Lili B. Wilms

Impressum:

© dead soft verlag, Mettingen 2021

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© the author

Cover: Irene Repp

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Bildrechte:

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1. Auflage

ISBN 978-3-96089-474-2

ISBN 978-3-96089-475-9

Inhalt:

Obwohl Izaaks Vertrauen in der Vergangenheit auf schlimmste Art und Weise missbraucht wurde, ist er fest entschlossen, nicht der arme reiche Junge zu sein. Doch so taff er in seinem Job als Anwalt ist, so schwer fällt es ihm auch, sich privat auf jemanden einzulassen. Zumal seine berühmte Familie alles dafür tut, ihn von jedweder potenzieller Gefahr abzuschirmen.

Bei Fabian hat Izaak seit langer Zeit zum ersten Mal wieder das Gefühl, sich fallen lassen zu können, und mehr noch: selbst der Fels in der Brandung für einen anderen Mann sein zu können. Aber Fabian ist es gewohnt, als Familienoberhaupt Verantwortung zu übernehmen und an jedweder Front für seine Mutter und Schwester zu kämpfen. Er braucht keine Hilfe, schon gar nicht von einem Mann, der gesellschaftlich vermeintlich Klassen über ihm steht.

Doch dann gerät Fabian durch einen leichtsinnigen Fehler in eine Situation, aus der ihn nur ein verdammt guter Anwalt retten kann. Ausgerechnet von Izaak Hilfe annehmen zu müssen, fühlt sich in allen Punkten falsch für Fabian an, aber vielleicht ist diese scheinbar ausweglose Situation auch das Beste, was ihnen beiden passieren konnte?

Kapitel 1

Izaak

Langsam bewegte Izaak seine Finger, seine Zehen. Sanft schob er sein Becken auf der Matte hin und her. Der betörende Duft des Öls an seinen Schläfen kroch ihm in die Nase und am liebsten wäre er auf dem Boden liegen geblieben. Hinter ihm läutete Nadine mit dem Gong das Ende ihrer Unterrichtsstunde ein. Neben ihm streckte sich Tobi, wobei dieser ihn mit seinen Fingern anstupste. Genüsslich tat Izaak es ihm gleich.

Sanfte Klänge ertönten aus den Lautsprechern und er richtete sich widerwillig zum Sitzen auf. Bis zur nächsten Yogastunde war die schöne Ruhe dahin.

Nach einem gemeinsamen »OM« der Yogis zur Verabschiedung sah Izaak sich im Raum um, in dem die Kursteilnehmer ihre Sachen zusammenpackten.

Tobi stöhnte genüsslich auf. »Das hat wieder gutgetan.« Er strich sich die blonden Strähnen aus dem Gesicht und grinste Izaak herausfordernd an. »Na Izi? Bereit für einen Smoothie?«

Izaak verdrehte die Augen und stand betont lässig auf. Er würde Tobis Kommentar und der sich dahinter verborgenen Neckerei keine Bedeutung beimessen. Während alle anderen den Raum nach und nach verließen, hatten er, Nadine und Tobi keine Eile. In aller Ruhe räumten sie die Gurte und Klötze weg, die liegen geblieben waren.

»Danke, Jungs. So bin ich einfach viel schneller.«

»Ist doch selbstverständlich«, erwiderte Izaak.

Tobi hakte sich bei ihm unter, als sie über den Flur in Richtung der Umkleiden gingen. »Kommst du noch mit auf ein Getränk oder musst du los?«, fragte er Nadine.

»Selbstverständlich gehe ich noch mit euch. Ich habe heute auch nichts mehr vor. Wenigstens seid ihr bei meinen Wochenendstunden. Wir sehen uns viel zu selten.«

»Das stimmt. Dann lass uns jetzt das Beste daraus machen.« Izaak freute sich darauf, die Stunde mit seinen Freunden an der Theke des Fitnessstudios ausklingen zu lassen. In der vergangenen Woche hatte er die Kanzlei nie vor einundzwanzig Uhr verlassen. Seine Freunde zu treffen, war keine Option gewesen. Dass der Tresen zusätzlich eine hervorragende Aussicht bot, war nur ein Bonus.

Er ließ Tobis Arm los, damit sie hintereinander die Treppe hinab gehen konnten, ohne die gesamte Breite zu blockieren. Unten angekommen zogen sich die drei auf die Hocker vor der Bar, die den Eingangsbereich entlanglief. An deren einem Ende wurden die Kunden eingecheckt, am anderen konnten sie sich mit Getränken und Obst versorgen lassen. Wie immer herrschte am Wochenende ein großer Andrang im Studio und die Gäste wuselten überall herum.

