Kitabı oku: «Das kalte Licht», sayfa 7

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Schilling blickte nicht weniger überrascht als alle anderen, aber da er in die Runde schaute und niemand Einwände erhob, nickte er schließlich und bedeutete Hesenius mit einer Handbewegung, er möge sein Glück versuchen, hinter der Türe jemanden zu finden für seine Zwecke.

Ulrich huschte also hinaus, und es dauerte keine Minute, da sah man ihn wieder eintreten mit eben jenem Handwerksburschen aus dem Treppenhaus, der nun von seiner hohen Leiter gestiegen war. Er stellte den jungen Jean vor, dessen Eltern aus La Rochelle den Weg nach Hamburg gefunden hatten, und alle sahen, dass Hesenius ihn vor allem anderen gewählt hatte, da er klein und leicht war und er sich folglich gut eignete, getragen zu werden. Auf Ulrichs Anweisung hin stand er ganz still und ließ alles folgende mit sich geschehen. Ulrich ergriff seinen rechten Arm oberhalb des Handgelenks und hob ihn ganz in die Höhe. Dann duckte er sich, ging ein Stück in die Hocke, und als er sich wieder aufrichtete, trug er den Jungen, dessen Körper nunmehr bäuchlings über Nacken und Schulter geworfen war. Sein linker Arm umfasste die herunterbaumelnden Beine, mit der Rechten hielt er weiterhin des Jungen Unterarm gepackt, so dass der Getragene nicht herunterrutschen konnte. Alle am Tisch staunten ob dieses Anblicks, und Ratsherr Brouwer sprang, von Erregung gepackt, so hastig auf, dass er seinen Stuhl umwarf.

Ulrich tat, bepackt mit seiner menschlichen Last, einige Schritte, machte kehrt und ging wieder zurück und bat die anwesenden Herren nur darum, sich die Einzelheiten der ganzen Haltung einzuprägen. Als er den jungen Jean wieder absetzte, sah man, wie diesem leicht schwindelte, da er zuvor kopfüber gehangen hatte und nun, da er wieder aufrecht stand, das vermehrt in den Kopf gestiegene Blut wieder von dort abfloss. Ulrich bedankte sich bei seinem Gehilfen für sein Mitwirken und führte ihn anschließend wieder zur Tür hinaus, ohne dass der Junge sich auf das gerade Erlebte einen Reim machen konnte. Wenn er erst wieder oben auf seiner Leiter stand, würde er sich recht ausgiebig wundern über die Grillen der hohen Herren hinter der Saaltür.

Als Ulrich wieder vor die Ausschussmitglieder trat, verstummte das Flüstern, mit dem sie ihre Eindrücke untereinander austauschten. Niemand stellte zweifelnde Fragen, und er konnte ungestört fortfahren in seinem Bericht: „Was wir eben gesehen haben, erklärt alles, was an von Brempts totem Körper sonst noch auffällig war: die ungewöhnliche Verteilung der Totenflecke an Armen, Beinen und Gesicht, die unterbrochene Rotfärbung der Haut oberhalb des Handgelenks, wo jemand den Arm fest gepackt hielt, und sogar die drei kleinen Wundmale dort, die ich bei der Aufzählung der Verletzungen in meinem Bericht erwähnte und deren Ursache mir lange Zeit unklar blieb.“

Nybur, der offenbar über ein ausgezeichnetes Gedächtnis verfügte, warf für die Anwesenden kurz ein, dass der Regimentsarzt dieselben Male auch in seinem Bericht aufgeführt hatte.

„Es waren ganz einfach die Fingernägel desjenigen, der den Getöteten trug. Sie gruben sich, während der Unterarm gepackt wurde, post mortem in Haut und Fleisch. Ich kann nicht sagen, wie lange dieser schaurige Transport dauerte, aber er verrät uns einiges über von Brempts Mörder. Der Ratsherr war, wie schon erwähnt, um vieles schwerer als der kleine Jean, den ich eben, gleichsam passend zu meiner eigenen Körperkraft, wählte. Wer immer den Toten auf diese Weise hochheben und forttragen konnte, muss von wahrhaft großer und sehr kräftiger Gestalt sein. Ebenso ist die Hand dieses Riesen überaus groß, da sie auf halber Länge des Unterarmes das Austreten des Blutes unter der Haut durch das Zupacken verhinderte. Dieser Hüne, nun er muss, wie gesagt, wenigstens einen, vielleicht auch mehrere Helfer zur Seite haben, er geht also hinter dem anderen her, der vorausspäht, in der Dunkelheit, achtgibt auf den Weg und hier und da mit der Laterne leuchtet und die Richtung weist. Nachdem sie so heimlich marschiert sind, gelangen sie endlich zu dem kleinen Fleet, begeben sich zur Mitte der Brücke und lassen den Leichnam von dort oben hinunter fallen auf die schneebedeckte Eisfläche. Des Ratsherrn Hut aber stecken sie unten an der Böschung gut sichtbar zwischen die Zweige eines Busches, damit er nicht auf Nimmerwiedersehen davon weht, sondern gleichfalls gefunden wird.“ Alles schwieg und ein jeder schien in Gedanken dumpf vor sich hin zu brüten, als er geendet hatte.

