Kitabı oku: «Little Pearl», sayfa 2
Kapitel 2
Es sind bald drei Wochen vergangen, als ich bei Dylan war. Ich dachte, er würde sich melden, was er allerdings nicht getan hat. Ich war knapp davor meinen Gärtner auszufragen, wollte wissen, ob mit Dylan alles in Ordnung ist. Ob er mit seinem letzten Auftrag noch nicht zu Ende ist und ob das der Grund ist, warum er mich bis heute nicht angerufen hat. Doch das habe ich schließlich bleiben lassen. Ich wollte bei Mr. Moore nicht den Eindruck erwecken, ich würde auf Dylans Anruf warten. Oder gar jeden verdammten Tag an ihn denken.
Denn genau das mache ich. Warum? Gott, wenn ich das doch nur selbst wüsste. Aber es vergeht kaum ein Moment, an dem ich nicht seine wunderschönen braunen Augen, in denen etwas Verletztes schimmert, vor mir sehe. Es vergeht kein Morgen, an dem ich nicht wünsche, seine Stimme zu hören. Es vergeht kein Abend, an dem ich mir überlege, zu ihm zu fahren. Gott sei Dank habe ich noch so viel Verstand und lasse das sein.
Gerade als ich draußen frische Wäsche aufhängen will, kommt mir mein Gärtner entgegen. Er kennt mich schon, seit ich sechzehn war und er für meine Eltern anfing zu arbeiten, trotzdem hat er mich von Anfang an gesiezt.
»Kann ich Ihnen etwas abnehmen?« Er zeigt auf den Wäschekorb unter meinem Arm.
»Nein, nein, das schaffe ich schon.«
»Wenn Sie meinen.« Mr. Moore, ein Mann mit Glatze und einem weißen Rund-um-den-Mund-Bart bückt sich und hebt einen Rechen auf. Er legt sein Werkzeug in einen Schubkarren, der voller geschnittenem Gras ist. »Ich komme morgen wieder und werde mich um die Rosen kümmern.«
Seine grünen Augen warten offensichtlich auf ein Einverständnis von mir. Dabei überlasse ich es ihm, wann er den Rasen mäht, die Blumen tränkt, die Wege wischt oder das Laub zusammennimmt.
»Ich danke Ihnen, Mr. Moore.«
Er schenkt mir ein schwaches Lächeln, ehe er den Schubkarren ergreift. »Wie geht es Ihren Eltern?« Mein Gärtner ist ein ziemlich wortkarger Mann, dennoch fragt er praktisch täglich nach meinen Eltern, was ich unheimlich rührend von ihm finde.
»Sie haben gestern einen Ausflug ins National Aquarium gemacht.«
»Schön, schön«, meint er leicht brummend. »Dann geh ich mal.«
»Haben Sie noch einen schönen Tag.«
»Ihnen auch.«
Eigentlich hat Mr. Moore schon vor Jahren das Rentenalter erreicht, aber irgendwie scheint er es zu lieben, den Garten rund um das Bed and Breakfast instand zu halten und ihn zu pflegen. Und es scheint ihn von seinem Kummer über den Tod seiner Frau hinwegzuhelfen, weshalb ich es nicht über mich bringe, ihm zu kündigen, obwohl ich finde, dass manche Arbeiten zu schwer für ihn sind, besonders, wenn ich ihn wie jetzt mit einem gekrümmten Rücken über den Weg gehen sehe.
Seit dem Tod seiner Frau ist er etwas in sich gekehrt und hat sich von seinen Freunden zurückgezogen, aber er ist ein sehr liebenswürdiger alter Mann. Wie ein Großvater, den ich auch nach zehn Jahr noch mit Sie anrede.
Ich gehe zur Wäscheleine, die sich auf der Rückseite des Blue House Inn befindet. Meine Eltern haben das Bed and Breakfast bei der Eröffnung vor über zwanzig Jahren auf diesen Namen getauft. Er ist passend zur Fassade. Sie ist hellblau wie der Himmel. Die Veranda, die um das gesamte Haus führt und die Säulen, die das Dach über der Veranda halten, sind weiß, sowie auch die Fensterrahmen. Wenn es nach mir ginge, hätte ich dem dreistöckigen Gebäude längst eine andere Farbe verpasst. Aber es gehört nun mal meinen Eltern, sie sind die Chefs. Ich leite das B&B lediglich. Zwar einiges früher als geplant war, was mich im Großen und Ganzen nicht stört, nur hätte der Grund ein anderer sein dürfen.
