Kitabı oku: «Das Frühlingsfenster», sayfa 2
Elfriede schüttelte den Kopf, sagte jedoch nichts.
»Ich möchte diese Ophelia aber noch einmal sehen, bevor wir sie endgültig einstellen«, gab Mechthild sich nicht geschlagen.
»Ich habe ihr gesagt, dass sie heute Abend Bescheid bekommt. Und überhaupt, du hast ja nichts mit ihr zu tun«, erwiderte Florian mit einem Tonfall, der keinen weiteren Widerspruch mehr duldete.
Lizzy war erstaunt über Florians Verhalten. Warum war er so vehement für Ophelia? Normalerweise war es ihm wichtig, zumindest mit Mechtild im Konsens zu sein.
»Dann ist es abgemacht. Wann kann sie anfangen?«, fragte Hartmut.
»Sie sollte am nächsten Ersten, also in drei Wochen, beginnen, hat aber angeboten, sofort zu kommen, da sie noch Urlaub hat. Damit hätte ich endlich jemand für das Freitagsangebot«, antwortete Florian.
Mechthild meinte: »Müssen wir nicht offiziell darüber abstimmen? Und brauchen wir nicht Achmed dafür?« Sie stellte ihre Tasse mit dem Melissentee ab. Sie verschüttete ein wenig und Lizzy stieg das penetrante Aroma in die Nase. Sie hasste Melisse.
Hartmut entgegnete: »Wir sind drei Vorstands- mitglieder und damit vertragsfähig.«
Mechthild zuckte die Schultern.
Beim Hinausgehen hielt Elfriede Lizzy fest.
»Du wolltest doch auch die Erzieherin. Warum hast du nichts gesagt? Jetzt kommt wieder so ein junges, unerfahrenes Ding hier rein, das alles besser weiß.«
Lizzy zuckte die Schultern. »Du weißt doch, wie Hartmut ist. Wenn er was will, setzt er es auch durch. Vermutlich ist er schwer verliebt in Ophelia, er spricht ja ständig von ihr.«
Elfriede war nicht überzeugt, aber sie sah ein, dass sie gegen Hartmut nichts ausrichten konnte.
Lizzy überlegte, ob Elfriede und sie nicht das gleiche Problem hatten: Wenn diese Ophelia bei Hartmut so einen guten Stand hatte, wer weiß, wie sie dann mit ihnen umging.
War das der Kern des Problems? Oder warum erschien ihr die Jugendleiterin so unheimlich?
*
Als Lizzy am nächsten Tag in die Cafeteria kam, hüpfte ihr ein kleines Mädchen in die Arme. Hope war die Tochter der afrikanischen Putzfrau, die gerade die Tische putzte.
»Wie geht es eigentlich deiner Schwester? Hat sie jetzt nicht Prüfung?«, begann Lizzy ein Gespräch mit Grace und versuchte dabei, die Kleine wieder auf den Boden zu stellen, aber sie wollte auf dem Arm bleiben. Vierjährige sind sehr meinungsstabil, merkte Lizzy mal wieder.
»Ja, die Prüfung ist im Moment. Darum ist Hope auch hier.«
»Du bist sicher froh, wenn sie jetzt endlich Geld verdient, oder? Dann hast du wenigstens sie von der Tasche.«
Grace richtete sich auf und sortierte ihren Turban. Heute war sie komplett in Schwarz mit goldenen Ornamenten gekleidet. Lizzy war beeindruckt von Graces Nähkünsten und ihrem Geschmack.
»Mirko hat mir angeboten, ich könnte bei ihm eine Lehre zur Köchin machen. Meinen Bachelor in Hotelmanagement erkennen sie hier ja nicht an. Dann hätte ich endlich einen Abschluss, der auch hier gilt.«
Mirko betrieb die Cafeteria und bereitete nicht nur unter der Woche die Mittagessen für alle zu, sondern hatte auch einen Lieferservice. Lizzy hatte schon gehört, dass er sich vergrößern wollte, weil das so keinen Gewinn abwarf.
»Hoffentlich klappt das auch, wenn Hartmut seine Kulturvilla hier betreibt.«
Grace lächelte.
