Kitabı oku: «Gestalt im Schatten», sayfa 2

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Er interessierte sich für das Unscheinbare:

Für Insekten mit lederartigem Panzer und gezackten Beinen, die seinen Schulkameraden Angst einflößten;

Für Schmetterlinge mit schillernden Flügeln, die zwischen Grün, Blau und Violett changierten. Auch für die Gelben mit runden Flecken – wilde, auf ihre zarten Flügel gezeichnete Augen.

Auch für winzige versteinerte Muscheln, die er an Stellen entdeckte, die alle anderen übersahen. Sie waren spiralförmig wie die großen ihrer Art und erinnerten an urzeitliche Katastrophen auf der Erde. Blaue, grüne und leuchtend rote Kieselsteine. Er zeigte zur Enttäuschung der anderen, dass es keine Edelsteine von großem Wert waren. Aber für einen Wissenschaftler haben alle Steine ihren Wert.

Sie fragten ihn, warum er trotz allem die Pflanzen vorzog. „Sie glühen in der brennenden Leidenschaft ihrer leuchtenden Farben“, antwortete er, „und sind stets auf der Schwelle zum Tode.“

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Mit siebzehn Jahren studierte Aimé Bonpland in Paris Medizin. Die Revolution nahm unterdessen ihren Gang.

Aimé Bonpland war ein Jahr, nachdem man Ludwig XVI und seine Familie nach ihrer Festnahme in Varennes in die Stadt zurückgebracht hatte, dorthin gekommen.

Sie durchlebten einen heißen Sommer.

Eine Woche später nahm die Hitze noch mehr zu. Der Sommer fühlte sich an wie eine Feuerwand, gegen die man stieß, wenn man die Tür öffnete. Die Kartoffeln keimten, noch bevor sie in Les Halles zum Verkauf angeboten wurden. Und es lag allzu viel Staub in der Luft.

Als erstes suchte er, nachdem er sein Gepäck im Hotel Boston gelassen hatte, den lieblichen Jardin du Roi auf, aus dem später der demokratische Jardin des Plantes werden sollte. Das Museum für Naturgeschichte, das der Konvent geschaffen hatte, enthielt Herbarien, die Reisende aus allen Teilen der Welt dorthin geschickt hatten.

In den nächsten Tagen erhielt er die Erlaubnis, die Herbarien von Lamarck durchzublättern. Sie verströmten einen Geruch von Ernsthaftigkeit. Aimé Bonpland notierte sich, wie Lamarck die Musterpflanzen auf den Pappbögen befestigt hatte, und seine Art der Katalogisierung. Er bemerkte seine gerundete, fast kindliche Schrift. Durch Lamarcks wissenschaftliche Betätigung waren diese Pflanzen verewigt worden. Er lernte auch Lamarcks Sammlung von Insekten und Fossilien kennen. Er begann ihn als einen Ahnherrn der Naturwissenschaften zu bewundern. Durch die Erklärungen eines Kommilitonen erfuhr er von Lamarcks Vorstellung von der ständigen Vervollkommnung der Lebewesen in einer Entwicklung hin zu etwas Edlerem. Der Mensch stand an der Spitze dieser biologischen Pyramide. So war es. Darwin kam mit seiner treffenden, auf das Edle verzichtenden Theorie erst später.

Auf dem Gelände des Jardin des Plantes lernte er die gläsernen Gewächshäuser kennen, die ganz Europa mit Bewunderung erfüllten. Dort, in jenen feucht-heißen Räumen wuchsen riesige nordafrikanische Palmen, Bromelien und Orchideen aus Brasilien, Magnolien aus der Algarve, Rhododendren und Azaleen. Er fühlte sich von denen mit den leuchtendsten Farben angezogen. Alle waren Spuren einer Kartographie der Pflanzen, die täglich an Umfang zunahm.

Die Revolution degenerierte indessen.

Aimé begriff nicht, wie man die Ideen der Philosophen mit soviel Hass umsetzen konnte. Dennoch glaubte er weiterhin, dass das Glück der Franzosen mit der absoluten Monarchie unter den Bourbonen unvereinbar sei.