Verena, die heute anscheinend für den Thekenbereich zuständig war, zwinkerte ihnen zu. »Na Yogis? Wie immer?«

Die drei bestätigten lachend, während Verena ihre jeweiligen Detox-Säfte zubereitete. Izaak zog sich das Stirnband vom Kopf und sein Haar fiel wie ein Vorhang nach vorne auf seine rechte Wange. Mit der Hand fuhr er sich über die abrasierte andere Seite, um einzelne Haare aus den Stoppeln zu befreien. Vorsichtig schielte er zur Glaswand, die seitlich hinter der Theke den Blick zur Fläche mit den Gewichten freigab.

Heißer Atem strich über sein Ohr. »Warum sprichst du ihn nicht endlich an?«

Ohne sich zu Tobi umzuwenden, schob Izaak ihn mit dem Ellenbogen von sich. »Weil ich nicht will.«

»Warum, lieber Izi, kommen wir dann jedes Mal hierher und du kriegst Stielaugen, sodass ich Angst habe, die armen Dinger fallen dir aus dem Kopf?«

»Ich will nur gucken. Das wird doch erlaubt sein.«

»Natürlich ist es das. Aber du willst doch deine kleinen Krallen in den Muskeln von Mr. Muscle vergraben. Das sehe ich dir an. Und hey …«, Tobi hielt die Hände in abwehrender Geste vor sich, »ich versteh dich. Wenn ich mir nicht sicher wäre, dass du ihn für dich willst, hätte ich mich schon längst an ihn rangemacht.«

Mit zusammengekniffenen Augen funkelte Izaak ihn an. »Bitte, bedien dich.« Ihm war klar, dass seine Mimik und seine Worte nicht zusammenpassten. Vor allem konnte er Tobi ohnehin nichts vormachen. Sie kannten sich viel zu gut. Er wusste, Tobi wollte ihn nur reizen. Und dennoch konnte er bei dessen Worten dieses in ihm nagende Gefühl nicht abstellen. Wie ein Kind wollte er aufstampfen und von seinem Freund fordern, er müsse die Finger von dem Spielzeug lassen, das er zuerst gesehen hatte.

Tobi lächelte Izaak mit übertriebenem Augenaufschlag an. Izaak hatte keinen Zweifel, dass der Kerl, dessen Muskeln im permanenten Kampf mit seinem Shirt zu stehen schienen und immer irgendwie drohten es zu zerreißen, keine Chance gegen Tobis Augenaufschlag hätte. Das blonde, lange Engelshaar und die hellblauen Augen gaben ihm mit seinen runden Wangen ein unschuldiges, reines Flair. Hatte er erst mal die Aufmerksamkeit der Kerle, machte er aber keinen Hehl daraus, dass er an nichts Ernstem interessiert war.

Egal, was es war, das sich Izaak gerade nicht eingestehen wollte: Sein Muskelmann musste nicht auch noch auf die Liste seines Freundes wandern. Oder so. Lächerlich. Er kannte ja nicht mal seinen Namen. Er hatte keinerlei Anrecht auf ihn.

»Du bist so süß.« Tobi drückte ihm einen Kuss auf die Wange. »Ich wollte nur deine Reaktion sehen. Dein Zögern verstehe ich trotzdem nicht.«

»Wenn ich mal weiß, wie er heißt, überlege ich es mir«, sagte Izaak ausweichend.

Nadine, die ihr Gespräch offensichtlich amüsiert beobachtet hatte, winkte Verena heran. »Ehrlich gesagt muss ich Tobi recht geben, Izi. Woher kommt diese Schüchternheit? Das sind wir nicht von dir gewohnt«, stimmte sie ihrem gemeinsamen Freund zu.

Izaak strich sich die Strähnen hinters Ohr. Er war nicht schüchtern. Er wollte einfach nichts überstürzen.

»Ich will einfach … abwarten.« Er wollte – warten. Worauf, war ihm nicht ganz klar. Seine Erfahrungen mahnten ihn, vorsichtig zu sein. Und dennoch wollte er sich nicht von irgendwelchen Befürchtungen einschränken lassen, sondern ein erfülltes, unbeschwertes Leben führen. Seit Jahren hielten diese widersprüchlichen Empfindungen sein Liebesleben in einer Art Schwebezustand, aus dem er es nicht schaffte, auszubrechen. Er versuchte es immer wieder, jedoch nur mit mäßigem Erfolg. Von seiner Familie arrangierte Dates ödeten ihn an. Wenn er sich auf jemanden einließ, reichte das gegenseitige Interesse meist nicht über einen One-Night-Stand hinaus. So sehr er sich auch bemühte, diese zu genießen, sie hinterließen oft einen schalen Beigeschmack. Oder er interpretierte etwas in diese kurzen Begegnungen hinein, was einfach nicht da war. Auf was er eigentlich wartete, wusste er schon längst nicht mehr. Auf ein Wunder? Auf einen Kerl, der ihm in den Schoß fiel?

