Kitabı oku: «Schach mit toter Dame», sayfa 4
Immer wieder war ich mit ihr zusammengestoßen, und immer wieder hatte ich mir Zurechtweisungen und Vorträge über korrekte Polizeiarbeit anhören müssen. Sie hasste es, wenn ich amateurhaft ermittelte, und noch mehr hasste sie es, dass ihr Patenonkel Erwin sich daran zu beteiligen pflegte.
Eines war für mich klar: Kommissarin Küpper würde keinen Mucks von den Vorgängen in der Residenz erfahren. Jedenfalls nicht, solange wir keine hieb- und stichfesten Beweise im Gepäck hatten.
Den Rest des Abends verbrachte ich damit, die Unterlagen zu studieren, was allerdings nicht besonders viel brachte. Außer Cäcilie und Käthe hatte die Residenz dreizehn Bewohner, und zwar sieben Frauen und sechs Männer. Noch waren die Informationen über die Personen recht spärlich, aber es ergab sich ein erstes Bild: Beinahe alle schienen in gut bezahlten Berufen gearbeitet zu haben. Es gab ein Fabrikantenehepaar, zwei wohlhabende Witwen, zwei ehemalige Berufssoldaten hohen Ranges, eine ehemalige Primaballerina, diesen Ex-Schlagersänger, der mir beim Essen durch sein Verhalten dem Hausmeister gegenüber unangenehm aufgefallen war, eine exzentrische Künstlerin … Es war ein ziemlich buntes Durcheinander verschiedenster Persönlichkeiten.
Ich fragte mich, ob sich alle untereinander gut verstanden. Aber würde es für den Fall überhaupt eine Rolle spielen, ob in der Residenz Harmonie oder doch eher Zwietracht herrschte? Beinahe ärgerte ich mich jetzt, dass ich beim Essen am Sonntag nicht darauf geachtet hatte, aber zu dem Zeitpunkt hatte ich ja noch nicht ahnen können, was die Schwestern mir später erzählen würden.
Vielleicht ergab sich ja noch eine Gelegenheit, alle zusammen zu erleben?
Nur zu bald würde ich erfahren, dass Wünsche manchmal schneller in Erfüllung gehen, als man denkt.
Kapitel 6
Ausgestopfte Fische, echter oder falscher Schmuck, Goldene Schallplatten – potenzielles Diebesgut oder nicht?, fragt sich Loretta
Erwin, Dennis und ich hatten beschlossen, nicht weiter zu spekulieren, sondern das Treffen mit den Schwestern abzuwarten. Entsprechend gespannt war ich am Mittwoch, als die beiden an der Straße vor der Residenz in mein Auto stiegen. Und nicht nur ich, wie ich umgehend erfuhr.
»Loretta, wir sind ja so aufgeregt!«, zwitscherte Käthe, die hinten saß, und Cäcilie neben mir nickte.
»Müsst ihr nicht sein«, sagte ich. »Erwin ist ein extrem netter Mann, und Dennis kennt ihr ja bereits. Wir sind also ganz unter uns.«
»Und wir haben eine tolle Überraschung für dich«, jubilierte Cäcilie. »Aber die heben wir uns für später auf!«
Sie drehte sich nach hinten um und zwinkerte ihrer Schwester verschwörerisch zu, dann seufzte sie zufrieden und schaute wieder nach vorne. Vom Rücksitz erklang leises Kichern, und prompt läuteten bei mir die Alarmglocken.
Da war doch was im Busch!
Obwohl Erwins Büro innerhalb der Räumlichkeiten des Callcenters lag, hatte es zusätzlich einen eigenen Eingang. Den benutzten wir stets, wenn wir in Begleitung von Leuten waren, die mit den Gegebenheiten nicht vertraut waren. Bei einer Sexhotline konnte es durchaus laut werden, und wir wollten niemanden unvorbereitet dieser Woge aus Liebesschwüren, Stöhnen und vorgespielten Orgasmen aussetzen. Dazu kam, dass wir mit dem, was wir da taten, sehr diskret umgingen. Außenstehenden erzählten wir meistens, dass wir für eine Online-Bank arbeiteten.
Ich klingelte also an der Seitentür, und schon wenige Sekunden später öffnete Dennis, der in Cordanzug und Rolli nicht nur sehr schick, sondern auch äußerst seriös aussah, wie ich fand. Guter Junge.
»Welch Glanz in dieser bescheidenen Hütte, da geht doch glatt die Sonne auf«, schmalzte er, was bei mir Augenrollen, bei den Schwestern allerdings kokettes Kichern auslöste. Er lächelte ein Lächeln, das einen dahinschmelzen ließ, und bat uns mit einer galanten Handbewegung herein.
