Kitabı oku: «Lydia», sayfa 3
"Gut." - sagte der Baron - "Ich lasse bitten, im Vorzimmer einige Augenblicke zu verziehen. - Sieh' zu, Carl," fügte er leiser hinzu - "daß dieser Herr nichts bemerkt. Wenn er fort ist, werde ich rufen."
"Ich muß gestehen" - sagte Berger zum Baron - "daß Sie eine eigenthümliche Anschauung dieser Angelegenheit haben. Weshalb schlagen wir uns denn?"
"Das frage ich Sie. Ich sehe keinen Grund dazu. Aber da Sie behaupten, von mir beleidigt zu sein, so bin ich bereit, Ihnen das Vergnügen zu machen, vorausgesetzt, daß wir es Beide nicht mit zu großen Opfern bezahlen."
"Sie sind ein merkwürdiger Mensch" - bemerkte Berger, der nicht wußte, was er dazu sagen sollte, da er sich vergeblich Mühe gegeben hatte, der Sache ein feierliches Ansehen zu geben, und sein ganzes Vorhaben jetzt fast lächerlich fand. Am liebsten wäre er ganz davon abgestanden, wenn er die Sache nicht noch zu verschlimmern gefürchtet hätte. Außerdem gab es noch einen Gedanken in seiner Seele, der ihn davon zurückhielt. Alice. Nicht als wenn er durch dieses Duell, selbst wenn es glücklich für ihn enden sollte, einem Wunsche von ihr zu genügen geglaubt hätte. Im Gegentheil hatte Alice alle Mittel ihrer Ueberredungskunst aufgeboten, um ihn davon abzubringen, und hatte zuletzt nur geschwiegen, als er sie fragte, ob sie den Gedanken ertragen könnte, ihren Geliebten öffentlich und vor ihren Augen entehrt und beschimpft zu sehen. Hauptsächlich und der vielleicht ihm selbst nicht ganz klar im Hintergrunde seines Bewußtseins schlummernde Grund aber war der Ehrgeiz, vor den Augen seiner Geliebten auch mit andern Waffen, als denen der Liebe, seine Mannhaftigkeit zu beweisen. - Einen Augenblick schwebte ihm zwar das Bild der harmlosen Lydia vor, aber so fest und tief war er bereits in den Liebesbanden Alicens verstrickt, daß die Erinnerung an die Wonne, welche er in ihren Armen gefunden, jenes vorwurfsvolle Bild schnell in ihm verwischte.
"Gut" - sagte er nach einer Pause, während deren er von Landsfeld, der dem Gange seiner Gedanken gleichsam mit den Augen zu folgen schien, scharf beobachtet wurde - "ich nehme Ihren Vorschlag an. Auch steht mir ja ohnehin keine Wahl zu. Bestimmen Sie das Weitere."
"Dreißig Schritt Distance und zehn Schritt Barrière, wenn's Ihnen so recht ist. Wir wechseln Jeder zwei Schüsse, ob zugleich', ob nach einander, will ich Ihnen überlassen. Im letzteren Falle bleibt derjenige, welcher den Schuß gethan, stehen, während der Gegner das Recht hat, bis an die Barrière vorzuschreiten."
"Und die Sekundanten?"
"Ich glaubte, da Sie Ihren eigenen Cartelträger abgaben, würden Sie auch in Verlegenheit um einen Sekundanten sein?"
"In der That, ich wüßte nicht - "
"Nun wohl. Was bedürfen wir der Zuschauer. Auch ich habe keinen Bekannten hier, der mir diesen Dienst leisten könnte. Aber was meinen Sie dazu, daß wir unsere beiden Damen, die ohnehin schon Zuschauer der Scene gewesen sind, welche unseren Kampf hervorgerufen hat, bäten, diese Funktion zu übernehmen. Daß sie sich darauf verstehen und ihre Sachen gut machen werden, dafür bürge ich Ihnen." -
Der letzte Zusatz berührte Berger unangenehm, da er eine Anspielung auf die frühere genaue Bekanntschaft des Barons mit Alicen enthielt. Indeß gab er freudig seine Zustimmung, weil er dann unter den Augen Alicens kämpfen würde.
"Nun bleibt noch die Zeit und der Ort zu bestimmen übrig."
"Morgen in der Frühe um 6 Uhr, wenn's Ihnen gelegen ist. Wozu langer Aufschub?"
Berger eilte seiner Wohnung zu, um noch einen Brief an Lydia zu schreiben - und dann in die Arme Alicens.