Ich sehe über den großen Rasen, der zum Grundstück des Blue House Inn gehört. An verschiedenen Stellen haben wir Bänke aufgestellt, damit sich unsere Gäste ungestört unterhalten können - wenn sie das wollen. Es wirkt wie ein kleiner Park.
Vögel zwitschern munter in den Bäumen, die in der Nähe stehen. Ich liebe diese Jahreszeit, in der alles von neuem zu blühen und zu leben beginnt, und es endlich wieder wärmer wird.
Nacheinander hänge ich die Bettlaken auf. Und als mein Korb leer ist, gehe ich wieder hinein. Ich werde noch zwei Zimmer richten müssen, denn in wenigen Stunden erwarte ich vier neue Gäste - zwei Ehepaare. Für die nächsten drei Tage bin ich ausgebucht, was viel Arbeit mit sich bringt. Das ist gut, so komme ich sehr wahrscheinlich weniger dazu, an den ungehobelten Restaurator zu denken.
Im Moment bin ich allein, alle meine Gäste sind unterwegs, was ich begrüße. So kann ich ohne große Unterbrüche meinen Job erledigen. Aufräumen, noch mehr Wäsche waschen, Betten frisch beziehen, für morgen einkaufen, und, und, und. Die Liste ist unendlich lang. Aber bis am Abend werde ich alles erledigt haben und mit meiner engsten Freundin Emily etwas Essen gehen.
Am besten fange ich mit dem an, auf das ich ganz gut verzichten könnte: Toiletten putzen. Eigentlich ist es das Einzige, was mich in meinem Beruf anwidert. Ich hole also die Putzmittel hervor, ziehe Handschuhe an und beginne zu sprühen und zu schruppen. Das Telefon klingelt, als ich gerade eine Kloschüssel bearbeite. Doch ich lasse es einfach weiterläuten. Wenn es wichtig ist, wird dieser Jemand auf den AB sprechen oder es später nochmals versuchen. Ich will das Putzen so schnell wie möglich hinter mich bringen.
Eine gute Stunde später stehe ich im obersten Stock. Hier gibt es zwei Zimmer. Eines davon war mal Moms Kinderzimmer. Das daneben Daniel, meinem Onkel. Nach dem Tod meiner Großmutter hat Mom das Haus geerbt und ihren Wunsch von einem Bed and Breakfast, der später auch zu meinem Traum wurde, in die Tat umgesetzt.
Ich öffne die Fenster, um ein wenig frische Luft hereinzulassen und beziehe ein Bett nach dem anderen mit neuen Laken, ehe ich den Boden sauge. Ich gehe rückwärts aus dem Zimmer, und stoße gegen eine Wand.
Erschrocken drehe ich mich um und gebe einen schrillen Schrei von mir.
Ich starre mit rasendem Herzen auf mein Hindernis.
Dylan beugt sich vor, um den Sauger abzustellen, weil ich es nicht fertigbringe, mich zu bewegen.
Erst als sich mein Puls wieder normalisiert und sich der erste Schock gelegt hat, finde ich meine Stimme wieder. »Was machst du hier?«
»Du solltest abschließen«, meint Dylan anklagend. Er hat die Arme vor der Brust verschränkt und funkelt mich zornig an.
Verdutzt starre ich ihn an. Ich müsste doch diejenige sein, die wütend ist? Schließlich ist er es, der sich an mich rangeschlichen hat.
Ich schlucke meinen Zorn hinunter, dabei reibe ich mir über die Stirn, auf der sich ein kleiner Schweißfilm gebildet hat. »Das ist schwierig in einem B&B.« Am Abend bestehe ich darauf, dass alle Türen verschlossen sind. Aber tagsüber ist das schier unmöglich. »War das nötig?«
»Was?«, fragt er ungerührt.
»Mir einen Schrecken einjagen!«
»Nur so lernt man aus Fehlern.«
Die Wut kriecht langsam wieder hoch. Woher nimmt er sich die Frechheit einfach so ins Haus zu kommen und mich dann noch so von oben herab zu behandeln? »Warum hast du nicht geklingelt?«
»Habe ich, aber du hast nicht aufgemacht.«
»Und dann glaubst du, du könntest so mir nichts dir nichts hereinspazieren?«
Einen Moment sieht er mich schweigsam an. Sein Mund ist zu einer schmalen Linie gepresst. »Ich wollte den Schrank holen. Es hat mich angegurkt, vergebens hierher gekurvt zu sein, also habe ich nachgesehen, ob irgendwo offen ist. Wenn du von jetzt an abschließt, wird es nicht noch einmal passieren, dass ich unangemeldet in deinem Heiligtum stehe.« Damit macht er kehrt und geht.
