Kitabı oku: «Anne & Rilla – Der Weg ins Glück», sayfa 2

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‚Nein, ich werde Joe einfach gehen lassen müssen, und dann wird er umkommen – ich weiß, daß er umkommt —, und das wird mir das Herz brechen‘, schluchzte Miranda, während ihr die Tränen übers Gesicht liefen und die Ungezieferhemden einweichten!

Wenn ich das so formuliere, heißt das nicht, daß ich mit der armen Miranda kein Mitleid hätte. Es ist eine Gewohnheit von mir geworden, ein bißchen zu witzeln, wenn ich an Jem und Walter schreibe; ich will sie damit einfach zum Lachen bringen. Miranda tat mir wirklich leid, wo sie doch so bis über beide Ohren in Joe verliebt ist und wo sie sich so schrecklich schämt, weil ihr Vater für die Deutschen ist. Ich glaube, sie wußte, daß ich Mitleid hatte mit ihr, weil sie sagte, ich hätte mich das letzte Jahr zu so einem verständnisvollen Menschen entwickelt. Und deswegen wollte sie mir ihre Sorgen anvertrauen. Ich frage mich, ob das stimmt. Ich weiß, ich war früher ein egoistisches, gedankenloses Ding. Ich schäme mich richtig, wenn ich daran zurückdenke. Also kann ich doch jetzt so schlimm nicht mehr sein.

Wenn ich Miranda doch bloß helfen könnte. Es wäre doch bestimmt sehr romantisch, eine Kriegshochzeit anzuzetteln, und ich würde Mondgesicht-mit-Schnauzbart zu gern eins auswischen. Aber bis jetzt hat das Orakel noch nicht gesprochen.“

Eine Kriegshochzeit

„Lieber Doktor, eines kann ich Ihnen sagen“, sagte Susan, blaß vor Zorn, „Deutschland macht sich langsam wirklich lächerlich.“

Alle waren in der großen Küche von Ingleside versammelt. Susan war gerade dabei, einen Plätzchenteig fürs Abendessen anzurühren. Anne machte Butterkuchen für Jem, und Rilla mixte Kandisbonbons für Ken und Walter zusammen. Früher waren es in Rillas Gedanken immer Walter und Ken gewesen, aber irgendwie hatte sich wie von selbst die Reihenfolge geändert, und Ken war an die erste Stelle getreten. Auch Cousine Sophia war da und beschäftigte sich mit Stricken. Früher oder später würden alle Jungen umkommen, das spürte Cousine Sophia bis in die Knochen, aber besser mit warmen Füßen sterben als mit kalten. Also strickte sie mit finsterem Blick drauflos.

Mitten in diese friedliche Szene platzte Gilbert hinein, der ganz außer sich war über die Nachricht, daß die Parlamentsgebäude von Ottawa niedergebrannt worden waren. Susan ließ sich sogleich von seiner Wut anstecken.

„Was stellen diese Hunnen denn noch alles an!“ rief sie aufgebracht. „Kommen einfach hierher und stecken unsere Parlamentsgebäude in Brand! Ist das nicht eine Ungeheuerlichkeit!“

„Es steht nicht fest, ob die Deutschen dafür verantwortlich sind“, sagte Gilbert, wobei er sich so anhörte. als sei er sich dessen sicher. „Sie haben nicht bei jedem Brand die Hand im Spiel. Onkel Mark MacAllisters Scheune zum Beispiel ist letzte Woche abgebrannt. Dafür kannst du wohl schlecht den Deutschen die Schuld geben, Susan.“

„Da bin ich mir gar nicht so sicher, lieber Doktor“, sagte Susan und schüttelte unheilverkündend den Kopf. „Mondgesicht-mit-Schnauzbart war genau an dem Tag dort. Eine halbe Stunde, nachdem er weg war, brach das Feuer aus. Soviel steht jedenfalls fest – aber ich werde mich hüten, einen Kirchenältesten der Brandstiftung zu verdächtigen, ehe ich keine Beweise habe. Aber immerhin weiß doch jeder, lieber Doktor, daß beide Söhne von Onkel Mark zur Front gegangen sind und daß Onkel Mark selbst auf sämtlichen Rekrutierungsversammlungen Reden hält. Deutschland ist also bestimmt darauf bedacht, es ihm heimzuzahlen.“

