Kitabı oku: «Lydia», sayfa 2

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"Bleiben Sie hier einen Augenblick stehen und geben Sie mir das Versprechen, kein Lebenszeichen von sich zu geben, was Sie auch sehen mögen."

Der Baron nickte mit dem Kopfe. Er hatte jetzt, wo der entscheidende Moment gekommen war, seine ganze Besonnenheit wieder erlangt. Mit übereinander geschlagenen Armen stand er an einen Baum gelehnt und wartete, bis Cornelia, die sich auf die andere Seite begeben hatte, zurück kehrte.

Mit triumphirender Miene winkte sie ihm.

"Allzugroße Vorsicht ist nicht nöthig" - sagte sie. "Das Geplätscher des Springbrunnens dämpft jedes Geräusch bis zur Unhörbarkeit. Doch vorher eine Frage: Was gedenken Sie zu thun?"

"Sie werden es sehen, wenn ich gesehen habe. Haben Sie indeß keine Furcht" - setzte der Baron mit leiser Stimme hinzu. - "Sie werden doch nicht glauben, daß mein Ehrgeiz dahin geht, vor Ihnen ein romantisches Spektakelstück aufzuführen? Verlieren wir keine Zeit mit unnützen Redensarten." - Sie waren unterdeß ein Paar Schritte fortgegangen. "Hier" - sagte Cornelia, indem sie auf eine kleine Oeffnung zwischen den Blättern wies. Der Baron beugte sich vor.

Auf der schräg gegenüber liegenden Bank saß, halb noch vom Wasserstaub des Springbrunnens verdeckt, ein junger Mann von sehr einnehmendem blühenden Aeußern, das echte Bild der jugendlichen Frische und Anmuth. Er starrte jetzt vor sich auf den Boden nieder, in dem sein Spazierstock allerlei Arabesken und Namenszüge eingrub. Neben ihm saß eine sehr bleiche, nicht mehr ganz jugendliche Dame, deren schöngeformter Kopf von einer Menge kurzer anmuthig geordneter Locken umgeben war, welche die einzelnen Züge um so weniger klar erkennen ließen, als sie sich auf ein Buch niederbeugte, aus dem sie dem jungen Manne etwas vorzulesen schien. Obgleich ihr Oberkörper in halb sitzender halb liegender Stellung bis an die Rücklehne der Bank zurückgebeugt war, konnte man doch die graziösen Formen ihrer Gestalt bemerken.

Sie ließ jetzt das Buch sinken und sah den jungen Mann, der diese Bewegung nicht zu bemerken schien, eine Weile schweigend an:

"Was phantasiren Sie da, Arthur?" - sagte sie mit sehr sanftem und wohllautenden Accent, indem sie auf seine Zeichnungen wies.

Erschreckt wie aus einem Traume fuhr er empor, dann strich er sich über die Augen.

"Ach, Alice" - entgegnete er mit einer Art von Wehmuth im Ton, "ich dachte eben darüber nach, wie so klein ich Dir erscheinen muß; wie es möglich sei, daß ich Dir, dem hochherzigen, die ganze Menschenwelt mit Liebe umfassenden Weibe mit meiner engherzigen Empfindung genügen kann. Ich fühle wohl, daß gerade in meiner Verehrung für Dich, in dem Kultus meines Herzens für Deine Größe mein größter Stolz, und in dem Bewußtsein, in Deinem schönen Körper Deine ganze schöne Seele zu umfassen, mein höchstes Glück liegen muß - und doch liegt zugleich mein größter Schmerz darin."

"Schmerz?" fragte Alice mit demselben sanften, halb melancholischen Ton, der ihr eigen zu sein schien.

"Ja, Schmerz, rasender Schmerz" - rief der junge Mann aufspringend. "Begreifst Du nicht den Schmerz, welcher in dem Gedanken, ganz Liebe und Hingebung zu sein, in dem Gedanken, daß Du mein Gott, meine Welt, mein All bist, und Du - "

"Nun? und ich?" - sagte Alice, ebenfalls sich erhebend.

"Du bist wie ein Fürst in seinem Park, wo nur das Ganze, die Harmonie aller Einzelnen sein Wohlgefallen erregt, während er eine einzelne Blume ohne Kummer zertreten mag. Ich bin wie der Arme, der nur diese Blume hat, und sein Liebstes verliert, wenn sie ihm verloren geht. Glaube mir, Alice: dieser Gedanke verläßt mich nicht mehr. Wie eine Ahnung Deines Verlustes schwebt es gleich dem kleinen Sturmwölkchen am fernen Horizont meines Liebehimmels und selbst, wenn Du mich so innig an Dein liebeglühendes Herz drücktest, blieb jener Gedanke als bittere Hefe am Rande hängen und verbitterte mir so das schönste Glück, das Glück, Dich ganz zu besitzen."

