Kitabı oku: «Was sie nicht umbringt», sayfa 4

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8

Harry Richards sammelte seine Truppen am hinteren Ende von Bermuda Smiths Kellerbar. Wir hielten uns im Dunkeln, um die Gäste nicht zu erschrecken. Wir waren auf alles gefasst. Wir kriegten Sandwichs auf Kosten des Hauses, aber nichts zu trinken. Harry Richards ist kein Trottel.

Bermuda Smith ging früh heim. Er ist auch kein Trottel.

Die Band spielte. Die Sänger sangen. Die Gäste aßen und tranken, und sie tanzten, bis die Söckchen qualmten.

Nichts passierte.

Umso besser, dass wir die halbe Miete schon im Voraus kassiert hatten – bar auf die Kralle.

Ich bin Profi, das heißt, ich arbeite nur für Geld. Aber als Profi hat man auch Verantwortung. Also blieb ich wachsam, nicht wie ein paar andere, die am Tisch saßen und Karten spielten. Allerdings hätten diese Typen sowieso nicht mit einer Frau gezockt. Ich blieb allein und hielt die Augen offen.

Der sogenannte Bildhauer saß mit drei Freunden an einem Tisch. Er zog die »Ich bin Künstler, ich kann mich besaufen, wo ich will«-Schau ab. Seine Freunde waren nicht ganz so dämlich. Ich hatte den Eindruck, als ob sie versuchten, ihm gut zuzureden, es mit dem roten Vino etwas langsamer angehen zu lassen. Das war vernünftig. Wenn es in dem Club nämlich tatsächlich Rabatz gab, war er nur einer von vielen weißen Wichsern – und nicht der Mann aus dem Volke, wie er sich einbildete.

Ich hoffte fast, dass sich etwas zusammenbraute. Wenn richtig die Fetzen flogen, konnte ich ihm vielleicht irgendwie helfen, nur um ihm mal zu zeigen, wen er da eigentlich verarscht hatte. Andererseits hätte ich genauso gut gar nichts machen können. Dann hätte er es sicher auch kapiert. So oder so, ich hatte einen Trumpf in der Hand.

Ich kam ein bisschen ins Träumen. Ich träumte, dass ich seinen weißen Künstlerpopo aus der Scheiße hievte, ihm Saxophon und Brieftasche zurückgab und er sagte: »Du liebe Güte, Eva, wo haben Sie nur diese Körperbeherrschung gelernt. Es tut mir wirklich leid, dass ich Sie beleidigt habe.« Und mit seinem affektiertesten Akzent sagte er: »Ich bitte ergebenst um Verzeihung.«

Ergebenst um Verzeihung! – Ich musste leise lachen.

Ich sah mir die Backgroundsängerin an, die gesagt hatte, Männer wären doch das Allerletzte, und probierte es selber mal aus.

»Männer sind doch das Allerletzte«, sagte ich zu dem Möchtegernkünstler, der diesmal zerzaust und konfus vor mir in der Gosse stand.

»Ich bitte ergebenst um Verzeihung«, antwortete er.

Na und? Man wird sich doch wohl noch einen kleinen Tagtraum genehmigen dürfen, oder?

Der Leadsänger war ein Angeber, ein Master of the Universe. Nichts als Mund und knallenge Hosen. Stimme hatte er, das musste man ihm lassen, aber ansonsten war alles nur Schau. Er trällerte eine Zeile und neigte dann das hübsche Köpfchen zur Seite, als ob er auf das Echo lauschte. Und natürlich, aus dem reizenden kleinen Backgroundharem schallte das Echo harmonisch zu ihm zurück. Ein Egotrip, wie er im Buche steht.

Aber irgendwas stimmte nicht. Die Tussi, für die die Männer das Allerletzte waren, sah so aus, als ob sie von den beiden anderen gestützt werden müsste. Die schimmernden Goldhaare fielen ihr ins Gesicht, und der Kopf war zu schwer für ihren Hals. Ab und zu verpasste sie ihren Einsatz.

