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Kitabı oku: «Der Ochsenkrieg», sayfa 37

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11

Malimmes, noch immer mit der Binde um die Augen, spürte einen zarten Duft von Rosenwasser, Lavendel und reifen Birnen. »Teufel, da schmeckt’s aber fein. Beim Hallturm hat’s übler gerochen.«

Ein leises Kichern.

Er hob den Kopf. »Ui, jetzt bin ich angeschmiert. Ich hab gemeint, man holt mich zu einer. Da kudern viere. Und eine steht hinter mir, die sich nit zu mucksen traut.«

»Deine Sinne sind scharf!« sagte ein leises, heiteres Stimmchen. »Wer bist du?«

»Kluge Frauen fragen nit, was sie schon wissen. Warum die Zeit vergeuden?«

Wieder das vierstimmige Kichern. Und das heitere, leise Stimmchen: »Bist du jener Malimmes, der schreien kann wie ein Elefant?«

»Soll ich’s tun, Frau?«

Ein erschrockenes Nein. Dann die flüsternde Frage: »Bist du jener Malimmes, der siebenmal hängen mußte und siebenmal wieder auferstand?«

»Siebenmal? Ganz sicher weiß ich’s nit. Kann auch bloß sechsmal sein. Oder der Hänfene des Fischbauren vom Hintersee müßt gelten als voll!« Seine Stimme wurde ernst. »Nachher wird’s wohl so sein, daß jetzt der achte kommt, der gefährlich ist.« Er streckte sich. »So in der Finsternis, das taugt mir nit. Ich muß Licht haben. Frau, ich bin ein Verläßlicher. Ich red nit aus, was ich seh.« Er nahm die Binde herunter und warf sie fort. Die Magd, die ihn hergeführt hatte, hob das Tuch vom Teppich und verschwand.

Eine große, schöne, matt beleuchtete Stube mit kunstvoll geschnitzem Getäfel, mit wertvollen Bildern auf Goldgrund, mit dem Gefunkel silberner Geräte. Gegen die Gasse lag ein mächtiges Fenster, in dessen bunten Scheiben die Wappen des Bayerlandes einen aufrechten, mit der Tatze schlagenden Löwen umgaben. Eine offene Türe führte zu einer Kammer, in der eine farbige Helle war.

Ein leerer Sessel vor einem kleinen Tisch, auf dem eine Platte mit Früchten, ein schwerer Krug und fünf zierliche Becher standen. Hinter dem Tisch eine geschnitzte Bank mit roten Polstern. Da saßen vier junge schmucke Weiblein, alle gleich gekleidet wie die Dienerinnen einer fürstlichen Frau. Jede von ihnen hatte um den Kopf einen rötlichen Schleierbund, der die Stirn, die Augen und auch das halbe Naschen bedeckte.

Malimmes guckte rasch über die vier Frauen hin, und forschend blieb sein Blick an der einen haften, die zierlicher war als die anderen; sie hatte ein rosiges, heiteres Mädchengesicht; doch die schweren, schwarzen Locken, die wie zwei starre Wände über die nackten Schultern bis zu den halb entblößten Brüsten herunterhingen, machten das kleingesichtige Köpfchen ein bißchen unförmig. Und immer betrachtete sie den Malimmes, immer lächelte sie; er schien ihr zu gefallen.

Der lange Söldner tat einen schwülen Atemzug; dann sagte er ruhig: »Da sieht man so viel schöne Sachen, daß man gar nimmer weiß, wo man hinschauen muß.« Er sah die Platte mit den Früchten an. »Das tät mir taugen. Am Abend bin ich nit zum Speisen gekommen. Da hab ich nötige Sachen erledigen müssen. Jetzt hungert mich. Darf ich zugreifen?«

Die mit den schwarzen Locken sagte: »Alles darfst du!« Die drei anderen kicherten.

»Das wär ein lützel zu viel. Man muß genügsam nach dem Besten greifen.« Er nahm die schönste Birne von der Platte, ließ sich auf den Sessel nieder und biß in die Frucht. Sie schmeckte ihm, und während er wortlos schmauste, guckte er ein bißchen spöttisch die vier jungen Frauen an. Auch gab er sich Mühe, nett und reinlich zu essen. Bevor er nach einer neuen Birne griff, säuberte er an seinem braunen Langhaar die Finger.

Mit vorgestreckten Hälsen sahen ihm die munteren Weibchen in wunderlicher Neugier zu. Immer hatten sie über ihn zu lachen. Halb war’s ein Auslachen, halb ein Gekicher des Wohlgefallens.