Somit würde er zunächst weiter beobachten und genießen. Er legte seinen Kopf schräg und beugte sich weiter über den Tresen, um in den hinteren Bereich sehen zu können. Ah … da war er. Izaak sah ihn nur teilweise und immer nur dann, wenn er das Dings über sich zu seinem Brustkorb zog. Innerlich seufzte Izaak. Selbst der Anblick dieses halben Rückens, der sich unter der Anstrengung immer wieder spannte, versetzte ihn in eine mittelschwere Ekstase. Und er spannte sich wieder. Huch. Da war ihm tatsächlich ein Seufzer entwichen.

»Sag mal, Verena, wie heißt eigentlich der Kerl, den Izi gerade mit seinen Augen auszieht?«

»Nadine!«, zischte Izaak sie an und Verena lachte.

»Das dürfte Fabian sein.«

»Woher willst du das wissen? Du hast dich nicht mal umgedreht, um zu sehen, wen ich angesehen hab.«

Verena senkte das Kinn und ihre Lippen zuckten, bevor sie sich zu einem breiten Grinsen verzogen. »Ist es derselbe blonde Typ, den du immer beobachtest, wenn du hier bist? Derjenige, nachdem du dir den Hals verrenkst, sobald du durch die Eingangstür trittst? Derjenige …«

»Schon gut, schon gut«, unterbrach Izaak sie. Seine Wangen wurden wärmer und er schaute angestrengt auf sein Glas. »So offensichtlich bin ich nun auch nicht.«

Tobi legte ihm die Hand auf den Rücken und zog ihn zu sich. »Überhaupt nicht.«

»Dein Sarkasmus erstickt dich noch mal«, erwiderte Izaak ohne jeglichen Biss in der Stimme.

Verena nahm Izaaks Hand, die neben seinem Getränk lag, bis er zu ihr aufschaute. »Er heißt Fabian.«

»Darfst du mir das überhaupt sagen? Datenschutz und so?«

»Wenn du seine Nummer und Anschrift willst, muss ich passen.«

»Nein, nein, das wollte ich doch gar nicht sagen. Argh. Ihr seid alle furchtbar. Huch, wie die Zeit vergeht, ich wollte eh gerade los.« Unter dem gackernden Gelächter seiner sogenannten Freunde trank er mit dem Papierstrohhalm die Reste seines Saftes aus. Mit eingesogenen Wangen sah er auf, um direkt in die Augen von Fabian zu blicken, der die Theke ansteuerte. Gottverdammt, natürlich. Izaak entspannte seine Lippen und ließ den Strohhalm dazwischen hervorgleiten. Sehr elegant. So als würde er wie Schliemann die Überreste der griechischen Antike aus der Erdoberfläche kratzen müssen, stierte er angestrengt auf den Boden seines Glases. Auf dem sich nichts befand. Vielleicht ein paar Kiwipartikelchen. Konzentriert rührte er mit dem Halm darauf herum, bis sich dieser am Ende immer mehr weitete.

»Hi, Verena, kannst du mir noch ein Handtuch geben?«

»Sicher.« Verena kramte aus einer Schublade unter der Theke eines der flauschigen Schönheiten mit dem Studiologo darauf hervor. Aus dem Augenwinkel konnte Izaak sehen, wie sie es Fabian reichte.

»Ah, brauchst du sonst was? Ein Getränk?«, fragte sie hastig hinterher, bevor Fabian sich abwenden und verschwinden konnte. Izaak sah den beiden aus dem Augenwinkel – gar nicht creepy – zu.

Irritiert schaute Fabian sie an. »Ich, äh, nein, danke.« Er schwenkte seine Wasserflasche und hielt sie ihr hin. »Du kannst aber meine Flasche auffüllen?«

»Selbstverständlich!« Verena schnappte sich die Flasche. Ging zum Becken und spülte sie ausgiebig, ließ sie volllaufen, verschraubte sie, als müsste sie einen Genie in einer Flasche für hundert Jahre einsperren, um sie schließlich mit einem Tuch trocken zu reiben. Und zu reiben. Und zu reiben. Ihr kurzer blonder Pferdeschwanz wippte im Rhythmus hin und her. Angestrengt sah sie auf die Flasche. Neben Izaak fing Tobi zu kichern an.

