Kitabı oku: «Gestalt im Schatten», sayfa 3

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Aimé Bonpland schlief, er war erschöpft.

Seine Jacke, seine Hose, die Weste, das Hemd, die langen Unterhosen, die Strümpfe, seine gesamte Kleidung hing unordentlich übereinander auf der Stuhllehne. Sein Kopfkissen war schweißgetränkt. Das Fenster des Zimmers stand offen für die duftende Augustnacht, es ließ das Summen der Insekten herein. Aimé war fast sofort in die friedlichen Träume derer abgetaucht, die früh schlafen gehen. Mit den Füßen schob er das Baumwolllaken zusammen. Er atmete rhythmisch, als wäre es Musik. In seinem Traum hallte jetzt ein leises Klopfen wider.

Er lauschte, es hörte nicht auf.

Es waren Finger, die auf Holz trommelten.

Jemand klopfte an die Tür.

Als er wach war, richtete Aimé Bonpland sich auf, zündete die Kerze an und blickte auf die Uhr.

Dann sah er: Die Klinke bewegte sich, Humboldts Hand zögerte, dann stieß er die Tür auf. Er trug einen Leuchter mit einer brennenden Kerze. Er kam herein, nahm ein Taschentuch und warf es über Bonplands Blöße, er setzte sich auf die Bettkante:

„Wir haben viel Mühe auf unsere Sammlungen verwendet, aber wenn Sie mir den Freimut gestatten, es ist reine Zeitverschwendung, diese Pflanzen zu klassifizieren. Linné, Buffon und andere haben das Notwendige schon erledigt. Begleiten Sie mich am Sonnabend in den Jardin des Plantes? Auf dem Weg essen wir ein Eis im Café des Savants. Auf meine Kosten.“

Aimé Bonpland nahm die Einladung an. Humboldt verabschiedete sich mit einem knappen Kopfnicken und warf, bevor er hinausging, einen flüchtigen Blick auf den halbnackten Körper seines Freundes. Leise schloss er die Tür. Der Lavendelgeruch blieb hängen.

Aimé Bonpland blies die Kerze aus.

Er versuchte, wieder einzuschlafen und zu träumen. Er drehte sich zur Wand. Er nahm den starken Kalkgeruch wahr.

Er verschwendete seine Zeit? Er?

Er fiel in einen leeren, weißen Schlaf.

Bei Sonnenaufgang erwachte er.

Er schaute auf die Pflanzenproben auf seinem Schreibtisch.

Er warf einen Blick auf die Presse.

Dann auf die Stapel von Papierbögen, die auf die gepressten Pflanzen warteten.

Er stand auf. Er trat an den Tisch heran und blätterte die Papierbögen durch, auf denen bereits Pflanzenproben befestigt waren. Er las sich einige der Bestimmungen vor, die er vorgenommen hatte.

Der Satz von Humboldt fiel ihm wieder ein.

Er war sehr verunsichert. Und was noch schlimmer war, was er gesammelt und bestimmt hatte, die Anlage der Herbarien, alles das kam ihm von einem Augenblick auf den anderen als sinnloses Bemühen vor. Eine Zwangsarbeit, ein unheilvolles Geschick, zu dem er sich selbst im Namen von etwas verurteilt hatte, von dem er nicht wusste, was es sollte.

Aber er hatte sein Leben ja noch vor sich.

9

Den Löffel neben der leeren Kristallschale, schaute Humboldt ihn an.

„Hören Sie, hören Sie doch, Aimé, Sie sind hochintelligent. Sie wissen einiges über die Natur und viel über Botanik sowie Krankheiten, sie verfügen über einen perfekten, gesunden Körper, auf den Sie sich verlassen können.“

Verlegen sah er hinaus zum Tor des Jardin des Plantes. Dann wandte er sich wieder an Bonpland. „Sie könnten Ihrem Leben eine andere Richtung geben.“

Jetzt wanderten sie zwischen den Beeten des Jardin des Plantes herum.

Sie wiederholten sich gegenseitig die wissenschaftlichen Namen der Pflanzen. „Gehen wir ins Gewächshaus“, sagte Humboldt.

Ein sonniger Tag ließ die Farben der Blumen leuchten und ineinander übergehen. Von dort ging ein zwiespältiger Geruch starker Düfte aus und mischte sich mit dem ekelhaften Gestank von Blüten, die auf ihrem Stängel verfault waren.