Einen Augenblick blieb Landsfeld, nachdem ihn Berger verlassen, regungslos auf derselben Stelle sitzen. Dann stürzte er schnell ein Glas Wein hinunter und sprang auf. Nach einigen raschen Gängen durch das Zimmer trat er vor den Spiegel und studirte einige Sekunden die Züge seines Gesichts. Das Resultat seiner Forschungen schien nicht allzugünstig zu sein.
"Verdammte Bewegung" - murmelte er vor sich hin, "die ich noch immer nicht bemeistern kann. Was ist doch die menschliche Willenskraft für ein erbärmliches Ding, wenn sie trotz aller Uebung nicht einmal diesen Linien und Falten gebieten kann, daß sie eine beliebige Form und Wendung nehmen, gleichviel ob es im Innern stürmt oder Windstille ist. Und was bewegt mich so, was weckt in meiner Brust die schlummernde Windsbraut, daß sie die Blutwogen durch die Adern peitscht, als sollte die rothe Brandung alle Ufer durchbrechen? - Ein Weib - nur ein Weib! Richard, wie klein bist du. Fühlst du es nicht, daß es vom Erhabenen zum Lächerlichen nur ein Schritt ist? Hüte dich vor dem Cothurn, Alicen gegenüber; sonst bist du verloren. - Und doch, zwanzig Kugeln will ich lieber mit dem blonden Schäfer über dem Schnupftuch wechseln, als einen Kampf der Verstellung mit Alicen wagen. Genug der Reflexionen. Es ist die höchste Zeit zum Handeln. - "Carl!" - rief er mit lauter und ruhiger Stimme. -
Die Thüre öffnete sich. Landsfeld war überrascht, als er statt seiner frühern Geliebten eine männliche Gestalt über die Schwelle schreiten sah. Ein zweiter schärferer Blick überzeugte ihn jedoch, daß er sich in seiner Erwartung nicht getäuscht habe. Es war Alice. Sie war in Männerkleidern, über die sie einen weiten, faltigen Mantel geworfen. Schweigend wies Landsfeld auf das Sopha. Sie ließ den Mantel fallen und stand vor ihm da in jener geschmackvoll phantastischen Tracht, die Landsfeld für sie in Venedig nach eigener Er-findung hatte fertigen lassen und in der sie so oft mit ihm Ausflüge auf die Lagunen gemacht.
Eine dunkelblaue, kurze, mit goldenen Schnüren besetzte Sammetkasawaika, die, durch einen schmalen goldenen Gürtel gehalten, den schlanken Leib umschloß, reichte bis zu dem vollen biegsamen Hals hinauf, der von einem einfach, aber sehr fein gestickten Brüsseler Kragen umschlossen war, und sich glatt, aber ungezwungen über das blaue Kleid legte. Weite und faltenreiche weiße seidene Beinkleider fielen bis auf den zartgebauten Fuß herab, welcher in einem kleinen schwarzen Sammetstiefel steckte.
Als sie die Wachsmaske abnahm, die ihr Gesicht bedeckte, wäre ein Maler vielleicht überrascht worden durch die Bemerkung, daß die Schönheit ihrer Züge keinesweges der Anmuth und antiken Grazie ihrer Formen entsprach, denn sie zeichneten sich weder durch Regelmäßigkeit, noch durch eine besonders auffallende geistige Harmonie aus. Zwar war Alles in diesem Gesicht klein und zart, aber zugleich von so eigenthümlichem Schnitt, daß dadurch, und durch die Mischung von Sanftheit und Energie in ihren strahlenden Augen, alle ihre Züge einen etwas unbestimmten, proteuischen Charakter annahmen. Wenn auch die erste jugendliche Frische dieses Gesicht bereits verlassen hatte, so war es doch von großer Weiße und Feinheit der Zeichnung und gewann durch die an beiden Seiten es beschattenden kurzen braunen Locken einen höchst interessanten Ausdruck.
Sie legte die Maske auf den Tisch und folgte der Einladung des Barons, welcher ihr mit großer Ruhe eine Cigarre bot und ein Glas Wein präsentirte.
"Du hast mich erwartet, Richard?" - fragte sie mit dem ihr eigenthümlichen mollartigen Tone, indem sie die Cigarre in Brand setzte.
"Woraus schließest Du das?" - sagte der Baron schnell, weil sein Selbstgefühl sich durch den scharfen Blick Alicens, welche seine Ruhe richtig zu beurtheilen verstand, verletzt sah.
