Kitabı oku: «Einspruch!», sayfa 2

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STRATEGIE WECHSELN: BERÜCKSICHTIGEN SIE BEIM DISKUTIEREN NICHT NUR FAKTEN

Vielen Menschen ist durchaus bewusst, wie einseitig unser Denken ist. Aber diese Erkenntnis zwingt einem in Diskussionen geradezu eine Gegenstrategie auf, nämlich dem Gegenüber quantitativ nicht noch mehr gleichartige Argumente aufzudrängen, was oft nicht zielführend ist. Probieren Sie stattdessen aus, ob eine andere Stoßrichtung Ihres Arguments möglicherweise wirkungsvoller ist.

Diese Taktik wurde im Bereich der Klimafakten erforscht. Warum gerade dort? Weil es einen eklatanten Widerspruch zwischen Forschungsergebnissen und politischer Debatte gibt – von manchen wird die Erkenntnis eines menschengemachten Klimawandels sogar geleugnet. Speziell in den USA ist eine politische Spaltung deutlich, Mitglieder oder Fans der republikanischen Partei verharmlosen tendenziell die Erderhitzung. Das deutlichste Beispiel ist Donald Trump, der bereits eine ganze Palette widersprüchlicher Aussagen zu der Thematik vorbrachte – mal nannte er die Idee der Erderhitzung eine Erfindung, dann deutete er an, es gibt eine Erhitzung des Klimas, aber der Mensch sei nicht verantwortlich dafür. Beide Sichtweisen widersprechen dem Stand der Forschung. Die überwiegende Mehrheit der zum Klima Forschenden geht davon aus, dass die Erderhitzung sowohl real ist als auch maßgeblich vom Menschen verursacht wird. 97 Prozent der Studien zu dieser Thematik, die auch Gründe für die steigenden Erdtemperaturen erwähnen, führen an, dass der Mensch die globale Erhitzung durch den Ausstoß von Treibhausgasen verursacht.8 Es lässt sich hier also von einem breiten Konsens in dieser Fachrichtung sprechen. Was kann man aber tun, damit ein größerer Teil der Bevölkerung die Klimakrise ernst nimmt – und auch dementsprechend ernste Maßnahmen akzeptiert?

In den USA gibt es mittlerweile etliche Untersuchungen, wie man solche Klimaspektiker*innen besser ansprechen kann – diese Forschungsergebnisse bieten auch Einblick, wie sich unliebsame Fakten so verpacken lassen, dass sie eher auf Gehör stoßen. In einer Studie wurden verschiedene Argumentationsformen getestet, um die Zustimmung zu Klimaschutz-Maßnahmen zu erhöhen: Erstens hieß es, dass Schritte gegen die Klimakrise sinnvoll sind, um Schäden für Umwelt und unsere Gesellschaft zu vermeiden – das ist das klassisch ökologische Argument. Zweitens wurde aber auch argumentiert, dass es den Zusammenhalt fördere, wenn die Gesellschaft gemeinsam an einem Strang zieht und den Klimawandel meistert. Und drittens wurde die Argumentation getestet: Maßnahmen gegen den Klimawandel zu setzen, eröffnet eine wirtschaftliche Chance für neue Jobs und Innovation. Das Ergebnis: Das klassisch ökologische Argument wirkte vorrangig bei jenen, die ohnehin schon überzeugt waren. Im Englischen nennt man so etwas „preaching to the converted“, man erreicht vor allem jene, die man ohnehin schon erreicht hat. Jedoch wiesen Argument Nummer zwei und drei eine größere Überzeugungskraft auch bei jenen auf, die Zweifel in Bezug auf die Klimathematik haben. Die dritte Argumentation, wonach eine grüne Wende auch Wirtschaftschancen bietet, war übrigens gezielt so formuliert worden, dass sie marktliberale Konservative in den USA anspricht, denen Ökologie womöglich weniger am Herzen liegt als Ökonomie.9 Man nennt das „wertebasierte Kommunikation“. Der Ökonom Matthew Hornsey und die Psychologin Kelly Fielding sprechen hier auch vom „Jiu-Jitsu“-Stil beim Kommunizieren. Denn bei der Kampfkunst Jiu-Jitsu tritt man anderen nicht frontal entgegen, sondern man leitet ihre Kraft und ihr Momentum um, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Und auch beim Jiu-Jitsu-Diskussionsstil nutzt man die bestehenden Wünsche oder Wertvorstellungen der anderen Person, um diese auf ein Argument zu lenken, das sie sonst weniger ernst nehmen würde.10

