Kitabı oku: «Stimmen für die Zukunft», sayfa 2
Europas Rolle in der Welt
Die Nachwehen der Finanz- und Schuldenkrise sind noch nicht überwunden, die Folgen der Corona-Pandemie lassen sich noch nicht absehen, der Umgang mit den Nachbarländern ist nicht definiert, die Frage nach der verlängerten Werkbank nicht beantwortet und die Flüchtlingsthematik nicht gelöst. Hinzu kommen hausgemachte Defizite, weil eigene Wertvorstellungen im Zweifel gebeugt werden, der Brexit für Verunsicherung sorgt und Lehren aus der Impfstoffverteilung noch nicht gezogen sind. Ganz zu schweigen von den weiteren Problemen, wenn der Populismus das Konstrukt eines einheitlichen Europas als Ganzes in Frage stellt oder von außen wie innen Erwartungen und Ansprüche formuliert werden. Europa steht derzeit vor etlichen Herausforderungen, welche die Grundfesten des Kontinents und des Zusammenlebens betreffen.
Europa hat immer wieder dramatische Krisen er-, durch- und überlebt. Nicht, indem alles geduldet und ertragen wurde, sondern indem Krisen aufgearbeitet und überwunden wurden. Eine Stärke dabei ist die Vielfältigkeit Europas – und wir Europäerinnen und Europäer müssten stolz auf unseren mannigfaltigen Lebensstil sein, den viele in der Welt bewundern und für erstrebenswert halten. Doch immer mehr Menschen hier schätzen diesen eigenen Lebensstil gering. Es scheint paradox: Einerseits ist Europa und auch die Europäische Union in diesen Zeiten der Globalisierung so groß, so stark, so einflussreich wie nie zuvor. Andererseits wirkt dieser Kontinent innerlich so zaghaft und zerstritten wie selten zuvor: Gemeinsame Regeln der Gemeinschaft werden gebrochen, Solidarität wird nur noch belächelt. Stattdessen werden angebliche nationale Interessen gepriesen.
Doch was ist dieses Europa? Von welcher Rolle, die Europa in der Welt annehmen muss, kann oder sollte, sprechen wir? Ist es an der Zeit, die Rolle des europäischen Hauses neu zu definieren, und bedarf es überhaupt einer neuen Rolle in der Welt? Gibt es ein gemeinsames Verständnis darüber? Braucht es eine tragfähige Vision, um die Rolle Europas in der Welt neu zu bestimmen?
Die Entstehung von Europa, wie wir es kennen
Geografisch bildet Europa gemeinsam mit Asien den Kontinent Eurasien und ist daher »nur« ein Subkontinent – das westliche Fünftel der eurasischen Landmasse. Da eine Abgrenzung zu anderen Kontinenten wie etwa durch das Mittelmeer und den Nordatlantik im Fall von Asien nicht eindeutig möglich ist, standen Kartografen und Politiker immer wieder vor der Frage, welche Länder zum europäischen Kontinent zu zählen sind. Die vage Grenzlinie verläuft entlang des Uralgebirges und -flusses bis zum Kaspischen Meer sowie bis zum Kaukasusgebirge, zum Schwarzen Meer und zum Bosporus. Dieses Europa umfasst zwischen 47 und 49 souveräne Staaten, die ganz oder teilweise innerhalb dieser Grenzen liegen.
Quelle: eigene Darstellung
Doch Europa ist schon lange weitaus mehr als nur ein geografischer Begriff. Geschichtlich ist es geprägt durch die im Zeitalter des Imperialismus aufgebauten Kolonien einzelner Länder, mit denen sie Reichtum erwirtschaften und politischen Einfluss ausüben konnten. Auch die beginnende Industrialisierung ließ Europa und seine Länder zu einem Ort des Wachstums und Wohlstands auf der Welt werden. Doch die häufige Durchsetzung nationaler Interessen führte zu Kriegen, ausgelöst durch europäische Länder und in diesen geführt. Die Rückkehr der Truppen aus allen Teilen der Welt nach dem Ersten Weltkrieg bewirkte, dass sich die Spanische Grippe global ausbreiten konnte und somit weiteres Leid brachte. Nach einigen Jahren des Friedens und Aufbaus folgten Faschismus und der Zweite Weltkrieg, welcher erneut den europäischen Kontinent als einen zentralen Kriegsschauplatz in den Fokus stellte und zu einer weitreichenden Vernichtung von Leben, Ländereien und Rohstoffen führte.