Sie wies auf die drei Gläser. Landsfeld biß sich auf die Lippen.
"Ich habe Cornelien erwartet" - sagte er.
"Ich wünsche guten Appetit, mein Herr" - lachte Alice, indem sie den Baron mit seinen eigenen Worten persiflirte. "Das war kein kluger Streich von Dir, Richard" - fuhr sie mit melancholischer Stimme fort - "den armen Berger so zu kränken; und inhuman ohnehin."
Landsfeld zuckte die Achseln.
"Du kennst ja mein aufbrausendes Wesen, Alice. Du hättest mich nicht so früh aus Deiner Schule entlassen sollen, denn wo hätte ich die Humanität besser und praktischer lernen können, als bei Dir?"
"Du bist bitter, Richard. Hast Du so wenig Erhabenheit der Seele, um dem guten Arthur sein kurzes Liebesglück nicht zu gönnen, und was mehr ist - so wenig Stolz, um in ihm einen wirklichen Nebenbuhler zu sehen? Du bist eifersüchtig, mein Freund, und das ist schmachvoll."
"Du bist hinterlistig, meine theure Freundin, und das ist mehr als schmachvoll, es ist - "
"Sprich nicht aus, Richard, ich bitte Dich. Ich weiß ohnehin Alles, was Du mir sagen kannst, und erwiedere auf dies Alles nur Eins:
Entweder warst Du ein blinder Thor, als Du mich liebtest, denn ich habe Dir meine Ansichten über die Autonomie der Liebe nie verhehlt, ja ich bin überzeugt, daß Du mich dieser Freiheit wegen selbst geliebt hast - oder Du bist ein eitler Egoist, der nur dann für allgemeine Ideen sich enthusiasmiren kann, so lange er sich als den Mittelpunkt dieses Universums weiß."
"Vielleicht bin ich Beides, Alice" - sagte der Baron mühsam lächelnd, da er sich getroffen fühlte.
"Was gedenkst Du zu thun? Berger hat Dich gefordert?" sagte Alice nach einer Pause.
"Wir werden uns morgen in der Frühe schlagen. Er wird Dich bitten, ihm zu sekundiren."
"Das wird nicht gehen. Denn ich habe Cornelien gefordert; wir duelliren uns um dieselbe Zeit."
Landsfeld schlug ein schallendes Gelächter auf. - "Das ist ja eine wundervolle Idee. Und Cornelia hat die Forderung angenommen, natürlich."
"Ich habe noch keine Antwort, aber ich zweifle nicht daran."
"O, sie muß. Ich will sogleich an sie schreiben."
"Du kannst sie ja morgen abholen, wenn's Zeit ist."
"Es ist wahr. Womit schlagt ihr euch?"
"Auf Hieber. Es war dies eben auch ein Grund, weswegen ich so spät noch zu Dir komme. Kannst Du mir ein Paar besorgen?"
"Leider besitze ich solche nicht, aber ein Paar kurze Stoßrappiere stehen zu Deiner Disposition."
"Gut, - doch - was gedenkst Du zu thun mit Berger?"
"Es thut mir leid, Deine Unruhe nicht beschwichtigen zu können. Du wirst es morgen selbst sehen."
"In der That bin ich in Unruhe um ihn. Denn er ist ein Mensch von seltener Reinheit und Tiefe des Gemüths. Du solltest ihn näher kennen lernen, Richard. Ich wette, Du würdest ihn liebgewinnen."
"Möglich" - sagte der Baron kalt.
"Kennst Du noch diesen Anzug?" - fragte Alice, indem ein plötzliches Feuer in ihren Augen aufloderte.
"Wie oft hat Dich der blonde Schäfer darin bewundert?" gegenfragte Landsfeld, indem er seine Lippen zu einem sybaritischen Lächeln zwang, das jedoch nicht völlig frei von Bitterkeit war.
"Nie" - erwiederte Alice melancholisch - "aber ich werde mich morgen darin schlagen."
Es lag eine solche Wahrheit in der tragischen Ruhe, mit der Alice diese Worte aussprach, daß selbst Landsfeld einen kurzen Schauer fühlte. - Alice legte sich in die Ecke zurück und schloß die Augen.
Sie bot einen verführerischen Anblick dar.
