Kitabı oku: «Ich bin nicht ganz dicht», sayfa 2

Yazı tipi:
TEIL 1

Kapitel 1
Kein Blatt vor den Mund

Das Leben verläuft nicht immer so, wie wir es erwarten. Als ich mein erstes Kind zur Welt brachte, kam in den sozialen Medien gerade das Phänomen des „Sharenting“ auf, des Veröffentlichens von Bildern und Informationen über den eigenen Nachwuchs im Internet. Obwohl im Jahr 2007 weder Microblogging noch Fotofilter ein Thema waren, gab es doch zunehmend die Erwartung, dass wir alle ein Leben führen konnten (und sollten), was man auch mit aller Welt teilen konnte. Fotografische Einblicke sollten belegen, dass wir es in jedem Lebensbereich echt draufhatten.

Meine erste Geburtserfahrung passte nicht so ganz in dieses Schema. Mein Körper und mein Verstand stellten ihre Funktion ein, und das zu einem Zeitpunkt, an dem sie eigentlich ihre volle Blüte hätten erreichen sollten. Ich verließ die Neugeborenen-Station im reifen Alter von 30 Jahren mit einer Reihe von Inkontinenzproblemen, die sich in den darauffolgenden 10 Jahren zu einem epischen Drama auswachsen sollten. Der Zusammenbruch meines Entsorgungssystems wurde von einer Kombination aus relativ normalen, aber bleibende Schäden hinterlassenden Verletzungen, Pech und einer vererbten körperlichen Überbeweglichkeit verursacht, die ich immer für eine gute Sache gehalten hatte. Die Tatsache, dass ich als Teenager einen Spagat beherrschte, bedeutete einfach, dass meine Muskeln und Bänder sich leicht überdehnen ließen – vor allem die in meinem Beckenboden, die dafür sorgen, dass im Bauchraum alles an Ort und Stelle bleibt. Nach der Geburt war ich auch mental angeschlagen. Ich erlebte aus erster Hand, warum Inkontinenz zu den letzten medizinischen Tabus zählt – und zu den hartnäckigsten.

In einer Gesellschaft, die die Anzeichen des Alters ebenso fürchtet wie das Altern selbst und sich gerne bewertend und scharfzüngig auf Schwächen und Fehlbarkeiten stürzt, ist kein Platz für das Thema Inkontinenz. Inkontinenz hält uns den Spiegel unserer Ängste vor und macht uns bewusst, dass der körperliche Verfall uns allen droht, und mit ihm die öffentliche Beschämung.

Von Inkontinenz sind mehr Frauen betroffen als Männer – ein weiterer Grund, weshalb das Thema nicht die Aufmerksamkeit bekommt, die es verdient hat. Und es gibt die mehr oder weniger offen geäußerte Ansicht, dass Inkontinenz einfach zum Frausein dazugehört und jeder weibliche Körper früher oder später davon betroffen ist. Sei es aus Unwissenheit oder Streitlust – Mediziner, und auch viele Frauen, halten an der alten Lüge fest, dass Inkontinenz Teil des Älterwerdens ist. Etwas, mit dem Frauen sich einfach abfinden müssen – wie mit Falten oder mit Männern, die uns die Welt erklären.

Es ist im Übrigen ein weltweites Phänomen, das eine Lawine von Kummer, Verzweiflung und Vernachlässigung nach sich zieht. Inkontinenz ist so stigmatisiert, dass die Betroffenen oft keine Stimme haben und an den Rand der Gesellschaft gedrückt oder ignoriert werden. Sie tragen schwer an ihrer Scham und denken häufig, sie hätten keine Behandlung verdient. Laut Forschungen des National Childbirth Trust aus dem Jahr 2016 schämten sich 38 Prozent der Britinnen mit Inkontinenz zu sehr, um sich einer medizinischen Fachkraft anzuvertrauen.1 Manche reden nicht einmal mit dem Partner oder der besten Freundin darüber.

