Kitabı oku: «Vom Angsthasen zum Liebesküken», sayfa 4

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ZUR RECHTEN ZEIT AM RECHTEN ORT

In den Monaten zwischen März und Juli versuchte ich meiner neuen Aufgabe als Klassenlehrerin einer jahrgangsgemischten 5. und 6. Klasse, so gut es mir möglich war, gerecht zu werden. Die Jahrgangsmischung allerdings war, wie sich bald herausstellte, nicht auf eine pädagogische Entscheidung zurückzuführen, sondern vielmehr eine Sparmaßnahme, die ihren Ursprung in den zurückgehenden Schülerzahlen hatte, seit dem Wegfall der Grundschulempfehlung an die weiterführende Schule. Die Schulbücher wurden in den Hauptfächern genau wie zuvor jeweils für beide Klassen ausgegeben, nur dass ich nun zwei Lehrpläne gleichzeitig zu bedienen hatte, auch bei den Lernzielkontrollen.

Dass ich ehemals die Fächer Deutsch und Englisch studiert hatte, war nun nicht mehr von Interesse. Stattdessen arbeitete ich mich fachfremd durch die Lehrermaterialien der Fächer und Fächerverbünde Mathematik, Materie-Natur-Technik und Wirtschaft-Arbeit-Gesundheit. Besonders im Fach Mathematik war ich beim Entwerfen der Kontrollblätter für den wöchentlich wechselnden Arbeitsplan dankbar für die beiden Lehrerhandbücher, die neben den Lösungswegen auch Impulse für die Unterrichtsgestaltung enthielten. Zwar war ich es gewohnt, Grundschulkindern des Anfangsunterrichts die Grundrechenarten im Zahlenraum bis Hundert auf praxisnahe Weise begreiflich zu machen. Wie ich es nach dreizehn Schuljahren jedoch selbst geschafft hatte, bei Kurvendiskussion und Integralrechnung neun Punkte in meinem Mathematik-Abitur zu erzielen, war mir bis dato ein Rätsel, und ich fragte mich manchmal, ob die Diagnose der Rechenschwäche „Dyskalkulie“ auch auf mich zutreffen könnte.

Während ich von der Schulleitung und den Kollegen aufgrund der bis dahin prekären Versorgungssituation mit offenen Armen empfangen wurde, schienen die Schüler das plötzliche Wegbleiben ihrer früheren Klassenlehrerin persönlich zu nehmen. Ihren Groll über den wegen Krankheit abgesagten Landheimaufenthalt ließen sie mich mehr als deutlich spüren, und es beanspruchte eine gewisse Zeit, bis ich ihr Vertrauen und auch das ihrer Eltern gewinnen konnte. Es war also entweder den positiven Affirmationen zu verdanken, die ich täglich auf der Autofahrt zu meinem Dienstort wiederholte, oder es stand mit der Lektüre von Neale Donald Walschs Gespräche mit Gott in Zusammenhang, dass ich trotz des anspruchsvollen Lehrauftrags kaum noch durch etwas aus der Ruhe zu bringen war. Nicht einmal die Polizisten, die mich eines morgens aufgrund einer Geschwindigkeitsüberschreitung auf dem Weg zur Arbeit anhielten, konnten mir einen Schreck einjagen, denn, so hatte ich mittlerweile gelernt, wenn man im Leben tatsächlich „annimmt, was ist“, gab es nichts mehr, was anders sein müsste, als es nun einmal war. Vielleicht nahm das Affirmieren positiver Gedanken zu dieser Zeit sogar etwas zu viel Raum ein, denn ich musste offenbar so gedankenversunken gewesen sein, dass ich mitten im Tunnel, in dem absolutes Überholverbot herrschte, auf die Idee kam, an dem Polizeiauto vor mir vorbeizuziehen, obwohl mich das Selbe während der letzten Viertelstunde auf der Schnellstraße daran erinnert hatte, meine Tendenz zu einem eher rasanten Fahrstil im Zaum und den Tacho gut im Blick zu halten.