TIPP

Es gibt nicht nur die frontale Konfrontation – sondern auch eine flexiblere Form des Diskutierens

Im Einsatz gegen Falschmeldungen oder Spekulationen kann es helfen, sich den Wertvorstellungen oder den Ängsten der anderen Person nicht frontal entgegenzustellen, sondern vorhandene Anknüpfungspunkte in die eigene Argumentation aufzunehmen: Zum Beispiel kursieren viele Falschaussagen über Microsoft-Gründer Bill Gates, über die Stiftung, die er und seine Frau Melinda gegründet haben, und über das Thema Impfungen. Schon seit Jahren ist Gates ein Feindbild der besonders impfkritischen Szene, da seine Stiftung enorm viel Geld in Impfprogramme in Entwicklungsländern steckt und Forschung zu Krankheiten finanziert. Ihm werden die abstrusesten Dinge vorgeworfen, etwa dass Gates in Kenia Frauen reihenweise sterilisiert hätte oder – in der Coronakrise – dass er Menschen durch eine Impfung in Wirklichkeit heimlich Mikrochips implantieren wolle. Das ist natürlich eine substanzlose Erfindung.11 Das Problem ist in meinen Augen, dass sich Bill Gates auch deshalb so gut als Feindbild eignet, weil sich in erfundenen Geschichten über ihn die Ängste vieler Menschen widerspiegeln: Dass sich nämlich der Staat aus dem Gesundheitssystem und der Forschung zurückziehen könnte und zunehmend Superreiche diese Rolle ausfüllen. Ich glaube sogar, eine Privatisierung von Forschung und Gesundheitssystem ist durchaus eine berechtigte Sorge – nur heißt das noch lange nicht, dass Bill Gates Frauen sterilisieren, Menschen Mikrochips einpflanzen will oder irgendeinen dunklen Plan verfolgt. Wenn ich mit Personen diskutiere, die negativ über Gates denken, womöglich auch nachweisbar falsche Behauptungen über ihn wiedergeben, dann sage ich genau das: Ich verstehe die Skepsis, die Menschen spüren, wenn einzelne Milliardäre und nicht die Allgemeinheit medizinische Forschung prägen. Aber trotz solcher Skepsis sollte man fair bleiben. Es ist unfair, Bill Gates etwas zu unterstellen, das er nachweislich nie gesagt oder nie getan hat. Meine Erfahrung ist: Einige sind durchaus für diese Differenzierung erreichbar – solange sie merken, dass für sie relevante Werte ernst genommen werden.

Natürlich bedeutet das auch, dass es Grenzen gibt, wie weit sich der Jiu-Jitsu-Kommunikationsstil, oder nennen wir es „wertebasiertes Kommunizieren“, anwenden lässt: Wenn man zum Beispiel mit Rechtsextremen diskutiert, wird man höchstwahrscheinlich nicht versuchen, die eigenen Argumente basierend auf deren Weltsicht auszurichten. Es gibt eben dermaßen radikale Positionen und Wertvorstellungen, dass Jiu-Jitsu-Kommunikation nicht mehr möglich ist. Wenn jemand bestimmte Menschengruppen nur als Menschen zweiter Klasse betrachtet oder demokratiefeindliche Einstellungen vertritt, dann wäre es natürlich kontraproduktiv, an diese Sichtweisen zu appellieren. Denn das wertebasierte Diskutieren bedeutet, dass man sich stark auf die andere Perspektive einlässt. Eine Schattenseite dieser Technik ist auch, dass man zum Beispiel beim Thema Klimakrise plötzlich über Ökonomie und nicht über Ökologie spricht, um die es im Kern geht. Nichtsdestotrotz halte ich es für einen pragmatischen und klugen Zugang beim Diskutieren, dass man in heiklen Gesprächen fokussierter darüber nachdenkt: Kann ich meine Argumente so formulieren, dass sie besser zu den Wertvorstellungen meines Gegenübers passen? Das kann auch beim Diskutieren in der Familie oder im engen Umfeld dienlich sein, wo man sich zwar nahe steht, aber auch nicht alles deckungsgleich sieht. In diesen Situationen kennt man meistens die Werte und Überzeugungen der anderen Person recht gut und kann dies womöglich auch stärker bei der Stoßrichtung der eigenen Argumente berücksichtigen.