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges spaltete der Kalte Krieg in Verbindung mit der Gründung einer europäischen Wirtschaftsgemeinschaft den Kontinent in ein Ost- und ein Westeuropa. Verbunden damit war der Aufbau von gemeinsamen Regeln einer europäischen Gemeinschaft, die auf Solidarität, wirtschaftlichem Wachstum, demokratischen Grundwerten und der Hoffnung auf Frieden gegründet wurde. Mit der Wiedervereinigung Deutschlands, dem Zerfall des Warschauer Paktes und dem Auseinanderbrechen der Sowjetunion legten sich die Ängste vor einem Erwärmen dieses Krieges.
Die Vision eines gemeinsamen Europa
Europa ist jedoch schon lange weitaus mehr als eine gemeinsame Geschichte – und für seine zukünftige Rolle sollten die Erfahrungen und Lehren der Vergangenheit genutzt werden. Auch die unterschiedlichen Kulturen und Religionen haben zwar in der Vergangenheit – und teils bis heute – zu Konflikten geführt, können nun aber aufgrund zahlreicher gemeinsamer Werte friedlich nebeneinander koexistieren und unseren europäischen Lebensstil bereichern. Vor allem gilt hier die Unantastbarkeit der Menschenwürde als besonders schützenswert und wird als Fundament der Grundrechte erachtet. Auch die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger, ihre Meinung zu äußern, religiöse Zugehörigkeiten zu leben und sich zu versammeln, ohne dabei (staatliche) Verfolgung oder Ablehnung fürchten zu müssen, ist grundlegend für ein europäisches Miteinander. Eine repräsentative Demokratie, Gleichstellung aller Bürgerinnen und Bürger, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte sind weitere Werte und Ziele, die von der Europäischen Union im Vertrag von Lissabon und in der Charta der Grundrechte der EU festgelegt sind.
Europa bedeutet aber auch weitaus mehr als ein gemeinsames Werteverständnis. Spätestens seit Konrad Adenauer und Robert Schuman ist es ein politischer Faktor, hinter dem ein politischer Wille und eine politische Kraft zur Gestaltung stehen. Denn im Laufe der Geschichte haben sich die europäischen Staaten immer wieder zu Verbünden zusammengeschlossen, wie beim Wiener Kongress, dem Europarat, der Europäischen Union oder der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE). Diese dienen dazu, gemeinsame Ziele zu erreichen und Konflikte von Staaten untereinander zu vermeiden, um somit das Leben der Menschen auf dem Kontinent zu verbessern, Frieden zu erhalten und Wohlstand zu fördern.
Daher ist Europa auch eine Idee, eine Vision, ein Zusammenhalt. Und nein, diese Idee ist nicht perfekt und vieles muss besser werden. Doch kann die Antwort darin bestehen, die Eigenständigkeit und das Trennende zu betonen? Wie sollen Frieden, Freiheit und Wohlstand gewahrt werden, wenn in Europa wieder alle ihre eigenen Wege gehen? Und wie soll ein zerstrittenes Europa diese Welt überhaupt noch mitgestalten können? Würde ein solches Europa von den anderen Mächten der Welt noch ernst genommen werden? Denn diese Vision eines gemeinsamen Europa war und ist die Grundlage für Wohlstand und Wachstum.
Quelle: Europäische Kommission: Eurobarometer 89 : Die europäische Bürgerschaft, 03/2018
Einer der europäischen Meilensteine des 21. Jahrhunderts war die Einführung einer gemeinsamen Währung. Sie hat den Handel innerhalb der Eurozone erleichtert und den zuvor geschaffenen Binnenmarkt gestärkt. Freihandelsabkommen mit Staaten(verbünden) überall auf der Welt sorgen dafür, dass nun nicht mehr einzelnen europäischen Ländern, sondern einem gemeinsamen Verbund Bedeutung in der globalen Wirtschaft zukommt.