Das Licht am Ende des Tunnels war noch nicht aufgetaucht, da sah ich das leuchtende „STOPP!“-Signal im Rückspiegel aufleuchten, welches mich dazu aufforderte, nach Verlassen des Tunnels schnellstmöglich mit dem Seitenstreifen Vorlieb zu nehmen. Während ich versuchte, meinen steigenden Puls zu beruhigen, erinnerte ich mich daran, dass es von einer höheren Warte aus betrachtet keine „Fehler“ gab, sondern lediglich „Chancen“, um zu wachsen, und rief mir ins Gedächtnis, dass mir die ganze Welt freundlich gesinnt war.

Ein Mann in Uniform näherte sich dem heruntergelassenen Seitenfenster. „Da hat’s aber jemand eilig. Sie wissen, warum wir Sie anhalten?“

„Ich fürchte, ich war heute ein bisschen flott unterwegs“, gestand ich dem Polizeibeamten und versuchte, mit einem charmanten Lächeln meine Nervosität zu überspielen.

„Und die drei Überholverbotsschilder, an denen Sie vorbeigerauscht sind, sind Ihnen dabei nicht aufgefallen?“ Die Ironie in seiner Stimme war unüberhörbar.

„Offengestanden nein. Da muss ich heute Morgen wohl sehr in Gedanken gewesen sein.“, antworte ich so ruhig wie möglich. Seltsam, dachte ich, ich fahre diese Strecke jeden Morgen, aber die Überholverbotsschilder sind mir tatsächlich noch nie aufgefallen. Ich entschied kurzerhand, meine Gedanken besser für mich zu behalten.

Der Polizist reichte meinen Führerschein und die Fahrzeugpapiere, die ich ihm ausgehändigt hatte, an seinen Kollegen weiter, der anfing, auf einem Klemmbrett Notizen zu machen. Es vergingen einige Minuten, bis der Sachverhalt protokolliert war, dann schaute der zweite Beamte auf und fragte: „Das heißt, sie geben die Tat zu?“

„Ja“, antwortete ich ohne zu zögern. Natürlich gab ich die Tat zu. Es kam mir gar nicht in den Sinn, mein Fehlverhalten abzustreiten, und es überraschte mich ein wenig, dass offenbar auch diese Möglichkeit bestand.

„Und wohin sind Sie so zerstreut unterwegs?“, wollte der mittlerweile etwas milder gestimmte erste Polizeibeamte wissen.

„Zur Schule“, gab ich prompt zur Antwort, als stünde das auf meiner Stirn geschrieben. „Ich bin als Lehrerin tätig, wissen Sie? Heute war ich zugegebenermaßen ein bisschen spät dran!“

Der Mann nickte kommentarlos.

„Gibt es noch etwas, was sie hinzufügen möchten?“, fragte er schließlich, nachdem alle Formalitäten erledigt waren.

Ich überlegte, dann strahlte ich ihn an. „Ja, das möchte ich: Danke, dass Sie mich an die Verkehrsregeln erinnert haben. Ich gefährde ja nicht nur mich selbst, sondern auch alle anderen. Diesen Anstoß habe ich heute Morgen anscheinend gebraucht. Ich danke Ihnen.“

Etwas unbeholfen und sichtlich irritiert versuchte der Polizist seinen Stift am Notizbrett zu befestigen und hätte beinahe gleich beides fallen lassen. Mit hochgezogenen Augenbrauen drehte er sich zu seinem Kollegen um und wandte sich dann wieder mir zu.