Ich habe lange gebraucht, um zu verstehen, was mit mir passiert war. Ich musste mir die ganze Geschichte wie ein Mosaik aus Krankenhausbriefen, Blogs, Erinnerungen, Arztberichten, hastig gekrakelten Notizen zu Beratungsstellen und gemeinnützigen Vereinen, Medienberichten, medizinischen Forschungsbeiträgen und Aufklärungskampagnen zusammensetzen.

Ich fand jede Menge Informationen darüber, dass Betroffene sich Hilfe suchen sollten und diese auch bekommen würden. Seltener fand ich Berichte, in denen Betroffene ihre eigenen Erfahrungen schilderten oder offen über den Schmerz und das Chaos, die Kosten und die Absurdität des Ganzen sprachen.

Genau das versuche ich nun mit diesem Buch zu tun. Es enthält Momentaufnahmen aus dem vergangenen Jahrzehnt und schildert mein Denken und meine Erfahrungen in einer Zeit, in der meine intimsten Funktionen mehr als einmal für Peinlichkeiten sorgten. Ein Jahrzehnt, in dem ich verzweifelt darauf hoffte, mit diesen Problemen nicht alleine dazustehen. Ich fragte mich, ob auch andere Angst vor den Behandlungen hatten und sich Gedanken um die Auswirkungen auf sie selbst, ihre Kinder und ihr Liebesleben machten.

In die Vergangenheit einzutauchen, war nicht immer leicht. Wie viele Frauen, die eine traumatische Geburt durchlebten, hatte ich Flashbacks. Die plötzlich aufblitzenden Erinnerungen betrafen weniger die Geburt selbst, sondern das, was danach kam. Meine erste (und bei Weitem nicht letzte) Erfahrung, als Erwachsene in einer Pfütze meines eigenen Pipis zu stehen. Ein Samstagmorgen im Hochsommer, als das grelle Sonnenlicht erbarmungslos auf meine Verletzungen schien und das Wasser der Dusche weder das Blut verbergen konnte, das an meinen Beinen herunterlief, noch die wachsende Urinlache zu meinen Füßen.

Ich stand wie gelähmt da und schaute zu. Was war noch übrig von mir in diesem Körper einer „jungen Mutter“? Was genau war kaputt gegangen? Hatte ich das Schicksal irgendwie herausgefordert, indem ich der Geburt leichten Herzens und mit viel Optimismus entgegengesehen hatte? Weil ich nicht wusste, was mich erwartete?

In nur einer Stunde mit Presswehen hatte ich mich von einer gesunden jungen Frau in eine klapprige, undichte Totalkatastrophe verwandelt, und ich hatte viel mehr verloren als nur die Elastizität oder eine glatte Haut. Mir war mein inneres Gleichgewicht abhandengekommen. Erschüttert durch den Schock, den mein Körper erlitten hatte, erhielt ich zusätzlich die Diagnose einer Wochenbettdepression und den Stempel „traumatisiert“. Einige Ärzte sprachen sogar von einer posttraumatischen Belastungsstörung.

Es gibt von diesem Morgen nur ein einziges Foto, das nichts davon anklingen lässt. Auf dem wir das Blut und die Nähte weggeschnitten haben und drei Gesichter in die Kamera starren. Auf dem Schwarzweißfoto, behaupten nette Menschen, sehen ich, mein Ehemann und das Baby ganz reizend aus, aber der panische Blick in meinen Augen lässt sich nicht leugnen. Die einzige Person, die jemals die Farbvariante zu Gesicht bekam, meinte nur: „Verbrenn es, meine Liebe, DU SIEHST AUS, ALS WÄRST DU TAUSEND JAHRE ALT.“

Der größere Schock war jedoch die Erkenntnis, dass unabhängig davon, wie sehr man es bräuchte, die Zeit niemals auch nur einen Moment stillsteht, damit man ein schwieriges Erlebnis in Ruhe verarbeiten kann. Das Leben hat seine eigene Vorstellung, vor allem, wenn es um Geburten geht. Es ist die heftigste Lektion für alle Gebärenden: Die Welt dreht sich auch ohne unser Zutun in schwindelerregender Geschwindigkeit weiter, und unsere Babys wachsen und haben Bedürfnisse, ganz egal, wo uns gerade der Kopf steht.