»Es gibt ja noch andere Mitglieder. Hartmut kann nicht alles machen, wie er will.«
»Ich weiß nicht. Er hat hier schon sehr gute Kontakte zu allen wichtigen Leuten.«
Grace seufzte. »Immer diese Männer. Denken nur an sich und nie an die Kinder.« Sie blickte auf ihre Tochter und Lizzy war klar, dass sie deren treulosen Vater meinte. »Weißt du, Hartmut ist wie Hopes Opa. Der wollte mich nie haben und hat Philipp von uns weg- getrieben.«
Sie sah sinnend auf den Tisch, den sie immer noch hingebungsvoll abwischte. Dann straffte sie die Schultern und sagte: »Philipp war auch so ein Wasch- dings. Der konnte gar nix.«
Lizzy musste lachen. »Ein Waschlappen. Eher ein Depp, wenn er zwei so tolle Frauen wie euch hat sitzen lassen.«
Hope, die doch mehr mitbekommen hatte, als Lizzy lieb war, gab ihr einen feuchten Schmatz auf die Backe und ließ sich an ihr runterrutschen.
Sie hüpfte herum und sang »Tolle Frau’n, tolle Frau’n.«
»Du wirst eine Lösung finden, du hast doch auch das Gartenhaus für die Jugendlichen durchgeboxt. Sei nicht immer so pessimistisch.«
*
Grace ging mit Hope nach draußen, um sie zu Florian zu bringen. Gleich war Essensausgabe, da durfte das Mädchen nicht in der Cafeteria sein. Lizzy legte die Listen für das Mittagessen in Mirkos kleines Büro und holte die Post aus dem Briefkasten. Dann stellte sie sich in die Schlange, um sich ihr Mittagessen zu holen. Wie immer stand schon die alte Frau Berger dort.
Die Dame wohnte in einer der Villen in der Nachbarschaft. Sie hatte eine gute Rente, dennoch aß sie regelmäßig hier.
»Ach, Frau Erdmann, schön, dass Sie auch hier sind. Zu zweit ist das Essen doch netter.«
»Ja, finde ich auch.«
Sie half der Frau an den Tisch.
»Sie essen meistens hier. Ist Ihnen das nicht zu einfach, so mit Tablett und ohne Tischdecke?«
»Ach, meine Liebe, wenn man so alt ist, dass alle Freunde schon tot sind, dann ist man nicht mehr anspruchsvoll. In einem richtigen Restaurant müsste ich allein essen. Hier setzt sich meistens jemand her, weil es so klein ist. Na ja, und so groß ist meine Rente auch nicht, dass ich jeden Tag essen gehen kann.«
Sie wurden von einer Gruppe Kinder unterbrochen, die hier das Mittagessen gebucht hatten. In den Schulen gab es zwar eine Mensa, aber nur für die diejenigen, die auch einen Platz in der Mittagsbetreuung ergattert hatten. Von manchen Kindern wusste Lizzy, dass sie das Essen gespendet bekamen. Mirko hatte erzählt, dass Einzelne etwas für die kleinen Geschwister mit nach Hause nahmen. Denen gab er größere Portionen und eine Box für den Transport.
»Ich gehe immer um diese Zeit«, fuhr Frau Berger fort. »Die drei sind jeden Tag da und sind so lustig. Für die bin ich wahrscheinlich eine alte Schachtel, aber ich mag es, wenn man noch mal so viel Leben sieht.«
Die Kinder machten eine Menge Blödsinn, doch sie bemühten sich, niemanden zu stören.
»Mirko und Grace haben die Rasselbande gut im Griff. Sonst könnten wir so einen freien Tisch für die Kinder gar nicht anbieten.«
Frau Berger lachte. »Oh ja, die können ganz schön durchgreifen. Grace muss ja nur schnauben, dann parieren die schon. Das ist überhaupt eine sehr bewundernswerte Dame. Sie kümmert sich irgendwie um alles und jeden und hat doch selbst so viel um die Ohren. Ich wundere mich immer, woher sie diese Energie nimmt.«
Lizzy nickte. »Sie ist so ein Sonnenschein.«
Es war vielleicht leichter, sich eine fröhliche Grundeinstellung zu bewahren, wenn man in einem warmen Land aufgewachsen war.
»Ich gehe nach dem Essen immer eine Runde durch den Garten und schaue nach dem Rechten. Wollen Sie mitkommen?«, fragte Lizzy die alte Dame.
»Oh ja, das wäre sehr nett. Ich bin aber ja nicht mehr so gut zu Fuß, ist das nicht zu langsam für Sie?«
»Nein, ich will ja kontrollieren, ob wir Ungeziefer haben oder irgendwas kaputt ist. Meistens sammle ich auch noch den Müll ein, der halt immer wieder durch den Garten weht.«
Lizzy räumte das Geschirr weg und sie gingen hinaus.
Frau Berger stieg vorsichtig von der Terrasse in den Garten hinunter. Sie war etwas steif, aber flink und sicher auf den Beinen. Lizzy führte sie an den Gemüsebeeten vorbei.