„Ich würde es nie fertigbringen, auf solchen Rekrutierungsversammlungen zu sprechen“, sagte Cousine Sophia ernst. „Ich könnte es nie mit meinem Gewissen vereinbaren, den Sohn einer anderen Frau zum Kriegsdienst aufzufordern, damit er mordet und selbst ermordet wird.“

„Wirklich nicht?“ sagte Susan. „Liebe Sophia Crawford, was mich betrifft, ich könnte jeden dazu auffordern, wenn ich in der Zeitung lese, daß in Polen kein einziges Kind unter acht Jahren mehr am Leben geblieben ist. Stell dir das mal vor, Sophia Crawford“, Susan hob drohend ihren mehligen Finger, „kein – einziges – Kind – unter – acht – Jahren!“

„Wahrscheinlich haben die Deutschen sie alle aufgefressen“, seufzte Cousine Sophia.

„Das nun nicht gerade“, sagte Susan zögernd, als ob es ihr schwerfiele, die Hunnen nicht auch noch eines solchen Verbrechens beschuldigen zu können. „Zu Kannibalen sind die Deutschen bis jetzt noch nicht geworden, jedenfalls nicht, daß ich wüßte. Sie wurden ausgesetzt und mußten verhungern, die armen kleinen Geschöpfe. Das ist Mord, liebe Cousine Sophia Crawford. Bei dem Gedanken bleibt mir jeder Bissen im Halse stecken.“

„Hier steht, daß Fred Carson aus Lowbridge die Kriegsverdienstmedaille bekommen hat“, sagte Gilbert, über die Zeitung gebeugt.

„Davon habe ich schon gehört“, sagte Susan. „Er ist ein Bataillonsbote und hat irgend etwas besonders Wagemutiges getan. Sein Brief, in dem er seinen Leuten darüber schreibt, kam gerade an, als seine alte Großmutter Carson auf dem Sterbebett lag. Sie hatte bloß noch ein paar Minuten zu leben, und der Priester, der bei ihr war, fragte sie, ob es ihr recht wäre, wenn er jetzt betet. ‚Ja, ja, beten Sie nur‘, sagte sie da ziemlich ungeduldig – sie war eine Dean, lieber Doktor, und die Deans waren immer schon temperamentvoll – ‚beten Sie nur, aber beten Sie um Himmels willen leise und stören Sie mich nicht. Ich will mir diese wunderbare Nachricht noch mal durch den Kopf gehen lassen, und dazu habe ich nicht mehr viel Zeit.‘ Das war typisch Almira Carson. Fred war ihr Herzblatt. Sie war fünfundsiebzig Jahre alt und hatte nicht ein einziges graues Haar auf dem Kopf, heißt es.“

„Apropos, heute morgen habe ich ein graues Haar entdeckt, mein allererstes“, sagte Anne.

„Das ist mir schon eine ganze Weile aufgefallen, liebe Frau Doktor, aber ich habe lieber nichts gesagt. Ich habe mir nur gedacht: ‚Sie hat aber auch genug auszuhalten.‘ Aber jetzt, wo Sie es entdeckt haben, darf ich Sie vielleicht daran erinnern, daß graue Haare etwas Ehrenwertes sind.“

„Ich werde wohl langsam alt, Gilbert“, sagte Anne und lachte ein wenig wehmütig. „Die Leute sagen jetzt öfter zu mir, wie jung ich doch noch aussehe. Das sagen sie nie, wenn man wirklich noch jung ist. Aber ich werde mir wegen meines Silberfadens keine Sorgen machen. Ich habe rotes Haar noch nie leiden können. Gilbert, habe ich dir je davon erzählt, wie ich mir damals auf Green Gables die Haare gefärbt habe? Niemand wußte etwas davon außer Marilla.“

„War das der Grund, warum du sie dir plötzlich ganz kurz geschnitten hast?“

„Ja. Ich hatte einem deutschen Hausierer eine Flasche Farbe abgekauft. Ich bildete mir ein, mein Haar würde davon schwarz werden, aber es wurde grün. Also mußte ich es wohl abschneiden.“

„Da können Sie aber von Glück reden, liebe Frau Doktor!“ rief Susan. „Natürlich waren Sie damals zu jung, um zu wissen, was ein Deutscher ist. Das war die besondere Gnade Gottes, daß es nur grüne Farbe war und nicht Gift.“

„Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit seit der Zeit auf Green Gables“, seufzte Anne. „Das war eine ganz andere Welt. Der Krieg ist wie ein Abgrund und hat das Leben in zwei Hälften geteilt. Was vor uns liegt, weiß ich nicht, aber es kann unmöglich so sein wie die Vergangenheit. Ich frage mich, ob diejenigen von uns, die ihr halbes Leben in der alten Welt verbracht haben, sich jemals in der neuen Welt zu Hause fühlen werden.“

