Kitabı oku: «Mudlake - Willkommen in der Hölle»

Yazı tipi:

MUDLAKE

WILLKOMMEN IN DER HÖLLE

1. Auflage

Veröffentlicht durch den

MANTIKORE-VERLAG NICOLAI BONCZYK

Frankfurt am Main 2021

www.mantikore-verlag.de

Copyright © MANTIKORE-VERLAG NICOLAI BONCZYK

Text © M. H. Steinmetz

Umschlaggestaltung: Jelena Gajic & Matthias Lück

Lektorat: Andre Piotrowski

Satz: Karl-Heinz Zapf

VP: 314-178-01-03-0421

eISBN: 978-3-96188-143-7

M. H. Steinmetz

MUDLAKE

WILLKOMMEN IN DER HÖLLE

Roman


Inhalt

1863: Prolog

1976: Road Trip

1864: Bushwhackers Raid

1976: Die Hitze der Jugend

1864: 52 Knoten

1976: Kinder des Mais

1976: Die Carlin-Brüder

1876: Welcome to Deadwood, South Dakota

1976: The White House Inn

1976: McCall’s Prairie Market and Store

1876: Eine denkwürdige Zusammenkunft im Nuttall & Man’s

1976: Ein guter Zeitpunkt, um die Suche zu beenden

1976: JD’s Tavern

1876: The Gem Varieté Theater

1976: Carlin’s Gas Station - Best in the Northern Plains

1876: Das Loch

1976: Batterien und Bier

1976: Totenvögel

1876: Verdammt will ich sein, wenn das kein guter Tag ist!

1976: Der Käfig

1976: Du weißt, was du zu tun hast

1876: Pulverdampf und Springfield Rifles

1976: Amy-Lee

1976: Dämonen des Südens

1876: Labyrinth

1976: Friss oder stirb

1976: Haben die in Iowa noch die Todesstrafe?

1876: Annabelle

1976: Nitroglyzerin

1976: Der Olymp der Zügellosigkeit

1876: Ich mach uns eine leckere Pfanne

1976: Helter Skelter

1976: Mum kocht schon seit Jahren nicht mehr

1876: Saloon Nr. 10

1976: Weil wir das hier eben so machen

1976: Monster

1876: Toter Nummer 4 - Gott sei seiner armen Seele gnädig!

1976: Wer wird überleben und was wird von ihnen übrig sein?

1976: Kloake

1876: Augen wie geschmolzener Stahl

1976: Das ist Iowa, Babys - Schweinedung und Mais, so weit das Auge reicht

1976: Er kommt

1876: Die Paullin-Farm

1976: Fünf Minuten

1976: Schwarze Wirbel

1876: Pfade, die sich kreuzen

1976: Ein uralter, vergessener Gott

1976: Entscheidungen

1876: Mudlake

1976: Verrecke!

1976: Ketten und Haken

1876: El Diabolo

1976: Verdorben bis ins Mark

1976: Eine McCall schoss nie daneben

1876: Elenor

1976: Ich will sehen

1876: Das alte Lied von Unterdrückung und Sklaverei

1976: Die Kiste

1976: Sixgun Wedding

1876: Geschmolzenes Blei

1976: Night of the Living Dead

1876: Inferno

1976: Der mopsige Behemoth!

1876: Blaues Licht



Prolog

21. August – Lawrence, Kansas

»Treibt sie aus den Häusern!« William T. Anderson, Captain der Missouri Partisan Rangers, bellte den Befehl wie ein tollwütiger Hund und trieb seinem Pferd die Sporen in die Flanken, dass es sich vor Schmerzen schreiend aufbäumte. Mit harter Hand rang er es nieder, denn es hatte nicht aufzubegehren. Sein zerzaustes, schulterlanges Haar und der volle, aber ungepflegte Bart verliehen ihm das Aussehen eines erbarmungslosen Streiters. Die graue, zerschlissene Uniform mit den gelben Abzeichen hob sein wildes, womöglich bösartiges Wesen überdeutlich hervor. Kaltblütig schoss er einem kleinen Mädchen in den Kopf, das weinend aus einem brennenden Holzhaus stürzte. Er lachte, weil ihr Schädel unter der Einwirkung der Kugel wie eine überreife Tomate zerplatzte. Puppe und Kind fielen in den Schmutz. Der sterbende Körper scharrte im Dreck, bis die Muskeln den Tod akzeptierten. »Gewährt keine Gnade, sag ich! Kein Erbarmen!«