„Bei Gott Hesenius“, flüsterte Rinck für sich und war dabei doch laut genug, dass alle es hörten, „ich glaube fast, Ihr habt in allem recht. Unser guter Heinrich, wenn wir doch nur wüssten, …“ Er beendete den Satz nicht, doch allen war es gewiss, dass er nach denen fragte, die ein solches Verbrechen begangen hätten.

„Ein Letztes noch, ihr Herren“, nahm Ulrich seine Rede noch einmal auf, „es mag einigen hier schwerfallen, das Geschehen so zu betrachten, wie ich es tue, denn es hieße, wir hätten einen abscheulichen Mord aufzuklären anstatt dass wir einfach nur ein Unglück betrauern, wie anfangs ein jeder – ich selbst eingeschlossen – dachte. Der Ablauf der Dinge, so wie ich ihn eben zu schildern und zu zeigen versuchte, erklärt aber nicht nur vieles, was sonst unverständlich bliebe, es erübrigt auch ganz und gar eine Frage, die sonst unvermeidlich zu stellen wäre: Welchen Grund hätte Heinrich von Brempt gehabt, nächtlich diese abgelegene Brücke aufzusuchen? Dahinter sind bestenfalls verschneite Felder oder weiter östlich das große Alsterfleet zu finden.“

Nicht jeder schien sich bislang diese Frage gestellt zu haben, aber nun, da Ulrich sie offen ausgesprochen hatte, grübelten sie vergeblich, und die Lösung, so wie Ulrich sie vorgegeben hatte, stand ihnen nur umso deutlicher vor Augen.

„Nun gut“, verkündete Schilling und blickte sich bedächtig um, „wenn von den Anwesenden niemand eine weitere Frage hat …?“

Er blickte nacheinander alle an, doch niemandem wollte neuerlich etwas einfallen. Selbst Haich, der sonst nicht um Einwände gegen Ulrichs Rede verlegen war, biss sich schweigend auf die Lippen.

Schilling brach das allgemeine Schweigen: „Die Versammlung bittet den jungen Hesenius jetzt, uns einige Minuten allein zu lassen, damit wir weiter in vertraulicher Runde beraten können. Ihr werdet anschließend unseren Beschluss in dieser Sache vernehmen.“

Lengsdorp, der während der langen Befragung das eine oder andere Mal versteckt geschmunzelt hatte, wenn Ulrich die Fragen anderer parierte, schien überaus zufrieden mit dem Verlauf der ganzen Unterredung. Er führte Hesenius zur Tür, bat ihn um etwas Geduld und setzte verschwörerisch flüsternd hinzu, er möge, falls er von den Herren um einen weiteren Dienst gebeten werde, einfach nur mit einem vernehmlichen „Ja“ antworten.

Und so wartete Ulrich vor der Amtsstube, zog sich dabei aber soweit zurück, dass seine Ohren nicht weiter hören konnten, was drinnen gesprochen wurde. Wohl vernahm er noch, wenn jemand laut genug die Stimme erhob, und so war ihm einmal, als würden Haich und Lengs-dorp Worte wechseln, oder die dunklen Bassstimmen von Schilling oder Bruwer fielen ein und schallten herüber zu ihm.

Er wünschte sich bald eine der guten Taschenuhren, wie sie vermutlich ein jeder dieser Herren bei sich trug, um seine Ungeduld in Minuten abzumessen, aber nachdem solcherart die Zeit für ihn zäh dahin geflossen war, wurde er schließlich doch, wie angekündigt, hereingebeten, und nun gingen die Dinge auf einmal so rasch vonstatten, dass er das Gefühl bekam, er müsse nur gleichsam auf einen Wagen aufspringen, der längst begonnen hatte zu rollen.