Die ersten Gäste lachten schon über sie. Man merkte, dass langsam alle auf der Bühne sauer wurden. Sie verdarb dem Angeber die Show.

Zwischen zwei Nummern sagte er was zu ihr. Was besonders Nettes wird es wohl nicht gewesen sein, weil sie nämlich plötzlich die Haare nach hinten warf und ihn anfunkelte.

Man konnte ihn schon verstehen. Besoffene sind was Lästiges, vor allem, wenn man auf sie angewiesen ist.

Bei der nächsten Nummer war sie ein bisschen besser, aber sehr verlässlich wirkte sie immer noch nicht. Ich beobachtete sie genau. Sie interessierte mich. Warum sollte eine Frau, für die die Männer das Allerletzte waren, so einen Sänger anhimmeln? Sie war klein und wirklich hübsch, hatte lange Beine, lange Haare, lange Wimpern. Alles, was an ihr lang sein sollte, war auch lang. Sie sah genau so aus, wie es die Illustrierten gerne hätten.

Die kann es sich leisten, was gegen Männer zu haben, dachte ich.

Ich hatte den Gedanken, dass sich manche Frauen Hass auf Männer leisten können, noch nicht zu Ende gedacht, da kippte sie von der Bühne. Wahrscheinlich hatten die beiden anderen keine Lust mehr, sie zu halten. Eine von ihnen machte nämlich einen Schritt zur Seite, und schon fiel sie um.

Ein paar Gäste machten Uh und Ah, ein paar Tänzer blieben stehen und drehten sich um. Aber die Band kam nicht aus dem Takt. Und sie lag einfach platt auf dem Rücken, dass man ihren Schlüpfer sehen konnte.

Harry Richards schob sich nach vorne durch, weil das die Art von Arbeit war, für die er bezahlt wird. Allerdings kippen normalerweise die Zuschauer um, nicht die Stars.

Er wollte sie wieder auf die Beine stellen, aber sie wollte davon nichts wissen. Sie fing an zu brüllen: »Lass deine dreckigen Pfoten von mir« und »Schweine, ihr seid alle Schweine«.

Und dann kamen die Bullen angetanzt.

Eigentlich war es lustig. Da warten wir alle auf Randale von den Zuschauern, und was passiert? Wir haben die Polizei am Hals.

Jetzt erst hörte die Band auf zu spielen. Es wurde so still, dass man hören konnte, wie Päckchen mit illegalen Stoffen raschelnd und plumpsend auf den Boden fielen und mit einem Tritt weiterbefördert wurden. Ein paar Schwarze drängelten sich in der Tür zum Männerklo.

Ich glaube, ich war die Einzige, die gelacht hat. Ich war cleaner als clean. Und ich wusste, wo der Hinterausgang war. Das war wichtig, denn so clean ich auch war, die Bullen haben eine Datenbank, und ich habe ein Vorstrafenregister. Und mein Register ist nicht ganz so clean wie ich – hauptsächlich sind es zwar nur Jugendstrafen, aber trotzdem … Es war ratsam, sich schnell zu verdrücken.

Anscheinend war das in Bermuda Smiths Kellerbar die Idee des Abends. Alle wollten weg, die einen hektisch, die anderen cool und lässig – und ihren Shit ließen sie liegen.

Die Einzigen, die sich nicht bewegten, waren ein paar weiße Spießer, die einfach sitzen blieben, die Hände vor sich auf dem Tisch, und ziemlich dämlich aus der Wäsche guckten. Was war es bloß, was ihnen keiner gesagt hatte?

Und Goldlöckchen. Ich sah, wie ihr jemand auf der Flucht zum Klo auf die Hand trat. Sie fing an zu weinen.