„Oh …, das … finde ich jetzt aber toll, muss ich sagen“, stotterte er perplex. „Nicht immer haben wir es mit so einsichtigen Menschen wie Ihnen zu tun, müssen Sie wissen.“ Er reichte mir meine Papiere durch das Fenster. „Dann wünsche ich Ihnen eine gute Fahrt und weiterhin einen schönen Tag.“

„Danke, das wünsche ich Ihnen auch“, lächelte ich ihn an. „Ich werde diesen Vorfall gleich nutzen, um mit meinen Schülern über sicheres Fahrverhalten im Tunnel zu sprechen.“

Ich zwinkerte ihm kurz zu, startete den Motor, setzte den Blinker und ließ die beiden verdutzten Polizisten nach einem vorbildlichen Schulterblick hinter mir. Vielleicht würde mir meine Aufrichtigkeit zugutekommen, hoffte ich, und die beiden würden von einer Geldbuße absehen. Falls nicht, auch gut. Es tat mir selbst wohl, freundlich gewesen zu sein, und das allein passte schon hervorragend zu einem schönen Start in meinen Arbeitstag.

Trotz der entstandenen Verspätung fuhr ich in angemessener Geschwindigkeit bis zum Schulparkplatz, sprintete dann aber ohne Umweg über das Lehrerzimmer auf direktem Weg in den dritten Stock des H-förmigen Gebäudes. Kaum hatte ich das Klassenzimmer betreten, bat ich meine Schüler, im Stuhlkreis Platz zu nehmen.

„Bitte entschuldigt meine Verspätung“, begann ich, noch etwas aus der Puste. „Heute Morgen bin ich in eine Situation geraten, aus der wir alle lernen können …“ Ich erzählte offen und ungeschönt von meiner Geschwindigkeitsüberschreitung auf der Schnellstraße, meinem leichtfertigen Überholmanöver im Tunnel, meiner Begegnung mit den Polizisten und natürlich von den Gefahren, die beispielsweise bei einem ausbrechenden Feuer im Tunnel lauern können. Wir beschäftigten uns mit der Frage, warum warme Luft eigentlich nach oben steigt, und merkten gar nicht, wie wir im Laufe unseres Klassengesprächs, an dem sich die Kinder rege beteiligten, binnen weniger Minuten immer tiefer in die Physik abtauchten …

ANTRAG EINGEREICHT

Es war ein Samstagmorgen im Frühsommer. Der Harndrang in meiner Blase war nicht mehr zu ignorieren und zwang mich die steile, leiterähnliche Treppe, die von meinem Schlafzimmer im ausgebauten Dachboden nach unten führte, hinunter ins Bad. Müde warf ich bei dieser Gelegenheit auch gleich mein Bettzeug durch die Luke nach unten, um später mein Schläfchen auf der Couch im Wohnzimmer fortzusetzen.

Mein Schädel pochte und erinnerte mich an die zahlreichen „Prosecco aufs Haus“, die am Vorabend im Bistro meines bestens Freundes auf mein Viertel Wein gefolgt waren. Alim liebte es, großzügig nachzuschenken, wenn die Gesellschaft sympathisch und die Gespräche gut waren. Und das waren sie gewesen – wie immer, wenn ich bei ihm am Tresen saß. Nicht selten ernteten wir mit unseren Gesprächen über das Gesetz der Anziehung, feinstoffliche Grundlagen oder vergangene Leben verlegenes Schweigen und empörtes Kopfschütteln, oder wir wurden in hitzige Diskussionen verwickelt – je nachdem ob die Stamm- oder Gelegenheitsgäste rechts und links von mir eher eine introvertierte oder extrovertierte Persönlichkeitsstruktur aufwiesen.