Anatomie studierte er im Hôtel-Dieu. Im Sommer nahmen die Leichen sofort eine violette Färbung an, und nach einer kurzen Leichenstarre verwesten sie, sodass sie nicht mehr zu Studienzwecken seziert werden konnten.

Aimé schloss Freundschaft mit Xavier Bichat, der alle dreißig Tage jeweils mehr als hundert Autopsien vornahm.

„Das Leben“, pflegte Xavier Bichat zu sagen, indem er auf eine Leiche zeigte, „ist nur die Gesamtheit der Funktionen, die dem Tode trotzen.“

In der Charité schrieb sich Aimé Bonpland für die Vorlesungen des berühmten Corvisart ein, der sich dadurch auszeichnete, dass er die Brust seiner Patienten für die Diagnose abhörte. Das war neu, oder man hatte die Methode vergessen.

Corvisart pflegte bei seinen Vorlesungen auf seine Ohren zu deuten und zu erläutern: „Der Ton kommt aus den Tiefen des Körpers und mit ihm ein Hinweis auf alle Krankheiten.“

Man erzählte sich, dass er beim Anblick eines Menschen dessen Seele schaue. Aber das taten nur naive Leute.

Während seiner Vorlesungen hörte man das Geschrei und das Getrampel der Revolution durch die Fenster. Einige Studenten verließen die Anatomie-Demonstrationen und schlossen sich einer besonders lautstarken Gruppe an. Die Lehrveranstaltungen dauerten nur so lange, wie zwischen den Demonstrationen auf der Straße Ruhe herrschte.

Im Krankenhaus Salpêtrière lehrte Philippe Pinel die Studenten, wie man nervenkranke Patienten ohne Handschellen und Strafen behandelt. Es gab dort sogar ein Klavier. Aimé schlug zwei Akkorde an, es war verstimmt.

Während der Ferien in Paris verbrachte er einen Teil des Tages damit, einen Weidenkorb auf dem Rücken, Pflanzen zu sammeln, um sie danach in seinem Hotelzimmer zu bestimmen. Die verbleibende Zeit verbrachte er mit einem auffallenden Filzhut auf dem Kopf im Museum. Diese in Herbarien eingeordneten Pflanzen gaben ihm seine Sicherheit wieder.

Aber er war nur ein junger Mann mit einem Hut, den die Neuigkeiten aus dem Häuschen brachten.

Einmal blieb er im Museum vor einem Glas stehen, das den in Formaldehyd eingelegten Fötus eines Lemuren enthielt. Er sah sein Spiegelbild auf der Oberfläche des Glases.

Es war eine in die Länge gezogene, lächerliche menschliche Gestalt.

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Um die Zeit herum las er den Werther in einer Übersetzung, und der Schluss führte bei ihm zu einer Mischung von Entsetzen und Ekstase.

Man nannte ihm den Namen Goethe.

Ein Kommilitone stürzte sich in die Seine, nachdem er sich mit einem Brief von der Welt verabschiedet hatte. Er erwähnte weder eine verbotene Liebe noch Spielschulden. Nur Überdruss. Er brach das Schreiben in der Mitte ab, mit einem überlangen Federstrich, der ganz oben auf der Seite begann und bis nach unten reichte.

Die Selbstmörder vermachen uns, da sie keine Antworten finden, Fragen.

Bis auf Chénier waren die Romantiker zwar gegen die Brutalitäten der Revolution, aber dennoch keine Monarchisten. Sie waren gar nichts, nur unfruchtbarer Wille und leere Schönheit. Die Suche nach Schönheit führte sie zu mittelalterlichen Tournieren, zu Seen, in denen sich der Mondschein zwischen Wolken spiegelte, zu Duellen im Morgengrauen, zum Zwitschern der Vögel, zu Ruinen im Sturm, zum Balsam der Auen, zu den seufzenden Zypressen der Friedhöfe, zu Hamlet sowie Tristan und Isolde.

Aber die Begeisterung für die Natur und die hohen Stehkragen der Incroyables sollten die am längsten andauernden Modeerscheinungen werden.