Die Schwestern trippelten an mir vorbei in Erwins Büro und blickten sich neugierig um. Sie klatschten entzückt in die Hände, als sie an einem Flipchart die von mir erstellten Seiten des Dossiers entdeckten.
»Wir haben also alles zu Ihrer Zufriedenheit vorbereitet?«, sagte Erwin mit seiner schönsten sonoren Stimme und kam hinter seinem Schreibtisch hervor.
Ich übernahm es, ihn und die Schwestern einander vorzustellen. Zwei formvollendete Kusshände später lagen Cäcilie und Käthe ihm zu Füßen und ließen sich wie betäubt aufs Besuchersofa sinken. Als er ihnen auch noch Kaffee und Kekse servierte, waren sie vollends hingerissen.
Dennis setzte sich auf die Armlehne meines Sessels, und Erwin nahm den Schwestern gegenüber Platz.
»So«, sagte er, »Loretta hat mir bereits alles erzählt, und ich muss sagen, dass die Geschichte recht aufregend ist.«
»Nicht wahr?«, kiekste Käthe, und ihre Wangen färbten sich rosa – farblich perfekt passend zu ihrem Seidenpullover. »Was werden Sie unternehmen?«
Erwin lachte sein Guter-Bulle-Lachen, das seine grauen Minipli-Löckchen lustig tanzen ließ und das einem Weihnachtsmann gut zu Gesicht gestanden hätte. »Immer langsam mit den jungen Pferden. Ihr Temperament beeindruckt mich, aber hier ist Besonnenheit gefragt, meine Damen. Was ich Ihnen jedoch vorab schon sagen kann: Meine Nachforschungen haben ergeben, dass kein Diebstahl angezeigt wurde. Jedenfalls keiner, der eine antike Uhr und einen kostbaren Teppich beziehungsweise die Residenz betrifft.«
»Sie zweifeln also nicht daran, dass es diese Dinge gab?«, fragte Käthe.
Erwin schüttelte den Kopf. »Warum sollte ich? Ich wette, Ihre Beobachtungsgabe ist hervorragend. Außerdem gab es ja dieses Gespräch zwischen Ihnen und dem mittlerweile verblichenen Besitzer, bei dem es konkret um besagte Gegenstände ging. Dabei werden Sie sich die Uhr und den Teppich mit Sicherheit ziemlich genau angesehen haben, nicht wahr?« Auf das synchrone Nicken der Schwestern hin fuhr er fort: »Sehen Sie? Also musste Ihnen selbstverständlich auffallen, dass beides nach seinem Tod ausgetauscht worden war.«
»Aber bedeutet dat nicht automatisch, dat Heribert ermordet wurde?«, fragte Cäcilie.
»Ich fürchte nein«, erwiderte Erwin. »Es könnte ja sein, dass ein verbrecherischer Bestatter alles eingesackt hat.« Er lächelte. »Obwohl es natürlich unwahrscheinlich ist, dass ein Bestatter auf Verdacht einen Teppich und eine Uhr im Auto hat, falls es etwas zu klauen beziehungsweise auszutauschen gibt. Aber es könnte jemand vom Personal gewesen sein, der schlicht die Gelegenheit genutzt hat. Das muss nicht zwingend mit einem eventuell gewaltsamen Tod Ihres geschätzten Mitbewohners zusammenhängen. Wir sollten uns davor hüten, vorschnell Verbindungen zu konstruieren, wo es in Wirklichkeit gar keine gibt.«
Verzagt fassten die Schwestern sich bei den Händen. »Aber wir dachten, der arme Heribert musste wegen seines Besitzes sterben«, murmelte Käthe.
Erwin lächelte strahlend. »Es ist gut, dass Sie aufmerksam waren – und vermutlich nach wie vor sind. Deshalb benötigen wir jetzt Ihre Expertise zu allen Personen, die Sie uns aufgelistet haben. Dann überlegen wir weiter, einverstanden?«
Er gab ihnen eine Liste mit den Fotos und Namen der Bewohner, und ich ging zum Flipchart und nahm einen Stift zur Hand.