Alim hatte mich nicht nur einmal seinen Gästen als seine „beste Freundin“ vorgestellt. Mir schmeichelte diese Bezeichnung unserer Beziehung, und selbst wenn ich in Bezug auf die Maßstäbe, die ich normalerweise an eine Freundschaft anlegte, in seinem Fall ein Auge zudrückte, so war seine Wortwahl zumindest ein Ausdruck der Seelenverwandtschaft, die uns zu verbinden schien. Wir kannten uns nunmehr knapp zwanzig Jahre, seit ich als fünfzehnjährige Schülerin in einem Eiscafé in der Nähe einen Wochenendjob angenommen hatte. Alim hatte damals als Barkeeper gearbeitet und den Betrieb während der Abwesenheit der Inhaber stets zuverlässig geführt, während ich bei gutem Wetter hauptsächlich damit beschäftigt gewesen war, unzählige Eiskugeln in Waffeln zu pressen. Im Grunde genommen gab es außer Philippe niemanden sonst in meinem Leben, der mich besser kannte als er. Bei ihm hatte ich das Gefühl, so sein zu können, wie ich bin. In seiner Gegenwart konnte meine Seele aufatmen, und ich hatte das Gefühl, dass mir nichts passieren konnte.

An diesem Morgen aber hasste ich ihn, jedenfalls für seine Großzügigkeit. Mein Brummschädel kündigte bereits an, dass die Nahrung, die ich gerade gefrühstückt hatte, Schwierigkeiten haben würde, die richtige Richtung durch den Verdauungstrakt zu nehmen. Dass die Armlehne meiner gebrauchten Ledercouch, welche an diesem Morgen als Kopfstütze fungierte, wegen der ausgeleierten Scharniere immer wieder nach unten sank, war für meinen Kreislauf nicht gerade förderlich, und so dauerte es nicht lange, bis ich ins Bad rannte, um meinen Kopf in die glücklicherweise reinlich geputzte Kloschüssel zu hängen. Da sich dieses Prozedere im Verlauf des Vormittags mehrfach wiederholte, entschied ich mich später, mir den Weg zu sparen, und nahm stattdessen mit dem Putzeimer vorlieb, den ich zwischen Couchtisch und Sofa bereitstellte.

In meinem leidigen Zustand döste ich bis in den späten Nachmittag vor mich hin, abgesehen von den gelegentlichen unfreiwilligen Unterbrechungen, als plötzlich das Stichwort „Sabbatjahr“ wieder in mir auftauchte. In letzter Zeit waren mir immer wieder Menschen begegnet, die mir von der Möglichkeit einer zwölfmonatigen beruflichen Auszeit erzählt hatten. Der Rektorin meiner Stammschule zum Beispiel stand eine solche unmittelbar bevor. Sie hatte die letzten Jahre dafür „gespart“, indem sie bei gleichbleibendem Arbeitspensum auf einen Teil ihres Gehalts verzichtet hatte, und war sogar bereit, ihre Führungsposition dafür aufzugeben. Offenbar war dieser Luxus lediglich Lehrern im Beamtenstatus vorbehalten, nicht jedoch solchen, die als Schulleiter tätig waren.

Von Neugier gepackt mobilisierte ich alle Kräfte meines arg dehydrierten Körpers und holte meinen Laptop aus meinem Büro und platzierte ihn, auf der Couch liegend, auf meinem Bauch.

Schnell fand ich einen Sabbatical-Ratgeber im Internet, der innerhalb kurzer Zeit alle meine Fragen beantwortete. Da im föderalen Deutschland Bildung Ländersache wäre, war dort zu lesen, gäbe es in den einzelnen Bundesländern unterschiedliche Regelungen und es stünden verschiedene Modelle zur Verfügung. Es wurde empfohlen, das Sabbatjahr langfristig zu planen, um gut informiert und vorbereitet zu sein. Meine Baden-Württemberg-spezifische Recherche ergab weiter, dass Beamte dort gegenwärtig zwischen dem sogenannten Zweidrittel- und dem Siebenachtel-Modell wählen könnten und dass das Freistellungsjahr üblicherweise am Ende dieses Zeitraumes läge. Zu beantragen wäre das Sabbatjahr beim zuständigen Regierungspräsidium, las ich abschließend.