»Das haben Mirko und Florian mit einer Jugendgruppe angelegt. Vorher war da Gestrüpp, ich glaube Berberitze. Damit man nicht um das Haus laufen konnte. Jetzt gibt es ganz frisches Gemüse in der Cafeteria.«
»Ich hatte früher auch einen Gemüsegarten. Wenn man es mal raushat, kann man wirklich viel ernten. Aber man muss halt jeden Tag vorbeigehen, das haben Sie ja schon gesagt.«
»Die eigentlichen Arbeiten machen der Gärtner und die Jugendgruppe. Es gibt da diese Öko-AG. Florian hat einen Verein ins Boot geholt, der mit den Jugendlichen verschiedene Programme macht. Sie kochen auch gelegentlich und wollten jetzt Marmelade einkochen. Die verkaufen sie dann beim Tag der offenen Tür.«
»Da muss ich unbedingt vorbeischauen.«
Sie schlenderten weiter bis zum Rosenfreisitz am hinteren Ende.
»Das ist mein Lieblingsplatz. Wenn ich mal meine Ruhe brauche und nachdenken will, komme ich hier- her.«
Lizzy pflückte ein paar welke Blätter ab. Der Garten war nach dem Regen immer noch ein bisschen feucht, deshalb achteten sie darauf, auf den Wegen zu bleiben.
Frau Berger war beeindruckt.
»Jetzt komme ich jeden Tag ins Zentrum und war noch nie im Garten. Ich wusste gar nicht, dass der so groß ist.«
»Der ist verwinkelt, weil das Grundstück ur- sprünglich viel größer war. Das Haus rechts von uns ist irgendwie anders vererbt worden und die Besitzer haben ihren Anteil vom Garten eingezäunt. Darum sieht man das von der Straße aus nicht.«
»Ja, und vom Haus meint man, da steht nur noch das Gartenhaus.«
Lizzy lachte. »Dahinter geht es noch ein ganzes Stück weiter. Das ist im Wesentlichen nur Wiese und Hecke. Die Kids spielen da meistens Volleyball oder so Zeug. Fußball dürfen sie nicht, weil das die Scheiben des Gartenhauses nicht vertragen.«
Sie hatten die Runde fast beendet, da meinte Frau Berger: »Meine liebe Frau Erdmann, so etwas Schönes haben Sie hier.«
»Das ist ja nicht mein Garten. Da dürfen Sie als Mitglied genauso drin spazieren. Und wenn Sie am Gartenabend vorbeikommen, dann können Sie auch mitbestimmen, was hier wächst. Wir sind ja kein Privatunternehmen.«
»Ja, das mache ich. Auf jeden Fall werde ich jetzt immer nach dem Essen zu dem Brunnen gehen. Vielleicht kommt ja wieder ein Vogel zum Baden, das war ja allerliebst.«
»Lassen Sie sich doch einen Stuhl rausstellen. Dann können Sie den ganzen Nachmittag Vögel beobachten. Auf dieser Seite ist es ziemlich ruhig. Am meisten ist schon vor der Terrasse los und bei den Jugendlichen.«
»Ich finde die jungen Leute nicht so schlimm. Da rührt sich wenigstens was. Leider gibt es ein paar Nachbarn bei uns, denen das Jugendhaus ein Dorn im Auge ist. Die regen sich über jedes Lachen am Abend und über jedes Bonbonpapier auf. Das mit dem Stuhl wäre wirklich wundervoll.«
Lizzy hoffte nur, dass sie der Frau keine leeren Versprechungen machte, jetzt, wo das Problem mit dem Dach und Hartmuts Ansagen im Raum standen. Daher war sie erleichtert, als ihnen Mechthild begegnete. Die Meditationslehrerin war wie immer in wallende Kleider gewandet und hatte ihre graue Mähne mit einem Stirnband gebändigt.
Lizzy rief: »Gerade habe ich an dich gedacht. Florian hat mir gesagt, du hättest eventuell eine Spenderin?«
Mechthild begrüßte Frau Berger. Die beiden wohnten seit Jahren in der gleichen Straße. Dann sagte sie:
»Ja, und sie hat auch schon zugesagt. Sie ist gerade dabei, ihr Karma zu reinigen, und da ist so eine großzügige Spende natürlich hilfreich. Sie muss noch mit ihrem Steuerberater klären, wie sie das am besten macht. Grundsätzlich haben wir die Zusage.«
»Das ist ja super. Kann das Zentrum so weiterlaufen wie bisher? Hartmut hat angedeutet, dass sie auch eher ein Kulturhaus will.«
Mechthild schüttelte ungläubig den Kopf. Lizzy hatte den Eindruck, dass sie etwas gegen Hartmuts Gerüchte sagen wollte, ihr aber dann einfiel, dass ja eine Zuhörerin dabeistand. Also sagte sie recht knapp:
»Nein, solange das Zentrum funktioniert, ist alles gut.«
Frau Berger schaltete sich ein: »Ist etwas nicht in Ordnung?«
Lizzy erzählte ihr von dem kaputten Dach. Eigentlich wollte sie dieses Thema nicht ansprechen, um die alte Dame nicht unnötig zu beunruhigen. Aber jetzt war es nicht mehr zu vermeiden.