»Alles klar, Mädels«, sagte ich, »es kann losgehen.«
Zwei silberhaarige Köpfe beugten sich über die Liste, dann blickte Käthe hoch. »Der Reihe nach?«
Ich schüttelte den Kopf. »Muss nicht sein. Ganz wie ihr wollt. Wir könnten zum Beispiel auch mit denen anfangen, die nicht reich sind, um sie gleich als potenzielle Opfer eventuell noch geplanter Diebstähle auszuschließen. Wisst ihr über die finanziellen Verhältnisse der Leute Bescheid?«
Die Schwestern blickten sich amüsiert an. »Hat der Papst ’nen lustigen Hut auf?«, fragte Cäcilie. »Wir wissen es sicher nicht auf den Cent genau, aber ob einer wat auf der Naht hat oder nicht, ist uns natürlich bekannt.«
Natürlich. Wie hatte ich auch nur eine Zehntelsekunde lang daran zweifeln können?
»Beginnen wir mit Egbert Fröhlich und Johannes Blum«, sagte Käthe. »Rüstige Rentner, wie sie im Buche stehen. Bei beiden zahlen die Familien die Kosten der Residenz, bei ihnen ist also nichts zu holen. Außerdem wäre da noch Rosamunde Maier. Sie war ihr Leben lang als Haushälterin und Kinderfrau bei einem international tätigen Architektenehepaar angestellt, hat auch dort im Haus gewohnt. Ihre ehemaligen Arbeitgeber wollen, dass sie im Ruhestand alle Bequemlichkeiten genießt, die möglich sind. Weil Rosamundes Rente natürlich nicht ausreicht, übernehmen sie einen Großteil der Kosten.«
»Ganz schön nobel«, murmelte Dennis, »da hat die gute Rosamunde großes Glück gehabt.«
Cäcilie lächelte. »Es ist ihr zu gönnen, nicht wahr? Wenn man sich sein ganzes Leben für eine fremde Familie beziehungsweise deren Kinder aufopfert, hat man sich ein bisschen Dankbarkeit redlich verdient, finde ich.«
Ich hatte die Informationen in Stichpunkten bei den betreffenden Personen an dem Flipchart notiert; jetzt sah ich die Schwestern an. »Die drei können wir also ausschließen, einverstanden? Sonst noch jemand?«
Die Schwestern nickten, dann sagte Cäcilie: »Unser Schlagerheini, Hansi Sommer. Residiert pompös in einer Suite, ist aber arm wie eine Kirchenmaus.«
»Ach was?« Erwins Brauen verschwanden unter seinen Löckchen. »Das müssen Sie mir genauer erklären.«
»Der hat alles, wat er jemals verdient hat, gnadenlos verballert«, erwiderte Cäcilie kichernd. »Für Weiber, Schampus und Glücksspiel, und da ist er auch noch stolz drauf. Der hat nix mehr außer seinen alten Bühnenklamotten und ein paar verstaubten Goldenen Schallplatten. Aber«, sie senkte verschwörerisch die Stimme, »es gibt da einen Fanclub, rein weiblich, natürlich. Allesamt sehr wohlhabende Damen gesetzten Alters, die angeblich mal seinen Schampus schlürfen durften«, sie zwinkerte in die Runde, »wenn ihr versteht, wat ich damit sagen will.«
Käthe zuckte zusammen und lief tiefrot an. »Cäcilie!«, zischte sie entrüstet.
Cäcilie zuckte mit den Schultern. »Ist doch wahr! Der geht mit seinen Gönnerinnen doch überall hausieren. Samt und sonders Ex-Geliebte. Angeblich. Wie auch immer: Die dummen Weiber schmeißen zusammen und ermöglichen ihm ein Leben wie Gott in Frankreich.«
»Der würde dir übrigens gefallen, Dennis«, sagte ich, während ich mir Notizen zu Hansi Sommer machte. »Am Sonntag trug er einen weißen Anzug und ein lila Satinhemd, strictly seventies.«
»Und einen exzellenten Haarschnitt hat er außerdem!«, rief Dennis und lachte schallend. »Ein Mann von Stil und Geschmack, wie es scheint.«
»Und? Sind das alle, die wir ausschließen können?«, fragte Erwin die Schwestern.
