Kitabı oku: «Mein», sayfa 2

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3

Seine verzweifelte Hoffnung, dass die offensichtlich schwer verletzte Person bald mit dem Hubschrauber abtransportiert und die Autobahn wieder freigegeben würde, schwand nach einem Telefonat. Die aktuellsten Informationen hatten stets seine Kollegen in der Einsatzzentrale parat, die in engem Kontakt mit der Autobahnpolizei standen. Ein Schwerlaster war ins Schleudern geraten, hatte mehrere Autos gerammt, Ladung hatte sich auf der Fahrbahn verteilt, Öl und Benzin waren ausgelaufen. Das volle Programm. Im Augenblick war die Feuerwehr damit beschäftigt, den Fahrer, mehr tot als lebendig, aus dem Führerhaus zu schneiden. Die Arbeit wurde mit einsetzender Dämmerung nicht einfacher.

Wenn es nicht so verdammt kindisch und unmännlich wäre, hätte Linus vor Verzweiflung am liebsten geheult. Warum? Warum nur machte es ihm das Schicksal so schwer? Warum verhinderte es die Erfüllung seines Horoskops? Sein Kopf sank für einige Minuten nach vorne, seine Hände umklammerten das Lenkrad und er schloss die Augen, um sich zu beruhigen und besser nachdenken zu können.

Als der rettende Gedanke sich in seinem Kopf formulierte, brach ihm Schweiß in Handflächen und Rücken aus. Für einen kurzen Augenblick stand sein Körper in Flammen und sein Herz raste wie verrückt. Ruckartig setzte er sich wieder auf.

Es gab vielleicht einen Ausweg, die Situation zu retten! Zwar war dieser Plan ein wenig absurd, aber je mehr er darüber nachdachte, desto konkretere Formen nahm dieser an. Warum eigentlich nicht? Genaugenommen war das sogar eine überaus brillante Idee, bei der nichts schiefgehen konnte. Na ja, fast nichts, außer sich bis auf die Knochen zu blamieren, aber dieses Risiko musste er eingehen. Es war immer noch besser, als seine Herzdame völlig zu versetzen und dem vorzeitigen Aus tatenlos entgegen zu sehen.

Inzwischen stiegen die ersten Autofahrer aus, um sich ein wenig die Füße in der Kälte zu vertreten und mit anderen Fahrern zu sprechen, wohl in der Zuversicht, diese wüssten mehr. Einige rauchten, aber die meisten sprachen hektisch und mit verärgerter Miene in ihr Handy.

Schatz, ich sitz auf der Autobahn fest. Ich komme später … ja ich weiß, ich hab versprochen

Das Ausatmen der Männer war im Scheinwerferlicht als diffuse Wölkchen zu erkennen. Keine einzige Frau hatte ihr Auto verlassen.

Noch einige Wochen, dann würde es um diese Uhrzeit wärmer und heller sein. Die ideale Zeit für eine neue zarte Liebe, die wachsen sollte, wie die Pflanzen im Frühling. Seufzend zückte Linus sein Handy und starrte es an, als müsste es automatisch reagieren.

Okay, jetzt oder nie!

Der nötige Anruf zur Umsetzung seines Planes bereitete ihm Unbehagen. Zuerst musste er noch einen Schluck aus der Mineralwasserflasche trinken, die einsatzbereit in einer Halterung am Armaturenbrett steckte.

Verdammt, auch das noch.

Der letzte Tropfen prickelte seine Kehle hinab, und augenblicklich fühlte er umso mehr Durst. Konnte es noch schlimmer werden?

Nein, unmöglich. Er würde kein einziges Wort herausbekommen. Besser er schrieb Maik.

Hey Alter.

Er hatte den Gedanken noch nicht zu Ende ausgeführt, die Worte noch nicht im Kopf formuliert, die er schreiben wollte, als sein Finger auf das grüne Symbol klickte, durch die Kontaktliste scrollte und wie ferngesteuert auf das gespeicherte Fotoicon seines besten Freundes klickte.

Das Pulsieren in seiner Halsschlagader war ihm noch nie so bewusst geworden wie in diesem Augenblick.

Obwohl Linus zuversichtlich war, dass Maik ihm jeden, absolut jeden Freundschaftsdienst erfüllen und ihn ganz bestimmt nicht im Stich lassen würde, wurde sein Mund bei dem Gedanken, um was er ihn bitten wollte, noch trockener. Ein letzter Blick auf die Uhr: noch eine gute halbe Stunde. War sein Zeitfenster wirklich schon so geschrumpft?