Lizzy seufzte. »Hoffentlich klappt das. Ich habe schon zu Grace gesagt, dass ich sonst wieder zu meinen Eltern zurückmuss. Und dann wird mich mein Vater mit irgendeinem braven Mann aus der Kirchengemeinde verheiraten.«
Mechthild sah sie an: »Du wirst deine große Liebe finden. Aber wohl nicht in diesem Haus, wir haben wirklich schlechte Energien hier.«
Frau Berger sah sie kritisch an und sagte:
»Ich weiß ja nicht, eigentlich ist es halt ein altes Haus an der Schnittstelle von zwei Welten. Da gibt es einen Haufen Konflikte. Bis jetzt haben Sie das immer noch irgendwie hinbekommen.«
»Glaubt mir, hier sind schlechte Kräfte am Werk, das sagen mir schon die Karten. Und das mit dem Dach, das ist ja quasi wie die Schrift an der Wand.«
»Meinst du nicht, dass du da etwas hinein- interpretierst?«, fragte Lizzy beschwichtigend.
»Lizzy, du bist ein guter Mensch, aber du kannst die Schwingungen nicht spüren. Glaub mir, da ist etwas Großes am Werk.«
Frau Berger rettete die Situation, indem sie Mechthild von den Vögeln im Garten erzählte und wie wichtig das hier doch sei. Und dass sie natürlich auch einen finanziellen Beitrag leisten würde, wenn das nötig wäre.
Mechthild nickte weise und verabschiedete sich mit einer indischen Verbeugung.
Als sie gegangen war, meinte Frau Berger: »Die ist ja eine Nummer für sich. Die war schon als Kind so verschroben. Gut in der Schule, aber immer ein bisschen seltsam. Genau wie ihre Mutter. Die war ein Hippie, bevor sie den Arzt geheiratet hat. Das hat sich wohl vererbt.«
Sie kicherte wie ein kleines Schulmädchen und Lizzy musste lächeln. Frau Berger war wirklich zum Gernhaben.
Doch dann wurde die alte Dame ernst:
»So ganz unrecht hat sie nicht. Es gibt tatsächlich hässliche Dinge hier. Das Zentrum zieht Ungeziefer an, sagte mir letztes Mal ein Nachbar. So einen Ausdruck habe ich das letzte Mal als Kind gehört. Ich hatte gehofft, diese Zeit sei endgültig vorbei.«
Sie seufzte und verabschiedete sich herzlich.
*
Lizzy stieg lächelnd nach oben. Im Jugendstilfenster des Treppenhauses war eine junge Frau mit wallenden Haaren dargestellt. Sie schien aus dem goldenen Fenster heraus zu schweben.
Lizzy nickte ihr zu und meinte: »Es wird wieder Frühling, meine Liebe.«
Vor ihrem Büro wurde sie von Ophelia und Hope überrascht.
»Was macht ihr denn hier?«
»Mami muss noch arbeiten und Michelle ist noch nicht da und Florian hat auch keine Zeit mehr und ich habe dich nicht gefunden, weil du nicht im Büro bist, und dann hat Ophelia zu Mami gesagt, sie passt auf mich auf, aber du kommst ja eh gleich und …«
Lizzy unterbrach den Wortschwall. »Ja, und jetzt bin ich da.«
Sie sperrte ihr Büro auf und ließ die beiden hinein. Hope nahm gleich ihren Lieblingsplatz an Lizzys Besprechungstisch ein und begann zu malen. Lizzy räumte das Malzeug nur noch weg, wenn sie tatsächlich eine Besprechung hatte.
»Sie ist ein sehr braves Kind, auch wenn sie eigensinnig ist.«
Ophelia hatte etwas Liebevolles in der Art, wie sie Hope ansah. Lizzy dachte an das Bewerbungsgespräch.
»Ja, ich mag sie auch super gern. Es ist recht einfach, auf sie aufzupassen. Das sagen die auch im Kindergarten.«
Lizzy sah zu Hope hinüber, aber die war so vertieft, dass sie nicht zuhörte.
