Kitabı oku: «Die Ratte kommt», sayfa 4

Yazı tipi:

AUF DEM GUT IN POLEN

Mutti hat noch fünf Schwestern. Maria, Elsa, Sonja, Lena und Inga. Sie lebten mit ihren Eltern im früheren Ostpreußen. Meinem Opa gehörte dort ein Gut. Mutti erzählt immer, dass Opa noch einen Bruder hatte. Ihr Vater wanderte, als die beiden Jungs noch klein waren, nach Amerika aus und ließ seine Familie in Polen zurück. Dafür konnte er ihnen ausreichend Geld in die Heimat schicken. Scheinbar gingen die Geschäfte in Amerika recht gut. Denn als mein Uropa starb, hinterließ er seinen Söhnen ein beträchtliches Vermögen. Wobei mein Großvater als Haupterbe eingesetzt war. Opas Bruder machte sich nach Amerika auf, um Opas und sein Erbe einzulösen. Opa gab ihm seine Geburtsurkunde mit. Er hat aber seinen Bruder samt Erbe nie wiedergesehen.

Doch auf dem Gut in Polen lebt es sich auch ganz gut. Meine Großeltern sind Deutsche. Ihre Kinder sprechen in der Schule Polnisch und zu Hause Plattdeutsch. Die polnischen Knechte werden von meinem Opa immer gut behandelt. Meine Mutter schwärmt heute noch von ihrem Zuhause, von dem Häuschen, wo sie den Fußboden mit frischem weißem Sand auslegen, das war damals in Polen so Mode, und dem Obstgarten mit den vielen Früchten. Und abends, wenn es dunkel wird, kann man die Frösche vom Teich her quaken hören.

Meine Oma bäckt frisches Brot für die ganze Familie. Die Stullen sind übergroß. Doch Mutti mag das weiße Brot vom Bäcker viel lieber. Das gibt es aber höchstens einmal in der Woche, wenn ihre Mutter in die Stadt fährt, um Besorgungen zu machen. Dann bettelt meine Mutter so lange, bis meine Oma bereit ist, ein solches Brot zu kaufen.

Ihren Vater liebt sie über alles, der ist für sie der große Alleskönner, und Sonja und Elsa sind ihre Lieblingsschwestern. Maria ist die älteste, dann kommen Sonja, Elsa, sie selber und die beiden kleinen Schwestern Lena und Inga. Mit Maria versteht sie sich nicht so gut. Tante Maria verbreitete das Gerücht, Mutti hätte Tante Lena dumm geschlagen. An dieser Stelle muss Mutti oft weinen. Es ärgert sie sehr, dass ihre große Schwester so etwas Gemeines rumerzählt. „Dabei stimmt es doch gar nicht“, sagt sie beleidigt.

Tante Lena ist als kleines Kind in einen Teich gefallen. Die Großen sollten auf sie aufpassen. Durch den Sauerstoffmangel, der im Gehirn auftrat, kann sie später nicht mehr so richtig lernen. Als die Eltern merken, dass Tante Lena in der Schule nicht mehr mitkommt, muss meine Mutter ihr das Lesen und Schreiben beibringen. Tante Lena ist ziemlich lustlos und windet sich wie ein Aal. Sie erfindet immer neue Möglichkeiten, nicht lernen zu müssen. Sie starrt Löcher in die Luft oder beschäftigt sich bewusst mit anderen Dingen. Das ärgert Mutti sehr, denn sie will ihre Aufgabe gut erfüllen. Da gibt’s schon mal einen Katzenkopf. „Aber ein Klaps auf den Hinterkopf heißt doch noch lange nicht, dass ich Tante Lena dumm geschlagen habe“, sagt sie verbittert. „Das ist typisch für Tante Maria. Und Tante Lena glaubt ihr wahrscheinlich auch noch den Mist.“

Ich habe hingegen mal von Tante Lena gehört, dass Tante Maria ihr so eine geballert hätte, dass sie mit dem Kopf an eine Tischkante flog und besinnungslos liegen blieb.

FLUCHT UND RÜCKBLICK

Als die Unruhen in Polen zu groß werden, muss die Familie die geliebte Heimat verlassen. Opa führt sie so sicher durch die Kriegswirren in die neue Heimat, dass Mutti gar nicht das Gefühl hat, auf der Flucht zu sein. Sie flüchten auf einem Pferdewagen. In dicken Federbetten eingemummelt können sie die Sterne am Nachthimmel bewundern. Es kommt meiner Mutter eher wie ein Abenteuer vor. Ihr Vater bewahrt sie vor allen Gefahren.