„Ist Ihnen auch aufgefallen“, sagte Miss Oliver, während sie von ihrem Buch aufsah, „daß alles, was vor dem Krieg geschrieben wurde, plötzlich so weit weg zu sein scheint? Man hat das Gefühl, als lese man etwas aus der Antike, wie die Ilias von Homer. Dieses Gedicht von Wordsworth – die höheren Klassen schreiben gerade eine Arbeit darüber —, ich habe es flüchtig gelesen. Diese friedliche Stille, die es ausdrückt, und diese schöne Sprache scheinen einem anderen Planeten anzugehören und haben sowenig mit dem gegenwärtigen Chaos auf dieser Welt zu tun wie der Abendstern.“

„Die Bibel ist zur Zeit das einzige, was mich trösten kann“, sagte Susan, während sie ihre Plätzchen in den Ofen schob.

„Da steht so vieles drin, was genau auf die Hunnen paßt. Sandy, der alte Schotte, behauptet, der Antichrist, von dem in der geheimen Offenbarung die Rede ist, wäre zweifellos der Kaiser, aber so weit gehe ich nicht. Wenn ich meine bescheidene Meinung dazu äußern darf, liebe Frau Doktor, dann muß ich sagen, das wäre doch eine zu große Ehre für ihn.“

Ein paar Tage später tauchte Miranda Pryor frühmorgens auf Ingleside auf, angeblich um Nähzeug fürs Rote Kreuz zu holen, in Wahrheit aber, um mit der verständnisvollen Rilla Probleme zu besprechen, die allein nicht zu ertragen waren. Sie brachte ihren Hund mit, ein überfüttertes, O-beiniges Tier, an dem sie sehr hing, weil Joe Milgrave es ihr geschenkt hatte, als es noch ganz klein war. Mr. Pryor konnte Hunde nicht leiden, aber zu der Zeit war er Joe als angehendem Schwiegersohn wohlgesonnen, und so erlaubte er ihr, das Hündchen zu behalten. Miranda war ihm dafür so dankbar, daß sie ihrem Vater einen Gefallen tun wollte, indem sie dem Hund den Namen seines politischen Idols, des großen Anführers der Liberalen, Sir Wilfrid Laurier, gab – auch wenn sie ihn bald nur noch Wilfy nannte. Sir Wilfrid wuchs und gedieh und wurde fett und fetter. Miranda verwöhnte ihn nach Strich und Faden, und außer ihr konnte ihn niemand leiden. Rilla haßte ihn regelrecht. Sie konnte es einfach nicht ausstehen, wenn er sich auf den Rücken legte und bettelnd mit den Pfoten wackelte, damit man ihm den wohlgenährten Bauch kitzelte.

Mirandas Augen ließen deutliche Anzeichen einer verweinten Nacht erkennen, also bat Rilla sie hinauf in ihr Zimmer. Sie wußte, daß Miranda nun mit einer Leidensgeschichte kam, und befahl Sir Wilfrid, solange unten zu bleiben.

„Ach bitte, kann ich ihn nicht mitnehmen?“ bettelte Miranda. „Der arme Wilfy wird uns überhaupt nicht stören, und ich habe ihm draußen vor der Tür die Pfoten ganz saubergeputzt. Er fühlt sich woanders immer so einsam, wenn ich nicht bei ihm bin, und bald wird er das einzige sein, was mich – was mich noch an – an Joe erinnert.“

Rilla willigte ein, und Sir Wilfrid trottete mit seinem vorwitzigen Ringelschwanz triumphierend vor ihnen die Treppe hinauf.

„Ach, Rilla“, schluchzte Miranda, als sie die Zufluchtsstätte erreicht hatten. „Ich bin ja so unglücklich! Ich kann dir gar nicht sagen, wie unglücklich ich bin! Es bricht mir das Herz, ganz ehrlich!“

Rilla setzte sich neben sie aufs Sofa. Sir Wilfrid hockte sich vor ihnen nieder, streckte seine freche rosa Zunge heraus und lauschte.