Der Kies auf den Wegen strahlte eine Hitze aus, die noch durch die Schuhsohlen zu spüren war.

Aber nicht alles war paradiesisch.

Im Gewächshaus nahmen sie den Hut ab und wischten sich den Schweiß von der Stirn.

„Schön, nicht wahr?“, sagte Humboldt. „Sie haben etwas Wildes, Raues. Aber sehen Sie nur. Diese Lilie aus Martinique ähnelt der unseren, europäischen sehr. Finden Sie nicht? Aber sie ist ihr nur ähnlich, nicht gleich.“

„Gewiss, Alexander.“

„Die Lilien unterscheiden sich, weil sie in anderen Breiten und auf verschiedenen Höhen wachsen.“ Humboldt erklärte, dass sei ein Indiz dafür, dass die Natur ein einziger, großer Organismus sei. Dass er, Aimé Bonpland, die Pflanzen bestimme, presse und zwischen Papierbögen lege, habe nur dann einen Sinn, wenn sie diese organische Verbindung bewiesen.

Viele hatten schon ähnliche Gedanken geäußert, Latourette, Carbonnières, aber ohne das geringste Interesse daran, diese Dinge zu vertiefen. Er, Humboldt, behauptete, dass alle Arten einander in diesem Organismus gegenseitig beeinflussten.

„Und das lässt sich beweisen“, sagte er.

„Wie denn?“

„Dazu gibt es nur einen Weg“, meinte er. „Mit einer Reise.“

Von Schülern umgeben verließ Lamarck das Amphitheater. Er war von massiger Gestalt und langsam. Er hatte ein recht gewöhnliches Gesicht, das aber durch seine lebhaften Augen gewann. Humboldt trat auf ihn zu.

Aimé Bonpland, den die Gegenwart des großen Wissenschaftlers einschüchterte, setzte sich lieber auf eine Bank unter die große Platane, die Lamarck mitgebracht hatte.

Ja, es sei möglich, dass alles in der Natur, eine Einheit bilde. Wenn man das beweisen könnte, gäbe es seiner Arbeit einen Sinn. Das könne ihn vor der Verdammnis retten.

10

Hotel Boston, 4 Uhr nachmittags.

Sie waren in Aimé Bonplands Zimmer. Schon seit langem waren sie dort.

Sie sprachen miteinander, sie sagten sich, was sie seit dem Vortag getan hatten.

Jetzt beugte sich Aimé Bonpland über den Schreibtisch, der am offenen Fenster stand, um eine Reihe von Pflanzen beiseite zu schieben, die er anschließend mit den Pressplatten zusammendrücken wollte.

Humboldt saß neben ihm, den Arm auf dem Fensterbrett, und folgte Aimé Bonplands Händen mit den Augen.

Draußen war ein heißer Nachmittag.

„Und die Medizin?“, fragte Humboldt.

„Die Medizin…“ Aimé Bonpland schaute hinaus. Er wandte sich Humboldt zu. Da die Expedition Baudin wohl nicht stattfinden würde, plante er nun das Naheliegende, nämlich nach La Rochelle zurückzukehren, um dort vormittags im Krankenhaus zu arbeiten und nachmittags in seiner Praxis.

„Praxis, Krankenhaus, La Rochelle… Derselbe Weg, den Ihr Vater eingeschlagen hat; und die Botanik?“

Aimé Bonpland nahm seine Tätigkeit wieder auf. Humboldt konnte zerstreut wirken, wenn er wollte.

„Sie könnten mich auf einer Reise begleiten“, sagte er.

Aimé hielt inne, er merkte auf. „Reise?“

Dann fuhr Humboldt fort: „Eine Reise in für Europäer nahezu jungfräuliche Erdteile. Vergessen wir diese Expedition Baudin! Dank einer Erbschaft habe ich Geld“, setzte er hinzu und erklärte sein Vorhaben: Sie würden sich auf die Suche nach wissenschaftlichen Beweisen für das organische System machen, das es in der Natur gab.

