Kitabı oku: «Eva sieht rot», sayfa 3
Und ich habe überlebt, weil ich groß war und gelernt habe stark zu sein.
Und Dawn? Dawn hat schließlich nicht überlebt, deshalb kann ich sie kaum als Beispiel hernehmen.
Was ich meine, ist Folgendes. Vom Denken kriege ich Zahnschmerzen. Und Zahnschmerzen erinnern mich daran, warum ich Kies brauche.
»Wo willst du hin?«, fragte Crystal.
»Keine Ahnung«, sagte ich. »Nirgendwohin.« Ich kann es nicht ausstehen, wenn mich wer beim Denken stört.
»Was macht ihr da drüben?«, fragte die Wirtin. »Soll das so was wie ein Kriegsrat sein?«
»Eva will ihnen Selbstverteidigung beibringen«, sagte Crystal. Was für eine Frechheit.
»Gute Idee«, sagte die Wirtin.
»Saublöde Idee«, sagte der Wirt. »Den Weibern beibringen, wie man Männer vermöbelt! Das find ich überhaupt nicht gut.«
»Man lernt doch nicht, wie man Männer vermöbelt«, sagte Crystal. »Man lernt, was man machen kann, dass man selber nicht vermöbelt wird.«
»Hätte nie gedacht, dass du ein kesser Vater bist, Crystal«, sagt der Wirt. »Dafür sind deine Beine nicht haarig genug, und außerdem bist du viel zu klein.«
»Also, ich finde die Idee gut«, sagte die Wirtin. »Nach allem, was hier passiert ist. Als Frau ist man seines Lebens nicht mehr sicher, wenn man sich bloß eine Zeitung holen geht. Ich melde mich auch für ein paar Stunden an, Crystal.«
»Wozu willst du Selbstverteidigung lernen?«, sagte der Wirt. »Du hast doch mich.«
»Aber immer bist du auch nicht da«, sagte sie. »Und außerdem, wer beschützt mich vor dir, wenn du ausrastest?«
»Das reicht!«, sagte der Wirt. Er zeigte auf Bella, Mandy und Stef, die an ihrem Tisch saßen und auf die Drinks warteten. »Es kommt nicht in Frage, dass du zusammen mit diesem Gesocks einen Kurs machst. Meine Frau gibt sich nicht mit der Sorte Frauen ab. Vielleicht wäre es ja tatsächlich gut, wenn sie lernen, auf sich aufzupassen, was weiß ich. Es ist mir auch egal. Ich bin für sie nicht verantwortlich. Aber für meine Frau. Und ich lasse mir doch durch dich und deine Schnapsideen nicht meinen guten Ruf ruinieren.«
Das Komische an der Sache war, ich hätte ihn am Schlafittchen packen, über die Theke ziehen, ihm ein paar leichte Schläge auf das Knubbelkinn geben, einen Schluck Bier trinken, seiner Frau eins über den Schädel geben und seine Kasse ausrauben können, ohne dafür länger zu brauchen als er für seine kotzblöde Rede. Der Typ? Der hätte nicht mal ’ne Ente vor einer trockenen Brotrinde beschützen können! Seinen guten Ruf konnte er sich meinetwegen sonst wohin schieben.
»Eva!«, sagte Crystal. »Bring die Gläser rüber und halt die Klappe.«
Der Mickerling von Wirt konnte von Glück sagen, dass ich Selbstbeherrschung und mentale Disziplin geübt habe.
Ich brachte die Gläser an unseren Tisch, aber die Klappe hielt ich nicht. »Was du von mir hältst, ist mir scheißegal«, sagte ich zu Bella. »Euer Beruf ist mir scheißegal, und ihr seid mir scheißegal. Aber wenn ihr lernen wollt, euch zu verteidigen, und wenn die Kohle stimmt, dann zeige ich euch, was Sache ist. Ja oder nein, ihr müsst euch entscheiden.«
4
Wir gingen und standen erst mal draußen vor dem Full Moon, auf dem Gehsteig rum. Die Kneipe lag an einer vielbefahrenen Straße, durch die sich stöhnend und ächzend der Verkehr schob.
»Was sollte das übrigens heißen, dass ich kein Einstein werden kann?«, fragte ich Crystal. »Ich kann alles werden, was ich will. Wer ist denn dieser Einstein überhaupt?«
»Niemand«, sagte Crystal. »Ich meinte bloß, dass sich manche Sachen nun mal nicht ändern lassen. Du könntest zum Beispiel nie Schuhgröße 35 tragen, und wenn du dir noch so viel Mühe gibst.«
»Ach so«, sagte ich. Ich hatte schon gedacht, sie wollte mich beleidigen. Dabei war das gar nicht ihre Absicht gewesen.