Er warf einen langen, glühenden Blick auf sie. Sein Herz pochte. Er hatte dies Weib übermenschlich geliebt, er war ein Gott in ihren Armen gewesen. Jetzt war nur noch die Wahl, ob er den Göttersitz, von dem sie ihn selbst um eines Andern Willen verstoßen - ihn verstoßen, wieder einnehmen oder ihn zertrümmern müsse. Es war ein Augenblick des gewaltigsten Kampfes, indem alle Mächte seiner Seele gleich Titanen gegen den Olymp seiner Energie auftürmten. - Seine Lippe zitterte, sein Auge glühte und eine fahle Blässe bedeckte sein Gesicht. Er stand auf. Alice öffnete die Augen, halb träumerisch, halb verlangend war ihr feuchter Blick auf Landsfeld gerichtet. - Aber der Kampf war in ihm bereits ausgekämpft. Seine Lippe zitterte nicht mehr und seine Züge hatten ihren gewöhnlichen Ausdruck und ihre natürliche Farbe wieder erlangt. Nur in seinen Augen loderte noch die Glut des innern Ringens nach.
"Es ist spät, Alice" - sagte er mit großer Besonnenheit. "Ich habe noch zu thun. Und auch Du -." Er vollendete nicht die Bitterkeit, welche auf seinen Lippen lag, als er Alicen erblassen und in einen Strom von Thränen ausbrechen sah.
"So ist es wirklich aus?" - sagte sie nach einer Weile, indem sie sich erhob. "O Richard. Jetzt, wo mein Stolz sich zwischen uns gelagert hat, kann ich Dir sagen, daß es nur eines Wortes von Dir bedurft hätte, um jedes andern Glückes außer des von Dir mir gewährten zu entsagen. - Vielleicht aber ist's besser so." -
Sie warf den Mantel um und legte die Maske vor das Gesicht.
"Auf Wiedersehen morgen früh, oder vielmehr heute früh, denn Mitternacht ist wohl längst vorüber. Lebe wohl, Richard." Sie reichte ihm die Hand. "Laß uns ohne Groll scheiden. - Du hast mir sehr, sehr wehe gethan, aber ich schwöre es Dir bei Gott - nein, das ist eine Redensart - bei der Seele meines Kindes - das Du so oft auf Deinem Schooße gewiegt, ich werde Dich nie, nie hassen können. Denn Du bist der einzige Mann, den ich als Mann kennen gelernt. Lebe wohl."
Ehe noch Landsfeld ihren Abschiedsgruß erwiedern konnte, hatte sie bereits das Zimmer verlassen. Er öffnete das Fenster. Eben trat sie auf die Straße. Ihr faltenreicher schwarzer Mantel, unter dem zuweilen die weißen Beinkleider hervorblickten, flatterte noch lange im Scheine des hellen Mondlichtes und verschwand endlich den Blicken des Nachsehenden.
Landsfeld trat vom Fenster zurück. Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn, als wolle er einen quälenden Gedanken davon verscheuchen. Dann richtete er sich hoch auf. Ein Siegeslächeln schwebte auf seinen Lippen, aber ein reineres als jenes höhnische Lächeln triumphirender Schadenfreude, das seinen Mund verzerrte, als er das Billet Lydia's gefunden.
"Ich will eine Entscheidung" - sagte er im lauten Selbstgespräch - "der letzte mögliche Beweis muß geprüft werden. Soll ich mich ewig mit der quälenden Ungewißheit foltern, ob es sich lohnt, an die Menschen zu glauben oder nicht? Soll ich immer wieder aus der Seelenruhe gleichgültiger Verachtung aufgestört werden durch die heuchlerische Hoffnung, es sei doch wohl ein Irrthum von mir, mit jeder Wahrheit in der Menschenbrust abschließen zu wollen? - Ich will Gewißheit haben, ich will ganz versöhnt sein mit den Menschen - und ich bin es, sobald ich Einen finde, von dessen Wahrheit ich so fest überzeugt bin, daß auch die Möglichkeit eines Zweifels undenkbar wird - oder ich will für immer das Recht haben, überall Schein zu sehen! - Darum, Alice, mußten wir uns trennen, Du giebst mir nur halben Glauben, bei Dir wird meine Sehnsucht nach der lautern und ungeschminkten Reinheit des weiblichen Herzens nur brennender und qualvoller. Aber Du kannst diesen Durst nicht löschen; und ich will nicht länger dürsten; wie der Wanderer in der Wüste suche ich nach der grünenden Oase - ich will nicht länger suchen. Noch einen Schritt will ich thun, noch einer Spur will ich folgen. Führt auch diese mich nur in die Irre, so will ich sagen:
Es giebt keine Quelle der Wahrheit in dem Weibesherzen."