Sie waren indeß Beide an das Bassin getreten. Arthurs Gesicht glühte, während er sprach; und Alice fütterte die Goldfische, welche schaarenweise auf die hingeworfenen Brocken zuschwammen.

"Du bist ungenügsam, Freund" - sagte sie sanft - "und wenn ich so sagen dürfte, undankbar. Soll ich, um Dich von der Wahrheit meiner Liebe zu überzeugen, Dich an die Opfer erinnern, die ich Dir gebracht, an - - ." "Verzeih mir, Verzeihung Alice" - rief Arthur mit Thränen in den Augen, indem er Alicens Hand heftig an die Lippen preßte und dann an die Brust drückte. "Du hast Recht. Ich bin nicht werth, von Dir geliebt zu werden. Aber nimm hier mein Versprechen! Was Du mir giebst, will ich dankbar hinnehmen, als spendete es mir eine seegenbringende Göttin. Ich will nicht klagen, selbst dann nicht, wenn Du mich - nicht mehr liebst" - setzte er mit bewegter Simme hinzu.

"O mein Geliebter" - rief plötzlich Alice, indem sie beide Arme um seinen Hals schlang und seinen Kopf an ihren Busen preßte. "Ruhig, mein Arthur, ruhig" setzte sie nach einer Pause hinzu, indem sie den Glühenden sanft von sich abwehrte - "wir könnten belauscht werden - gieb mir den Arm. Wir wollen in den Kursaal gehen." Indem sie ihren Arm in den seinigen legte, traten sie in die Allee ein.

"Geben Sie mir den Arm, Cornelia," sagte der Baron ruhig. Sie schlugen die entgegengesetzte Richtung ein, so daß sie nothwendig auf der andern Seite der Kreisallee, an dem Punkte, wo der schmale Ausgang war, zusammentreffen mußten.

"Was Teufel, Alice, Du hier? und so gut versehen. - Ich wünsche guten Appetit, mein Herr!"

Nach diesen, mit launigem Ton und unbefangenem Lachen begleiteten Worten, welche der Baron dem andern Paare schon auf sechs Schritt zurief, zog er mit ironischer Courtoisie den Hut und ging mit Cornelia gemächlich, und ohne weitere Notiz von jenen zu nehmen, voraus.

"Sie sind ein grausamer und, was mehr ist, ein gefährlicher Mensch, Baron; die arme Alice! Wie blaß wurde sie bei Ihrem Anblick. Und der junge Seladon mit seinem Liebesschmerz - - haben Sie sein Gesicht gesehen? - hatte es nicht die frappanteste Aehnlichkeit mit einem Schulknaben, der bei ungerechter Strafe zwischen seinem Ehrgefühl und der angeborenen Pietät schwankt? - - Ich bin neugierig, ob er die Sache so ruhig nehmen wird. - - - Was gedenken Sie zu thun, Baron? - Aber mein Gott, so sprechen Sie doch! Warum antworten Sie denn nicht. Sind Sie etwa gerührt? Fühlen Sie Gewissensbisse ob Ihrer Barbarei?" -

"Schweigen Sie, Cornelia, ich bitte Sie dringend. Was sollen jetzt diese Kindereien? Denken Sie daran, daß wir gehört und gesehen werden können, und daß wir schon in der nächsten Minute einer höflichen Anrede von Herrn Arthur entgegen sehen dürfen."

"Sie haben Recht. Lassen Sie uns von gleichgültigen Dingen sprechen. Blicken Sie einmal nach dieser Richtung hin. Sehen Sie dort in der Seitenallee die junge Dame, die eine ältere am Arme führt?"

"Nun?"

"Das ist die Braut Arthurs, der beiläufig gesagt ein sehr beliebter Lieder-Componist, Namens Berger, ist. Merken Sie sich das, verehrtester Freund, für vorkommende Fälle, und nun sehen Sie einmal dies junge Mädchen genauer an. Nicht war, eine leibhaftige Hebe?"