»Und du bist sicher, dass du nichts trinken magst? Ich könnte dir eine Probe von dem Kiwi-Smoothie geben, den Izi gerade hatte.«

Ohne zu zögern, drehte sich Fabian zu Izaak und sah ihn an. Izaak hatte das Gefühl, sein Herz würde für einen Moment aussetzen, um dann den verpassten Schlag nachzuholen und ihm in den Hals zu springen. Wusste Fabian, wer er war, oder war das einfach Zufall gewesen, dass er ihn angeschaut hatte? Wie von Sinnen streckte Izaak ihm sein Glas hin. »Ist wirklich lecker.«

Fabian sah von Izaaks Gesicht zurück zum Glas und mittlerweile hörte Izaak auch Nadine vor sich hinglucksen. Fabians Miene schien einen Kampf auszutragen, zwischen seinen Wangen, die ein Lachen zurückhalten wollten, und den Lippen, die sich krampfhaft dagegen wehrten. Letztendlich gewann Fabians sinnlicher Mund, der Izaak samt weißer, daraus hervorblitzender Zähne, anstrahlte.

Auch Izaak konnte zwischenzeitlich ein Grinsen nicht mehr vermeiden. Die Situation war zu absurd. Also lieber in Würde untergehen als …? Vor sich hinzugrummeln brachte ja auch nichts.

Aber Fabian schüttelte den Kopf. »So verlockend das auch ist, ich muss mein Set fertig machen und dann los.«

Obwohl Izaak keine konkreten Vorstellungen darüber gehabt hatte, was Fabian auf seine Annäherung hin machen würde, versetzte ihm die Abfuhr einen nicht gerade kleinen Dämpfer. Tapfer lächelte er gegen die Wärme an, die sich aus seinem Nacken über die Wangen zog. »Kein Problem. Lass dich nicht aufhalten.«

Noch bevor Fabian im Durchgang zu den Gewichten verschwinden konnte, hörte Izaak Tobi schon laut und deutlich. »Uuuh …«

Schnell legte er seine Hand auf den Mund seines Freundes. »Halt bloß die Klappe.« Unter seinen Fingern nuschelte Tobi etwas, das sich nach »mhm grmm gnmn« anhörte. Was auch immer das bedeuten sollte. »Bäh! Igitt.« Izaak riss seine Hand zurück und wischte sich Tobis Spucke auf seinen Leggings ab. »Musste das sein? Ablecken? Sind wir im Kindergarten?«

»Das frag ich dich. Wirklich? Den Mund zuhalten?«

»Es musste doch nicht sein, dass er dich auch noch hört.«

»Pfff. Kann er ruhig. Der weiß nicht, was ihm entgeht.«

Izaak zuckte mit den Schultern. Und wenn schon. Gegen ein paar Blicke aus der Ferne würde Fabian hoffentlich auch in Zukunft nichts haben. Er hatte ihn abblitzen lassen, aber er schien nicht verärgert oder wütend über seine Aufmerksamkeit zu sein.

»Vielleicht ist er ’ne Hete und wollte dich nicht irgendwie … hinhalten oder so«, überlegte Nadine laut vor sich hin.

»Nö. Soweit ich weiß, hat er einen Exfreund«, gab Verena ihren Senf dazu. »Ich hab zufällig ein Gespräch von ihm mitgekriegt.«

»Leute! Leute, bitte. Er hat zu tun oder kein Interesse oder was auch immer, und das ist völlig in Ordnung. Ich bin höchst zufrieden, wenn ich hier sitzen und ihn beobachten kann. Solange er mir das nicht untersagt, ist alles gut.«

Fabian machte seine Übungen an den Geräten weiter, die deutlich günstiger in Izaaks Blickfeld lagen als zuvor. Nachdenklich beobachtete Izaak ihn. Das amüsierte Lächeln von soeben war verschwunden und anstelle dessen war diese große Konzentriertheit getreten, die er fast immer vor sich hintrug. Nahezu stoisch absolvierte er seine Einheiten. Hinzu kam eine Ernsthaftigkeit, die Izaak überzeugte, dass sie nicht nur daher rührte, sich an den schweren Gewichten nicht zu verletzen. Die freundlichen Züge wurden durch eine Last getrübt, die Fabian mit sich herum zu tragen schien.