Er setzte sich, um ein Billet an Cornelien zu schreiben, worin er ihr sagte, daß sie sich um 5 Uhr früh bereit halten sollte. Er siegelte es und rief seinen Diener.
"Carl, Du gehst sogleich nach dem Gasthof zum weißen Strauß, weckst den Portier, wenn er schon schläft, und giebst ihm dieses Billet mit der Weisung, es entweder gleich oder noch vor Sonnenaufgang an seine Adresse zu geben."
Dann schrieb Landsfeld noch einen andern Brief, an Lydia, worin er sie bat, sich um das etwaige Ausbleiben ihres Verlobten nicht zu ängstigen. Er gab als Grund das Duell an, da sie doch möglicher Weise durch einen Dritten davon hören könne, und dann ihre Unruhe noch größer sein würde; versicherte ihr aber auch zugleich auf sein Ehrenwort, daß er fest entschlossen sei, seinem Gegner kein Haar zu krümmen. Sie könne folglich ohne Sorge sein. Der Ton des Briefes ging in keiner Weise über die Forderungen conventioneller Höflichkeit hinaus.
Ohne eine Andeutung über die Gründe des Duells zu geben, stellte Landsfeld das Motiv seiner Mittheilung auf kein persönliches Interesse für die Empfängerin, sondern stellte als solches einfach seine Pflicht als Mensch und Ehrenmann hin, und vermied es, über seine Betheiligung und seine Gesinnung in Rücksicht auf diesen vorliegenden Fall auch nur entfernt zu berühren.
Als er mit dem Schreiben und der Schließung des Briefes fertig war, hatte sich auch bereits sein Diener des Auftrags an Cornelia entledigt.
Er hatte die Letztere noch sprechen können, und das Billet selbst übergeben.
"Sie würde zu jeder Stunde bereit sein, da sie sich gar nicht zur Ruhe begeben würde" - war ihre Antwort.
"Jetzt kannst Du ein Paar Stunden schlafen. Um vier Uhr mußt Du bereit sein, mich auf einem Spaziergange zu begleiten. Gute Nacht."
Kapitel 3
Schon lange bevor die Sonne am östlichen Horizont, der die in weißlich grauen Dunst eingehüllte Ebene begrenzte, ihre ersten Blitzstrahlen gegen die dichte Nebelmasse ausgesandt und ihr Nahen nur erst durch einen breiten, langen, aber schwachen Purpurstreifen, der zuweilen durch den, wie zum Widerstande sich scheinbar immer mehr verdichtenden Nebelflor verwischt wurde, glänzten die im Westen gelegenen Spitzen des Gebirges in dunkelrother Glut, die sich immer tiefer und tiefer senkte. Endlich erschien auch auf der entgegengesetzten Seite ein blutrother feuriger Streifen. Immer höher und höher sich erhebend, gestaltete er sich zuletzt zum leuchtenden Feuerball, welcher auf der scharf hervortretenden Linie des Horizonts tanzend zu schweben schien. Es war ein wundervoller Anblick, wie ihn nur der verstehen und nachempfinden kann, der ihn einmal in seiner ganzen Größe und Schönheit genossen hat. Jede Beschreibung ist matt und farblos gegen eine solche Wirklichkeit. Die zuckenden, sprühenden Strahlen der Sonne, welche wie feurige Pfeile des zürnenden Gottes durcheinander schießen, bis sie die kämpfenden Nebelmassen zerstreuen, die sich nun fliehend um die Gipfel der Bäume schaaren, als wollten sie im Schatten der Wälder ein schützendes Bollwerk gegen die Macht des Lichts suchen - die glühenden Bergspitzen und vor Allem der frische balsamische Duft, welcher wie ein phantastischer Traum der halb noch träumenden Erde auf Berg und Thal, auf Wald und Flur schwebt -: Wer vermag jemals alle die stillen Wonneschauer und die schweigende Begeisterung zu vergessen, die ihn bei der Feier dieses erhabenen Naturkultus durchbebte?
Als die Strahlen des sich höher aufschwingenden Sonnenballs auf die Dächer des noch größtentheils im tiefen Schlaf ruhenden Dorfes fielen, und nur erst einzelne Badegäste, denen der Arzt einen frühen Spaziergang als Kur verschrieben hatte, gähnend und fröstelnd sich zu diesem unbequemen Geschäfte bereit machten, öffneten sich auch die grünen Läden des letzten weißen Häuschens, über dessen Dach die, uns aus der Beschreibung Carls schon bekannten mächtigen Kastanienbäume ihre schützenden Zweige ausstreckten.