Jedoch ist die Situation häufig vertrackt: In manchen Fällen werden Sie gar nicht so nahe an das Gegenüber herankommen, dass Sie Jiu-Jitsu, diese flexible Art des Diskutierens, nutzen können: Oft verunglücken Debatten schon, bevor sachliche Argumente ausgetauscht werden – weil beleidigende Äußerungen fallen, weil die Stimmung so aufgeheizt ist, dass ein argumentatives Aufeinanderzugehen kaum noch möglich ist.

WARUM ES SO SCHWIERIG IST, GELASSEN ZU BLEIBEN

Wofür ich im Grunde plädiere, ist eine sehr nüchterne, abgeklärte Art des Diskutierens. Aber machen wir uns nichts vor: Einfach ist das nicht. Wenn ein guter Bekannter die Verschwörungserzählung verbreitet, dass alle Forschenden in der Medizin gekauft seien; wenn selbst die eigene Mutter behauptet, dass Bill Gates in Kenia Millionen von Menschen „zwangssterilisiert“ habe, ist es vielleicht nicht ganz so einfach, gelassen zu bleiben.

Ich selbst beschäftige mich seit Jahren mit Phänomenen wie Desinformation und Hasskommentaren im Internet – und auch mir kommen immer wieder Wortmeldungen unter, die mich einfach fassungslos machen. Ich folge zum Beispiel Facebook-Gruppen impfkritischer Eltern, um zu erfahren, welche Narrative in dieser Szene verbreitet werden. Neulich brachte eine Mutter in so einer Gruppe folgende Frage auf: „Wenn ihr ins Krankenhaus (notaufnahme) müsst, mit kind und ihr gefragt Werdet ob es geimpft ist, lügt ihr dann?“ In der darauffolgenden Debatte empfahl ihr beispielsweise eine Mutter: „Ja, definitiv lügen!!“ Ein Vater lieferte Formulierungstipps, wie man derartige Fragen gut umschiffen kann. Mich irritieren solche Aussagen zutiefst: Wahrscheinlich ist es generell eine schlechte Idee, Ärztinnen und Ärzte in der Notaufnahme anzulügen. Aber vor allem ist das Thema Impfungen ein besonders sensibles Feld. Denn es gibt Kinder, die können aufgrund einer Immunschwäche nicht geimpft werden – und gerade diese sind davon abhängig, dass andere Kinder rund um sie geimpft sind und auf diese Weise eine Herdenimmunität entsteht. Mich regt das wirklich auf, wenn impfkritische Eltern ihr Umfeld sogar anlügen und eine ärztliche Behandlung erschweren.