Das war auch das Erste gewesen, was Izaak an ihm aufgefallen war. Nicht die kurzen Haare, die oben am Kopf etwas länger waren als die kurz geschorenen Seiten. Nicht das markante Gesicht, mit dem starken Kinn und der geraden Nase, die sich symmetrisch einfügte und an eine griechische Marmorstatue erinnerte. Auch nicht sein muskulöser Körper. Er stach in diesem Studio weder als übermäßig bepackt noch als sonderlich mickrig hervor. Im Verhältnis zu Izaak war er enorm. Und das war nichts, was Izaak normalerweise sonderlich anziehend fand.

Aber diese Gewissheit und Konzentration, die Fabian umgab, in allem, was er im Studio tat, hatte Izaak vom ersten Moment an fasziniert. Er war nicht überrascht, dass diese Albernheit an der Theke Fabian in keiner Weise motiviert hatte, sich zu setzen oder daran wirklich teilzunehmen. Seine Freundlichkeit hatte kurz angetäuscht, was sein könnte. Aber Fabian war sich und seiner Sachlichkeit treu geblieben. Auch wenn ihn die Zurückweisung etwas durchgerüttelt hatte, Izaak würde sich damit zufriedengeben, Fabian weiter aus der Ferne zu bestaunen. Es gab keinen Grund, Trübsal zu blasen.

»Na komm, guck nicht so traurig.« Tobi stupste ihn in die Seite.

»Ich bin nicht traurig. Ich hab nur nachgedacht.«

»Na denn. Hör auf zu denken. Es ist Wochenende. Wir gehen heute aus.«

»Das Einzige, wo ich hingehe …«

»Du kommst mit ins Fincken.« Izaak überlegte, wobei sich sein Gesicht zusammenzog, sodass es mit Sicherheit Falten auf seiner Stirn warf. Uagh. Tobi spielte unfair. Izaak konnte zur Bar seines eigenen Bruders nicht nein sagen.

»Von mir aus.«

Während sie versuchten, Nadine zu überzeugen, auch mit in die queere Bar zu kommen, statt daheim zu meditieren, vergaß Izaak fast das Intermezzo mit Fabian. Dieser war anscheinend zwischenzeitlich mit zwei Handtüchern zurück zur Theke gegangen und reichte sie Verena in dem Moment, als Izaak aufsah. Er lächelte Fabian an, der ihn aufmerksam beobachtete. Nachdem ihm die Studiomitarbeiterin die Tücher abgenommen und in den dafür zugehörigen Wäschesack gestopft hatte, ging er überraschenderweise nicht die Treppe nach oben zu den Umkleiden. Den Blick weiter auf Izaak gerichtet, schritt er auf diesen zu und blieb erst stehen, als er direkt neben ihm war. Izaak drehte sich samt Stuhl zu ihm und sah ihn an. Er merkte, wie seine Augen größer wurden, vermochte aber nichts zu sagen. Sein Mund öffnete sich leicht, doch nur ein Hauch kam heraus.

Fabian beugte sich leicht zu ihm und sprach so leise in sein Ohr, dass Izaak ihn kaum verstehen konnte. Oder schlug sich Fabians Nähe auf sein Gehör? Müsste Fabian nach seinem Training nicht mehr nach Schweiß riechen? Aber das, was er ausstrahlte, schienen reine Pheromone zu sein. »Wenn ihr heute ins Fincken geht, könnten wir uns aber dort treffen, wenn du magst?«

Izaak suchte Fabians Blick. Er versuchte, aus Fabians Gesicht abzulesen, was ihn zu dieser Frage veranlasst haben könnte. Fühlte er sich verpflichtet, Izaak entgegen zu kommen? Hatte er Mitleid mit ihm? Doch noch bevor er antworten konnte, kam ihm Fabian zuvor. »Ich werde ab etwa halb zehn Uhr da sein. Wir sehen uns dann?«

Und Izaak blieb nur übrig, kurz zu nicken, was Fabian gleichermaßen mit einem kurzen Senken seines Kinns beantwortete, bevor er kehrt machte und zu den Umkleiden nach oben lief.

Geistesabwesend rieb sich Izaak die nassen Handflächen an seiner Hose ab. Ha. Er hatte ein Date.

Stunden später drehte sich Izaak vor dem Spiegel in seinem Schlafzimmer.

»Aua!« Er rieb sich die Pobacke, auf die ihn Tobi nicht zimperlich geklapst hatte.