»Genau«, sagte Bella. »Einstein war ein Kerl mit kleinen Füßen und einem großen …«
»Klappe!«, sagte Crystal.
»Ist mir doch egal, wie groß dem sein Gehänge war«, sagte ich. »Was stehen wir hier eigentlich an der Ecke rum wie die Zeitungsverkäufer?«
»Weil es eine gute Ecke ist«, sagte Mandy. »Die Wagen müssen bremsen, wegen der Ampel da vorne. Wenn man hier steht, können einen die Fahrer schon mal beliebäugeln, und weil sie nicht so viel Tempo draufhaben, können sie halten und einen anquatschen, wenn ihnen danach ist.«
»Das ist eure Masche?«, sagte ich. »Hier rumstehen und auf Autofahrer warten?« Was für eine Art, sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen!
»Manchmal«, sagte Mandy. »Manchmal lernt man die Kerle auch im Pub kennen oder beim Auf- und Abgehen.«
»Ist das die Stelle, wo sie Dawn allegemacht haben?«, fragte ich.
»Kannst du nicht ein bisschen Rücksicht nehmen?«, sagte Bella. »Denkst du eigentlich nie nach, bevor du die Klappe aufreißt?«
»Ist schon gut«, sagte Crystal. »Sie hat es nicht so gemeint. Nein, Eva, das war nicht hier. Ich zeig’s dir.«
»Ich zeig’s ihr schon«, sagte Bella zu Crystal. »Du brauchst nicht mitkommen.«
»Ist schon okay«, sagte Crystal. »Ich will die Stelle ja auch sehen.«
»Also dann«, sagte Bella. »Es läuft so. Du sitzt in der Kneipe. Ein Kerl kommt an deinen Tisch, du stehst auf, und normalerweise folgt er dir dann nach draußen.« Sie ging los, wir trotteten hinterher.
»Dann kommt ihr zu dieser Gasse neben der Kneipe«, sagte sie.
Sie bog in die Gasse ein. Es war ein enger Schlauch. Auf der einen Seite war die Kneipe, auf der anderen Geschäfte. Soweit ich sehen konnte, gab es keine Beleuchtung.
»Manchmal können sie es gar nicht abwarten«, sagte Bella, »und wollen es gleich hier im Stehen erledigen. Sonst …«, sie ging etwa zwanzig Schritte weiter, »… sonst gehen wir hier durch, auf den Parkplatz.«
Ich sagte: »Und das ist die Stelle?«
»Ja«, sagte Bella.
Die Gasse führte an dem Durchbruch in der Mauer vorbei. Sogar bei Tag war es dunkel. Es sah wirklich unheimlich aus. Auch wenn ich nicht gewusst hätte, dass Dawn hier umgebracht worden war, hätte es mich gegruselt. Diese Gasse war gerade breit genug für zwei Personen, dabei stießen sie aber schon mit den Armen und Schultern aneinander. Wir waren im Gänsemarsch gegangen – zuerst Bella, dann Crystal, dann ich und hinter mir Mandy und Stef.
Auf dem ganzen Weg hatte ich Crystals Nacken vor mir gehabt, den kleinen Äffchenkopf auf dem schmalen Hals, und ich konnte mir gut vorstellen, wie ihr jemand den Arm um den dünnen Stängel legte und ihr den Kopf nach hinten drehte. Knacks. Sie hätte nicht die leiseste Chance.
»Aber normalerweise«, sagte Stef, »gehen wir hier durch.«
Hinter dem Mauerdurchbruch kam man auf eine Art Parkplatz. Drei kleinere und ein großer Lastwagen wurden an den Liefereingängen der Geschäfte entladen. Auch einige Pkws standen dort.
»Tagsüber ist es ein Privatparkplatz und eine Lieferzone«, sagte Stef. »Aber nachts kommen alle möglichen Typen her.«
»Wenn man vor der Kneipe zu einem Freier in den Wagen steigt«, sagte Mandy, »erklärt man ihm meistens den Weg hierher. Weil es hier so schön ruhig ist.«
»Es kommt fast nie ein Bulle vorbei«, sagte Stef. »Und man hat nur ein paar Schritte zu laufen, bis man wieder im Full Moon ist«, sagte Mandy.