»Warum bist du so schweigsam?«

Ohne zu antworten, aß er eine Frucht zu Ende. Dann sagte er: »Man schwätzt nit, derweil man schluckt. Das können die Herren tun, die keiner anraunzt. Ein Knecht muß gute Sitten haben. Jetzt bin ich satt, jetzt kann ich reden. Also, ihr feinen Knösplein? Weswegen bin ich da? Man wird’s mir sagen müssen.« Er schmunzelte. »Selber komm ich nit drauf.«

»Du sollst uns erzählen, warum man dich siebenmal gehangen hat.« Immer sprach nur die Schwarzgelockte. »Und wie du siebenmal wieder lebendig wurdest. Willst du?«

»Meintwegen! Aber bloß ein Karren pfeift, wenn er trücken ist. Ein Mensch, der reden soll, muß den Schnabel feuchten.«

Alle viere griffen nach dem Krug. Die mit den schwarzen Locken sagte: »Ich will ihm geben.« Sie füllte die kleinen Becher.

Als vier Becher gefüllt waren, stülpte Malimmes den fünften um. »Die taugen für eure dünnen Hälslein. Ich hab noch nie aus einem Fingerhütl getrunken. Ich nimm den Krug.«

Ein heiteres Lachen. Und die Schwarze sagte lustig: »Nein, du Genügsamer! Für uns soll auch noch bleiben.« Sie glitt zur Wand hinüber und streckte sich, um von dem Bord mit dem Silbergerät einen getriebenen Kupf herunterzunehmen. Dabei sah man, wie leicht sie gekleidet war.

Malimmes bekam eine Furche auf der Stirn und schloß die Augen. Als er sie wieder öffnete, versuchte er zu lachen und nahm den großen Becher, den man für ihn gefüllt hatte. Ein leichtes Beben war in seiner Stimme: »Euch zum Wohlsein, ihr feinen Frauen! Auf alles Gute und Schöne der Welt! Dessen ist so viel, daß man nit greifen muß nach dem Schlechten. Wer’s tut, soll hängen.« Er hielt ihnen mit der eisernen Faust den Becher hin, den sie ein bißchen verwundert und ein bißchen erregt mit den kleinen Kelchen antippten. Zuerst nahm Malimmes nur einen kurzen Schluck, um zu kosten. »Teufel! Ist das einer!« Er leerte den Becher mit einem flinken Sturz und lachte: »Der kann einen Heiligen um die fromme Seel betrügen und einen Sünder um die letzte Reu.« Die Hand streckend, fragte er, in der Stimme ein heißes Betteln: »Also, krieg ich noch einen?«

Unter übermütigem Lachen füllte ihm die Schwarzgelockte den Silberkupf; die drei anderen wurden ängstlich, guckten einander an und hätten es gern gehindert.

Malimmes merkte ihre Sorge. »Um meinetwegen, ihr feinen Knösplein, müssen euch nit die Graushaar wachsen. Mich hat noch kein Roter und kein Weißer umgeschmissen. Meine Seel bleibt hell.« Er leerte den tiefen Kelch, als wär’s eine Haselnußschale. »Das ist gewesen wie ein Tröpfl auf glühendem Ofen.« Die Schwarze, deren Lachen einen seltsam gereizten Klang bekam, füllte ihm gleich den Becher wieder. Er sah den dunkel rinnenden Strahl des Weines an. »Den hab ich noch nie gekostet. Wie heißt denn der?«

Sie neigte sich flüsternd zu ihm: »Lacrimae Christi, Tränen des lieben Herrn.«

Die Augen des Malimmes wurden groß. Er hielt den vollen Becher vor sich hin. »So ist’s ein billiger. Weil’s mehr von ihm geben muß als Wasser und Blut. Das ist ein Jahr gewesen, in dem der liebe Herr hat weinen müssen vom ersten Morgen auf dem Hängmoos bis zum heutigen Abend bei der Steinernen Brück.« Er stand vom Sessel auf, hob den Kelch und sah zur Stubendecke: »Du lieber Herr, schau her, ich trink, daß du bald wieder lachen sollst!« Er schlürfte den Wein mit ruhigen Zügen. Und stellte den Becher auf den Tisch. Und als die wunderlich erregte Schenkin den Krug wieder heben wollte, sagte Malimmes streng: »Nit schöne Frau! Heut trink ich keinen Tropfen nimmer!«

Sie reichte den Krug den drei anderen hin, trat flink auf den langen Söldner zu, streckte sich, hob den Arm, dessen weiter Ärmel bis zur Schulter fiel, und während in ihrem halbverhüllten Gesicht eine heiße Spannung war — wie im Gesicht eines Kindes, das einen seltenen Schmetterling gefangen — strich sie mit dem Finger langsam und zart über die große Narbe herunter.