Der Baron konnte als Kenner in dieser Beziehung gelten, und doch mußte er es sich selbst gestehen, eine so durchaus anmuthige Erscheinung war ihm noch niemals zu Gesicht gekommen. Die zarteste Weiblichkeit und gefühlstiefste und dennoch völlig ahnungslose Unschuld lag über den lieblichen Zügen dieses reizenden, halb kindlichen, halb jungfräulichen Gesichts ausgebreitet. Sie blickte, als der Baron mit Cornelia nahe gekommen war, unbefangen auf, schlug aber wie innerlich zusammenschaudernd vor dem bleichen, leidenschaftlichen Ausdruck des Ersteren schnell die Augen zu Boden, während eine tiefe Röthe ihr halbabgewandtes Gesicht und ihren Hals bedeckte.

"Sie liebt ihn, glauben Sie?" fragte der Baron.

"Wie es allgemein heißt und scheint, ja." - erwiederte Cornelia.

"Desto besser. - Wie heißt sie? - Ich will nur den Vornamen wissen."

"Lydia. - Warum wollen Sie nicht ihre Familie kennen lernen?"

"Weil es überflüssig ist."

"Ueberflüssig? Ich sollte meinen, daß sie eine so anziehende Persönlichkeit hat, die schon der Annäherung werth ist?"

"Eben darum."

"Ich verstehe Sie nicht?"

"Ich brauche ihren Familiennamen nicht zu wissen, weil sie ihn nach einem Vierteljahre doch verlieren wird."

"Sie sprechen in Räthseln."

"Nun, zum Teufel! Sie wird dann meine Frau sein. Ich werde sie heirathen; rede ich jetzt deutlich genug?"

Cornelia sperrte diesmal vor wirklichem Erstaunen die Augen weiter auf, als gewöhnlich. Indessen blieb ihr keine Zeit, ihrem Herzen Luft zu machen, da in demselben Augenblicke die Stimme des jungen Mannes, dessen Gespräch mit Alicen sie belauscht hatte, neben ihr sich vernehmen ließ.

"Mein Herr, ich wünschte zu wissen, ob Sie die Absicht gehabt haben, die Dame, welche in meiner Begleitung war, oder mich selbst persönlich zu beleidigen."

"Haben Sie darin eine Beleidigung gefunden, so kann ich das weder Ihnen, noch jener Dame wehren. Uebrigens pflege ich meine Absichten für mich zu behalten."

"Sehr wohl, mein Herr." - "Auf Wiedersehen, mein Herr," sagte der Baron, sich artig verbeugend, und verließ mit Cornelia den Park.

Kapitel 2

Das Bad Pr---t, welches eine weniger zahlreiche, aber mehr ausgewählte Gesellschaft, als die meisten deutschen Bäder in seinem lieblichen Thale zu vereinigen pflegte, hatte eine überaus reizende Lage am obern Abhange des Gebirges, an dessen Fuß es sich gleich einer Perlenschnur hinschlang. Dieser Vergleich war um so passender, als die meisten der kleinen, durch Gärten getrennten Häuser weiß angestrichen waren, was dem aus der Ferne kommenden Reisenden einen gar erquicklich heitern Anblick gewährte. Es besaß nur eine Straße, die, der Böschung des Gebirges folgend, in mancherlei Windungen zwischen Gärten und Häusern hinlief, und etwas aufsteigend zu dem höher gelegenen eigentlichen Bade hinführte, welches aus zwei Brunnenhäusern und den dazu gehörenden Nebengebäuden bestand und durch den großen Park, welchen wir schon im vorigen Kapitel kennen gelernt, von dem noch höher hinauf bis zum Kamm des Gebirges sich erstreckenden Gebirgswalde getrennt wurde. Landsfeld hatte sich bald nach der oben erzählten Scene von Cornelien getrennt. Er ließ sie im Kursaal und begab sich in den Park zurück, um einen Ausgang nach der Seite des Gebirges zu suchen. Denn er liebte es, auf den unwegsamsten höchsten Abhängen der Berge umherzuklettern, nur von sich und seiner Gefahr begleitet, in dem Bewußtsein, ein Paar hundert oder tausend Fuß erhaben zu sein über dem Menschentroß da unten. Fand er aber gar durch Zufall eine Stelle, von der er auf das Ameisentreiben der Ebene, etwa einen hervorspringenden Felsblock, von dessen Spitze er in's Thal schauen konnte, oder eine tiefe Schlucht, die seinem Blick einen schmalen Durchgang gewährte, so konnte er Stunden lang dort sitzen und beobachten und sich freuen, wie sie doch wirklich so klein seien, diese Menschen, und nicht verdienten, daß man sich mit dem Einzelnen anders beschäftigte, als um ihn zu einem Mittel zu verwenden oder ein Experiment mit ihm anzustellen. Er vergaß dabei freilich, daß, wenn diese kleinen Menschen, die er mit einiger poetischer Steigerung mit Ameisen - zuweilen auch wohl, wenn er gerade übler Laune war, mit Mistkäfern verglich, ihn dort oben zufällig erblickten, er ohne Zweifel von ihnen für eine Krähe oder sonst ein kleines Gethier gehalten werden würde, worin sie sich immer noch gerechter und toleranter bewiesen als er.