Wenn Aimé Bonpland mit seinem Weidenkorb allein durch die Pariser Vororte streifte, stellte er manchmal alles auf den Boden, setzte sich hin und genoss ausgiebig den Sonnenuntergang. Er nannte ihn den „Wagen Apollos“, wurde dann aber dieser altmodischen Ausdrucksweise überdrüssig. Die klassischen Dramen der Comédie Française verließ er oft vor dem Ende der Vorstellung und spazierte durch den Palais Royal, wo noch die erregte Stimme von Camille Desmoulins widerhallte, die das Volk mit den Worten „Aux armes! Aux armes!“ zu den Waffen rief.

Die Musik, dies nichtphilosophische Ens, wie ihm die Radikalen zuflüsterten, könnte ein Trost für ihn sein. Er ging zu den Aufführungen des Concert Spirituel, die es zu dieser Zeit im Théatre des Italiens gab. Er setzte sich in die billigsten Logen. Er hörte Païsiello, doch das führte nur dazu, dass er diese bombastische, leere Musik verabscheute.

Er besuchte häufig Privathäuser, in denen man zum Vergnügen Musik machte. Selbst auf dem Höhepunkt der Revolution ging das Leben weiter. Dort spielten Quartette oder Quintette. Weil viele ihn dazu drängten, setzte er sich eines Abends ans Klavier und spielte aus dem Gedächtnis ein Stück aus der Sonate, die er bei seiner Schwester gelernt hatte. Man applaudierte und servierte den Kaffee.

Man lebte in einer für Musik, für Architektur, für Malerei ungünstigen Zeit. Die weit verbreitete Oberflächlichkeit der Künste wurde indessen durch die Blüte der Naturwissenschaften wettgemacht.

Robespierre führte die Schreckensherrschaft ein, welche die Stadt in einen gefährlichen Ort verwandelte. Die Massenhinrichtungen tränkten die Erde des Place de la Révolution mit Blut und verpesteten die Luft mit einem Gestank von Fäulnis. Angeekelt, verlangten die Pariser, dass man die Guillotine von dort fortbringe.

Die akademischen Instanzen stellten fest, dass man Aimé Bonpland das Diplom nicht geben könne, weil ihm das Praktikum fehle. Er bewarb sich um eine Stelle bei der Marine, und man schickte ihn auf die Fregatte Ajax, die im Kriegshafen von Toulon vor Anker lag.

Dort erblickte er zum ersten Mal das Mittelmeer. Tausende von Lebewesen bevölkerten das Meer, man konnte sie im Wasser sehen. Dort an der See in der frischen Luft war die Revolution nur ein fernes Donnergrollen.

Vom Aufbau auf dem Heck aus starrte er auf den Horizont, hinter dem man Nordafrika entdecken könnte. Wenn Aimé Bonpland „Afrika“ murmelte, dachte er an alle Gegenden der Erde voller Licht, Pflanzen und phantastischer Tiere.

Bei dem Gedanken an eine Reise geriet er ins Träumen. Er wollte reisen. Reisen, koste es, was es wolle.

Die Fregatte Ajax verließ den Hafen nie. Nach dem Abschluss seines Praktikums, in dem Aimé Bonpland es mit den anstößigen Krankheiten der Seeleute zu tun gehabt hatte, konnte er nach Paris zurückkehren, wo man ihm ein Arztdiplom verlieh.

Aber nach seiner Rückkehr war er nicht mehr derselbe. In Toulon war aus der Liebe, einst ein Gebinde blumiger Wörter, ein ungestümer Drang des Fleisches geworden. Sie hieß Corinne, war vierundzwanzig Jahre alt und erledigte Näharbeiten für die Offiziere. Sie war weiß und launisch, und in ihren Augen leuchtete eine stets unvollendete Fröhlichkeit.

In Paris brachte der Staatsstreich vom Thermidor die Hoffnung auf inneren Frieden. Aimé Bonpland nahm wieder Verbindung zu den Wissenschaftlern auf, deren Namen unsterblich zu werden begannen. Er wohnte Vorlesungen von Jussieu bei, der im Jahre des Sturms auf die Bastille das Werk Genera Plantarum Secundum Ordines Naturales Disposita veröffentlicht hatte, in dem er eine Vereinfachung von Linnés Systematik vorschlug. Er besuchte Lamarcks Vorträge im Amphitheater.