Die Luft war erfüllt von entsetzten, ja ungläubigen Schreien wegen der hemmungslosen Gewalt, die ein böser Gott namens Krieg über sie niedergehen ließ. Vom Weinen kleiner Kinder, die sich verzweifelt an ihre toten Mütter klammerten, die von Pferdehufen zertrampelt im Straßenschlamm lagen. Dem um Gnade flehenden Winseln junger Frauen, wenn die Raider sie an den Haaren packten und ihnen die Röcke vom Leib schnitten, damit sie über sie herfallen konnten, um ihre Löcher zu stopfen.

Eine Einheit Bushwhackers, das waren unabhängig von der regulären Armee operierende Partisanen, galoppierte johlend die Main Street entlang, trieb eine Gruppe Männer wie Rinder vor sich her. Viele der stolpernden Kerle trugen die Longjohns der vergangenen Nacht, einige rannten nackt und von Striemen überzogen um ihr armseliges Leben. Die Reiter kesselten die Männer ein und metzelten sie mit Säbeln und Bullenpeitschen nieder, bis der letzte von ihnen blutend und zerstückelt im Dreck lag.

An der großen Kreuzung zwischen der Bank und dem Vergnügungshaus für zahlungskräftige Gentlemen stürmten Bushwhackers mitsamt ihren Pferden in den Saloon, um einen zaghaft aufkommenden Widerstand einiger blau gekleideter Soldaten im Keim zu ersticken. Lachend ritten sie Tische und Stuhl zu Bruch, trieben verzweifelte Männer und Frauen nach oben und dort aus den Fenstern. Wer in den Straßenmatsch stürzte, wurde von Pferden niedergetrampelt, erschossen oder erschlagen.

Pulverdampf zog wie zäher Nebel durch die Straßen. Die Reiter trieben die Einwohner von Lawrence vor dem Saloon zusammen. Beißender Qualm vermischte sich mit dem scharfen Gestank menschlicher Ausscheidungen, weil sich viele der gequälten Menschenkreaturen vor Todesangst in die Hosen oder Röcke machten.

»Es gibt nichts Berauschenderes als den Geruch des Krieges.« Captain William Clark Quantrill saß mit einem übergeschlagenen Bein auf seinem Pferd und zog genüsslich an einer glimmenden Zigarre. Der Rauch umgab sein kantiges Gesicht wie eine düstere, Unheil verkündende Wolke. »So muss man das mit diesen Yankeeschweinen machen. Es gibt nur diesen einen, zur Hölle heiligen Weg der absoluten Tilgung.«

Eine ältere Frau in einem schlammbespritzten, schwarzen Kleid trat vor ihn hin und fiel mit gefalteten Händen auf die Knie, um für die friedliebenden Einwohner von Lawrence um Gnade zu flehen. Quantrill lachte, gab seinem Pferd die Sporen und ritt sie nieder.

Anderson zügelte sein Pferd neben ihm, ließ es aufgeregt kreiseln. »Ein paar Häuser fehlen noch, dann haben wir alle beisammen!« Er lachte rau, brachte sein Pferd durch einen brutalen Ruck an den Zügeln zum Stehen, sodass es das Maul schäumend aufriss.