„Was ist los, Miranda?“

„Joe kommt heute abend das letztemal nach Hause. Am Samstag habe ich seinen Brief bekommen. Er schreibt mir an Bob Crawfords Adresse, mußt du wissen, wegen Vater. Rilla, stell dir vor, er bekommt nur vier Tage Urlaub, und Freitagmorgen muß er gehen – und ich sehe ihn womöglich nie mehr wieder.“

„Will er denn immer noch, daß du ihn heiratest?“ fragte Rilla.

„Ja, natürlich. Er hat mich in seinem Brief angefleht, fortzulaufen und ihn zu heiraten. Aber das kann ich nicht, Rilla, nicht mal ihm zuliebe. Mein einziger Trost ist, daß ich ihn morgen nachmittag eine Weile sehen kann. Vater muß geschäftlich nach Charlottetown. Dann werden wir uns wenigstens in Ruhe voneinander verabschieden können. Aber danach – ach, Rilla, ich weiß, daß Vater mich noch nicht mal am Freitagmorgen zum Bahnhof gehen läßt, um Joe Lebewohl zu sagen.“

„Warum in aller Welt geht ihr nicht hin und heiratet einfach morgen nachmittag bei dir zu Hause?“ wollte Rilla wissen.

Miranda glaubte, ihren Ohren nicht zu trauen, und verschluckte sich fast an ihrem Schluchzer.

„Wie – also – also, das geht doch nicht, Rilla!“

„Wieso nicht?“ fragte Rilla kurz und bündig. Ja, wieso nicht, wo sie doch in der Lage war, ein Jugend-Rotkreuz zu organisieren und Babys in Suppenschüsseln zu transportieren!

„Weil – weil – die Idee ist uns nie gekommen. Joe hat keine Genehmigung, und ich, ich habe kein Kleid – ich kann doch nicht in Schwarz heiraten – ich – ich – wir – du – du —“

Miranda verlor völlig die Fassung. Sir Wilfrid witterte ihre arge Bedrängnis, warf den Kopf in den Nacken und ließ ein klagendes Jaulen vernehmen.

Rilla dachte ein paar Minuten scharf nach. Dann sagte sie: „Miranda, laß mich nur machen, dann bist du noch vor vier Uhr morgen nachmittag mit Joe verheiratet.“

„Das schaffst du nicht.“

„Doch, das schaffe ich. Aber du mußt genau tun, was ich dir sage.“

„Ach, ich – ich glaube nicht. Oh, Vater wird mich umbringen …“

„Unsinn. Wahrscheinlich wird er sehr ärgerlich werden. Aber du hast doch wohl vor dem Zorn deines Vaters nicht mehr Angst als davor, daß Joe nie mehr zurückkehrt?“

„Nein“, sagte Miranda mit plötzlicher Entschlossenheit. „Nein, habe ich nicht.“

„Wirst du also das tun, was ich dir sage?“

„Ja.“

„Dann rufe jetzt Joe an und sage ihm, er soll heute abend eine Genehmigung und einen Ring mitbringen.“

„Das – das geht doch nicht“, fing Miranda wieder an zu jammern, „das – das gehört sich doch einfach nicht.“

Rilla klappte hörbar die Zähne zusammen und zischte kaum hörbar: „Jetzt platzt mir aber gleich der Kragen! Dann tue ich es eben!“ rief sie laut. „Und du gehst inzwischen nach Hause und bereitest alles soweit wie möglich vor. Und wenn ich dich anrufe, um dir zu sagen, daß du kommen und mir beim Nähen helfen sollst, dann komm aber auch sofort!“

Blaß und verstört, aber wild entschlossen machte sich Miranda auf den Weg. Rilla sauste zum Telefon und meldete ein Ferngespräch nach Charlottetown an. Die Verbindung kam dermaßen prompt zustande, daß für Rilla feststand, der Allmächtige sei mit ihrem Tun einverstanden. Aber es dauerte noch eine gute Stunde, ehe sie Joe Milgrave in seinem Lager erreichen konnte. In der Zwischenzeit wanderte sie ungeduldig auf und ab und betete, daß, wenn sie Joe am Apparat hatte, niemand in der Leitung war, der mithörte und die Neuigkeit an Mondgesicht-mit-Schnauzbart weitergab.

„Bist du ’s, Joe? Hier spricht Rilla Blythe. Rilla – Rilla —, ach, egal. Hör zu. Bevor du heute abend nach Hause kommst, besorge dir eine Heiratserlaubnis – eine Heiratserlaubnis – ja, eine Heiratserlaubnis! Und einen Trauring. Hast du verstanden? Wirst du dich darum kümmern? Gut, aber nicht vergessen. Es ist eure einzige Chance!“

Rilla war ganz aus dem Häuschen. Ihre einzige Sorge war gewesen, daß sie nicht rechtzeitig zu Joe durchkam. Jetzt hieß es bei Pryors anrufen. Diesmal hatte sie nicht soviel Glück, denn sie erwischte Mondgesicht-mit-Schnauzbart.