Die wichtigste Neuerscheinung war für seinen volkstümlichen Geschmack indessen die Flora Atlantica von Desfontaines, Ergebnis von dessen Reisen durch Algerien und Tunesien. Er hatte tausend fünfhundert Arten und dreihundert Unterarten von Pflanzen registriert. Er hatte Hunderte von Herbarien ins Museum gebracht. Seine Bücher wurden mit so viel hingebungsvoller Sorgfalt ausgestellt wie die Aquarelle von Redouté. Man trennte die Illustrationen heraus und rahmte sie ein. Poetische Namen kamen sowohl unter den Intellektuellen als auch in den anrüchigen Salons in Umlauf.

Linum grandiflorum. Linum tenue.

Lonicera biflora.

Milium coerulescens.

Nigella hispanica.

Ornithogalum fibrosium.

Panicum numidianum. Passerina nitida.

Passerina virgata.

Pimpinella lutea.

Aimé Bonpland erwarb beide Bände. Er studierte die Illustrationen und fragte sich niedergeschlagen: „Was könnte größer und schöner sein als das?“

6

Bevor Aimé Bonplands Vater ihn nach La Rochelle und zu seinen Pflichten zurückholte, meldete dieser sich, den Kopf von Defontaines Beschreibungen erfüllt, als Freiwilliger zu der wissenschaftlichen Expedition unter Führung von Nicolas Baudin. Dieser hatte zwar einen heldenhaften Charakter, aber er dachte auch an sich selbst; er fuhr zur See, und er hatte im Unabhängigkeitskrieg für die Vereinigten Staaten gekämpft. Er sollte mit einer beachtlichen Reihe von Wissenschaftlern zu dem gerade erst entdeckten Australien segeln. Die Reise würde für das Ansehen der Revolution werben, aber seine Interessen waren kommerzieller Natur.

Baudin hatte gelernt, wie man Tiere und Pflanzen an Bord seiner Schiffe am Leben erhalten konnte.

Während die Reise immer weiter aufgeschoben wurde, widmete sich Aimé Bonpland der Vervollkommnung der Methoden zur Aufbewahrung botanisierter Pflanzen.

Im Ministerium lernte er Baudin kennen. Nachdem der Kapitän durch Loblieder milde gestimmt worden war, geruhte er zu erläutern, wie es ihm gelang, Pflanzen drei Monate auf dem Schiff überleben zu lassen: die richtigen Gefäße für die Reise übers Meer, Ölhäute, um sie zuzudecken. Sogar die Art, sie zu beschneiden war anders.

Aimé Bonpland lernte die exotischen Gewächse kennen, die eine jede Expedition in die Treibhäuser brachte. Er begriff die Eigenarten des Wachstums dieser Pflanzen. Er fand Gefallen an ihren Blüten. Sie waren Boten der weiten Welt.

Noch bevor er das dreißigste Lebensjahr vollendet hatte, durfte man ihn einen Weisen nennen.

„Ein Wissenschaftler“, sagte Jussieu ihm, „muss seine kindlichen Neigungen bewahren.“

Woche für Woche sollte Aimé Bonpland Bescheid erhalten, wann Baudins Expedition aufbrechen würde, und die Auskunft war stets dieselbe. In den Briefen an seine Familie erfand er Ausreden, warum er nicht nach La Rochelle zurückkam.

In seinem Zimmer lag er auf dem Bett, die Arme im Nacken gekreuzt, und beobachtete die schwerfällige Gangart und die Sprünge der kleinen Spinnen, die sich von Fliegen ernährten.

Er suchte Zerstreuung in dem Buch von Desfontaines, das er abwechselnd mit Gedichten von Chateaubriand las. Weil er es so klangvoll und dramatisch fand, lernte er auswendig: „Dans les airs frémissants j’entends le long murmure de la cloche du soir qui tinte avec lenteur…“

Dieser Augenblick, in dem man die Abendglocke läuten hört, erfüllte ihn mit Schmerz, Wollust und Angst.

Er schaute auf die Uhr. Er stand auf. Es war Zeit, sich mit den Pflanzen zu beschäftigen. Er würde arbeiten, bis ihm die Augen zufielen und er das Bewusstsein verlor.

Aber er war dabei nicht immer glücklich.