»Du siehst toll aus. Die Hose sitzt perfekt. Fabian wird nur Augen für dich haben.«

»Darum geht’s doch gar nicht. Ich will einfach …«

»Ich weiß, Schatz. Du willst nur …« Tobi wedelte mit der Hand vor Izaaks Gesicht herum und sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an.

Izaak strich sich das Haar nach hinten. »Wir gehen jetzt.«

Nadine sprang mit dramatischem Augenaufschlag auf und warf sich gleichzeitig ihre Jeansjacke über die Schultern. »Na endlich. Während ihr trödelt, welke ich vor mich hin.«

Noch bevor sich Izaak und Tobi umsahen, war sie durch den Flur aus der Tür hinaus spaziert. Tobi nahm Izaak an der Hand und zog ihn hinterher. »Du brauchst keine Jacke!«, raunte er ihm zu. »Für die paar Meter.«

Die wenigen hundert Schritte von Izaaks Wohnung zur Müllerstraße legten sie tatsächlich innerhalb kürzester Zeit zurück. Draußen auf dem Gehweg konnten sie den Bass der Musik bereits deutlich wahrnehmen. Izaak holte tief Luft, während Nadine die Tür unter dem Schild mit den zwei Vögeln aufzog. Die Bar seines Bruders war ein wahrer Wohlfühlort für ihn und falls Fabian da war, würde das ein nettes Extra sein. Wenn nicht, war es auch nicht schlimm.

Bereits nach dem ersten Schritt in das Lokal legte ihm jemand eine Hand auf die Schulter und ein flüchtiger Bekannter begrüßte ihn ausgiebig.

Es hatte unglaubliche Vorteile, der Bruder des Chefs zu sein. Aber manchmal wäre er einfach gern Gast, ohne dauernd um einen Gefallen gebeten zu werden, ohne dass sich jemand an ihn ranschmiss, weil man sich irgendetwas erhoffte. Izaak stand bei der Gruppe von Gästen am Eingang bei einem der Stehtische, während Nadine und Tobi bereits voraus zur Theke gingen. Zwischen ihnen lag nun die Tanzfläche, auf der sich schon einige Besucher tummelten.

Während der Kerl, dessen Name ihm nicht einfallen wollte, auf ihn einredete, über irgendein tolles Event, das er plante und für das er die Hilfe von Nick bräuchte, wäre Izaak am liebsten einfach weitergegangen. Doch er setzte sein höflichstes Lächeln auf und trat einen Schritt zurück. »Sobald ich Nick sehe, werde ich ihm sagen, dass du ihn suchst, okay?« Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte er sich um und schritt zügig auf seine Freunde zu. Die bekannten Gesichter hinterm Ausschank suchte er vergebens nach seinem Bruder ab. Auf Zehenspitzen reckte er seinen Kopf und sah in den kleinen Gang, in dem sich nicht nur die Toiletten befanden, sondern sich auch das Büro und ein Aufenthaltsraum für die Mitarbeiter anschlossen.

Er winkte Simon, einen der Kellner, zu sich heran. »Ist mein Bruder da?«

»Kommt heute später. Nicht vor Mitternacht. Ich hab aufgemacht. Er macht zu.«

Izaak nickte. Eventuell würde er Nick nicht mal sehen. Je nachdem wie sein Abend verlief, würde er um Mitternacht vielleicht schon schlafen.

Gerade als er seine Füße absenken wollte, tauchte im dunklen Eingang des Flurs ein anderes bekanntes Gesicht auf. Fabian unterhielt sich angeregt mit einem Typen, der Izaak völlig unbekannt war. So offen und befreit lachen hatte er Fabian noch nie gesehen. Um nicht umzufallen, hielt er sich an Tobis Schulter fest und wackelte dennoch erheblich. Langsam verloren seine Fußmuskeln ihre letzte Kraft. Schließlich sank er wieder hinab auf seine Sohlen und konnte nichts mehr sehen außer Köpfe. Fremde Köpfe, die ihn nicht interessierten. Frustriert schnaubte er auf.

»Ich seh schon, was wir in meinen Stunden mehr üben müssen. Du kriegst eine Hausaufgabe auf bis nächstes Mal. Die Übung der Baum – oder mehr Stabilität zum Nachspannen blonder Jünglinge, wie wir sie ab jetzt nennen – machst du mindestens fünf Mal täglich. Mindestens drei Minuten auf jeder Seite.« Nadine strahlte ihn mit höchst amüsiertem Blick an. »Konntest du ihn sehen?«

Izaak wollte sich nicht eingestehen, dass Fabians Anwesenheit ihn mehr als nur ein bisschen freute. Sein Herz schlug schneller und seine Wangen wurden etwas wärmer. »Ja. Da hinten steht er. Mit irgendeinem Kerl.« Nonchalant wedelte er mit der Hand in die Richtung, in der er Fabian gesehen hatte. Vor ihm grinste ihn Nadine mit weit gedehnten Lippen an, sodass er Sorge hatte, die Mundwinkel rissen ihr ein, während Tobis Mund aufklappte.