In Gladow finden sie ein neues Zuhause. Hier lernt sie die Schwestern ihres zukünftigen Mannes kennen. Die durchlebten die Flucht nicht ganz so unbeschadet wie meine Mutter. Schon in Polen, als die Russen eingezogen sind, tat man den Frauen Gewalt an. „Auf der einen Seite der Ostsee, auf Usedom, wollte man meine Familie gar nicht erst haben“, sagt Vati. „Da wären sie fast verhungert.“ So sind sie die Ostsee entlang gewandert und in Gladow gelandet. „Ich befand mich zu dieser Zeit gerade in Italien in Gefangenschaft“, erzählt er weiter. Ob es eine gute Zeit für ihn war? – Wahrscheinlich ja, denn er berichtet von hübschen Mädchen, Bratkartoffelverhältnissen und dass sie ihn statt Heinz, wie er richtig heißt, Enco nannten. Ich glaube nicht, dass nur die anderen Soldaten Frauenbekanntschaften gemacht haben, so wie er es behauptet, sondern dass auch er hinter so manchem Rock her war. So würde es jedenfalls meine Mutti ausdrücken. Wahrscheinlich kann er es gegenüber Mutti nur nicht zugeben.

Mutti lernt ihre erste große Liebe in Polen kennen. Da ist sie noch ganz jung. „Der junge Mann ist aus dem Krieg nicht wieder nach Hause gekommen und ich habe ihn so gemocht“, sagt Mutti. „Auf seinem letzten Urlaub schenkte er mir das hier“, sagt sie traurig und zeigt mir eine Kette. Für mich sieht sie aus wie die Kette von einem Badewannenstöpsel mit einem Anhänger, aber für Mutti ist sie ein ganz besonderer Schatz. „Er muss wohl gewusst haben, dass er nicht mehr zurückkommt“, sagt sie mit Tränen in den Augen. Dann wischt sie sich die Tränen wieder aus dem Gesicht und erzählt weiter. Ihr zweiter Freund war Paul. Mit dem verlobte sie sich sogar. „Das war ein Schürzenjäger. Der sah nicht nur mich verliebt an, sondern auch alle anderen Weiber.“ Bei diesen Worten scheint sie ziemlich ärgerlich zu sein. „Ich habe ihm daraufhin seinen Ring wieder zurückgegeben.“

In Gladow sollen die jungen Mädchen den Soldaten in der Gefangenschaft schreiben. Da kommen Vatis Schwestern auf die Idee: „Lydia, du kannst doch unserem Heinz schreiben.“ So lernen sich meine Eltern erst schriftlich und später „in natura“ kennen, denn Vati kommt nicht lange danach aus der Gefangenschaft zurück. Sie genießen noch eine Zeit lang ihre Jugend in Gladow, bevor sie heiraten.

Mutti schwärmt von der Dorfjugend und ihren Zusammenkünften, Vati von den Auftritten im Laientheater. „Einmal musste ich eine Frau spielen, und als ich in den Weiberklamotten nach Hause gelaufen bin, haben die anderen aus dem Dorf sich halb kaputtgelacht“, sagt er amüsiert.

Mutti erzählt vom blutjungen Dorflehrer, der ebenfalls immer bei ihren Treffen dabei war. „Dann hat er sein Akkordeon mitgenommen und wir konnten im Pavillon vom Schlosspark kräftig nach seiner Musik singen und tanzen. Das hat mir sehr gefallen.“ Sie sangen all die Lieder, die sie auch heute noch gerne singt.

Ansonsten besteht ihr Leben aus harter Arbeit. Bei der Bodenreform bekommt jede Familie ein Stück Land zur Verfügung gestellt und die Kinder müssen auf den Feldern ihrer Eltern mitarbeiten. Deshalb erlernen sie auch keinen Beruf.

Meine Eltern sind schon eine Weile verheiratet, da bekommt meine Mutter auf dem Feld beim Arbeiten Bauchschmerzen. „Au verdammt, mir tut der Bauch so weh!“, jammert sie leise und sie merkt, wie ihr das Blut die Beine hinunterläuft.