Langsam und gemächlich schlendernd nach Art anderer Spaziergänger - denn er wußte wohl, daß er in einem Bade durch Nichts so sehr die Aufmerksamkeit erregt hätte, als durch einen hastigen Gang - schlug Landsfeld die Richtung nach dem Rondel ein, was er, durch seinen vorzüglichen Ortssinn unterstützt, bald erreichte. Er schritt durch den kleinen Durchgang und blieb an der Bank stehen, auf dem das von ihm belauschte Paar gesessen hatte. Darauf setzte er sich selbst und versank in ein tiefes Nachsinnen. Der Kopf sank ihm auf die Brust, über der er die Arme verschlungen hielt; sein Blick ruhte starr und theilnahm-los auf dem Bassin, aus dessen stets bewegter Oberfläche dann und wann ein Goldfisch seinen kleinen rothen Kopf neugierig oder um Luft zu schöpfen herausstreckte. Außer dem einförmigen Plätschern des Springbrunnens, dessen herabfallender Wasserstrahl durch eine schön gearbeitete marmorne Muschel aufgefangen wurde, von der das Wasser in eine zweite größere einfloß, um endlich von dem Bassin aufgenommen zu werden, hörte man keinen Laut. Die Sonne durchglänzte nur noch die höchsten Gipfel der Bäume, denn obwohl es noch nicht spät war, nahte der Abend diesem Thale doch früher als selbst den tiefer gelegenen Gegenden, weil das in Westen sich hinein-ziehende Gebirge die Strahlen der neigenden Sonne abschnitt.

Eine Viertelstunde schon mochte Landsfeld in der bezeichneten Stellung gesessen haben, ohne daß irgend eine Bewegung verrieth, daß Leben in ihm sei, hätte nicht ein fast unmerkliches krampfhaftes Zucken der rechten Hand, die der linke Arm umfaßte, einen Beweis vom Gegentheil gegeben.

"Auch dieß Weib" - murmelte er zwischen den Zähnen, indem er aufsprang. Er warf einen forschenden Blick umher, als fürchtete er beobachtet zu werden. Sein Gesicht war noch bleicher als sonst, aber in seinen Augen brannte eine dunkle verzehrende Glut. Wie um die ihn störenden Gedanken zu verscheuchen, strich er sich das über die Stirn herabgefallene Haar aus dem Gesicht und richtete sich frei und hoch auf.

Als er sich noch einmal nach dem eben verlassenen Sitz umwandte, als wollte er noch einen letzten Abschiedsblick auf ihn werfen, fiel ihm ein weißes Blatt in die Augen, welches wahrscheinlich zwischen den Fugen der Bank durchgefallen und beim Fortgehen von einer der hier früher anwesenden Personen vergessen worden war. Rasch nahm er es auf. Es war ein Billet, wie es schien von einer Damenhand geschrieben. Die Adresse fehlte. Landsfeld sah nach der Unterschrift.

"Lydia" - sagte der Baron. "Das ist ein Wink des Schicksals. Nun bei Gott, der soll mir nicht umsonst gegeben sein." Er schickte sich zu lesen an, als er plötzlich inne hielt, und, das Billet zu sich steckend, an einer Stelle, die dem kleinen Durchgange gegenüber lag, zwischen den Bäumen durchbrechend verschwand.

Einen Augenblick später erschien an dem Durchgange der junge Mann, welchen wir unter dem Namen Arthur Berger kennen gelernt haben. Er schien etwas zu suchen, denn er bückte sich unter die Bank, die so eben der Baron verlassen hatte, ging dann noch mit zur Erde gerichteten Blicken um den Teich herum und verließ endlich auf demselben Wege das Rondel. Landsfeld trat aus seinem Versteck hervor. Ein triumphirendes Lächeln lag auf seinen Zügen.

"Ich werde Dich lehren, Freund, in meinem Gehege zu jagen" sagte er, ihm nachsehend. "Unbegreiflich bleibt es mir doch, daß Alice mich um diesen blonden Schäfer aufgeben konnte. Aber sie sollen es Beide büßen" - setzte er mit einem Ausdruck innerlicher Wuth hinzu, der seinen Zügen einen wahrhaft unschönen Charakter verlieh.