Nybur war aufgestanden und trug ihm den Beschluss der Runde vor. Der Ausschuss sehe sich verpflichtet, sprach er, wegen der ungeklärten Umstände, welche den Tod Heinrich von Brempts überschatteten, weitere umfassende Aufklärung anzugehen, nach Schuldigen eines möglichen Verbrechens zu suchen und diese, wenn möglich, einer gerechten Bestrafung zuzuführen.

„So ergeht unsere Bitte an den hier anwesenden Ulrich Hesenius“, schloss er seine kurze Rede, „welcher durch seine Vorarbeit wesentlich zu unseren Erkenntnissen beigetragen hat, sich weiterer Ermittlungen anzunehmen. Und daher frage ich Euch: Wäret Ihr gewillt, diese Aufgabe als die eure anzunehmen und dem Rat der Stadt Hamburg hierin mit eurem Wissen und euren Fähigkeiten zu dienen?“

Wenn Ulrich anfangs während der Befragung Aufregung verspürt hatte, so war sie doch rasch gewichen, da er in jedem Moment zu antworten vermochte, wie es ihm Klugheit und Wissen eingaben. Doch nun, da man im Begriff stand, eine Verantwortung auf seine Schultern zu laden, wie er sie zuvor nie getragen hatte, wollten die Worte nicht recht über seine Lippen kommen. Er blickte unschlüssig zu Lengsdorp hinüber, der unmerklich nickte, und hörte sich endlich sagen: „Ihr Herren, wenn es dem Wunsch des Rates entspricht, so bin ich bereit!“

Ein zustimmendes Gemurmel erhob sich daraufhin in der Runde. Abgesehen von Haich, der seine Stimmung nicht nach außen kehrte, schien ein jeder über diesen Ausgang der Sitzung erleichtert. Borsfeld machte ein überaus zufriedenes Gesicht, und Moritz Rinck wollte ihm sogleich die Hand schütteln.

„Wenn die Herren erlauben“, meldete sich van’t Hok, der zuvor so stille Protokollführer, zu Wort, „und bevor wir die Versammlung auflösen, gebe ich Folgendes zu bedenken: Sofern der junge Hesenius tatsächlich recht haben sollte mit seinen Vermutungen, hätten wir es mit einem abscheulichen Verbrechen zu tun und die Suche nach den Schuldigen könnte am Ende für ihn zu einer allzu gefährlichen Unternehmung geraten. Daher sollte er, ehe wir uns allzu rasch seiner Dienste versichern, noch einmal Gelegenheit haben, sich zu bedenken!“

Ulrich war, nachdem er einmal soweit gekommen war, entschlossen, den neuen Einwand abzuwehren, aber Lengsdorp, der nachdenklich dreinschaute, wusste die Sache anders anzugehen.

„Mir scheint, unser Schreiber hat vollkommen recht. Wenn wir auch nach unserem Willen einen Ermittler bekommen haben, so mag es bei dieser Aufgabe am Ende gar bedrohlich zugehen, was wir nicht ausreichend bedacht haben. So wie ich den jungen Hesenius einschätze, wird er freilich von der einmal übertragenen Aufgabe nicht zurücktreten wollen, und doch stehen wir alle hier auch in der Verantwortung für seine Sicherheit. Ich schlage daher vor, ihm jemanden zur Seite zu stellen, der unerschrocken und erfahren ist und auf dessen Zuverlässigkeit und Verschwiegenheit wir bauen können. Borsfeld, Ihr habt doch gewiss einen Wächter in euren Reihen, der geduldig zu folgen versteht, aber im Notfalle ebenso hart zuschlagen kann, wie?“

„Meine Leute stehen alle im Dienst. Ich habe kaum genug, die vielen Märkte und des nachts alle Rundgänge zu beschicken“, antwortete der Weddeherr, „aber unter den ausgemusterten Veteranen wiederum würde sich mancher über solch ein kleines Zubrot freuen. Ihr bekommt also euren Mann, wenn alle hier dies wünschen.“

Niemand erhob Einwände. Auch Hesenius, der noch ein wenig betäubt schien von der Plötzlichkeit, mit der sich die Aufgaben in seinem Leben verändert hatten, nahm den Beschluss hin, ohne recht zu wissen, ob ihm dieser nun gefiel oder nicht.