Er brauchte nicht lange zu warten.

Servus Linus, hast schon Feierabend?

Maik hatte sein Handy immer griffbereit, nahm es sogar mit auf die Toilette, und besaß ein zweites in Reserve. Vermutlich würde er Tausend Tode sterben, wenn er auch nur eine Minute von der Welt abgeschnitten wäre.

Fast. Hast du Zeit?

No way. Prog. Morgen?

Oh Shit.

Maiks Abkürzung für Programmieren war gleichzusetzen damit, dass er an der Tastatur klebte. Je herausfordernder die Aufgabe war, desto mehr liebte Maik diese und verbiss sich darin wie ein besessener Terrier. Gäbe es dazwischen nicht die normalen Phasen, wäre ihre Freundschaft wohl längst eingeschlafen.

To late. Please help!!!

Die Antwort ließ nur Sekunden auf sich warten.

Was los?

Na, wenigstens war Maik neugierig und verstand gleich, dass es nicht um ein spontanes Treffen auf ein Bier ging.

Brauch dringend deine Hilfe. Leben oder Tod, tippte Linus.

Die Sekunden bis zu Maiks Antwort schienen ewig zu dauern.

OK, wo und wann?

Also hatte Maik keinen Termindruck. Während seiner Ausbildung zum Mediengestalter hatte sein Freund die Leidenschaft fürs Programmieren entdeckt und war dabei im Laufe der Zeit richtig gut geworden. Vor einem Jahr hatte er seinen Traumjob in einer Webagentur gefunden, die sich auf aufwendige Shoperstellungen spezialisiert hatte, und war seither praktisch mit seinem Computerarbeitsplatz verheiratet. Ein Umstand, den Maiks letzte Beziehung trotz angeblich großer Liebe nicht lange überlebt hatte.

Linus leistete sich ein leichtes Aufatmen. Der erste Schritt war getan, der zweite würde viel schwerer werden. Jetzt musste er Maik nur noch erklären, was er tun sollte.

Aufgabe für Superman.

Auf das Display starrend zuckte Linus zusammen, als der spezifische Klingelton erklang, den er Maik zugeordnet hatte. Offensichtlich war diesem das Hin- und Hergesimse zu umständlich geworden.

»Hier Superman, der Retter der Welt«, meldete sich der Freund mit übertrieben tiefer Stimme.

»Hi, wie geht’s dir, Kumpel?«, presste Linus hervor. »Klasse, dass du Zeit für mich hast.«

Seine Stimme klang nicht so fest wie sonst, sondern eher belegt und unsicher, und Linus hasste sich dafür.

»Was’n los mit dir? Klingst ja schlimm, Alter.«

»Scheiße noch mal, ich stehe im Stau.«

Ein Stück weiter vorne kam Unruhe in die stehenden Autos. Einer der Wagen scherte auf die Standspur aus.

Maik lachte sein lautes jungenhaftes Lachen, mit dem er überall auffiel. »Tolle Neuigkeit, ja und? Ich glaube nicht, dass ich dir da helfen kann. Bist du nicht der Straßenexperte? Oder erwartest du, dass ich dich unterhalte, bis sich der Stau aufgelöst hat. Ehrlich, das …«

»Nein!«, wurde er von Linus rüde unterbrochen, dessen Herzschlag den Brustkorb zu sprengen drohte. »Ich, ich hab ein ernsthaftes Problem. Ich …« Linus spürte, wie sein Kehlkopf beim Schlucken hüpfte. War die Idee, die ihm noch vor Minuten gefallen hatte, wirklich gut und nicht vielleicht ziemlich dämlich? Aber es gab keine Alternative. Es musste sein.

»Maik, ich habe heute ein Date. Aber ich schaff das nicht rechtzeitig.«

»Oh, verstehe. Dann brauchst du echt Hilfe von Superman. Ich schau mal, ob ich ihn irgendwie erreichen kann.«

»Scherze helfen mir gerade nicht weiter«, maulte Linus genervt.

»Mensch, was ist los mit dir? Dann ruf sie halt an, dass du später kommst. Ist doch kein Problem, das wird sie schon verstehen.«

Konnte es noch peinlicher werden?

»Ich – hab keine Telefonnummer von ihr.«

Am anderen Ende war für einen Augenblick nur Stille. Sogar das Klackern auf der Tastatur war eingestellt worden. Maik gehörte zu den wenigen Männern, die voll multitaskingfähig waren. Es war nichts Außergewöhnliches, dass er weitertippte, während er sich mit Linus unterhielt.