»Ich halt’s im Kopf nicht aus«, sagte ich. »Der Parkplatz ist ja schon schlimm genug, aber die Gasse ist tödlich. Ihr könntet keinen riskanteren Arbeitsplatz finden, und wenn ihr ein ganzes Jahr suchen würdet.«
Ich drehte mich um. Crystal stand immer noch in der Gasse, als ob sie Wurzeln geschlagen hätte. Sie ist aber auch so was von bescheuert. Sie hätte wissen müssen, dass sie es nicht packt.
»Du fängst doch hoffentlich nicht an zu heulen?«, sagte ich.
»Halt’s Maul!«, sagte Bella. Sie ging zu Crystal hinüber, nahm ihre Hand und führte sie zurück zur Straße.
Wir anderen folgten.
»Du hast ein Herz aus Stein«, sagte Mandy hinter mir.
Was nur bewies, wie blöd sie war. Ich wollte doch bloß helfen, aber bei manchen Leuten reicht eben der Verstand noch nicht mal dazu aus, dankbar zu sein.
Trotzdem behagte es mir nicht, dass ich sie im Nacken hatte. Ich habe nicht gern jemand hinter mir, wenn es so eng ist, dass ich die Fäuste nicht fliegen lassen kann.
Natürlich wäre ich im Notfall mit ihr fertig geworden. Spielend. So ein Fettkloß konnte mir nichts anhaben. Eine Kuh auf der Weide hätte mehr Mumm gehabt als sie.
Nein, das war es nicht. Es war die Gasse – auf beiden Seiten Mauern, und wenn du dich umdrehtest, schrammtest du dir die Ellenbogen. Es war gruselig. Ich hatte das Gefühl, als hätte ich Schmirgelpapier zwischen den Zähnen. Ich hatte Mandy nicht gern hinter mir, also wirbelte ich herum. Urplötzlich. Vor Schreck riss sie ihre Kuhaugen weit auf. Ich legte ihr die Hand unter das Schwabbelkinn und drückte sie mit dem Rücken gegen die Wand.
»Wer hat hier ein Herz aus Stein?«, sagte ich.
Ihr Kopf verschwand in ihrem Hals und ihr Hals zwischen den Schultern. »Nicht«, sagte sie. »Nicht.« Sie wabbelte am ganzen Körper. Und was das Schlimmste war, je mehr sie in sich zusammensackte, desto mehr drückte sie sich an meiner Hand die Luft ab. Sie gurgelte und kollerte wie ein Zwanzigpfundtruthahn. Widerlich.
»Du bist widerlich«, sagte ich und ließ sie los.
Stef stand die ganze Zeit bloß stumm daneben. Sie quiekte nicht mal.
»Du bist genauso widerlich«, sagte ich. Ich war so sauer, dass ich ihr beinahe eine gescheuert hätte. »War das alles?«, fragte ich.
»Was?«, fragte Mandy.
»Nichts«, sagte ich. »Absolut überhaupt gar nichts? Wenn dich jemand am Hals packt? Dann sagst du bloß ›nicht, nicht‹?«
»Ich hatte Angst«, sagte sie.
»Du hattest Angst«, sagte ich. »Dann musst du etwas unternehmen, wenn du Angst hast. Kapierst du das nicht? Wenn du keine Angst hast, okay, dann brauchst du dich auch nicht zu wehren. Aber wenn du Angst hast, musst du, verdammt noch mal, was machen. Scheiße!«
Ich war so wütend, dass ich es nicht länger bei ihnen aushielt. Die Leute, mit denen ich kämpfe, wehren sich. Sie werden nicht einfach schlaff und strangulieren sich selber. Wenn jemand herumwirbeln und mich bei der Kehle packen würde, würde ich …
Als ich auf die Straße kam, ging es mir schon wieder etwas besser. Ich weiß, was ich machen muss, wenn mir einer an die Gurgel geht. Kein Wunder eigentlich. In der Kampfsaison kommt das schließlich zweimal die Woche vor.
Aber wie sollte ich das Margarine-Mandy erklären? Die Frau war ein wandelnder Wurm auf zwei Beinen.
Am meisten wunderte ich mich allerdings darüber, wie eine Frau von ihrer Dimension in einem Auto Sex machen konnte. Das kam mir technisch unmöglich vor. Es waren also nun schon zwei Rätsel: Wie hatte sie es geschafft, so lange zu überleben, und wie trieb sie es in einem Wagen? Bei diesen Gedanken kam mir schon wieder die Galle hoch, und ich beschloss, mir im Full Moon noch ein Gläschen zu genehmigen.