Nachdem Schilling die Versammlung für beendet erklärt hatte, verabschiedeten sich nach und nach alle und verließen die Ratsstube. Rinck, Mölln und Kerkring, die unter den Letzten waren, die gingen, beglückwünschten Ulrich allesamt mit warmen Worten zu seiner neuen Aufgabe und wünschten ihm ein gutes Gelingen.

Als er mit Lengsdorp allein war, sah Ulrich den Moment für eine Aussprache zwischen ihnen beiden gekommen.

„Ihr hattet alles geplant, nicht wahr?“, begann er, „meine Vorladung für den heutigen Tag, der Beschluss, den die Versammlung fasste, das war alles euer Werk!“

„Soweit es in meiner Macht lag, ja“, antwortete Lengsdorp ehrlich, „aber ohne Euch und euer Geschick wäre es vergeblich gewesen. Ich bin ein guter Menschenkenner, Hesenius. Ich wusste spätestens, als Ihr bei unserer ersten Begegnung diesen unwirklichen, fahlen Lichtschimmer entdeckt hattet, dass ich mich nicht in Euch getäuscht hatte. In unseren Kreisen gibt es viele kluge Köpfe, aber wir haben unsere Augen und Ohren geschärft für den Handel. Wir sind klug darin, dass wir den Nutzen eines Geschäfts abmessen können, und wir haben es stets verstanden, unsere Rechte zu verbriefen gegenüber anderen, die Gleiches wollen.

Euer Scharfsinn aber kommt aus einer anderen Welt. Ihr betrachtet die Rätsel vor Euch mit den Augen der Wissenschaft, weshalb Ihr Dinge aufspürt, die anderen verborgen bleiben – und das ist es, was uns vielleicht helfen wird, den Tod meines Freundes aufzuklären.“

„Haich denkt nicht so, und wer weiß, am Ende könnte er sogar recht behalten. Was wird sein, wenn ich keinen Hinweis auf die Mörder unseres Ratsherrn finden kann? Wie, wenn ich gar die bisherigen Spuren falsch gedeutet hätte, und es doch ein Unglück gewesen ist?“

„Ich glaube so wenig wie Ihr selbst, dass Ihr in einem großen Irrtum befangen seid. Aber mein Wort darauf: Selbst wenn Ihr nichts weiter finden solltet, werde ich am Ende dennoch zufrieden sein. Ich könnte guten Gewissens vor Maria von Brempt treten, weil ich weiß, dass wir alles versucht haben, die Geschehnisse dieser verfluchten Nacht zu enträtseln.“

Ulrich wechselte das Thema: „War es schwierig, die Versammlung für meine Person zu gewinnen?“

„Durchaus nicht. Alle zeigten sich nach der Fragestunde von Euch beeindruckt. Am Ende galten die Einwände allenfalls noch eurer Jugend, und dann sprachen wir natürlich noch über die Frage des Entgelts.“

„Aber Haich …“

„Haich ist nicht dumm, und er ist eine gute Stütze für den guten alten Borsfeld, der nicht mehr allen seinen Aufgaben nachkommen kann, wie er es früher vermochte. Aber sein Ehrgeiz steht ihm häufiger im Weg, als er ahnt. Auch heute hätte er mehr Besonnenheit an den Tag legen sollen.“

„Wie habt Ihr meinen Vater dazu gebracht, eurem ganzen Vorhaben zuzustimmen?“, schoss Ulrich seine nächste Frage ab.

Diesmal war Lengsdorp so verblüfft, dass seine Miene für einen Moment wie gefroren schien und er sein übliches Lächeln gänzlich einbüßte. „Hat er es Euch gesagt? Nein, woher wisst Ihr …?“, fragte er zurück. Wohl zum ersten Mal an diesem Tag schien ihm ein Faden entglitten, den er doch fest in seinen Händen wähnte.

„Ich wusste es lange Zeit nicht“, erklärte Ulrich, „Wohl bemerkte ich heute morgen, dass mein Vater anders gestimmt war als sonst, aber eure Rolle hierbei erriet ich erst, nachdem Ihr diese Versammlung erfolgreich auf meine Dienste eingestimmt hattet. Da wurde mir plötzlich klar: Ihr würdet kaum alles so kunstfertig eingefädelt haben, wenn nicht zuvor bereits eine Abmachung getroffen wäre, dass Johann Hesenius zugunsten des Rats auf die Dienste seines Sohnes verzichtet. Ihr selbst habt ihm gestern Abend meine Vorladung zu dieser Versammlung überbracht, und anschließend – der Himmel mag wissen wie – habt Ihr meinen Vater überredet, mich nach eurem Wunsch hin für diese Aufgabe frei zu geben.“