Dann ertönte lauteres Lachen. »Willst du mich verarschen? Was für’n Date ist das denn?«

Seine Hand zitterte. Jetzt musste er mit der Wahrheit ans Licht. Tick-tack, die Zeit verrinnt!

»Na ja, so ’ne Art Blind Date über ’ne Partneragentur. Also, wir haben schon ein bisschen gechattet, Persönliches ausgetauscht und so …«

Das Lachen schwoll zu einem Inferno an und dröhnte in Linus’ Ohr.

»Soll das heißen, du …« Maik beruhigte sich ein wenig und prustete nun nur noch leise belustigt in den Hörer. »Du hast dich tatsächlich bei so ’nem Verein angemeldet? Mensch Linus, das hast du doch nicht nötig, die zocken dich doch nur ab.«

Linus traute sich nicht, irgendetwas darauf zu antworten. Er ahnte auch so, was Maik auf jeglichen seiner Gründe erwidern würde: Du siehst gut aus und wenn du dich ein wenig mehr anstrengen würdest, wärst du längst verheiratet.

Als ob das so einfach wäre. Linus unterdrückte ein Seufzen. Genau das war der Kern seines Problems. Ja, er sah gut aus und hatte damit einen Kennenlernbonus in der Frauenwelt.

Und nein, das war kein Garant fürs große Glück.

Denn er hatte bisher jedes Mal den Eindruck gewonnen, die Frauen wollten ihn nur eine Zeitlang als attraktiven Begleiter, vielleicht um ihre Freundinnen neidisch und ihren eigentlichen Wunschmann eifersüchtig zu machen. Gewiss, er war ein Mann zum Herzeigen, wenn er geduscht hatte und ordentlich angezogen war. Aber es war nun mal nicht völlig zu vermeiden, trotz Handschuhen, dass er schmutzig nach Hause kam, mitunter nach Öl und Benzin roch. Bisher hatte das jede abgetörnt. Verständnis für seinen Beruf, mit Arbeitszeiten auch mal an Sonn- oder Feiertagen, hatte nicht eine auf Dauer aufgebracht. Trotzdem liebte Linus seinen Job, diese Möglichkeit, anderen Menschen auf seine Weise zu helfen, und er hätte ihn niemals für eine Frau aufgegeben.

»Und du hast wirklich keine Nummer von ihr?«

Verständlich, dass Maik ihm das nicht abkaufte.

»Wie habt ihr euch denn dann verabredet?«, bohrte dieser weiter. »Per Chat, über die Partnerwebsite.«

»Na also, schreib ihr halt.«

Linus seufzte. Manchmal war sein Freund ein echter Holzklotz. »Hör zu, unser Treffen ist in nicht mal einer halben Stunde. Wenn ich ihr jetzt schreibe, liest sie das vielleicht gar nicht mehr.«

»Und weiter? Wie soll ich dir dabei helfen? Ich hab’s leider noch nicht geschafft, die Uhr zurückzudrehen«, gab Maik zurück, deutlich von dieser Unterhaltung strapaziert.

Jetzt musste er alles auf eine Karte setzen, damit sein Freund die Dringlichkeit seines Anliegens verstand und ihn nicht im Stich ließ.

»Es ist so, dass … also, ich … ich muss da hin, ich meine, ich müsste … mein Horoskop ist eindeutig. Heute treffen Sie die Frau Ihres Lebens. Deshalb …«

Das Klappern der Finger auf der Tastatur setzte wieder ein.

»Ich hab dir schon tausend Mal erklärt, dass du diesen Mist nicht glauben sollst. Das sind Standard-Horoskope, die auf fast jeden Menschen zutreffen. Und überhaupt, wann hattest du vor, mir von deiner Partnersuche zu erzählen?«, schnaubte Maik ungehalten.

Verständlicherweise war sein Freund ein wenig über diese Geheimniskrämerei gekränkt. Normalerweise erzählten sie sich alles. Aber da Linus wusste, was Maik über Partnervermittlungen dachte, hatte er es vorgezogen, dies vorerst für sich zu behalten. Was ihm nicht leicht gefallen war.

»Naja, spätestens wenn ich sie dir das erste Mal vorgestellt hätte, aber jetzt – jetzt ist es ja so, dass du sie sogar noch vor mir kennenlernst. Ich meine, es wäre super, wenn du das für mich tun würdest.«

Endlich war es raus!