»Hi«, hörte Izaak an seinem Ohr.

Mit leicht geneigtem Kopf drehte er sich zu der Quelle des warmen Baritons um. »Hi«, erwiderte er nicht halb so überzeugt, wie er es geplant hatte.

Gewohnt ruhig lächelte ihn Fabian an. »Willst du etwas trinken?«

»Ja, gerne, wir sind gerade erst gekommen. Aber ich kann das übernehmen.«

Noch bevor Izaak einen Kellner heranwinken konnte, wiegelte Fabian energisch ab. »Ich habe dich eingeladen, ich erledige das.«

»Hast du mich wirklich eingeladen?« Wenn es möglich gewesen wäre, hätte Izaak die Worte in seinen Mund zurückgestopft. Er hörte sich needy an. Sie hatten kaum zwei Worte miteinander gewechselt und schon traten seine ganzen Bedenken zu Tage.

Fabian zog eine Augenbraue hoch und musterte Izaak skeptisch. »Na, das dachte ich zumindest bis eben.«

Der unsichere Gesichtsausdruck verursachte bei Izaak sofort ein schlechtes Gewissen. Er legte seine Hand auf Fabians Unterarm und redete eindringlich auf ihn ein: »Ignoriere mich. Da spricht nur meine eigene Unsicherheit. Ich hatte es gehofft. Aber man weiß ja nie.«

Etwas gequält lächelnd nickte Fabian. »Da hast du wohl recht. Was kann ich dir denn holen?«

»Gin Tonic.«

Izaak sah ihm nach, als er sich ganz nach vorne an die langgezogene Bar schob und ihre Bestellung aufgab.

Neben ihm seufzte Tobi. »Na los, Nadine, wir gehen ein bisschen das Tanzbein schütteln. Ich kann mir dieses Gebalze nicht mitansehen.«

»Was redest du?«, fragte ihn Izaak überrascht. »Wir haben bisher nur geredet.«

»Schätzchen, wenn du denkst, es fällt niemanden auf, wie du ihn mit den Augen ausziehst – und er dich – dann täuschst du dich gewaltig.« Er deutete an, sich Luft mit der Handfläche zuzuwedeln. »Die sexuelle Spannung zwischen euch ist so gewaltig, dass ich Angst habe, in Flammen aufzugehen, wenn ich dazwischenkomme.«

Nadine gab einen grunzartigen Laut von sich, den man von einem derart zierlichen, kleinen Persönchen nicht erwarten würde, und schüttelte den Kopf. »Zum Glück bist du nicht dramatisch.«

Mit einer Hand winkend zog Tobi Nadine auf die Tanzfläche. Izaak setzte sich auf den von Nadine verlassenen Barhocker und sah zu Fabian, der nur wenige Meter von ihm entfernt stand. Mittlerweile hatte er zwei Gläser in der Hand. Das mit dem durchsichtigen Inhalt war für Izaak, das mit Cola offenbar für Fabian selbst.

»Wo sind die anderen zwei hin?«

Izaak deutete auf die Tanzfläche, auf der Tobi und Nadine alle Blicke auf sich zogen. Fabian lächelte und schob Izaaks Gin Tonic zu ihm die Bar entlang. Izaak musterte ihn dabei, wie er mit der konzentrierten Miene, die er seit Wochen beobachtete, auch diese kleine Tätigkeit vornahm. Wo war der lachende, strahlende Mann von gerade eben hin?

»Bist du mit jemandem hier?«

Irritiert sah Fabian auf. Er zog die Augenbrauen zusammen und sein Mund öffnete sich leicht, wobei sich gleichzeitig seine Lippen kräuselten. »Was?«

Izaak biss sich auf die Unterlippe und verfluchte sich innerlich. Um seine Reaktion zu überspielen, nahm er einen Schluck aus seinem Glas. Wieso hatte er überhaupt gefragt? »Du, ähm, hast mit deinem Freund vorhin geredet.« Und gelacht, dachte Izaak. Du hast gelacht und dein Gesicht hatte Lachfältchen um die Lippen und die Augen. Warum bist du jetzt so angespannt? Das alles verkniff er sich aber. Stattdessen sah er zu, wie sich Fabians Gesichtsmuskeln entspannten.