„Und wie gut das war!“, antwortete der Kaufmann, und sein verschmitztes Lächeln war dabei wiedergekehrt. „Übrigens hält die Weinstube im Alten Rathaus nebenan einige gute Tropfen bereit und auch die Küche dort weiß manches aufzutischen, das uns munden könnte. Wenn Ihr einverstanden seid, würde ich gern alles Weitere, was zu bereden wäre, mit Euch bei einem Krug Wein und einem Stück Braten angehen.“

Ulrich war es nur recht. Er verspürte großen Appetit.


4. Kapitel

Welches dem jungen Ermittler einen schweigsamen Begleiterzuführt und ihm die Begegnung mit einer schönen Witwesowie einem abweisenden Verwalter beschert.

Es vergingen noch zwei volle Tage, ehe Ulrich endlich seiner neuen Aufgabe nachgehen konnte. Hermann Lengsdorp, so stellte sich heraus, hatte Johann Hesenius ein Angebot unterbreitet, welches derart großzügig bemessen war, dass dieser es tatsächlich nicht ablehnen konnte.

Denn, so hatte der weltgewandte junge Kaufmann erklärt, da er maßgeblich dazu beigetragen hatte, dass Johann Hesenius der Hilfe Ulrichs im Kontor beraubt wurde, sei es nur recht, wenn er einen seiner eigenen Schreiber dazu abstellte, den verwaisten Platz einzunehmen. Ein volles Jahr, so war es vereinbart, sollte der junge Konrad Fries im Haus Hesenius seine guten Dienste verrichten, eine Zeitspanne, welche die vorherige Verpflichtung weit übertraf, die Ulrich seinem Vater gegenüber eingegangen war. Und da für das Entgelt des Neuen nicht Johann Hesenius, sondern weiterhin sein eigentlicher Brotherr einstand, lag der Vorteil für Hesenius auf der Hand. Ein Außenstehender hätte wohl gemeint, Lengsdorp sei am Ende aller Geschäftssinn abhanden gekommen – und doch war dieser nicht weniger zufrieden als der beschenkte Hesenius, hatte er doch auf andere Weise bekommen, was er wollte.

Zu Ulrichs Erleichterung fand sich Fries nicht nur rasch zurecht in der von ihm bislang geführten Arbeit, er legte dabei auch jene Schaffensfreude an den Tag, die dem tüchtigen Kaufmann zum eigentlichen Glück wird. Dabei war es einerlei, ob er eine der vielen Auflistungen der Bestände im Lager vor sich hatte oder ob es galt, einen Brief aus fremden Landen zu übersetzen. Wenngleich er Latein und Französisch im Ganzen weniger gut handhabte als Ulrich selbst, so wusste er doch um alle Ausdrücke, auf die es ankam, seine Schrift war mehr als ordentlich und den Abakus handhabte er so geschwind, als zupfe ein Musikant eine lustige Weise auf der Laute.

Ulrich war sicher, auch Johann Hesenius werde seinen neuen Schreiber bald schätzen. Allein eines trübte seine Gedanken: dass er nicht recht wusste, wie der Vater in seinem Innersten über den Abschied dachte, den er ihm nun so plötzlich bereitete. Wenn er zwischendurch glaubte, der rechte Moment für beide sei gekommen, dass sie darüber sprachen, so schob sein Vater doch stets andere Dinge nach vorne. Solcherart stand, wiewohl sie einander in diesen Tagen häufiger sahen als sonst, ein Schweigen zwischen ihnen, das nicht weichen wollte.

Über Eilert, der morgens und an den Nachmittagen das Kontor besuchte, hielt er Kontakt zu Lengsdorp und erfuhr den Stand der Vorbereitungen, die noch zu treffen waren. Am zweiten Tag suchte er das Niedergericht auf, welches die Stadtoberen gleich neben das Alte Rathaus gesetzt hatten und wo ihm van’t Hok, der emsige Protokollführer vom Tag seiner Anhörung, ein höchst offizielles Beglaubigungsschreiben aushändigte, welches von Borsfeld, Nybur, dem Kommandanten der Stadtwache und anderen unterzeichnet war. Es beurkundete, dass er, Ulrich Hesenius, gemäß einem Beschluss des Rats, berechtigt sei, besondere Ermittlungen anzustellen, dass ein jeder Bewohner der Stadt verpflichtet sei, ihm gewünschte Auskunft zu erteilen, und ihm nach Kräften Hilfe und Unterstützung bei seiner Aufgabe gewähren müsse.