Für einen Augenblick war Funkstille, auch das Geräusch auf der Tastatur verstummte wieder. Dann hörte er Maiks lautes Atmen durch den Hörer.

»Sag mal, spinnst du? Hab ich das gerade richtig verstanden? Du willst, dass ich zu deinem Date gehe?«

»Ja genau. Ist ja fast bei dir um die Ecke, also kein großer Umstand. Wir haben uns nämlich im Assado verabredet. Du müsstest allerdings gleich …«

»Drehst du jetzt völlig durch? Wie soll das denn gehen? Die hört mich doch erst gar nicht an … außerdem hab ich noch zu tun.«

Klar, sie hätten rein äußerlich nicht unterschiedlicher sein können. Nur – eigentlich erwartete seine Auserwählte ja gar nicht jemanden von Linus’ Statur …

»Ach komm schon, ist ja nur für ’ne Stunde. Weißt du, Maik, es ist so … Ich meine, ich habe ihr zwar geschrieben, dass ich für die Orangen Engel arbeite. Ganz mit offenen Karten, auch wegen meinen Arbeitszeiten, sonst gibt das später Stress, nach dem Motto: Hätte ich das gewusst … Aber, nun ja, das Foto, weißt du, das man hochladen muss …« Seine Stimme drohte zu versagen und Linus räusperte sich. »Also, um es kurz zu machen: Auf dem Foto bist du zu sehen.« Jetzt war es endlich raus. Sein Herz raste wie verrückt.

Stille.

»Maik? Bist du noch dran?«

»Sag das noch mal!« Der pikierte Unterton war nicht zu überhören. »Du hast wohl nicht alle Tassen im Schrank? Du kannst doch nicht einfach mein Bild … Also, du bist ja ein solcher Vollpfosten!« Ein letztes ungehaltenes Schnauben war zu hören, dann brach die Verbindung plötzlich ab.

Mist, und nun? Es war Maik nicht zu verdenken, dass er diese Neuigkeiten nicht gut hieß. Verzweifelt hieb Linus mit der Faust auf die Hupe. Der Fahrer auf der linken Spur neben ihm zeigte ihm einen Vogel.

Was für ein verkackter Tag!


4

Die Stunde rückte näher und Maureen verfluchte ihre Freundinnen, die ihr das eingebrockt hatten. Es war zwar ganz unterhaltsam, mit einem Wildfremden zu chatten, ihn aber zu treffen, war eine andere Sache. Je häufiger sie darüber nachdachte, desto weniger Lust verspürte sie dazu. Auch wenn ihr das Bild des Mannes inzwischen vertraut erschien und er sympathisch aussah.

Bilder konnten lügen. Informationen konnten lügen. Das Internet war eine Lüge. Und überhaupt: Waren nicht Männer die geborenen Lügner?

Das Telefon klingelte. Mit einem Stoßseufzer nahm Maureen ab. Das Display verriet, dass der Anrufer Denise war.

»Hi, wie geht’s dir? Bist du schon aufgeregt?«

Sie hätte den Mädels nicht verraten sollen, dass ihr Date heute Abend stattfand.

»Ein bisschen«, gab Maureen zu. Am besten wäre sie wohl beraten, ihr Handy bei Verlassen der Wohnung auszuschalten, um nicht genervt zu werden.

»Soll ich dir noch ein paar Tipps verraten? Also ich würde …«

»Danke«, wehrte Maureen lachend ab. »Lieb von dir gemeint, aber ich bin schon erwachsen. Und ich bin auch ein anderer Typ als du, also lass es.«

»Na gut«, sagte Denise und fuhr fort über ihren neuesten Flirt zu schnattern, was Maureen überhaupt nicht interessierte. Denise hatte alle paar Wochen einen Neuen, das konnte niemand ernst nehmen. Davon abgesehen aber war sie eine liebe und äußerst zuverlässige Freundin, wenn man sie mal brauchte.