Das kitzelte den Malimmes, daß er sich schütteln mußte. Er sagte mit einer tollen Lustigkeit: »Gotts Tod! Wenn die Leut mich hängen das achtemal, und ich bleib im Hanfsamen und rühr mich nimmer, schöne Frau, da müßt Ihr kommen mit Eurem Fingerlein. Und ich steh wieder auf.« Er strich mit dem Arm über seine Stirn und warf sich lachend in den Sessel. »Guck, ich vergiß ja schier, weswegen ich da bin. Und daß ich erzählen muß! Ich will doch die Tränen des lieben Herrn nit umsonst genossen haben. Also!« Er zog das rechte Bein übers linke Knie herauf. »Wie ich zum erstenmal hab hängen müssen, das ist im Ungerland gewesen —« Dieses hänfene Abenteuer berichtete er so ähnlich, wie er’s im Ramsauer Leuthaus erzählt hatte, damals, als er wider Willen die Traudi mit Herz und Leib gewonnen. Doch alles hatte jetzt einen noch heißeren Puls, ein tieferes Grauen, eine wildere Freude. Die zierliche Frau mit den schwarzen Locken bekam schon bei dieser ersten Geschichte vor prickelndem Schauer ein leises Zähneschnattern.

Als Malimmes den zweiten Hänfenen an den Eichbaum im Clevischen knüpfte, wurden die lauschenden Weiblein zappelig vor Neugier nach der bösen Sünde, durch die er des Rappenholzes schuldig geworden. Sie baten, wurden ärgerlich, reizten ihn durch Spott und wollten ihm die Wahrheit abschmeicheln. Er schüttelte lachend den Kopf. »Und nit ums Leben! Ich sag’s nit. Und nit um euren süßen Leib. Das Ding ist grauslich gewesen. Ich tät mir lieber die Hand abhacken, eh daß ich was Schieches hinlegen möcht vor eure lieben, sauberen Füßlein.« Und während sie noch baten und schmeichelten, erzählte er schon weiter, ließ den Blitz mit Gerassel herunterfahren in den Eichbaum und malte den Heiligenschein, der die Sünde des Malimmes umlodert hatte, mit so schaudervollem Humor, daß die Frauen stumm wurden und sich zitternd aneinanderhuschelten. Dann wandelte die lustige Geschichte vom Ulmer Schragen und vom ungeschickten Freimann ihr abergläubisches Gruseln in heiteres Gelächter. Und als er vom Wolf erzählte, der den mageren Schultheiß zu Landshut fraß, vom empfindsamen Henker, der das Frieren nicht vertrug, und von der Schlittenfahrt auf dem dünnen Hosenboden, spickte er das Bild des kleinen, verdutzten Herzogs mit den Kletten eines so beißenden Spottes, daß die Zierliche vor Freude und Lachen ganz närrisch wurde.

Nun rauschte die Ramsauer Ache. Und es zitterte ein weher Ton durch die übermütige Lustigkeit des Malimmes, als sein Bidenhänder die fliegenden Eier in der Luft zerschnitt und als der schlechte Reusenstrick des Fischbauern vom Hintersee entzweisprang wie eine kraftlose Saite bei verrücktem Spiel.

»Das will ich sehen!« bettelte die junge Frau wie eine Fiebernde. »Das mußt du mir zeigen. Willst du? Willst du?«

Er lachte rauh. »Einer schmucken Frau tut man alles zulieb.«

Ihr Stimmchen zitterte. »Komm her zu mir! Knie nieder vor meinem Schoß! Ich will die Schlinge machen. Ich lege sie um deinen Hals. Dann mußt du wieder auferstehen. Willst du? Willst du?«

Malimmes nickte und ließ sich niederfallen.

Immer lachte sie, war wie eine hübsch Betrunkene, und während sie die Gürtelschnur an ihrem leichten Kleide löste, wies sie die anderen Frauen mit einem herrischen Wink aus der Stube.

Er hörte die leisen Schritte und das Rauschen der Gewänder. Seine Augen wurden klein. Doch er wandte keinen Blick. Mit einem sonderbar starren Lächeln sah er an der zarten, heiß erregten Frau hinauf. Und als sie ihm mit bebenden Händen die Schlinge der Gürtelschnur um den Hals legte, beugte er den Kopf zurück, wie in Sorge, daß ihre Brüste sein Gesicht berühren könnten.