Verblüfft sehe ich ihm nach, wie er die Treppe runtersteigt. »Du hast gesagt, du würdest anrufen!«, krähe ich ihm nach, nachdem ich mich aus der Starre befreit habe.
»Es läuft nicht immer alles nach Plan, Prinzessin!«
Erst als ich über den Sauger steige und Dylan nach unten folge, spüre ich mein wild hämmerndes Herz. Allein Sawyers Auftauchen ist der Grund dafür. Plötzlich bekomme ich Panik, dass er schon wieder verschwinden könnte. »Wo gehst du hin?«
»Ich hole den Schrank.«
»Du weißt gar nicht, wo er steht«, rufe ich und sehe ihn gerade noch, um die Ecke ins Esszimmer biegen.
»Doch!«, kommt es zurück.
Als ich auch endlich in den ehemaligen Wohnraum komme, der zu einem Esszimmer umfunktioniert wurde, öffnet Dylan gerade die Schranktür. Sie gibt ein lautes Knarren von sich.
»Warum ist der noch voll?« Sichtlich genervt dreht er sich zu mir.
Was er kann, kann ich auch. Alles muss ich mir nicht gefallen lassen. »Wenn du angerufen hättest, hätte ich ihn vorher leerräumen können.« Ich stelle mich zwischen ihn und dem Schrank. »Außerdem bin ich keine Prinzessin«, fauche ich ihn an.
Dylan ignoriert mich geflissentlich und greift hinter mich. »Was ist das denn für Schnickschnack?« Er breitet eine weiße Spitzendtischdecke aus und rümpft die Nase. »Oder das?« Schon hat er eine zweite und eine dritte in der Hand. »Für was brauchst du das alles?«, fragt er und deutet auf den mit Decken und anderen alten Sachen vollgestopften Schrank.
»Das geht dich nichts an.« Ehrlich gesagt, überlege ich mir schon lange, was ich mit all dem Zeug machen soll. Ich finde sie zu altmodisch, als dass ich sie meinen Gästen auflegen würde. Vielleicht sollte ich es Mom überlassen, was sie damit tun will. Schließlich stammen diese Dinger von ihr und meiner Großmutter.
«Wo soll ich sie hinlegen?«
Überrascht sehe ich auf Dylans Hände, in denen er einen Stapel Stoff hält. Jetzt erkenne ich auch das Tattoo, das ich bei unserem ersten Treffen nicht richtig sehen konnte. Eigentlich sind es mehrere, die ineinander verschlungen sind. Ein Frauengesicht, das von stacheligen Ranken umrandet ist. Ich öffne schon den Mund, um ihn zu fragen, wer das ist, stattdessen sage ich: »Was machst du da?«
»Nach was sieht es denn aus?« Er schaut mich abwartend an. Als ich mich weder bewege, noch ihm sage, wo er die Sachen hinpacken soll, hebt er eine Augenbraue. »Also?«
Ich kann nicht anders, meine Mundwinkel verziehen sich zu einem breiten Grinsen.
»Was?«, fragt Dylan verärgert.
Aber seine Stimme klingt nicht so gehässig, wie ich es eigentlich von ihm gewohnt bin. Was mich dazu bringt, in sein Gesicht zu sehen. Zum ersten Mal wirken seine markanten Züge weicher. Mir bleibt fast die Luft weg, als ich seinen Augen begegne. Doch sobald er meinen Blick bemerkt, wird seine Miene wieder hart.
»Nichts, nichts.« Du siehst zum Anbeißen aus.
Solche Gedanken sollte ich nicht haben, ich weiß. Dennoch fühle ich mich zu ihm hingezogen, obwohl er sich eher wie ein Arschloch als ein Kavalier verhält.
»Du kannst sie auf den Tisch hier legen.« Ich nehme ebenfalls einen Berg weißer Deckchen und staple sie auf den uns am nächsten stehenden quadratischen Esstisch. »Aber du brauchst das nicht machen. Ich kann dich anrufen oder eine Nachricht schicken, sobald ich hier fertig bin.« Insgeheim hoffe ich, er möge meinen Vorschlag ablehnen, damit ich noch ein wenig seine Gesellschaft genießen kann.
Andererseits habe ich Angst, einer meiner Brüder könnte auftauchen. Sie wären von Dylans Anwesenheit nicht gerade begeistert. Große Untertreibung. Es würde Ärger geben zwischen ihnen und mir, was ich überhaupt nicht leiden kann.
»Keine Sache, wenn du auch etwas mehr anpacken würdest.«
Erwischt hebe ich ruckartig den Kopf, um nicht weiter auf seinen Bizeps zu starren, der sich, wenn er etwas hochhebt, deutlich unter dem feinen Baumwollstoff seines T-Shirts abzeichnet.