Wenige Sekunden später befand ich mich auf der Internetseite des zuständigen Regierungspräsidiums und klickte mich über die „Abteilung 7 – Schule und Bildung“ weiter zu den sogenannten „stellenwirksamen Änderungen“, wo ich einen Antrag auf Freistellung online ausfüllen konnte. Ich hatte mich bereits für das Zweidrittel-Modell entschieden und an der entsprechenden Position ein Häkchen gesetzt, da wurde ich mit der Frage konfrontiert, mit welcher wöchentlichen Stundenzahl ich während der sogenannten „Anspar-Phase“ beabsichtigte zu arbeiten. Offenbar bestand im gleichen Zug die Möglichkeit, einen Teilzeitantrag zu stellen, wie ich verwundert und beglückt zugleich aus der erforderlichen Angabe ableitete.

Ich hielt kurz inne und reflektierte meine vergangenen sechs Dienstjahre. Die Auswirkungen der Arbeitsbelastung bei vollem Deputat steckten noch deutlich spürbar in meinen Zellen und ich ertappte mich dabei, den Gedanken an eine Stundenreduzierung äußerst verlockend zu finden. So verlockend sogar, dass ich eine Entscheidung traf, noch ehe mein vom Restalkohol beeinflusstes Gehirn die Informationen, dass die Entscheidung nur einmal gefällt werden könnte und für die gesamte Ansparphase gälte, verarbeitet hatte. Ehe ich einen klaren Gedanken fassen konnte und in voller Überzeugung, dass dreiundzwanzig statt achtundzwanzig Unterrichtsstunden in der Woche mehr als ausreichend wären, um meinen Lebensunterhalt zu bestreiten, klickte ich auf „Antrag einreichen“.

Als ich am nächsten Morgen mit frischem Geist und zurückkehrender Lebensenergie erwachte, jagte mir der Gedanke an meine gestrige Internetaktivität einen gewaltigen Schrecken durch die Glieder und bereitete meinem kurzlebigen morgendlichen Hochgefühl ein jähes Ende. Hatte ich allen Ernstes eingewilligt, über einen Zeitraum von drei Jahren auf ein Drittel meines Gehaltes zu verzichten, und nebenbei noch einen Antrag auf Teilzeitbeschäftigung gestellt?! Auch wenn es mit meinen Mathematikkenntnissen nicht sehr weit her war, so konnte selbst ich überschlagen, dass meine Antragstellung mit einem nicht ganz unerheblichen Einschnitt in Bezug auf meine Einkünfte einhergehen würde. In Windeseile widmete ich mich gedanklich meinen monatlichen Fixkosten: Für meine etwa sechzig Quadratmeter große Maisonette-Wohnung zahlte ich mehr als für die Doppelhaushälfte, die ich zuvor mit Philippe bewohnt hatte. Miete, Nebenkosten, Strom, Rundfunkgebühren, Festnetzanschluss, Internet …, all die Kosten, die wir zuvor geteilt hatten, musste ich nun alleine stemmen. Die Monate, an denen es mir am Ende gelang, etwas „auf die Seite zu legen“, waren selbst bei vollem Deputat äußerst rar. Wie sollte ich da zukünftig auskommen?

Während ich über meine gegenwärtige und zukünftige finanzielle Situation sinnierte, stellte ich verblüfft fest, dass mein Kontostand während der letzten zehn Jahre meines Lebens unabhängig von meinen Einkünften immer derselbe gewesen war. Egal wie viel ich monatlich verdiente hatte und ob ich als Studentin, Lehramtsanwärterin oder Vollzeitlehrkraft tätig gewesen war: Am Ende des Monats war das Geld meist aufgebraucht. Aus meinem Dilemma gab es folglich nur einen Ausweg:

„Ich werde meinen Antrag einfach stornieren“, sagte ich laut zu mir selbst und griff erneut zu meinem Laptop, um mich mit meinem Account auf der Seite des Regierungspräsidiums einzuloggen.