Worauf ich hinaus will: Wenn Sie zu umstrittenen Fragen wie Impfungen oder umkämpften politischen Themen diskutieren, dann sollten Sie sich darauf gefasst machen, dass Argumente fallen werden, die Sie vor den Kopf stoßen. Und der naheliegende erste Impuls ist, genauso heftig darauf zu reagieren – zum Beispiel mit Häme. Dann sagt man: „Bitte nimm den Aluhut ab“, um zu signalisieren, dass jemand gerade Verschwörungserzählungen verbreitet. Das Problem ist nur: Beleidigungen oder auch Spötteleien haben eine toxische Wirkung. Falls Ihr Ziel ist, Andersdenkende potenziell noch zu erreichen, empfiehlt es sich, dem Gegenüber eine mentale Abwehrhaltung nicht allzu einfach zu machen. Anja Sanchez Mengeler erzählte mir, dass sie folgende Strategie anwendet: Sie diskutiert bis heute gerne auf Facebook, sie hat in ihrer Freundesliste auch noch Kontakte, die an eine große Verschwörung glauben. Obwohl sie hier mittlerweile klar eine andere Meinung vertritt, achtet sie sehr darauf, eine Verhärtung der Fronten zu vermeiden: „Ich versuche zu zeigen, ich bin nicht deiner Meinung, aber ich bin nicht dein Feind“. Denn sie erinnert sich, wie toxisch solche Feindbilder sind und wie sich Häme anfühlt. „Es gibt zum Beispiel Menschen“, sagt sie, „die der Wissenschaft vertrauen, die sagen Sachen wie: Ihr dummen Verschwörungsgläubigen. Oder: Ihr seid ja alle verstrahlt. So wurde auch manchmal mit mir umgegangen – und ich kann sagen, das war nicht hilfreich. Im Gegenteil, so etwas hat mich damals in meinem Glauben bestärkt.“

Diskutieren kommt einem Drahtseilakt gleich. Es geht einerseits darum, rote Linien aufzuzeigen; Menschen auch verständlich zu machen, dass Aussagen, die sie weitererzählen, beispielsweise von rassistischen oder antisemitischen Vorstellungen geprägt sind. Es ist wichtig, die problematische Seite falscher oder spekulativer Behauptung zu dekonstruieren – auch damit Menschen, die bei einer Konversation zuhören oder mitlesen, dies verstehen. Aber wenn das Ziel ist, die Person, mit der man diskutiert, inhaltlich zu erreichen, dann sollte man stark auf die eigenen Worte achten, um damit nicht eine zusätzliche Hürde zu schaffen. Es kann schnell geschehen, dass man dann beim Diskutieren in einer Frontenstellung landet, auch wenn man dies gar nicht so beabsichtigt hatte. Es gibt sogar wissenschaftliche Daten, wie Andersdenkende im Internet aufeinander reagieren. Ein Forschungsteam aus den Disziplinen der Informatik, Statistik und Physik analysierte einmal zwei Typen von Facebook-Seiten: Zum einen wurden 32 Facebook-Seiten ausgewertet, die Verschwörungserzählungen verbreiteten – die beispielsweise vor der „Neuen Weltordnung“ warnten oder behaupteten, HIV sei nicht die Ursache von AIDS. Als Kontrast dazu wurden auch 35 Facebook-Seiten analysiert, die eine ganz andere Ausrichtung hatten – sie verbreiteten Wissenschaftsneuigkeiten. Das Forschungsteam wollte wissen: Kommen diese Fans von Verschwörungsmythen und die Fans von Wissenschafts-News miteinander in Kontakt? Es zeigte sich: Diese zwei Gruppen blieben unter sich. Sogenannte „homogene, polarisierte Cluster“ fielen auf – also Ansammlungen von Menschen, die gleiche Interessen haben und zu der anderen Gruppe kaum Kontakt pflegen.12 In einer zweiten Auswertung beleuchtete die Forschungsgruppe noch einen weiteren Aspekt: Sie untersuchten jene seltenen Fälle, in denen die zwei Gruppen – also Fans von Verschwörungserzählungen und Fans von Wissenschaftsnachrichten – ausnahmsweise doch in Onlinediskussionen aufeinandertrafen. Und hier stellten sie fest: Je länger diese beiden Gruppen miteinander diskutierten, desto negativer wurde der Tonfall.13