»Das ist ein Kollege. Er … braucht mich nicht. Der kommt schon allein zurecht.«

»Was …«

Doch Izaak hatte keine Gelegenheit, eine Frage zu stellen. Fabian deutete mit seinem Kinn zur Tanzfläche. »Magst du?«

Dankbar nickte Izaak. Während Fabian sein Getränk in einem großen Schluck leerte, nippte Izaak noch mal an seinem. Er wollte den ganzen Alkohol nicht auf die Schnelle in sich kippen und schob schließlich die Gläser an den Thekenrand, damit die Barkeeper sie leicht abräumen konnten.

Er ergriff die ausgestreckte Hand und gemeinsam gingen sie auf die Tanzfläche. Die Musik war treibend und der Bass durchdringend. Sofort begannen sie, sich im Rhythmus zu bewegen. Als sie auseinanderdrifteten, war Izaak versucht, sofort wieder nach Fabians Fingern zu greifen. Um nicht anhänglich zu wirken, zwang er sich, seine Arme bei sich zu halten. In kleinen Schritten tanzten sie aufeinander zu und wieder voneinander weg. Mit jeder Bewegung im Takt der Musik streiften sich ihre Arme leicht und trennten sich wieder, um sich im nächsten Moment erneut näher zu kommen.

Izaak beobachtete den Oberkörper seines Tanzpartners, wie dieser sich auf ihn zubewegte. Langsam sah er auf in Fabians Augen, die ihn zu fixieren schienen. Während der nächsten Bewegung zueinander, hob Izaak seine Hände und fuhr über die ihm sich nähernden Oberarme. Seine Finger verfingen sich an den umgenähten Ärmeln, die sich über den Bizeps spannten. Die definierten Muskeln unter seinen Fingern bewegten und spannten sich mit jedem Schritt.

Er war so konzentriert auf die Hautberührung, dass er leicht zusammenzuckte, als er Fabians Hände an seinen Hüften fühlte. Dessen Augen blitzten auf und er bewegte sich noch näher auf Izaak zu.

Izaak spürte warmen Atem an seiner Wange. »Ich will dir nicht zu nahe treten. Du bist interessiert?«

Ein Nicken war alles, was Izaak zu Stande brachte. Fabian konnte ihm durchaus noch näher sein. Jedoch machte dieser genau das Gegenteil. Er trat einen Schritt zurück und musterte prüfend Izaaks Gesicht. Dieser versuchte, durch seinen Ausdruck klarzumachen, dass er völlig mit allem hier einverstanden war. Als sein Gegenüber anscheinend zufrieden war mit dem, was er sah, nickte er und sprach wieder in Izaaks Ohr: »Ich wollte nichts in das, was heute im Studio war, hineininterpretieren.«

Izaak ließ mit einem Ächzen seinen Kopf kurz auf Fabians Brust sinken. Dieser schlang sofort einen Arm um seinen Rücken und zog ihn näher zu sich.

»Das war nun wirklich kein Glanzmoment meinerseits – oder der meiner Freunde.« Über die laute Musik konnte Izaak die Antwort kaum hören. In jedem Fall vernahm er ein tiefes Lachen. Ahhh. Er hatte ihn zum Lachen gebracht. Wie gern hätte er sein Gesicht dabei gesehen. Doch seinen eigenen Kopf gegen Fabians Brustkorb zu lehnen, hatte auch einen ganz eigenen Reiz, den er ebenso wenig missen wollte.

Mittlerweile waren sie komplett aus dem Takt der schnellen Beats und bewegten sich in ihrem eigenen Tempo, das ganz anderen Regeln als der Metrik der Musik folgte. Wichtiger war es für Izaak, die Nähe zwischen ihnen aufrecht zu erhalten und zu fühlen. Er schickte seine Hände über den Mann in seinen Armen und strich sanft über die Muskelstränge, die die Wirbelsäule wie einen Fluss einbetteten. Hinauf zu den Schultern, um sie schließlich der V-Form die Seiten entlang zu streifen. Am unteren Rücken ließ er sie zur Ruhe kommen.

Fabians raue Fingerspitzen in Izaaks eigenem Nacken fühlten sich himmlisch an – wie sie über den Haaransatz in seine Strähnen fuhren. Izaak reckte seinen Kopf ganz leicht nach hinten in die Berührung. Der stärkere Druck über seine Kopfhaut fühlte sich wie eine tiefe liebkosende Verbindung an.

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