„Du blutest ja! Und wie siehst du denn aus? Ganz blass um die Nase! Ist dir nicht gut?“, fragen die anderen.

„Kommt, Lydia muss nach Hause!“, ruft eine Frau aus dem Dorf, die sich mit Frauenangelegenheiten auskennt. Sie bringen Mutti nach Hause.

Die alte Frau aus dem Dorf hilft ihr durch die schwere Stunde, denn meine Mutter verliert ihr erstes Kind. „Lydia, du hättest einen Jungen bekommen“, behauptet die Frau.

„Viel Zeit zum Ausruhen blieb mir damals nicht“, meint meine Mutter. „Die Ernte musste eingebracht werden. Außerdem arbeiteten wir nicht nur auf den Feldern meiner Eltern. Auch die Felder von Vatis Familie mussten bestellt werden.“

Am Erstaunlichsten finde ich, wie Mutti mir erzählt, dass sich viele Familienangehörige ein Doppelbett teilen müssen. Da schlafen Jungverheiratete mit ihren Eltern oder ihren anderen Geschwistern im selben Bett. Unglaublich, denke ich. Ich will weder bei Vati noch bei Mutti unter der Decke schlafen. Denn Vati riecht unangenehm nach Schweiß und Medikamenten und Mutti entwickelt unter ihrer Decke eine solche Hitze, dass man es nicht aushält.

Meine Mutter erzählt auch, Tante Maria behauptete in jungen Jahren: „Alle meine Schwestern werden mal für mich arbeiten.“ Ich finde diese Behauptung sehr arrogant und vermessen. Meine Mutter hingegen sieht beim Erzählen dieser Begebenheit mal wieder rot vor Wut. „Opa meinte damals auch, die spinnt. Die anderen Mädels glaubten ihr vielleicht, aber ich würde doch niemals für Maria arbeiten. Wie kommt die auf so eine Idee? Alles, nur das nicht!“, äußert sie sich wütend.

Dann gab es erneut eine Bodenreform und den Eltern wurden die Äcker wieder weggenommen. Jetzt zog es die Jüngeren der Familien in die Stadt, um ihr täglich Brot zu verdienen. Marias Mann bildete die Vorhut für seine Frau, Vati, Mutti und ihre Schwestern. Er zieht zuerst weg. Maria, Vati und Mutti haben Glück, sie bekommen die Zuzugsgenehmigung für die Stadt. Die anderen Schwestern werden erst wieder aufs Land geschickt. Mit viel Mühe und List dürfen Tante Lena und Tante Inga doch noch zu ihren Verwandten in die Stadt ziehen. Tante Elsa und Tante Sonja müssen auf dem Dorf bleiben.

In der Zeit, als meine Eltern sich trennten, lebt meine Mutti bei Tante Maria. Sie kann es auf den Tod nicht ausstehen, dass Tante Maria erst die Kinder billig abspeist und dann zu ihrem eigenen Abendbrot die schönsten Sachen aus dem Schrank holt, um sich selber dick und rund zu essen. „Das ist ja das Letzte, seinen Kindern die guten Sachen vorzuenthalten. Das würde ich niemals tun“, sagt sie.

TANTE LENA

Tante Lena kann zwar nicht lesen und schreiben, doch sie ist geschickt und ein richtiges Stehaufmännchen. Mit ihren einfallsreichen Handarbeiten kann sie sich gut über Wasser halten. Meine Tante ist jetzt schon zum zweiten Mal verheiratet. Ihr erster Mann schlug sie. Das ließ sie sich nicht gefallen und war ganz schnell wieder geschieden. Die Ehe blieb kinderlos. Doch mit seiner zweiten Frau bekam ihr Exehemann noch sieben Kinder. Nach ihrer Scheidung wohnte Tante Lena auch wieder bei uns, so wie Tante Inga und Oma. Meine Eltern wollen ihr Haus nicht mehr unbedingt mit ihren Verwandten teilen, doch Muttis kleinere Schwester bekommt keine Wohnung für sich allein. So heiratet sie Onkel Franz, zieht mit ihm zusammen und nimmt Oma gleich mit. Onkel Franz ist Straßenbahnfahrer. Für meine Tante leider nicht die große Liebe. Doch Onkel Franz begehrt sie sehr.