»Darf ich?« fragte sie mit der Ungeduld eines glühenden Kindes und wollte die Schlinge straffen.

Da faßte er die Schnur mit den Fäusten und lachte müd, während ihm das Gesicht wie Feuer brannte. »Ein lützel langsam! Das ist der achte. Der könnt mir gefährlich werden. Da muß ich Fürsicht üben. Und für den Fall, daß der Spaß heut schiefgeht — da möcht ich mich erst noch ledig machen von meiner Pflicht. Ich muß doch erst erzählen vom sechsten und vom siebenten Hänfenen. Nit?« In seinen Worten war etwas so Unheimliches, daß die junge Frau erschrocken vor ihm zurückwich und schlaffe Hände bekam. »Das sechstemal, das ist zu Berchtesgaden gewesen. Da haben sie mich hängen wollen, weil ich ein Esel war. Und einer hat mich gelöst. Dem hab ich’s teuer bezahlen müssen.« Seine Stimme zerbrach. »Und das siebentemal, das ist bei Dachau geschehen. Da wär ich von Herzen gern gestorben, schöne Frau!«

Sie fragte leise: »Warum?«

»Weil ich am selbigen Tag so arm geworden bin wie eine Maus, der man die Kirch verbronnen hat. Und da hat mich ein Grausamer wieder herausgerissen ins Leben. Ich hab’s ihm nit gedankt. Aber seit heut am Abend weiß ich, warum es sein hat müssen. Bei allem Harten ist ein Gutes.« Er machte eine Bewegung, wie um etwas Schweres von sich abzuschütteln. »Und jetzt? Wenn’s dumm geht? Soll ich mich da erwürgen lassen von Eurer spaßigen Lust? Da müßt mir leid sein um Eure weißen Fingerlein! Auch möcht ich noch leben, bis ich auf der Welt ein rechtschaffenes Ding getan.« Durch eine Drehung der Fäuste sprengte er die feste, mit Silber durchwobene Schnur entzwei, ließ die Stücke auf den Teppich fallen und lachte ein bißchen.

Stumm betrachtete sie den Unbegreiflichen. Seine wunderlichen Worte waren dunkle Rätsel für sie gewesen. Doch im Klang seiner Stimme war eine Macht, die sie empfand. Und ganz verstand sie die brennende Marter in seinen Augen. Rasch sich vorbeugend, nahm sie seine Gesicht zwischen ihre Hände und wollte ihn küssen. Er faßte ihre Handgelenke und schob sie zurück. »Nit, schöne Frau! Auf die Letzt ist jeder ein schwacher Mensch. Auch der Stärkste.« Schwül atmend erhob er sich und gab ihre Hände frei.

Seinen Kampf erkennend, fragte sie lächelnd: »Mißfall ich dir?«

Er schüttelte den Kopf. »So ein feines Weibl hab ich im Leben nit oft gesehen.« Und ganz leise: »Nur ein einziges Mal.«

»Heute?« Weil er nicht antwortete, streckte sie die Hand zu seiner Schulter hinauf und schmiegte sich an ihn. Und als er so unbeweglich blieb wie ein hölzerner Pfahl, griff sie nach seinem ergrauenden Bart, zupfte ein bißchen und fragte scherzend: »Du? Bist du kein Mann?«

»Das bin ich mehr, als mir lieb ist. Ein Jahr lang hab ich hart gehungert. Jetzt ist alles in mir wie ein böses Feuer. Vom Hirn bis hinunter zu meinen Sohlen brennt ein siedender Durst nach Eurem Leib.«

Sie fragte gleich einem verwunderten Kinde: »Warum nimmst du mich nicht?«

»Weil ein Mannsbild, das sein Blut nit in der Faust hat, minder ist als ein Vieh.« Seine Augen wurden ruhig. »Und weil ein deutscher Bauer seinen König nit verschimpft.«

Erschrocken fuhr sie zurück und knirschte: »Wer hat dir verraten, wo du bist?«

Malimmes lachte leis. »Ui, mein, Frau Königin! Ich bin doch kein heuriger Has nit. Ein Tüchl macht zwei gute Augen nit blind. Und Ohren hat man doch auch. Und man weiß, was echt und was falsch ist. Möget Ihr nit die fremden, wüsten Haar ein lützel heruntertun? Bitt schön, Frau Königin, lasset einen armen Teufel anschaun, wie schön Ihr seid!«

Schweigend streifte sie den Schleierbund und die schwarze Perücke fort. Das kupferrote Geringel fiel ihr um das heiße Gesicht. Und als sie die Freude in seinen Augen sah, wurde sie verdrießlich und klagte in Zorn: »Du bist ein Narr! Soll ich dir sagen, wo mein Gemahl sich belustigt? In dieser Nacht?«

Gleich verstand er. »Das müßt Ihr ihm abgewöhnen, Frau Königin! So was ist nit gesund. Und tut man’s in der Nacht mit Lachen, so kommt am Morgen das Grausen.« Eine Weile standen die beiden stumm voreinander, bis Malimmes in Unbehagen sagte: »Jetzt darf ich wohl gehen? Nit?« Er schritt zur Türe.