Mit schnellen Schritten verließ er jetzt den Platz und schlug durch den immer dichter werdenden Park, ohne die gebahnten Fußwege, die in großen Krümmungen einander durchkreuzten, zu berücksichtigen, die Richtung nach dem Gebirge ein. Bald hatte er die Grenze des Parks, die durch eine dichte Hecke und einen hinter demselben strömenden Arm des Bergstroms gebildet wurde, erreicht. Mit kräftiger Hand bog er die Dornsträucher auseinander, um sich einen Durchgang zu verschaffen, und stand am Ufer des Flüßchens, das hier ziemlich reißend und durch mehrtägigen Regen höher als gewöhnlich angeschwollen war. Er war deshalb gezwungen, einige hundert Schritte stromaufwärts zu gehen, wo ein mächtiger Baumstamm, der theils vom Alter, theils vom Sturm gefällt zu sein schien, sich wie eine natürliche Brücke über das unter ihm dahin rauschende Wasser gelegt hatte. Indeß war der Uebergang nicht leicht. Denn durch die Feuchtigkeit von der Borke entblößt, bot die nach Oben gekehrte Seite des Stammes nur eine halbrunde, schlüpfrig glatte Fläche dar, welche zu betreten mit nicht geringer Gefahr verbunden war, da bei dem geringsten Fehltritt ein Sturz in das, wenn auch nicht tiefe, doch mit einer Menge scharfer Felstrümmer besäete Flußbett unvermeidlich war. Landsfeld wurde jedoch von keinem Gefühl weniger beherrscht als von der Furcht. Im Gegentheil suchte er gerade solche Schwierigkeiten mit einer Art von Liebhaberei auf, theils weil er in ihrer Ueberwindung die Aufregung fand, die er zum Gefühl seiner Lebenskraft brauchte, theils auch darum, weil sein Selbstgefühl durch den Gedanken erhoben wurde, daß tausend Andere an seiner Stelle davor zurück schrecken würden. Denn das Gefühl der Superiorität war dasjenige, welches bei ihm der größten und kräftigsten Nahrung bedurfte. Hätte er bei solchen Gelegenheiten Zuschauer gehabt, so würde er ohne Zweifel von dem Versuch abgestanden sein, denn Nichts erschien ihm erbärmlicher als ein leichtsinniges Renommiren. Auch achtete er die Menschen, die mit ihm nicht wetteifern konnten, viel zu wenig, um ihren Beifall nicht widerwärtig, ja selbst demüthigend zu finden. Anders wäre es vielleicht gewesen, hätte er sich von Jemandem belauscht und bewundert gewußt, der im Glauben stand, von ihm nicht bemerkt zu werden. In solchem Falle nahm er den Triumph wohl mit, da keine Demüthigung damit verbunden war. Auch hätte er dann nach der That nie zugestanden, von dem Lauscher gewußt zu haben, vielmehr versichert, daß er sie gewiß unterlassen hätte, wenn er sich nicht allein geglaubt.

Mit sicherem Fuß und festen Blick betrat er den schlüpfrigen Pfad und ging ruhig, ohne Zögern und ohne Schrecken hinüber. Ohne einen Blick zurück zu werfen, stieg er nun bergan. Nach halbstündigem Steigen gelangte er auf einen schmalen, wohl nur von Hirten betretenen Fußsteig, der ihn in kurzer Zeit auf des Berges höchsten Punkt führte.

Eine herrliche Aussicht bot sich hier seinen Blicken dar. Vor ihm lag in goldig blauen Duft gehüllt der Kamm des Gebirges, der von Norden nach Süden sich hinziehend in den Strahlen der eben von den höchsten Gipfeln verschwindenden Abendsonne erglühte. Mit gekreuzten Armen betrachtete Landsfeld das feierliche schöne Schauspiel des sinkenden Gestirns, das noch einen letzten Abschiedsblick und Kuß auf die allmählich zur Ruhe versinkende Erde zu werfen schien. Die Tage seiner Jugend dämmerten in seiner Erinnerung auf mit allen ihren reinen Freuden, mit allen schuldlosen Genüssen und harmlosen Spielen. Damals auch war er auf dem Gebirge seines Vaterlandes umhergeklettert, damals auch fühlte er dies innerliche Sehnen, auf den höchsten Spitzen zu stehen und herabzublicken auf die Thäler, wenn sich die Schatten auf sie lagerten, während die Gipfel und er selbst auf ihnen noch von der dunkelsten Glut der Sonne erleuchtet wurde. Damals auch kannte er keinen größeren Schmerz als den, daß er die höchsten, schneebedeckten Gipfel nicht erreichen konnte, die weit, weit hinter ihm noch lagen und ihm in ihren weißen Häuptern bald zu winken, bald zu höhnen schienen. Damals und heut! -