»Und du, hast du dich hier schon eingelebt?«
Ophelia lächelte. »Hier sind offenbar alle pflegeleicht. Wie geht das jetzt mit dem Dach weiter?«
»Ich würde ja gern den Speicher ausbauen, weil wir mehr Platz brauchen. Aber das ist erst mal nur ein Traum.«
Ophelia sah sie prüfend an. »Ich habe gehört, du hast den Umbau des Jugendhauses geleitet. Also scheinst du dich doch auszukennen.«
Lizzy schüttelte den Kopf. »Ich habe mich nur um die ganzen Genehmigungen gekümmert. Das hier ist eine andere Hausnummer.«
Sie hatte den Eindruck, dass Ophelia das nur gesagt hatte, um eine angenehme Atmosphäre zu schaffen. Nun, das hatte nur bedingt geklappt.
»Wann wirst du mit der Mädchengruppe starten? Hast du dir da schon etwas überlegt? Ich kann die Stadt nicht mehr länger hinhalten, die steigen mir wegen des Zuschusses schon ständig aufs Dach.«
Ophelia nickte. »Ich weiß schon, deswegen bin ich ja eigentlich hier. Wir werden eine offene Gruppe am Dienstag eröffnen.
Morgen hospitiere ich bei der Freitagsgruppe. Da bin ich wirklich neugierig. Florian sagt, die seien eher schwierig.«
Lizzy nickte. Sie hatten schon ein paar Mal Ärger mit den Jugendlichen und die ehrenamtlichen Betreuer weigerten sich, hier zu helfen.
»Ich denke, wenn wir zu zweit sind, werden sich einige Probleme von allein lösen. Die meisten Kids benötigen doch vor allem Zuwendung.«
Lizzy war beeindruckt. Ophelia nahm die Sache wirklich ernst. Sie war vielleicht doch die richtige Wahl.
Ophelia lächelte, als hätte sie Lizzys Gedanken gelesen.
Bevor eine von beiden etwas sagen konnte, rutschte Hope von ihrem Stuhl und sagte:
»Schau mal, Tante Lizzy, das bist du, wenn du ganz viel arbeitest.«
Die beiden Frauen lachten. Hope hatte eine Person im Büro gezeichnet. Lizzy war an ihrem französischen Zopf gut zu erkennen. Aber so wie Hope es gemalt hatte, wurde sie vom Computer aufgefressen.
Nun, manchmal war das fast so.
*
Am Freitagabend nutzte Lizzy die Gelegenheit, um Ophelia in Aktion zu sehen. Sie betreute in dieser Zeit die Lesungen. Sie hatte Angst, allein durch den Jugendstilpark und das angrenzende Gewerbegebiet zu gehen. Daher wartete sie immer auf Florian.
Lizzy verabschiedete die letzten Teilnehmer des Lesekreises. Dann ging sie ins Jugendhaus hinüber.
Sie hörte die Jugendlichen lachen und rufen. Da war einiges los.
Sie öffnete die Tür in den großen Aufenthaltsraum, der als Jugendcafé genutzt wurde.
Ophelia rief gerade ein paar aufmunternde Worte, nach Lizzys Vermutung auf Arabisch. Das hatte aber nicht in ihrer Bewerbung gestanden.
Der Angesprochene, ein junger Algerier mit einer interessant rasierten Kurzhaarfrisur, ließ drei Bälle balancieren. Er warf sie nicht besonders kunstvoll, aber immerhin blieben sie eine Weile in der Luft.
Als er das zweite Mal seine Kugeln verloren hatte, verbeugte er sich theatralisch unter lautem Applaus und gab sie weiter an ein bleiches Mädchen mit langen, schwarz gefärbten Haaren. Lizzy kannte sie. Darla war psychisch labil und hatte an Magersucht gelitten. Sie würde niemals vor Publikum jonglieren.
Wie erwartet, stand sie nur da und sah panisch abwechselnd auf die Bälle und auf den Boden.
Da flüsterte Ophelia ihr etwas ins Ohr. Darla lächelte schüchtern, warf erst einen Ball nach oben, fing ihn wieder. Nachdem sie das ein paar Mal geübt hatte, wechselte sie die Hand. Dann nahm sie den anderen Ball dazu und warf sie überkreuz. Die Jugendlichen beobachteten die Bälle andächtig, nur wenn es knapp wurde, kam begeistertes Geschrei auf.