Ich wollte die Kneipe gerade ansteuern, als ich sah, dass Crystal vor dem Eingang mit einem Kerl redete, und die eingebauten Bullensensoren in meinem Kopf schrillten los – pieppiep-piep! Also schlenderte ich lieber in die andere Richtung. Rede nie mit einem Bullen, es sei denn, er hockt dir schon auf dem Schoß und zwingt dich dazu. Da kommt nie was Gutes bei raus.
Ich borgte mir einen Wagen und fuhr zum Studio.
Mr. Deeds stand am Fenster und rauchte einen stinkenden braunen Stumpen. Er sagte: »Ich stelle gerade das Programm für nächste Woche in Lewinsham zusammen. Interessiert?«
Natürlich war ich interessiert. Was für eine Frage.
»Nur weil du wegen deinem Ellenbogen so gejammert hast. Ich dachte, du wärst vielleicht nicht fit.«
Was für ein Dödel! Solchen Schwachsinn gibt er bloß von sich, damit ich mich aufrege. Aber den Gefallen tat ich ihm nicht.
»Ich bin immer fit«, sagte ich.
»Bei euch Weibern weiß man nie«, sagte er. »Ich habe noch nie jemandem getraut, der fünf Tage am Stück blutet und trotzdem nicht stirbt.« Und er fing an zu husten. Hatte sich an seinem eigenen Witz und am Rauch verschluckt. Sollte sich der alte Mistbolzen ruhig die Lunge aus dem Leib husten, dann würde ich sie als Trampolin benutzen. Weiberkram ist auch so schon schlimm genug, ohne dass sich Typen wie Mr. Deeds darüber lustig machen. Ich ging mich umziehen.
Von Weiberkram hatte ich sowieso die Schnauze voll, das kann ich dir flüstern. Nach dem ganzen Ärger mit Crystal und Dawn, Bella und Stef. Und die Frage, wie Mandy es in einem Wagen treiben konnte. Das Einzige, was mich interessiert, ist mein eigener Kram. Den Rest kannst du in der Pfeife rauchen.
Und ich hatte einen Kampf am nächsten Freitag – entweder gegen Gypsy Jo oder gegen Stella Bombshell. Die eine oder die andere. Es gibt einfach nicht genug Catcherinnen, deshalb läuft man sich alle naselang über den Weg. Einmal habe ich gegen eine Frau aus dem Norden gekämpft, die war ’ne Wucht. Aber in London und um London herum gibt es solche Klassefrauen nicht. Wenn ich eines Tages berühmt bin, gehe ich vielleicht nach Amerika. Da drüben finde ich genug gute, starke Gegnerinnen. Das weiß ich aus dem Fernsehen.
Trotzdem, ein Kampf ist immer etwas, worauf du dich freuen kannst. Ich brauche das, oben im Ring stehen, im Scheinwerferlicht herumstolzieren, das Publikum anstacheln. Das ist mein Leben – das tun, was ich am besten kann, und dabei Zuschauer haben. Wie viele von euch Versagern können dasselbe von sich behaupten? Ha? Lasst hören. Wie viele von euch können in dem Käfig aus Licht stehen und Hunderten von Leuten ins Gesicht brüllen: »Schnauze, ihr Penner, ich bin hier oben, im Licht, und ihr sitzt bloß da unten im Dunkeln!« Los, raus damit. Wie viele von euch? So was nenne ich einen befriedigenden Job.
An diesem Nachmittag waren außer mir noch Phil Julio und California Carl im Studio. Ich will dir was über Carl erzählen. Er war schon genauso oft in Kalifornien, wie ich den Prince of Wales getroffen habe, aber er liest Bodybuilding-Magazine. Er denkt, die besten Muskeln gibt es in Amerika. Und er meint, wenn er sich »California« nennt, bleibt von dem Ruhm der Amis auch was an ihm kleben. Er hält sich für einen ganz Schlauen.
Carl trainierte mit den schweren Hanteln. Auf seine Bizepse hält er besonders große Stücke, und wenn der Kerl auch der allerletzte Oberwichser ist, muss ich doch zugeben, dass seine Arme spitze sind.
Im Ring ist er ungefähr genauso gelenkig wie ein Gartenschuppen. Das liegt daran, dass er sich nur für seine Figur interessiert, die er landauf, landab bei Bodybuildingwettbewerben zur Schau stellt.
Er ist ein Wasserstoffblondie, und er gibt ein Vermögen für Grillfeste auf der Sonnenbank aus. Er ist am ganzen Körper rasiert. Ach was, rasiert! Von wegen. Er schmiert sich mit diesen ekeligen, stinkenden Cremes ein, durch die einem die Haare an den Wurzeln abfaulen.