Welche Bilder hatten sich seitdem durch seine Seele gedrängt, welche Reihe von Gedanken seinen Geist bestürmt! - Jene Bilder waren verblichen und verstümmelt, jene Gedanken hatten sich selbst verzehrt, oder waren von andern verzehrt worden, von scharfen, bittern, schmerzlichen Gedanken, die seine Brust ausgehöhlt und sein Herz verdorrt hatten.

Aber die Erinnerung weckte die Leichen in seiner Brust und in seinem Herzen. Wie Schatten zogen sie vor seinem innern Gesicht her, die heitern Bilder, die ihn traurig und die düstern, die ihn bitter stimmten. Ein unendliches Gefühl des Alleinseins ergriff ihn; eine Seele wollte er haben, in die er sich ergießen, aus der er Hoffnung und Trost schöpfen könnte.

Hoffnung, worauf? Trost, wofür?

Noch war in Landsfeld die Sehnsucht nach dem lebendigen Ideal nicht untergegangen. Ja, in dieser Erinnerung an seine Jugend selbst konnte er die Gewähr dafür schöpfen. Aber er sagte zu sich: "Wohl ist die Erinnerung das ewig mit sich selbst ringende, ewig an sich selbst zweifelnde Bewußtsein des Ideals, aber gepaart mit der Ueberzeugung, daß seine Erreichung unmöglich sei. Denn warum wäre sie sonst schmerzlich, auch bei sogenannten guten Menschen? Sie ist nicht die Vorstellung eines wirklich gehabten Genusses, sondern das zwecklose Idealisiren desselben, das unwahre, selbsttrügerische Reinigen desselben von allem Materiellen, Unbequemen, Hinderlichen, Unangenehmen, - kurz Schlackenartigen, von dem jeder Genuß seinen Theil und jeder Schmerz den seinigen hat, denn kein Genuß ist ohne Sinnlichkeit und kein Schmerz ohne Egoismus. Darum stimmt uns eine Erinnerung nicht traurig, weil wir fühlen, daß es nichts Wirkliches ist, was wir verloren, auch nicht froh, weil wir fühlen, daß die Vergangenheit eine ewige ist, sondern wehmüthig: - Und was liegt mehr darin, als eine jämmerliche Inkonsequenz, die ohnedies sich durch ihre Sentimentalität lächerlich macht? - "Mit der Hoffnung bin ich fertig" - fuhr er nach einer Pause, in der er unverwandt nach dem immer tiefer sich färbenden Gebirgskamm gesehen, als erwartete er noch ein Zeichen von dorther, das seine Hoffnung noch einmal belebte, fort - "und der Trost, der mir werden soll?" Er lächelte bitter - "den werde ich mir selber erringen. In der Trostlosigkeit der Andern werde ich meine Ruhe finden. - O Alice, du hast mich fürchterlich bestohlen."

Er wandte sich um. Eine Thräne, vielleicht von dem Strahl der jetzt völlig verschwundenen Abendsonne in sein Auge gelockt, zitterte in seiner Wimper. Mit Unmuth wischte er sie ab und sah hinab in das Thal. Das Bad lag vor ihm. Er schritt weiter auf dem Rücken des Berges, zur Rechten den Gebirgskamm, der nur noch wie eine graue Nebelmasse am Horizonte lag, zur Linken unter sich den Park und dahinter die weiße Häuserreihe des Bades, die sich bis zu dem Punkte hinzog, wo der Berg sich in's Thal hinabsenkte. Er stieg herab. Am letzten Hause, dessen Dach sich fast unter den hohen mächtigen Kastanienbäumen, die es umgaben, versteckte, blieb er einen Augenblick stehen.

"Wir wollen sehen, Lydia, ob Du mir den Glauben an Weiblichkeit wirst wiedergeben können. Du wirst eine harte Probe zu bestehen haben, armes Kind. Aber ich kann sie Dir nicht ersparen. Möge Dein guter Engel geben, daß Du fest bleibst, so will ich Dich verehren und zu Dir beten." Er zog ein Blatt Papier aus der Tasche und nahte sich dem hellerleuchteten Fenster, das von außen mit einem Blumenbrett versehen war, worauf verschiedene Gewächse in zierlich weißen und rothen Töpfen standen.

