Kitabı oku: «Mit dem Fahrrad vom Atlantik bis ans Schwarze Meer», sayfa 3

Meine französischen Eltern
Für mich steht ein weiteres Familien-Highlight an, denn der Bruder meiner bereits verstorbenen Großmutter mütterlicherseits gründete nach Ende des Zweiten Weltkriegs in Frankreich eine Familie. Ihre Angehörigen bekomme ich sporadisch zu Gesicht, zuletzt 2014 während meiner Interrailtour. Heute werden wir uns endlich wiedersehen, was mich mit großer Vorfreude erfüllt und in den Monaten vor der Reise beachtliche Triebfeder fürs Französischpauken war, denn die drei Familienmitglieder, die ich sehen werde, sprechen ausschließlich ihre Muttersprache. Einziger Wermutstropfen: Ich muss befürchten, meine neuen Radlerfreunde Claudine und Didier zu verlieren, weil ich nur knapp 25 Kilometer bis nach Chalon-sur-Saône zurücklege. Die beiden werden – wie ich sonst auch – ihre achtzig bis einhundert Kilometer rollen.
Trotz der kurzen Zeit im Sattel gelingt es mir heute, einen Rekord zu erreichen: Ich knacke die Eintausend-Kilometermarke, und das bei bestem Sonnenschein.
Der Beiname der Stadt, in der ich am frühen Mittag ankomme, kündigt schon an, dass der Fluss, die Saône, künftig mein Begleiter durch die historische Region von Burgund sein wird. Doch ans Weiterfahren will ich noch nicht denken, als ich mich auf den Weg zum Bahnhof mache, auf dessen Parkplatz die Nachkommen beziehungsweise Ehepartner meines Großonkels ihr Auto abstellen. Wir herzen und drücken uns ausgelassen, setzen uns dann in ein nahegelegenes Café. Trotz der Seltenheit unserer Treffen spüre ich sogleich eine angenehme Nähe zu ihnen und es kommt mir vor, als würden wir uns viel öfter sehen, als es die Realität hergibt. Wir verbringen die nächsten zwei, drei Stunden miteinander, reden über Alltag und Familie, schwelgen in Erinnerungen an die Besuche in den 1990er-Jahren. Ich muss ausführlich von meiner Reise und den Daheimgebliebenen berichten, besonders am Wohlergehen meines über neunzigjährigen Opas sind sie interessiert.
Es wäre so schön, wenn wir noch einmal alle zusammenkämen, egal, ob in Deutschland oder Frankreich, sind wir uns einig. Vielleicht liegt es an uns, der nachfolgenden Generation, das zu organisieren? Eines der Kinder habe auch ein großes Interesse, den deutschen Teil der Familie kennenzulernen, höre ich und muss lächeln, als ich an den kleinen Jungen denke, der er war, als ich mit meinen Eltern Frankreich besuchte. Damals erschien unser Altersunterschied von fünf oder sechs Jahren gigantisch, heute spielt es wohl kaum eine Rolle, dass wir Ende zwanzig und Mitte dreißig sind …

Meine echte französische Familie
Puh, ich bin ganz schön erschöpft von dieser Intensiveinheit im Sprachenlernen, als wir uns nach einem gemeinsamen Foto zur Abendzeit voneinander verabschieden. Die Freude über das Wiedersehen mit Menschen, die ich so selten treffe und doch als so vertraut empfinde, ist aber größer als die Müdigkeit.
So laufe ich noch einige Zeit beschwingt durch die Gassen dieses einladenden Ortes, beobachte Menschen, die vor Cafés und Restaurants sitzen. In der zweitgrößten Stadt in Burgund lockt vor allem die Kathedrale St. Vincent am gleichnamigen Platz mich und meine Kamera an. Die Altstadt rund um die Kathedrale ist so gut erhalten, dass es mir riesigen Spaß bereitet, an den Fachwerkhäusern entlang zu spazieren. Rast mache ich etwas abseits in einem kleinen Lokal in einer schmalen Gasse. Ich bekomme einen der wenigen Außenplätze ab und lasse mir einen regionalen Rotwein empfehlen. Der Givry trifft meinen Geschmack gut und schenkt mir einige Zeit des stillen genießerischen Seins und Beobachtens vorbeischlendernder Menschen. Als das Glas geleert ist und ich eigentlich gerade zahlen will, komme ich mit dem Kellner ins Gespräch, der sich als Besitzer des Lokals vorstellt.