Die beiden wurschteln sich so durchs Leben, bloß Kinder bekommen sie keine. Dabei ist Tante Lena doch so kinderlieb. Als meine Mutter ihr viertes Kind erwartet, bettelt sie: „Lydia, du hast doch schon drei Kinder. Das vierte Kind kannst du mir doch geben. Damit könnten wir zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Ich bekomme endlich ein Kind und du hättest eine Sorge weniger.“ Doch meine Mutter will mich auf keinen Fall weggeben, auch wenn sie noch so viele Kinder geboren hätte. Meine Schwestern sagen oft zu mir: „Stell dir mal vor, du wärest jetzt Tante Lenas Kind und nicht unsere Schwester.“

‚Was soll ich dazu sagen?’, denke ich verwirrt.

Da meine Tante keine eigenen Kinder hat, macht sie es sich zur Aufgabe, alle Kinder in ihrer großen Familie zu verwöhnen. Onkel Franz sagt dazu nur: „Du gibst aber eine Menge Geld für die Gören aus.“ Doch sie lässt sich nicht die Butter vom Brot nehmen und kontert geschickt: „Du gibst dein Geld für Zigaretten aus und ich meins für meine Nichten und Neffen.“ Onkel Franz verdreht dann nur noch die Augen und sagt gar nichts mehr dazu.

Meine Schwestern freuen sich riesig, eine solche Tante zu haben. Meine Mutter sieht das oft mit gemischten Gefühlen. Doch als Tante Lena auch noch meinen Vater mit großen, runden Kulleraugen ansieht, um ihre Weiblichkeit zur Schau zu stellen, das behauptet jedenfalls meine Mutter, flippt sie so richtig aus. Mutti weigert sich eine ganze Weile, ihrer Schwester die Kinder zum Verwöhnen zu geben. Vati will einlenken und meint: „Lena hat es doch nur gut gemeint.“

Das macht meine Mutter nur noch wütender und sie antwortet: „Jetzt nimmst du sie auch noch in Schutz!“ Mutti rechtfertigt sich in Gegenwart ihrer Kinder so: „Es ist ganz was anderes, wenn Tante Lena euch Mädels nur manchmal hat und euch dann von vorne bis hinten verwöhnt. Ich als Mutter bin immer mit euch zusammen und ich kann es mir nicht leisten, euch viele schöne Dinge zu kaufen. Da kann Lena leicht die gute Tante spielen.“

Meine Tante erzählt eine ganz andere Version der Geschichte. Sie sagt, dass Mutti und Vati verreist waren und die Kinder bei ihr und Oma geblieben sind. Was sich ja auch anbot, denn sie wohnten zu dieser Zeit noch bei uns. Tante Lena nahm sich vor meine Eltern zu überraschen. So gab sie sich besonders große Mühe, das Essen und den Tisch für meine Eltern vorzubereiten. Meine Tante legte zum Beispiel schöne Servietten auf den Tisch und steckte sie in niedliche kleine Serviettenhalter. Alles Dinge, für die meine Mutter nie Aufwand betreiben würde. Meine Eltern trafen ein und die Freude dauerte nur so lange, bis mein Vater sagte: „Lydia, warum deckst du denn nicht auch mal so schön den Tisch wie deine Schwester?“

In dem Moment verwandelte sich die Freude in Wut.

Tante Lena meint: „Deine Mutter war eifersüchtig auf meinen schön gedeckten Tisch. Dafür durfte ich euch, als ich ausgezogen war, eine ganze Weile nicht sehen.“

Ich weiß nicht, wer Recht hat, aber das mit der Eifersucht muss wohl stimmen. Denn meine Schwester Marlene weiß zu berichten, dass sie schon öfter solche Streitgespräche aus dem elterlichen Schlafzimmer gehört hat. Nach einer Weile verstummen die bösen Worte und es folgen versöhnliche Töne. Mein Vater behauptet dann, nur meine Mutter zu lieben. Wenn dann ganz andere Geräusche von nebenan zu hören sind, weiß Marlene, jetzt haben sich die beiden wieder vertragen.

Was sie wohl für Geräusche meint? Na egal, Marlene ist jedenfalls auch der Meinung, dass Mutti sehr eifersüchtig ist.

Nach einer ganzen Weile ist Gras über die Sache gewachsen und Tante Lena darf sich wieder mit meinen Schwestern vergnügen.