Es war die Art, wie sie weinte, die mich so fertigmachte. Sie weinte, und dabei blickte sie traurig um sich, wie ein kleines Mädchen, das allen zeigen will, dass es weint. Alle sollen sehen, dass sie weint, weil sie sich hundertprozentig sicher ist, dass schon irgendein netter, freundlicher Erwachsener kommt und sie rettet, dass ihr einer die Tränen trocknet und ihr Bonbons gibt. So weinen nette Kinder aus netten Familien. Darauf verlassen sie sich einfach, und wenn es ihnen noch so dreckig geht. Andere Kids sparen sich die Tränen, weil sie wissen, dass Weinen Zeitverschwendung ist. Sie sind sich hundertprozentig sicher, dass sich keiner einen Scheißdreck um sie schert.

Und für wen weinte unser Goldlöckchen? Von wem wollte sie sich die Tränen trocknen lassen? Das kann ich dir verraten, ich habe nämlich gemerkt, wie sie sich nach ihm umgeschaut und auf ihn gewartet hat. Sie weinte für ihren blöden Master of the Universe, den Typ mit der Hose und dem 1000-PS-Turboego. Träum weiter, Goldlöckchen.

Das alles sah ich, während ich furchtbar lässig auf den geheimen Ausgang zuschlenderte, der in Bermuda Smiths Büro führte. Die Bullen bemühten sich nach besten Kräften, die Stampede aufzuhalten, und einer von den Oberleutnants brüllte: »Alles stehen bleiben!« Träum weiter, Führer – manche Leute gehorchen nicht aufs Wort, und schon gar nicht, wenn man sie anbrüllt.

Dann hätte es wirklich ein bisschen haarig werden können. Irgendwer schmiss nämlich eine Tränengaspatrone ins Getümmel.

Du kannst es dir vorstellen, ja? Alles kreischte, hustete, weinte und rannte durcheinander. Tische und Stühle flogen durch die Gegend, kaputte Gläser. Also, so was nenne ich Anarchie.

»Stehen bleiben!«, brüllte der Führer dem tobenden Mob zu. Wie blöd kann man eigentlich sein?

Aber Führer können eben nur eingleisig denken. Wenn sie sich erst mal in eine Aufgabe verbissen haben, versuchen sie auch, sie zu Ende zu bringen, ganz egal, was sich rings um sie tut.

Und in diesem Fall tat sich eine ganze Menge – unter anderem machte die halbe röchelnde Truppe einen Abgang.

Ob ich gelacht habe? Ich dachte, ich könnte mich nie wieder einkriegen.

Ich stolperte ziemlich zufrieden durch das Chaos. Wenn die Anarchie am größten ist, ergibt sich immer die Gelegenheit, das eine oder andere mitgehen zu lassen. In einer Krise achten die Leute nicht auf ihre Wertgegenstände.

Trotzdem, Tränengas in einem geschlossenen Raum zeigt früher oder später bei jedem Wirkung, und schon bald liefen auch mir Augen und Nase, genau wie allen anderen. Ich kriegte kaum noch Luft, obwohl ich mir eine Serviette vors Gesicht hielt.

Ich weiß nicht, warum ich es gemacht habe. Später habe ich mir eingeredet, ich hätte es gemacht, weil Goldlöckchen so jämmerlich aussah. Aber das stimmte nicht.

Was passierte, war jedenfalls Folgendes.

Ich kriegte keine Luft mehr. Ich hatte genug Hühner gerupft. Ich lief vor der Bühne über die Tanzfläche und stolperte über Goldlöckchen, die noch immer auf dem Boden lag. Sie war nicht allein. Eine Bullentante versuchte sie hochzuziehen. Die Tante trug zwar keine Uniform, aber ein Bulle war sie, da gab es kein Vertun. Wer hätte sich wohl sonst die Mühe gemacht, in dem ganzen Trubel eine arme Besoffene zu verhaften?

Goldlöckchen war in einer furchtbaren Verfassung.

Ich sagte: »Zieh Leine, Alte.« Und ich hob Goldlöckchen hoch. Ich warf sie mir über die Schulter und zischte durch Bermuda Smiths Privattür.

Wie schon gesagt, ich werde nie begreifen, warum ich es gemacht habe.