Bummel durch Chalon-sur-Saône
Ob er glücklich ist?
„Oui, bien sûr!“, erwidert mein Gesprächspartner überzeugt. Schon seit dreißig Jahren verkauft der Gastronom Wein, die meiste Zeit davon hatte er eine Bar im noch stärker touristisch erschlossenen Bereich dieser Stadt, erst seit einigen Jahren arbeitet er an diesem Standort. Hier gefällt es ihm besser, weil es familiärer zugeht. Immer wieder grüßen ihn die Vorbeikommenden oder bleiben auf einen Schwatz stehen. Ich sehe mir meinen Gesprächspartner genauer an und stelle mir eine Frage, die mich in diesen Tagen schon öfters beschäftigt hat: Wie nur schaffen es die Franzosen, so oft ausgesprochen adrett zu wirken? Der Wirt trägt eine schlichte braune Hose zu schwarzen Turnschuhen und ein dunkles Langarmshirt mit zarten hellen Streifen. Obwohl seine Frisur nicht außergewöhnlich ist, so wirkt dieser Mann chic. Ja, viele Franzosen haben etwas an sich, was ihnen Eleganz verleiht, vielleicht tut die nobel klingende Sprache ihr Übriges. Von den sorgsam geschminkten anmutigen Frauen ganz zu schweigen …
Der Weinkenner setzt sich mit einem Glas Rebensaft vor sein Lokal und lächelt sanft in meine Kamera. „Ja, die Arbeit macht mich glücklich“, bestätigt er, was ich bereits vermutete. Es sei vor allem der Kontakt zu Menschen in Freizeitstimmung, der ihn erfülle. „Es ist schön, sie lachen zu hören“, ergänzt er. Als würde er seinen Aussagen Nachdruck verleihen wollen, spendiert er mir einen zweiten Wein, nicht ohne sich vorher zu erkundigen, ob er mir auch geschmeckt habe.
Bekannte des Wirtes, die uns beobachteten, fragen nach meiner Reise und zeigen sich äußerst interessiert. Ich berichte, erhalte Anerkennung und noch die ein- oder andere Nachfrage. Ein wenig weinselig halte ich heute fest: Ja, jedes freundlich gewechselte Wort, jeder kleine Dialog zwischen Menschen, die einander interessant finden, hat das Potenzial für einen Glücksmoment.
Mit roten Wangen radele ich zum Campingplatz zurück.

Der glückliche Weinlokalbetreiber
Auf meinem Weg in das gut einhundert Kilometer entfernte Dole fliege ich förmlich, obwohl ich an feuerrot leuchtenden Mohnfeldern vorbeikomme, dessen Samen ja bekanntlich müde macht. Mein straffes Tempo steigert sich sogar noch, als ich zu sieben jungen Radlern, die sich die „Green Riders“ nennen, aufschließe. Insgesamt ist die Gruppe mehr als 20 Radler stark und unternimmt die Reise ans Schwarze Meer in Form eines öffentlichen Trips. Das heißt jeder, der möchte, kann sich ihnen anschließen. An ihren Ruhetagen leisten sie ehrenamtliche Arbeit auf Farmen, helfen bei Reparaturen oder der Ernte. Die Idee des ökologischen Reisens geht auf Rob Greenfield zurück, der einst von New York City nach Seattle, auf der anderen Seite der Staaten, radelte. Der amerikanische Abenteurer, Umweltaktivist und Unternehmer hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, für eine gesunde Erde einzutreten. Verschiedene öffentlichkeitswirksame Projekte, mit denen er auf Lebensmittel-, Strom- und Wasserverschwendung aufmerksam macht, kennzeichnen seine Arbeit. Um zum Beispiel für den Wert von Wasser zu sensibilisieren, verzichtete er ein Jahr lang aufs Duschen und nutzte für die Körperpflege lediglich natürliche Wasserquellen wie Flüsse, Seen, Wasserfälle, sogar den Regen. Der 1986 geborene Mann ist für die Menschen, denen ich mich angeschlossen habe, großes Vorbild. Organisiert hat sich die Gruppe vor der Abreise via soziale Medien, und der Transport ihrer Fahrräder über den großen Teich schlug lediglich mit einhundert Dollar Aufpreis aufs Flugticket zu Buche. Tagsüber teilen sie sich in Dreier- oder Vierergruppen auf – je nach Fitnesslevel. Eine Gruppengröße von sieben Sportlern ist schon eine Ausnahme. Nur für die Nacht sind die Crews größer: Die aktuell 20 Radler splitten sich zur Hälfte, sodass sie in Zehnergruppen zelten können, überwiegend wild. Bei Arbeit und Unterschlupf auf Höfen und ähnlichem kommen dann alle zusammen und verbringen die Nächte in großen Räumen. Ihr Zeitplan ist straffer als meiner, bereits Ende Juli wollen sie am Schwarzen Meer sein, eine knappe Woche vor mir, was ihr Tempo erklärt. Meine Wohlfühlgeschwindigkeit ist etwas langsamer als ihre, außerdem suche ich stets nach dem schönsten beschilderten Radweg, während meine Gesprächspartner sich von Google Maps auch mal direkt über eine Landstraße von Dorf zu Dorf schicken lassen. Da sie genau das gerade vorhaben und ich mir nach 50 Kilometern eine erste Pause verdient habe, klinke ich mich aus.