Und was ich lesen konnte zur kulturellen und historischen Sicht auf Geburtsverletzungen und Inkontinenz, hat mich ebenfalls wütend gemacht. Warum ertragen Frauen das so lange schon klaglos? Obwohl das Ganze wahrscheinlich schon seit der Zeit abläuft, als Eva oder eine ihrer Töchter den ersten Dammriss 3. Grades hatte (oder Schlimmeres) und das Problem ohne Kegel-Übungen (erste Beschreibungen stammen aus dem Jahr 1948)2 oder einen Wäschetrockner in den Griff bekommen musste. Oder seit den Zeiten, in denen jemand zum ersten Mal betrunken war oder alt, in oder nach den Wechseljahren, verletzt oder krank, was einen Großteil der Themen des Alten Testaments recht gut zusammenfasst.

Warum sind nicht schon mehr Menschen an der Last und Einsamkeit der Verkörperung eines Tabus zerbrochen? Wann immer ich das Thema angesprochen habe, berichteten Frauen mir von ihren eigenen Erfahrungen oder denen ihrer Mütter, Großmütter oder Tanten. Einige davon mögen durchaus Stellvertretergeschichten gewesen sein, frei nach dem Motto: „Ich frage für einen Freund.“ Aber ich konnte die Wahrheit heraushören. Es gibt eine Menge Inkontinenzgeschichten da draußen, aber sie werden nur im Flüsterton erzählt, hinter grobem Humor versteckt, wie in Witzen über Einlagen und Trampoline, oder in den lustigen Grimassen, die wir bei Beckenbodenübungen schneiden.

Es gibt ein britisches Lagerfeuerlied mit dem Titel „Seven Old Ladies“, eine grobe Parodie einer Ballade aus dem 18. Jahrhundert. Es ist vor allem für seine erste Zeile bekannt – Oh dear what can the matter be? Seven old ladies stuck in the lavatory – und beschreibt eine Reihe von bedauernswerten Frauen, die auf der Toilette feststecken. Es gibt hundert Varianten dieser Verse, aber die Inkontinenz kommt mehrfach vor, ausgedrückt durch die kleine Miss Murry, die sich beeilt, es aber nicht rechtzeitig schafft, oder Miss Moore, die nicht mehr warten kann und sich in die Hose macht. Es scheint, als seien Frauen mit Toilettenproblemen ein uraltes Thema, ein Teil der Kultur, und dennoch bleibt Inkontinenz ein belastendes und irritierendes Leiden. Nette Scherze übertünchen das echte Problem – Stigmata, die aus den Rissen im Lack der Zivilisation hervorquellen und unsere Definition in Frage stellen, wie ein Körper aussehen und funktionieren sollte.

Es gibt Hilfe. Physiotherapeutinnen, Ärzte und Spezialistinnen können einen sicheren Ort bieten, an dem sich niemand wie eine Idiotin oder Nervensäge vorkommen muss, und sie können gute Ergebnisse erzielen. Leider ist das gesellschaftliche Tabu so groß, dass die meisten Leute nicht einmal hingehen. Nur weil man sagt, dass es in Ordnung ist, sich Hilfe zu suchen, ist ein Teil der Wahrheit dennoch, dass Inkontinenz bitter ist und die meisten Menschen denken, dass nur müffelnde alte Damen und gesellschaftliche Außenseiter davon betroffen sind.