Wenn Andersdenkende aufeinanderstoßen, besteht die Gefahr, dass dies nicht zur Verständigung führt – sondern Eskalation wahrscheinlicher wird, bei der am Ende beide Seiten dem Thema noch aufgebrachter gegenüberstehen. Und auch das sage ich nicht einfach so, dazu gibt es ebenfalls eine bemerkenswerte Studie, an der unter anderem der deutsch-amerikanische Kommunikationswissenschaftler Dietram Scheufele von der University of Wisconsin-Madison mitwirkte. Scheufele beschäftigt sich mit der Frage, wie man Menschen Wissenschaft vermitteln kann. In diesem Experiment mussten rund 1200 Menschen einen neutral verfassten Onlineartikel zum Thema Nanotechnologie lesen. Bei Nanotechnologie werden winzige Partikel erzeugt, die neue Produkte ermöglichen – zum Beispiel wasserabweisende Kleidungsstücke oder neue, effiziente Medikamente. Das Thema Nanotechnologie wurde auch deshalb gewählt, weil hier die Meinungen noch nicht so festgefahren sind wie beispielsweise in der Klimadebatte und man messen kann, wie sich unfreundliche Kommentare auf die Wahrnehmung des Themas auswirken. Die Teilnehmenden mussten den ausgewogenen Onlinetext zum Thema Nanotechnologie lesen und darunter auch Postings – wobei ein Teil der Befragten eine lebhafte Diskussion mit reichlich Widerspruch vorfand, in der jedoch keine Schimpfworte fielen. Ein anderer Teil las die nahezu identen Internetkommentare, nur waren zusätzlich noch Schimpfworte eingefügt worden. Zum Beispiel hieß es in einem Kommentar: „Wenn du die Vorzüge des Einsatzes von Nanotechnologie nicht verstehst (…), bist du ein Idiot.“


Es stellte sich heraus, dass das Lesen von Beleidigungen einen Effekt hatte. Jene Testpersonen, die mit Kommentaren mit Schimpfworten konfrontiert worden waren, schienen sich öfter hinter der eigenen Meinung zu verbarrikadieren. Wer tendenziell pro Nanotechnologie war, zeigte sich danach tendenziell umso überzeugter davon. Wer sie eher ablehnte, verteufelte sie danach im Schnitt stärker. Jene Gruppe hingegen, die zwar eine lebhafte Debatte, aber keine Schimpfworte gelesen hatte, war nicht so gespalten. Das ist ein bemerkenswertes Ergebnis, weil es mit Daten untermauert, was viele vielleicht schon vermutet hatten: Selbst das Einstreuen harmloser Schimpfworte kann eine spaltende Wirkung haben – die Forschenden nennen das den „Nasty Effect“, den „fiesen Effekt“. Denn es ist ziemlich fies, wie Schimpfworte eine Debatte negativ beeinflussen.14

Dietram Scheufele erzählte mir dazu etwas Interessantes: Man kann gegen den Nasty Effect auch ankämpfen. Zum Beispiel ist es wichtig, Diskussionsräume zu haben, in denen die Teilnehmenden sehen, dass Beleidigungen nicht geduldet werden. Er sagte: „Wir haben noch ein zweites Experiment durchgeführt: Menschen lasen wieder beleidigende Onlinekommentare unter Artikeln. Nur wurde manchen von ihnen dieses Mal der Hinweis eingeblendet: ‚Dieser Kommentar wurde entfernt.‘ Sie sollten also den Eindruck bekommen, dass unfreundliche Kommentare gelöscht worden waren, dass moderiert wurde. Dadurch wurde der Nasty Effect deutlich schwächer.“15 Das ist eine beeindruckende Beobachtung, denn sie legt nahe: Wenn Menschen mitbekommen, dass auf das Diskussionsklima geachtet wird, dann wird die Spaltung kleiner. Und Dietram Scheufele meint, dass man auch als Einzelne oder Einzelner etwas daraus mitnehmen kann: „Wenn wir selbst mit einer harten Wortmeldung konfrontiert sind, sind wir versucht, mit Härte darauf zu reagieren. Aber es stellt sich schon auch die Frage, wie man selbst die Gangart im Gespräch anlegt: Man kann auch versuchen, jene Person zu sein, die einen Gang runterschaltet.“