Nach einer Weile klatschte Ophelia rhythmisch. Darla war mittlerweile dazu übergegangen, die beiden Bälle in einem Kreis vor ihrem Körper zu werfen, und fiel in den Takt ein. Ophelia warf ihr den dritten Ball zu und auch diesen konnte sie trotz einiger Schwierigkeit in dieser Kreisform halten.
Auch sie bekam einen dicken Applaus und gab die Bälle an den nächsten weiter.
Lizzy konnte nicht glauben, dass Ophelia jeden dazu brachte, zu jonglieren. Es kam kein »Kann ich nicht, ist uncool, wir sind doch nicht im Zirkus.«
Alle machten begeistert und erfolgreich mit.
Sie beobachtete Ophelia, und dann spürte sie es wieder, dieses seltsame Kribbeln. Sehr schwach nur, als wäre es zerstreut und könnte sich nicht entscheiden, was es werden wollte.
Aber es war da.
Sollte man wirklich jemand so Seltsames auf die Jugendlichen loslassen?
Lizzy musste das Zentrum noch aufräumen und absperren.
Sie signalisierte Florian, dass sie sich bereit machte.
Während sie die Stühle im Gruppenraum hochstellte und das Geschirr in die Spülmaschine lud, sann sie darüber nach, was sie da gerade gesehen hatte.
Die Jugendlichen hatten sich seltsam verhalten. Das ganze Machogehabe, die Zeichen der Unsicherheit, alles, was so typisch für eine Jugendgruppe war, waren einer Stimmung der Selbstsicherheit und des allgemeinen Wohlwollens gewichen.
Florian war stiller Zuschauer, was nicht seinem Naturell entsprach. Aber er schien glücklich.
War das Ophelias Werk?
Was hatte es mit diesem Kribbeln auf sich? Es war anders als bei ihren Panikattacken. Aber irgendwie doch gleich. So wie ein Geruch, ein ganz spezieller Duft. Hatte sie sich das jetzt eingebildet? Sie war sich sicher, dass sie etwas gespürt hatte.
Nur was? Warum war es so schwer für Lizzy gewesen, beim Vorstellungsgespräch Kontakt mit Ophelia aufzunehmen? Sie hatte ihr ja nicht einmal die Hand geben können. Je länger sie darüber nachdachte, desto weniger konnte sie unterscheiden, ob es einfach nur Panik war oder doch etwas anderes.
Und wenn sie jetzt verrückt wurde?
Die Therapeutin hatte gemeint, da wäre keine Gefahr.
Sie hörte die Jugendlichen auf dem Weg zur Straße, jetzt klangen sie wieder normal.
Vermutlich hatte sie sich das alles eingebildet. Das passierte ihr öfter, wenn sie zum Beispiel später zu einer Feier kam, hatte sie den Eindruck, mit ihr stimme etwas nicht. Ihre Therapeutin hatte ihr versichert, dass das ganz normal sei. Die anderen waren quasi schon warmgelaufen und sie kam aus der emotionalen Kälte rein.
War das die Erklärung? Sie erinnerte sich an die Feiern in ihrer Studentenzeit. Alle waren fröhlich gewesen, nur sie hatte sich nicht aus der Ecke getraut. Einmal hatte eine Kommilitonin zu ihr an Fasching gesagt, Lizzy müsse sich nicht verkleiden, sie sei ja bereits ein Blümchen, ein Mauerblümchen. Und sie hatte dagestanden und mit einer Attacke gekämpft. Wer weiß, vermutlich hatte Ophelia das gleiche Parfüm wie diese Kameradin.
Lizzy lächelte über sich. Es gab so eine simple Erklärung, sie war nicht komplett verrückt und sah überall Hexen.
Sie sann noch ein bisschen darüber nach, dass es tatsächlich einfacher war, an irgendwelchen Quatsch zu glauben, als sich seine Schwächen einzugestehen.
*
Lizzy wachte nach einer unruhigen Nacht mit Träumen von Hexen und Teufeln auf. Gerade wollte sie sich wieder auf die andere Seite legen, da fiel ihr ein, dass sie die Kindergruppe übernehmen musste.
Sybilles Kind hatte Fieber und Lizzy hatte zugesagt, den Raum herzurichten und das Eintrittsgeld zu kassieren. Die Mütter würden für die Brotzeit und das Programm sorgen.
Hoffentlich wussten die Teilnehmer Bescheid. Lizzy hatte keine Ahnung, was in der Gruppenstunde veranstaltet wurde.
Sie beeilte sich, ins Büro zu kommen, da sie noch schnell ihre E-Mails durchsehen wollte, bevor sie sich um den Gruppenraum kümmerte.