»Nein, Hermine Sanders gehört noch in diese Gruppe«, erwiderte Käthe. »Sie ist eine ehemalige Oberstudienrätin und hat ihr Leben lang jeden Pfennig auf die Seite gelegt, um ein Polster für ihren Ruhestand zu haben. Sie hat sich nie etwas gegönnt und tut es nach wie vor nicht, weil sie Angst hat, das Geld könnte ihr ausgehen, bevor sie stirbt.«
»Verstehe«, sagte Erwin. »Sie hat also vermutlich einen ordentlichen Batzen auf dem Sparbuch beziehungsweise irgendwie angelegt, aber keine … wie soll ich sagen … beweglichen Kostbarkeiten wie Schmuck oder dergleichen, die ihr geklaut werden könnten.« Er musterte forschend die Schwestern. »Und was ist mit Ihnen, meine Damen?«
»Ich besitze tatsächlich ein wenig Schmuck«, antwortete Käthe, »natürlich keine Fünfkaräter oder so. In unsrer Suite gibt es einen eingemauerten Tresor, in dem ich den Schmuck einschließe.«
»Käthes Perlen sind echt – meine nicht!«, verkündete Cäcilie fröhlich. »Und es ist kein Unterschied zu sehen, nicht wahr?«
Ich verglich die Perlenketten, die beide aktuell trugen. Tatsächlich: Ich konnte keinen Unterschied erkennen. Nun war ich kein Juwelier … aber das waren die wenigsten Leute. Man könnte also zu dem Schluss kommen, dass beide Ketten echt waren. Dass die Schwestern stets hübschen Schmuck trugen, wurde mir erst in diesem Moment bewusst: Ringe, Armbänder, Broschen und Ketten. Ob echt oder unecht, hatte ich mich nie zuvor gefragt. Für jemanden, der nach Beute Ausschau hielt, war diese Frage schon deutlich interessanter.
Die Schwestern gehörten eindeutig zur Risikogruppe. Verdammt.
»Okay, machen wir weiter«, sagte ich und nickte den Schwestern zu.
»Mal sehen«, erwiderte Käthe und studierte wieder die Liste. »Wir hätten da noch zwei Künstlerinnen, zwei wohlhabende Witwen und zwei hochrangige Militärs. Und das Fabrikantenehepaar natürlich: die Mönchhausens, Berta und Paul. Antike Möbel, schöne Gemälde, kostbares Geschirr. Beide sind sehr gesellig und laden gerne zu sich ein. Mal ein guter Wein auf der Terrasse, mal eine feine Kaffeetafel im Salon – man wird dort ganz hervorragend bewirtet. Sie spielen gerne Gesellschaftsspiele, fällt mir ein. Kurzum: Sie führen ein recht offenes Haus.«
»Klingt sympathisch«, warf Dennis ein, und die Schwestern nickten.
Cäcilie übernahm. »Unterhalten wir uns über die beiden Künstlerinnen, Olga Krasnaja und Lucia de Vitello. Olga hat eine glanzvolle Karriere als Primaballerina assoluta in mehreren großen Häusern hinter sich. Sie besitzt sehr schönen Schmuck, und das weiß jeder. Olga ist sehr diszipliniert …« Sie kicherte und fuhr fort: »Seien wir ehrlich: Sie ist ein staubtrockener, humorloser Stockfisch, eine echte Spaßbremse. Schrecklich langweilig. Lucia ist das genaue Gegenteil. Welche Kunst sie genau ausgeübt hat, ist sehr nebulös. Fakt ist wohl: Berühmte Maler haben sie porträtiert, berühmte Fotografen fotografiert. In den Swinging Sixties hat sie angeblich dem internationalen Jetset angehört und zum Beispiel in London mit bekannten Bands herumgehangen, und mehr als ein Song soll für sie geschrieben worden sein. Sie scheint genug Geld zu haben, um ein sorgenfreies Leben führen zu können, aber Genaues ist nicht bekannt.«
»Vielleicht bezahlt ja Mick Jagger ihre Miete«, sagte Dennis verträumt, »oder irgendein anderer steinreicher Mäzen. Tolle Vorstellung!«
»Und was wissen Sie über den Besitz der beiden?«, fragte Erwin die Schwestern.
Käthe zuckte mit den Schultern. »Olga soll von Bewunderern mit sagenhaften Juwelen beschenkt worden sein, aber ich weiß wirklich nicht, ob das nicht nur eine Legende ist, mit der sie ihre Vergangenheit aufpeppt. Herrje – Hansi erzählt ja auch immer die wildesten Geschichten, so sind Künstler halt. Wenn man mal in Applaus gebadet hat und berühmt war, ist es sicher schwer zu ertragen, wenn man in Vergessenheit gerät. Olgas Apartment ist übrigens zwar recht hochwertig, aber karg eingerichtet. Bei Lucia hängt ein riesiges Warhol-Porträt von ihr als junger Frau, aber ob das echt ist? Keine Ahnung.«
»Die beiden können sich übrigens nicht ausstehen«, verkündete Cäcilie mit einer gewissen Schadenfreude, wie mir schien. »Aber dummerweise leben sie in nebeneinanderliegenden Apartments, und es gibt ständig Streit zwischen ihnen, weil beide gerne laut Musik hören. Bei Olga ist es Klassik, bei Lucia eher Led Zeppelin.« Sie warf ihrer Schwester einen schelmischen Blick zu. »Genau wie bei uns, nicht wahr? Allerdings benutzen wir Kopfhörer, um die andere nicht zu stören.«
Es bedurfte nicht viel Fantasie, um darauf zu kommen, wer von ihnen was mochte. Trotzdem fand ich es witzig, wie selbstverständlich eine Achtzigjährige über Led Zeppelin sprach. Aber wieso auch nicht? 1960 war Cäcilie in ihren Zwanzigern gewesen – warum sollte sie nicht auf Rockmusik stehen? Oder zumindest darüber Bescheid wissen?