Dylan steht keine zwei Schritte vor mir und sieht mich mit kritischem Ausdruck auf dem Gesicht an.
»Tut mir leid«, entschuldige ich mich schnell und wende mich ab. Meine Wangen fühlen sich warm an. Hoffentlich hat er nicht bemerkt, wie peinlich es mir ist, dass er mich beim Gaffen erwischt hat. »Was glaubst du, wie lange du für die Restauration brauchst?« Ich möchte ihn so viele andere Dinge fragen, wie zum Beispiel: Was hat dich nach Little Pearl geführt? Wie alt bist du? Wo wohnen deine Eltern? Hast du eine Freundin? Allerdings getraue ich mich nicht. Ich bin neugierig aber nicht aufdringlich.
»Eine Woche.«
»Was, nur? Das ist schnell.«
»Nicht wirklich«, sagt er, als er sich bückt und abermals in den Schrank greift. »Ach du meine Fresse«, schnauft Dylan. »Was ist denn hier noch drin?« Er nimmt eine anscheinend schwere Kartonschachtel aus dem Kasten und stellt sie auf den Boden.
»Keine Ahnung«, sage ich und sehe mich im Raum um. »O je.« Ich rolle mit den Augen. Mittlerweile sind neun der zwölf Stühle und alle sechs Tische, die um den Kamin stehen, mit Krams aus dem Schrank belegt. »Wo sollen denn jetzt die Gäste frühstücken?«
Es ist mehr ein Pusten als ein Lachen, das durchs Esszimmer geht. Während ich mir verzweifelt Gedanken über das herrschende Chaos mache, scheint sich Dylan köstlich zu amüsieren, auch wenn in seinem Gesicht nichts von Erheiterung zu lesen ist.
Ich habe ihn noch nie wirklich lachen gehört oder ihn Lächeln sehen. Und mit einem Mal frage ich mich, warum er sich verbietet, glücklich zu sein.
Er klopft sich die Hände an der Hose ab und dreht sich zum Durchgang, der in den Flur führt. »Hab ich Glück, dass das nicht mein Problem ist«, reißt mich Dylan aus meinen Überlegungen. »Ich hole den Hubroller und werde mal das Prachtstück aufladen. Wenn ich mit meiner Arbeit fertig bin, werde ich dir Bescheid geben.«
»Dieses Mal wirst du mich aber erst anrufen, ehe du hier auftauchst«, sage ich bevor Dylan aus dem Raum verschwinden kann.
»Klar, Prinzessin.«
Ich stemme meine Hände in die Hüfte und werfe ihm giftige Pfeile zu. »Ich. Bin. Keine. Prinzessin. Es definiert mich mit etwas, was ich nicht bin. Kapiert?«
Er hebt bloß die Augenbrauen. »Wie du meinst, Clé.«
Verdutzt über den neuen Spitznamen, der sich irgendwie wie ein Kosewort anhört, sehe ich seinem breiten Rücken nach. Normalerweise nennen mich die anderen Cee oder Céc. Na auch egal, Hauptsache er sagt mir nicht mehr Prinzessin.
Ich muss mir unbedingt überlegen, wo ich mit den Sachen aus dem Schrank hinwill. Ich kann wohl schlecht alles liegen lassen. Also hole ich ein paar Kisten aus dem Keller, stopfe sie nacheinander voll und stelle sie im Flur unter die Treppe, wo sie weniger auffallen. Sobald ich Zeit habe, werde ich sie in den Keller verfrachten. Während ich meiner Arbeit nachgehe, kommt Dylan wieder. Vor sich her stoßend einen Transportroller. Gerade als er das Möbelstück befestigt, klingelt das Telefon.
Ich renne in den Flur, wo sich das Haustelefon auf einem Tresen, das gleichzeitig mein Empfangsbereich bildet, befindet und nehme ab. »Blue House Inn, Cécile am Apparat. Was kann ich für Sie tun?« Um in Ruhe telefonieren zu können, gehe ich in die Küche. Bevor ich mich in den angrenzenden Raum begebe, schnappe ich mir noch schnell meinen Kalender.
»Hallo, ich würde gern ein Zimmer buchen«, sagt eine männliche Stimme.
»Da sind Sie bei mir genau richtig. Wann und für wie lange möchten Sie kommen?« Während ich das frage, ziehe ich den Deckel meines Schreibers ab.