Das ist der Grund, warum ich dieses Buch geschrieben habe: Aus Wut über all die Mythen und die Frauenfeindlichkeit und in der Hoffnung, dass sich einige in dem Wissen, dass sie nicht alleine sind, weniger schlecht fühlen und Hilfe in Anspruch nehmen. Es ist mir wichtig, zu zeigen, dass Inkontinenz in der Regel behoben werden kann, und dass selbst in den Fällen, in denen dies nicht vollständig gelingt, ein gutes Leben möglich ist. Und dass es wirtschaftliche Vorteile hat, wenn wir inkontinenten Menschen helfen, ihre Blasenfunktion wieder in Ordnung zu bringen. Wir müssen alle erwachsen werden und vernünftig darüber sprechen, denn nur das ist angemessen, und es könnte das Leben von Millionen Menschen verbessern, meines eingeschlossen.

Menschen fragen mich häufig, ob es mir schon immer so leichtgefallen ist, über dieses Thema zu reden. Schön wär’s. Ich hatte keine andere Wahl. Mein dreißigjähriges Ich, das durchaus bereit war, eine halbe Fußballmannschaft in die Welt zu setzen, wäre eher im Boden versunken, als in der Öffentlichkeit zu pupsen. Mein vierzigjähriges gebrochenes Ich musste einen Weg finden, mit dem Risiko zu leben.

Körperfunktionen zu erwähnen, galt in der Zeit, in der ich aufgewachsen bin, als unhöflich. Nicht nur in meiner Familie, sondern praktisch überall. Es wurden klare Grenzen zwischen den Geschlechtern gezogen. Sperma und kleine Jungs, die in der Öffentlichkeit pinkelten, waren witzig. Mädchen durften sich höchstens gut versteckt hinter Büschen zum Pinkeln niederlassen, über andere Ausscheidungen wurde gar nicht gesprochen. Periodenblut erschien in Anzeigen als blaue Flüssigkeit und die Puppen von Tiny Tears™ lehrten eine ganze Generation, dass die Körperfunktionen eines Mädchens unsichtbar sein sollten. Wir durften die Plackerei des Elterndaseins auf uns nehmen, aber sollten darauf achten, dass aus unseren kleinen Löchern nicht mehr als nur gelegentlich ein wenig Wasser floss.

(Un)reinen Tisch zu machen und öffentlich über meinen lädierten Intimbereich zu reden, war so nicht geplant. Ich wurde mit einer feministischen Weltsicht geboren, aber nicht mit absoluter Schamlosigkeit. Ich musste meine Schutzschicht und mein „Draufgängertum“ von Grund auf neu aufbauen. Es begann im Babygeschäft Mothercare. Ich war so gestresst, dass ich ein einziges Leck war – das Gesicht tränenüberströmt, die Füße in einer Urinlache und mit einem Still-BH, der schon anfing, nach Joghurt zu riechen.

Spätsommer 2007, ein großes Geschäft für Babybedarf

Ich bin bei Mothercare. Ich bin nicht hier, um Babyschühchen oder Söckchen oder einen Kinderwagen zu kaufen. Diese aufregenden Momente habe ich schon hinter mir. Ich bin hier, weil ich mich vage zu erinnern glaube, dass sie eine ganze Abteilung mit Dingen haben, die Müttern helfen, all ihre Lecks zu meistern – von herausschießender Muttermilch bis hin zu postnatalen Blutungen und dem, was ich gerade wirklich brauche: eine Lösung dafür, dass ich mir aufgrund meiner Probleme unter der Gürtellinie jedes Mal meine Hose ruiniere, wenn ich den Kinderwagen über die Bordsteinkante schiebe.

Man hat mir gesagt, dass ich ein Problem mit dem Beckenboden habe, und es bereitet mir ziemliches Kopfzerbrechen. Ich habe Überweisungsscheine in meiner Tasche für Gespräche mit einem Spezialisten für Geburtstraumata und ich habe Termine für Physiotherapie-Sitzungen. Ich habe das Gefühl, schrecklich abstoßend zu sein. Es ist anstrengend und peinlich, dass ich immer befürchten muss, in die Hose zu machen, wenn ich mein Baby in einem Tuch trage oder irgendeines dieser Dinge tue, die Mütter eben tun.