Rasch vertrat ihm Frau Barbara den Weg und sah ihn mit glänzenden Augen an. »Ich bin ein verdorbenes Geschöpf. Wären die Männer wie du, wir Frauen wären Heilige.«

Sie hatte das so ernst gesagt, daß er lachen mußte. »Frau Königin, das glaub ich nit recht.«

Heiß fragte sie: »Willst du mir dienen?«

Malimmes schüttelte den Kopf und sagte heiter: »Nit ums Leben! Da könnt’s noch schieche Sachen absetzen.« Er wurde ernst. »Ich bin schlechter dran als wie die andern. Jedweder Mensch hat einen doppelten Weg zur Wahl. Der eine geht zur Sonn und der ander zum Unrat. Ich hab bloß einen. Der Weg zur Sonn ist mir vermauert. Und im Unsauberen leidt’s mich nit. Muß ich halt zwischendurch.«

Nun hatte die Königin wieder ganz die Augen eines verwunderten Kindes, das ratlos ein unbegreifliches Ding betrachtet. Und schweigend und traurig stand sie, während Malimmes den Saum ihres seidenen Ärmels küßte und zur Türe ging. Bevor er die Klinke niederdrückte, sah er die kleine, zierliche Frau noch einmal an. Er hörte sie noch leise sagen: »Wir sehen uns wieder!« Dann verließ er die reiche Stube.

Draußen beugte er tief den Kopf herunter, um das Knüpfen der Tuchbinde zu erleichtern. »So! Jetzt bin ich wieder ein blinder Ochs!«

Die Magd verließ mit ihm das Haus. Auf dem Haidplatz hörte Malimmes einem Arbeitslärm von vielen Menschen, das Hämmern, Sägen und Hobeln der Handwerksleute, die für das feierliche Friedensfest den Thronhimmel des Königs bauten, die Hochsitze für die Fürsten und die Schranken für das Volk.

Man schanzte und schaffte da die ganze Nacht. Das Brettergerüst wurde beim Flackerschein der Fackeln mit rotem und gelbem Tuch beschlagen. Die Arbeitsleute, die ihren Bürgerschlaf für eine prunkvolle Bekundung des Friedens opferten, bekamen Freiwein und gerieten in schwatzlustige Stimmung. Sie machten unziemliche Scherze, als bei grauendem Morgen ein Häuflein lärmender Nachtschwärmer von Flötenbläsern und Lautenschlägern heimbegleitet wurde. Daß ein hochgewachsener Mann und eine taumelnde Zwergengestalt beim Gumbrechtischen Hause verschwanden, bemerkte niemand. Doch einen unfreundlichen Zusammenlauf der Arbeitsleute gab es beim hochtürmigen Hause der Weltenburger, wo man einen Mißgestalteten, der ein von Rotweinflecken verwüstetes Hofkleid trug und schwer betrunken war, gewaltsam zur Ruhe bringen mußte. Er hatte einen Anfall von Krämpfen, schlug mit den Fäusten um sich, und immer schrillte seine dünne Stimme: »Wenn ich Herzog bin — wenn ich Herzog bin —«

Im ersten Weiß des Morgens bekamen die Gerüste, die man auf dem Haidplatz aufgeschlagen hatte, ein festliches Ansehen. Der Thron des Königs und die Hochsitze der Fürsten wurden mit Wappen behangen, mit Standarten und Laubgewinden geschmückt.

Bei Aufgang der Sonne bezogen zwölf junge Ritter im Gumbrechtischen Hause die Ehrenwache vor den Zimmern des Königs und der Königin und vor der unruhigen Amtsstube des Kanzlers Schlick. Weil die zwölf aus dem Geleit aller Fürsten und Prälaten gewählt waren, die einander bekriegt hatten und sich heute versöhnen sollten, fanden sie für sich selbst den scherzhaften Namen: die zwölf Friedensengel.