Nur noch mit halbem Ohr zuhörend rief Maureen das Partnerportal am Bildschirm auf und betrachtete wohl zum hundertsten Mal das Foto. Dem rundlichen Gesicht nach zu urteilen war ihr Datingpartner nicht der Schlankste, aber das würde sie nicht stören. Hauptsache intelligent, liebevoll und gepflegt … Maureen überlegte weitere Charakterzüge, die ihr wichtig waren und auf die sie heute Abend achten wollte. Humor war wichtig, und gute Manieren. Das einzige, was sie so schnell nicht herausfinden würde, waren seine sexuellen Neigungen. Immerhin war Sex ein wesentlicher Bestandteil einer Partnerschaft und wenn sie ehrlich war, vermisste sie dies fast noch mehr als die Anwesenheit eines anderen Menschen, wenn sie abends nach Hause kam. Die körperliche Berührung, angefangen von einem simplen Kuss, einem herzlichen in den Arm nehmen, bis hin zu aufregenden, sinnlichen und erotisierenden Zärtlichkeiten – das war etwas, was ihr fehlte, seit sie sich von Severin getrennt hatte.

»Hörst du mir überhaupt noch zu?«

Shit, ertappt.

»Ähm, also, nimm’s mir nicht übel, aber ich wollte noch unter die Dusche, muss mich noch schminken und weiß auch noch nicht, was ich anziehe.«

Denise lachte. »Sag halt, dass ich dir auf die Nerven gehe und dich aufhalte! Viel Spaß heute Abend!«

Puh, erleichtert legte Maureen auf. Eigentlich war Denise ja doch eine verständnisvolle und liebe Freundin.

Hoffentlich machte sie heute das Richtige. Ein wenig nervös dachte Maureen zurück an vergangene Tage.

Nach Peter hatte es noch einen zweiten Mann in ihrem Leben gegeben. Für kurze Zeit. Severin war ein passabler Liebhaber gewesen, dazu gut aussehend und erfolgreich in seinem Job als angehender Rechtsanwalt. Sie hatten beide auf geistiger Augenhöhe verkehrt, über Politik und Wirtschaft diskutiert, nur in besseren Kreisen verkehrt. Nur leider war Severin nicht treu gewesen, womit Maureen wieder bei der Schlussfolgerung ankam, dass Männer die geborenen Lügner waren. Über Monate war es ihm gelungen, ihr glaubhaft zu erklären, dass er Überstunden machte oder für ein bis zwei Tage auf Dienstreise wäre, bis ein dummer Zufall die Wahrheit ans Licht brachte. Nun erklärte sich auch von alleine, warum er viel zu selten Lust auf Sex hatte.

Als Maureen ihn zur Rede stellte, leugnete er nicht, eine Geliebte zu haben, aber es sei nichts Ernstes, er wolle schon die ganze Zeit über Schluss machen. Morgen, gleich morgen, ganz bestimmt.

Aber da hatte er sich in ihr getäuscht. Maureen gehörte nicht zu den Frauen, die solchen Versprechungen glaubten. Ihr genügte die Enttäuschung, überhaupt betrogen worden zu sein. Nicht mit einem One-Night-Stand, nein, über Wochen, wie ihr sein Online-Kalender verriet, den sie noch in derselben Nacht heimlich durchstöberte. Bisher hatte sie diesen als Severins Privatsphäre betrachtet und war davon ausgegangen, dass der Timer sowieso nur Geschäftstermine enthielt. Aber sie wollte es jetzt genau wissen und stellte fest, das stimmte nicht.

Nach einer durchweinten Nacht verlangte sie von Severin am nächsten Morgen, seine Sachen zu packen und auszuziehen. Es folgte ein unschöner Streit, dann war es vorbei.

Seither lebte sie alleine und manchmal erschien ihr die große Wohnung entsetzlich leer. Wenn sie abends heimkam, stellte sie als erstes das Radio an, um die Stille zu vertreiben. Die Leere in ihrem Bett ließ sich jedoch weder durch einen Vibrator noch durch Masturbation vertreiben. Dies dämpfte nur ihre körperlichen Bedürfnisse, wirklich befriedigt wurden sie davon nicht. Die Berührung von Lippen auf ihrer Haut, das lüsterne Stöhnen des Partners, dies waren Dinge, die sich nicht simulieren ließen.

Es war deshalb sehr lieb, dass ihre Freundinnen sich Sorgen machten und Maureen wieder in einer glücklichen Beziehung sehen wollten, aber würde das funktionieren?

Sich auszuziehen, einander nackt gegenüber zu treten und Sex zu haben war vermutlich nicht so schwer. Aber wie sollte sie ihre Seele wieder einem neuen Partner öffnen, ihn in ihre intimsten Gedanken und Ängste, in ihre Hoffnungen und Träume einbeziehen, mit ihm ihre Zukunft planen?

Sie war kein Angsthase und gewohnt, für sich selbst zu entscheiden und analytisch vorzugehen. Also würde sie genau das auch heute Abend machen.