Mir selbst geben diese Untersuchungen immer wieder zu denken: Es ist nur menschlich, dass auf manche Vorfälle oder Aussagen durchaus entsetzt reagiert wird. Nach den großen Corona-Demos, bei denen Tausende Menschen gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus auf die Straße gingen, wurden diese Protestierenden vielfach als „Covidioten“ bezeichnet. Wie schon erwähnt, war ich Ende August 2020 als Journalistin auf solch einer Demo in Berlin und habe einige problematische Szenen beobachtet: Zum Beispiel Menschen, die auf ihr T-Shirt oder auf ein Plakat den „Judenstern“ aufgedruckt hatten – und damit suggerieren, die Gräuel des Nationalsozialismus wären in irgendeiner Weise gleichzusetzen mit den Corona-Maßnahmen. Oder Plakate, welche die Inhaftierung des Virologen Christian Drosten forderten. Es erscheint mir geradezu paradox, im Namen der Freiheit auf die Straße zu gehen und dann die Inhaftierung eines Mediziners zu verlangen, der lediglich seine Arbeit macht. Und besonders unbehaglich sind gerade jene Rechtsextreme, die auf diesen Demos mitmarschieren und diese für gewalttätige Aktionen oder zum Verbreiten ihrer Ideologie nutzen. Ich halte es für wichtig, dass Medien all dies aufzeigen, hart diskutieren – und trotzdem bin ich kein Fan davon, wenn die Demonstrierenden pauschal als „Covidioten“ bezeichnet werden, denn dieses Wort bringt keinen Mehrwert für die Diskussion. Man lacht vielleicht darüber oder fühlt sich für einen Augenblick bestätigt – aber es ist ohnehin schon so schwierig, andere argumentativ bei diesem polarisierenden Thema zu erreichen. Eine solche Wortwahl heizt eine ohnehin schon erhitzte Debatte noch weiter an.

TIPP

Vermeiden Sie den Nasty Effect im persönlichen Austausch!

Im eigenen Umfeld ist das durchaus ähnlich: Zum Beispiel ist es in der Familie oft auch nicht einfach, gelassen zu bleiben. Es wühlt uns womöglich umso mehr auf, wenn eine geliebte Person faktenwidrige Behauptungen aufstellt, wenn die eigene Mutter partout die Existenz von Viren abstreitet oder der eigene Vater behauptet, die Klimakrise sei eine Erfindung geldhungriger Forschender. Man sagt dann sehr schnell: „Red nicht so einen Blödsinn!“ Oder man reagiert mit Spott, auch aus einem Gefühl der Überforderung heraus. Mir hat zum Beispiel ein Beamter aus Wien, dessen Bruder im Rahmen der Coronakrise zum Maskengegner wurde, Folgendes erzählt: Während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 hatten die beiden wenig Kontakt. Eines Tages erhielt er ein E-Mail seines Bruders, das zu Youtube-Videos führte – in denen es gegen den Microsoft-Gründer Bill Gates, den Virologen Christian Drosten und Lothar Wieler vom Robert-Koch-Institut ging und behauptet wurde, in Dänemark werden Menschen bereits zwangsgeimpft. Der Beamte glaubte zuerst, sein Bruder mache einen Witz. Er musste dann aber feststellen: Sein Bruder meinte das ernst. Sein Fazit lautet: „Was ich seither gelernt habe: Das Wichtigste ist, so zu reagieren, dass man nicht noch mehr Widerstände erzeugt. Man muss diese Gesprächsbasis aufrechterhalten, damit einem der andere zumindest ein bisschen zuhört.“ Also: Vermeiden Sie auch im persönlichen Austausch den Nasty Effect, also dass sich nach einer scharfen Wortwahl oder Spott die Fronten verhärten. Gerade im persönlichen Umfeld hat man noch eher die Chance, eine gemeinsame wertschätzende Diskussionsebene zu finden – oder zumindest auf lange Sicht die Gesprächsebene zu bewahren, wenn einem jemand wichtig ist.