Außerdem ist er ein Hormonochse. Er nimmt Anabolika und ist reizbarer als eine Wildsau mit entzündetem Rüssel.
Die Frauen lieben ihn.
Weil Carl manchmal einen Freund zum Trainieren mitbringt, der fast genauso gut aussieht wie er, denken die anderen Kerle, die mit der schweinischen Phantasie, wie zum Beispiel Gruff Gordon und Pete Carver, er wäre schwul. Aber ich glaube, der Einzige, in den er verliebt ist, ist er selber.
Immerhin nimmt er das Training ernst. Das muss man ihm lassen. Er legt sich schwer ins Zeug.
Und er hat Einfluss auf Flying Phil. Flying Phil Julio, die eine Hälfte eines Vater-und-Sohn-Zweierteams, war immer ein fauler Hund, der seinem Dad drei Viertel der Arbeit überlassen hat. Aber jetzt hat er sich Strähnchen in die Haare machen lassen, steht auf Muskelaufbau und peilt eine Solokarriere an.
Er sollte es lieber nicht übertreiben. Wenn er sich noch mehr Muskeln aufpackt, wird er zu schwer für die Flugnummern, und dann ist er Flying Phil gewesen.
Ich wärmte mich auf der Matte auf, wie ich es von Harsh gelernt hatte. Phil trainierte seine Bauchmuskeln an einem Gerät. Nach einer Weile ging ich rüber, um ihn was zu fragen.
»Was würdest du machen«, sagte ich, »wenn dich ein paar Frauen bitten würden, ihnen Selbstverteidigung beizubringen?«
»Klappe, ich zähle mit«, sagte er.
Aber obwohl Phil, was das Training anging, ein neuer Mensch war, ließ er sich die Gelegenheit zu einer faulen Minute nicht entgehen.
»Selbstverteidigung?«, sagte er. »Weiber? Ich bitte dich, Eva. Ich würde Weibern nie Selbstverteidigung beibringen. Die sind auch so schon schwer genug aufs Kreuz zu legen.«
5
Am nächsten Nachmittag, es war so gegen halb fünf, kam die ganze Truppe ins Studio gestöckelt. Vor Wut wäre ich beinahe aus der Kniebeuge auf die Nase gekippt. Mein Gesicht war so heiß wie ein kochender Suppentopf.
Sie waren vollzählig erschienen – Crystal, Bella, Mandy und Stef, und sie hatten auch noch die beiden anderen angeschleppt, Kath und Lynn. Sie hatten knallenge, knallbunte Gymnastikanzüge und Leggings an und geschminkte Lippen. Ich wäre am liebsten gestorben.
»Achtung«, sagte Gruff Gordon. »Fotzen im Anmarsch, Fotzen im Anmarsch.«
Alle ließen sofort alles stehen und liegen, nur California Carl nicht, der vor dem Spiegel seine waschbrettartigen Bauchmuskeln auf Hochglanz polierte.
»Wo ist Eva?«, fragte Bella, die Fäuste in die Hüften gestemmt, Kinn in die Höhe gereckt. Aber trotz dieser selbstbewussten Pose konnte man sie nicht für voll nehmen. Ihre Haare sahen aus wie ein Haufen Brombeeren.
»Was willst du mit Eva?«, sagte Pete Carver und wanzte sich schon an sie ran.
»Was du brauchst, ist ein richtiger Mann«, sagte Gruff. Die beiden treten immer als Pärchen auf, genau wie die Bullen.
»Da hätte ich schon lieber Hämorrhoiden«, sagte Bella.
»Sie steht auf mich«, sagte Gruff.
»Eva!«, brüllte Mr. Deeds. »Was zum Teufel soll das werden?« Seine Augäpfel kullerten in ihren Höhlen herum, was immer ein schlechtes Zeichen ist.
Ich legte die Hantel weg, blieb aber in der Hocke, um nicht ins Schussfeld zu geraten. Doch leider bin ich nun einmal nicht als Glückspilz geboren.
»Eva bringt uns Selbstverteidigung bei«, sagte Crystal. Sie war die Einzige, die wenigstens annähernd wie ein Mensch aussah. Nur waren die Kerle von den Neonfarben und der Schminke anscheinend so geblendet, dass sie sie überhaupt nicht bemerkten.
Eine von den Weibern, Kath, wie sich später herausstellte, hatte einen Busen, auf dem man Teetassen hätte abstellen können. Gruff Gordon konnte seinen Blick nicht davon lassen. Dafür konnte sie die Hände kaum von California lassen.
»Was für ein Knackarsch«, sagte sie. Weil sie ein Organ hatte, auf das jeder wilde Buchmacher beim Pferderennen stolz gewesen wäre, bekamen wir es alle mit.