Mohnpracht
Mit meinem neuen Grundnahrungsmittel, Keksen, sitze ich am Fluss Saône und beobachte einen – vorsichtig ausgedrückt – fülligen Angler, welcher einen dicken Karpfen aus dem Wasser zieht. Ein paar Stücke frisches Baguette und zart schmelzender Camembert bereichern meine Rast. Hier in der Heimat des Käses schmeckt selbst die simple Supermarktvariante cremig und würzig. Die Backwaren, egal, ob süß oder eben in länglicher Form, sind ausnahmslos schmackhaft. Gern halte ich in kleinen Dörfern an winzigen Bäckereien und versorge mich mit Energie, erfreue Bäckersmann und -frau mit meinem deutschen Akzent, der sich unverkennbar in mein Französisch mischt. Ich lasse es ganz sicher entspannter angehen als die Green Riders, auch wenn ich täglich Notizen anfertige, Fotos sichte und ein paar anderen Dingen nachgehe, die mich als Reisejournalistin auf dieser Tour begleiten. Meine Bewunderung gilt diesen engagierten jungen Menschen, die ihre „Ruhetage“ dazu nutzen, ehrenamtlich aktiv zu sein und körperlich zu arbeiten. Ich wünsche ihnen, dass sie mit ihrer Tour die gewünschte Aufmerksamkeit erzielen und pünktlich am Schwarzen Meer ankommen.

Auf dem Weg nach Besançon
An einem Kanal entlang trägt mich Fidibus durch das nasse Frankreich, wobei ich mir hin und wieder kurze Abschnitte mit Gleichgesinnten teile. Meistens folge ich beim Treten und Pausieren jedoch lieber meinem eigenen Rhythmus. Ich mag es, meinen Gedanken freien Lauf zu lassen. Oft drehen sich diese beim Treten nicht selten um die nächste Mahlzeit. Das ist zwar wenig spektakulär, aber als Kontrast zum vielseitigen und mitunter aufregenden heimischen Arbeitsalltag ganz angenehm.

Verregnete graue Stadt Besançon
An Orten, deren Namen wohlklingen, Rochefort-sur-Nenon und Orchamps, folge ich dem Rhein-Rhône-Kanal, bis der Fluss Le Doubs mein Begleiter nach Besançon wird. Der Ort hat es sich in einer Schleife des Gewässers bequem gemacht und gilt als grünste Stadt Frankreichs. Ich erreiche sie bei strömendem Regen. Das Flusstal, welches ich zuvor passiert habe, hat vom Wetter ja noch profitiert, sah es während einer kleinen Wolkenlücke doch sehr ansehnlich aus, mit weiten saftigen Rasenflächen zwischen dicht bewaldeten Hügeln … Aber hier in der Stadt, in der ich mir nur zitternd schiebend ein, zwei Gässchen anschaue, wird lediglich eine Erinnerung bleiben: grau. Vom natürlichen Wachstum, was der Regen zu verursachen vermag, sehe ich in den Straßen, über denen triefende Wolken hängen, nämlich nichts.