Das Fenster war jedoch mit zwei übereinanderstehenden Reihen von Blumentöpfen so bestellt, daß man Anfangs nichts von dem menschlichen Wesen bemerken konnte, das so früh den schönen Morgen begrüßen zu wollen schien, als eine niedliche, feine Hand und einen runden Arm von überraschender Zartheit und Weiße. Die Läden waren nun wohl geöffnet, allein sie mußten noch von beiden Seiten des Fensters befestigt werden. Dies schien auch die Besitzerin der kleinen Hand und des reizenden Arms für nothwendig zu erachten, denn sie öffnete auch den andern Fensterflügel und nahm die oberste Reihe der Blumentöpfe behutsam ab und schien einen nach dem andern auf einen neben dem Fenster stehenden Tisch zu setzen. Nach Beendigung dieses Geschäfts beugte sie etwas den Kopf vor, indem sie einen schnellen Blick über den Gartenzaun auf die nächste Umgebung und seitwärts auf die Straße warf, ob sie auch nicht von einem unbefugten Zuschauer belauscht werde. Durch die tiefe Stille ringsumher beruhigt, richtete sie nun ihre Blicke in die Ferne. War es die Glut des östlichen Himmels, an dem eben die Sonne in ihrer vollsten Pracht sich erhoben hatte, welche auf ihrem lieblich schönen Gesicht wiederstrahlte, oder war es die stille Wonne ihres Innern, die halb wehmüthige Freude über die unfaßbare und doch die ganze Menschenbrust erweiternde Schönheit der Natur: ihre Wangen rötheten sich tiefer, ihre Augen wurden glänzend und feucht und ihre Hände legten sich unwillkührlich, wie in lautloser, heiliger Andacht über dem schneller wogenden jungfräulichen Busen zusammen. Eine tiefe ruhige Sehnsucht lag auf ihren Zügen und in dem blauen Auge, das wie in schmerzlich inniger Empfindung nur halb aufgeschlagen in die Ferne blickte. Es war ein überaus lieblicher Anblick, ein Anblick, der dem zweifelsüchtigen Landsfeld gewiß den vollen Glauben an reine Weiblichkeit wiedergegeben hätte.
Sie seufzte tief, ohne wohl zu wissen, warum. Denn was konnte dieses Kindesherz schon getroffen haben, daß es von Schmerz erfüllt war? Ein unbe-stimmtes Sehnen nur war es, was ihre Brust bewegte und zugleich erweiterte. Denn es war ihr, als müßte sie alles das Schöne, Herrliche und Große, was sich da draußen vor ihren Blicken entfaltete, hineinziehen in die Brust, oder als müßte sie selbst sich hinausstürzen und sich auflösen in die allgemeine Seligkeit der Natur. Ein innerlich tiefer, aber lautloser Jubel durchzog zugleich ihr ganzes Wesen - sie weinte, ob vor Schmerz oder vor Wonne, sie wußte es selbst nicht. Eine Thräne fiel auf ihren vollen, weißen Busen herab, der in ungestümen Wallungen sich unter dem lose befestigten Nachtkleide hervorgedrängt hatte, als wolle er sich in dem thaufeuchten Balsam der kühlen Morgenluft baden. Unwillkührlich erröthend, obschon sie sich allein und unbelauscht wußte, zog sie, zum schnellen Bewußtsein der Wirklichkeit erwachend, das Kleid über der Brust zusammen und bog sich, nachdem sie noch eine Thräne aus dem Auge getrocknet, über die Blumentöpfe hinaus, um die Laden zu befestigen.
In diesem Augenblicke kam Landsfeld, in Begleitung Corneliens und des nachfolgenden Dieners, der die Waffen unter dem Mantel trug, um die Ecke. Lydia sprang schnell vom Fenster zurück, doch hatte bereits der scharfe Blick des Barons sie erreicht, was er indeß durch keine Bewegung verrieth. Vielmehr ging er ruhig und wie in ein eifriges Gespräch mit seiner Begleiterin versenkt, ohne einen zweiten Blick nach dem Fenster zu werfen, vor demselben vorüber.
