Kitabı oku: «Mudlake - Willkommen in der Hölle», sayfa 6

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Auf dem Bett …

Dad hatte mit Reißzwecken ein Bild von ihr an das Türblatt gepinnt, damit er nie vergaß, was für ein Mensch sie gewesen war. Vivian wischte mit ihrem Shirt den fetttriefenden Schleim von der Fotografie.

Mutters schmierige Spuren …

Das vergilbte Papier zeigte ihre Mutter vor einem strahlend blauen Himmel. Sie hatte den Mund zu einem Lächeln geöffnet, sodass man ihre gebleichten Zähne sehen konnte, trug eine leichte, helle Bluse und fasste sich mit einer Hand in ihr rotbraunes, gelocktes Haar, das ihr bis über die Schultern fiel.

Grüne Augen, dachte Vivian. Ein leuchtendes, freundliches Grün.

Es war das erste Mal, dass sie ihr strahlendes Lächeln bewusst wahrnahm. Die grünen Augen hatte sie von ihrer Mutter geerbt, auch wenn ihre viel dunkler und tiefgründiger waren.

Das ist das Einzige, was ich von ihr habe …

Vivian hatte ihre Mutter nie richtig kennengelernt, konnte sich nur vage daran erinnern, wie sie als Mensch gewesen war. Winzige Momente, von denen sie nicht wusste, ob sie ihrem Wunschdenken entsprachen oder Wirklichkeit waren.

Kindheitsträume …

»Viviaaaaan!«

Träume, die zerplatzten …

Sie atmete tief durch und legte ihre Hand auf den Drehknauf, um die Tür zu öffnen, tauchte mit den Fingern tief ins eitrige Geschmier. Aber sie zog die Hand nicht zurück. »Mum, ich komm jetzt rein.«

Vivian öffnete die Tür und fand sich in der Hölle wieder.


Eine denkwürdige Zusammenkunft im Nuttall & Man’s

James drehte das Whiskeyglas zwischen seinen Fingern, wie er es immer tat, wenn er nachdachte. Mantel und Hut hingen an der Garderobe des Hinterzimmers. Ebenso seine nasse Jacke. Er hatte sich die Zeit genommen, aus den Satteltaschen ein frisches, rotes Hemd zu holen und es anzuziehen. Die feuchte Weste hatte er wieder übergezogen, um anständig zu erscheinen. Vor ihm auf dem Tisch lag ein abgegriffener Stapel Pokerkarten. Ein Relikt seines früheren Lebens.

Jane saß ihm zugeknöpft in Hut und Jacke gegenüber. Er fand, dass sie im Gegensatz zu ihrem letzten Zusammentreffen blass geworden war und dünner. Ihr Blick sprach Bände. Sie war eine Frau, die Probleme gerne selbst und alleine erledigte. Es musste etwas Gravierendes sein, dass sie sich Hilfe von anderen holte.

Das Lärmen im Saloon und das Geklimpere am Klavier drangen verhalten zu ihnen vor. James schenkte sich nach und schob Jane die Flasche zu. »Erzählst du mir, was dich bedrückt?«

Jane schenkte sich ein und atmete geräuschvoll durch die Nase. Ihre Züge umspielten eine Härte, die er nur von Frauen kannte, die ihr Leben in den Territorien abseits von Gesetz und Ordnung selbst in die Hand nahmen. Er dachte an die Zeit zurück, in der sie zusammen geritten waren. An den Scoutjob bei der US Army und die Nacht, in der sie sich das erste Mal nähergekommen waren.

»Wir erwarten noch Gäste«, holte ihn Jane aus seinen Gedanken zurück und wich gleichzeitig der gestellten Frage aus.

»Wen?«

Anstelle einer Antwort nickte Jane zur Tür, denn von dort wurde es plötzlich laut. Jemand musste sie geöffnet haben. James fuhr herum, die Hand auf dem Griff seines Colts. Er hatte nicht aufgepasst. Und er saß mit dem Rücken zur Tür, ein weiterer Fehler. Ein Leichtsinn, der ihm zum Verhängnis werden konnte. Früher, in den wilden Zeiten, wäre ihm das nicht passiert.

Ein vollbärtiger, zerzauster Mann in Handschellen taumelte in das Hinterzimmer, gestoßen von einem hochgewachsenen, hageren Mann in dunkelgrauem Anzug und schmierigen Stiefeln. Der Zerzauste blieb in einiger Entfernung von dem Tisch, an dem Jane und James saßen, stehen und straffte seine Haltung. Sein Blick war hungrig und ausgezehrt, weswegen James an einen straffällig gewordenen Goldgräber dachte. Der harte, unbarmherzige Zug in den Augen des Mannes sprach eine andere Sprache. Der graue Wollstoff seiner Hose war zwar schmutzig, doch die braunen Stiefel wirkten gepflegt wie das karierte Hemd, das jetzt allerdings aus der Hose hing.

Der Mann hinter dem Gefangenen hielt eine Schrotflinte in der Hand. Ein sauber polierter Colt neuerer Bauart lugte an seiner Seite unter der Jacke hervor. James hatte den Mann vor dem Eisenwarenladen gesehen. Das glänzende Abzeichen am Revers der Jacke bezeugte, dass er zu einer Art selbst ernannter Bürgerwehr gehörte.

James sah Jane an, als hätte sie ihn gerade verraten. Es war nicht lange her, dass er mit dem Gesetz aneinandergeraten war. Er hatte keine Lust, das zu wiederholen. »Verdammt, Jane, was soll das?«

Sie nickte in die Richtung der beiden Männer. »Darf ich vorstellen? Das ist Seth Bullock, der neuerdings mit seinen Männern in Deadwood für Ordnung sorgt. Er kandidiert übrigens für den Sheriffposten. Die Wahl steht nächste Woche an und es ist die erste ihrer Art in diesem Nest.« Ihre Augen verengten sich, während sie sprach. »Und dieses Stück Südstaatendreck ist kein Geringerer als John ›Broken Nose‹ Jack McCall.«

James stand langsam auf, darauf bedacht, keine Bewegung zu machen, die Bullock zu voreiligen Handlungen hätte hinreißen können. Er hatte viele dieser Männer kennengelernt und jedes Mal hatte es Ärger gegeben.

Seth Bullock hatte inzwischen die Tür geschlossen. Sein harter Blick bohrte sich in den von James. »Sie sind also der Revolvermann, von dem Jane gesprochen hat.« Begleitet von einer verächtlichen Note spuckte er einen Klumpen Kautabak auf den Boden.

James sah zu Jane, die entschuldigend mit den Schultern zuckte, und dann zurück zu Bullock. »Ich habe vor einiger Zeit aufgehört, auf Menschen zu schießen. Ich bin gekommen, weil mich eine Freundin um Hilfe gebeten hat, sonst hat mich nichts bewogen.« Er atmete langsam aus. »Oft reicht meine bloße Anwesenheit, um Dinge zu klären. Nur damit ihr es alle wisst, ich werde von meiner Regel nicht abweichen.«

»Die Dinge, wie du es überaus treffend bezeichnest, bedrohen weit mehr als nur Deadwood«, erklärte Jane und trat neben James, damit sie ihn ansehen konnte. »Ich habe dir im Telegramm geschrieben, dass das Böse in Deadwood Einzug gehalten hat. Das meinte ich wörtlich.« Sie machte eine kurze Pause in ihrer Rede. »Und ich bin mir sicher, dass du deine Grundsätze in diesem speziellen Fall überdenken wirst!«

Seth Bullock gab McCall einen weiteren Stoß in den Rücken. »Setz dich auf den Stuhl dort drüben, damit ich dich im Auge behalten kann.« Dann ging er zum Tisch, um sich ebenfalls ein Glas Whiskey einzuschenken. »Es fällt mir schwer, das zu sagen, aber was Jane sagt, entspricht der Wahrheit.« Er trank sein Glas mit einem Zug leer. »Womit wir es zu tun haben, ist das Böse und es kommt direkt aus der Hölle! Anders kann ich’s nicht nennen!«