Plötzlich mache ich vor meiner Nase zwei gelbe Westen mit Unterschriften aus. Ich gebe sofort Gas und schließe jubelnd zu Didier und Claudine auf. Ja, ich habe sie wieder – und das trotz meiner kurzen Etappe nach Chalon-sur-Saône! Sie freuen sich genauso wie ich und wir erzählen einander von den geleisteten Etappen und den in der Zwischenzeit gemachten Erfahrungen und Menschen, die wir trafen. Die beiden haben eine Handvoll Reisende kennenlernt, was sie mir kurz berichten, bevor Claudine schnell anfügt: „Aber mit niemandem von denen war es wie mit dir.“ Wir lachen und ich gebe das Kompliment überschwänglich zurück. Mit ihnen teile ich auch gern einmal länger meinen Weg.
Wegen des nassen Wetters versuchen wir uns nicht zu ärgern, können wir es doch sowieso nicht ändern, übrigens auch ein Grund, weshalb sie und ich nie die Wettervorhersage checken. Uns ist klar, dass auf einer solch langen Reise Regentage dabei sein müssen. Vor der Tour hatte ich gedacht, es würde mich mehr stören, im Nassen zu fahren, aber ich weiß um die Qualität meiner Kleidung und meines Hilleberg-Zeltes, sodass es mir alles in allem wenig ausmacht, wenn sich die Wolken ausweinen.

Das Wetter sorgt für einen zauberhaften Uferanblick
Didier, Claudine und ich halten fest, dass es bei uns Radlern zwei Kategorien gibt: „die Untersteller“ sowie „die Durchfahrer“. Wir gehören zu letzteren. Einmal richtig durchnässt, ist schließlich keine Steigerung mehr möglich. Außerdem kommen wir an solchen Tagen besonders zügig voran, weil Picknickpausen im Regen einfach weniger Spaß machen.
Optisch hat das aktuelle Klima schließlich auch etwas, freue ich mich, als ich meine Kamera zum Fluss ausrichte, auf dessen gegenüberliegender Uferseite eine kleine Steinkirche ihr Spitzdach-Türmchen zwischen den Bäumen vorschiebt und sich der Wolkendunst in den Hügeln in Szene setzt.
Ähnlich schön ist die Lage des Zeltplatzes in Baume-les-Dames in einem Tal, das nur eine Farbe kennt: Grün. Von meinen französischen Eltern habe ich mich noch einmal getrennt und freue mich diebisch, als die einhundert Kilometer heute schon um 16:30 Uhr geschafft sind, vor Ankunft meiner beiden Freunde und sogar noch vor Öffnung der Rezeption.
Als wäre es meine Belohnung, schieben sich die Wolken auseinander und machen Platz für die wärmenden Strahlen der Sonne. Ich genieße Tee, Brot und Camembert als Nachmittagssnack und bemerke einen weiteren Vorteil von Regentagen: Die Freude über Wetterbesserung ist umso größer und die Sonne hat das Potenzial, meine Endorphine in die Achterbahn zu schicken. Ich grinse in den Himmel.

Das perfekte Frühstück
Die letzten Kilometer in dem Land, dem ich mich nicht nur verbunden fühle, weil ich hier Familie habe und schon als kleiner Stöpsel das erste Mal herreiste, sondern auch, weil es Startpunkt meines großen Radlerabenteuers war, verbringe ich nahezu fliegend. Eine Tagesetappe von fast 120 Kilometern befördert mich nach Mulhouse im Elsass, weit im Osten Frankreichs und am Dreiländereck Frankreich, Deutschland, Schweiz. Eine Mühle ist Namensgeberin des Ortes, dessen Geschichte bis ins 9. Jahrhundert zurückreicht. So ziert ein Mühlrad heute das Stadtwappen.

In Mulhouse
Ich finde einen herrlich großen Rasenabschnitt für mein Zelt auf dem hiesigen Campingplatz und beginne den folgenden Tag mit einem Bummel durch den verschlafenen Stadtkern. Der Sonntag hat hier alles in einen Dornröschenschlaf versetzt, sodass ich freie Sicht auf das Rathaus aus dem 16. Jahrhundert genieße. Der dreigeschossige Bau basiert auf einem rechteckigen Grundriss, Zugang erhält man über eine überdachte, gegenläufige Freitreppe. Ich finde das Äußere sehr ansehnlich, so ist die Schauseite komplett bemalt, die Grundfarbe sorgt mit einem Fliederton für positive Ausstrahlung, ebenso die bunten Renaissance-Fassaden.
Nach ein paar Videoaufnahmen von der protestantischen Stephanskirche, deren fast einhundert Meter hoher Glockenturm das Stadtbild beherrscht, schiebe ich Fidibus durch ein paar Gassen mit Cafés, nehme noch einmal einige tiefe Atemzüge croissant-geschwängerter Frankreichluft und bereite mich mental auf den Abschied aus diesem liebenswerten Land vor.