Quantrills Blick huschte wie der eines Falken über die apokalyptische Szenerie. Er gab einem seiner Raider einen Wink. »Dort hinten, der Fettsack im Nachthemd!«

Der Raider johlte auf, gab seinem Pferd die Sporen und galoppierte dem Fliehenden hinterher, der versuchte, eins der nahen Maisfelder zu erreichen, die Lawrence wie einen fetten Speckgürtel umgaben. Er zog seinen Säbel und spaltete dem Mann den Kopf bis zum Hals. Mit einem zweiten Hieb schlug er ihm den Schädel gänzlich ab. Der Raider sprang aus dem Sattel, zog den Kopf aus dem Dreck und schleuderte ihn lachend zwischen die Einwohner der einst blühenden Stadt, in der man sich weitab von den verhärteten Fronten des Krieges sicher gefühlt hatte.

Quantrill nickte Anderson zu, als handle es sich um die selbstverliebte Inszenierung eines verschmähten Theaterregisseurs vor einem imaginären Publikum. »Wenn du die Yankees aufhalten willst, musst du ihnen in die ungeschützte Flanke fallen … Du musst zu Satan persönlich werden, deine Männer zu Dämonen, einer fürchterlichen Geißel, der nichts heilig ist.« Er stieß eine Wolke Zigarrenrauch aus, dass sein Gesicht für einen Moment dahinter verschwand und nur der buschige Schnauzbart abstand, um sich vor dem erwachenden Tag zu verdunkeln. Seine kleinen, verkniffenen Augen krochen aus dem Dunst, sein Mund redete düstere Worte. »Werde zu Satan, sag ich, und gib dich mit keinem Geringeren zufrieden! Geh einen Pakt mit dem Bösen ein, um selbst zum Bösen zu werden, nur auf diese Weise kann es funktionieren!«

Anderson steckte seinen leer geschossenen Remington New Model Army Vorderlader weg und zog ein identisches Modell, das geladen war. Es war unmöglich, auf einem tänzelnden Pferd Pulver und Kugeln in die Kammern zu füllen und diese mit dem Ladehebel zu verpressen. »Dieser verdammte Senator James Henry Lane, wegen dem wir gekommen sind, nun, den kann keiner finden … hat sich wohl in den Mais abgesetzt. Sollen wir ’n Feuer legen, um ihn rauszutreiben, Sir?«

Quantrill schüttelte den Kopf und zeigte auf das dicht gedrängte Häuflein menschlicher Schafe. »Erst wenn wir mit denen hier fertig sind. Dazu muss ich allerdings eines von dir wissen, William.«

»Was immer Sie wollen, Sir!«

»Kannst du dir vorstellen, wie es in der Hölle zugeht?«

Anderson lachte, hob den Revolver und suchte sich ein Ziel. Er fand es in einem jungen Mann, der ihn aus der zusammengetriebenen Menge heraus anstarrte. Ein Schuldiger dessen, was in den frühen Morgenstunden über Lawrence hereingebrochen war. Einer, der nichts dagegen unternommen hatte, weil er ein Feigling war. »He du, langer Kerl!«, rief er.

Der Mann machte ein überraschtes Gesicht. Er sah sich flehend um und hoffte wohl, dass Anderson einen anderen meinte. Er senkte den Blick und nickte mit sorgenvoller Miene. Er wusste, dass seine letzte Stunde geschlagen hatte. Sein sorgfältig gestutzter Schnauzbart, das weiße Unterhemd und die feinen Hosenträger ließen auf einen Mann schließen, der eher mit Worten als mit Waffen umzugehen wusste. »Ich?«

»Ja, dich mein ich«, rief Anderson ungeduldig. »Komm hierher zu mir, Yankeeschwein!«

Der Mann tat, was Anderson wollte, sah ihn ängstlich und zugleich fragend an.