Zu seinem Unglück begegnete er auf der Treppe auch Haich, der ihm mit der gleichen abschätzigen Strenge gegenübertrat, die er bereits kennengelernt hatte. Anders als der stets gemütlich wirkende Borsfeld, der erleichtert schien, dass er Verantwortung teilen und sie anderen übertragen durfte, flößte Haich ihm weiterhin das Gefühl ein, sich unrechtmäßig in die Belange der Wedde gedrängt zu haben. Obgleich sein Name gar nicht auf der Urkunde erschien, wusste er es so darzustellen, als sei es seine Pflicht, Hesenius darauf hinzuweisen, welche Rechte ihm das soeben überreichte Schreiben vorenthielt, und was er bei seinen Ermittlungen folglich zu unterlassen habe. Und so erfuhr Ulrich, was ihm ohnehin nicht in den Sinn gekommen war, nämlich, dass er keinesfalls berechtigt sei, andern gegenüber Gewalt auszuüben oder Bürger nach eigener Maßgabe zu verhaften und dergleichen mehr. Das Ganze war eine nicht enden wollende Belehrung, so als sei seinem Beglaubigungsschreiben ein viele Seiten umfassender Nachtrag beigegeben, da man ihm, dem vom Rat Beauftragten, in Wahrheit nicht traute.

Mit dem Verweis auf Vorbereitungen, die er noch zu treffen habe, gelang es Ulrich endlich, sich abzusetzen. Glücklicherweise war vereinbart, dass er nicht dem Weddeherrn oder seinen Knechten, sondern seinem Freund und Gönner Lengsdorp wöchentlich über seine Arbeit Bericht erstattete. Da Lengsdorp den Großteil von Ulrichs Entgelt aus seiner eigenen Schatulle zahlte, war es nur angemessen, ihn auch als Ersten über den jeweiligen Fortgang der Dinge zu unterrichten.

Für den Anfang der Ermittlungen hatte er Lengsdorp seine Absicht kundgetan, von Brempts Witwe Maria aufzusuchen. Da dieser ihr sehr nahestand, war es ein Leichtes, Hesenius einen Besuch dort gleich für den ersten Tag zu ermöglichen. So wie er die Schilderung der fraglichen Nacht von Lengsdorp kannte, gab es sie betreffend einige Dinge, die ihm Kopfzerbrechen bereiteten.

Als er am anderen Morgen Elsbeths Haus am Dovenfleet verließ, trug er zu seinem Gehrock den besten Spitzenkragen, den er sein Eigen nannte, sah ansonsten unter seinem Umhang aber nicht anders aus, als wolle er wie früher den Gang zum Kontor antreten. Seine Vollmacht trug er wohl verwahrt in einer leicht zugänglichen Tasche über der Brust.

Draußen vor der Haustür erwartete ihn ein Riese. Der Mann war wenigstens sechseinhalb Fuß hoch gewachsen und dabei von so kräftiger Statur, dass seine Gestalt Ehrfurcht verbreitet hätte, wenn seiner ganzen Haltung nicht vor allem anderen etwas Linkisches zu eigen gewesen wäre. Tatsächlich schien eine große Verlegenheit sich seiner bemächtigt zu haben, so als fürchte er, sein ungeschlachtes Äußeres könne den anderen veranlassen, das Weite zu suchen, noch ehe er sich ein Herz gefasst und sein Begehr an Ulrich genannt hatte.