Dazu passt auch die Erfahrung von Anja Sanchez Mengeler: Ich habe eingangs erzählt, dass sie Familienmitglieder hatte, die ihren Ansichten zwar skeptisch gegenüberstanden, die aber weiterhin eine wertschätzende Beziehung zu ihr pflegten. Eine solche Person war auch ihre Schwester, die Sozialarbeiterin ist und die zum Beispiel in persönlichen Gesprächen fragte: „Meinst du wirklich, dass die Presse so manipuliert ist?“ Das war allerdings nicht das Einzige, was ihre Schwester tat, erzählte mir Frau Sanchez Mengeler: „Wir haben dann aber auch den ganzen lieben langen Tag viele andere Themen gehabt, sie hat unsere Bindung weitergeführt, so nach dem Motto: ‚Ich lass dich nicht fallen, du bist mir wichtig.‘ Ich glaube, das war ein wichtiger Punkt, dass wir nicht nur darüber gesprochen haben. Sondern dass sie mich auch aus dieser Welt ein bisschen herausgeholt hat. Weil wenn man in der Verschwörungsszene drinnen ist, sieht man ja überall irgendwelche Anzeichen dafür. Dann ist es vielleicht auch entspannend, in dieser Welt des Misstrauens mit etwas Normalität konfrontiert zu werden.“

Wohlgemerkt wäre es eine falsche Hoffnung, zu sagen, dass dies in jedem Fall, in jeder Familie funktioniert. Aber dieses grundsätzliche Gefühl der Wertschätzung ist ein wichtiger Baustein, damit einem der oder die andere in einem Gespräch noch zuhört.

Dazu gibt es eine interessante Theorie des US-amerikanischen Psychologen Claude Steele: Menschen haben das Bedürfnis, sich selbst als integer zu sehen. Auch unsere Überzeugungen sind Teil der eigenen Selbstsicht. Man tut sich deshalb schwer mit Fakten, die der eigenen Weltsicht widersprechen, weil eine richtige, aber unerwünschte Information sich schnell wie ein Angriff auf die eigene Person anfühlen kann. Wenn wir etwas hören, das unserer Meinung widerspricht, kann das durchaus auch unbewusst einen gefühlten Angriff auf uns selbst darstellen. Dies ist Teil der sogenannten „Self-Affirmation-Theory“.

In vielen Diskussionen ist es sinnvoll, Falsches zu benennen – aber der anderen Person die Möglichkeit geben, ihr Gesicht zu wahren, auch wenn sie eine Falschmeldung geglaubt hat. Ein konkreter Tipp: Mich fragen Leute oft, was sie machen sollen, wenn gute Bekannte in einer WhatsApp-Gruppe Falschmeldungen verbreiten. Manche schreiben dann in der Gruppe zurück, korrigieren die Aussage, posten den Faktencheck. Wenn Sie eine gute Gesprächsbasis zu dieser Person haben, können Sie auch Folgendes tun: Nicht gleich öffentlich antworten, sondern der Person zuerst eine private Nachricht senden. Sie können zum Beispiel schreiben: „Ich habe gesehen, dass du den Artikel von der Quelle XYZ gepostet hast. Ich möchte nur sagen, ich habe das neulich auch gelesen und dann gemerkt: Das ist eine sehr unseriöse Seite, hier gibt es einen Faktencheck …“ Diese Korrektur unter vier Augen kann es erleichtern, dass die Person öffentlich zurückrudert. Natürlich funktioniert dieser Zugang auch nicht immer – schon gar nicht, wenn die Person bereits von der Erzählung überzeugt ist. Aber ich empfehle, vorsichtig vorzufühlen, wie sehr jemand von einer Falschbehauptung eingenommen ist, um dann die eigene Diskussionstaktik dem anzupassen.


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