Anderson lachte. »Mein Captain hat mich gefragt, ob ich mir die Hölle vorstellen kann. Was sagst du dazu, hä?«

»Ich … ich verstehe nicht ganz. Die … Hölle?«

Anderson schoss dem Mann ins Gesicht. »Falsche Antwort, Dummkopf.« Dann, an Quantrill gewandt: »Die ganze Welt ist für mich zur Hölle geworden, seit die Yankees meine Schwester haben sterben lassen. Sie haben mir alles genommen, was ich liebte, mir die Seele aus dem Fleisch gerissen.«

Quantrill grunzte. »Ich kenne deine Geschichte, William Anderson, und ich weiß, das es ’ne beschissene Lüge ist. Du kannst überhaupt nicht lieben … Hast Pferde gestohlen, drüben in Missouri. Deinen Nachbarn in Kansas und ’nen Unschuldigen erschossen, um deinen Vater zu rächen. Die Bosheit steht dir ins Gesicht geschrieben, so sieht’s aus und nicht anders!«

Anderson wich seinem Blick nicht aus, kaute auf der Unterlippe herum. »Mein Leben ist die Hölle, Sir, das ist wahrlich nicht gelogen!«

»Dann wird es Zeit, dass du deiner Hölle ein Gesicht verpasst!« Ein aufbrausender Wind wirbelte Staub auf, der sich mit dem Pulverqualm zu einem düsteren Nebel vermischte und das Sonnenlicht über den Dächern von Lawrence fraß. Quantrill drehte sich im Sattel um, denn ihnen blieb nicht mehr viel Zeit. »Zusammentreiben und durchzählen! Ich will die Namen jedes Einzelnen dieser Schweinehunde auf einem Papier haben … Patterson, nimm dir ein paar Männer und räum die Bank aus. James, nimm dir die Geschäfte vor. Alles, was Wert hat, geht mit!«

Anderson sah auf den Leichnam ohne Gesicht hinab. Rauch stieg aus dem Loch in seinem Kopf. »Es ist so weit, Sir!«

Quantrill nickte, weil es genau das war, was er hören wollte. »Dann lass deine Hölle auf Lawrence los, Anderson. Du hast hier jetzt das Sagen!« Damit wendete er sein Pferd und preschte mit einer Handvoll Raider davon. »Wir sehen uns beim Treffpunkt in Missouri!«, rief er über die Schulter zurück, bevor ihn der pulverdampfende Nebel verschluckte.

Anderson lächelte. Er wusste, dies war sein Augenblick, und Quantrill hatte ihm diesen geschenkt. All die Wut, die sich sein Leben lang aufgestaut hatte, die ihn regelrecht dazu zwang, sich über jedes Gesetz zu erheben, zu morden und zu stehlen, wurde zu einem legitimen Mittel, um Vergeltung zu üben. Das Tor zur Hölle hatte sich aufgetan und er würde alles dafür tun, um es offen zu halten.

Um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, schoss er in die Luft. »Raiders, treibt die Frauen in die gottverdammte Kirche und vernagelt die Türen!«

Unter den etwa zweihundert zusammengetriebenen Einwohnern brach Unruhe aus. Einige besonders mutige Ehemänner wollten ihre Frauen nicht ziehen lassen, weil sie befürchteten, was zu befürchten war. Kinder klammerten sich weinend an die Beine ihrer Mütter, wurden mitgeschleift.

»Was is’n mit den Bälgern?«, wollte ein Raider wissen. Er hielt eine bluttriefende Bullenpeitsche in der Hand. Ein rauer Kerl mit faulen Zähnen, der seinen Verstand in den Wirren des Krieges verloren hatte.

»Hängt sie auf, ihr Hunde. Das soll ’n verfluchtes Mahnmal werden!«, knirschte Anderson und grinste hämisch. »Gleich hier, am Balkon des Saloons, in einer Reihe!«


Road Trip

August, irgendwo in Iowa

»The Ramones? Was is’n das für’n schräger Mist?« Jamie Peterson strich sich sein braunes, zerzaustes Haar nach hinten, riss seinen Mund auf und gähnte herzhaft, während er die Musikkassette unschlüssig in der Hand drehte. Er war müde und genervt von der langen Busfahrt, die kein Ende zu nehmen schien. Zudem schwitzte er wie ein Schwein.