Zehn Minuten vor Beginn des Treffens ging sie hinunter, lüftete und sah nach, ob alles bereit war. Ihr fiel ein, dass sie noch Tee und Kaffee vorbereiten musste.
In der Cafeteria war jedoch bereits eine der Mütter an der Kaffeemaschine.
»Guten Morgen, Lizzy. Sybille hat mich angerufen und gesagt, dass du heute übernimmst. Da hab ich mir gedacht, ich kümmere mich schon mal um die Getränke.«
Lizzy war erleichtert. Barbara hatte öfter hier ausgeholfen, sie kannte die Cafeteria. Ferdinand, ihr zweijähriger Sohn, erschien hinter dem geblümten Rock seiner Mutter. Es stimmte also, Kinder hingen wirklich am Rockzipfel.
»Ich hole noch die Kasse aus der Geschäftsstelle, dann bin ich, glaub ich, bereit.«
Lizzy lief nach oben und holte das Abrechnungsbuch und die Geldkassette. Als sie in den Gruppenraum zurückkam, warteten dort drei weitere Frauen mit ihren Kindern sowie ein junger Mann mit seiner kleinen Tochter, der etwas abseitsstand.
Lizzy atmete tief durch, hoffentlich blamierte sie sich nicht. Sie hatte im Grunde keine Ahnung, wie das hier ablief. Nach dem Kassieren würde sie sich schleunigst verabschieden.
Von den Frauen kam ihr eine vage bekannt vor, den Mann hatte sie noch nie gesehen. Aber die Eltern wussten, wer sie war, daher gab es nur eine lockere Begrüßung und Lizzy quetschte sich mit der Kassette auf den Stuhl hinter den Basteltisch.
Sie sammelte die zwei Euro je Familie ein und vermerkte alles ordentlich im Buch. Offenbar waren es immer die gleichen Personen. Barbara kam herein und stellte die Thermoskannen auf das Regal neben dem Eingang.
Sie sagte: »So, Lizzy, ich glaube, wir sind vollständig. Du kannst jetzt mit dem Begrüßungslied beginnen.«
Eine Hitzewelle flutete über Lizzys Körper. Welches Lied? Was sollte sie singen? Und sie konnte doch überhaupt nicht singen, schon gar nicht vor Leuten. Sie war froh, dass sie bereits saß.
Schweigen bereitete sich aus. Sogar die Kinder waren still und sahen sie erwartungsvoll an. Warum half ihr denn keiner?
Ferdinand zupfte am Ärmel seiner Mutter. Barbara sah erst ihn an und dann Lizzy. Man konnte erkennen, wie bei ihr der Groschen fiel.
»Entschuldige Lizzy, du kennst das ja hier nicht.«
Lizzy atmete laut aus, sie hatte unbewusst die Luft angehalten.
Alle nahmen sich einen Stuhl und setzten sich in einen Kreis. Lizzy zog mühsam den ihren hinter dem Tisch hervor und quetschte sich neben Ferdinand. Sie begannen mit einem kleinen Begrüßungslied, dann durfte sich jedes Kind ein Lied wünschen. Als alle Kinder durch waren, sagte Ferdinand leise zu Lizzy: »Du bist ja ganz allein.«
»Ja, Hope ist im Kindergarten.«
Ferdinand nickte weise und sagte: »Dann musst du dir halt selber was wünschen.«
Lizzy wurde rot. Sie kannte doch gar kein Lied. Sie sah hilflos durch den Raum, bis ihr Blick auf ein Blumenbild fiel. Sie lächelte und sagte: »Können wir die Biene Maja singen?«
Nicht, dass sie den Text zusammenbringen würde. Der Refrain, das ginge sicher.
Zu ihrer Überraschung stimmte der Vater mit einer offenbar ausgebildeten Stimme an. Er beherrschte nicht nur den gesamten Text, er klang auch fast wie Karel Gott. Welche Talente man immer fand.
Lizzy hatte eigentlich vorgehabt, nur die Gebühr zu kassieren und dann wieder in ihr Büro zu gehen. Aber sie erkannte, dass die Gruppe sich nicht allein organisieren würde. Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen und fragte:
»Wie geht es jetzt weiter? Sybille hat erzählt, dass ihr auch Hoppe-Reiter und so spielt.«
Hope hatte ihr eine ganze Reihe von diesen Knie-Reitern beigebracht. Die Kinder kletterten auf die Oberschenkel der Eltern und im Chor wurden wilde Ritte absolviert und fröhliches Gekreische begleitete die gespielten Abstürze.