Zeitgleich bedingt die Digitalisierung eine Beschleunigung und Erleichterung der internationalen Kommunikation und des globalen Handels. Die Welt rückt immer näher zusammen und vor allem junge Generationen haben zahlreiche Chancen, da ihnen beispielsweise bei der Wahl ihres Arbeitsplatzes nicht mehr nur ihr Heimatland, sondern zahlreiche Länder weltweit offenstehen. Welche negativen Effekte jedoch mit einer solch globalen Wirtschaft einhergehen können, zeigte sich am Beispiel der Weltwirtschaftskrise und der anschließenden Eurokrise. Diese haben nicht nur Billionenbeträge verschlungen, sondern auch das Vertrauen und die Hoffnung vieler junger Menschen in die EU geschwächt. Die starke Verschuldung der Mitgliedstaaten engte dabei die politischen Spielräume ein und erforderte gemeinsame Lösungen.
Doch Europa ist auch weitaus mehr als eine Wirtschaftsmacht. Es ist die gemeinsame Suche nach Lösungen für Krisen, die alle europäischen Staaten – manche stärker, manche schwächer – betreffen. So stellt der anhaltende Zuzug von Flüchtlingen spätestens seit dem Ausbruch des Bürgerkrieges in Syrien die Migrations- und Außenpolitik der EU immer wieder vor Herausforderungen. Dabei darf nicht vergessen werden, dass wir in den recht wohlhabenden Ländern nördlich des Mittelmeeres keineswegs die Hauptlast von Flucht und Vertreibung zu spüren bekommen. Vielmehr sind es die Nachbarländer der Krisenherde, in die sich Menschen zunächst vor Krieg, Verfolgung und Verwüstung flüchten. Obwohl zu Beginn des Jahrhunderts die politischen Gräben zwischen Ost- und Westeuropa überwunden schienen, machte die Annexion der Halbinsel Krim durch Russland eine neue EU-Sicherheitspolitik erforderlich. Weiterhin zeichnete sich bei den Europawahlen 2014 ein europaskeptischer Trend ab, der durch einen steigenden Nationalismus in immer mehr Ländern verstärkt wird.
Viele Europäerinnen und Europäer sehen zwar die Demokratie als das beste politische System für ihr Land, doch wachsen die Zweifel an der Leistungsfähigkeit von Politikerinnen und Politikern immer weiter. Auch durch den zunehmenden Einzug populistischer Parteien in die europäischen Parlamente wird die heutige Demokratie immer stärker verändert. Viele Menschen sehen darin mittlerweile eine Gefahr für unsere liberale Demokratie, deren Gelingen stark auf dem Mut zu Kompromissen beruht. Wie können wir also den Zusammenhalt unserer (europäischen) Gesellschaft in Zukunft stärken, um weiterhin die uns bekannten demokratischen und menschlichen Werte zu leben und miteinander zu teilen? Nicht zuletzt der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union wirft die Frage auf, wie sich die Rolle von Europa im Laufe der Zeit entwickeln wird.
Quelle: Eurostat, eigene Berechnungen
Wir sehen also, dass Europa je nach Standpunkt eine unterschiedliche Rolle spielt und nicht einer, sondern bereits aus dem eigenen Verständnis heraus zahlreichen Rollen gerecht werden muss. Dabei ist es an uns, diese zu definieren und zu bestimmen. Doch kein Kontinent kann seine Rolle ohne die Nachbarn und die weltweite Staatengemeinschaft definieren und den Herausforderungen auf Dauer allein begegnen. Kein Land der Welt kann Lösungen im Alleingang erarbeiten. Wir erleben den Aufstieg vieler asiatischer Länder, allen voran China. Zahlreichen Bürgerinnen und Bürgern dieser Länder geht es heute besser. Doch finden wir mit ihnen auch einen gemeinsamen, einen neuen, einen friedlichen Weg des Miteinanders – politisch und wirtschaftlich? Denn wir leben weder in einem europäischen noch in einem amerikanischen und auch nicht in einem asiatischen Jahrhundert. Wir leben in einem globalen Jahrhundert.