»Am achten Juli. Ich weiß, ich bin etwas spät«, fügt er schnell an, »aber ich hoffe, Sie haben dann noch ein Zimmer für mich und meine Freundin.«
»Warten Sie bitte einen kurzen Moment. Ich muss in meiner Agenda nachsehen«, sage ich dem Mann am anderen Ende der Leitung und blättere währenddessen im Kalender. »Sie haben Glück. Ich habe da noch ein Zimmer. Es wird Ihnen gefallen.« Ich lächle in den Hörer, weil nun alle sechs Zimmer für den gesamten Monat vermietet sind. »Für wen darf ich also die Buchung aufnehmen?«
Nachdem mir der Mann seinen Namen und Adresse durchgegeben hat, lege ich auf und gehe grinsend ins Esszimmer, um mit Dylan meine Freude zu teilen, obwohl es ihm wahrscheinlich am Hintern vorbeigeht, dass ich mich freue.
Doch als ich in den Raum trete, ist er leer. Keine Spur von Sawyer, wie auch vom alten Holzschrank nicht.
Ich hatte so sehr damit gerechnet, ihn nochmals zu sehen, ehe er das B&B verlässt. Umso enttäuschter bin ich jetzt, dass er es nicht für nötig gehalten hat, mir tschüss zu sagen. Und weil ich weitere sieben Tage warten muss, bis ich ihn wiedersehen werde.
Und danach? Dann hat er die Arbeit gemacht und wird wieder aus meinem Leben verschwinden. Ich werde ihn nicht mehr sehen oder hören, so wie vor meinem Auftrag. Als hätten wir nie miteinander gesprochen. Dieser Gedanke stimmt mich traurig.
Mit etwas weniger Enthusiasmus räume ich noch den Rest des Durcheinanders weg, das Dylan und ich angerichtet haben. Anschließend hole ich die Wäsche rein, lege sie zusammen und verstaue sie. Ich mache einen Rundgang und sehe nach, ob alle Türen verschlossen sind, bevor ich nach Hause gehe.
Gerade als ich das Blue House Inn verlassen will, kommen meine derzeit ältesten Gäste über die Auffahrt. Mr. und Mrs. Franklin.
»Hatten Sie einen schönen Ausflug?«, frage ich die beiden und halte ihnen die Tür auf.
Mrs. Franklin lächelt mich herzlich an. »Einen schönen Ort haben Sie hier. Wir sind so viel herumgelaufen, haben Gebäude und Geschäfte angesehen, dass mir jetzt die Füße wehtun.«
»Oh, das tut mir leid.«
»Ach Kindchen.« Die Frau über sechzig legt eine Hand auf meinen Arm. »Das braucht Ihnen bestimmt nicht leidtun. Ich bedauere nur, dass wir nicht schon früher hergefunden haben.« Sie lächelt mir zwinkernd zu. »Und dass Sie nicht kochen, denn dann könnten wir unsere müden Knochen etwas ausruhen. Nicht wahr, Harris?«
Der Mann nickt und gibt ein zustimmendes Brummen von sich.
»Glauben Sie mir, meine Kochkünste wollen Sie gar nicht probieren«, sage ich lachend. »Waren Sie schon im Sea Fish, gleich am Meer?«
Beide schütteln zeitgleich den Kopf.
»Ich persönlich finde das Essen da ganz fein. Wenn Sie möchten, kann ich Ihnen einen Tisch reservieren und ein Taxi kommen lassen.«
»Nicht nötig, Liebes, wir schaffen das schon. Sie haben schon genug für uns getan.«
»Wie Sie meinen. Wenn Sie etwas brauchen, wissen Sie ja, wie Sie mich erreichen können. Jederzeit.«
»Machen wir. Aber Sie sind noch jung, also genießen Sie endlich Ihren Feierabend.« Mrs. Franklin lächelt mich abermals an, dann geht sie hinein, gefolgt von ihrem Mann.
Ich habe noch eine gute halbe Stunde, dann erwartet mich Emily im Hometown Diner. Also laufe ich schnell nach Hause und stelle mich rasch unter die Dusche. Mein Haus liegt gleich neben dem Bed and Breakfast. Nur einen kleinen Weg über den Rasen und schon bin ich da.
Ich hätte mir ein Zimmer im B&B einrichten können, aber auch wenn ich meine Gäste mag – jedenfalls die meisten – so brauche ich doch ein Stück Privatsphäre.
Mein Haus ist nichts Weltbewegendes, ein Bungalow mit zwei Zimmer und Küche. Für mich genügt es, da ich die meiste Zeit sowieso drüben bin. Vielleicht ändert sich das ja, wenn ich eine Familie habe. Denn davon träume ich. Ich wünsche mir eine Familie mit mindestens vier Kindern. Allerdings müsste ich dazu erst einmal den Richtigen finden.
Kapitel 3
Mit noch feuchten Haaren schlüpfe ich in ein paar Jeans und ein bequemes rosa Langarmshirt. Gerade als ich die Knöpfe an der Hose schließe, läutet es an der Tür. Etwas genervt, weil ich schon spät dran bin, sehe ich durch den Spion. Das hat mir Mom beigebracht, als ich noch klein war. Niemals die Tür öffnen, wenn man nicht weiß, wer draußen steht. Obwohl mir das Ganze etwas absurd erscheint, wenn man bedenkt, welchen Job ich habe, mache ich es doch ganz vorbildlich.
Als ich die dunkelbraunen, kinnlangen Haare mit Pony meiner besten Freundin erkenne und sie mich durchs Guckloch mit einer Grimasse begrüßt, entferne ich die Sicherheitskette.
»Was machst du denn hier? Ich dachte, wir würden uns im Diner treffen.« Wir umarmen uns, ehe ich ins Bad zurückgehe, um mich fertig zu machen.
»Da ich mir fast sicher war, dass du nicht rechtzeitig da sein würdest, dachte ich mir, ich könnte auch bei dir warten, statt alleine in einem Restaurant und dabei von allen angegafft zu werden, weil man ohne Begleitung dasitzt. Und siehe da, ich hatte recht.« Sie zupft an meinem Haar. »Die sind ja noch ganz feucht.«
»Wie war dein Tag?«, frage ich, ohne auf ihre Neckereien einzugehen.
Emily lehnt sich mit dem Hintern an den Waschtisch und stützt die Hände darauf. »Ganz in Ordnung.«
Ich höre auf meine Haare zu kämmen und blicke zu meiner Freundin. Etwas in ihrer Stimme lässt mich aufhorchen. »Das klingt nicht gerade begeistert. Lässt dich Matthew immer noch nicht in Ruhe?«
Emily winkt lässig ab, doch ihre grünen Augen sagen etwas anderes.
»Das ist der eigentliche Grund, warum du jetzt hier bist, stimmt’s?«
Ihre Mundwinkel wölben sich ein klein wenig. »Schon unglaublich, wie gut wir uns kennen, nicht?«
Emily und ich sind seit der Grundschule engste Freundinnen. Ich war etwas die Lautere, sie die Scheue. Doch wir verstanden uns auf Anhieb. Haben uns alles erzählt, nie etwas voreinander verheimlicht. Manchmal brauchte es nur einen Blick oder eine Stimmlage und wir wussten, wie es dem anderen geht. So auch jetzt.
»Was hat er getan?«
»Eigentlich nichts«, seufzt sie. »Er hat nur einen großen Blumenstrauß mit meinen Lieblingsblumen vor die Tür gestellt.«
Ihre Mimik gefällt mir nicht. Sie liebt Matthew immer noch. Kein Wunder schließlich waren sie acht Jahre ein Paar. Das Traumpaar von Little Pearl. Sie hatten schon genaue Zukunftspläne. Doch dann, während eines Streits, schlug er ihr mehrmals mitten ins Gesicht.
Mich schüttelt es, wenn ich bloß daran denke. Wie kann man einem Menschen, den man angeblich über alles liebt, nur so etwas antun? Diese Frage stelle ich mir immer wieder, ohne auf eine Antwort zu kommen.
Ich habe Emilys geschwollene Wange und das blaue Auge gesehen, was vollkommen ausreicht, um sie vor ihrem Ex beschützen zu wollen. Und leider auch vor sich selbst, wie sich in diesem Moment wieder zeigt.
Sie sieht mich nicht an und ihre Stimme ist ziemlich leise. »Es ist doch nur einmal passiert.«
»Einmal zu viel.« Es macht mich traurig, dass sie immer noch versucht, Matthews Handgreiflichkeiten schönzureden.
Ohne ein weiteres Wort gehe ich in die Küche, nehme mein Handy vom Tisch, scrolle durch die Galerie und kehre ins Bad zurück, wo Emily immer noch ans Waschbecken gelehnt dasteht.
Sie weiß ganz genau, was jetzt kommt. Ich erkenne es an ihren glänzenden Augen. Meine Methode, ihr ins Gedächtnis zu rufen, was Matthew mit ihr gemacht hat, ist vielleicht etwas brutal, aber sehr erfolgreich.
Ich drehe mein Smartphone um, das ich an meine Brust gedrückt hatte und zeige ihr das Foto, das ich damals aus einem Impuls heraus, geschossen habe. »Siehst du dich?«
Emily nickt, mittlerweile rollen ihr Tränen über die Wangen.
Ich ziehe sie in eine feste Umarmung, muss mich beherrschen, nicht ebenfalls zu weinen. »Du wirst einen Besseren finden. Einen der sich nicht an dir vergreift. Der dich schätz und liebt, wie du es verdient hast«, flüstere ich ihr ins Ohr und fahre ihr sanft über die Haare.
»Du bist die tollste Freundin, die man sich wünschen kann, weißt du das?«, murmelt sie irgendwann in mein Shirt, ehe sie sich aus meinen Armen löst.
Ich lächle sie an, ziehe ein Taschentuch aus der Kleenex-Box, die auf dem Waschbecken steht und reiche es ihr. »Das ist gar keine Frage«, antworte ich spöttisch.
Als Emily herzhaft lacht und mich versucht in den Oberarm zu knuffen, ich ihr jedoch gerade noch ausweichen kann, weiß ich, dass wir das große Übel für heute abwenden konnten.
»Vielleicht solltest du ein anderes Shirt anziehen«, meint sie lässig, ehe sie sich zum Spiegel über dem Waschbecken dreht und den verschmierten Mascara wegwischt.
Mein rosa Oberteil ist voll schwarzer Wimperntusche.
Emily sieht mich über den Spiegel entschuldigend an.
»Kein Ding.« Ich gehe über den Flur in mein Schlafzimmer. »Wenigstens muss ich mir die Haare nicht mehr föhnen«, rufe ich, während ich im Schrank nach einem neuen Kleidungsstück suche. Letztendlich ziehe ich meine schwarze Lieblingsbluse an. »Wollen wir? Ich habe einen Mordshunger.« Emily wirft eben das gebrauchte Taschentuch weg, als ich wieder zu ihr gehe und den letzten Knopf zumache.
»Meiner knurrt auch schon.« Wie zur Unterstreichung legt sie ihre Hände auf den Bauch.
Das Hometown Diner ist höchstens zehn Gehminuten von meinem Haus entfernt, weshalb wir uns entschließen zu Fuß zu gehen. Bevor wir um die Ecke biegen, werfe ich noch einen Blick auf mein B&B. Einen Kontrollblick, wie Emily mich immer aufzieht. Alles scheint in Ordnung zu sein. Also hake mich bei meiner Freundin ein und ziehe sie die Straße entlang. Im Zentrum herrscht noch reges Treiben, als wir in die Main Street kommen. Während im Winter nur vereinzelte Touristen hierher finden, verhält es sich in den anderen Jahreszeiten genau andersrum. Von Frühling bis Herbst verdoppelt - wenn nicht gar verdreifacht - sich hier die Einwohnerzahl. Die Häuser aus rotem Backstein und viktorianischem Baustil und die überdachten Fußwege vor den Ladenfenstern ziehen jedes Jahr tausende Urlauber an. Was gut für mein Geschäft ist.
Emily betritt vor mir das Diner - es ist so etwas wie unser Stammlokal -, und ich folge ihr an einen freien Tisch. Die Einrichtung stammt aus den Fünfzigern. Sitzbänke aus roten Polstern. Graue Tische und schwarz, weiße Fliesen. Es gibt sogar noch eine alte Jukebox, die regelmäßig bedient wird.
Praktisch alle Plätze sind besetzt. Ich gönne es Dan - ein alter Freund meiner Eltern -, dass sein Restaurant auch nach Jahren noch einen so großen Erfolg bei den Touristen hat. Was bestimmt nicht allein an der Lage liegt. Er und seine Frau versprühen eine angenehme Atmosphäre, wissen, wie man die Gäste behandeln muss, damit sie wiederkommen. Das beste Beispiel dafür sind Emily und ich. Seit ich zurückdenken kann, komme ich mindestens einmal in der Woche hierher, um einen riesigen Burger zu verschlingen.
»Na ihr zwei.« Leyla, Dans Adoptivtochter steht an unserem Tisch und lächelt uns freundlich an. In der Hand hält sie schon ihren Block und Stift, obwohl sie unsere Bestellung auswendig kann. Denn wir nehmen immer dasselbe. »Ich habe mich schon gefragt, wann ihr vorbeikommt.« Sie zwinkert uns belustigt zu.
Leyla ist vier oder fünf Jahre älter als wir. So viel mir meine Eltern erzählt haben, wurde sie, nachdem ihre Mutter bei einem Autounfall ums Leben gekommen war, mit sechs Jahren von ihrem Onkel adoptiert. Ihren Vater hatte sie nie kennengelernt. Der hat sich vom Acker gemacht, als Leylas Mom noch schwanger war.