»Wehe, du fasst mich an«, sagte California. Was ebenfalls nicht zu überhören war. Es klang nicht gerade freundlich.
»Oh«, sagte sie. »Legst du mich dann etwa übers Knie?«
Sie hatten alle getrunken, bis auf Crystal. Die sagte nur: »Eva, wann fangen wir an?«
Die Tussi, die Lynn hieß, ließ schon ihre Fäustchen und Füßchen fliegen – Pinocchio, der sich über Kung-Fu lustig machte. »Ha!«, quiekte sie. »Ha, ho! Ha!«
In diesem Augenblick sagte Flying Phil: »Selbstverteidigung. Deshalb sind die Weiber hier, Mr. Deeds.« Es hatte zwar ein bisschen gedauert, aber nun war der Groschen doch noch gefallen. »Eva bringt den Torten Selbstverteidigung bei.«
Harsh sagte: »Wie interessant.«
Und Mr. Deeds schoss heißer Dampf aus den Ohren. Er sagte: »Wenn das mal wieder eine von deinen Schnapsideen ist, Eva Wylie …«
Ich stellte die Lauscher auf Durchzug. Von da an lief alles wie im Fernsehen vor mir ab.
Es sah ganz so aus, als ob Bella mit Pete Carver über eine schnelle Nummer im Stehen verhandelte. Stef drehte sich einen Joint. Gruff Gordon grapschte nach Kath. Kath grapschte nach California. California holte zu einem brutalen Schwinger aus, traf aber nicht Kath, sondern Gruffs Brustkorb.
Mandy, die zur Tür flüchten wollte, stolperte über eine Hantel und riss Mr. Deeds mit sich auf die Matte – zwei Fleischklöpse mit Armen und Beinen.
Gruff rammte California den Kopf in die Magengrube.
Harsh ging duschen.
Mir reichte es. Das Studio war voll von Chaoten und Irren, und California spuckte Lynn mit blutigem Schleim an. Ich tat, was ich schon immer tun wollte, solange ich den Kerl kannte – ich versenkte meine Faust in Gruff Gordons Wampe.
Ich weiß auch nicht, warum, ich wollte es einfach. Ich war voll bei der Sache. Das Ziel lag direkt unter Gruffs Rippen. Ich zielte, ließ die rechte Faust fliegen und traf genau ins Schwarze. Wuff! Hätte ich das bei California Carl versucht, hätte ich mir die Hand gebrochen, aber der hat schließlich einen Bauch wie eine Tür. Gruff Gordons Wanst ist so weich wie ein Wäschesack, und meine Knöchel versanken tief in seinem Speck. Hätte ich mehr Kraft in den Schlag angelegt, hätte ich ihm die Nieren kitzeln können – so schlaff waren seine Bauchmuskeln.
Ein Liegestuhl hätte nicht schneller zusammenklappen können. Ich war höchst zufrieden mit mir.
Gruff Gordon meint, Frauen gehören nicht in den Ring. Andauernd nervt er Mr. Deeds, damit er mich aus dem Programm nimmt. Gruff Gordon, der meint, eine Frau gehört mit den Röcken über dem Gesicht rücklings auf den Küchentisch, klappte wie ein Liegestuhl zusammen und lag würgend auf dem Boden.
Es war herrlich. Und wenn du irgendwann die Chance kriegst, jemandem eine reinzuhauen, der dich so lange getriezt hat wie Gruff Gordon mich, wirst du mir recht geben. Darauf kannst du Gift nehmen.
»Was sollte das denn?«, fragte Flying Phil verdattert. »Was hat Gruff dir denn getan?«
Weil ich immer noch ein bisschen überdreht war und keine Lust zum Reden hatte, stieß ich ihn mit der Schulter weg und ging.
Als Nächstes weiß ich nur noch, dass ich in einem Auto auf dem Weg zu meiner Ma war und nasse Haare hatte. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich geduscht habe, aber das muss ich wohl, weil meine Haare nass waren. Ich weiß nicht mehr, ob ich mich umgezogen habe, aber das muss ich wohl auch, weil ich nämlich Jeans und ein Sweatshirt anhatte. Ich weiß nicht mehr, ob ich mir einen Wagen ausgeborgt habe, aber das muss ich wohl, weil ich nämlich in einem gelben Ford Cortina saß, an dessen Innenspiegel ein kleines blaues Püppchen baumelte. Ich weiß nicht, ob ich das Studio verlassen habe, aber das muss ich wohl, weil ich schließlich nicht mehr dort war.