Partnerschaft im nahen Umfeld
Zum ersten Mal erleben wir die Gefahren eines globalen Virus mit seinen Auswirkungen auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Corona kennt keine Grenzen. Wir erleben aber auch die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des Virus – über Grenzen, Kontinente, Religionen, Ideologien, Weltanschauungen hinweg. Sollten uns nicht auch zukünftig globale Gefahren verbinden statt trennen? Einen globalen Zusammenhalt haben wir noch nicht erreicht. Die künftige Rolle Europas ist aber auch davon abhängig, wie sie im Umgang mit den anderen Regionen der Welt definiert und wie das Verhältnis von Europa – genauer gesagt das der Europäischen Union – zu den anderen Regionen ausgestaltet wird.
Dazu muss auch gehören, den Status quo der direkten Nachbarländer zu reflektieren. Im Mittelpunkt der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP) stehen Anreize zu rechtsstaatlichen und demokratischen Reformen für die unmittelbaren Nachbarländer im Süden und im Osten. Allerdings entscheiden diese selbst, wie groß ihre Bestrebungen sind, die Beziehung zur EU auf dieser Basis zu entwickeln. Auch eine Vielzahl von Einzelvorhaben sollen die Beziehungen fördern: Programme zur regionalen Zusammenarbeit zwischen den Partnerländern untereinander und der EU sind zum einen die Östliche Partnerschaft (EaP), die im Mai 2009 unter tschechischer EU-Ratspräsidentschaft begründet wurde; zum anderen soll die im Juli 2008 unter französischer EU-Ratspräsidentschaft gegründete Union für den Mittelmeerraum (UfM) eine zentrale Rolle als multilaterales Forum für politischen Dialog und regionale Kooperation spielen. Die EU ist hier vorrangig eine Wirtschaftspartnerin und Vermittlerin gegenüber ihren nahen Nachbarländern. Bei der Formulierung eigener Zielvorstellungen und Interessen gegenüber den Nachbarn hält sich die EU jedoch weitgehend zurück. Allerdings besteht die Gefahr etlicher Einzelvorhaben darin, dass das große Ganze nicht mehr erkannt wird.
Entsprechend muss eine zukünftige Rolle weniger Mikromanagement umfassen, dafür aber mehrere und effizientere große Linien. Dennoch wird man nicht allen Herausforderungen gleichzeitig begegnen können. Vielmehr müssen wir mit den Fragen beginnen, die jetzt wichtig sind: Wie können wir gemeinsam die Außengrenzen schützen? Wie können wir gemeinsam den Frieden außerhalb unserer Grenzen schützen? Sollten wir nicht eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungsstrategie entwickeln?
Internationale Berührungspunkte
Der afrikanische Kontinent ist für Europa einer der wichtigsten außenpolitischen Akteure. Die EU und die Afrikanische Union pflegen seit Jahren enge Beziehungen miteinander, um sich gemeinsam für mehr Sicherheit, Klimaschutz, Investitionen und Bildung einzusetzen. Maßgeblich sind hierbei das Cotonou-Abkommen und die Gemeinsame Strategie Afrika-EU, welche 2007 in Lissabon von europäischen und afrikanischen Staats- und Regierungschefs angenommen wurde. Dabei hat die EU die Rolle der größten ausländischen Investorin eingenommen. Da 60 Prozent der Menschen in Afrika jünger als 25 Jahre sind, sollen vor Ort Arbeitsplätze geschaffen werden. Weiterhin unterstützt die EU afrikanische Länder mittels zahlreicher Missionen bei der Ausbildung von Militär, Polizei sowie Richterinnen und Richtern und bekämpft durch die Mission EU NAVFOR die Piraterie am Horn von Afrika.
Auch im Bereich Klimaschutz ist die EU mit ihren Mitgliedstaaten eine bedeutende Geldgeberin zur Unterstützung von Biodiversität, Umwelt- und Artenschutz sowie erneuerbaren Energien. Da allein im Jahr 2019 Güter im Wert von mehr als 173 Milliarden Euro in die afrikanischen Länder im Mittelmeerraum exportiert wurden, wird ein gemeinsames Freihandelsabkommen angestrebt. Wahrscheinlich die größte Herausforderung betrifft das Bevölkerungswachstum. So ist die Fertilitätsrate in Niger die höchste weltweit und das Durchschnittsalter der Bevölkerung liegt bei knapp 15 Jahren.