9

Zuerst sagte sie: »Wo ist Calvin?« Und dann kotzte sie auf den Bürgersteig.

Ich war ihr dankbar. Sie hätte mir schließlich auch hinten auf die Lederjacke kotzen können, aber sie hatte gewartet, bis wir draußen waren. Lady bleibt eben Lady.

Dann sagte sie: »Wo ist meine Tasche?«

Ihre Tasche war natürlich da, wo sie sie vor dem Auftritt hingestellt hatte. Das erklärte ich ihr, aber es schien sie schon nicht mehr zu interessieren.

Sie sagte: »Er ist weg. Er hat mit das Herz gebrochen.«

»Quatsch«, sagte ich. »Das Herz ist ein Muskel.«

Und dann fiel sie in Ohnmacht.

Freundlichkeit ist harte Arbeit. Mit einer ohnmächtigen, besoffenen Sängerin auf dem Buckel kann man sich keinen Wagen ausborgen, also zog ich ihr, so weit es ging, das Kleid runter und setzte sie erst mal irgendwo ab.

Um ein Haar hätte ich sie wirklich sitzenlassen. Wir waren schließlich in Notting Hill und die Polizei schnüffelte überall rum, so dass ein passender Untersatz schwer zu finden war. Ich konnte nur einen Fiat Panda auftreiben, eine richtige Sardinenbüchse, in die mich normalerweise keine zehn Pferde reingekriegt hätten.

Goldlöckchen wohnt bestimmt in Hampstead oder Highgate, jedenfalls garantiert nicht bei mir in der Nähe, dachte ich mir. Und dann dachte ich, bestimmt ist sie einfach aufgestanden und hat sich ein Taxi nach Hause genommen. Sie war eine von der Sorte, die einen Taxifahrer dazu hätte bringen können, sie ohne einen müden Penny in der Tasche bis nach Watford zu fahren.

Aber andererseits hatte ich sie nicht gerade an einer Bushaltestelle abgeladen. Sie hockte in einer abgelegenen Seitenstraße, die nicht besonders vornehm war. Also wollte ich wenigstens noch mal umkehren und sehen, ob sie weggekommen war.

Sie war noch da.

Und so kam es, dass Goldlöckchen zu mir auf den Schrottplatz zog.

Ich musste sie zusammenknicken, damit sie in den Fiat Panda passte. Ich musste sie über den Platz tragen. Ich musste sie in mein eigenes Bett legen.

Und je später es wurde in dieser Nacht, desto mehr Sorgen machte ich mir. Sie war nicht nur betrunken, sie war krank. Sie musste andauernd brechen. Sie zitterte vor Kälte. Und sie glühte.

Ich wusste nicht, was ich machen sollte. Eine Betrunkene ins Bett zu packen ist ein Klacks. Aber mir war noch nie im Leben schlecht gewesen, also wusste ich nicht, was ihr fehlte, und ich wusste nicht, ob ich sie wärmen oder kühlen sollte.

Ich fuhrwerkte herum wie ein einarmiger Tapezierer.

Wenn sie zitterte und wimmerte, deckte ich sie zu. Dann wieder hätte sie den Schlafsack am liebsten aus dem Fenster geschmissen. Ein andermal sagte sie: »Bitte, Wasser.« Und dann kotzte sie es in den Eimer.

Ihre Augen gefielen mir auch nicht. Manchmal kamen sie ihr aus dem Kopf gequollen, als ob sie auf dem elektrischen Stuhl säße, dann wieder kugelten sie in den Höhlen herum wie Murmeln in einem Becher.

Wie schon gesagt, Freundlichsein ist harte Arbeit, aber das Schlimmste an der ganzen Sache war, dass ich Angst hatte, sie könnte sterben. Ich hatte keine Ahnung, wie ich eine Leiche in meinem Hänger erklären sollte. Mit ein Grund dafür, dass ich wie eine Ratte mit juckendem Schwanz durch die Gegend raste, war also auch der, dass ich sie wenigstens so lange am Leben halten wollte, bis ich sie am Morgen irgendwie loswerden konnte.