Etwas rascher als am Vortag klickte ich mich durch das Online-Portal für Lehrer, bis ich bei den „stellenwirksamen Änderungen“ angekommen war. Doch entgegen meinem spontanen Plan wurde ich eines Besseren belehrt und musste plötzlich laut schlucken. Statt mein Stornovorhaben in die Tat umsetzen zu können, wies mich ein Informationsfenster darauf hin, dass Änderungen des Antrags nur in „gesonderten Ausnahmefällen“ möglich wären. Darunter zählten zum Beispiel Schwangerschaft und eine Reihe anderer, nicht auf mich zutreffende Bedingungen. In Schockstarre schloss ich zuerst den Bildschirm meines Laptops und dann meinen offenstehenden Mund.

Nervös knabberte ich an meinen Fingernägeln und versuchte meine auf Angst basierenden Gedanken in positive umzuwandeln, als plötzlich ein Geistesblitz für Erleichterung sorgte: Es war Juni. Die Frist für stellenwirksame Änderungsanträge war am ersten Unterrichtstag nach den Weihnachtsferien, also Anfang Januar bereits abgelaufen. Den Antrag hatte ich demnach fünf Monate zu spät eingereicht, und das bedeutete wiederum, dass dieser im Falle einer Bewilligung nicht für das kommende, sondern erst für das nächste Schuljahr genehmigt werden würde. Somit hätte ich noch ein ganzes Schuljahr Zeit, um mir bei vollen Bezügen eine Strategie zurechtzubasteln, wie ich mit über tausend Euro weniger im Monat über die Runden kommen würde. Ich hätte Zeit, mir eine günstigere Wohnung zu suchen, eine WG zu gründen, eine Nebentätigkeit anzumelden oder was auch immer zu tun, um meine finanzielle Situation zum Guten zu wenden. Mein kurzzeitig ins Stocken geratener Atem beruhigte sich bei dieser Überlegung wieder und erlaubte mir, mich endlich jenem Vorhaben zu widmen, das an diesem Wochenende bis in den Sonntag hinein liegengeblieben war: der Unterrichtsvorbereitung für die kommende Woche. Das sich dem Ende entgegen neigende Schuljahr, so nahm ich mir vor, würde ich ohne weitere Sorgen um meine finanzielle Absicherung ausklingen lassen.

BÜHNENREIF

„Jetzt noch einmal Aufmerksamkeit, bitte! Leute, das ist EURE Feier!“

Ein energisches Stampfen ertönte von der hölzernen Bühne, die anlässlich des bevorstehenden Schulfestes auf dem Schulhof aufgebaut worden war. Die Rektorin stand an einem Freitag im Juli mit der Gitarre im Arm vor meiner Horde etwas lustlos dreinschauender Fünft- und Sechstklässler, um mit ihnen im Zuge der Generalprobe den Musikbeitrag noch einmal einzuüben.

„Wir veranstalten dieses Sommerfest in erster Linie für EUCH, denn IHR seid die wichtigsten Personen an unserer Schule, und es soll für uns alle ein schönes Erlebnis werden!“ Scheinbar hatte sie alle Mühe, die Heranwachsenden zu überreden, an einem Samstagvormittag in der Schule zu erscheinen, denn diese protestierten lautstark gegen ihre beraubte Freizeit, welche sie offenbar lieber zockend an ihren Spielekonsolen verbracht hätten. Dass auch ein wenig Vorfreude auf den großen Tag spürbar war, verbargen sie jedenfalls äußerst geschickt hinter ihrem pubertierenden Gemotze.