Das Osterfest mit unserer Tante ist aber auch der Knaller. Sie geht mit den Mädels am Kanal entlang. Anne liebt es, dort spazieren zu gehen. Besonders im Frühjahr, wenn der wilde Flieder blüht. Tante Lena läuft ein Stückchen voraus und lässt heimlich still und leise ein Osterei fallen. „He, guckt mal, Kinder, hier hat der Osterhase ein Ei versteckt!“, ruft Tante Lena und macht ein Gesicht, als würde sie es gar nicht fassen können. „Und hier noch eins", wundert sie sich dann.

Die Mädchen kommen herbeigelaufen: „Oh wirklich, Tante Lena, ein richtiges Schokoladenei.“

Tante Lena ist in ihrem Element: „Was ich hier alles finde! Hier, wieder ein Bonbon und hier eine Tafel Schokolade!“

„Oh, Tante Lena, warum findest du denn immer die Süßigkeiten und nicht wir“, fragt Annedore halb beleidigt.

„Na, da müsst ihr richtig hinschauen! Sucht mal fleißig weiter“, gibt Tante Lena zurück. Jetzt schmeißt sie ihnen die Süßigkeiten, wenn die Kinder mal nicht hinschauen, möglichst vor die Füße.

„Ich habe etwas gefunden!“, freut sich Ela.

„Ich auch“, verkündet Marlene ganz stolz.

Beim nächsten Versuch sagt Anne überrascht: „Tante Lena, du schmeißt ja die Süßigkeiten auf die Erde.“

Tante Lena kann sich nun nicht mehr halten vor Lachen und die Kinder lachen mit.

Immer wenn sie mit mir Ostern feiern, dann erzählen sie mir begeistert diese Geschichte. Ich suche meine Ostereier im Garten umringt von meinen Schwestern, die mich anfeuern und die Richtung angeben, indem sie laut „Heiß!“ oder „Kalt!“ brüllen. Ich weiß nicht, wer sich mehr freut, wenn ich etwas gefunden habe, meine Schwestern oder ich. Manchmal sind die Ostereier auf dem Misthaufen versteckt oder sie klemmen zwischen den Rhabarberblättern, oft auch im Stall und wenn es regnet garantiert in der Küche im Backofen.

ONKEL FRANZ, DER SPASSVOGEL

Zu Weihnachten lädt Tante Lena die Kinder natürlich auch ein. Die Geschenke, die sie für die Kinder gekauft hat, liegen schon schön verpackt unterm Baum. Alle freuen sich – und Tante Lena am meisten. Onkel Franz hat an diesem Tag auch viel Freude am Besuch seiner Nichten.

Zuerst wird gegessen. Alle setzen sich an den neuen Tisch. Onkel Franz sitzt am Kopfende. Tante Lena verteilt den Kuchen. „So, jetzt ist alles komplett. Ach nein, die Kaffeesahne fehlt noch. Wollt ihr Schlagsahne haben?“, fragt Tante Lena. Sie stellt sie auf den Tisch. Voller Vorfreude schaufeln sich meine Schwestern ordentlich Schlagschaum auf ihren Kuchen und fangen an zu essen.

Onkel Franz beobachtet das Geschehen., Die sind voll und ganz mit ihrem Kuchen beschäftigt, da kann ich anfangen’, denkt er. Und er macht sich daran, an einer Kurbel unterhalb der Tischplatte zu drehen. Er dreht den Tisch Stück für Stück nach unten. Die Kinder müssen ihre Oberkörper ziemlich weit runterbeugen, um überhaupt noch an den wundervollen Kuchen heranzukommen. Onkel Franz grinst sich eins ins Fäustchen und hält Blickkontakt zu Tante Lena.

„Der Kuchen ist eine Wucht“, sagt Marlene.

Onkel Franz freut sich unheimlich und kurbelt den Tisch wieder in die Mitte. Jetzt können die Mädels entspannt sitzen. Das macht natürlich nicht so viel Spaß und er dreht den Tisch weiter in die Höhe. Marlene reicht die Tischplatte jetzt bis zum Hals.

„Noch etwas Kakao?“, fragt Tante Lena.

„Ja“, sagt Marlene ganz begeistert und es sieht witzig aus, wie sie ihre Tasse über den viel zu hohen Tisch reicht. Da kann sich Tante Lena kaum noch halten vor Lachen.

„Was ist los?“, fragt Annedore.

„Ist alles in Ordnung“, gibt sie unter Kichern zurück.