Die Tochter des Hoteliers, die nur zwei Bücher gelesen hatte, liebte ihn. Sie schrieb ihrer Freundin in La Rochelle: „…du hast ihn doch in der Kindheit gut gekannt, du musst wissen, dass er noch viel von einem Kind hat, er schaut so versonnen drein, und wenn er durch den Flur geht und mir zerstreut einen guten Tag wünscht, treffen meine Augen auf die seinen, die wunderschön sind, grün, und sein Körper ist stattlich, kräftig, er ist schwer, aber nicht fett, er hat kurze, schwarze Haare, er ist höher gewachsen als der Durchschnitt, er hat starke Hände wie mein Vater. Er hat nur einen Anzug, der ihm zu weit ist und an den Ärmeln abgescheuert; wenn er nicht gerade Pflanzen untersucht oder Schmetterlinge, Käfer oder Steine und die ganze Zeit in seinem Zimmer verbringt, praktiziert er als Arzt, aber die Arbeit gefällt ihm nicht, ich glaube, er ist im Kopf nicht ganz richtig, aber ich bin so verrückt nach ihm, dass ich mich eines Tages noch vergesse…“

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Hotel Boston, Paris.

Das letzte Jahr im Jahrhundert der Aufklärung.Das kommende Jahrhundert würde ungeordnet werden und trivial.

Es war ein Sonnabend im Sommer. Im Herbst sollte der junge Bonaparte nach der Rückkehr vom Ägyptenfeldzug angesichts des politischen Durcheinanders erklären:

„Citoyens, la révolution est terminée!“

Aimé Bonpland betrat das Hotel. In der Hitze der Empfangshalle fühlte er sich unwohl.

Er kam von einem langen Ausflug zum Sammeln von Pflanzen an der Straße nach Versailles zurück. Er hatte beschlossen, sich bis zur Erschöpfung zu verausgaben, weil er keine Nachrichten erhielt, wann die Expedition Baudin aufbrechen würde.

Er übergab seinen Hut dem Hoteldiener und holte von seinem Rücken den Korb hervor, aus dem die Zweige der Pflanzen herausguckten. Er verströmte den kräftigen Geruch der versengten Felder. Aimé Bonpland wischte sich den Schweiß von der Stirn.

Ohne übertriebene Hast wandte er seine Aufmerksamkeit davon ab und richtete sie auf den jungen Ausländer, der im einzigen Sessel saß und mit einem spöttischen Lächeln im Journal des Dames et des Modes las, das er nur mit den Fingerspitzen berührte. Er mochte etwa dreißig Jahre alt sein, nur wenig mehr als Aimé Bonpland. Er war Deutscher und ein Mann der Wissenschaft, das sah man ihm an. Abgezehrt, aber nicht schwächlich. Seine Finger waren spitz, doch wohlgeformt. Ein Siegelring mit einem Wappen glänzte am kleinen Finger seiner linken Hand. Die blauen Augen machten einen angenehmen, freundlichen Eindruck. Die Locken fielen ihm in die Stirn, wie es damals üblich war.

Der Fremde blickte Aimé Bonpland an.

Er ließ die Zeitschrift auf der Armlehne des Sofas liegen und erhob sich geschmeidig und gefällig. Er kam auf Aimé Bonpland zu. Ein frischer Lavendelgeruch ging ihm voraus.

Der Hoteldiener machte sie miteinander bekannt.

Aimé Bonpland verneigte sich und erhielt einen kräftigen Händedruck. Er erklärte, dass er Arzt sei.

Alexander von Humboldt stellte sich in fließendem Französisch als Preuße, Freiherr und Mann der Wissenschaft vor. Er war Eigentümer des Schlosses Tegel. Auch wenn die Mineralogie sein Hauptbetätigungsfeld war, schätzte er die Botanik; daher rührte sein Interesse an dem Korb voller Pflanzen. Er war Astronom und Geograph sowie Physiker und Chemiker.

Er strahlte Wohlstand aus und elegante Ungezwungenheit. Ein weißes Satinband schloss den eine Handbreit hohen, weißen Kragen, darauf war ein winziger Tintenfleck zu sehen. Er trug Manschettenknöpfe aus Topas.