5

Das war’s dann also. Ein schlechter Tag für die Erfüllung seines Horoskops. Die Unwägbarkeiten des Lebens wie ein ganz gewöhnlicher Stau waren in der Prognose nicht berücksichtigt. Zwar setzte sich die Kolonne gerade wieder in Bewegung, aber seine Zeit war vorbei. Die rötlichen Berge in der Ferne verblassten langsam in der einsetzenden Dämmerung.

Verdammt, warum hatte Maik ihm nicht diesen Gefallen getan, statt sich über ihn lustig zu machen. Linus erinnerte sich gut an ein Dutzend Situationen, in denen er seinem Freund ohne nachzudenken geholfen hatte. Waren best-friends-Beziehungen nicht dafür da, sich gerade in kritischen Momenten zur Seite zu stehen?

Einen tiefen Seufzer von sich gebend streckte Linus sich hinter seinem Lenkrad. Eigentlich müsste er stinksauer auf Maik sein, innerlich toben, wie stur sich dieser stellte. Aber nein, der stille Frust überwog. Zum einen lag es einfach nicht in seiner Mentalität, jemandem böse zu sein. Und zum anderen war ja er selbst derjenige, der die Sache falsch angepackt hatte. Und vielleicht war das Ganze überhaupt eine Schnapsidee gewesen.

Wäre nicht dieses Gesicht, das ihm nicht mehr aus dem Kopf ging. Er musste sie sehen, eher würde er keine Ruhe finden! Aber wie sollte er das anstellen?

Ein lauter Fluch schallte durch den Wagen und er hieb einige Male wütend auf das Lenkrad ein, ehe er sich zusammenriss und sanft das Gaspedal durchdrückte, um in der wieder anrollenden Kolonne mitzuschwimmen.

Ein paar Autolängen vor ihm stand ein weiß-roter Mini mit eingeschalteter Warnblinkanlage auf der Standspur, eine junge Frau in einer dicken Winterjacke wartend dahinter, die Kapuze mit dem flauschigen Pelzkragen tief ins Gesicht gezogen. Der Grund ihrer Panne war aus Linus’ Warte nicht erkennbar, nach einem Unfall sah es eigentlich nicht aus. Aber dass er ihr helfen musste, war glasklar. Nicht nur weil er im Augenblick sowieso nichts Besseres vorhatte und Ablenkung benötigte. Sein Helfersyndrom musste genetisch bedingt sein (sein Vater war Notarzt und seine Mutter Psychotherapeutin) und leitete ihn schon sein ganzes Leben lang.

Sobald Linus sich der Position des liegengebliebenen Wagens genähert hatte, setzte er den Blinker und wechselte auf die rechte Spur, als ihm der nachfolgende Fahrer Platz machte. Vorbei am Mini, reihte er sich vor diesem ein, schnappte sich Schal und Handschuhe, und stieg aus.

Die Fahrerin wirkte sichtlich erleichtert, als sie ihn auf sich zukommen sah. »Sie schickt mir der Himmel«, erklärte sie.

»Das ist bei Engeln so üblich«, erwiderte er augenzwinkernd und sie schenkte ihm ein zustimmendes Lachen. Wie wohl sich diese kleine Geste gerade jetzt anfühlte!

»Ich habe erst vor fünf Minuten angerufen und mich auf eine längere Wartezeit eingestellt. Das ist jetzt purer Zufall, dass Sie der Stau hierher gespült hat, oder?«

»Ja, das kann man so sagen«, entgegnete er und reichte ihr die Hand. »Linus Gruber.«

»Lola Gehrke«, erwiderte sie mit angenehm klingender Stimme und festem Händedruck.

Zweimal LG schoss es Linus kurz durch den Kopf und für einen kurzen Augenblick verspürte er so etwas wie ein schüchternes Kribbeln auf seiner Haut.

»Ich geb’ nur schnell den Kollegen Bescheid, dass ich übernehme, wenn es Ihnen recht ist.«

Sie nickte.

»Wo haben Sie angerufen, Frau Gehrke. Bei den Orangen Engeln?«

»Natürlich«, hauchte sie. »Wo sonst? Wer vertraut denn nicht auf Engel?«

Das Kribbeln wurde wärmer und breitete sich in seinem Körper aus. Seine Augen hingen an dem sinnlichen Lächeln ihres Mundes, der von einem zartrosa Lipgloss glänzte. Die letzten Strahlen der Abendsonne zauberten Reflexe in ihre grünen Katzenaugen und feurige Strähnchen in ihre weinroten, zu einer pfiffigen Hochsteckfrisur gebändigten Locken, als sie nun die Kapuze nach hinten streifte. Ihr Augenaufschlag brachte Linus für einen Augenblick völlig aus dem Konzept. Hatte sie ihm gerade vertraulich zugezwinkert? Du meine Güte, flirtete sie etwa mit ihm?