Zurückgeschaut ... Glücksmomente in Frankreich
Mit Frankreich verbinde ich die Bezeichnung „savoir-vivre“. Dieser Begriff lässt sich damit übersetzen, dass man es versteht zu leben. Während die Franzosen den Ausdruck eher im Sinne von gutem Benehmen oder korrekten Umgangsformen gebrauchen, wird er im Deutschen als „Lebenskunst“ verstanden. Was heißt es, ein Lebenskünstler zu sein? Und wenn es jemand besonders gut versteht zu leben, ist er dann auch gleichsam glücklich?
Immer, wenn es ums Glück ging, blühten meine Gesprächspartner auf und wussten, was sie glücklich macht. Sie waren sich darin einig, dass andere Menschen zum eigenen Glück dazugehören. Das können Familienmitglieder sein oder auch frohe Menschen, die einen bei der Arbeit umgeben – als Eisverkäufer ebenso wie als Weinlokalbetreiber.
Die Arbeit selbst, ob nun als Künstler mit Atelier im Stein oder als Guide auf dem Wasser, in der Ruhe der Natur, hat großes Glückspotenzial, was ich bestens nachvollziehen kann. Zu Hause liebe ich es, am heimischen Schreibtisch zu sitzen und in Textform zu bringen, was ich erlebt habe. Hier vor Ort bin ich glücklich, weil mich meine Reise am Glück anderer teilhaben lässt. In Didier und Claudine habe ich Gleichgesinnte getroffen, deren Erkenntnis ich ebenfalls teile: Ich mag wie sie dieses simple Reise- und Campingleben mit Gepäck, welches ich aus eigener Kraft befördere.
Meine Übernachtungswiesen recherchiere ich tagsüber, entscheide einige Kilometer vor meinem Tagesziel, wo ich mein Zelt aufschlage. Ich bin spontan und Änderungen gegenüber aufgeschlossen. Diese Flexibilität, gebunden an die Autonomie, die mir meine Reiseform ermöglicht, ist es auch, warum ich so gern unterwegs bin.
Willkommen geheißen zu werden im Haus eines Wildfremden, auf der Picknickdecke von Sportsfreunden oder von den eigenen Verwandten sind aber wohl die Glücksmomente, die sich am nachhaltigsten in meinen Erinnerungen festsetzen werden …
DIE SCHWEIZ – Von Basel nach Radolfzell am Bodensee ... rund 180 Kilometer
Mit Basel erreiche ich den deutschsprachigen Raum des EuroVelo 6 und wechsele auf das Kartenmaterial von HUBER Kartographie, das mir für die bevorstehenden Abschnitte zur Verfügung steht.
Es heißt, wohl kaum eine andere Stadt dieser Größe punkte mit so vielen gut entwickelten Bereichen wie die Stadt im Rheinknie. Eine Messe- und Kongressstadt sei sie, aber auch Stätte von Museen sowie Musik, von Banken und auch eine Stadt der Gelehrten. Ich liege überdurchschnittlich gut in meinem Zeitplan, der als nächsten festen Termin das Treffen mit meinem Sandkastenfreund Daniel in Linz beinhaltet, so beschließe ich eine kleine Pause einzulegen. Eine sehenswerte Stadt und etwas Zeit sind mir gute Gründe genug, hier länger zu verweilen. Ich buche mich für zwei Nächte auf einem kleinen, aber von einem sehr engagierten Betreiber-Ehepaar mittleren Alters geführten Campingplatz in der Nähe der Dreiländerbrücke ein. Die beiden sind bereits seit 29 Jahren ein Paar, allerdings nicht verheiratet. Sie arbeiten schon lange in der Campingbranche, schlagen immer wieder an neuen Orten ihr Lager auf, an diesem hier sind sie seit fünf Jahren, wissen aber jetzt schon, dass sie bald weiterziehen müssen. Baumaßnahmen zwingen sie dazu, was sie jedoch nicht sonderlich zu stören scheint.