An dem hellen Scheine des Lichts schrieb er mit Bleifeder ein paar Worte auf das weiße Blatt, wickelte darin das Billet, welches er heute im Rondel gefunden hatte, hinein, und schob Beides zwischen zwei Blumentöpfe, überzeugt, daß die liebliche Bewohnerin des Hauses, wenn sie am andern Morgen ihre Lieblinge versorgen würde, es finden müßte.

Noch einen Blick warf er in das Fenster und entfernte sich dann schnell, um sich nach seiner Wohnung zu begeben, die einige hundert Schritt tiefer in's Dorf hineinlag.

"Es hat Jemand nach Ihnen gefragt, Herr Baron" - sagte sein Bedienter, indem er seinem Herrn den rothsammetnen Schlafrock reichte.

"Ein Herr oder eine Dame?"

"Ein Herr. Er würde wieder kommen, meinte er. Hier ist die Karte."

"Arthur Berger" sagte der Baron für sich. "Gut. Das Spiel hat begonnen. Jetzt heißt es geschickt die Karten mischen."

Von dem weiten Spaziergange ermüdet und den mancherlei Aufregungen ermattet, warf Landsfeld sich in die Ecke des Sophas, um durch einige Augenblicke der Ruhe die Klarheit und Ruhe des Geistes wieder zu erlangen, welche er zum Empfange des erwarteten Besuchs nöthig zu haben glaubte.

"Karl" - sagte er zu seinem Bedienten, der eben beschäftigt war, einen brennenden Fidibus an die Cigarre zu halten, deren aromatischen Duft sein Herr mit sybaritischem Behagen einzog, indem er die Füße auf dem untergeschobenen Tabouret ausstreckte.

"Was befehlen der Herr Baron?"

"Du hast heute Abend und morgen früh Deine fünf Sinne zusammen zu nehmen."

"Sehr wohl, Herr Baron."

"Weder auf ein gutes Trinkgeld noch auf eine hübsche, schnippische Kammerzofe Jagd zu machen."

"O, Herr Baron." -

"A propos, Karl. Ich glaube bemerkt zu haben, daß Du Dir schon ein Liebchen angeschafft hast. Wie stehts damit?"

"Seit gestern schon? Der Herr Baron scherzen?"

Landsfeld fixirte ihn.

"Also nicht? hm, das thut mir leid" - sagte er vor sich hinmurmelnd.

"Das heißt, gnädiger Herr - ich könnte wohl sagen - ich wünschte vielleicht - hm, hm!!" -

"Hast Du den Schnupfen?"

"Nein, ich wollte nur sagen, daß ich hier in der Nähe, da am Ende des Dorfes unten ein allerliebstes Kind - "

"Allerliebstes Kind?" - fragte Landsfeld, sich halb aufrichtend. - "Bist Du des Teufels, Karl? Du unterstehst Dich? - "

"Der Herr Baron befahlen doch" - erwiederte kleinlaut der erschreckte Diener, einen Schritt zurücktretend.

"Du hast Recht," sagte Landsfeld sich besinnend und in seine frühere bequeme Stellung zurücksinkend. "Fahr nur fort, - fahr fort in's Teufels Namen!" befahl er, als Jener zögerte. "Du brauchst keine Furcht zu haben. Also das allerliebste Kind - "

"Ja sehen Sie, - gnädiger Herr, als ich da so herunterschlenderte, um - um - "

"Um die Gegend etwas anzusehen," half gutmüthig der Baron nach.

"Richtig, um mir die Gegend etwas anzusehen, da war ich schon bis an's Ende des Dorfs gekommen - und wollte eben wieder umkehren - "

Der Baron lachte. "Denn außer dem Dorfe gab es natürlich für Dich keine Gegend mehr, nicht?"

"Nun gut. Also da kam aus dem letzten Häuschen, wissen Sie, links, wo die großen Kastanienbäume vor der Thüre stehen - "

"Schon gut."

"kam eine junge Dame heraus, mit einer Gießkanne in der Hand. Aber sie mußte wohl kein Wasser drin haben, denn sie drehte sich wieder um und rief in's Haus hinein: Linchen, Linchen! - Schön, dachte ich bei mir, jetzt wirst du was zu sehen kriegen. Und richtig. Ein allerliebstes Kind."

"Wie sah denn die Dame aus?"