Onkel Franz dreht weiter an seiner Kurbel. Die Kinder werden skeptisch. Jetzt müssen sie wieder so gebückt sitzen, wenn sie den Kuchen nicht auf dem Weg zum Mund verlieren wollen. Als Onkel Franz den Tisch zum dritten Mal hoch kurbelt und die Kinder ganz dämlich gucken, weil sie kaum noch über den Tisch blicken können, bekommt Onkel Franz vor Lachen schon fast keine Luft mehr.

„Mann, Onkel Franz, was machst du denn da?“, fragen die Mädchen und sie stürzen sich auf ihn.

Tante Lena hält sich den Bauch vor Lachen, ihr Gesicht ist ganz rot und sie muss sich die Tränen aus den Augen wischen.

„Onkel Franz, zeig mal, wie du das machst“, kreischen sie fast gleichzeitig, und Onkel Franz kurbelt den Tisch stolz hoch und runter. Solch einen Tisch kannten sie noch nicht und sie können nun auch verstehen, warum Tante Lena und Onkel Franz sich so kaputtgelacht haben.

Mittlerweile sind meine Schwestern etwas zu groß für solche Spielchen. Jetzt lädt Tante Lena mich und meine Cousins ein und wir gehen gerne zu ihr. Sie wohnt in einem neu gebauten Wohnblock mit Oma Gerke zusammen.

Opa Gerke und Opa Wedding habe ich noch nie gesehen. Nur ein hässliches Totenbild von Opa Wedding. Ich fand es zufällig im Karton zwischen den alten Fotos. Entsetzt starrte ich das Bild an. Wie kann man so etwas Gruseliges fotografieren?

EINDRÜCKE

Wenn ich Tante Lena besuche, sitzt Oma in ihrem Zimmer und nimmt wenig Notiz von mir. Sie ist ziemlich klein und etwas krumm. Ihre Haare sind noch nicht grau und zu einem Dutt gebunden. Sie trägt ständig schwarze Klamotten. Beim Laufen stützt sie sich auf einen Stock. Ich versuche, sie auf mich aufmerksam zu machen. Doch sie scheint keine Lust auf eine Unterhaltung zu haben. Da suche ich schnell das Weite. Tante Lena winkt nur ab und sagt: „Oma ist alt, die will lieber für sich sein. Komm, geh ins Wohnzimmer. Sie ist oft so komisch. Ich glaube, Oma ist eifersüchtig auf mich und Onkel Franz, wenn du verstehst, was ich meine.“ Dabei schaut Tante Lena mich vielsagend an. Doch ich weiß ganz und gar nicht, was sie meint. Da kann sie noch so viel mit ihren Augen rollen.

Im Wohnzimmer ist alles modern eingerichtet. In der Ecke steht ein Glaskasten mit Korallen. Die sehen wirklich schön aus. Auf ihrem Tisch befindet sich in einer Schale künstliches Obst: Weintrauben, Bananen und Apfelsinen. Das Witzige ist, dass es solches Obst in echt bei uns gar nicht zu kaufen gibt. Wenn ich so tue, als würde ich die Bananen auf den Balkon genüsslich verspeisen, dann würden die Leute doch sicher neidisch schauen, denke ich. Doch es sieht mir niemand beim Obstessen zu, als ich mit dem Zeugs auf den Balkon sitze. Wie langweilig, muss ich mir eingestehen.

Hinterm Haus erstreckt sich eine Rasenfläche mit einer Teppichklopfstange. An der habe ich schon herumgeturnt. Dahinter breitet sich ein abgemähtes Roggenfeld aus. Dort kann man die schönsten Kornblumensträuße sammeln, wenn das Korn reif ist. Als wir das einmal taten, freute sich Tante Lena über den ersten Strauß genauso wie über den letzten. Das hat richtigen Spaß gemacht. Daraufhin schenkte ich meiner Mutter auch solch einen Strauß, doch die sagte nur: „Was soll ich mit dem Dreck?“ Tante Lena dagegen kann so wundervoll tun, als würde sie sich freuen. Da wird einem so richtig warm ums Herz. Am liebsten würde ich ihr noch tausend solcher Blumensträuße schenken, um die Freude in ihren Augen zu sehen.

₺241,64

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Litres'teki yayın tarihi:
22 aralık 2023
Hacim:
310 s. 1 illüstrasyon
ISBN:
9783960081777
Telif hakkı:
Автор
İndirme biçimi: