Kitabı oku: «Eva sieht rot», sayfa 4
Ich stellte mir einen Kampf vor. Ich, in meinem schwarzen Kostüm, mit drei tätowierten Ratten auf dem linken Arm. Nur auf dem linken. Das hätte mehr Klasse als Tätowierungen auf beiden Armen. Drei Ratten – eine auf dem Deltamuskel, eine auf dem Bizeps und eine auf dem Unterarm. Weil die drei Ratten nicht alle in dieselbe Richtung blicken würden, wäre auch das Problem gelöst, ob sie kamen oder gingen.
Manchmal kommen mir solche Ideen. Ich bin viel kreativer, als die meisten Leute denken.
Mittlerweile war das Wasser kalt geworden, und ich hatte Kohldampf. Aber ich hatte mal wieder nichts eingekauft. Ich würde gern eine Pille erfinden, die du immer dann einwerfen kannst, wenn du vergessen hast, einkaufen zu gehen. Im Magen würde sie auf die Größe einer anständigen Mahlzeit anschwellen und du hättest zwölf Stunden keinen Hunger mehr. Das ist das Blöde mit dem Essen – du musst Massen davon kaufen, wenn du satt werden willst. Und wenn du endlich satt bist, hast du meistens schon zu viel gegessen. Und wenn du zu viel gegessen hast, wirst du dick. Und wenn du dick wirst, beult sich das schwarz Kostüm an den falschen Stellen aus, und das Publikum schmeißt dir noch wüstere Beleidigungen an den Kopf. Wenn es dich zum Beispiel »Kampfschwein« nennt, heißt du dann auf einmal »Kampfschwein mit Saftarsch«. Was nicht sehr schön wäre. Aber ich bin groß und kräftig, und wenn ich nicht genug esse, kriege ich Hunger. Was auch nicht sehr angenehm ist.
Tätowierte Ratten würden alle Blicke auf sich ziehen. Alle würden nur noch auf die Ratten sehen und vergessen, wie groß mein Arsch ist. Obwohl mir mein Arsch eigentlich keine Sorgen macht. Schon eher die Bauchmuskeln. Hängebauchkampfschwein.
Das Leben kann manchmal ganz schön schwierig sein.
Aber es wird nicht leichter dadurch, dass man auf dem Arsch sitzt und den Ellenbogen in eine Schüssel mit kaltem Wasser hängt, also trocknete ich mich ab und ging nach draußen. Ich nahm eine Taschenlampe mit und einen von den großen Hundekuchen, mit denen ich ab und zu Ramses und Lineker verwöhne, und ging los, um den Zaun zu überprüfen.
Ein böser Fehler.
Crystal tauchte wie ein Kobold hinter einem geparkten Auto auf und sagte: »Wo hast du gesteckt, Eva? Ich warte schon seit Stunden.«
»Verpiss dich, du Zwerg«, sagte ich. »Hast du für einen Tag nicht schon genug angerichtet?«
»Wir hätten nicht ins Studio kommen sollen«, sagte sie und kratzte sich den Lockenkopf. »Das war mir sofort klar.«
»Du hast es erfasst«, sagte ich. »Ich will nichts mehr mit euch zu schaffen haben.«
»Wir brauchen einfach eigene Räume«, sagte sie, als ob ich den Mund nicht aufgemacht hätte. »Also habe ich uns Räume besorgt«, sagte sie. »Komm mit und schau sie dir an.«
»Hast du Bohnen in den Ohren?«, sagte ich. »Ihr könnt euch den Job in die Haare schmieren.«
»Was machst du da? Knabberst du einen Hundekuchen?«, fragte sie.
»Quatsch«, sagte ich und schluckte. »Lineker und ich trainieren. Wenn er gehorcht, kriegt er eine Belohnung. Siehst du?« Ich warf Lineker, der mir nachgeschlichen war wie einer läufigen Hündin, die andere Hälfte von dem Hundekuchen hin.
»Ich hätte Lust auf eine Pizza«, sagte Crystal. »Mit einer doppelten Portion Käse und Peperoni. Möchtest du auch eine? Ich lade dich ein.«
»Wo sind die anderen?«, fragte ich misstrauisch.
»Beim Hahnenkampf«, sagte sie.
»Was?«
»Beim Hahnenkampf«, sagte sie. »Die Markthändler und die Kunden aus dem Full Moon veranstalten manchmal Hahnenkämpfe auf dem Parkplatz.«
Wir gingen die Mandala Street rauf. Nichts ist so tot wie ein Straßenmarkt ohne Markt. Die Stände waren über Nacht in irgendwelchen Schuppen untergestellt, in der Gosse lagen kniehoch Salatblätter und durchgeweichte Papiertüten. Es war so ruhig, dass einem die Stille auffiel. Normalerweise herrscht immer Geschrei auf einem Markt, aber nachts stinkt es bloß nach totem Blumenkohl.