Erwin stand auf und kam zu mir an das Flipchart. Konzentriert studierte er meine Notizen, dann wandte er sich zu den Schwestern um. »Bleiben noch die beiden wohlhabenden Witwen und die beiden Militärs.«
»Wanda Dehring und Elisabeth Hennig«, sagte Käthe. »Unterschiedlich wie Tag und Nacht. Elisabeth genießt ihr Leben und verprasst ihr Vermögen, als hätte sie einen Gelddrucker in ihrem Apartment. Mindestens einmal pro Jahr richtet sie sich komplett neu ein, zu jeder Saison geht sie Kleidung nach der neuesten Mode shoppen und verschenkt die alten Sachen. Immer vom Feinsten.«
»Aber nicht gerade Dinge, die für Diebe interessant sind«, warf ich ein. »Es sei denn, sie hat eine Sammlung dieser absurd teuren Designer-Handtaschen.«
»Nee, sie ist keine klassische Sammlerin«, erwiderte Cäcilie. »Sie mag die ständige Veränderung. Sie ist sehr großzügig mit den Dingen, die sie aussortiert. Es kann durchaus vorkommen, dat unsere Servicekraft Susi in einer von Elisabeths abgelegten Designerblusen zur Arbeit kommt. Ausgemusterte Möbel spendet sie der Diakonie, Kleidung geht an gemeinnützige Kaufhäuser, die den Erlös behalten dürfen. Wanda dagegen trägt ihre altmodischen Röcke, bis sie ihr in Fetzen vom Hintern fallen. Wenn jemand einen Igel in der Tasche hat, dann sie. In ihrem Apartment ist es ähnlich. Da ist gar nichts, dat irgendwie nach Geld aussieht. Sie hat mal gesagt, sie habe alles in Aktien angelegt.«
Erwin hatte in der Zwischenzeit frischen Kaffee zubereitet und kam mit der Kanne zurück an den Tisch. Er schenkte nach und setzte sich wieder.
»Aus dem, was Sie uns bisher erzählt haben, ergibt sich schon ein sehr lebendiges Bild Ihrer Mitbewohner«, sagte er mit charmantem Lächeln zu den Schwestern. »Das machen Sie sehr gut, meine Damen. Zwei Herren fehlen noch, wenn ich richtig gezählt habe.«
Käthe nippte an ihrem Kaffee, und Cäcilie nickte. »Unsere beiden wackeren Zinnsoldaten. Man merkt ihnen an, dass sie beim Militär waren, immer zackig und diszipliniert, die Jungs. Albert Küppersbusch ist jahrelang zur See gefahren, zuletzt als Admiral. Er weiß recht unterhaltsam zu erzählen, dat muss man ihm lassen. Justus von Dillingen ist der Vater unserer hochwohlgeborenen Residenzleiterin. Viel ist über ihn nicht zu sagen, denn er macht sich selten mit dem niederen Volk gemein, um es höflich zu formulieren. Ich bin sicher, dat ihre Bezüge hoch genug sind, um den kostspieligen Aufenthalt in der Residenz locker zu bezahlen. Ob sie irgendwelche wertvollen Gegenstände besitzen, entzieht sich meiner Kenntnis.« Sie dachte kurz nach und fügte hinzu: »Kann ich mir aber nicht vorstellen. Männer, die ihr Leben lang Uniform getragen haben und von Standort zu Standort gezogen sind, häufen nichts an. Dat ist für sie nur Ballast, könnte ich mir denken.«
»Albert hat einige Souvenirs von Einsätzen im Ausland«, fügte Käthe hinzu, »aber die sind eher von sentimentalem Wert und meist ziemlich skurril. Schrumpfköpfe, ausgestopfte Fische und dergleichen.«
Ich ging zu meinem Sessel und setzte mich, ich brauchte dringend eine Pause. Viele neue Informationen ratterten durch meinen Kopf. Automatisch dachte ich bereits darüber nach, wer ein potenzielles Opfer war und wer nicht. Am liebsten hätte ich mich in mein Büro zurückgezogen und alles ganz in Ruhe durchdacht.