Ungeordnete Haarsträhnen, die ehedem blond, nun aber weitgehend ihrer Farbkraft beraubt waren, fielen nach hinten und eine kräftig rote, altmodisch geschnittene Kappe mit Ohrenklappen, die wohl etwas zu kurz geraten waren, bedeckte sein Haupt. Darunter blickte Ulrich in ein Gesicht, das bei längerer Betrachtung angenehm anzuschauen war, doch wurde der Blick als erstes darauf gelenkt, dass es verunstaltet war durch eine furchtbar lange und breite Narbe, welche die rechte Augenbraue teilte, ein Stück tiefer die ganze Wange durchquerte und vorbei am Mund führte, bis sie seitlich am Kinn in seltsam verknoteter Haut endete. Ulrich dachte, dass er einst bei dem furchtbaren Hieb, der dies alles verursacht hatte, nur um Haaresbreite dem Tod entgangen war. Aus hellen Augen, die trotz der trüben Morgendämmerung beständig blinzelten, schaute der Riese zögerlich zu ihm herüber. Die Brauen hatten die gleiche Helligkeit wie die Haut ringsum, was dazu führte, dass wer ihn ansah, sogleich der ganzen Traurigkeit seines Blicks begegnete, und er schien dann bemüht, dadurch, dass er den Kopf halb gesenkt hielt, seinen kleiner gewachsenen Mitmenschen ein Stück weit entgegenzukommen, so dass sie weniger auffällig zu ihm aufschauen mussten. Sein Nasenbein war anscheinend einmal gebrochen und nicht völlig gerade wieder zusammengewachsen. Er trug keinen Bart, vielleicht, weil die vernarbte Haut an Wange und Kinn kein Haar mehr hervorbrachte. Andernorts war seine Haut stoppelig, und es musste einige Tage her sein, dass ein Rasiermesser darüber gestrichen war.

Der Mann mochte Mitte fünfzig oder sogar etwas älter sein. Sein Gang war etwas steif, aber sonst bestand kein Grund anzunehmen, dass die große Körperkraft, die ihm gegeben war, mit seiner Jugend dahin gegangen sei.

„Ich bin Meinhardt“, ließ sich der Hüne endlich mit einer tiefen, bedächtig die Laute formenden Stimme vernehmen, jedoch schwieg er daraufhin erneut, so als sei allein die Nennung seines Namens Erklärung genug für sein plötzliches Auftauchen an diesem Ort.

Ulrich war einen Moment verwirrt und noch befangen von der mächtigen Gestalt des Mannes, doch dann ging ihm auf, was der andere eigentlich hätte sagen wollen, wenn seine Redewilligkeit so ausgeprägt gewesen wäre wie seine körperliche Gestalt. Meinhardt war eben jener Begleiter für ihn, von dem drei Tage zuvor im Ausschuss die Rede gewesen war. Wohin auch immer Ulrich sich in den kommenden Tagen und Wochen begeben würde, um Erkundungen anzustellen, lautete des anderen Auftrag, dass auch er zugegen sein müsse, um für den Fall, dass sich plötzlich eine Gefahr auftat, seinen starken Arm auszufahren und ihn solchermaßen zu beschützen.

So stand es also zwischen ihnen. Wenn Ulrich auch im Stillen gehofft hatte, auf jemanden zu treffen, der ihm an Jahren näher stand und dessen Gemüt fröhlicher und unterhaltsamer gestimmt war als das seines neuen Gefährten, so beschloss er doch, das Beste aus dieser Paarung zu machen, damit so etwas wie Vertrautheit zwischen ihnen einkehrte. Dass sie schnelle Freundschaft schließen würden, bezweifelte er für den Moment, denn obwohl sein erstes Gefühl war, dass er den Mann leiden konnte, so bildete dessen Verschlossenheit doch einen so auffälligen Wesenszug, dass er allenfalls hoffen durfte, diese allmählich zu bezwingen. Etwas beschwerte das Gemüt dieses Mannes, hatte ihn verstummen und vereinsamen lassen und es war mehr dahinter als diese eine große Narbe in seinem Gesicht.

So zogen sie gemeinsam los in Richtung der Neuen Stadt, denn wenn das Kontorhaus derer von Brempt, das für seinen Reichtum an Glaswaren in der ganzen Stadt bekannt war, auch am Großen Burstah, nahe St. Nikolai lag, so hatte der Ratsherr doch zu Lebzeiten für die Familie dort nach Westen zu noch ein weiteres Haus erbauen lassen, an dessen Rückseite, wie es hieß, ein großzügig angelegter und im Sommer prachtvoll blühender Garten lag.

Ulrich tat, als sei die Schweigsamkeit seines Gefährten ein Zustand, aus dem er geweckt werden müsse. Unentwegt richtete er neue Fragen an ihn, die meist seine Vergangenheit betrafen. Wenn die Antworten auch karg blieben, so hatte er doch, als sie nahe dem Alten Wall waren, soviel erfahren, dass Meinhardt Cranz bereits in sehr jungen Jahren Soldat gewesen war, nach Krankheit und Verwundung aber dem weiteren Waffendienst entsagt hatte. Am Ende eines unsteten Wanderlebens, das ihn von Böhmen nach Brabant, ins Westfälische, nach Köln ebenso wie nach Straßburg und Basel geführt hatte, war er schließlich in Hamburg gelandet, wo er sich zunächst an den Stadttoren verdingte, ehe er für einige Jahre als Nachtwächter im Dienst der Wedde stand.