»Is’ echt der Wahnsinn, ich sag’s dir! Punkrock, Mann! Hab’s im Radio aufgenommen! Brandneu, kriegst nicht in ’nem Laden hier.« Brady rutschte aufgeregt auf der durchgesessenen Sitzbank des Schulbusses umher, der sich zwischen endlos erscheinenden Maisfeldern eine Landstraße entlangquälte. Er war enttäuscht, dass Jamie die Band nicht kannte. Dass dieser sich nicht von seinem schnell und gern aufbrausenden Enthusiasmus anstecken ließ. Andererseits war es kein Wunder, wenn man ihn sich ansah, in den stets schmutzigen Jeans und dem karierten Hemd, das seine beste Zeit längst hinter sich hatte und dem der Begriff »altmodisch« geschmeichelt hätte. Brady war anders. Er trug sein Haar lang und wild, mochte T-Shirts mit V-Ausschnitt, die eng am Körper saßen, und Jeanshosen mit Schlag, wie man sie in England trug, weil das verdammt cool war. »Punkrock«, wiederholte er enttäuscht. »Der aufstrebende Protest der vergessenen Generation X!« Womöglich lag es daran, dass er achtzehn war und Jamie ein Jahr jünger.

Dämliches Landei …

»Mach mal das Fenster auf, sonst erstick ich hier noch«, maulte Jamie stattdessen und gab ihm das Tape zurück. Anscheinend merkte er, dass sein Freund angepisst war, und versuchte einzulenken. »Meinetwegen, ich hör’s mir an, wenn wir angekommen sind … dafür gibst du aber jetzt damit Ruhe, okay?«

Bradys Miene hellte sich auf. »Yeah, Mann, alles cool!« Brady fuhr sich mit den Fingern über die Lippen, mimte einen Reißverschluss. Er stellte sich auf und griff nach dem Hebel, um die Scheibe nach unten zu ziehen. Sein Kumpel hatte recht, die Luft im Bus roch in der Tat verbraucht wie abgestandener Atem. Manchmal, wenn ein Lufthauch von unten durch den Bus zog, roch es fürchterlich nach Schweiß und nassen Socken. Kein Wunder, denn die Sonne brannte nur so vom Himmel. Brady hasste den Sommer. Der August war der schlimmste Monat von allen. Dann glühte in New York, wo sie herkamen, der Asphalt und die Abgase zogen nicht mehr aus den Häuserschluchten hinaus. Aber hier auf dem Land verhielt es sich kaum besser. Hier gab es keinen Schatten, sondern nur diesen verdammten Mais.

Winzige, gelbe, alles verhöhnende Gesichter …

Er schirmte sich die Augen ab, weil ihn die tief stehende Abendsonne blendete, und ließ seinen Blick über die Maisfelder schweifen. In einiger Entfernung gab es eine Baumgruppe, dazwischen ein paar Gebäude, die marode und verlassen wirkten. Dennoch war er sich sicher, dass sich dort etwas bewegt hatte. Kaum mehr als ein huschender Schatten, der sich zwischen die windschiefen Holzbauwerke duckte, während der Bus vorüberfuhr. Er hob die Schultern, entriegelte die Scheibe und zog sie nach unten.

Krass. Wie in »The Hills Have Eyes« Jetzt ’ne Autopanne, und wir sind geliefert …

Für Brady das reinste Futter für seine ausgeprägte Fantasie. Er war ein echter Horrorfreak. Ob Filme oder Bücher, er nahm alles mit. Natürlich auch den italienischen, richtig krassen Scheiß. Die neue Generation von Filmen, in denen Blut und Gedärme nur so spitzten und es nicht ganz offensichtlich war, ob es Maske oder Snuff war. Gab ja schließlich ’ne Menge Gerüchte darüber. Einer der älteren Jungs aus dem Waisenhaus jobbte als Filmvorführer und schleuste ihn an den Wochenenden ins Kino, wenn was Entsprechendes lief. Wes Cravens »The Hills Have Eyes« hatte er letzten Sonntag gesehen. Ein Hammerfilm, der alles bisher Dagewesene übertraf.

Mutierte Freaks in den Hügeln, ahnungslose Spießer … Massaker pur!

Brady ließ sich schwer in den Sitz fallen und grinste Jamie an. Abgesehen von Punkrock-Musik gab ein weiteres Thema, das ihn brennend interessierte: Mädchen!

»Was meinst du, wer ist schärfer: die O’Hara oder die Neue, Hope?«

Jamie rieb sich die Augen. Ihm machte die Hitze arg zu schaffen. Er dachte einen Moment über Bradys Frage nach. Schwester O’Hara war ihre Lehrerin, hatte die Fahrt nach South Dakota organisiert, damit sie für den Sommer aus dem kochend heißen Moloch New York rauskamen. Er schätzte sie auf jenseits der vierzig bis knapp unter fünfzig. Ein fieses Grinsen stahl sich in sein Gesicht. »Ganz klar die O’Hara. Selbst in ’nem grauen Sack hat die ’ne rattenscharfe Figur. Außerdem«, er schnalzte mit der Zunge, »hab ich gesehen, dass sie ’ne echte Blondine ist.«

Brady musste nicht lange nachdenken, um zu wissen, was er damit meinte. »Ich dachte, Nonnen tragen diese graue Zirkuszeltunterwäsche. Alter, wir hab’n ’ne heiße Nummer als Lehrerin.« Er beugte sich verschwörerisch zu Jamie und zwinkerte ihm zu. »So wie in dem Film, den wir heimlich geschaut haben. Weißt, was ich meine.« Er kicherte. »Musst mal ’n Blick auf ihr Schwesternkleid werfen, wenn die sich bückt und sich der Stoff an ihren Körper schmiegt. Ich schwör dir, die hat nichts drunter, genau so, wie du’s sagst …«

Jamie grinste. »Yeah, ich wette, die ist …« Eine zusammengerollte Zeitschrift schlug von hinten auf seinem Kopf ein und stoppte seinen Redefluss. »Autsch …!« Jamie sprang auf und drehte sich auf der Bank um, damit er sah, wer ihn geschlagen hatte.

»Ihr seid so was von bescheuert«, kommentierte Hope sein Gespräch mit Brady. Jamie wurde feuerrot, weil ihm schlagartig bewusst war, dass sie nicht nur das mit der O’Hara mitbekommen hatte, sondern auch die Vergleichsfrage.

Gleich zu Beginn der Klassenfahrt unten durch … voll verkackt …

»Ich sollte es ihr stecken, damit sie euch die verdammten Ohren langzieht!« Sie musste alles mit angehört haben. Ihm war peinlich, dass er sich von Brady zu solchen Äußerungen hatte hinreißen lassen. Hope hatte verdammt noch mal recht, sich so aufzuregen. Jetzt galt es, Schadensbegrenzung zu betreiben, damit Hope sie nicht bei ihrer Lehrerin verpfiff. Schwester O’Hara war der Inbegriff der Unerbittlichkeit. Lachen stand bei ihr ebenso wenig auf dem Programm wie Barmherzigkeit.

Hope hatte ihn von der ersten Sekunde an fasziniert, vor allem, weil sie der Sängerin von Blondie ähnlich sah. Sie hatte glattes, weißblondes Haar, das ihr bis zum unteren Rücken reichte. Ihr knackiger Hintern und die kleinen Brüste wirkten ihrem Alter entsprechend jugendlicher als bei der Sängerin. Sie grinste die beiden Jungs keck an. »Also, wie war das denn gleich, wer schärfer ist, hm? Denkt mal genau drüber nach!«

Jamies Gesicht glühte. Er wollte im Erdboden versinken, während sich Brady auf der Bank möglichst klein machte. Hätte es einen Weg gegeben, um im Erdboden zu versinken, er hätte ihn genutzt. »Na ja, wir dachten nur …«, stammelte Jamie und rang um einen Ausweg aus der für ihn äußerst peinlichen Lage. Er sah zwar nach hinten, wo Hope mit ihren Freundinnen Cherryl und Lissy saß, war sich aber sicher, dass ihn jeder im Bus anstarrte. Er konnte ihre hämisch grinsenden Gesichter vor seinem geistigen Auge sehen, wie sie einander feixend ansahen und hinter vorgehaltener Hand tuschelten.