James wusste nicht recht, wie er darauf reagieren sollte. Er sah alle der Reihe nach an: seine verstört wirkende Freundin, den harten Seth Bullock, zuletzt den Gefangenen, der ihn hoffnungsvoll ansah. Er wollte lachen, sich über den misslungenen Scherz lustig machen. Er dachte daran, den Nuttall & Man’s Saloon durch die Vordertür zu verlassen, sich auf sein Pferd zu setzen und davonzureiten, um das Treffen und das, was besprochen worden war, aus seinem Gedächtnis zu tilgen, bevor es ihn verseuchte. Es war Janes Blick, der ihn dazu bewog zu bleiben. Er hatte sie noch nie derart verunsichert, womöglich ängstlich gesehen. Also nickte er langsam, nahm seinen Hut ab und fuhr sich durch sein dichtes, langes Haar. »Ich werde mir eure Geschichte anhören. Diese Chance gebe ich euch, mich davon zu überzeugen zu bleiben. Gelingt euch das nicht, setze ich mich unverzüglich auf meinen Schimmel und reite zu meiner Frau nach Cheyenne zurück und ihr seht mich nie wieder.«

»Klingt fair«, urteilte Seth und setzte sich an den Tisch, allerdings so, dass er McCall im Auge behalten konnte.

Jane setzte sich und schenkte die Gläser voll. »Broken Nose soll erzählen!«

James schnaufte, setzte sich aber ebenfalls, weil er vermutete, das dessen Schilderung einige Zeit in Anspruch nehmen würde.

McCall fing an zu erzählen. Ein unstetes Feuer aus Angst und Verzweiflung glomm hinter seinen eng beieinanderstehenden Augen, gepaart mit einer seltsamen Art von Wahnsinn, die schwer einzuschätzen war. Was er zu sagen hatte, hatte im Bürgerkrieg mit den Bushwhackers unter Bloody Bill Anderson seinen Anfang genommen. Die Gräuel von Lawrence und Centralia schnitt er dabei nur beiläufig an. Selbst das mit dem Hinterhalt, bei dem die Bushwhackers aufgerieben wurden, schien ihm nicht sonderlich wichtig zu sein. Was er jedoch im Detail schilderte, war der Zwischenfall in den Plains, wo Bloody Bill Anderson seinen Kumpan Al Swearengen mit diesem stinkenden, schwarzen Teer übergossen hatte, der aus seinem Mund gekommen war.

»Moment mal!«, stoppte James seinen Redefluss. »Anderson wurde 1864 in Ray County erschossen, soweit ich das gelesen habe.«

McCall lachte trocken. »Das machen die Yankee-Zeitungen der Welt glauben. Mag ja stimmen, was den Menschen Anderson betrifft. Aber so wahr ich hier sitze, er wurde zu etwas anderem!« McCall sah sie der Reihe nach an, nickte. »Bloody Bill Anderson wurde zu einer Ausgeburt der Hölle. Und ich schwöre bei Gott, dass er das mit dem schwarzen Zeug mit Swearengen getan hat!«

James schnaufte und trank.

Womöglich hat Anderson alle ausgetrickst und ein anderer ist an seiner statt gestorben – wer kann das schon mit Bestimmtheit sagen?

Wenn das in dieser Art weiterging, würde er eine Menge Whiskey brauchen, um damit klarzukommen. »Meinetwegen hat er Swearengen mit dem schwarzen Zeug bespuckt. Aber wie ging’s weiter?«

McCall schluckte trocken, leckte sich die Lippen und starrte die Flasche an. »Hast dir ’nen Schluck verdient«, grunzte Bullock, schenkte ein Glas voll, stand auf und brachte es McCall. »Mehr gibt’s aber erst, wenn du fertig bist!«

McCall trank mit gierigen Schlucken, legte den Kopf in den Nacken und atmete erleichtert auf. »Aaah, tut das gut …« Er drehte das Glas zwischen seinen Händen, während er sprach. »Wir mussten Bloody Bill einen weiteren Tag begleiten, bis wir mitten im Nirgendwo einen See, nein, eher ’nen schlammigen Tümpel erreichten. Ich fragte mich, wie er den überhaupt finden konnte, wo er doch nie zuvor in Iowa gewesen war.« McCall trank den Rest seines Glases aus. »Jedenfalls, na ja, es war mitten in der Nacht. Wie ein Geist stand er neben der Glut des erloschenen Feuers, zog sich aus und stieg ins Wasser, um darin unterzutauchen.«

»Er tat was?«, wollte James wissen. Er ging nicht davon aus, dass Anderson es tat, um ein Bad zu nehmen.