Nur am Rande nahm ich wahr, dass Doris hereinkam und von Erwin mit den Schwestern bekannt gemacht wurde. Zwischen ihnen entspann sich ein lebhaftes Gespräch, von dem ich allerdings nur Wortfetzen mitkriegte, während ich vor mich hin brütete, wessen Wohnung wohl verwanzt war und wo sich vielleicht noch unbekannte Schätze versteckten.
Ob bei der Künstlerin, von der man nicht wusste, welche Kunst sie ausgeübt hatte, wirklich ein echter Warhol hing? Der wäre einiges wert, aber man würde so ein großformatiges Bild kaum unauffällig verschwinden lassen können.
Was war mit den kostbaren alten Möbeln der Mönchshausens? Auch nicht ganz einfach zu klauen, zumal sie so gesellig waren, dass viele Leute das antike Mobiliar kannten.
Doris verabschiedete sich wieder, und ich musterte unauffällig das muntere Quartett aus ihr, den beiden Schwestern und Erwin … Vielleicht sollten wir ja doch darüber nachdenken, sie in der Residenz einzuquartieren? Aber dann würde bis zu ihrem Einzug viel zu viel kostbare Zeit vergehen, ehe sie sich umhören konnte.
Nein, das war wirklich kein guter Plan.
Kapitel 7
Gut, wenn man Freunde hat, die mit weißen T-Shirts aushelfen können, stellt Loretta fest
Dennis, der zwischendurch hinausgegangen war, um zu telefonieren, kehrte in diesem Moment zurück. »Na, wie weit sind wir?«, fragte er munter. »Sind wir schon fertig?«
»Das Personal fehlt noch«, erwiderte ich. »Und ich zermartere mir bereits das Hirn, wie wir unauffällig näher an sie herankommen.« Ich sah die Schwestern an. »Ich kann ja nicht plötzlich anfangen, euch täglich zu besuchen. Das wäre viel zu auffällig.«
»Oh, dafür haben wir eine ganz einfache Lösung!«, tirilierte Cäcilie aufgeräumt. »Du wirst begeistert sein! Willst du es ihr sagen, Käthe?«
Beide Schwestern strahlten über das ganze Gesicht, und erneut – wie schon bei ihrer kryptischen Ankündigung im Auto – schrillten meine Alarmglocken.
»Du wirst in die Residenz eingeschleust, Loretta«, verkündete Käthe triumphierend. »Es ist bereits alles arrangiert.«
Ich konnte sie nur blöde anglotzen, aber Dennis rieb sich erfreut die Hände. »Was haben Sie eingestielt, Sie zwei Teufelsweiber?«
Nun, ich konnte seine Begeisterung nicht teilen – zumindest noch nicht. Und ich bezweifelte stark, dass sich das noch ändern würde. Ich warf Erwin einen hilfesuchenden Blick zu, aber er signalisierte mir mit einer unauffälligen Handbewegung: Abwarten, Loretta.
Also zwang ich mir ein erwartungsvolles Lächeln ins Gesicht und sagte: »Spannt mich bitte nicht länger auf die Folter. Ich platze vor Neugier.«
Käthe holte tief Luft. »Wie es das Schicksal will, hat sich die Küchenhilfe heute das Handgelenk gebrochen und fällt eine Zeit lang aus. Frau von Dillingen stand kurz vor einem Nervenzusammenbruch, denn am Freitagabend ist ein großes Dinner für alle Bewohner geplant, das sie keinesfalls absagen will. Micky – der Koch – schafft das unmöglich alleine. Und genau da kommst du ins Spiel, Loretta.«
Das konnten sie nicht ernst meinen.