»Ich bezweifle, dass ihr überhaupt denken könnt«, erwiderte Hope zwinkernd und ließ sich nach hinten neben ihre Freundinnen auf die Bank fallen. Brady schielte zwischen den Sitzen hindurch. In Jamies Augen musste sie in dem Jeansmini, der geknoteten roten Bluse und den Cowboystiefeln wie eine Göttin wirken.

Sie ist ’ne verdammte Sexgöttin …

Brady beschloss, Hope sein besonderes Augenmerk zu widmen, sobald sie an ihrem Zielort in South Dakota angekommen waren. Er würde von dieser Fahrt nicht als Jungfrau zurückkehren, egal was Schwester O’Hara anstellen mochte, um ihn davon abzuhalten.

Die schwarzhaarige Lissy, die eine knallenge Schlagjeans trug, von der man denken konnte, jemand hätte sie darin eingenäht, kicherte albern. »Der sabbert doch gleich.« Sie stellte einen Fuß nach oben und spielte mit ihren rot lackierten Zehennägeln vor Jamies Gesicht herum. »Lutsch meinen Zeh, Jamie Peterson!«

Brady kniete sich jetzt ebenfalls auf die Bank, um seinem Kumpel beizustehen, der mit den Mädchen offensichtlich überfordert war. »Hey, lass Jamie in Ruhe, blöde Zicke. Spiel deine verdammten Spielchen mit ’nem anderen!«

Lissy zeigte ihm den Mittelfinger, verschränkte beleidigt die Arme und sah aus dem Fenster. »Du bist ’n Idiot!«

Die beiden anderen Mädchen kicherten. Hope strich eine Strähne aus dem Gesicht. »Lass gut sein, Brady, bist echt nicht mein Typ.«

Brady keuchte, suchte nach einer passenden Antwort, doch ihm wollte keine einfallen. Hope lähmte sein Denken, machte ihn tumb.

Cherryl, die ihren atemberaubenden Cheerleaderkörper in eins dieser Lycra-Minikleidchen zwängte, sprang in die Bresche, sah ihn mit schüchternem Augenaufschlag an und setzte einen obendrauf. »Och, is’ er jetzt traurig, der Kleine … weil er nicht mitspielen darf?« Sie schnalzte obszön mit der Zunge, um ihn zu provozieren.

Brady hasste es, wenn die Mädchen derart herablassend mit ihm redeten. Es machte ihn stinksauer. Sie hatten alle eine beschissene Kindheit hinter sich, ohne Frage. Manche von ihnen waren durch die Hölle gegangen, hatten alles verloren. Doch das St. Marys hatte sie allesamt aufgenommen, egal welche Geschichte sie ihnen auftischten oder wie daneben sie sich verhielten. Cherryl hatte kein Recht, ihn auf diese Weise fertigzumachen.

Wenn sie doch nur nicht so ein höllisch scharfes Gerät wär …

Innerlich brodelnd legte er Jamie eine Hand auf die Schulter. »Scheiß drauf, Jamie, die schafft’s nicht, dass ich mich aufrege …«

Jamies Lippen formten ein »Was soll das denn jetzt?« als stumme Frage und er ließ sich auf die Bank sinken. »Sag mal, was war’n das?«

Brady setzte sich den Kopfhörer auf und drückte auf dem klobigen Kassettenrekorder die Taste Play nach unten, bis sie laut klickte. Das Gerät hatte die Größe einer Handtasche und steckte in einer mit Löchern perforierten, braunen Kunstlederhülle. Es war schwer und unhandlich, verbrauchte außerdem eine Menge Batterien, aber das war es ihm wert. Er schob den Lautstärkeregler weit nach oben, bis die Welt im Sound von Sheena Is a Punk Rocker von den Ramones versank und er nicht mehr in dem schaukelnden, nach Schweiß stinkenden Bus saß.