Sie tauschten Visitenkarten aus. Aimé Bonpland hatte sich gerade welche drucken lassen. Darauf stand: „Aimé Bonpland, Médecin.“

Am Dienstag waren sie bereits Freunde geworden. Sie gingen dazu über, sich nicht mehr förmlich mit dem Familiennamen anzureden, sondern beim Vornamen zu nennen.

Humboldt erklärte, er sei Anhänger der Aufklärung und Parteigänger der Revolution. Er hatte dabei geholfen, die Kulissen für das Fest zum ersten Jahrestag des 14. Juli auf dem Marsfeld aufzubauen. Er hatte eine Gärtnerkarre mit Zement für die Errichtung des Altars des Vaterlandes dorthin gebracht. Er war gegen jedwede Form der Unterdrückung und Vorurteile.

Aimé Bonpland vertrat dieselben Ideen, aber er war weniger praktisch. Erst später würde er über die theoretischen Überlegungen hinausgehen.

Alexander von Humboldt hatte sich auch für die Expedition Baudin gemeldet, aber er spielte mit dem Gedanken, seine Pläne zu ändern.

Dies war der Anfang.

Und so ging es weiter: Während der letzten Wochen des Sommers zogen sie gemeinsam aus, um Pflanzen zu sammeln.

Sie fuhren in Humboldts Einspänner, auf dem Kutschbock saß ein korpulenter Bretone. Sie amüsierten sich über seine schwerfällige Art. Sie fuhren zur Porte de Charenton hinaus und kamen in den Bois de Vincennes.

Zu gegebener Zeit stiegen sie aus, gelegentlich am Ufer des Sees, und befahlen dem Kutscher, sie an der Porte de Charenton zu erwarten.

Wenn man den Bois de Vincennes hinter sich ließ, öffnete sich vor einem eine liebliche Straße, an deren Seiten Birken standen. Durch die stehende heiße Luft drang das Geräusch ferner Zikaden.

Sie stimmten ihre Uhren miteinander ab, vereinbarten einen Treffpunkt und trennten sich. Sie meinten, so sei es leichter, etwas zu entdecken.

Das Ergebnis war nicht immer ermutigend. Humboldt zog folgenden Schluss:

„Lieber Aimé, ich muss Gegenden fern von diesem dekadenten Europa aufsuchen, dessen Jahrhunderte alte Vergangenheit mir das Gemüt verfinstert. Du hast sicherlich das Buch von Desfontaines gelesen.“

Sie suchten auch die Parks von Fontainebleau und Rambouillet auf.

Eines Tages trafen sie sich mit beinahe leeren Körben wieder. Humboldt zeigte auf eine bläuliche Blume.

„Weißt du, was für eine Blume das ist?“

„Eine Pfingstrose, Alexander?“

„Hier an diesem Ort, um diese Jahreszeit? Nie und nimmer, mein lieber Botaniker.“

Humboldt befestigte sie am Revers von Aimé Bonpland. „Da macht sie sich gut. Ich werde sie Parisii bonplandia nennen.“

Sie brachen in Lachen aus.

Aimé griff eine kleine gelbe Blume aus seinem Korb. Er tat dasselbe wie vorher Humboldt.

„Und dies ist eine Parisii humboldtiana.“

Sie lachten wieder. Es war eine Albernheit.

Untergehakt kehrten sie zu ihrer Kutsche zurück.

Sie fanden den Kutscher im Gespräch mit einem Dienstmädchen vor, das sofort davonlief.

Der Bretone trieb die Pferde an und erzählte ihnen den Witz von der Barfüßerin, die versehentlich in einem Bordell um Almosen bat: „Da sagte die Hure der Nonne, verlass das Kloster, liebe Schwester, hier verdienst du im Liegen mehr Geld als dort beim Knien.“

Beide mussten lachen, dann wurden sie nachdenklich.

„Schau dir diesen vulgären Menschen an, Aimé“, sagte Humboldt, „es gibt Leute, die nach dem Vergnügen der Sinne leben. Für uns sind die ernsthaften Dinge und ganz besonders das Studium der Natur Hindernisse für die Sexualität.“

Dann wechselten sie kein Wort mehr miteinander, bis sie im Hotel Boston ankamen.