Die Rolle Europas wird somit geprägt sein von der schleppenden eigenen demografischen Entwicklung gegenüber einem schnell wachsenden Afrika, dessen Bevölkerung sich noch in diesem Jahrhundert verdoppeln wird. Das kann einen über Jahrzehnte dauernden Migrationsdruck auslösen, der mit unzureichenden Regeln und Institutionen nicht zu bewältigen ist. Wir können davon ausgehen, dass in den kommenden Jahren und Jahrzehnten immer mehr Menschen versuchen werden, den Sehnsuchtsort Europa in der einen oder anderen Form zu erreichen. Hierfür muss sich die Europäische Union Gedanken über eine gemeinsame Grenz- und Migrationspolitik machen. Europa wird sich gemeinsam aufstellen müssen – und zwar nicht, indem nach Schuldigen gesucht und mit Fingern aufeinander gezeigt wird, sondern indem gemeinsame Lösungen entwickelt werden.
Auch im Wechselspiel der transatlantischen Beziehungen zu den USA und Kanada müssen wir die Rolle Europas definieren. Zwar werden auf beiden Seiten des Atlantiks die gleichen Werte von Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit geteilt und die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Alten und der Neuen Welt sind ebenfalls weiterhin beständig. Doch auch der amerikanische Kontinent war in jüngster Zeit nicht geschützt vor dem weltweit keimenden Populismus, Nationalismus und Protektionismus. In den vergangenen Jahren wurde die seit dem Zweiten Weltkrieg sichere Flanke im »Ring of Fire« um Europa zu einem weniger kalkulierbaren Faktor. Auf politischer Ebene belastete unter anderem der Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaabkommen und dem Atomabkommen das Verhältnis.
Auf wirtschaftlicher Ebene hatte die EU mit der Trump-Administration einen vollkommen anderen Handelspartner, als sie es bisher gewohnt war. Dieser stellte die nationalen Interessen der USA in den Vordergrund und erließ Zölle auf europäische Waren. Das seit Jahren gemeinsam geplante Freihandelsabkommen TTIP ist in den Medien und öffentlichen Debatten schon lange nicht mehr präsent. Auch die Erwartung der USA an die europäischen Bündnispartner, stärker in die eigene Verteidigung zu investieren, stellt neue sicherheitspolitische Herausforderungen dar. Im Gegensatz zu den US-amerikanischen sind die kanadischen Beziehungen mit der EU weiterhin stabil. Das zeigt sich unter anderem in dem gemeinsamen Wirtschafts- und Handelsabkommen CETA, das am 30. Oktober 2016 auf dem Gipfeltreffen EU-Kanada unterzeichnet wurde. Doch in jedem Fall gilt, dass Amerika und Europa zusammen sehr viel mehr erreichen und gemeinsamen Werten und Interessen starken Nachdruck verleihen könnten. Dazu muss sich Europa weiterentwickeln und lernen, mehr auf eigenen Füßen zu stehen und Verantwortung zu übernehmen.
Die Beziehungen zwischen Russland und der EU waren in den letzten Jahren stark geprägt durch die Annexion der Krim und den daraus resultierenden Konflikt in der Ostukraine. Die gespaltene Position der EU-Mitgliedstaaten zu Nord Stream 2 zeigt politische Grenzen der eigenen Rolle auf. Auch die russischen Beteiligungen an Bürgerkriegen in Syrien und Libyen erschwerten die politischen Beziehungen. Obwohl Russland und die EU wirtschaftlich eng vernetzt sind – die russische Wirtschaftsleistung hängt stark von den Preisen für Erdöl und Erdgas ab –, hat die Europäische Union gemeinsam mit weiteren westlichen Staaten ihre Sanktionen gegenüber Russland seit 2014 regelmäßig verlängert. Eine hohe Inflationsrate, gesunkene Ölpreise und enorme Kapitalflucht belasten die russische Wirtschaft zusätzlich. Obwohl die Spannungen zwischen Russland und der EU steigen, darf nicht zugelassen werden, dass sich beide voneinander abwenden. Dies zu verhindern, mag mühsam, zeitaufwendig und energieraubend sein, aber es lohnt.