»Ich soll in der Küche anheuern?«, fragte ich entgeistert. »Was denken die denn, wer ich bin? Kennen eure Mitbewohner mich nicht von euren Vorträgen über den Mord beim Speed-Dating? Außerdem haben etliche mich am Sonntag beim Essen gesehen!«
Gleichmütig zuckte Cäcilie mit den Schultern. »Na und? Wir haben der von Dillingen gesagt, du bist die Tochter einer guten Bekannten und hast ein paar Wochen Zeit, bis du einen neuen Job antrittst. Und bei unseren Vorträgen über den Mord haben wir selbstverständlich nie deinen Namen genannt oder ein Foto von dir gezeigt. Wir sind schließlich diskret und wissen, was sich gehört.«
Tatsächlich fand ich, dass es sich keinesfalls gehörte, mich ungefragt als Küchenhilfe zu verschachern. »Kann ich darüber nachdenken?«
»Nein«, wurde mir freundlich von Käthe mitgeteilt. »Du fängst morgen an. Näher kannst du nicht an unsere Mitbewohner rankommen, vom Personal ganz zu schweigen. Und wir müssen nicht einmal vorgeben, uns nicht zu kennen. Ist das nicht wunderbar?«
Wunderbar wäre jetzt nicht das Wort meiner Wahl gewesen, wirklich nicht. Aber wider Willen musste ich zugeben, dass sie die Sache durchaus geschickt eingefädelt hatten.
»Wann ist morgen dein Dienstbeginn, meine kleine Kaltmamsell?«, fragte Dennis mich später.
Ich konnte mir einen flammenden Blick in seine Richtung nicht verkneifen. »Kaltmamsell? Mach nur so weiter, dann ist das Nächste, was du spürst, ein Nudelholz, das ich dir über die Rübe ziehe.«
Ich saß am Rechner in meinem Büro und übertrug die neuen Informationen ins Dossier. Erwin hatte sich angeboten, die Schwestern zurück in die Residenz zu fahren; so könne er sich gleich ein Bild von den Örtlichkeiten machen. Er hatte seine kleine Digitalkamera eingesteckt, um Fotos zu knipsen, die später unsere Planungen unterstützen sollten.
»Warum bist du so sauer?«, fragte Dennis. »Wir haben uns den Kopf zerbrochen, wie wir es schaffen können, in der Residenz zu ermitteln. Also läuft doch alles in unserem Sinne, oder nicht?«
»Pff. Du hast leicht reden. Du bist nicht derjenige, der völlig unvorbereitet ab morgen in einer Küche schuftet. Weißt du, ich schätze es einfach nicht sonderlich, vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden.«
»Seltsam«, sagte Dennis, »ich hätte deine Reaktion ganz anders eingeschätzt. Die Loretta, die ich kenne, hätte doch sofort diese unglaubliche Chance ergriffen, um undercover tätig zu werden.« Er musterte mich mit zusammengekniffenen Augen. »Moment mal. Nervt dich etwa, dass diese Idee nicht auf deinem Mist gewachsen ist? Ist es das?«
Ertappt. Ich wandte den Blick ab.
O Mann, der Kerl kannte mich wirklich in- und auswendig. Er hatte den Nagel auf den Kopf getroffen: Ja, es fuchste mich gewaltig, dass diesmal nicht ich diejenige mit dem genialen Plan gewesen war, der die Nachforschungen vorantreiben würde.
Gleichzeitig schämte ich mich, so kleingeistig zu sein. Die Schwestern hatten eine sensationelle Gelegenheit beim Schopfe gepackt, das war Fakt.
Sie hätten wenigstens anrufen können, um mich zu fragen, wandte eine meiner inneren Stimmen beleidigt ein. Aber dazu war vermutlich keine Zeit gewesen; immerhin mussten sie ausschließen, dass die Rottenmeier – pardon: Frau von Dillingen – sich in ihrer Not ans Arbeitsamt wandte und nahm, wen sie von einem Tag auf den anderen kriegen konnte. Natürlich konnte sie nicht darauf warten, wie ich mich entscheiden würde. Kurzum: Die Schwestern hatten alles richtig gemacht.
»Ich bin eine blöde Kuh.« Ich seufzte und grinste schief.
Dennis schüttelte den Kopf. »Nein, das bist du nicht. Eine blöde Kuh würde ich nämlich nicht mal mit der Kneifzange anfassen. Aber du bist daran gewöhnt, in solchen Fällen das Zepter in der Hand zu halten und beinahe alle Entscheidungen selbst zu fällen. Und jetzt sind da diese beiden Miss Marples, die dir in diesem winzigen Detail eine Nasenlänge voraus waren. Gib zu: Du hättest dir niemals die Möglichkeit entgehen lassen, in der Küche der Residenz zu arbeiten.«
»Nee, das hätte ich natürlich nicht.«
»Siehste? Also freu dich gefälligst, dass du ab morgen an der optimalen Stelle hockst, um die Leute zu beobachten und gefahrlos herumzuschnüffeln, ohne dass jemand misstrauisch wird. Niemand wird es merkwürdig finden, wenn du ein wenig neugierig bist.«
Dein Wort in Gottes Ohr, Dennis, dachte ich.