Ich habe versucht, mir mit den Monatsbinden zu behelfen, die während meiner Schwangerschaft im Badezimmerschrank Staub angesetzt haben, musste aber feststellen, dass sie schlecht mit Urin umgehen können, denn dieser tropft nicht stetig wie Monatsblut, sondern tritt stark und schnell aus, wenn die Schleusen erst einmal geöffnet sind. Und durchgeweichte Monatsbinden neigen dazu, auf der Haut zu scheuern oder sich aufzulösen.

Ich schiebe meinen Sohn durch die Gänge, vorbei an Kinderkleidung, Turnschuhen und Sonnenhüten, Still-BHs und Kinderkostümen, und mache mir selbst vor, dass ich damit umgehen kann – bis ich zu den Töpfchen und Babytüchern komme. Sie weisen darauf hin, dass wir uns der richtigen Abteilung nähern: dem Gang der Scham, in dem allem geheiligt wird, was Saugkraft hat. Die Regale sind vollgestopft mit Plastikverpackungen in beruhigenden Blau- und Grüntönen, mit Tränen, die für die Urinmenge stehen und großen fetten Buchstaben, die laut davon tönen, wie diskret die Produkte doch sind und wie gut sie Gerüche überdecken.

Es gibt Kartons mit Unterwäsche für Inkontinenz, Auflagen fürs Bett und riesige Binden für die erste Zeit nach der Geburt, die sich verschämt neben den Windeln verstecken. Ich bin blutige Anfängerin auf diesem Gebiet. Mir war nicht bewusst, dass es so viele Arten von Windeln gibt, in jeder vorstellbaren Größe und Form, für Mädchen und für Jungen, zum Schwimmen und zum Schlafen, zum leichten Ausziehen für das Töpfchentraining – und für nutzlose kaputte Abwasserrohre wie bei mir.

Ich denke: „Windeln, Windeln, überall, sogar welche für mich“, und breche unvermittelt in Tränen aus. Mir wird so langsam bewusst, dass dieser beschämende Schlamassel kein kurzzeitiges Problem ist. Ich werde diese Einlagen brauchen, wahrscheinlich auch eine neue Matratze, und eine Methode, die mich davor bewahrt, jemals wieder zu weinen, denn während ich dort stehe, wird mehr als deutlich, dass alles, was über den kleinsten Schluchzer hinausgeht, umgehend eine nasse Unterhose nach sich zieht.

Ich bleibe regungslos stehen und hoffe, dass meine Jeans genügend aufsaugen wird, um meine Würde zu wahren. Auch wenn ich an nichts glaube, bete ich, dass ich es schaffe, den Laden zu verlassen, ohne irgendwelche Bekannte zu treffen. Dass ich es schaffe, zu fliehen, ohne eine Pfütze auf dem Boden zu hinterlassen.

Am liebsten würde ich aufheulen. Es ist einfach nicht fair. Die mit Inkontinenz verbundenen Utensilien sind teuer und unbequem. Außerdem lebe ich in der permanenten Angst vor Missgeschicken in der Öffentlichkeit, die mein Problem für jeden sichtbar machen könnten. Ich scheue mich auch davor, meiner größten Angst ins Auge zu blicken, nämlich dass es nun für immer so bleiben wird und ich alle Marken durchprobieren und herausfinden muss, mit welcher ich wohl am besten zurechtkomme.

Aber es hilft nichts, ich muss das Problem angehen. Ich rufe meine Mutter an. Ihr Besuch war bereits angekündigt und sie hat mir zuvor schon Tampons und Binden besorgt.

Eine Woche später ist der Vorrat bereits aufgebraucht – kein gutes Zeichen. Ich habe immer noch Panik, selbst einkaufen zu gehen (und dass Mothercare mir eine Rechnung schickt, wenn ich eine Pfütze im Laden hinterlasse). Also muss mein Mann ran.