»Wo willst du bin?«, sagte Crystal. Sie war vor einer Tür stehen geblieben, aber ich ging weiter.
»In die Pizzeria.«
»Gleich«, sagte sie. »Ich wollte dir doch was zeigen.«
»O nein«, sagte ich. »Ich will den Job nicht. Hörst du überhaupt nicht zu?«
»Wir sind schon da«, sagte sie.
Wir standen vor einem runtergekommenen Laden, dessen Schaufenster mit Brettern vernagelt war und an dem ein Zu-vermieten-Schild hing, das so aussah, als wäre es schon vor der Zeit der Beatles dort angebracht worden.
»Willst du nicht wenigstens mal gucken?«, sagte sie.
»Lass mich in Frieden«, sagte ich. »Ich habe Hunger.«
»Ich auch«, sagte Crystal. »Ich dachte bloß, wir sollten vorher noch die Räumlichkeiten inspizieren.«
»Dann inspizier du mal schön«, sagte ich. »Ich gehe.«
»Ich kann nur blöderweise den Schlüssel nicht finden«, sagte sie. »Es dauert keine Minute, wenn du mir die Tür aufmachst. Danach bestelle ich die größte Pizza aller Zeiten.«
Ich sah mir die Tür an. Ich drückte versuchshalber mit der Schulter dagegen. »Sie ist abgeschlossen«, sagte ich.
»Ja«, sagte sie. »Ich habe den Schlüssel verloren.«
»Du hast doch einen Schlüssel?«, sagte ich. »Das ist doch dein Laden, ja?«
»Wir brauchen eigene Räume«, sagte sie. »Ich fand die Hütte hier sehr geeignet.«
Anscheinend hatten Penner in dem Laden gehaust, bis man ihn leergeräumt und mit Brettern vernagelt hatte. Es sah so aus, als hätte jemand vergeblich versucht, die Tür aufzukriegen.
Ich stemmte mich mit der Schulter dagegen. Sie gab nicht nach. »Such lieber den Schlüssel«, sagte ich. »So kann ich nichts ausrichten.«
»Ich hab eine Brechstange dabei«, sagte sie und fing an, in einer Plastiktüte zu wühlen, die neben dem Eingang stand und wie ein Müllsack aussah.
Es war ein gutes, stabiles Schloss. Sogar mit der Brechstange musste ich meine ganze Kraft einsetzen, bevor die Tür aufsprang.
Es war fast wie früher, wenn Crystal und ich einen Schlafplatz brauchten. Es roch genauso muffig, und es war genauso kalt. In solchen Löchern kommt man sich auch in einer warmen Nacht wie in einem Keller vor.
»Wie in der bösen alten Zeit«, sagte ich und ging hinein.
Crystal blieb hinter mir, und auch das war genau wie früher. Ich bin immer vorneweg gegangen. Nur für den Notfall. Aber wenn bloß noch clevere Ausreden halfen, war immer Crystal die Erste. Sie hatte schon damals ein ziemliches Mundwerk.
»Jede Menge Platz«, sagte Crystal und leuchtete mit ihrer Taschenlampe herum. Der Lichtkreis tanzte über die Wände und die leeren Ecken. »Ich lege einen Teppich rein«, sagte sie. »Und ein paar Matratzen oder so, wie die Matten bei euch im Studio. Siehst du, hier ist es viel besser. Die Mädchen und ich haben nicht so weit zu laufen. Und für dich ist es auch näher.«
»Ohne mich«, sagte ich. »Wie oft muss ich es dir noch verklickern?«
»Und wir wären unter uns«, sagte sie. »Keine dämlichen Kerle, die überall ihre Nase reinstecken und einen rumkommandieren wollen. Bis man sich wie der letzte Mensch vorkommt. Hier wärst du der Boss, Eva. Du hättest dein eigenes, privates Fitnessstudio. Und wir müssten keinem Geld geben außer dir. Der Fettsack heute Morgen hat gesagt, ohne Aufnahmegebühr dürften wir nicht rein. Der alte Geizkragen. Hier dagegen würdest du bestimmen. Und wenn wir uns die Aufnahmegebühr sparen, könntest du mehr für den Unterricht verlangen.«
»Wie viel?«, fragte ich.