„Ist dort Miranda? Oh, Mr. Pryor! Ach, Mr. Pryor, wären Sie so nett und würden Miranda fragen, ob sie heute nachmittag zu mir kommen und mir beim Nähen helfen kann? Es ist sehr dringend, sonst würde ich sie nicht darum bitten. Danke, vielen Dank!“

Mr. Pryor hatte sich zwar ziemlich mürrisch angehört, aber immerhin, er erlaubte es. Schließlich wollte er es sich mit Dr. Blythe nicht verderben, und wenn er Miranda verbot, für das Rote Kreuz zu arbeiten, dann würden die Leute in Glen ihm doch bloß wieder die Hölle heiß machen.

Rilla ging hinaus in die Küche, tat ganz geheimnisvoll und machte alle Türen zu. Susan schöpfte gleich wieder Verdacht. Dann sagte Rilla feierlich: „Susan, kannst du heute nachmittag einen Hochzeitskuchen backen?“

„Was, einen Hochzeitskuchen?!“ Susan starrte sie ungläubig an. Rilla hatte ihr einst ohne Vorwarnung ein Kriegsbaby ins Haus geschleppt. Sollte sie nun ebenso plötzlich und unerwartet einen Ehegatten anschleppen?

„Ja, einen Hochzeitskuchen – einen ganz besonderen Hochzeitskuchen, Susan, einen wunderschönen Hochzeitskuchen mit vielen Rosinen und vielen Eiern und mit Zitronenschale. Und wir müssen noch ein paar andere Sachen vorbereiten. Ich werde dir morgen früh helfen. Aber heute nachmittag habe ich keine Zeit, weil ich ein Hochzeitskleid nähen muß. Jede Minute zählt, Susan.“

Susan war wohl doch inzwischen zu alt für solche schockartigen Überraschungen.

„Wen gedenkst du denn zu heiraten, Rilla?“ fragte sie schwach.

„Aber liebe Susan, nicht ich bin die glückliche Braut. Miranda Pryor wird Joe Milgrave heiraten, und zwar morgen nachmittag, wenn ihr Vater in der Stadt ist. Eine Kriegshochzeit, Susan – ist das nicht aufregend und romantisch? Noch nie im Leben war ich so aufgeregt!“

Die Aufregung erfaßte bald ganz Ingleside, einschließlich Anne und Susan.

„Auf der Stelle werde ich diesen Hochzeitskuchen in Angriff nehmen“, gelobte Susan mit einem Blick auf die Uhr. „Liebe Frau Doktor, würden Sie mir helfen, die Rosinen auszulesen und die Eier aufzuschlagen? Dann könnte ich den Kuchen heute abend noch in den Ofen schieben. Morgen früh können wir dann Salate und so was machen. Ich werde die ganze Nacht durchmachen, wenn nötig, damit ich endlich Mondgesicht-mit-Schnauzbart eins auswischen kann.“

Atemlos und den Tränen nah kam Miranda angekeucht.

„Wir müssen mein weißes Kleid umändern, damit es dir paßt“, sagte Rilla. „Du siehst dann bestimmt sehr nett darin aus.“

Und schon wurde aufgetrennt, anprobiert, geheftet und genäht, als sei der Teufel hinter ihnen her. Sie schafften so unermüdlich, daß das Kleid bis sieben Uhr abends fertig war und Miranda es in Rillas Zimmer anziehen konnte.

„Es ist wirklich sehr hübsch, aber – ach, was gäbe ich um einen Schleier“, seufzte Miranda. „Ich habe immer schon davon geträumt, mit einem schönen weißen Schleier zu heiraten.“

Es gibt wohl eine gute Fee, die die Wünsche einer Kriegsbraut erhört. Die Tür ging auf, und Anne kam herein, mit einer hauchdünnen Last auf dem Arm.

„Liebe Miranda“, sagte sie. „Ich möchte, daß du morgen meinen Hochzeitsschleier trägst. Es ist vierundzwanzig Jahre her, daß ich eine Braut war, damals auf Green Gables – die glücklichste Braut auf Erden. Und der Hochzeitsschleier einer glücklichen Braut bringt Glück, heißt es.“

„Oh, wie lieb von Ihnen, Mrs. Blythe“, sagte Miranda, während ihr die einsatzbereiten Tränen in die Augen traten.