Drei Gehminuten von zu Hause und drei Millionen Lichtjahre außerhalb seiner Komfortzone wird eine kleine Apotheke zu unserer Retterin in der Not. Der ältliche Apotheker steht dem übermüdeten jungen Mann, der mit einem vollkommen neuen Universum voller Stigmata konfrontiert ist, hilfreich zur Seite. Gemeinsam durchforsten sie die gesamte Palette an Windeln für Erwachsene, und mein Mann wird zum Experten. Der Apotheker ist freundlich und tut so, als wüsste er nicht, wer ich bin, auch wenn das, was ich über die Jahre hinweg verschrieben bekomme (an Antidepressiva und Inkontinenzhilfen) immer peinlicher wird. Sanft dirigiert er meinen Mann zu den richtigen Produkten. Ich weiß nicht, wer von uns mehr erleichtert ist, als wir die Möglichkeit des Online-Shoppings entdecken. Es war ein weiterer Rettungsanker.

Ich würde gerne behaupten, dass ich unrealistische Vorstellungen über Körper und Geburten hinter mir lassen konnte und mich weigerte, verschämt über ein Leiden zu schweigen, dessen Name Bilder von Unmoral, Exzessen und Kontrollverlust heraufbeschwört. Dass ich meinen Urinfluss ohne Probleme als „stark“ einstufte und es keineswegs ironisch fand, meine Inkontinenz-Produkte und die Windeln meines Babys in den gleichen Einkaufswagen zu packen. Aber das wäre gelogen. Tatsächlich brach ich angesichts des ganzen Schlamassels zusammen, wurde wieder zum Kind und ließ jemand anderen meine Windeln kaufen.

Es mag komplett lächerlich anmuten, gleich an der ersten Hürde, meinem Missgeschick im Babyfachgeschäft, zu scheitern, aber es zeigt vielleicht auch deutlich, dass die Urangst davor, vor anderen gedemütigt zu werden, uns ein Leben lang begleitet. Alle erinnern sich an das Mädchen in der Grundschule, das sich nicht traute, die Hand zu heben und unter dessen Stuhl sich eine bernsteinfarbene Pfütze sammelte. Dieses Bild als Erwachsene wieder aufleben lassen zu müssen, mitten in einem Laden, trat bei mir eine Lawine des Selbsthasses los. Ich war bei der Geburt nicht gut genug gewesen. Ich wurde dafür bestraft, dass ich eine verschwitzte Katastrophe war, zu selten Yoga machte und keine positiven Gedanken pflegte. Es war der Wahnsinn, der da in mir sprach – und die Konditionierung.

Seit Jahrtausenden wird uns Frauen erzählt, dass das, was wir „da unten“ haben, eklig ist und wir besser nicht darüber reden sollten. Außerdem werden Männer und Frauen, die den Abgang von Urin und Stuhl nicht kontrollieren können, oft auf brutale Weise lächerlich gemacht und in eine Außenseiterrolle gedrängt – obwohl wir alle wissen, dass Körper Schäden erleiden können und Inkontinenz weit verbreitet ist.

Es ist schwer zu verstehen, warum ein Leiden, das so häufig auftritt und so schwerwiegende Folgen hat, nicht mit mehr Ernst und Güte behandelt wird. Selbst wenn darüber gesprochen wird, kommen wir meist nicht über blöde Witze und Ängste hinaus. Beide verzerren das Bild und führen dazu, dass Patientinnen und Patienten keine sinnvollen Entscheidungen über ihre Behandlung treffen.

Ich habe mich auf die Suche nach den Ursachen gemacht. Ich wollte herausfinden, was es in meinen frühesten Erfahrungen – oder unser aller frühkindlichen Erfahrungen – gibt, das uns in dem Denken des kleinen Mädchens gefangen hält und in dem Glauben, dass wir nichts Besseres verdient hätten, als mit einer Art knarzender Matratze zwischen den Beinen herumzulaufen und Jeans, die schon nach kurzem Tragen wieder gewaschen werden müssen.