Blödsinn! Das lag bestimmt daran, dass er so sehr auf dieses Date fixiert war, dass seine Sinne völlig verrückt spielten.

So verlegen hatte Linus sich schon lange nicht mehr gefühlt. Nur mit Mühe gab er sich einen Ruck, schaute auf das Display seines Handys, drückte die Kurzwahl und gab die Information an die Zentrale weiter. Als er es wieder in die Brusttasche stecken wollte, ertönte Maiks spezifische Erkennungsmelodie.

»Sekunde, ich hab’s gleich«, erklärte Linus der jungen Frau und ergänzte geistesgegenwärtig: »Ein Kollege.«

Zu seiner Erleichterung zeigte ihre Miene keine Zeichen von Ungeduld. Im Gegensatz zu ihm hatte sie heute vermutlich nichts mehr vor.

»Also Alter, nochmal zu deinem Anliegen: du willst wirklich, dass ich dahin gehe und dich vertrete?« Statt Spott meinte Linus jetzt pure Neugierde aus Maiks Stimme herauszuhören.

»Ja, sicher«, erwiderte Linus und kehrte zwei Schritte zu seinem Wagen zurück, um ungestörter sprechen zu können. »Du würdest mir wirklich einen Riesengefallen tun. Erklär’ ihr die Situation. Irgendwie. Bitte. Sag ihr, wie leid es mir tut. Das ist zumindest persönlicher als zu schreiben.«

»Na gut, du verrückter Idiot. Ich mach’s. Allerdings musst du mir noch erklären, warum du mein Foto verwendet hast.«

Er macht’s, dachte Linus mit einem Anflug von Euphorie und befürchtete, augenblicklich in Ohnmacht zu fallen. Er sah schon die Schlagzeilen vor seinem geistigen Auge: Oranger Engel fällt auf Standstreifen um … Jetzt reiß dich mal zusammen! Mann oder Memme?

Ein kurzer Blick auf das Display genügte. »Maik, es ist keine Zeit für Erklärungen. Du hast noch genau fünf Minuten.«

Ein gequältes Lachen war zu hören. »Also im Prinzip gar keine Zeit, Umziehen ist da nicht mehr drin.«

Daran hatte Linus überhaupt nicht gedacht. Hoffentlich jagt er ihr keinen Schock ein und trägt nicht ausgerechnet heute eine von seinen schmuddeligen Jeans mit abgetretenem Saum, dazu ein löchriges Shirt mit einem scheußlichen ausgewaschenen Aufdruck.

Die Frage nach Maiks Outfit wagte er nicht zu formulieren. Es war ohnedies schon fast zu spät, um die Situation zu retten.

»Aber dass dir eins klar ist, die Sache mit dem Foto hat noch ein Nachspiel. Von wegen Datenschutz und so. Da bist du mir was schuldig!«, knurrte Maik. »Also, sie erkennt mich, und was ist mit mir? Wie sieht SIE aus? Und wie heißt sie überhaupt?«

Linus’ Mund war so trocken, dass er kaum in der Lage war zu antworten. Maik würde es tun! Der Jubel in seinem Inneren wollte kein Ende nehmen. Er wird es tatsächlich für mich machen! Allen Ungläubigen zum Trotz, sein Horoskop würde sich heute erfüllen!

»Maureen. Sie heißt Maureen. Ich schick dir gleich ihr Foto. Und Maik – danke!«

Die Antwort war ein undefinierbarer Ton zwischen freundlichem Knurren und einer nicht in Worte gefassten Drohung. Dann hatte sein Kumpel aufgelegt.

Linus scrollte schnell durch seine Liste, um die Nachricht mit dem Foto weiterzuleiten. Stunden hatte er damit verbracht, auf dieses Gesicht zu schauen, während sie miteinander gechattet hatten. Wie sich wohl ihre Stimme anhörte? Für heute Abend hatte er sich einen Kuss erhofft, von diesen schön geschwungenen Lippen, oder auch mehr. Noch einmal atmete Linus tief durch, ehe er sich wieder der Autofahrerin zuwandte.