»So wahr ich hier sitze, er ging ins Wasser, sag ich. Er tauchte unter und nicht wieder auf. Swearengen lachte wie ein Irrer, sagte was von es hat begonnen und dass ich besser daran täte, nicht so nah am Wasser zu stehen.« Er räusperte sich laut. Es war ihm unangenehm, weiterzusprechen. »Tags drauf ritten wir in die Black Hills zu einem illegalen Goldgräbernest, aus dem die Stadt wurde, in der wir uns jetzt befinden.«

In James’ Kopf rotierten die Gedanken. Es war natürlich möglich, dass sich Anderson im Wahn gefangen das Leben genommen hatte. Oder, was wahrscheinlicher war, dass McCall und Swearengen ihn umgebracht hatten, um in Deadwood neu anzufangen. James sah allerdings keinen Grund, eine derart komplizierte Lügengeschichte zu erfinden, geschweige denn überhaupt eine. Anderson war ein gesuchter Massenmörder, eine Bestie. Zudem lag der Krieg fast zehn Jahre zurück. »Dieser Swearengen, was ist aus dem geworden?«

»Hast du das Gem gesehen? Das Backsteinhaus gegenüber?«, warf Jane ein.

James nickte. »War ja nicht zu übersehen.«

»Al Swearengen ist der Besitzer.«

Er hat es zu was gebracht, dachte James. Wenn du in einer Goldgräbersiedlung reich werden willst, bau einen Saloon mit Spielhalle und stell ein paar hübsche Mädchen ein …

Das lief im gesamten Westen gleich. Es gab die, die für einen kargen Lohn hart schufteten, und die, die es ihnen aus der Tasche zogen, was sie sich mit Schweiß und Blut erarbeitet hatten. Moralisch war das äußerst zweifelhaft, aber als verwerflich hätte er es nicht bezeichnet. »Er ist der Patron der Stadt?«

Bullock knirschte mit den Zähnen. »So ist es. Während der gesetzlosen Tage von Deadwood hat er ’ne Menge Geld gemacht und sich was Anständiges aufgebaut.«

»Die Hölle hat ihm den Weg geebnet«, warf McCall hastig ein.

»Die Hölle, sagst du?« James schüttelte den Kopf, griff zum Glas und stellte fest, dass es leer war.

Jane schenkte nach. »Es stimmt, was er sagt … ich wollt’s anfangs selbst nicht glauben.«

»Verdammt üble Dinge sind geschehen«, meinte Bullock. »Es sind nicht nur die Revolvermänner, die er sich geholt hat … alles ehemalige Bushwhackers, die er von früher kannte.« Er lehnte sich im Stuhl zurück, zog Tabak und Papier aus der Westentasche und begann sich eine Zigarette zu stopfen. »Wir hatten ’nen ziemlich guten Prediger hier, der dem Moloch aus Suff und Gewalt voller Mut entgegentrat. Er fing an, über die Machenschaften Swearengens zu predigen. Bald darauf starb er einen unnatürlichen Tod.«

»Nicht verwunderlich, wenn jemand in das Gebiet eines Patriarchen pisst«, brummte James, der die rauen Sitten der Grenzlande nur zu gut kannte.

»Mag sein«, erwiderte Bullock, »aber wozu schlägt man den Mann kopfüber ans Kreuz und hängt es über den Altar in der Kirche? Ist das üblich?«

James schluckte. Das ging wirklich verdammt weit. Andererseits musste man bedenken, dass die Leute um Swearengen ehemalige Bushwhackers waren, die keinen Skrupel kannten. »Hört sich an, als hätte er erreicht, was er wollte.«

»Er hat ihm das Herz herausgeschnitten und es gegessen«, krächzte McCall heiser. »Hab’s mit eigenen Augen gesehen, weil ich dabei war. Und das hat er nicht nur mit dem Prediger so gemacht!«

»Jeder, der sich gegen ihn stellt, endet auf diese Weise«, bestätigte Jane McCalls Einwurf. »Saloonbetreiber, Händler, selbst Bankangestellte.«

»Und alle, die bisher zumindest ansatzweise das Gesetz in Deadwood vertreten wollten«, murmelte Bullock. Ein geschwefeltes Streichholz flammte auf, mit dem er sich eine Zigarette anzündete.