Es muss einige Gemeinsamkeiten geben, die den perfekten Sturm aus Scham und Verwirrung rund um das Thema Inkontinenz erschaffen haben. Irgendetwas in uns hat uns an den Punkt geführt, an dem ein häufig heilbares Problem schweigend und leidvoll erduldet wird. Ich war einsam, doch ich war nie alleine. Die Statistik sagt: Eine von drei Frauen erlebt Inkontinenz in ihrem Leben, aber viele Tausende versuchen nicht einmal, eine Behandlung zu bekommen. Und selbst diejenigen, die sich darum kümmern, brauchen häufig einen jahrelangen Anlauf. Dass man sich schämt, weil man in die Hose pinkelt, ist verständlich, aber dass eine ganze Gesellschaft Leidende deswegen beschämt? Das ist unverzeihlich.

Wir dürfen nicht zulassen, dass Inkontinenz im Zwielicht von Witzen und Wortspielen stecken bleibt. Es muss sich etwas ändern. Vielleicht können wir damit beginnen, offener über unseren Körper, unsere Vagina, Menstruation und Geburtserfahrungen zu sprechen und Frauen zu versichern, dass sie durchaus ein Aufheben darum machen dürfen, wenn hier irgendetwas schiefläuft.

Ich würde gerne behaupten, dass meine Reise damit begann, dass ich auf ein Paket Einlagen für Blasenschwäche starrte und mir bewusst wurde, dass es für uns alle etwas Besseres geben muss – aber Geschichten beginnen, ebenso wie gesellschaftliche Konditionierung, nie dort, wo man es annehmen würde.

Bei mir reichen die Gründe zurück zu der Zeit, in der ich groß wurde und meinen Körper kennenlernte. Ich gehöre zu einer Generation, der man beibrachte, die Klitoris zu finden, ohne den Beckenboden auch nur mit einem Wort zu erwähnen. Als ich älter wurde, kam die digitale Welt hinzu, in der die Körper von Frauen einer ständigen kritischen Betrachtung unterliegen, wohingegen ihre Meinungen als rebellisch, abschreckend, unsinnig und hysterisch gelten. Kompliziert wird das Ganze durch den Kampf der unterschiedlichen Vorstellungen unter uns Frauen selbst, bei dem wir versuchen, einander echtes Wissen über unsere Körper zu vermitteln, ohne uns gegenseitig mit dem Wissen über Geburten zu verängstigen oder die Erfahrungen in verschiedene Schubladen zu stecken – die guten, die großartigen, die eher schrecklichen.

Bei mir selbst hat es auch etwas mit eigenem Leugnen zu tun – meiner Zimperlichkeit meinem eigenen Körper gegenüber und der Unfähigkeit zu verstehen, wie diese ganzen Fortpflanzungsorgane eigentlich funktionieren (oder eben gerade nicht).

Nehmen wir die Wochen vor meinem dreißigsten Geburtstag. Unförmig, wild und sehr schwanger stellte ich fest, dass die Fantasien und Widersprüche über Frauen und ihre Körper all meine Vorstellungen vollkommen zum Erliegen gebracht hatten. Ich machte mir nur noch Gedanken darüber, wie man bei einem Baby eine Windel wechselt und welche Art von Roman ich in der Elternzeit schreiben würde. Kurz vor dem errechneten Termin wusste ich zwar, dass ich vor einem Abgrund stand, dennoch war ich lediglich damit beschäftigt, zu planen, wie schnell ich wieder ich selbst sein würde. Ich ignorierte die Möglichkeit, dass ich – unabhängig vom Ausgang der Geburt – für immer verändert aus der Erfahrung hervorgehen würde.

₺602,77