Lydia holte tief Athem, ihre Farbe, die einen Augenblick das Gesicht völlig verlassen hatte, kehrte allmählig wieder zurück. Ueber ihren eigenen Schreck lächelnd, trat sie wieder an das Fenster, indem sie jedoch vorher noch einen Blick in den Spiegel warf, um sich von der Ordnung ihrer Toilette zu überzeugen. In der That hatte sie zu einer so ängstlichen Flucht keine Veranlassung, denn das sehr reizende Morgenhäubchen, welche das kindlichreine Oval ihres Gesichts umschloß, war eben so untadelhaft, wie das lange faltige, blendend weiße Morgenkleid, das bis hoch über die Schulter hinaufreichte. - Nachdem sie noch die Vorsicht angewendet, das letztere unter dem Halse mit Hülfe einer Nadel zu einem festeren Anschluß zu zwingen, wobei sie abermals erröthend die Augen niederschlagen mußte, weil ihr einfiel, wie gering der Zeitraum war, welcher zwischen dem Erscheinen des vorhererwähnten Paares und dem Fall der Thräne, die sie aus ihrer Träumerei erweckt hatte, lag - trat sie abermals an das Fenster, um endlich einmal ihr Geschäft zu vollenden.
Diesmal wurde sie von Niemandem beunruhigt. Nachdem die Laden befestigt waren, begann sie die in die Stube gestellten Töpfe wieder an ihren früheren Platz zu stellen, als sie zwischen den beiden mittelsten Töpfen der unteren Reihe ein zusammengewickeltes Blatt Papier bemerkte. Sie zog es neugierig hervor, und öffnete es. Da erblickte sie auf der Einlage ihre eigene Schrift. Als sie das Blatt entfaltete, erkannte sie ein Billet, das sie vor einigen Tagen an ihren Verlobten geschrieben.
Um so neugieriger ergriff sie nun das andere Blättchen, in dem jenes eingeschlagen war, und las unter wachsendem Erstaunen folgende mit Bleifeder geschriebenen Worte:
Unsere Freuden sind wie Stäubchen, die von den Rädern des Lebenswagens fliegen, um sich einen Augenblick in der Sonne zu spiegeln.
Eine ihr selbst unerklärliche Angst ergriff Lydia bei diesen Worten; es war ihr, als sei ein großes Unglück geschehen, und doch hatte sie keine Vorstellung davon, was es eigentlich sei, das sie so in Furcht setzte. Es lag in den Worten des Zettels - das fühlte sie wohl - etwas Düsteres, Unheil Andeutendes, das sie zur Resignation und Fassung aufforderte. Zuweilen schien ihr eine Art melancholischen Trostes darin zu liegen, für einen großen unbekannten Verlust, der ihr drohte, oder der sie gar schon betroffen hatte. - Eine unnennbare Unruhe ergriff sie. Sollte sie die mit Bleistift geschriebenen Worte mit dem Inhalt des Billets in Verbindung setzen, das sie an ihren Verlobten geschrieben? Oder hatte den Letzteren ein Unfall getroffen? Der Gedanke trieb alles Blut nach ihrem Herzen. Wieder und wieder las sie die räthselhaften Worte, ohne den tieferen Sinn, den sie darin vermuthete, zu begreifen. Sie eilte in das Nebenzimmer, um zu sehen, ob ihre Mutter, zu der sie ein unbedingtes, schrankenloses Vertrauen hatte, schon wach geworden. Diese wollte sie um Rath fragen.
"Liebes Kind" - sagte die würdige und liebenswürdige Frau, nachdem sie mit Aufmerksamkeit beide Zettel durchlesen - "Du beunruhigst Dich, wie es mir scheint, mit Unrecht. Was sollte Berger widerfahren sein? Vielleicht haben die Worte, die Dir solche Angst machen, schon auf dem Zettel gestanden, ehe ihn der unbekannte Finder des Billets zum Umschlag für das Letztere gebraucht. Auch muß es wohl ein Bekannter sein, denn wer anders, als ein solcher, kennt Deinen Vornamen und Deine Wohnung? - Vielleicht ist es auch ein Scherz von irgend Jemand. Alles dies scheint mir der Wahrheit näher zu liegen, als Deine gänzlich unbegründete Ahnung von irgend einem Unglück. Beruhige Dich deshalb. - Heute Nachmittag wirst Du ja ohnehin Berger sehen, denn er versprach uns ja zu einem Spaziergang abzuholen. Theile ihm dann offen die Thatsache, aber auch nur diese, mit. Er wird Dir gewiß genügende Erklärung darüber geben können."