Als er gegangen war, vertiefte ich mich in die Informationen, die ich von den Schwestern über meinen zukünftigen Arbeitskollegen, den Koch, bekommen hatte. Micky Thomsen war mit geschätzten Mitte vierzig in meinem Alter. Das Foto – es sah aus, als hätte ein Paparazzo es geschossen – zeigte einen Glatzkopf mit dunklen Bartstoppeln und grimmigem Blick in einer weißen Kochjacke, die seinen bulligen Oberkörper knapp umspannte. Laut den Schwestern galt er als cholerisch, denn man hatte ihn mehrfach in der Küche herumbrüllen hören, woraufhin die Küchenhilfe jedes Mal schluchzend herausgestürzt gekommen war. Aber er war stets pünktlich und verwöhnte die Bewohner mit exzellentem Essen.
Kein Wunder, denn es war bekannt, dass er früher in den besten Häusern gearbeitet und dazu beigetragen hatte, dass diese mit einem oder mehreren Michelin-Sternen ausgezeichnet wurden. Sein zuweilen unbeherrschtes Temperament hatte ihn allerdings von der Karriereleiter abstürzen lassen. Bei einer feinen Veranstaltung mit wichtigen Gästen sollte er die Fassung verloren und einer stadtbekannten Dame der Gesellschaft einen Krug Vanillesauce über die festliche Frisur gekippt haben. Und warum? Weil besagte Dame mit seiner Zuteilung der süßen Tunke nicht einverstanden gewesen war und lautstark seine Kompetenz angezweifelt hatte.
Schon mal nicht schlecht, wie ich fand.
Eine andere Version seines dramatischen Absturzes besagte, er hätte den Küchenchef bei dessen Inspektion des gerade aufgebauten kalten Büfetts mit erlesensten Spezereien auf selbiges geschubst. Daraufhin war die ganze Pracht krachend umgestürzt und hatte seinen Chef nicht nur unter einer Unzahl von Platten mit exquisiten Häppchen und exotischem Fingerfood, sondern auch unter der turmhohen Eisskulptur begraben. Und warum? Weil besagter Küchenchef irgendetwas zu nörgeln gehabt hatte.
Welche der beiden Versionen auch immer stimmen mochte oder ob es noch eine dritte gab – ich war auf diesen Kerl verdammt neugierig. Und sehr gespannt, ob ich ihn der Gruppe der Verdächtigen zuteilen würde.
Der Hausmeister, Herr Meister, schien dagegen unauffällig zu sein: Er erschien zur Arbeit, erledigte seine Aufgaben rasch und kompetent – und ließ sich ansonsten herumschubsen, wie ich selbst erlebt hatte. Ob er wohl frustriert war? Insgeheim auf eine Gelegenheit wartete, es allen heimzuzahlen? Aber würde er dann nicht eher … keine Ahnung … die Residenz abfackeln oder so? Und vom Pavillon aus kichernd dabei zugucken, wie alles zu Asche zerbröselte? Oder hatte seine Persönlichkeit genug devote Anteile, um diese Behandlung klaglos auszuhalten und vielleicht sogar als unvermeidlich hinzunehmen?
Dann waren da noch die zwei Mädels, die für den Service zuständig waren: Susi und Janina. Die Erstere hatte ich am Sonntag selbst in Aktion erlebt, sie war fröhlich, höflich und geschickt, wie ich mich erinnerte. Ich schätzte sie auf Anfang dreißig, und sie genoss laut Cäcilie und Käthe das Privileg, sich bei den abgelegten Designerklamotten der lustigen Witwe Elisabeth Hennig bedienen zu dürfen. ›Abgelegt‹ im Sinne von ›aus der letzten Saison‹ wohlgemerkt, also keineswegs ein Fall für den Altkleidersack. Vermutlich war sie die am teuersten gekleidete Servicekraft im gesamten Ruhrpott.
Janina wirkte auf dem Foto zehn Jahre älter und mindestens zwanzig Kilo schwerer als ihre Kollegin. Die Schwestern hatten erzählt, dass alle sich freuten, wenn Susi Dienst hatte, denn Janina war mürrisch und einsilbig. Außerdem schien sie ihren Job nicht sonderlich zu mögen. Oder die Leute, für die sie arbeiten musste. Für die ausgemusterten Designerblusen kam sie wohl nicht infrage, denn die großzügige Spenderin war, genau wie Susi, sehr schlank. Vielleicht ein zusätzlicher Grund für ihre latent schlechte Laune? Konnte glatt sein.
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