Der Schleier wurde anprobiert und drapiert. Susan schneite bewundernd herein, nahm sich aber nicht lange Zeit.

„Ich habe den Kuchen im Ofen“, sagte sie. „Und ich spitze fleißig die Ohren. In den Abendnachrichten heißt es, der Großherzog hätte Erzerum eingenommen. Das ist eine bittere Pille für die Türken. Wie konnte der Zar nur den Fehler machen und Nicholas abkanzeln.“

Susan entschwand wieder in die Küche. Im selben Augenblick waren ein dumpfer Schlag und ein durchdringender Schrei zu hören. Alles rannte hinunter in die Küche: Gilbert und Miss Oliver, Anne, Rilla und Miranda mit ihrem Hochzeitsschleier. Susan saß mit ausgestreckten Beinen mitten auf dem Küchenboden und machte ein völlig verstörtes Gesicht, während Doc offensichtlich wieder mal als Mr. Hyde auftrat und mit Katzenbuckel, blitzenden Augen und steil aufgerichtetem Schwanz – dreimal so lang wie gewöhnlich – auf der Anrichte stand.

„Susan, was ist passiert?“ rief Anne erschrocken. „Bist du hingefallen? Bist du verletzt?“

Susan stand mühsam auf. „Nein“, sagte sie grimmig. „Ich bin nicht verletzt, auch wenn ich am ganzen Körper zittere. Kein Grund zur Unruhe. Es ist nichts passiert, ich habe bloß versucht, diesem verdammten Kater mit beiden Füßen einen Tritt zu versetzen.“

Alles prustete los. Gilbert konnte gar nicht mehr aufhören zu lachen.

„Susan, Susan!“ keuchte er. „Daß du mal fluchst, wer hätte das gedacht!“

„Tut mir leid, daß ich in Anwesenheit zweier junger Damen einen solchen Ausdruck gebraucht habe“, sagte Susan mit schlechtem Gewissen. „Aber es ist nun mal ein verdammter Kater. Der ist doch mit dem Teufel im Bunde!“

„Dann wird er wohl eines Tages mit lautem Getöse und Schwefelgestank zur Hölle fahren, was. Susan?“

„Er wird rechtzeitig dahin gehen, wohin er gehört, darauf könnt ihr euch verlassen“, sagte Susan mürrisch, brachte ihre Knochen wieder in Ordnung und ging zum Ofen. „Der Plumps auf den Boden hat jetzt bestimmt meinen schönen Kuchen so erschüttert, daß er schwer ist wie Blei.“

Aber der Kuchen war nicht schwer wie Blei. Er war genau so, wie ein Hochzeitskuchen sein soll, und Susan verzierte ihn mit einer hübschen Glasur. Am Tag darauf hatten Susan und Rilla alle Hände voll damit zu tun, Delikatessen fürs Hochzeitsmahl zuzubereiten. Und sobald Miranda anrief, um ihnen mitzuteilen, daß ihr Vater endlich weg sei, wurde alles in einen großen Korb gepackt und zu den Pryors hinübergebracht. Bald darauf erschien Joe ganz aufgeregt in seiner Uniform, und Sergeant Malcolm Crawford begleitete ihn als Trauzeuge. Es kamen einige Gäste zusammen, nämlich alle aus dem Pfarrhaus und aus lngleside und ungefähr ein Dutzend Verwandte von Joe, einschließlich seiner Mutter, die man scherzhaft „die Frau von Angus Milgrave dem Toten“ nannte, um sie von jener Dame zu unterscheiden, deren Angus noch am Leben war. Die Frau von Angus dem Toten machte ein ziemlich mißbilligendes Gesicht; sie war nicht gerade begeistert von der Verbindung mit dem Hause Mondgesicht-mit-Schnauzbart.