Aber am Morgen, gleich nachdem ich die Hunde gefüttert und in den Zwinger gesperrt hatte, trank Goldie ein paar Schluck Wasser, behielt sie bei sich und schlief ein. Bevor sie einschlief, sah sie mich an, als ob wir uns noch nie begegnet wären, und sie sagte: »Danke.«

Nur danke, sonst nichts. Aber wegen der Art, wie sie es sagte, so als ob sie es wirklich ernst meinte, hatte ich es nicht mehr so eilig, sie loszuwerden.

Ich machte auf dem kleinen Gaskocher Wasser heiß und kochte mir einen Tee. Dann setzte ich mich zu ihr aufs Bett und sah zu, wie sie schlief. Mir zitterten die Hände, und es tat mir hinten im Hals weh. Ich dachte, ich hätte mich angesteckt.

Schließlich warf ich im Wohnzimmer die Polster vom Sofa auf den Boden und legte mich schlafen. Es war ein anstrengender Tag gewesen, und ich war müde.

Ich träumte, Simone und ich wären wieder in der Schule – genauer gesagt, in einem Erziehungsheim, in die wir im wirklichen Leben immer gesteckt wurden. Und wir beschlossen abzuhauen – genau, wie wir es im wirklichen Leben immer gemacht hatten. Wir kamen an eine Mauer, und Simone sagte: »Nein, ich kann nicht. Das ist zu hoch. Wir kriegen Ärger.« »Ärger haben wir jetzt schon genug«, sagte ich. »Komm, ich mach dir eine Räuberleiter.« Sie stellte einen Fuß in meine Hände, und ich sah, dass sie weiße Satinpantöffelchen trug, die mit kleinen roten Edelsteinen besetzt waren. »Wo hast du denn die Schuhe her?«, fragte ich. Und ich hievte sie auf die Mauer. »Das sind meine gläsernen Schuhe«, sagte sie. Und während ich noch dastand, fielen die kleinen roten Edelsteine wie Regentropfen herunter, und ein paar verfingen sich in meinen Haaren. Ich bückte mich danach, weil Simone sehr eigen war, wenn es um ihre Schuhe ging. Aber auf einmal wurden sie ganz flüssig. »He!«, rief ich. »Du blutest.« Ich sah hoch und merkte zum ersten Mal, dass die Mauer oben mit Stacheldraht gesichert war. Und Simone hing darin fest. Ich wollte hinter ihr herklettern, um ihr zu helfen, aber die Mauer war höher geworden. Mir konnte keiner eine Räuberleiter machen. Also blieb sie, wo sie war, und ich blieb, wo ich war, mit Blut in den Haaren. Ich hasse Träume.

Es war komisch, aufzuwachen und zu wissen, dass jemand in meinem Schlafzimmer lag. In all den Monaten, die ich schon hier wohnte, hatte außer mir kein Mensch den Hänger betreten. Ich schaute zu ihr rein, aber Goldie war immer noch k. o. Sie hätte tot sein können. So ruhig lag sie da. Aber bei jedem Ausatmen flatterte eines ihrer Goldlöckchen. Ich war erleichtert.

Ich machte die Schlafzimmertür fest zu. Ich hatte einiges zu erledigen, bei dem ich keine Zeugen gebrauchen konnte.

Gestern Abend waren mir zwar nur ein paar Brieftaschen in die Hände gefallen, aber ich wollte nicht, dass jemand einen falschen Eindruck von mir bekam. Ich bin keine Diebin. Eigentlich nicht. Ich kann mir nur manchmal eine günstige Gelegenheit nicht entgehen lassen, und die Leute sind ja auch so unvorsichtig. Du würdest es kaum glauben, wie unvorsichtig manche Leute sein können. Sie hängen ihre Jacke über die Stuhllehne, obwohl die Brieftasche rausguckt. Sie stellen ihre Handtasche auf den Boden, wo sie sie nicht im Auge behalten können. Sie sind verrückt. Wenn du etwas hast, was du behalten willst, musst du um Himmels willen auch darauf aufpassen. Wenn du nicht darauf aufpasst, zeigst du damit Leuten wie mir nur, dass du es nicht willst. Und wenn du es nicht willst, nehme ich es mir. So einfach ist das.