Ich beobachtete meine Vorgesetzte aus der Ferne und bewunderte nicht nur ihr musikalisches Talent, sondern auch ihren freundlichen und gleichzeitig bestimmten Umgangston mit den Heranwachsenden. Dass sie sich als Musiklehrerin bereiterklärt hatte, den obligatorischen Beitrag zum Schulfest-Programm beizusteuern, hatte schon mehr als ein Dankgebet nach sich gezogen – wäre dies doch eigentlich meine Aufgabe als Klassenlehrerin gewesen. Für eine souveräne musikalische Darbietung fehlte mir jedoch sowohl die Erfahrung als auch das Talent, und ich war heilfroh, dass ich mir in Anbetracht der umfangreichen Unterrichtsvorbereitungen, die unter den gegenwärtigen Umständen bei mittlerweile vollem Deputat für mich anstanden, nicht auch noch einen Kopf darum machen musste, wie ich es verhindern könnte, mich und die Schüler beim Schulfest zu blamieren.

Am frühen Abend des nächsten Tages knallte ein Sektkorken und schoss in die Baumwipfel der Platanen im Schulhof. Schüler und Eltern hatten bereits ihren Nachhauseweg angetreten, und an einer Biertischgarnitur unter den schattenspendenden Laubbäumen hatten sich nach den Aufräumarbeiten ein paar Kollegen versammelt, um auf den erfolgreichen Verlauf des Schulfestes anzustoßen. Etwas abseits von der Gruppe hatten sich zwei meiner Kolleginnen zu mir gesellt. Unsere Füße baumelten lässig von der leeren Bühne herab und wir ließen die letzten fünf Monate Revue passieren, in denen sich über die pädagogische Arbeit hinaus eine Freundschaft zwischen uns entwickelt hatte.

„Es ist so schön, dir begegnet zu sein, Annie“, gestand mir Cecilia, die mir im Laufe der vergangenen Monate, basierend auf ihren eigenen Erfahrungen als Hauptschullehrerin, immer wieder hilfreiche Tipps zur Klassenführung und Unterrichtsgestaltung gegeben hatte. „Ich wünschte, du würdest an unserer Schule bleiben …“

„Ja, das wäre schön“, sagte ich, ohne dies ernsthaft für möglich zu halten, da nach den Sommerferien meine Rückkehr an meine Stammschule dienstlich vorgesehen war. In der Tat hatte ich mich bis jetzt ausgesprochen wohl hier gefühlt. Zwar war ich nach wie vor der Meinung, dass meine wahre Begabung eher im Entwickeln der Lese- und Schreibkompetenz von Schulanfängern lag, doch die Werkrealschüler waren mir ans Herz gewachsen, und an die Stelle des anfänglichen Unmuts über den etwas unfreiwilligen Arbeitsplatzwechsel war ein vertrauensvolles Miteinander getreten, meistens zumindest. Auch vonseiten des Schulleiterteams und im Lehrerkollegium hatte ich Offenheit, Wertschätzung und Unterstützung erfahren und mich darüber hinaus stets willkommen gefühlt.

Etwas versonnen blickte ich eine Weile auf meine Füße hinunter, dann hob ich den Kopf wieder und sah, wie die Rektorin an der Seite ihres Mannes den überdachten Pausenhofgang entlang ging. Sie war auf dem Weg zu ihrem Auto und winkte mir und meinen beiden Kolleginnen im Vorbeigehen lächelnd zu. In diesem Moment beschlich mich ein Bauchgefühl, das ich nicht für mich behalten konnte.

„Cecilia“, platzte ich plötzlich heraus. „Ich habe gerade den dringenden Impuls, nicht an meine Stammschule zurückzugehen! Ich glaube, ich sollte bleiben. Hier an dieser Schule.“

„Nein! Wirklich? Das würde mich unendlich freuen, Annie! “, entgegnete Cecilia merklich fröhlich gestimmt. Dann fügte sie mit einem Lächeln hinzu: „Und nicht nur mich, so viel weiß ich. Wir können dich nämlich hier gut gebrauchen.“ Sie drückte mich an sich, um mich einen kurzen Augenblick später abrupt wieder von sich fortzuschieben. „Wenn das so ist, dann solltest du schnell handeln!“, wies sie mich an. „Es ist nicht mehr viel Zeit bis zum Ende des Schuljahres, und wenn du das wirklich willst, solltest du jetzt das Gespräch suchen.“ Sie nickte in Richtung Parkplatz. „Wenn du dich beeilst, dann erwischst du die beiden noch. Worauf wartest du noch?! Los …, lauf, Annie!“