»Tut mir leid, dass Sie warten mussten.« Sein Blick schweifte über den Mini. Nicht ganz neu, aber gut gepflegt, das sah er trotz der wetterbedingten Schmutzpartikel. »Jetzt erzählen Sie mal, Frau …«

»Gehrke, Lola Gehrke«, half sie ihm.

»Okay, Frau Gehrke, was für Probleme macht denn Ihre Knutschkugel?«

Du meine Güte, das hatte er überhaupt nicht sagen wollen! Seine Hormone schienen völlig mit ihm durchzugehen.

Ihr glucksendes Lachen nahm der Situation ein wenig die Peinlichkeit. »Knutschkugel – das hab’ ich ja noch nie gehört! Nun, jedenfalls rollt sie nicht mehr. Plötzlich war der Schwung weg. Der Motor lief, aber – Gaspedal durchtreten half nichts, dann hab’ ich’s gerade noch auf die Standspur geschafft, ehe mein Schätzchen ausgegangen ist.«

Das klang nicht gut. Linus fielen sofort mehrere Möglichkeiten ein, woran es liegen könnte, von denen sich einige leicht, andere hier vor Ort gar nicht beheben ließen. Für einen Mini allerdings eher ungewöhnlich.

»Steigen Sie bitte ein und ziehen Sie den Hebel für die Motorhaube?«

Die junge Frau nickte, ging um den Wagen herum und stieg ein, die Tür ließ sie einen Spalt weit offen.

Immer noch schob sich die Autoschlange an ihnen vorbei, nur hatte das Tempo inzwischen ein wenig zugenommen. Der Stau schien wieder in Fluss zu kommen.

Maik müsste jetzt gerade das Restaurant betreten.

Ein Klacken verkündete das Lösen der Sperre, Linus griff unter die Haube, um diese anzuheben und zu justieren. »Wie viel Benzin ist noch im Tank?«

»Halb voll«, kam die prompte Antwort.

Das also war es nicht. Zwei halbvolle Benzin- und Dieselkanister hatte er für den Notfall immer dabei, auch wenn es nicht allzu oft vorkam, dass jemand wegen eines leeren Tanks liegenblieb.

»Starten Sie mal bitte?«

Es klang jämmerlich. Beim dritten Versuch sprang der Motor zwar an, aber nur, um gleich wieder mit einem kläglichen Röcheln abzusaufen.

»Okay, reicht schon. Ich werde die Batterie Ihres Wagens mal an meine Messeinheit anschließen. Hört sich an, als ob sie leer ist.«

»Aha«, murmelte Gehrke, die wieder ausgestiegen war. »Kann denn das sein? So alt ist die Batterie doch noch gar nicht.«

»Ist nur eine Theorie. Manchmal macht die Winterkälte den Batterien zu schaffen«, erwiderte Linus, während er die Klemmen an der Batterie befestigte. »Ich vermute aber mal, dass Ihr Wagen nachts in einer Garage steht?« So gepflegt wie er trotz der Wetter bedingten Schmutzspritzer aussieht, fügte er im Stillen hinzu.

»Ja, ich hab einen Tiefgaragenstellplatz«, erwiderte sie. »Zum Glück. Sonst müsste ich im Winter jeden Morgen Eis kratzen. Das wäre echt ätzend.«

Linus nickte. Leider bestätigte sich seine Vermutung nicht, dass der Fehler bei der Lichtmaschine zu suchen wäre. In diesem Fall hätte er die Batterie aufgeladen, und seine Kundin hätte vielleicht selbst bis zur nächsten Werkstatt fahren können.

»Wohin müssen Sie denn heute noch?«

»Feldkirchen.«

»Kenne ich gut. Sie wohnen dort?«

»Ja.«

Aha, vermutlich war sie eine von Hunderten, die sich täglich auf dieser Strecke bewegten. Als Engel der Straße war ihm nur allzu bekannt, dass die Staus im Feierabendverkehr zwischen München und Ingolstadt zum Großteil durch Pendler verursacht wurden. Obwohl Linus selbst viel Zeit auf der Straße verbrachte, war er froh, dass er diesem allmorgendlichen und allabendlichen Stress selten ausgesetzt war. Zum Glück gehörte wenigstens die Riesenbaustelle inzwischen der Vergangenheit an, bei der man den Standstreifen zu einer vierten Fahrspur ausgebaut hatte, um den Verkehr etwas zu entzerren. Die Unfallhäufigkeit hatte dies nur unwesentlich herabgesetzt.

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