Da er mit Pferden umzugehen wusste – weit besser als mit Menschen, wie Ulrich in Gedanken ergänzte – und wegen seiner großen Kraft hatte ihn zuletzt ein Achsenmacher in der Vorstadt, östlich des Steintors, in Dienst genommen. In der dortigen Werkstatt nahe St. Georg legte er bei der Reparatur von Kutschen Hand an. Jetzt, da der Winter die meisten Räder zum Stillstand gebracht hatte, und seine Entlohnung karger ausfiel als sonst, war es für ihn eine dankbare Aufgabe, nach dem Willen seines einstigen Brotherrn auf den jungen Mann an seiner Seite achtzugeben.

Als sie das Gedränge, das auch zu dieser frühen Stunde auf dem Neuen Markt herrschte, umgangen hatten und in die Straße einbogen, die ihm beschrieben war, hatte Ulrich für sich beschlossen, die Schweigsamkeit des anderen könne ihm ebenso gut zu Vorteil gereichen. So wie er Meinhardt bis hierhin kennen gelernt hatte, war bei ihm keinesfalls zu befürchten, er könne vor anderen Leuten Dinge ausplaudern, die seine Ermittlungen betrafen, und es war für seine Zwecke gut, jemanden zu haben, an dessen Verschwiegenheit nicht zu zweifeln war.

Das Haus Maria von Brempts zu finden, war einfach, schmückte es sich doch mit der prachtvollsten Fassade des ganzen Straßenzugs. Anders als man es sonst gewohnt war, blieb das Fachwerk des hohen Vorderhauses ganz verborgen. Zwischen roten Ziegeln, die sich bis hinauf zum geschwungenen Giebel erstreckten, lagen lauter Simse, in denen helle Figuren und ornamente im französischen oder italienischen Stil eingelassen waren, wie er jetzt häufiger Einzug hielt im Bild der Straßen.

Der scheue Meinhardt hätte es ungeachtet der Kälte wohl vorgezogen, draußen zu bleiben und dort auf ihn zu warten, aber Ulrich erinnerte einfach an seinen Auftrag, und so sah man sie beide eintreten, nachdem eine Magd auf sein Klopfen hin geöffnet hatte. Über die Eingangsdiele hinaus war sein Begleiter jedoch nicht zum Weitergehen zu bewegen, und er verharrte nahe der Tür. Ulrich fügte sich seinem Willen. Er wusste nicht recht, wie sehr Maria von Brempt noch vom Tod ihres Gatten gezeichnet war und ob der Anblick dieses so über die Maßen groß gewachsenen Menschen sie womöglich ängstigen würde. So beschloss er, für diesmal sei es vielleicht besser, dass er der Frau des Hauses allein gegenübertrete.

Die Magd war eine Treppe hinaufgestiegen. Gleich darauf kehrte sie zurück und bat Ulrich, noch einige Minuten zu warten, bis die gnädige Frau ihn empfangen werde. Sie nahm sich seines Mantels an und führte ihn durch die Tiefe des Hauses bis in eine helle, angenehm geheizte Stube, welche durch ihre Einrichtung auf ihn zu kostbar wirkte, als dass er sich auf Anhieb behaglich wohl gefühlt hätte. Aus einem Zimmer über ihm erklang eine Melodie, die mitunter stockend, aber gleichwohl mit erkennbarer Tonfolge auf einem Spinett gespielt wurde. Statt sich zu setzen, wie die Magd es ihm angeboten hatte, fing er an, den Raum zu durchwandern, der allerhand Interessantes barg. In einem Schrank, dessen Türen beinahe ganz aus Glas bestanden, waren Gläser, Karaffen und ein fast im Übermaß verzierter Pokal aufbewahrt, allesamt von so großer Klarheit, als seien sie aus feinstem Kristall, und doch musste es Glas sein, das sich kunstvoll geblasen und an manchen Stellen von kundiger Hand geschliffen und poliert den Augen darbot. Eine riesige Karte, auf der ganz Hamburg und stromabwärts alles Land bis zur Elbmündung eingezeichnet war, hing an einer der Wände, aber mehr noch fesselten ihn zwei Gemälde gegenüber.

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