Für den heiligen Peter von Berchtesgaden war Lampert Someiner da. Er stand mit drei anderen bei der Türe des Königs, mit dem Ellbogen auf den Knauf des blanken Eisens gestützt. Für das leise Geplauder seiner Gesellen hatte er kein Ohr. Immer sah er in das flimmernde Sonnenband, das durch ein hohes Spitzbogenfenster in den gewölbten Treppengang hereinfiel. Draußen kam ein schöner und reiner Tag. Da funkelte wohl heut die gleiche milde Herbstsonne auch über den blauen Bergen seiner Heimat? Und über der Straße von Salzburg nach Berchtesgaden? Während Lampert in die Sonne guckte, sah er immer diese Straße und einen kleinen, eilig trabenden Reisezug von vierzehn Gäulen.

Am verwichenen Abend mußte Jula zu Salzburg eingetroffen sein, auf ihrem Falben, mit dem Knechte, der den zärtlichen Ingolstädter ritt, und mit den zwölf Geleitsreitern, die Lampert zu München angeworben hatte. Durch das schwarze, kahlgebrannte Land von Plaien und über den Trümmerhaufen des Hallturms hatte er seine Jula nicht reisen lassen. Um dieses Grauenvolle nicht zu sehen, mußte sie den Umweg über Salzburg nehmen. Und weil der Morgen so klar und sonnig wurde, war sie wohl schon vor Tag von Salzburg aufgebrochen? Da mußte sie um die siebente Morgenstunde nach Berchtesgaden kommen — um diese siebente Morgenstunde, vor der die abergläubisch gewordene Frau Marianne bei jedem Tageserwachen aufs neue zitterte.

Lampert lachte vor sich hin. Die anderen, die mit ihm die Wache hielten, guckten ihn verwundert an.

Das merkte er nicht. Immer sah er nur die schöne, von der Morgensonne umglänzte Straße zwischen der Gadnischen Ache und dem Untersberg. Sah diese schlanke Reiterin im graugrünen Reisemantel auf dem rasch und zierlich trabenden Falben. Sah die Türme und Firste von Berchtesgaden, sah den Marktplatz, auf dem viel weniger Menschen als im Sommer vor einem Jahr zur Messe gingen, und sah das stillgewordene Amtmannshaus mit den in der ersten Sonne blinkenden Erkerscheiben.

Die Mutter ist schon wach. Frau Marianne ist eine fleißige Frühaufsteherin. Noch immer, obwohl das Trauerjahr schon zu Ende gegangen, ist sie schwarz gekleidet. Aber Glockenschürze, Ärmelschoner und Morgenhäubchen machen sie ganz weiß. Wie an jedem Tage, so denkt sie auch heute, seit sie die Augen aufgetan, immer und immer an ihren Buben. Und bei der Frühsuppe, die sie einsam löffelt, guckt sie immer wieder mit ihrem Sorgenblick zu dieser schrecklichen Uhr hinauf, die sie lieb hat und hassen muß. Im alten, hohen Pendelkasten immer die gleiche Stimme: »Bau! Bau! Bau!« Und gleich wird der Hammer schlagen, siebenmal. Und wie an jedem Morgen so denkt Frau Marianne auch jetzt in Zittern: ›Ob heut das Unglück kommen wird? Um die siebente Morgenstund?‹

Vom groben Pflaster des Marktplatzes klingt das Gehämmer vieler Hufe herauf. Die Rosse halten vor des seligen Amtmanns Haus. Erschrocken springt Frau Marianne zum Erker, stößt das Schubfensterchen in die Höhe, fährt mit dem Kopf in die Morgensonne hinaus und schreit beklommen: »Jesus! Was ist denn?«

Da drunten beugt eine Reiterin in graugrünem Mantel den Kopf zurück. Dichtes Haar quillt aus der dunklen Gugel heraus. Und zwischen den schwarzen Strähnen sieht Frau Marianne ein schmales, sonnverbranntes Mädchengesicht mit der Leidensschrift eines bösen Jahres in den strengen Zügen, mit scheuer Freude im Blau der großen Augen. Und eine linde, von der Aufregung ein bißchen zugeschnürte Stimme ruft von da drunten zum Erker herauf: »Gute Botschaft von Eurem Sohn!«

»Jesus!«

Das gleiche Wort, das vor wenigen Sekunden ein Laut des Schreckens war, ist jetzt der Schrei eines heißen Jubels. Und Frau Marianne — obwohl ihr das vergangene Jahr ein Bleigewicht auf alle Gelenke legte, fährt wie ein junges Mädel zur Stube hinaus und über die Treppe hinunter. Und drunten im Hausflur steht sie ratlos und starrt betroffen auf das schlanke Mädchen, das die Gugel des Reisemantels zurückstreift in den Nacken und leise sagt: »Kennet Ihr mich nimmer, Frau? Ich bin der Bub gewesen, dem Ihr das Eisenhütl gegeben habt. Jetzt soll ich die Ehfrau Eures lieben Sohnes werden.«