Er antwortete auf eine Frage Bonplands: „Ob ich träume? Wir haben das Geld, wir haben die Zeit, wir haben die nötige Gesundheit, wir haben die Kenntnisse. Wenn es in Europa jemanden gibt, der sich dieses Unterfangen vornehmen kann, dann sind wir es. ‚Und wozu die Einheit der Natur beweisen? Inwiefern ändert das die Natur?‘, werden Sie mich jetzt fragen.“

Humboldt hob den Blick zur Decke empor. „Nicht im Geringsten. Aber es wird uns verändern. Denn wenn die Natur eins ist und systematisch, wird sie zu etwas Begeisterndem, Großartigem, wie ein Tempel. Und die menschliche Seele braucht das alles.“ „Diese Reise hätte zum Ziel, die Natur zu entdecken?“

„Nein, sie zu vermessen. Sie zu vermessen und dadurch zu beweisen, wie sie sich organisiert. Das ist weit mehr als die Botanik. Die Botanik bildet nur einen Teil dieser Einheit. Und um die Einheit der Natur zu entdecken“, sagte Humboldt, „muss man die verschiedenen Weltgegenden untersuchen und die Prozesse, die in jeder einzelnen von ihnen ablaufen, vergleichen.“

Es war das erste Mal, das Aimé Bonplands Ohren so etwas zu hören bekamen. Er begriff in diesem Augenblick, dass sein Leben in gewisser Weise in den Händen dieses Mannes liegen werde.

Humboldt erhob sich, nahm einen Zweig getrockneter Bougainvillea, an dem noch ein paar ausgebleichte, rötliche Blütenblätter hingen, sah sie sich genau an.

„Diese wunderschöne Bougainvillea stammt aus Brasilien. Hätten wir in Frankreich dasselbe Klima, würde sie hier ohne jedwede Pflege gedeihen. Nun, was ist, Aimé?“, schloss er. „Mein Entschluss steht fest. Ich habe schon die notwendigen Maßnahmen ergriffen. Sie brauchen nur zuzustimmen.“

Aimé Bonpland fragte. „Gestatten Sie?“. Er nahm Humboldt die Bougainvillea aus der Hand.

Er legte sie vorsichtig auf den Papierbogen.

Er antwortete nicht.

Nicht an dem Tag.

11

Instrumente zum Messen und Wiegen, auch solche zum Beobachten von Kleintieren oder Sternen sind nützlich, jeweils ein anderes je nachdem, wer sie gebraucht.

Astronomen besitzen Ferngläser oder Teleskope bzw. große Refraktoren. Geometer haben Rechenschieber und Winkelmesser, Geografen Barometer und Sextanten. Ein Mann kann auch über ein Barometer verfügen, das er Jahre später vielleicht durch ein Hygrometer ersetzt.

Nie hatte jedoch ein einziger Mann genügend Mittel und Interesse, um alle diese Instrumente gleichzeitig sein Eigen zu nennen. Es waren insgesamt über achtzig, wenn man die Ersatzgeräte mitzählt.

Humboldt brachte Aimé Bonpland in seine vier Zimmer umfassende Suite im Hotel Boston.

Die Unterkunft hatte sich in ein Depot von Behältnissen aller Art und Größen von bester Qualität verwandelt. Einige lagen auf dem Bett, andere auf den Teppichen.

Hämmer für Archäologen waren darunter.

Aimé Bonpland begriff sofort, dass Humboldt seinen Plan schon weit vorangetrieben hatte.

Manche Hüllen enthielten mehrere gleichartige Instrumente: zwei oder drei Thermometer, fünf Barometer. Hergestellt waren sie aus verschiedenen Materialien: Messing, Zinn, Silber, Gold, Glas, Kristall und Holz.

Die Linsen hatten unterschiedliche Durchmesser und Stärken.

Außerdem gab es dort Geräte zur Feststellung des Längengrades, Sextanten, Theodoliten, künstliche Horizonte, Geologenkompasse und Magnetometer. Keines der Instrumente befand sich rein zufällig dort.

Sie würden europäische Maße in jene fernen Erdteile einführen, die bis dahin lediglich Objekte wirtschaftlicher oder religiöser Gier gewesen waren. Mit einem zärtlichen Blick betrachtete Humboldt die Instrumente.

Dann liebkosten seine Finger die metallische Kühle eines der Fernrohre.