Denn es ist sinnlos, Nachbarländer – und Russland bleibt unser wichtiger Nachbar für Europa – zu isolieren und herauszudrängen. Daher bleibt auch der Dialog über die innere Situation Russlands ein wichtiges Thema. Ohne Russland und seinen Einfluss wird es viel schwieriger, konstruktive Dinge durchzusetzen und Herausforderungen zu bewältigen. Immerhin handelt es sich um ein UN-Sicherheitsratsmitglied mit Vetomacht. Die Rolle Europas wird also von der politischen Realpolitik, aber auch dem Umgang mit wichtigen globalen Playern abhängig sein.
Die Volksrepublik China ist seit Langem eine der wichtigsten Handelspartnerinnen für die Europäische Union. Dabei ist China noch vor den USA das bedeutendste Einfuhrland, in das die EU deutlich weniger Waren exportiert. Dies führt wiederum zu einem europäischen Handelsbilanzdefizit, wohingegen beim Handel mit Dienstleistungen die EU einen Überschuss aufweist. Der bilaterale Außenhandel wird sich wahrscheinlich auch in den nächsten zehn Jahren mit plus 80 Prozent weit dynamischer entwickeln als der Handel mit Amerika (plus 30 %). Europa und China stehen daher vor mehr gemeinsamen Herausforderungen, als sie sich eingestehen. Historisch gesehen haben China und die Europäische Union einen ähnlichen Aufstieg hingelegt – doch benötigte die EU dafür fast 70 Jahre gegenüber China mit nicht einmal 40 Jahren. Besonders die Dynamik und die Öffnung des Welthandels können als stärkende Faktoren gesehen werden. Mittlerweile haben sich enge Partnerschaften in den Bereichen Klimaschutz, Handel, Investitionen und Bildung entwickelt. Allerdings waren die außenpolitischen Beziehungen zwischen der Union und der Volksrepublik im Laufe der Jahre immer wieder sehr ambivalent.
Einerseits gibt es von beiden Seiten Bestrebungen, die wirtschaftlichen Beziehungen auszubauen. Die Verzahnung einer europäischen Seidenstraße mit der bereits bestehenden »Belt and Road«-Initiative Chinas wäre nicht nur für die EU und China gewinnbringend, sondern auch für die dazwischenliegenden Regionen. Andererseits besteht gerade in jüngster Vergangenheit Diskussionsbedarf zu verschiedensten Themen. So sind Chinas Nachbarländer wegen der hegemonialen Kraft des Reichs der Mitte besorgt und fürchten militärische Aufrüstung und regionale Konflikte. Der Fokus fällt dabei immer wieder auf die Lage im Südchinesischen Meer, bei der Uneinigkeit über die Seegrenzen besteht. Auch gibt es zahlreiche Fragen, deren Beantwortung die EU in der Vergangenheit, aber auch heute noch beschäftigt. Wie soll beim Thema »Infrastruktursicherheit« mit chinesischen Firmen umgegangen werden? Wie reagiert die EU auf die Unterdrückung der Demokratiebewegung in Hongkong oder die Vorwürfe zur Verfolgung und Diskriminierung von Uiguren? Was kann getan werden, um europäische Firmen vor Hackerangriffen und Patentrechtsverletzungen zu schützen? Kann die EU im Handelsstreit zwischen China und den USA eine neutrale Position wahren und den Versuchen zur Instrumentalisierung standhalten?
Quelle: Bertelsmann Stiftung 2016 und 2021
Die Europäische Union steht daher vor der großen Herausforderung, eine angemessene Position gegenüber der Volksrepublik zu finden. Es gilt, die Balance zwischen einer Aufrechterhaltung von – politischen und wirtschaftlichen – Beziehungen und der Vertretung eigener Werte zu gewährleisten. Gerade das Vorgehen der chinesischen Regierung in Bezug auf die Corona-Pandemie, welche in China ihren Ursprung hat, dürfte dabei lang anhaltende Folgen für die bilateralen Beziehungen nach sich ziehen.
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