Frau Marianne steht noch immer stumm. Nun fängt sie zu lachen an. Und mit beiden Händen muß sie nach ihren Knien greifen, die befallen sind von einem heftigen Zittern. »Ich muß mich niederhocken ein lützel.« Sie taumelt zur Steinbank im Hausflur und wird umschlungen von einem jungen Arm, der zärtlich und stark ist. —

— Klirrende Schritte im Treppenflur des Gumbrechtischen Hauses und zwei erregte Stimmen. Lampert Someiner war aufgerüttelt aus seinem Sonnentraum. Er straffte sich und machte mit dem blanken Eisen die höfische Reverenz vor dem Markgrafen von Brandenburg und dem Kanzler Schlick.

Die beiden hatten gut ausgeschlafene Gesichter, doch Augen voll Sorge. Mit dem Morgen war böse Zeitung gekommen. Draußen vor dem Ostentor geschah, was die Stadtväter vor dem Kanzler nicht länger zu verschweigen wagten: Im Geläger der vierzigtausend, die trunken waren vom Freiwein des gütigen Königs, fielen die pestkranken Menschen um wie Fliegen nach einer kalten Nacht. Doch an solche Dinge war man gewöhnt seit vielen Jahrzehnten, seit der schwarze Tod ein seßhafter Bürger im Reich geworden. Das war die mindere Sorge. Was den Kanzler bewogen hatte, den Markgrafen aus der Morgenruhe aufzustören und zum König zu rufen, war eine schwere Kunde, die aus weiter Ferne gekommen — Botschaft von gewaltigen Rüstungen des türkischen Sultans Murad wider Siebenbürgen und Ungarn — und die Botschaft, daß die Hussiten mit zahllosen Heerschwärmen verwüstend aus den böhmischen Wäldern herausbrachen in die oberpfälzischen Lande. Sie äscherten Städte und Dörfer nieder, zerstörten Kirchen und Klöster, verbrannten die Priester, die sie fingen, erwürgten die Herren, die in ihre Hände fielen, predigten dem Volk alle Freiheit und sprachen es los von der Pflicht des Gehorsams gegen Papst und Fürsten. Friedrich von Zollern und der Kanzler betraten die königlichen Gemächer. Durch einen prunkvollen Raum, in dem der Haarkräusler des Königs seine wohlriechenden Siebensachen aus einer Tasche kramte, kamen die beiden in die große Schlafstube. Hier stand eine neue, kupferne Badewanne, in der das heiße Wasser qualmte. Das große Himmelbett war in die Mitte der Stube gerückt, und auf den roten Seidenkissen lag entblößt der König, dem zwei weißgekleidete Badmägde die Gelenke kneteten. Um das mit Salbe belegte Gesicht war ein dicker Bausch von heißer, dampfender Leinwand herumgebunden. Unter diesen Tüchern fragte Sigismund mit erloschener Stimme: »Schlick? Bringst du ihn?«

Statt des Kanzlers antwortete Fritz von Zollern: »Ich stehe vor der Majestät.«

»Was sagst du zur üblen Zeitung dieses Morgens?«

»Man hat gesät. Da müssen die Ähren kommen, wie der Same war.«

Der König machte eine mißmutige Bewegung. Dann befahl er den Mägden: »Hebt Uns in die Wanne! Und verlaßt Uns!«

Die Mägde schoben ihm ihre roten Arme unter Rücken und Knie, trugen die Majestät zur Wanne, hoben sie vorsichtig in das duftende, mit Rosenessenz gefärbte Wasser und erneuerten noch den Dunstumschlag auf dem Gesicht; dann verschwanden sie.

Die Haltung des Badenden war sehr anmutsvoll. Doch weil das Wasser immer schwankte, schien der schöne Mannskörper, der nur wenige Spuren des beginnenden Alters zeigte, unablässig in weiße, rotgeränderte Stücke zerrissen zu werden. Und der gesichtslose Kopf, um dessen dampfenden Leinwandbausch die verwüsteten Braunlocken wirr herumhingen, hatte etwas Unheimliches.

Fritz von Zollern betrachtete in stummer Trauer den Beherrscher des Heiligen Römischen Reichs.