Auf jeden Fall wurde Miranda Pryor mit dem Soldaten Joseph Milgrave getraut. Eine romantische Hochzeit hätte es werden sollen, aber es hatte nicht sollen sein. Zu viele Umstände verhinderten die erhoffte Romantik, wie selbst Rilla zugeben mußte. Erstens sah Miranda trotz Kleid und Schleier viel zu langweilig aus, um eine schöne Braut abzugeben, und zweitens weinte Joe während der ganzen Zeremonie ganz bitterlich, worüber Miranda sich unverständlicherweise ärgerte. Erst viel später vertraute sie Rilla an: „Am liebsten hätte ich zu ihm gesagt: ‚Wenn du es so schlimm findest, mich heiraten zu müssen, dann laß es doch bleiben.‘ Dabei hat er nur deshalb geweint, weil er die ganze Zeit an unseren Abschied denken mußte.“

Drittens bekam Jims, der sonst so umgänglich mit anderen Leuten war, plötzlich einen Anfall von Schüchternheit und Eigensinn und fing an, wie am Spieß nach „Willa“ zu kreischen. Niemand fand sich bereit, ihn hinauszubringen, weil niemand die Hochzeit verpassen wollte, also mußte Rilla, die die Brautjungfer war, ihn während der Zeremonie zu sich nehmen und ihn festhalten.

Viertens fing Sir Wilfrid Laurier an, verrückt zu spielen. Man hatte ihn in einer Ecke hinter Mirandas Klavier verstaut. Dort gab er plötzlich die eigenartigsten und schauerlichsten Geräusche von sich. Es fing an mit krampfartigen Würgelauten, die in ein scheußliches Gegurgel übergingen, und endete mit einem Gejapse, als ob er stranguliert würde. Keiner verstand ein Wort von dem, was Mr. Meredith sagte, außer in den kurzen Pausen, in denen Sir Wilfrid Luft holte. Keiner schaute die Braut an, bis auf Susan, die vor lauter Rührung den Blick nicht von ihrem Gesicht wenden konnte. Alle anderen starrten den Hund an. Miranda hatte erst vor lauter Aufregung gezittert, doch sobald Sir Wilfrid mit seiner Vorstellung begann, war es vorbei damit. Ihr einziger Gedanke war, daß ihr armer Hund im Sterben lag und sie nicht bei ihm sein konnte. Kein Wort der Traurede blieb ihr in Erinnerung.

Rilla, die trotz Jims versucht hatte, ein verzücktes und romantisches Gesicht zu machen, wie es sich für eine Kriegsbrautjungfer ziemte, gab den hoffnungslosen Versuch schließlich auf und war statt dessen bemüht, das unangebrachte Kichern, das sich ihr aufdrängen wollte, zu unterdrücken.

Sie wagte nicht, irgend jemanden im Raum anzusehen, schon gar nicht die Frau von Angus dem Toten, vor lauter Angst, sie könnte dann nicht länger an sich halten und müßte in ein lautes, höchst undamenhaftes Gelächter ausbrechen.

Immerhin, die Hochzeit fand statt, und danach gab es im Eßzimmer einen so verschwenderischen Hochzeitsschmaus, als seien dafür wochenlange Vorbereitungen nötig gewesen. Jeder hatte irgend etwas mitgebracht. Die Frau von Angus dem Toten hatte einen großen Apfelkuchen angeschleppt, den sie auf einem Stuhl im Eßzimmer abgestellt hatte, um sich nachher in ihrer Vergeßlichkeit darauf zu setzen. Das kam weder ihrer Stimmung noch ihrem schwarzen Seidenkleid zugute, und den Kuchen vermißte auch niemand bei dem fröhlichen Hochzeitsfest. Woraufhin die Frau von Angus dem Toten ihn schließlich wieder mit nach Hause nahm. Mondgesicht-mit-Schnauzbarts Hausschwein sollte ihn jedenfalls nicht bekommen.

Am Abend brachen Mr. und Mrs. Joe in Begleitung des wiederauferstandenen Sir Wilfrid zum Leuchtturm von Four Winds auf, der von Joes Onkel bewacht wurde. Dort wollten sie ihren kurzen Flitterabend verbringen. Una Meredith, Rilla und Susan wuschen das Geschirr ab, räumten auf, ließen ein kaltes Abendessen und Mirandas mitleidsvolle Notiz für Mr. Pryor auf dem Tisch zurück und traten den Heimweg an, während sich der geheimnisvolle Schleier der winterlichen Abenddämmerung über Glen ausbreitete.

„Es muß schön sein, eine Kriegsbraut zu sein“, bemerkte Susan gerührt.

Rilla fühlte sich ziemlich matt – vielleicht als Folge der ganzen Aufregung und Hektik der vergangenen sechsunddreißig Stunden. Irgendwie war sie enttäuscht. Die ganze Angelegenheit war ihr so albern vorgekommen und Miranda und Joe so weinerlich und langweilig.