"Ja, danach habe ich nicht gesehen. Aber Lin-chen - "

"War noch eine andere Dame dabei?"

"Ja, eine alte, wahrscheinlich die Mutter der jungen."

"Wahrscheinlich? woraus schließt Du das?"

"Nun, sie nannte sie liebes Kind und Lydia. Es mag wohl ihr Vorname gewesen sein - ein kurioser Vorname - aber das - "

"Ich glaube, es hat geschellt; sieh' einmal nach, Carl. - Ist es der Herr von vorhin, so wird er mir angenehm sein. - Noch Eins. Besorge zwei Flaschen Rothwein und drei Gläser."

"Sie wollen sagen: zwei Gläser."

"Thue, was ich Dir befohlen; und schnell."

Ein Paar Sekunden später trat Berger ein. Landsfeld sprang vom Sopha auf und ging ihm einige Schritte entgegen.

"Ich habe bedauert," sagte er mit freundlicher Urbanität im Ton und Wesen, "daß Sie mich schon einmal vergeblich aufgesucht. Darf ich fragen, was mir die Ehre Ihres Besuchs verschafft?"

Hätte die geringste Andeutung von Spott oder Ironie im Tone des Barons gelegen, so würde dieß absichtliche Ignoriren des heutigen Vorfalls ein Grund mehr für Berger gewesen sein, auf den frühern Geliebten Alicens erbittert zu sein. Als er diesen daher mit ruhiger, unbefangener Höflichkeit sich entgegen treten sah, wußte er Anfangs nicht sogleich die rechten Worte zu finden und gerieth fast in Verlegenheit. - Der Baron konnte sich eines Lächelns nicht erwehren, welches durch die Leichtigkeit dieses neuen Triumphs seiner Geistessuperiorität unwillkührlich hervorgelockt wurde. Berger bemerkte es und erlangte dadurch seine verlorene Fassung wieder. Mit ernstem Ton wandte er sich an den Baron:

"Mein Herr, Sie haben heute Morgen mich und noch mehr die Dame, deren Begleiter zu sein ich die Ehre hatte, beleidigt - "

Landsfeld verbeugte sich schweigend.

"Ich habe kein Recht, nach dem Grunde dieses Betragens zu fragen, obwohl ich gestehen muß, daß es mir um so auffallender war, als ich mich nicht erinnere, jemals das Vergnügen Ihrer Bekanntschaft gehabt zu haben."

"Da bin ich glücklicher gewesen. Denn ich bin der festen Ueberzeugung, daß ich, obwohl unbewußt, schon lange der Ehre theilhaftig war, von Ihnen gekannt zu sein."

Berger erröthete.

"Ich irre wohl nicht, wenn ich bei Ihnen die Absicht, zu beleidigen, voraussetze?"

Landsfeld verbeugte sich abermals, als ob ihm eben die größte Schmeichelei gesagt worden.

"Sie sind bereit, mir Genugthuung zu geben?"

Abermalige Verbeugung.

"Bestimmen Sie gefälligst die Waffen."

"Erlauben Sie mir eine scheinbar indiskrete, aber, wie ich Sie auf mein Ehrenwort versichere, in der wohlmeinendsten Absicht gestellte Frage. - Sind Sie auf Säbel eingeschlagen?"

"Nein, - weshalb?"

"So wollen wir Pistolen wählen."

"Herr Baron, ich hoffe, daß Sie mit neuen Beleidigungen bis nach der Tilgung der ersten warten werden. Was soll diese Schonung und Großmuth bedeuten?"

"Mein lieber Herr" - sprach der Baron mit herzlichem Ton - "Sie irren sich in mir. Ich will Ihnen die Gründe sagen, weshalb ich Pistolen vorziehe. Der Säbel ist meine Lieblingswaffe. Wählte ich ihn, so würden Sie den Mangel an Kunst in der Führung durch die Methode zu ersetzen suchen, die man Naturalisiren zu nennen pflegt. Sie würden blind darauf los schlagen. Unter solchen Umständen ist Hundert gegen Eins zu wetten, daß Einer von uns lebensgefährlich verwundet wird."

"Glauben Sie denn, daß wir ein Possenspiel aufführen wollen?"

"Das nicht. Aber ich bekenne Ihnen aufrichtig, daß ich weder Lust habe, einen Stich in den Leib zu bekommen, noch Ihnen einen ähnlichen Liebesdienst zu erweisen."

Das Gespräch wurde durch das Eintreten des Dieners unterbrochen, der seinem Herrn einige Worte leise ins Ohr flüsterte.

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