Die Ruhe, mit der die Mutter sprach, wirkte auf Lydia wohlthätig ein. Sie wurde ebenfalls ruhiger und begriff zuletzt nicht, wie sie sich einer so kindischen Furcht habe hingeben können. Bald war von der ganzen Unruhe weiter kein Gefühl in ihr zurückgeblieben, als das der Erwartung und Neugierde, wie sich bei Bergers Erscheinen die Sache aufklären würde. Sie eilte leichten Schrittes in den Garten hinter dem Hause hinab, um die Blumen zu tränken, ehe die Sonne zu hoch gestiegen. Mit einem halb wehmüthigen, halb freudigen Blicke sah ihre Mutter ihr nach. Sie war keineswegs so ruhig und unbesorgt, als sie es Lydien gegenüber geschienen hatte. Denn seit einigen Tagen war sie durch verschiedene Aeußerungen einiger Badegäste, die das Verhältniß Lydiens zu Berger nicht kannten, oder nicht zu kennen sich den Anschein gaben, aufmerksam auf das Betragen des Letzteren geworden. Es hatte ihr geschienen, als würde sein Name nicht selten in Verbindung mit dem einer vor einigen Tagen angekom-menen Dame genannt, die durch ihre eigenthümliche Stellung in der Welt, da sie nur in Begleitung einer jungen Dienerin zu reisen schien, so wie durch die Freiheit und Selbständigkeit ihres Benehmens allgemeines Aufsehen erregte. Sie hatte bisher ihre Vermuthungen und Befürchtungen vor Lydia verborgen, weil sie zuvor klar sehen wollte, ehe sie das harmlose Kind beunruhigen wollte. Es war zwar möglich, daß Berger auf seiner Reise nach Italien, die er seiner künstlerischen Ausbildung wegen unternommen, Frau von Rosen irgendwo kennen gelernt und nur die Bekanntschaft, die vielleicht ganz oberflächlicher Natur war, wieder aufgenommen hatte. Aber diese Vermuthungen lösten die Bedenken, welche der Mutter Lydiens aufgestiegen waren, nicht; vielmehr gewannen die letzteren durch den Umstand, daß Berger bisher noch mit keiner Sylbe seiner neuen Bekanntschaft erwähnt hatte, in ihr ein so großes Gewicht, daß sie zuletzt sogar auf den Verdacht fiel, das Zusammentreffen Bergers mit Frau von Rosen im hiesigen Bade sei nicht ganz einem glücklichen oder unglücklichen Zufalle zuzuschreiben. Unter diesen Umständen mußte auch der Vorfall, welcher ihrer Tochter einen so großen Schreck verursacht hatte, für sie eine ganz andere und wichtigere Bedeutung gewinnen, als sie Lydia gegenüber ihm beizulegen geschienen hatte. Schon mehrmals hatte sie den Vorsatz gefaßt, mit Berger offen über sein Betragen zu sprechen. Doch da sie bisher in dem Benehmen gegen Lydia im Grunde nichts auszusetzen gehabt hatte, vielmehr über seine achtungsvolle Zurückhaltung nur erfreut sein konnte, so war sie immer wieder von demselben zurückgekommen, da sie wohl wußte, wie nachtheilig ein solches Gespräch auf die Unbefangenheit und Klarheit des Verhältnisses wirken mußte, im Fall ihre Verdachtsgründe sich als nichtig ergeben sollten. Dieser letzte Vorfall aber gab eine genügende und sich durch sich selbst rechtfertigende Veranlassung, um an Berger eine Frage zur Erklärung desselben zu richten. So faßte sie denn in demselben Augenblicke, als sie nach Lesung der mit Bleifeder geschriebenen Worte Lydia zu beruhigen versuchte, den Entschluß, noch heute über alle ihre Bedenken und Zweifel in's Klare zu kommen; ein Entschluß, der, je länger sie darüber nachdachte, um so größere Festigkeit erlangte, als sie in jenen räthselhaften Worten, die an Lydia gerichtet zu sein schienen, nur eine Art Bestätigung ihrer Befürchtungen erblicken zu müssen glaubte.
Indessen hatte Lydia ihre Beschäftigung im Garten beendet, und war im Begriff, ihren Vogel, dessen Bauer sie bereits zwischen den Blumentöpfen des nach dem Garten hinaussehenden Fensters aufgestellt hatte, mit Nahrung zu versehen, als ihre Mutter sie rief.
"Ich glaube, es wird jetzt Zeit sein, daß wir uns ankleiden, liebes Kind. Die Stunde, da ich zur Quelle muß, naht heran, und im Fall Du nicht vorziehest, zurückzubleiben - "
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