»Und wie kommt’s, dass Sie noch leben?«, entgegnete James. Bisher hatte er keinen Teufel in Swearengen erkennen können, sondern nur ein resolutes Dreckschwein, das skrupellos seine Ziele verfolgte. »Weil Sie ein besonders harter Schweinehund sind?«

Bullock blies geräuschvoll den Rauch aus. »Ich kam mit meinen eigenen Männern hierher. Wir werden gut von der Mine Company bezahlt, dass wir hier für Ordnung sorgen. Es gab bereits ein paar Zwischenfälle, die ich jedoch als gegenseitiges Abtasten bezeichnen würde.«

Jane räusperte sich. »Da ist noch was anderes.«

James sah sie mit einer hochgezogenen Augenbraue fragend an. Ihm wurde bei der Sache langsam unwohl, weil er nicht in einen Machtkampf zwischen Möchtegern-Gesetzeshütern und einem mordlüsternen Lokalpatriarchen hineingezogen werden wollte. Er war selbst Marshall gewesen, unten in Ellsworth County, Kansas und wusste, dass dabei eine Menge unschuldiges Blut floss. »Und was?«

Jane druckste herum, schob ihr Glas nervös von sich. James wusste, wie schwer es war, Jane zu verunsichern. »Na ja, abgesehen von den Kreuzigungen verschwinden hier in letzter Zeit ’ne Menge Leute. Goldgräber, leichte Mädchen, Reisende, ja sogar Kinder …«

»Du weißt doch, wie es in Städten wie dieser läuft«, grunzte James und strich sich über den Bart. »Manche reisen ab, andere sterben, dann gibt es die speziellen Unfälle, wenn welche aneinandergeraten.« Er zwinkerte ihr zu.

»Das mein ich nicht«, entgegnete Jane, sah ihn aber nicht dabei an. »Die Leute verschwinden und tags darauf macht sich eine Kutsche Swearengens, stabil genug für einen Gefangenentransport, auf und verlässt die Stadt in Richtung Süden.«

»Haben sie ein paarmal ’ne Weile verfolgt«, ergänzte Bullock. »Vier Reiter begleiten den Transport, zwei weitere sitzen auf dem Kutschbock. Sie treiben die Gäule zur Eile an, bis sie schäumen. Haben sie bis an die Grenze von Iowa verfolgt, sind allerdings zurückgeritten.«

»Sie fahren an den See, dorthin, wo Bloody Bill haust«, flüsterte McCall. Ihm war anzusehen, dass er Angst davor hatte, den Namen laut auszusprechen. »Oder das, was aus ihm geworden ist …« McCall nahm im Stuhl eine aufrechte, gestraffte Haltung an. »Um ihn mit Frischfleisch zu versorgen und ihm einen Tempel zu errichten!«

»Was? Mit … Frischfleisch? Etwa von …«

McCall nickte, hielt James’ Blick stand. »Menschenfleisch. Fachgerecht zerlegt und zubereitet im Eiskeller unter dem Gem’s.« Er senkte den Blick. »Was sie mit den armen Leuten dort anstellen, bevor sie sie töten, hat mich dazu bewogen abzuhauen.« McCall keuchte, sank in die ursprüngliche, gekrümmte Haltung zusammen. »Jede verdammte Nacht wache ich auf, weil mich Albträume plagen. All die flehenden Blicke, die sie mir aus ihren aufgerissenen Augen zuwerfen … ich halt das nicht mehr aus.« McCall schluchzte und sah zu Boden.

Eine Weile herrschte Stille im Nebenzimmer. Nur die gedämpften Geräusche aus dem Saloon zeugten davon, dass sie sich inmitten einer geschäftigen, pulsierenden Stadt befanden.

Schließlich war es James, der das Schweigen brach. Aus dem ganzen Gefasel um Tod und Teufel wurde er nicht schlau. Somit hatte er eine Entscheidung getroffen, von der er hoffte, sie nicht zu bereuen. »Ich werde rübergehen und mir selbst ein Bild davon machen. Danach werde ich meine endgültige Entscheidung treffen!« Er trank sein Glas aus, stellte es umgedreht auf den Tisch zurück, stand auf und verließ das Hinterzimmer des Nuttall & Man’s ohne ein weiteres Wort.