„Es geht doch immer irgendwie weiter“, gibt sich die blonde Stella optimistisch. Ihr Mann Dany berichtet, dass sie ursprünglich beide aus Strasbourg stammen und sich einst auf einer Feier kennenlernten. Beide sind nahezu 24 Stunden für ihre Gäste ansprechbar, was ihnen nichts ausmacht. Die Hütte, in der sie leben, nur ein paar Schritte von Rezeption und Campingwiese entfernt, ist Anlaufpunkt für Camper, aber auch Freunde und Bekannte, die sich auf den Stühlen ihrer Terrasse einfinden. Ist ein Besucher gegangen, rückt auch schon der nächste nach. Dany und Stella heißen alle herzlich willkommen, plaudern, bieten kalte Getränke an, gehen zwischendurch anfallenden Arbeiten auf dem Platz nach und erledigen Büroarbeiten am Rezeptionstresen. Sie erzählen mir, dass sie in der kalten Jahreszeit immer für insgesamt vier Monate schließen, sodass sie sich von den langen Arbeitstagen im Sommer, zum Beispiel bei Reisen durch Kroatien, erholen können. Dass die gemeinsame Arbeit als Campingplatzbetreiber das sympathische Paar glücklich macht, muss ich wohl kaum noch betonen, wohl aber, was es ist, woran sie sich besonders erfreuen: Ähnlich wie der Lokalinhaber und Weinkenner aus Chalon-sur-Saône schätzen auch sie den Umgang mit Menschen, die gut drauf sind.

Glückliche Campingplatzbetreiber in Basel
„Die Leute, die zu uns kommen, sind in Urlaubsstimmung und freuen sich, eine gute Zeit zu haben“, hält Stella fest und erntet von mir prompt bestätigendes Nicken. Ich liebe meinen Job als Reisejournalistin ebenfalls, schätze den Kontakt zu Menschen, die mir in meinem Podcast von ihren Touren erzählen, und zu den Gästen, die mir während meiner Vorträge lauschen. Viele von ihnen lassen ihren Feierabend bei mir ausklingen, freuen sich über die Auszeit vom Alltag und lächeln mich an. Da kann ich nicht anders, als mich mit zu freuen. So geht es offensichtlich auch meinen beiden Gesprächspartnern, wobei ich nur den Hut ziehen kann, denn ständig ansprechbar zu sein, ist sicherlich auch nicht immer leicht und kann Nerven kosten.
Die Zeltwiese füllt sich zum Abend so sehr mit anderen fröhlichen Radlern, dass das Areal an ein Festivalgelände erinnert. Durch Basel geht auch der Rheinradweg, der EuroVelo 15, der vom Quellgebiet des Flusses in den Schweizer Alpen bis zur Mündung bei Rotterdam verläuft. Ein Ehepaar aus Niedersachsen, mit dem ich mich austausche, hat sich genau diese Route für den Sommerurlaub ausgesucht, um den Kopf frei zu bekommen. Beide sind als Ärzte schon lange tätig. In ihrer Freizeit lieben sie das Radler- und Campingleben, verbunden mit dem Kochen im Freien, was ihr Arbeitsumfeld größtenteils nicht nachvollziehen kann.
„Hinzu kommt, dass wir nicht mehr die Allerjüngsten sind, und das in einem Beruf, der hoch angesehen ist. Von vielen Kollegen ernten wir Unverständnis für unsere Reiseform, manche fordern sogar, wir sollten doch ‚standesgemäß‘ verreisen. Wenn die jungen Ärzte campen, ja, dann ist das noch akzeptabel, aber wir …“, erklärt mir die Medizinerin mit einem Kopfschütteln.
„Wir lieben das Draußensein“, sind wir drei uns einig und schätzen diese Art des Unterwegsseins, die uns nah an Land und Leuten sein lässt.
Die Dreiländerbrücke ist die längste als Bogenbrücke ausgeführte Radfahrer- und Fußgängerbrücke weltweit und geleitet mich und den federleichten Fidibus in Richtung der Innenstadt von Basel. Die ersten Meter fühle ich mich wie bei einem Seiltanz, so ungewohnt ist die Fahrt ohne Last. Noch gewöhnungsbedürftiger ist es für mich jedoch, die lokale Bevölkerung zu verstehen. Mir liegen zwar Fremdsprachen, nicht aber die unterschiedlichen Varianten meiner Muttersprache, die hier in der Schweiz nun einmal anders klingt als Hochdeutsch. Eigentlich wollte ich gerade festhalten, wie gut wir es als Deutsche auf dem EuroVelo 6 haben, sind doch drei Länder auf der Route deutschsprachig, aber aus Erfahrung weiß ich bereits, dass ich auch in Österreich sprachlich an meine Grenzen stoßen werde …
Im historischen Stadtkern sind ein mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Charakter mit gotischen Häusern und Palästen gut erhalten zu bewundern. Außerdem verfügt Basel über insgesamt fünf Kilometer Kai-Länge, verteilt auf Häfen, die Heimat mehrerer Hundert Rheinschiffe sind, so gibt es also viel zu entdecken, was ich bevorzugt tue, indem ich mich treiben lasse. Ich nehme das sommerliche Flair dieses Ortes in mich auf und schiebe Fidibus durch kleine Gassen, kreuz und quer, unternehme Abstecher zum Rheinufer und mache dann ein verdammt gutes Geschäft.