So was hasse ich. Es ist unheimlich. Du bist irgendwo, und plötzlich bist du ganz woanders. Und dazwischen liegt eine Lücke. Ich hasse diese Lücken. Schließlich bestimme immer noch ich. Aber wer bestimmt, wenn ich nichts mitkriege?
Außerdem wollte ich meine Ma gar nicht besuchen. Früher bin ich regelmäßig zu ihr gefahren, aber letztes Jahr hat sie mich tief enttäuscht, was ich ihr bis heute nicht vergessen habe. Sie hat nicht so viel Familiensinn wie ich. Sie könnte uns alle wieder zusammenbringen, aber sie will nicht. Das hat sie noch nie gewollt. Also werde ich sie erst wieder besuchen, wenn sie es sich anders überlegt hat. Vorher nicht.
Früher habe ich geglaubt, sie hätte deshalb nicht so gut für meine Schwester und mich sorgen können, wie sie es gern gewollt hätte, weil sie es selber nicht leicht gehabt hat im Leben. Aber letztes Jahr habe ich erkannt, dass sie es nie gewollt hat – dass sie uns lieber ins Heim gesteckt hat, als uns selber ein Heim zu geben. Uns ein Heim zu geben, das wäre meiner Ma zu anstrengend gewesen.
Ich habe also nicht den leisesten Schimmer, wieso ich auf dem Weg zu ihr war. Da wollte ich nun wirklich nicht hin. Außerdem hatte ich die Nase gestrichen voll von Leuten. Und wenn man von Leuten die Nase voll hat, ist meine Mutter der letzte Mensch, den man sehen will.
Also wendete ich und fuhr nach Hause, zu Ramses und Lineker. Kann sein, dass sie mich nicht besonders mögen, aber wenigstens weiß ich bei ihnen immer, woran ich bin. Und sie tun, was ich ihnen sage, wenn ich sie laut genug anbrülle, was man von Menschen nicht behaupten kann. Dabei dachte ich besonders an fünf Nutten und Crystal, die angesäuselt in meinem Studio aufgekreuzt waren und das totale Chaos angerichtet hatten. Weil sie nicht kapierten, was mir meine Arbeit bedeutet, und weil es ihnen außerdem egal war.
»Okay«, brüllte ich Ramses an. »Platz und Schnauze.« Dann holte ich seine Bürste und striegelte ihn. Ich fing am Hals an, bürstete das Fell gegen den Strich und untersuchte die bläuliche Haut nach Wunden und Flöhen. Dann kämmte ich das Fell über den festen Muskeln vom Schwanzende aus – wenn er einen Schwanz gehabt hätte – Strich für Strich wieder glatt. Zuletzt nahm ich einen nassen Lappen und säuberte ihm das Gesicht und die Ohren, ich wusch jede Falte und Macke an seinem schweren, hässlichen Schädel und tastete die steinharte Narbe rings um seinen Hals ab. Die ganze Zeit verfolgte er mich mit seinem stählernen Blick. Er saß völlig reglos vor mir, aber er ließ mich nicht aus den Augen, und während ich ihn nach Flöhen absuchte, suchte er bei mir nach einem Anzeichen von Schwäche. Er lauert ständig auf einen schwachen Augenblick.
Da kann er warten, bis er schwarz wird, weil ich mir nämlich keine Blöße geben werde.
Dann nahm ich mir Lineker vor, der schlanker und schneller ist als Ramses. Er hat eine lange, schmale Schnauze und kurzes, drahtiges Fell, das wie der Lack eines nagelneuen Autos glänzt. »Halt still, du Haigesicht«, knurrte ich, weil er nicht so geduldig wie Ramses ist. Er hat einen kleineren Kopf und ein kleineres Hirn, und er kann sich nicht so gut konzentrieren. Aber er lässt sich herrlich striegeln.
Die beiden sind meine Werkzeuge, und sein Werkzeug muss man gut in Schuss halten, das wird dir jeder bestätigen können. Ramses und Lineker sind in Topform. Genau wie ich.
»Aber nur so lange, wie du auf der Hut bist«, hörte ich Ramses sagen, und er sah mich mit seinen stählernen Knopfaugen an.
Die Sache mit den Ellenbogen ist die: Wenn sie einmal wehtun, dann tun sie richtig weh. Mein Ellenbogen war wieder angeschwollen. Es musste wohl die Hantel gewesen sein, obwohl ich es im Training gar nicht bemerkt hatte. Aber jetzt konnte ich es nicht mehr übersehen.
Im Hänger setzte ich Wasser auf. Zuerst machte ich mir einen Tee, denn im Leben musst du immer die richtigen Prioritäten setzen. Dann hängte ich den Ellenbogen in eine Schüssel mit heißem Wasser und besah mir den Bluterguss, wo Gypsy Jo mich mit ihrem Stiefel erwischt hatte.
»Heißes Wasser«, sagt Harsh. »Die Venen und Kapillargefäße müssen sich weit öffnen. Die Verletzung muss gut durchblutet werden. Dein Blut muss die Gifte herausspülen.«
Wobei ich an Dawn denken musste, die totgetrampelt worden war. Um ihre Zirkulation wieder in Gang zu bringen, reichte eine Schüssel mit heißem Wasser nicht mehr.
Meine Ma ist mal von einem Macker getreten worden, bis ihre Beine grün und blau waren. Also ist sie in den nächsten Schnapsladen gehinkt, um sich ein paar Flaschen gegen die Schmerzen zu holen. Und den durchgedrehten Macker wollte sie damit auch gleich besänftigen. Aber als sie wieder nach Hause kam, war ihr Freund verduftet, also hat sie sich hingesetzt und ihre Schmerzen allein ersäuft. Aber während sie trank, rauchte sie auch, und je mehr sie rauchte, desto mehr trank sie. Und wie es so geht, wenn man säuft und raucht, dauerte es gar nicht lange, bis sie einnickte und ihr die brennende Zigarette ins Sofa fiel. Erst kokelte die Kippe, dann kokelte das Sofa, und das Polster kokelte ebenfalls. Bald kokelte auch das Kleid meiner Mutter.
Woher ich das weiß? Weil ich’s gerochen habe, daher. Aus dem Schrank unter der Treppe, wo meine Ma meine Schwester und mich jedes Mal eingesperrt hat, wenn sie bumsen oder sich prügeln wollte – oder beides. Sie steckte uns in den Schrank unter der Treppe und drehte den Schlüssel rum, und dann machte sie das, was wir nicht sehen sollten.
Es war dunkel im Schrank. Man baut keine Schränke mit Fenstern. Wir wussten nicht, wie spät es war. Wir saßen schon so lange in dem Schrank. Simone war eingeschlafen. Sie ist immer eingeschlafen, wenn sie Angst hatte. Und sie hatte deshalb Angst, weil wir zwar nicht sehen konnten, was unsere Ma trieb, aber hören. Und wir hörten jeden einzelnen blaugrünen Bluterguss auf den Beinen meiner Ma mit.
Du meinst, Blutergüsse kann man nicht hören? Glaub mir, man kann.
Ich roch den Rauch. Ich war damals noch ziemlich jung und dumm, aber ich wusste immerhin schon, dass Rauch Feuer bedeutet. Ich weckte Simone auf, und wir fingen an zu schreien und zu weinen und an die Schranktür zu hämmern.
Keiner hörte uns. Ma wachte nicht auf, und wir kriegten schon fast keine Luft mehr. Wir waren zu klein, um die Tür aufzubrechen, und zu schwach, um ein Loch in die Treppe über uns zu machen. Also taten wir das, was alle kleinen, schwachen Leute machen – wir schrien und weinten und machten uns in die Hose. Und Ma ist nicht aufgewacht. Wie denn auch? Sie war sternhagelvoll und hatte uns schon vorher total vergessen gehabt.
Siehst du? Um ein Haar hätte es keine Eva gegeben, keine Armour Protection, keine Londoner Killerqueen, und alles nur wegen ein paar Blutergüssen. Wenn du meinst, Blutergüsse könnten nicht töten, liegst du schief. Ich weiß es besser. Genau wie Dawn.
Ich sah mir den Bluterguss an meinem Ellenbogen an und spielte mit dem Gedanken, mir eine Tätowierung machen zu lassen, einen rot-grünen Drachen, der sich an meinem Arm runterschlängelte. Oder rauf. Wie rum wäre es besser? Wenn er den Kopf oben hätte, sähe es aus, als ob er mir auf die Schulter klettern wollte, was in Ordnung ging, solange ich nackte Schultern hatte. Aber wenn ich ein Hemd anhatte, würde es so aussehen, als ob er mir in den Ärmel kroch. Ein Drache mit dem Kopf am Handgelenk würde so aussehen, als ob er sich verdrücken wollte. Ich musste an Ratten denken und an sinkende Schiffe. Ratten. Ich habe noch nie jemanden mit einer Rattentätowierung gesehen, aber vielleicht würden Ratten sogar noch besser zur Londoner Killerqueen passen als Drachen.