„Damit kann man von anderen Längen- und Breitengraden aus die Monde des Jupiter und die Ringe Saturns sowie die Meere, die Berge und die Krater des Mondes anschauen.“ Humboldt steckte das Instrument wieder in seinen Behälter. „Kurz und gut, Aimé, wenn Sie mein Angebot annehmen, werden wir alles vermessen, wiegen und beschreiben. Ruhmbedeckt werden wir nach Europa zurückkehren.“

Aimé Bonpland nahm einige Bücher von einem Stuhl und setzte sich. Er fragte, wie er, Alexander, sich neulich so poetisch auf die Natur habe beziehen können, und nun wolle er sie mit all diesen Instrumenten zähmen.

„Ich brenne leidenschaftlich für die Symmetrie. Ich werde die Natur noch mehr lieben, wenn ich beweisen kann, dass für sie Regeln gelten wie für eine Maschine.“ Er lächelte. „Ich bin ein aufgeklärter Mensch, aber ich lese auch Goethe und Schiller. Mit einem Wort: Wissenschaft ist Ästhetik.“

Er verschränkte die Finger und streckte sie nach vorn. „Sehen Sie? So gehören sie zusammen.“

Aimé Bonpland war fasziniert von jenen Händen direkt vor seinem Gesicht. Er spürte ein Gefühl der Erstarrung und den Duft von Lavendel. Das Bild von Humboldt verschwamm vor seinen Augen, als blickte er durch eine trübe Linse.

Jetzt war er bereit, Humboldts Einladung anzunehmen.

Er sagte es ihm noch an demselben Abend.

Am nächsten Tag schmiedeten sie Pläne.

„So sieht es aus.“ Humboldt zeigte auf eine Karte von Mittelamerika und der Karibik, die auf seinem Schreibtisch lag. „Dorthin müssen wir reisen. Erst einmal nach Kuba. Und von Amerika aus auf die Philippinen über den Großen Ozean. Denken Sie nur: der Pazifik mit all seinen Sagen. Schließlich werden wir die Welt umrunden.“

Aimé Bonpland vergaß es manchmal, und Humboldt erinnerte ihn daran: „Egal, ob wir nach Süden oder nach Norden fahren, ob wir hier oder dort umherreisen, ich werde das finden, was ich suche.“

Dann stießen sie mit einem kleinen Glas Sauternes an, den ihnen der Wirt des Hotels Boston geschenkt hatte.

12

Mittelamerika und der größte Teil Südamerikas gehörten zu Spanien. Humboldt wurde eine Audienz beim König gewährt, der sich damals in Aranjuez aufhielt.

Der Monarch empfing ihn, während er gerade dem Hofmaler Francisco de Goya saß. Uninteressiert und gelangweilt gestand er ihnen alles zu, worum sie baten.

Als Humboldt Aranjuez verließ, führte er in seinem Portefeuille zwei Pässe und eine Empfehlung an alle Verwaltungsinstanzen von Spanischamerika mit, die verfügte, dass diese die Entdeckungsreisen der beiden Naturforscher in jeder Weise unterstützen sollten.

Von dort aus machten sie sich auf den Weg nach A Coruña.

Sie fielen immer wieder auf. Die beiden waren stets zusammen, redeten unverständliches Zeug, und es folgten ihnen drei Kutschen mit den seltsamsten Gepäckstücken.

Von ferne gesehen, wirkten sie wie zwei Irre auf der Flucht. Nicht einmal die Straßenräuber belästigten sie.

An den heiteren Tagen übernachteten sie im Freien, unbehelligt von den Flöhen der Herbergen.

Nie tranken sie Wein oder spielten Karten.

Man sah sie auf dem Turm einer Kirche aus dem 16. Jahrhundert. Sie beobachteten die Landschaft mit einem Fernglas.

Meist war es so, dass der Ältere sprach und der Jüngere, der mit dem dunkleren Teint, zustimmte.

Wenn es Abend wurde, suchten sie eine Erhebung auf. Sie legten die Jacken ab und schauten sich den Sonnenuntergang an, der in jenen Breiten langsam und melancholisch vor sich ging.

Wenn die Nacht anbrach, schüttelte der Wind die kriechenden Pflanzen, die dort gediehen, durch. Sie hoben den Kopf. Wer als erster den Abendstern sah, zeigte ihn dem andern.

Sie wurden in Santiago de Compostela gesichtet. Sie streiften durch die Straßen der Stadt.

Freundlich lehnten sie wiederholt die Einladung, die Kathedrale zu besichtigen, ab. Sie verabscheuten den katholischen Aberglauben.

Sie erreichten den Hafen von A Coruña.