Mit einem Satz sprang ich von der Bühne, eilte meiner Schulleiterin hinterher und erreichte sie gerade noch rechtzeitig, bevor sie durchs Tor auf die Straße fuhr. Verdutzt ließ sie die Scheibe herunter.

„Ich fürchte, ich muss noch schnell etwas loswerden …“, sprudelte es aus mir heraus, dann musste ich laut schnaufen, infolge meines kurzen Sprints. „Ich könnte mir sehr gut vorstellen, auch im kommenden Schuljahr noch hierzubleiben und die Klasse weiterhin zu begleiten, wenn das in Ihrem Sinne ist …“

Statt eine Antwort zu geben, stellte die Rektorin den Motor wieder ab und stieg aus. Unerwartet umarmte sie mich und drückte mir einen lauten Schmatzer auf die Wange. Dann lockerte sie ihren Griff und gestand: „Das habe ich mir, ehrlich gesagt, die ganze Zeit gewünscht. Ich schaue am Montag, was ich tun kann …“

Am darauffolgenden Montag wurde ich per Lautsprecheransage aus dem Unterricht zitiert:

„Frau Frank, bitte ins Sekretariat!“

Die Stimme unserer Sekretärin unterbrach eine stille Arbeitsphase der Englischlernenden, die an diesem Tag ausgesprochen motiviert mit ihrem Wochenplan beschäftigt waren.

„Ich bin gleich wieder da“, informierte ich abschließend auch diejenigen Schüler, die gerade draußen auf dem Flur arbeiteten, und eilte über die Treppe drei Stockwerke herunter ins Sekretariat.

„Sie werden bereits erwartet“, empfing mich die Sekretärin, und mit einer entsprechenden Handbewegung wies sie mir freundlich lächelnd den Weg in das unmittelbar angrenzende Rektorat.

Als ich eintrat, entfuhr den Lippen meiner Rektorin gerade ein Schnalzen, als Ausdruck immenser Erleichterung. Sie lehnte sich in ihren Bürosessel zurück, nachdem sie den Telefonhörer aufgelegt hatte und strahlte. „Ich habe mir die Ohren wund telefoniert, Frau Frank, um Ihnen diese Mitteilung machen zu können. Ich war erfolgreich: Sie können an unserer Schule bleiben.“

Ein ungebremster Freudenschrei hallte durch das Rektorat, bevor ich der Dame, die sich einen Großteil des Vormittags für mein Anliegen eingesetzt und sich soeben aus ihrem Stuhl erhoben hatte, um den Hals fiel. „Ich freue mich so darüber! Danke!“

„Es war nicht ganz einfach“, erklärte sie nicht ohne Stolz. „Aber ich habe die Schulrätin so lange bequatscht, bis sie die uns bereits zugewiesene Kollegin an Ihre ehemalige Stammschule „umgeleitet“ hat, sozusagen im einfachen Austausch. Herzlich Willkommen an unserer Schule!“

Mit einem breiten Grinsen auf meinem Gesicht schritt ich wenige Minuten später die Treppen empor, erfüllt mit einem Gefühl großer Erleichterung. Zurück im Klassenzimmer unterbreitete ich meinen Schülern, dass sie noch ein weiteres Schuljahr mit mir als Klassenlehrerin Vorlieb nehmen müssten. Ich stand da, sah in ihre Augen und spürte, dass die soeben vollzogene Weichenstellung wichtig für meine zukünftige Entwicklung sein würde und dass ich genau am richtigen Ort war – auch wenn ich noch nicht genau sagen konnte, warum …

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