»Unsere Geduld ist erschöpft«, sagte der König unter den dunstenden Tüchern. »Wir gedenken dieser böhmischen Tollheit ein rasches Ende zu bereiten.«

»Wenn das so schnell geschehen könnte, wie es gesagt wird!«

»Wir mußten Lehrgeld bezahlen.« Sigismund lachte. »Jetzt kennt man ihre neue Art, zu fechten.« Während er so redete, spielten seine schönen Hände mit dem rosigen Wasser. »Wir stellen hundertzwanzigtausend Helme ins Feld, die Wir deiner bewährten Führung anvertrauen.«

Der Markgraf schob die Lippen vor und schwieg.

Unwillig fragte die Majestät: »Besinnst du dich?«

»Ein wenig, ja. Sichere Hiebe sind kein erquicklich Ding.«

Da hob der König rasch den Kopf mit der augenlosen Leinwand. »Du? Der immer Starke, immer Gläubige? Seit wann bist du ein Ängstlicher geworden?«

»Das bin ich nicht. Aber eh zwei Kräfte sich messen sollen, muß man sie wägen. Die Schalen stehen ungleich. Bei uns ist Zerwürfnis, Hader und Widerspruch, ein zerrissener Leib und eine versumpfte Seele. Die Gegner haben ein Ziel, nach dem sie brennen, einen führenden Gedanken und einen reinen, unerschütterlichen Glauben, der ihre Kräfte in Stahl verwandelt.«

»Fritz!« Die augenlose Majestät tauchte bis über die halbe Brust aus dem rosigen Wasser. »Bist du ketzerisch angekränkelt von der böhmischen Luft?«

»Ich? Nein. Oder jedes aufrichtige Wort ist Ketzerei. Man braucht kein Gärtner zu sein, um zu wissen, was gesunder Kohl ist. Und man kann auch ein Christ bleiben und dennoch der Meinung sein, daß im Garten Petri viel übles Unkraut wuchert. Man liebt es, die Böhmen kranke Köpfe zu nennen. Aber Fieber ist keine Krankheit, nur Wirkung einer Ursach. Die müßte man heilen. Die Hussiten bekehrt man nimmer. Will man sie nicht zu verstehen suchen, so muß man sie alle totschlagen. Und schlägt man sie alle tot, so wachsen neue nach, mit anderen Worten und mit frischen Zungen, die gegen die kranke Ursach reden.«

Der König, mit einer völlig veränderten Stimme, sagte heiter: »Wir waren töricht in dieser Nacht. Ein schwerer Kopf ist undankbar für große Weisheiten. Wir verstehen nicht, was du meinst.«

»Das läßt sich sagen mit einem kurzen Wort. Ich will die Fahne wider die Böhmen führen, wenn ich nur zu schlagen brauche im Notfall und unbeschränkte Vollmacht habe, mit den Hussiten zu verhandeln.«

»Verhandeln?« Sigismund schien nachdenklich zu werden. »Was soll bei solchem Handel zutage kommen?«

Mit schwerem Ernst beugte sich der Markgraf gegen das blinde Gesicht des Königs: »Vielleicht ein Weg, auf dem wir in Deutschland die Kirche deutsch und einig machen.«

Ein langes Schweigen. Nun ein leichtes Geplätscher in der Wanne. Und belustigt sagte Sigismund: »Mancher wird heute Ursach haben, saure Fische zu essen. Du wirst beichten müssen.«

Dem Markgrafen ging es heiß über die Stirne. Doch ruhig sagte er: »Ich fühle mein Gewissen nicht beschwert. Die Majestät möge meinen Rat bedenken. Jetzt kommen die Böhmen. Hinter ihnen die Türken und Heiden. Sie niederzuwerfen, wäre für die eingeborene Kraft des Reiches ein Kinderspiel. Aber der deutsche Riese hat viele Nächte voll ungesunder Torheit hinter sich. Saure Fische helfen ihm nimmer. Soll er vor den Dingen, die kommen, nicht in Schwäche zittern, so muß man ihm die Stirn mit Feuer salben, die Augen sehend machen und den erschöpften Leib in erfrischenden Gedanken baden.«

Nach kurzem Schweigen schob der König mit einer anmutsvollen Armbewegung den Leinenbausch über die Stirne hinauf. Sein edles Gesicht war ohne Runzeln und hatte rosige Farben. »Hochgeborener Herr Markgraf!« Er lächelte. »Euch verdanken Wir viel. Unser Dank hat Euch emporgehoben zum Mut dieser Stunde. Manches mögen wir Euch gestatten. Nicht alles!« Mit beiden Händen faßte Sigismund die Kanten der Kupferwanne. »Wo sind die Mägde? Unser Bad ist kühl geworden.«

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Litres'teki yayın tarihi:
30 ağustos 2016
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