Plötzlich klingelte das Handy einer Mutter. Diese verzog das Gesicht und sagte: »Es tut mir leid, das ist mein Chef.«
Sie setzte ihre kleine Tochter auf den Boden und stand auf. Dem Kind war anzusehen, dass es das Prozedere schon kannte und wusste, dass Protest zwecklos war. Lizzy tat das Mädchen leid.
»Möchtest du bei mir mitspielen? Dann bin ich auch nicht mehr allein.«
Die Kleine lächelte und ließ sich von Lizzy auf den Schoß heben. Während ihre Mutter draußen telefonierte, lieferten die beiden Schottersteine.
»Erst die Großen, die so stoßen.«
Lizzy machte weite, langsame Bewegungen mit ihren Oberschenkeln und das Kind schwankte hin und her.
»Dann die Kleinen, die Feinen.«
Lizzy lächelte, nun kam der beste Teil. Mit einem Juchzer rief sie: »Und jetzt wird abgeladen.« Und ließ das Kind mit Schwung zwischen ihre Beine in ihre Arme fallen. Die beiden lachten sich an und Lizzy kam sich selbst so unbeschwert wie ein Kind vor.
Aber dann fiel ihr ein, sie war die Leitung und sollte nicht rumblödeln. Die Mutter übernahm das Kind wieder und Lizzy kümmerte sich um die Brotzeit. Sie holte das Geschirr aus dem Schrank und die Eltern nahmen ihre Boxen und Tüten aus der Tasche. Im Nu waren alle um den Tisch versammelt und machten sich über die Kekse und das Obst her, das sie mitgebracht hatten.
Während die Kinder aßen, unterhielten sich die Eltern. Sie sprachen über die Schwierigkeiten, einen Kindergartenplatz zu bekommen und über Chefs, denen Familienprobleme völlig egal waren.
Lizzy kam sich einsam vor. Sie beobachtete die anderen Erwachsenen. Die Kinder waren gerade in einem Alter, in dem sie Laufen und Sprechen lernten. Die Familien waren privilegiert, weil sie es sich leisten konnten, dass jemand auch im zweiten Lebensjahr beim Kind blieb. Dennoch sahen sie müde und überfordert aus.
Sie seufzte. Zum Glück hatte es keiner bemerkt. Als die Gruppe fertig gegessen hatte, nutzte Lizzy die Möglichkeit, mit dem Geschirr in die Cafeteria zu gehen. Die Kinder sollten noch ein bisschen frei spielen und am Schluss wollten sie ein paar Tanzspiele machen.
In der Cafeteria traf sie auf Grace.
»Na, wie gefällt dir die Kindergruppe?«
Lizzy stellte das Tablett auf den Tresen. »Ich bin da die Fehlbesetzung. Entweder fällt mir nichts ein oder ich bin total peinlich.«
Grace grinste. »Da kann man nicht peinlich sein. Das ist eine Babygruppe. Denen ist das doch egal, was du machst.«
Lizzy schüttelte den Kopf. »Aber den Eltern nicht. Was denken die denn von mir? Ich bin hier die Geschäftsführerin und juchze hier rum.«
»Du bist wie ein Auto mit Handbremse«, stellte Grace fest und ging mit dem Tablett nach hinten zur Spülmaschine.
Wie ein Auto mit Handbremse. Was sollte das wieder heißen? Jedes Auto hat eine Handbremse. Trotzdem nahm sie sich vor, nicht an die Reaktion der Eltern zu denken, sondern einfach mitzumachen.
Lizzy war dennoch froh, dass niemand in den Raum kam, als sie gerade einen Zählreim im Kreis hüpfte.
Andererseits machte Mechthild noch viel seltsamere Sachen und keiner schien sich daran zu stören.
Beim Hinausgehen zupfte sie eine der Mütter am Ärmel und sagte: »Vielen Dank, dass Sie das übernommen haben. Es fällt mir so schwer, Kontakte zu knüpfen und wenn die Gruppe ausfällt, bin ich ganz allein.«
Ein warmes Gefühl durchströmte Lizzy. Sie lächelte die Frau an und sagte: »Dafür sind wir doch da.«
*
Es war ein regnerischer Vormittag, als Lizzy das Zentrum aufsperrte. Mechthild hatte letzten Monat ein Ritual an der Tür veranstaltet und einen Kräuterbuschen aufgehängt, um das Haus vor ungünstigen Energien zu schützen. Der Strauß war verdorrt und rieselte auf Lizzy hinab; schließlich fiel er ihr komplett vor die Füße. Sie staubte sich die Brösel von der Jacke und grinste. Die Meditationslehrerin würde darin ein böses Omen sehen.