Ein guter Zeitpunkt, um die Suche zu beenden

Buck Carlin betrat die Kirche durch den Seiteneingang. Der nur spärlich beleuchtete Flur empfing ihn mit einer angenehmen Kühle, die auf seiner Haut ein Kribbeln verursachte. Er fühlte sich an McCalls Kühlraum erinnert und musste grinsen. Nicht mehr lange, und Bob würde alle Hände voll zu tun haben, denn im August war Hochsaison.

Buck durchquerte den kurzen Flur, von dem die Wirtschaftsräume abgingen, und betrat durch die Tür an dessen Ende die Sakristei. Er hatte gehofft, den Prediger in dem quadratischen, holzgetäfelten Raum anzutreffen. Was er fand, war eine halb volle Flasche Whiskey zwischen Messingkelch und Monstranz. Auf dem schmalen Regalbrett lagen zweiundzwanzig Kugeln Kaliber 44 fein säuberlich aufgereiht, umgeben von liturgischen Gegenständen und Whiskeyflasche in einem lockeren Halbkreis, schufen einen Schrein. Die Luft war in penetranter Weise von Weihrauch geschwängert, dass es ihm in den Augen brannte. Eine schwarze Kasel hing zerknittert auf einem Kleiderbügel, ein ausgelatschtes Paar Hausschuhe stand darunter. Nur vom Prediger fehlte jede Spur. Allerdings musste er vor Kurzem hier gewesen sein, denn sein unverwechselbarer Geruch hing in der Luft.

Also die Kirche, mutmaßte Buck, ging durch den beengend kleinen Raum und stieß die doppelte Schwingtür auf, die hinter dem Altar ins Kirchenschiff führte. Dort war es dunkel, denn die einzige Lichtquelle bestand aus träge im Luftzug flackernden Kerzen. Buck machte einen Bogen um den mit einem scharlachroten Tuch bedeckten, fliegenumschwirrten Altar. Der fleckige Stoff schimmerte wächsern. Anders als in der Sakristei hing in der Kirche ein schwerer, süßlicher Geruch wie von verdorbenem Obst mit einer Note von Kupfer. Schmutz knirschte unter seinen Stiefelsohlen. Es war lange her, dass jemand in der Kirche gefegt hatte. Früher hatte Bobs Frau dafür gesorgt. Einmal pro Woche staubte sie die Heiligenstatuen ab, fuhr über die Bilder, wischte den Boden feucht auf, erneuerte die Kerzen. Nachdem das Exempel an ihr vollzogen worden war, hatte sich niemand mehr gefunden, um ihren Platz einzunehmen.

Wen interessiert’s?, dachte Buck. In ein paar Stunden wird eh alles anders sein. Die Tage der neuen Zeit brechen an …

Die Fliegen stoben auf, summten und offenbarten ihm den Quell des Gestanks. Auf dem Altar lagen die schmierigen Reste der letzten Messe. Maden schwammen im süßlich braunen Saft. Fleisch rann zäh wie Sirup von bleichen Knochen, um sich mit gegorenem Obst zu vermischen. Buck sah nicht genau hin, doch der Blick aus den Augenwinkeln genügte, dass ihm schlecht wurde. Purgatorys Kirche war wahrlich kein Gotteshaus, wie man es erwarten würde.

Der Prediger saß mit ausgestreckten Beinen auf der vordersten Bank. Sein sehniger Körper steckte in einem altmodischen, schwarzen Anzug. Der blütenweiße Kollar leuchtete wie ein Fremdkörper im Kragen seines ebenfalls dunklen Hemdes. Der Prediger hatte den Kopf weit in den Nacken gelegt und die Augen geschlossen. Unter seiner Jacke lugte der Griff des Remington New Model Army Vorderladers hervor, den er selbst in der Kirche nicht ablegte. Eine altmodische Waffe, umständlich mit Kugeln, Pulver und Zündplättchen zu laden, und dennoch schien der Prediger daran zu hängen. Buck hatte sich mehrfach gefragt, ob er die Waffe nachts mit ins Bett nahm oder ihr sogar einen Namen gegeben hatte, wie es die Jungs von der Army taten.

Buck räusperte sich. »Prediger?«

Der Mann auf der Bank antwortete nicht. Lediglich das gleichmäßige Heben und Senken der Brust zeugte davon, dass er atmete.

Atmen ja … aber leben?