Trotz ihrer Vergangenheit sieht man sie eigentlich ständig strahlen.
»Wow, wo sind deine Haare geblieben?«, fragt Emily und sieht Leyla mit großen Augen an.
Unsere Bedienung fährt sich durch die neue Frisur. »Ich wollte mal etwas anderes ausprobieren.«
Seit ich sie kenne, hatte sie lange schwarze Haare, die ihr bis über die Mitte des Rückens reichten. Jetzt fallen sie ihr nicht mal mehr über die Schulter.
»Steht dir«, sage ich.
»Danke.« Sie macht eine kleine Verbeugung. »Also, was darf’s sein?«
»Wie immer«, antworten Emily und ich wie aus einem Mund.
»War ja klar.« Leyla verdreht amüsiert die Augen. »Kommt sofort.« Damit macht sie auf ihren hohen Absätzen kehrt.
Em und ich grinsen, als wir hören, wie Leyla unsere Namen in die Küche ruft. Anscheinend genügt das Dan, um zu wissen, was er als nächstes zubereiten muss.
Emily lässt sich in die Polster sinken und sieht mich aufmerksam an. Ihr Blick durchbohrt mich fast und ich frage mich, was sie sucht.
Sie braucht nicht mal etwas zu sagen, damit meine Wangen zu glühen beginnen.
»Raus mit der Sprache.«
»Mit was?«
»Warum deine Backen gerötet sind.«
Ich wische mit der Hand über mein Gesicht, als wäre ich schmutzig.
»Ist immer noch da«, sagt meine Freundin vergnügt. »Also?«
»Ich weiß nicht, was du meinst.« Dabei bin ich es, die nicht versteht, warum ich gerade jetzt an den Typ denken muss, der mir seit gut drei Wochen den Kopf verdreht.
Emily lehnt sich nach vorn, stützt ihre Unterarme auf den Tisch und legt den Kopf schräg. »Wer ist es?«
Ich habe niemandem verraten, dass ich bei Sawyer war und ihn für einen Auftrag angeheuert habe. Vielleicht weiß es Mr. Moore, dann aber nur, weil es ihm Dylan erzählt hat.
»Ich war bei Dylan Sawyer.« Ich knete meine Hände, weil ich auf einmal nervös bin. Em und ich haben uns geschworen, uns von Bad Boys fernzuhalten. Besonders nach dem Zwischenfall mit Matthew. Über Dylan wird nicht sehr viel Schmeichelhaftes erzählt. Obwohl die meisten Gerüchte vermutlich erfunden und erlogen sind, und ich sie nicht wirklich glaube, sind sie doch in meinem Hinterkopf. Und wenn ich an die Begegnungen mit ihm denke, ist mehr als klar, dass er kein einfacher Mensch ist.
Emily reißt die Augen auf. Ich befürchte schon, sie fallen raus, wenn sie sie nicht bald wieder kleiner macht. »Du warst bei Sawyer? Bei dem, der bei deinem Gärtner seine Werkstatt hat?«
Ich nicke mehrmals. »Genau bei dem.«
»Was hast du denn bei dem gesucht?« Sie klingt schockiert.
Wäre ich wahrscheinlich auch, wenn sie mir erzählt hätte, sie wäre bei Dylan gewesen. Nein, ich weiß, ich wäre sprachlos und hätte den Mund offen stehen, so wie Em gerade.
»Du kannst ihn wieder schließen.«
Leyla, die mit unseren Getränken zurück ist, sieht irritiert zu Emily. »Wie guckst du denn aus der Wäsche?«
Auch wenn ich es versuche, gelingt es mir nicht das Lachen zu verkneifen. Erst als ich Ems zusammengekniffenen Augen sehe, werde ich wieder mucksmäuschenstill.
»Oh, oh, ich lasse euch lieber wieder allein«, sagt Leyla rasch. »Hier dein Mountain Dew.« Sie stellt eine Flasche und ein Glas vor mich. Emily bekommt ihre Coke, dann verlässt sie unseren Tisch, nicht ohne mir vorher noch aufmunternd zuzuzwinkern.
»Du machst den anderen Angst, wenn du weiter so dreinschaust«, versuche ich Emily zu besänftigen, doch sie starrt mich weiterhin entgeistert an. »Em, bitte hör auf so eine grantige Grimasse zu ziehen. Ich war bloß bei ihm, weil ich einen antiken Schrank renovieren lassen wollte. Heute hat er ihn abgeholt.« O je, das hätte ich wohl lieber für mich behalten. Jedenfalls fürs Erste.