Schließlich sahen sie das Schiff. Die Fregatte Pizarro der spanischen Flotte, einen Dreimaster. In einer Woche sollte sie für die Überfahrt nach Kuba Anker lichten. Kuba war spanisches Territorium. Es lag in Amerika.

Humboldt betrachtete die Fregatte misstrauisch.

„Unter anderen Umständen würde ich ein Schiff mit dem Namen dieses blutrünstigen Mannes nicht betreten.“

„Nun, ich meinerseits mache mir Gedanken über die Solidität des Schiffsrumpfes“, antwortete Aimé Bonpland.

13

Drei Monate vorher.

Es war eine laute Stimme.

Sie hallte im Sitzungssaal der Académie nach.

„Der Brazo Casiquiare oder Canal Cassiquiare oder, wie immer er heißen möge, ist eine physische, hydraulische und geographische Chimäre. Von einer Verbindung zwischen dem Becken des Orinoco und dem Rio Negro, einem Nebenfluss des Amazonas, zu reden ist außerdem Unsinn, auch wenn dies von unserem Mitbruder La Condamine vorgetragen wird. Dass sich ein Fluss durch einen seiner Nebenflüsse mit einem anderen Fluss verbindet, ist eine weitere Lüge der katholischen Missionare. Nicht zufällig stammt sie von den reaktionären Mönchen des spanischen Königreichs, den schlimmsten von allen, denjenigen, die die Inquisition zu verantworten haben, welche die kreativsten Persönlichkeiten ihrer Zeit auf den Scheiterhaufen gebracht haben. Die Behauptung, man könne auf dem Flussweg von der Karibik zur Amazonasmündung fahren, ist eine Beleidigung der Intelligenz. Es gibt nichts dergleichen in der Welt.“

„Ich verabscheue die Mönche“, murmelte Humboldt während des Applauses, „aber es gibt Hinweise für die Existenz des Casiquiare-Flusses, und zwar nicht nur in den Äußerungen der Mönche und von La Condamine. Wir werden ihn entdecken.“

In der Straße packte Humboldt unter demselben Regenschirm Aimé Bonpland am Arm und hielt seinen Schritt auf.

„Es ist doch natürlich, dass zwei große hydrographische Becken miteinander verbunden sind. Da geschieht etwas Vergleichbares wie bei dem Experiment mit den kommunizierenden Röhren, das man in der Schule durchnimmt.“ Er sah Aimé Bonpland an. Sein Lächeln verriet, dass er ihm etwas enthüllen wollte. „Sie werden sich fragen, was das mit dem Zweck unserer Reise zu tun hat. Ich antworte Ihnen darauf: ‚Vielleicht nichts!‘ Aber es wird eine hervorragende Werbung.“

Der Regen lief ihm über das Gesicht wie Wasser über Porzellan.

14

Sie befanden sich im Heckkastell der Fregatte Pizarro mit Kurs auf Kuba.

Es wurde Abend. Aimé Bonpland beobachtete, wie ihm Europa aus den Augen schwand. Der Herkulesturm leuchtete über A Coruña, das Leuchtfeuer brannte.

Die Luft wurde langsam kühl.

Der Nordostwind sicherte ihnen eine ansehnliche Geschwindigkeit für den Fall, dass sie englischen Kriegsschiffen entkommen müssten.

Der Seegang war so stark, dass er sich beim Gehen festhalten musste. Mit jeder Welle kam eine Wolke von Gischt, welche die Kleidung durchnässte. Schon bald war es Nacht.

Aimé schrieb in sein Tagebuch in der Kabine, die er mit Humboldt teilte: „Der Reisende sieht nicht das Ganze, sondern die Einzelheiten seiner unmittelbaren Umgebung. Zudem beurteilt er sie nach seinen eigenen Interessen und Leidenschaften. Objektiv zu sein ist die geringste seiner Tugenden.“

Er bemerkte, dass Humboldt hinter ihm stand. Dieser legte ihm die Hand auf die Schulter. Er las, was darauf folgte:

„‘Ich werde also unvollständig und subjektiv sein.‘ Ich verstehe, Aimé. Subjektivität und Unvollkommenheit sind die einzige Möglichkeit, etwas zustande zu bringen, was im Gedächtnis der Menschen überdauern wird. Sie denken an die Nachwelt, an etwas, das nach Ihnen kommen wird?“

Aimé Bonpland wandte sich zu ihm um.