Wenn du was von meinen Sachen haben willst, musst du mich erst umbringen. Das ist auch einfach.

Die Beute auszusortieren war nicht besonders schwer. Ich interessiere mich nur für Knete. Plastik finde ich zum Kotzen. Ich weiß, dass es auch dafür Abnehmer gibt – genau wie für Führerscheine –, aber auf so was habe ich keinen Bock. Ist schon lästig genug, den restlichen Krempel loszuwerden, ohne dass er zu mir zurückverfolgt werden kann.

Die Knete steckte ich ein. Schon war nur noch ein kleiner Stapel Brieftaschen übrig. Normalerweise wären die mir nie in den Hänger gekommen. Sie wären auf dem Heimweg im Abfalleimer gelandet. Aber normalerweise rette ich auch keine Goldies – so was bringt einen aus dem Konzept.

Ich überlegte noch, da klopfte es plötzlich an der Tür, und ich wäre fast aus der Haut gesprungen vor Schreck. Kein Mensch klopft bei mir an.

Auf dem Boden lagen noch die Polster, auf denen ich geschlafen hatte, und zuerst wollte ich die Brieftaschen darunter verstecken. Aber dann erinnerte ich mich an Ma, und mir wurde schwummerig. Also stopfte ich sie hinter den Gasofen.

Es klopfte noch einmal.

Eigentlich hätte ich vorsichtig durch die Gardine lugen sollen, aber die Klopferei machte mich sauer, also tat ich genau das Falsche. Ich riss die Tür auf und brüllte: »Ja?«

Nie im Leben hätte ich die Tür aufmachen sollen, denn nun stand ich Auge in Auge der Bullentante von gestern Abend gegenüber.

»Tag«, sagte sie und lächelte. Da wurde ich erst richtig misstrauisch. Wer überleben will, darf der Polizei nie vertrauen, wenn sie lächelnd daherkommt. »Eva?«, sagte sie. »Eva Wylie?«

»Falsch verbunden«, sagte ich und knallte die Tür zu.

Sie klopfte noch einmal. Ich überhörte es. Ich linste durch die Gardine. Sie stand ein Stückchen weiter weg und wartete. Sie sah relaxt und munter aus.

Warte noch ein bisschen, dachte ich, dann wird dir das Lachen schon vergehen. Ich bin ein sehr geduldiger Mensch, aber langsam wurde ich richtig giftig.

Ich schmierte mir Margarine auf ein paar Scheiben Brot und schraubte das Marmeladenglas auf. Ich hatte noch nicht gefrühstückt, wahrscheinlich war mein Blutzuckerspiegel zu niedrig. Davon werde ich auch giftig. Harsh sagt, ein Athlet muss darauf achten, dass der Blutzuckerspiegel immer gleich hoch ist, und das versuche ich auch. Aber wenn du allein lebst, kann man es schon mal vergessen.

Die Bullentante klopfte schon wieder. Ich aß drei Marmeladenbrote. Ich konnte länger warten als sie, und den ganzen Tag konnte sie sich da draußen wohl kaum die Beine in den Bauch stehen.

Als ich das nächste Mal durch die Gardine spähte, redete sie mit ein paar Arbeitern. Sie lachten. Das machte mich fuchtig.

Ich riss die Tür auf und baute mich mit verschränkten Armen auf der Treppe auf.

»Ja?«, sagte ich, total cool. Wahrscheinlich hätte ich noch beeindruckender gewirkt, wenn ich das letzte Marmeladenbrot schon verdrückt gehabt hätte, aber in einer Krise kann man nicht an alles denken.