„Wenn Miranda diesen jämmerlichen Hund nicht überfüttert hätte, dann hätte er auch keinen Anfall gekriegt“, schimpfte sie. „Ich habe sie noch gewarnt, aber sie sagte, sie könne doch den armen Hund nicht verhungern lassen, und er wäre doch bald alles, was ihr noch bleibt, und so weiter und sofort. Ich hätte sie schütteln können.“

„Der Trauzeuge war noch aufgeregter als Joe“, sagte Susan. „Als er ihr gratulierte und ihr alles Gute wünschte, sah sie nicht sehr glücklich aus. Aber das kann man unter solchen Umständen vielleicht auch nicht erwarten.“

Na, auf jeden Fall werden die Jungen was zu lachen haben, wenn ich ihnen davon schreibe, dachte Rilla. Jem wird sich totlachen über Sir Wilfrids Auftritt!

Doch wenn Rilla auch enttäuscht war über die Kriegshochzeit, so entsprach der folgende Morgen, als es für Miranda hieß, von ihrem Bräutigam auf dem Bahnhof Abschied zu nehmen, ganz ihren Vorstellungen. Die Morgendämmerung schimmerte so weiß wie eine Perle und so klar wie ein Diamant. Die jungen Tannen hinter dem Bahnhof waren von Rauhreif überzogen. Der kalte Mond hing über den Schneefeldern im Westen, während die goldenen Strahlen der aufgehenden Sonne die Ahornbäume von Ingleside umsäumten. Joe nahm seine kleine blasse Braut in die Arme, und sie sah zu ihm auf. Rilla mußte plötzlich schlucken. Was machte es schon, wenn Miranda ein unbedeutendes, langweiliges Mädchen war. Was machte es schon, wenn sie die Tochter von Mondgesicht-mit-Schnauzbart war. Das zählte doch nicht im Vergleich zu dem hingerissenen, aufopferungsvollen Blick in ihren Augen – diesem immerwährenden Feuer der Liebe und Treue und dem Mut, Joe ohne Worte das Versprechen zu geben, daß sie und Tausende von anderen Frauen zu Hause auf sie warten würden, während ihre Männer an der Westfront die Stellung hielten.

Rilla machte kehrt, als sie merkte, daß es nicht richtig war, in so einem Augenblick zu spionieren. Sie ging bis zum Ende des Bahnsteigs, wo Sir Wilfrid und Monday hockten und sich gegenseitig musterten.

Sir Wilfrid schien zu bemerken: „Warum lungerst du in dieser alten Hütte herum, wo du es dir vor dem Kamin von Ingleside bequem machen und in Saus und Braus leben könntest? Spielst du Theater? Oder ist das eine fixe Idee von dir?“

Darauf Mondays knappe Antwort: „Ich habe eine Verabredung.“

Als der Zug abgefahren war, ging Rilla wieder auf die zitternde Miranda zu.

„Jetzt ist er fort“, sagte Miranda, „und kommt womöglich nie mehr wieder. Aber ich bin seine Frau, und ich will seiner würdig sein. Ich gehe jetzt nach Hause.“

„Willst du nicht lieber mit zu mir kommen?“ fragte Rilla. Bis jetzt wußte noch niemand, wie Mr. Pryor die Sache aufgenommen hatte.

„Nein. Wenn Joe sich den Hunnen stellen kann, dann werde ich mich wohl auch meinem Vater stellen können“, sagte Miranda tapfer. „Die Frau eines Soldaten darf kein Feigling sein. Komm, Wilfy. Ich gehe jetzt nach Hause und werde das Schlimmste über mich ergehen lassen.“

Aber so schlimm wurde es gar nicht. Vielleicht hatte sich Mr. Pryor gesagt, daß Haushälterinnen schwer zu bekommen waren und daß Miranda die Tür bei so vielen Milgraves offenstand – und nicht zuletzt gab es ja auch noch so etwas wie eine Trennungszulage. Er zeigte sich zwar mürrisch und sagte, sie hätte sich wohl ziemlich albern benommen, und das würde sie ihr Leben lang bereuen, aber das war auch alles, was er sagte. Mrs. Joe band sich daraufhin die Schürze um und ging wie immer an die Arbeit, während sich Sir Wilfrid Laurier, der vom Leuchtturm die Nase voll hatte, in seiner Kuschelecke hinter der Brennholzkiste schlafen legte und froh war, von Kriegshochzeiten fortan verschont zu bleiben.

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