»Ähm … Prediger?« Buck war es unangenehm, den hochgewachsenen Mann aufwecken zu müssen. Der Prediger war ein jähzorniger Mann, der manchen bereits wegen weit geringerer Vergehen hart ins Gebet genommen hatte.

Der Prediger scharrte mit einem Fuß. Ein Schauer durchlief seinen Körper. Er holte rasselnd Luft und rutschte in eine halbwegs sitzende Position. Die Haut im Gesicht des Kirchenmannes bestand aus gegerbtem Leder. Die von Falten umkränzten, kalt dreinblickenden Augen huschten durch die Dunkelheit und richteten sich schließlich auf Buck. Die rechte Hand ruhte schwer auf dem Griff des Remington Revolvers. Mit rauer, von Whiskey und Tabak kratziger Stimme begann der Kirchenmann zu sprechen, dass es Buck kalt über den Rücken rann. »… und ist von mir befohlen, dass man suchen sollte. Und man hat gefunden, dass diese Stadt von Alters her wider die Könige sich empört hat und Aufruhr und Abfall darin geschieht … Esra, Kapitel 4, Vers 19.«

Buck leckte sich über die Lippen, atmete tief durch. Er war der stärkste Mann in Purgatory, doch in Gegenwart des Predigers fühlte er sich klein und verletzlich. Da wurde er zum kleinen Jungen, der gekommen war, um die Beichte abzulegen. »Sie sind angekommen«, antwortete er leise.

Die kalten Augen sahen ihn an. »Du gehst zu Bob McCall und bestellst ihm, dass er sich bereithalten soll … und sag den anderen Bescheid. Jeder soll es wissen.« Der Prediger lachte polternd wie ein Kettenraucher. Und tatsächlich fummelte er eine zerknautschte Zigarettenpackung aus der Innentasche seiner Jacke, zog eine Zigarette heraus, steckte sie sich zwischen die Lippen. Mit der anderen fischte er ein altes Benzinfeuerzeug aus der Hosentasche, klappte es auf und drehte den Wetzstein, bis eine gelbliche Flamme brannte. Er steckte die Zigarette an und inhalierte genüsslich den Rauch. »Ah … das tut gut. Ich kann den Krebs bereits spüren, wie er meine Lungen zerfrisst. Hämisch lachend werde ich ihm sagen, dass er mir nichts anhaben kann. Ein guter Zeitpunkt, um es zu beenden.«

Die Stimme des Predigers erinnerte Buck an einen knurrenden Kampfhund, der ihn gleich anspringen würde, um ihm die Kehle zu zerfetzen. »Was ist mit denen, die kein Zeichen tragen? Sollen wir’s machen wie immer?«

Die Zigarettenspitze knisterte, die Glut wechselte für einen Moment ihre Farbe von warmen Orange zu hellem Gelb. Wie ein böses Auge riss die Glut das Gesicht des Predigers aus den Schatten. Ein Oval aus grauer, faltiger Haut. Inmitten dessen ein verkniffener, dünnlippiger Mund. »Keiner von außerhalb darf Purgatory je wieder verlassen. Das ist unsere eherne Regel. Und heute, kurz vor dem Sieg, gilt sie mehr denn je.«

»Da wär noch was anderes«, druckste Buck herum. Es gab diese eine Sache, die ihm auf dem Herzen lastete.

Der Prediger erhob sich ächzend von der Bank und strich sich die Jacke seines Anzugs glatt. Er überragte Buck um ein ansehnliches Stück, war aber von wesentlich schmälerer Statur. »Geht’s um deinen Bruder Conor?«

Buck nickte. »Er gerät langsam außer Kontrolle. Ich dachte, dass, wenn das alles vorbei ist, ich ihn rüberbringen könnte, damit …«

»Sag ihm, es gibt keinen Grund mehr dafür, sich zu zügeln«, unterbrach der Prediger Bucks Redefluss. »Er soll sich eins der Mädchen aussuchen und mit ihr anstellen, was er will. Conor ist ein guter Soldat und das ist seine Entlohnung.«

»Denke, das wird ihm gefallen«, antwortete Buck bedrückt. Conor würde hingegen ausrasten vor Freude und das war nichts, was er diese Nacht gebrauchen konnte.

»Und wenn er sie kaputtgespielt hat, wenn sie zerbrochen ist, schickst du ihn zu mir«, fuhr der Prediger diabolisch lächelnd fort.