»Tut mir leid, wenn ich Sie beim Nachmittagstee störe«, sagte sie und kam näher.

»Wie spät ist es denn?«, sagte ich.

Sie machte ein überraschtes Gesicht, aber sie sagte: »Zwanzig nach vier.«

Das war ein Hammer. Ich hatte verschlafen. Ich hätte eher auf zwei getippt.

»Ich suche Eleanor Crombie«, sagte sie.

»Wen?«

»Eleanor Crombie. Sie haben sie gestern Abend aus dem Club mitgenommen.«

»Ach, die«, sagte ich. So hieß Goldie also mit richtigem Namen. Passte wie die Faust aufs Auge. Sie sah aus wie eine Eleanor.

»Und?«, sagte die Bullentante.

»Was und?«

»Wo ist sie?«

»Wer will das wissen?« Ich wollte die Hände in die Hüften stemmen und mich einschüchternd in Positur werfen, aber mir kam das Marmeladenbrot dazwischen. Also aß ich es lieber.

»Ich. Ich will das wissen«, sagte die Bullentante.

»Pech gehabt«, sagte ich mit vollem Mund.

Sie klopfte sich die Krümel vom Rock und sah langsam ein bisschen ungeduldig aus.

Obwohl es nur ein Zufallstreffer gewesen war, freute ich mich so über die Krümel, dass ich einlenkte.

»Ich weiß nicht, wo sie hin ist«, sagte ich. »Ich habe ihr aus der Patsche geholfen, aber das war es dann auch schon.«

»Ich dachte, sie wäre ohnmächtig geworden.«

»Die brauchte bloß ein bisschen frische Luft.«

»Sie haben sie nicht unterwegs irgendwo abgesetzt?«

»Hab keinen Wagen«, sagte ich brav.

»Ist sie abgeholt worden?«

»Keine Ahnung.« Langsam hatte ich die Nase voll. Ich biss wieder in mein Brot, sie machte wieder einen Schritt zurück. Tolles Gefühl, wenn man die Bullen rückwärts gehen lassen kann.

»Gehen Sie da öfter hin?«, fragte sie.

»Wohin?«

»In den Club?«

Die bilden sich ein, die könnten einen einfach ausquetschen, die Bullen. Sie fragen, du antwortest. Aber wenn du mal was wissen willst, musst du in die Bibliothek gehen.

»Sehen Sie das Schild da?«, sagte ich und zeigte auf den Zaun. »Auf dem Schild steht Armour Protection. Das bin ich. Ich bin Armour Protection. In den letzten sechs Wochen ist hier auf dem Platz nicht ein Teil geklaut worden. Und wollen Sie wissen, warum?«

»Warum?«

»Weil ich die ganze Nacht wach bin und aufpasse. Ich treibe mich nicht öfter in Clubs rum. Kapiert?«

»Okay, okay«, sagte sie. »Kein Grund, gleich in die Luft zu gehen.«

»Das war nur ein kleiner Vorgeschmack.« Ich ging in den Hänger und knallte die Tür zu.

Diesmal zog sie tatsächlich Leine. Ich beobachtete sie durch die Gardine. Sie hatte einen sehr geraden Rücken. In Uniform würde sie bestimmt toll aussehen, dachte ich. So ein Rücken in Zivil war die reinste Verschwendung.

Mir ging es richtig gut. Die Bullen lassen einen nicht oft das letzte Wort haben. Vielleicht war die Tante noch nicht lange genug bei der Truppe.

Aber ob es mir nun gut ging oder nicht, irgendwie musste ich die Brieftaschen loswerden. Um ein Haar wären sie bei mir gefunden worden, und das war kein berauschendes Gefühl. Also steckte ich sie in die leeren Konservenbüchsen von gestern Abend und in ein paar alte Baked-Beans-Dosen, sammelte den restlichen Abfall ein und band den Müllbeutel oben zu. Dann brachte ich die ganze Chose auf die Kippe. Ideal war es nicht, aber es musste reichen.