Wenn wir von diesem Scheißtrip zurück sind, zieh ich los und besorge mit ’ne vernünftige Lederjacke und schwarze Jeans … Anschließend werden wir sehen, wer nur spielen will … Dann geht’s so richtig horrorfilmmäßig ab …

Als er bei Here Today, Gone Tomorrow angekommen war, stieß ihm Jamie schmerzhaft in die Rippen. Brady riss sich den Kopfhörer von den Ohren. »Mann, bist du irre?«

»Sorry, aber …« Jamie deutete nach vorne. Schwester O’Hara war aufgestanden, sah durch die Frontscheibe des Schulbusses und schien sich mit dem Fahrer zu unterhalten. Sie stand vornübergebeugt da, dass sich unter dem dünnen Stoff der sommerlichen Schwesternbekleidung ihr runder Hintern deutlich abzeichnete. Am Steuer saß der fette Mister Kindermann, der aus Louisiana kam und von allen mit seinem Vornamen Bart angesprochen werden wollte, aber in diesem lang gezogenen, bescheuerten Südstaatenslang.

Boooort …

Brady konnte die rot-verschwitzte Baseballmütze sehen, die er auf seinem footballgroßen Kopf trug, und wie sie sich nickend bewegte. Kindermann war ein geiler Bock, der den jungen Dingern hinterhergaffte, bis ihm der Sabber aus den stets feuchten Mundwinkeln tropfte. Kein Wunder, dass er sich die Finger nach dieser Fahrt geleckt hatte, denn die Hälfte der zwanzig Jugendlichen waren Mädchen.

Die fette Hand des Fahrers schaltete einen Gang runter, dann einen weiteren. Der Motor heulte protestierend und die Bremsen kreischten trocken, bis der Bus schaukelnd zum Stehen kam. Brady stand wie alle anderen auf und sah aus dem Fenster, um den Grund des ungeplanten Stopps zu erfahren. Sie befanden sich mitten im Nirgendwo auf der Landstraße, die sich wie eine schnurgerade Narbe durch die endlosen Maisfelder zog. Nichts hatte sich in den letzten Stunden an der Landschaft verändert. »Beschissene Iowa-Einöde …«

Kindermann bewegte den langen Hebel, um von seinem Sitz aus die vordere Tür zu öffnen, damit er und Schwester O’Hara aussteigen konnten. Brady fing an zu grinsen, stieß Jamie an und beugte sich dicht an das Ohr seines Freundes. »Sieh dir nur diesen geilen Hintern an. Hundertprozentig hat die nichts drunter.«

Jamie kicherte heiser, ging aber nicht auf die Bemerkung Bradys ein. »Is’n Motorradfahrer.«

Brady runzelte die Stirn. »Was?«

»Na, weswegen wir angehalten haben«, erklärte Jamie. »So’n Kerl, der mit seiner Mühle Probleme hat.«

»Ihr miesen kleinen Spacken … hab genau gehört, was ihr über unsere Lehrerin gesagt habt«, zischte ihnen Hope warnend zu, während sie an ihnen vorbeischlüpfte, um auszusteigen. »Armselige Wichser! Sollte ihr vielleicht mal stecken, was in euren kranken Birnen vorgeht.«

Jamie wurde feuerrot, obgleich er es nicht gewesen war, der das über die O’Hara gesagt hatte. Resignierend sank er auf seinen Sitzplatz zurück. »Werd nie bei der landen, solang du solchen Mist laberst …«

Brady hörte ihm nur beiläufig zu. Er dachte an etwas vollkommen anderes. An den Film The Hills Have Eyes und den Schatten, den er zwischen den verlassenen Hütten gesehen hatte. Ein geheimnisvoller Beobachter, der es vorzog, in den Schatten zu bleiben. Es passte einfach alles.

Hab doch gleich gewusst, dass die Sache spannend wird …