»Das ist allein deine Sache«, sagte sie. »Du kannst nehmen, was du willst. Du hast das Sagen. Ich würde das Geld auch für dich einsammeln, wenn es dir zu lästig ist.«
»Vergiss es«, sagte ich. »Um meine Kröten kümmere ich mich schon selber.« Aber mir kam ein Gedanke. »Wie sieht es eigentlich mit der Miete aus?«, sagte ich. »Wer bezahlt die Miete?«
»Die Miete?«, sagte Crystal. »Die lass mal meine Sorge sein. Das ist das Wenigste, was ich tun kann. Wenn ich bloß schon daran gedacht hätte, bevor die arme Dawnie …«
»Und wir brauchen Licht«, sagte ich, bevor sie wieder weinerlich werden konnte. »Die Bretter müssen dranbleiben. Ich will nicht, dass man vom Markt aus reingucken kann.«
»Klar«, sagte sie. »Das will ich auch nicht. Mit dem Licht lass ich mir was einfallen. Hast du immer noch keinen Hunger? Mir hängt der Magen schon in den Kniekehlen.«
»Und die Tür?«, sagte ich. »Die ist hin.«
»Das hätte ich beinahe vergessen«, sagte sie. »Ich habe ein Vorhängeschloss mitgebracht. Damit wir sie provisorisch wieder zusperren können.«
Sie hatte wirklich an alles gedacht, das musste man ihr lassen. Sie hielt die Taschenlampe, während ich das Vorhängeschloss anbrachte, und dann gingen wir endlich Pizza essen.
Sie spendierte mir zwei riesige Pfannenpizzas mit doppelten Portionen Käse und Schinken.
»Weißt du noch?«, sagte sie mit vollem Mund. »Damals, im West End? Als eine kalte Pizza aus dem Papierkorb für uns das höchste der Gefühle war?«
»Nein«, sagte ich. Aber ich erinnerte mich genau. Und eins kann ich dir flüstern, eine heiße Pizza mit weichem, zerlaufenem Käse in der Mitte schlägt jede kalte, angefressene, betonartige Pizza um Längen.
Wenn Crystal ihre sentimentalen fünf Minuten hat, wenn sie zum Beispiel an die alten Zeiten und an die tote Dawn denkt, kann sie ein ziemlicher Jammerlappen sein. Deshalb war ich auch so zufrieden mit mir. Schließlich hatte Crystal, die ach so ausgekochte Type, die jeden übers Ohr haut, mir an ein und demselben Abend mietfreie Übungsräume beschafft und zwei Riesenpizzas spendiert. Also frage ich dich, wer hatte diesmal die Oberhand behalten, hm?
6
»Wo steckt denn das dreckige halbe Dutzend?«, fragte Gruff Gordon. Die übliche Bierfahne vor sich her tragend, kam er ins Studio gewalzt, als ich gerade Schluss machen und duschen gehen wollte. »Wo sind denn die süßen Törtchen?«
»Evas feine Freundinnen«, sagte Pete Carver. »Es war wie Geburtstag – so viele Geschenke zum Auspacken. Was hast du denn heute für eine Überraschung für uns, Eva?«
»Höchstens eine Faust aufs Auge«, sagte ich und wich ein paar Schritte zurück.
»Bei Faust fällt mir was ein«, sagte Gruff Gordon. Seine buschigen Augenbrauen gingen runter, die Schultern kamen hoch und leisteten seinen Ohren Gesellschaft.
Ich verzog mich in die Damendusche. Ich hatte ihnen aus dem Weg gehen wollen. Ich wollte längst trainiert und geduscht haben und schon wieder gegangen sein, wenn sie aus der Kneipe anrollten. Aber auf diese beiden Schwergewichtswichser war eben kein Verlass.
Wenn die eine Frau anbaggern wollten, versuchten sie es wahrscheinlich mit dem Spruch »Hinlegen und Beine breit«. Aber das hätte Bella und ihre Babys wohl nicht sonderlich erschüttert. Und ich konnte auf mich selbst aufpassen – Gruff in die Wampe geboxt zu haben war ein Vergnügen, für das ich gern bereit war zu zahlen. Und wie ich ihn kannte, würde er mich zahlen lassen. Aber ich hatte keine Angst vor ihm. Und ich hatte keine Angst vor Pete. Ich wollte sie bloß nicht sehen. Das ist alles.
Nur zur Information, falls du etwa immer noch denken solltest, ich hätte mich aus Schiss in die Damendusche verdrückt, weil ich aus Gruff Gordon ein Bauchnabelsandwich gemacht hatte und mir ausrechnen konnte, dass er sich dafür revanchieren wollte, will ich dir eins sagen. Die beiden Fettsäcke machen mir kein bisschen Angst. Aber ich hasse sie, und das kann man auch in Großbuchstaben schreiben: ICH HASSE SIE, und ich will dir auch verraten, warum. Sie sind Miesmacher, sie machen alles mies, was mir wichtig ist. Mies und madig. Darum.
Ich bin eine Selfmadefrau. Ich habe mich selbst zu dem gemacht, was ich bin. Vorher war ich ein Nichts. Eine Null. Ich bin stark, weil ich mich selbst stark gemacht habe. Ich habe eine Karriere vor mir, weil ich mich dafür abgerackert habe. Ich habe mich so lange in der Catcherszene rumgetrieben und bin Mr. Deeds so lange auf die Nerven gegangen, bis er mir einen Kampf gegeben hat. Und als ich dann den Fuß in der Tür hatte, habe ich ihn nie mehr weggezogen. Ich habe mehrere Jobs. Ich habe ein Zuhause. Ich habe Hunde, die ich selbst abgerichtet habe. Das alles habe ich ganz allein geschafft, und ich habe mir außerdem einen Namen gemacht. Eines Tages werde ich berühmt sein. Eines Tages werde ich der große Star im Programm sein.
Ich hasse Pete Carver und Gruff Gordon, weil sie mir immer alles madig machen. Miese, fiese Rotzbeutel, die es nicht ertragen können, wenn einer Erfolg hat.
Deshalb habe ich mich in die Damendusche verzogen. Kapiert? Und wenn ich Lust habe, Crystal, Bella, Stef, Mandy, Kath und Lynn Selbstverteidigung beizubringen, dann bringe ich ihnen verdammt noch mal Selbstverteidigung bei. Ist das klar? Mich hält keiner auf, du nicht und die beiden Saftärsche schon gar nicht.
Aber eigentlich konnte ich mir nicht recht vorstellen, wie ich es anfangen sollte. Deshalb fragte ich Harsh um Rat. Harsh kennt sich aus. Der benutzt seinen Kopf nicht nur dazu, Fußbälle zu stoppen.
Auf dem Weg zur U-Bahn holte ich ihn ein.
»Die Sache mit den Frauen ist die, Harsh«, sagte ich. Weil er nicht stehen blieb, musste ich rückwärts gehen. »Die Frauen«, sagte ich, »wollen Selbstverteidigung lernen, aber sie taugen nicht mehr als ein Ersatzteillager. Sie können nicht mal richtig laufen. Es würde fünfzig Jahre dauern, sie in Form zu bringen. Und besonders helle sind sie auch nicht.«
»Nun ja, Eva«, sagte Harsh. »Du solltest dir zunächst drei Fragen stellen. Erstens, weshalb möchtest du deine Zeit damit verbringen? Zweitens, warum wollen die Frauen lernen? Und drittens, was hoffen sie mit den Fertigkeiten, die du sie zu lehren gedenkst, anfangen zu können?«
Wenn er bloß stehen geblieben wäre. Harsh ist ein sehr kluger Kerl, er hat sogar studiert. Er kann gleichzeitig denken, reden und laufen.
»Hör auf, rückwärts zu gehen, Eva«, sagte er.
»Warum?«, sagte ich.
»Weil wir gleich an die U-Bahn-Treppe kommen«, sagte er. »Ich möchte dich nicht wieder hinauftragen müssen, nachdem du hinuntergefallen bist.«
»Oh.«
»Außerdem ist es, von einer spirituellen Warte aus betrachtet, immer besser, wenn man sieht, wohin man geht, da man nur so seine Probleme von der richtigen Seite her angehen kann.«
»Okay, schon klar«, sagte ich. »Also, diese Frauen …«
»Und ich frage mich«, fuhr Harsh fort, »ob die Tatsache, dass du rückwärts gegangen bist, nicht vielleicht symptomatisch ist. Hast du dir schon überlegt, Eva, ob du das Problem womöglich von der falschen Seite her angehst? Warum fragst du in dieser Angelegenheit zum Beispiel mich um Rat? Wäre es nicht besser, sich mit einer Frage, die Frauen betrifft, an eine Frau zu wenden?«
Er ging die U-Bahn-Treppe hinunter, irgendwie schwebend, perfekt ausbalanciert. Ich registriere immer, wie die Leute sich bewegen; Harsh sehe ich ganz besonders gern zu. Aber ich musste galoppieren, um mit ihm Schritt zu halten.
»Gut, Harsh, aber …«, sagte ich.
Er zog sich eine Fahrkarte am Automaten, und nun musste ich mich schnell entscheiden. Unter uns gesagt, gutes Geld für ein kleines Stück Pappe hinzublättern geht mir gegen den Strich. Und noch etwas, wo wir schon mal dabei sind: Ich fahre nicht gern mit der U-Bahn. Davon kriege ich Zahnschmerzen und kalten Schweiß auf dem Kopf.
Ich baute mich zwischen Harsh und der Absperrung auf. »Die Schlampen sind hoffnungslos«, sagte ich. »Wie soll ich solchen Krücken beibringen, wie man kämpft?«
»Darauf wollte ich ja gerade hinaus«, sagte Harsh. Er ging einfach um mich herum. »Du kannst ihnen das Kämpfen nicht beibringen. Vermutlich wollen sie es auch gar nicht lernen. Du denkst, dass das Kämpfen die Fertigkeit ist, die du sie lehren musst, weil es die Fertigkeit ist, die du selbst am besten beherrschst.«
Er ging durch die Absperrung und schwebte auf die Rolltreppe zu.
Ich holte einmal tief Luft und flankte über die Sperre.
»Aber, Harsh«, sagte ich, als ich ihn eingeholt hatte. »Was gibt es denn sonst noch?«
»Außer kämpfen?« Er lachte. Ich bewundere sein Gebiss, ehrlich. Eines Tages, wenn ich genug Geld zusammengekratzt habe, lasse ich mir die Zähne genauso toll herrichten.
Er stand auf der Rolltreppe. Sie rollte, aber wenigstens stand Harsh jetzt still. Ich stand hinter ihm.
Er sagte: »Die meisten Frauen wollen gar nicht lernen, wie man kämpft. Und das nutzen die Männer zu ihrem Vorteil aus.«
»Aber was soll ich denn sonst machen? Wenn sie nicht kämpfen lernen wollen und zu faul sind, sich in Form zu bringen, wenn sie zu Fremden ins Auto steigen oder mit ihnen in dunkle Gassen gehen, wie zum Teufel soll ich ihnen dann helfen?«
»Gar nicht«, sagte er. »Du wirst ihnen nicht helfen können. Du hast keinen Respekt vor dem Problem, und deshalb wirst du es niemals lösen.«
»Respekt?«, sagte ich. Wenn mir irgendein anderer so gekommen wäre, hätte ich mich furchtbar aufgeregt.
»Ein Akt der Phantasie«, sagte Harsh. »Denk an eine dieser Frauen und versetz dich an ihre Stelle. Dann überleg dir, was sie braucht. Sie, Eva. Nicht du.«
Die Rolltreppe setzte Harsh sanft unten ab, aber mir versuchte sie ein Bein zu stellen.
»Ich?«, sagte ich. »Ich soll wie so eine Schlampe denken?«
»Bitte schrei nicht so, Eva«, sagte Harsh. »Nein, vielleicht ist das tatsächlich nicht möglich. Wenn es möglich wäre, würdest du nicht solche schmutzigen Ausdrücke für sie benutzen.«
»Es ist ein dreckiger Job«, sagte ich. Von solchen Sachen hat Harsh keine Ahnung.
Das ist das Problem mit Harsh, er ist ein viel zu edler Mensch. Ein paar Runden mit Bella hätten ihn bestimmt kuriert. Ich versuchte mir das vorzustellen, aber irgendwie reichte meine Phantasie auch dazu nicht aus.
Er stand auf dem Bahnsteig, die Sporttasche ordentlich über der Schulter. Was er auch macht, es sieht immer perfekt aus. So gut wie alles, was ich über meinen Sport, über Ernährung, Körperpflege und Selbstdisziplin weiß, habe ich von ihm gelernt. Und nicht, weil er mein Lehrer wäre. Nein, weil er so perfekt ist, dass ich ihn nachmache. Oder ihn um Rat frage. Er macht sich nicht über mich lustig, wenn ich mal was nicht weiß. Er sagt nie: »Was, das weißt du nicht, Eva? Ich dachte, das wüsste jeder«, in einem so herablassenden Ton, dass du dir wünschst, du hättest nie gefragt.
Ich gebe zu, ich bin nicht allwissend. Aber wer ist das schon? Und nur weil ich ein paar Sachen nicht weiß, bin ich noch lange nicht schwachsinnig. Oder? Das will ich jedenfalls nicht hoffen, denn dann wären alle Leute schwachsinnig.
Die meisten Leute geben dir das Gefühl, schwachsinnig zu sein, nur wenn du einmal etwas nicht weißt. Aber Harsh nicht. Vielleicht liegt das daran, dass er nicht von hier ist. Womöglich sind sie da, wo er herkommt, höflicher im Umgang mit Menschen, die nicht alles wissen.
Deshalb macht es mir nichts aus, Harsh zu fragen. Und wenn er Zeit hat, gibt er mir immer eine Antwort. Aber manchmal versteht er das Problem nicht. Und manchmal verstehe ich die Antwort nicht. Davon abgesehen, kommen wir prima miteinander aus.
Wir standen auf dem Bahnsteig in dem staubigen Wind, und nach einer Weile sagte er: »Hast du schon mal an Alarmgeräte für die Handtasche gedacht?«
»Nein.« Ich dachte darüber nach. Typisch Harsh, das Problem von hintenrum anzugehen. Ich sagte: »Du meinst, ich soll sie aufrüsten? Mit Alarmgeräten, Tränengas, Schnappmessern, Schlagringen?« Das war eine gute Idee.
»Nein«, sagte er. »Ich meinte keine Schnappmesser und Schlagringe. Jemandem, den man das Kämpfen nicht lehren kann, darf man auf keinen Fall eine Waffe in die Hand geben.«
»Was dann?« Mir prickelte die Kopfhaut. Im Tunnel donnerte es, und die Kabel sangen. Der Zug kam. Harsh würde einsteigen. Und ich wollte nicht mitfahren.
»Eva«, sagte er. »Um sich verteidigen zu können, muss man auf einen Angriff vorbereitet sein. Man muss die eigenen Schwächen kennen und dafür sorgen, dass niemand sie sich zunutze machen kann. Eine Frau, die allein ist, stellt ein leichtes Angriffsziel dar, und deshalb …«
Aber da kam ratternd und brüllend der Zug aus dem Tunnel geschossen, und ich konnte ihn nicht mehr verstehen. Der Zug hielt an. Die Türen gingen auf. Harsh stieg ein und sagte: »Das ist der Punkt, an dem du ansetzen solltest.«
»Was?«, schrie ich. »Harsh, an was für einem Punkt soll ich ansetzen?«
Die Türen gingen zu, und der Zug nahm Harsh mit, noch tiefer unter die Erde.
»Scheiße!«, sagte ich. »Gottverfluchte Scheiße. Dass sie ›ein leichtes Angriffsziel‹ sind, weiß ich selber. Deshalb habe ich ja gerade gefragt.«
Harsh hatte etwas Geniales von sich gegeben, und ich hatte es nicht gehört. Jetzt war sein Geheimnis im Tunnel verschwunden. Typisch.
Das ist die Geschichte meines Lebens – die wichtigen Sachen verschwinden in irgendeinem Loch. Ich hasse die U-Bahn. Sie ist wie ein Abwasserkanal für Menschen. Du wirst hineingequetscht und einen Tunnel hinuntergespült. Unter die Erde. Du kannst dich nicht bewegen, du schwitzt, und über dir liegen Tonnen von Steinen, Erde und Würmern. Du kannst nicht raus. Was, wenn es plötzlich ein Feuer oder eine Überschwemmung gibt? Wenn der Tunnel einbricht? Die Kanalisation kracht in dieser Gegend schließlich auch dauernd ein, wieso sollten also die Tunnel stabiler sein?
Ich bin auf alle möglichen Notfälle vorbereitet. Wusstest du, dass ich immer eine Überlebensausrüstung mit mir herumschleppe? Ich habe alles Nötige dabei. Ich kann Wasser aufbereiten, Feuer machen, Holz oder Metall sägen. Ich habe ein Messer und eine Bola, für die Jagd oder zur Verteidigung. Diese Sachen bewahre ich in einer Bonbondose auf. Früher hatte ich nur eine Tabakdose, aber ich musste expandieren. Die Dose trage ich in meinem Rucksack mit mir rum.
Die Idee habe ich aus einem SAS Survival-Handbuch. Das solltest du dir auch zulegen, wenn du auf das Schlimmste gefasst sein willst. In den hinteren Kapiteln geht es sogar um Tornados, Vulkanausbrüche und Atomexplosionen. Es ist also ein ziemlich nützliches Buch. Aber nicht einmal dem SAS ist etwas dazu eingefallen, was du machen sollst, wenn du in der U-Bahn sitzt und plötzlich der Tunnel einbricht. Diese Katastrophe haben sie ausgelassen. Davor versuche ich mich zu schützen, indem ich nie mit der U-Bahn fahre. Denn auch wenn du so gut gerüstet bist wie ich, kannst du mit einer Tonne Steine auf dem Buckel nicht mehr viel ausrichten.
Als ich wieder an der frischen Luft war und es mir schon besser ging, kam mir plötzlich Flying Phil entgegen. Ich wollte einfach an ihm vorbeigehen, aber er sagte: »He, Eva. Wart mal ’ne Sekunde, ja? Mir ist da was eingefallen.«
Also blieb ich stehen.
Er sagte: »Hör mal, Eva, das mit der Selbstverteidigung für die Mädels kannst du vergessen. Da wird nie was draus. Was du brauchst, sind tragbare Telefone. Verstehst du? Jede kriegt ihr eigenes Handy. Dann kann sie im Notfall Hilfe rufen.«
»Klar«, sagte ich. »Erst muss sie sich an die Nummer erinnern, dann wählt sie, und während sie dabei ist, schlägt ihr irgendein Irrer gemütlich die Birne zu Brei.«
»Mit dem Telefon könnte sie auch Termine mit ihren Freiern ausmachen. Ein Telefon, zwei Funktionen. Clever, was? Du solltest es den Mädels vorschlagen. So können sie zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Geld verdienen und ihr Leben retten.«
»Pass bloß auf, dass dich nicht gleich einer mit der Klappe schlägt.«
»Ich hab nämlich einen Kumpel«, sagte Phil, »der hat einen Haufen von den Dingern rumliegen. Dir würde er bestimmt einen Sonderpreis machen.«
»Jetzt verzieh dich endlich«, sagte ich.
Aber er hatte die Ohren auf Durchzug gestellt. Kerle, die einem was verkaufen wollen, hören nie zu. Ich ließ ihn stehen.
»Überleg’s dir«, schrie Phil. »Eines Tages wirst du mir noch dankbar sein.«
Dankbar! Ich wäre ihm dankbar, wenn er seinen Kolben nicht in meine Angelegenheiten stecken würde. Ich wäre ihm dankbar, wenn er sich seine Gehörgänge mal auspumpen lassen würde, allerdings würde dabei wahrscheinlich auch noch seine einzige funktionierende Gehirnzelle draufgehen.
Wieso kann mich kein Mensch in Frieden lassen?
Ich kann Menschen nicht leiden. Immer wollen sie was von dir. Immer enttäuschen sie dich. Wenn ich kann, denke ich nicht an sie, aber einfach ist das nicht. Sie sind ständig da und brummen um dich rum wie die Fliegen um einen Haufen Hundescheiße. Manchmal hätte ich gern eine riesige Fliegenklatsche, um sie alle zu erschlagen – nur um ein bisschen mehr Luft zum Denken zu haben.
Ich mag Hunde lieber als Menschen. Hunde reden nicht. Sie sagen nichts, was du nicht verstehst. Sie versuchen nicht, dir tragbare Telefone anzudrehen. Sie machen dir nicht alles mies und trampeln auch nicht auf deinem Selbstvertrauen rum, bis es kaputt ist. Du sagst einem Hund, was er machen soll, und er macht es. Er steht nicht erst lange dumm rum und redet dir die Ohren fusselig.
Andererseits kann dir ein Hund kein Bacon-Sandwich machen.
Nach dem Training und dem ganzen Ärger hatte ich richtig Lust auf ein Bacon-Sandwich, aber ich hatte keinen Bacon im Hänger. Und wenn ich welchen gehabt hätte, hätte das nicht viel genützt, weil ich nämlich auch kein Brot hatte.
Ich ließ die Hunde aus dem Zwinger. Ramses kam als Erster herausgestürmt. Lineker versucht zwar immer, sich vorzudrängeln, aber Ramses hat ein besseres Raumgefühl und lässt sich nicht abdrängen. Ramses weiß, wo sein Platz ist. Wenn er mit Lineker allein ist, hat er zu bestimmen, aber wenn ich mit ihm allein bin, bin ich der Boss. Simpel. Das Leben ist so einfach für einen Hund – arbeiten, fressen, schlafen. Mehr wird von ihm nicht erwartet. Manchmal wünsche ich mir fast, ein Hund zu sein. Vor allem, wenn ich sauer und hungrig bin wie jetzt. Alle hatten es auf mich abgesehen, und ich hatte noch nicht mal Bacon in der Hütte.
»Manche haben wirklich Glück«, sagte ich.
Die Hunde beschnupperten mich und stupsten mich an, um sich zu überzeugen, ob ich noch die war, die ich immer war.
»Ihr habt mich, die auf euch aufpasst und euch füttert«, sagte ich. »Und wen habe ich?«
»Was ist denn mit dir los?«, hörte ich Ramses höhnen. »Du wirst doch nicht etwa sentimental auf deine alten Tage?«
»Kannst es ja mal probieren«, sagte ich. »Los, probier’s doch.«
Er sah mich einige Augenblicke an, dann drehte er sich um und marschierte los, um das Tor zu inspizieren. Dieser Ramses! Wenn er mich nicht kleinkriegen kann, ignoriert er mich.
»Wenn du ein Bacon-Sandwich machen könntest, wärst du perfekt«, schrie ich hinter ihm her. Aber er trottete einfach weiter. Also beschloss ich, in das Café in der Mandala Street zu gehen. Da gibt es spitzenmäßige Bacon-Sandwiches. Sie braten zuerst den Bacon, bis er schön knusprig ist, und dann braten sie das Brot auf der einen Seite in dem Bacon-Fett an. Dadurch bleibt das Sandwich außen schön weich, aber innen, direkt über dem heißen, knusprigen Bacon, ist es heiß und knusprig und salzig. Ein Wahnsinn. Schon bei dem Gedanken lief mir das Wasser im Mund zusammen, und als ich endlich im Café saß, hatte ich einen solchen Kohldampf, dass ich mir gleich drei bestellte.
Nach dem zweiten fühlte ich mich besser. Ich wollte gerade in das dritte beißen, als die Feindin hereinkam.
Es läuft immer auf die gleiche Tour ab – sie kommt hereinmarschiert, als ob sie genau wüsste, dass ich hier bin, als ob ich ein Halsband um den Hals hätte. Sie bleibt eine Minute in der Tür stehen und sieht sich um, ob sich auch alle anständig benehmen. Dann kommt sie an meinen Tisch, als ob wir verabredet wären, was wir aber nicht sind. Sie führt sich auf, als ob ihr der Laden gehört – Kopf hoch, Schultern zurück, Augen offen. Typisch Bulle.
»Noch einen Tee?«, sagte sie. Kein ›Tag, wie geht’s, was für eine Überraschung, dich hier zu sehen‹. Kein ›Darf ich mich zu dir setzen?‹. Auf so was käme die gar nicht. Sie sagte bloß: »Noch einen Tee?«
»Wenn Sie zahlen«, sagte ich. Ich biss in das dritte Sandwich. Nicht einmal von der Feindin, nicht einmal von »Ich bin der Boss«-Anna Lee, lasse ich mir ein gutes Bacon-Sandwich vermiesen.
»Hast du heute Abend schon was vor?«, fragte sie.
»Wer will das wissen?«, sagte ich. Sie rückt nämlich nie direkt mit der Sprache raus. Sie sagt nie: ›Ich hätte heute Abend einen Auftrag für dich, Eva. Hast du Zeit?‹ Sie muss immer zuerst ihre blöden Fragen loswerden, wie bei einem Verhör. Das machen die Bullen immer so. Sie fragen dich was und sagen dir nie, warum sie es wissen wollen. Sie lassen dich raten. Und du kannst nur beten, dass du richtig rätst.
Der Kerl hinter der Theke brachte uns den Tee, und sie nahm ihre Tasse in beide Hände. Das macht sie auch jedes Mal so. Sie legt die Hände um die Tasse, als ob sie friert – was vielleicht an einem kalten Abend unter freiem Himmel einleuchtend wäre, was aber in einem miefigen Café in der Mandala Street saublöd aussieht.
»Warum bist du heute so gereizt?«, fragte sie.
»Warum sind Sie so neugierig?«
»Kannst du einen Auftrag gebrauchen?«
»Wieso? Haben Sie einen zu vergeben?«
Sie seufzte und starrte mich über ihre Teetasse hinweg an. Sie war genervt. Ich grinste.
Sie sagte: »Warum kannst du eigentlich auf eine einfache Frage nie eine einfache Antwort geben?«
»Und warum Sie nicht?«
»Auf welche Frage denn?«
»Haben Sie einen Auftrag für mich?«
»Bin ich nicht deswegen hier?«, sagte sie. Es sah aus, als ob sie mit den Zähnen knirschte. Dann holte sie tief Luft und sagte: »Eva, ich hätte einen Auftrag für dich, wenn du heute Abend Zeit hast.«
Gewonnen! Gewonnen. Gewonnen. Gewonnen. Ich schob mir den letzten Happen Bacon-Sandwich zwischen die Kiemen und kaute langsam darauf herum. Sie wartete. Sie klopfte mit dem Fingernagel an den Tassenrand. Ich schluckte. Ich spülte den Bissen mit einem anständigen Schluck Tee runter. Ich wischte mir den Mund ab. Mir ging es prächtig.
»Okay«, sagte ich, als ob ich es mir überlegen müsste. »Worum geht es?«
»Eins zu null für Eva«, sagte sie. »Aber es ist noch nicht einmal Halbzeit, also sieh dich vor.«
Ich musste mich beherrschen, um nicht laut loszulachen. Sie ist zwar ein Bulle, aber sie blickt durch. Manchmal. Wenn du ihr lange genug Zeit gibst. Ich war richtig stolz auf mich. Ich hatte gewonnen, und sie wusste, dass ich gewonnen hatte. Was nützte mir der schönste Sieg, wenn die Feindin nichts davon mitkriegte?
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