Ich mag es nämlich, mich hin und wieder herauszufordern, und schätze kreative Formen der Kontaktaufnahme zu Einheimischen. Außerdem liebe ich meine Heimat. So habe ich mir, zusammen mit dem Stadtmarketing Magdeburgs, vor der Reise etwas überlegt: Ich tausche! Während meiner Rucksackreise durch Albanien habe ich das schon einmal gemacht. Dort lief es so ab, dass ich von Gegenstand zu Gegenstand und Region zu Region weiter tauschte, zwischenzeitlich sogar ein lebendiges „Objekt“ mein Eigen nennen durfte und schließlich meinen ganz persönlichen Glücksbringer mit nach Hause nahm. In diesem Jahr will ich in jedem der bereisten Länder einen kleinen Gruß von zu Hause lassen. Insgesamt zehn individuell für diese Tour angefertigte Shirts, auf denen meine Route zu erkennen ist, stehen mir dafür zur Verfügung und ich möchte ebenso viele Gegenwerte erhalten. Den Handel halte ich auf Handyvideos fest und sende sie in die Heimat, um die Daheimgebliebenen ein kleines Stückchen mit auf meine Reise zu nehmen. In Frankreich hatte es mit einem Malbuch vom Flohmarkt noch ein wenig verhalten begonnen, aber hier in Reiseland Nummer zwei bin ich geübter und spaziere selbstbewusst in einen teuren Spezialitätenladen, der hochwertige handgefertigte Pralinen und die berühmten „Basler Läckerli“, ein lebkuchenartiges Gebäck aus Weizenmehl, Honig, kandierten Früchten sowie Nüssen anbietet. Ich überzeuge eine Mitarbeiterin der Confiserie so sehr von meinem Vorhaben, dass sie ihren Chef anruft, einige Minuten telefoniert und mir dann strahlend verkündet, mit mir ins Geschäft zu kommen. Ich kann es kaum glauben, als sie mir Waren – Läckerli und Pralinen – im Wert von insgesamt 50 Franken anbietet. Der Kurs zum Euro ist rund eins zu eins. Ich grinse übers ganze Gesicht, bin ich doch großer Fan von Schweizer Schokolade. Oh ja, das mit dem Tauschen war eine grandiose Idee, triumphiert das Leckermäulchen in mir.
Mit der süßen Ware im Gepäck will ich mich aber noch nicht auf den Rückweg zum Campingplatz machen, sondern lieber weiter durch die ein- oder andere Straße spazieren, zu schön ist es, Teil der Flanierenden zu sein, deren Gesichter von der Sonne gewärmt werden. Dabei stoße ich auf das Bürgerliche Waisenhaus, welches mit einer Ausstellung zum 350-jährigen Jubiläum wirbt. Die Vorstellung, in eine Lebenswelt einzutauchen, die meiner eigenen so fern ist, lockt mich an. Viele Schautafeln und ein Ausstellungsbereich mit historischen Gegenständen wie einer alten Schulbank entführen mich nicht nur in eine andere Welt, sondern auch in eine vergangene Zeit. Verständlicherweise erhalte ich nur Zugang zu diesem bestimmten Bereich, nicht aber zum Wohnraum der jungen Menschen, die hier noch heute untergebracht sind. Es muss nicht unbedingt der Tod der Eltern dafür verantwortlich sein, dass ein junger Mensch aus der Familie genommen wird, sondern es sind mannigfaltige soziale und familiäre Erschwernisse, die man heute jedoch viel stärker als früher zunächst mit ambulanter Unterstützung versucht zu lösen. Eine Einweisung in ein Heim ist letztmögliches Mittel.