Die Arbeiter auf dem Schrottplatz interessierten sich mehr für mich als sonst. Wahrscheinlich hätten sie gern gewusst, was die Bullen von mir wollten. Aber wie immer redete keiner mit mir.

Ein Glück, dass keiner von denen über Goldie Bescheid wusste, sonst hätten sie sie bestimmt bei der Bullentante verpfiffen. Aber so, wie es war, konnte ich mir denken, was sie ihr gesagt hatten. »Nee«, hatten sie gesagt. »Eva lebt alleine. Die kriegt nie Besuch.« Und bis gestern Abend wäre es auch wahr gewesen.

Es ist nicht gut, wenn über einen geredet wird. Ja, es ist sogar schlecht. In Bermuda Smiths Club musste jemand über mich geplaudert haben, und das Resultat war eine Bullentante vor der Tür. Das war aus zwei Gründen merkwürdig. Erstens würde aus Bermuda Smiths Club kaum einer mit der Polizei reden. Zweitens weiß kaum einer, wo ich wohne.

Es war kein besonders großer Trost, dass die Bullen Goldie suchten und nicht mich, denn sie hatten mich gefunden, nicht Goldie.

Ich überlegte. Ich hatte schon seit Ewigkeiten keine Bewährungsauflagen mehr, da war ich mir ganz sicher, und mir fiel auch nichts Umwerfendes ein, wofür sie mich hätten verknacken können. Ich hatte mir nichts zuschulden kommen lassen, seit ich den Job auf dem Schrottplatz angenommen hatte und in den Hänger gezogen war. Aber bei den Bullen weiß man nie. Wenn der gute Ruf erst mal hin ist, kriegt man die weiße Weste nie wieder ganz sauber.

Ich beschloss, mich in nächster Zeit beim Brieftaschenklemmen und beim Autoausborgen besonders vorzusehen. Und ich überprüfte meine Überlebensausrüstung, weil ich sicher sein musste, dass ich mich im Notfall sofort aus dem Staub machen konnte.

Dabei kam mir die Idee, mal wieder nach Goldie zu sehen. Sie schlief immer noch, was mir sehr recht war, denn solange sie schlief, konnte sie keine Fragen stellen, und ich konnte mich abregen und meine Übungen machen. Trotzdem hätte ich zu gern gewusst, weswegen sie gesucht wurde. Wie sie da in meinem alten Schlafsack lag, sah sie aus, als ob sie kein Wässerchen trüben könnte.

Mit ihr hatte ich mir eine ziemliche Verantwortung aufgehalst. Ich fühlte mich irgendwie gefesselt. Ich machte vierzig Liegestütze zur Entspannung. Es wäre toll, wenn ich sie auf den Knöcheln machen könnte, wie Harsh, aber dafür sind meine Hände nicht kräftig genug. Danach kamen noch ein paar Kniebeugen und Brücken für den Rücken dran. Am schwersten fiel es mir, mich aus der Rückenlage aufzusetzen. Ich weiß auch nicht wieso, aber ich kann mir einfach keine anständigen Bauchmuskeln zulegen. Schultern, Rücken und Beine sind nicht übel, auch wenn ich das selber sage. Aber der Bauch bringt mich manchmal zur Verzweiflung. Die Bauchmuskeln sehen einfach nicht richtig aus. Vielleicht ist es ein Flüssigkeitspolster. Vielleicht esse ich zu viel. Ich sah mir mein Londoner Killerqueen-Poster an. Darauf sahen die Bauchmuskeln ziemlich ordentlich aus. Ein Glück. Mit einem Schwabbelbauch kann man kein Schwergewichtschampion sein. Na ja, das stimmt auch nicht ganz. Du solltest mal ein paar von den Männern sehen. Aber bei Männern und Frauen werden andere Maßstäbe angelegt, wenn es ums Aussehen geht. Frag mich nicht warum, aber so ist es.

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22 aralık 2023
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