„Nein, Ich verstehe nicht, warum Sie diese Frage stellen, Alexander. Ich bin zu jung, um daran zu denken.“

„Nehmen wir dieses Schiff! Alle außer uns beiden sind hier um eines unmittelbaren Nutzens willen. Niemand denkt an die Nachwelt.“

Es war tiefe Nacht. Europa lag hinter ihnen.

Die flackernden Lichter am Horizont waren die letzten Signale, die vom Festland ausgingen. Die große Flamme des Leuchtfeuers auf dem Herkulesturm war noch immer beeindruckend. Nach einiger Zeit wurde auch diese schwächer und hörte auf zu scheinen, der Nebel verschlang sie.

Vor ihnen lagen der Geruch der Meeresluft und der Atlantische Ozean, in dichter Finsternis.

An den Tagen mit starkem Wind hörte man die Takelage zwischen den gewachsten Masten knarren.

Der Bug senkte sich bis ins Meer hinab. Das Wasser schoss über das Deck, floss bis zum Heck und in den Laderaum. Dann hob sich der Bug wieder, bis das aufgewühlte Wasser Regenbögen aufleuchten ließ, die sich in bunte Teile auflösten.

Humboldt maß die Temperatur und die Luftfeuchtigkeit, die Wassertemperatur, den Luftdruck, die Stellung der Sterne und die Position des Schiffes nach Längen- und Breitengrad.

Man sah ihn auf das Deck steigen, gleichgültig gegenüber Seegang und Seekrankheit. Er war unermüdlich. Niemand tat es ihm gleich, aber es beneidete ihn auch keiner; hinter dieser eisernen Gesundheit musste etwas Furchtbares stecken.

Es war eine schwüle Nacht, die einen Sturm ankündigte.

Schlaflos ging Aimé Bonpland an Deck. Humboldt bemerkte ihn und machte ihm ein Zeichen, langsam zu kommen. Er legte den Finger auf die Lippen.

Aus der Ferne beobachtete sie der Steuermann.

Leicht hob Humboldt den Finger vom Mund, zeichnete das Segment einer Ellipse und zeigte nach oben zur Spitze der Masten.

Da waren sie: In einer verwirrenden Choreographie flogen weiß-bläuliche Lichter von einem Mast zum anderen, verschmolzen miteinander, tanzten, zitterten, bildeten Knäuel, die herumwirbelten und sich wieder auflösten, um sich dann wieder zu verschlingen. Sie hielten inne und pulsierten. Dann nahmen sie ihren Tanz wieder auf, in einer unaufhörlichen, sich ständig verändernden Bewegung. Aimé Bonpland kannte sie. Es waren die Elmsfeuer.

Humboldt entzündete eine Kerze. Er zeigte auf seinen Taschenkompass. Die Nadel zitterte fiebrig.

„Man sieht, dass es ein elektromagnetisches Phänomen ist“, sagte er.

„Warum wollten Sie, dass ich kein Geräusch mache?“

„Es gibt gewisse Dinge, die so schön sind, dass man sie schweigend betrachten muss.“

So standen die Dinge, als sie an den Kanarischen Inseln anlegten und den Vulkan El Teide bestiegen. Von den vergangenen Ausbrüchen waren Ströme erkalteter Lava und große Mengen schwarzer Asche zurückgeblieben.

Nur mit Mühe konnten sie atmen, ihr Gehirn war von der dünnen Luft und dem steilen Aufstieg leicht benebelt, sie zitterten vor Kälte; so betrachteten sie das Meer und die Inseln um sie herum.

„Psst!“, sagte Humboldt und flüsterte: „Das ist das erste Mal, das jemand mit unseren Kenntnissen diese Szenerie sieht.“

Bald darauf begann Humboldt aufzuzeichnen, wie sich die Vegetation in dem Maße, wie sie tiefer hinabstiegen, veränderte: Auf das Fehlen von Leben ganz oben folgten Büsche, Kiefern, Wälder von Pappeln und Lorbeerbäumen, Weinberge, Feigenbäume und Dattelpalmen.

Am Fuße des Berges sagte er zu Aimé Bonpland inmitten von üppigen Bananenplantagen in großer Hitze:

„Sehen Sie! Die Bananenstauden hier würden auf dem Gipfel des Berges nicht gedeihen, nur auf dieser Höhe.“

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