Die Lage des Areals mitten in der Stadt und die vom ehemaligen Kloster vorgegebene Struktur beeinflusste damals das Alltagsleben der Kinder und Jugendlichen. Sie fühlten sich eingesperrt und verzehrten sich nach der Freiheit, die sie außerhalb der Mauern vermuteten. Das Personal hingegen wollte seine Schutzbefohlenen vor den schlechten Einflüssen in der Stadt bewahren. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ging es offener zu, was einen positiven Effekt für alle hatte. Heute ist es der Waisenhausleitung wichtig, dass das Leben der jungen Bewohnerinnen und Bewohner eigenverantwortlich gestaltet wird. Davon erfahre ich nicht nur durchs Nachlesen, sondern auch von Ruedi Hafner, der sich mir angeschlossen hat. Er engagiert sich ehrenamtlich und zeigt mir die Exposition. Sein ganzes Leben lang hat er hier gearbeitet, bis er in Rente ging, dem Haus aber auch jetzt nicht den Rücken kehren möchte. Er begann damals als Praktikant und stieg auf, bis er für Planung, Finanzen und Entwicklung zuständig war. Während seiner aktiven Zeit hat es ihn immer glücklich gemacht, Veränderungen bewirken zu können. Besonders die Orientierung hin zu einer mehr aufs Individuum gerichteten Pädagogik lag ihm am Herzen. Ich, die ihr Leben so gestaltet, wie ich es für mich als richtig erachte, hätte – wäre ich hier groß geworden – davon wohl auch profitiert und verstehe Herrn Hafners Freude über diesen Fortschritt.
„Früher wurde zu sehr auf die Gruppe geschaut, die Entwicklung Einzelner zu wenig in den Blick genommen“, schaut er zurück. „Das ist heute erfreulicherweise anders. Auch die Zeiten für Bewohner, die hier ausziehen, bessern sich, zum Beispiel dank des Projektes ‚Care Leaver erforschen Leaving Care‘. Hintergrund ist, dass junge Erwachsene, die volljährig geworden sind oder ihre Erstausbildung abgeschlossen haben, nun allein vor diversen Herausforderungen des Lebens stehen, denn die Entlassung aus dem Heim gleicht einem Bruch. In der Fachsprache heißen diese jungen Menschen ‚Care Leaver‘. Wir erklären hier“, deutet er auf eine der Tafeln, „wie das ablaufen soll. Care Leaver haben zunächst über ihre Erfahrungen berichtet und sollen nun, im Rahmen dieses Forschungsprojektes der Fachhochschule Nordwestschweiz, ein Unterstützungsnetzwerk erhalten, dessen tragende Säule sie einerseits sind und was sie andererseits tragen soll. Das ist nötig, weil die Antworten der Care Leaver deutlich gezeigt haben, dass sie wie alle jungen Menschen soziale und alltagspraktische Ratschläge und Unterstützung brauchen und diese eben bis dato nicht in ausreichendem Maß erhalten. Ich freue mich, dass es hier vorangeht.“

Glücklich bei der Arbeit im Waisenhaus
Meinen Gesprächspartner kann ich nur bewundernd an der Kamera vorbei anlächeln, als er seine Hände auf dem Rand dessen ablegt, was er mir als Caritasbrunnen vorstellt, und ich ihn so an einem schattigen Platz im Hof ablichte. Sein offenes Lächeln passt zu dem, was er noch anfügt: „Ich bin gern Rentner und liebe klassische Musik. Zuletzt war ich außerordentlich glücklich, als ich mit anderen zusammen erfolgreich musiziert habe. Ein schönes Erfolgserlebnis war das“, freut er sich.
Zurück auf dem Campingplatz denke ich noch einmal an Ruedi. Er war der erste Gesprächspartner, der von mir wissen wollte, was mich glücklich macht. Ich öffne die edlen Pralinen, die ich mir ertauscht habe, stelle sie in die Mitte eines Tisches und lade die anderen Camper ein zuzugreifen. Ich durfte mit zwei gesunden und fürsorglichen Eltern aufwachsen, in einem Land, in dem ich weder Krieg noch Nöte erfahren musste, und das zu einer Zeit, während der ich die Möglichkeit genoss, mich frei entwickeln zu können – zu einem Individuum, das heute in Basel auf dem Campingplatz verweilt und verdammt teure Pralinen mit lieben Menschen, die reisen, wie sie es mögen, teilt. Meine Medizinerfreunde greifen lächelnd zu.
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