Kitabı oku: «Pucki», sayfa 25
9. Kapitel: Mutterliebe
Der Platz neben Hedi Sandler blieb heute leer – Thusnelda Reichert war nicht zur Schule gekommen.
»Weiß einer von euch, ob Thusnelda krank ist?« fragte die Lehrerin.
Niemand konnte die Frage beantworten.
»Ich weiß, wo sie wohnt«, sagte Pucki, »ich gehe zu ihr und frage sie.«
»Aber Hedi du kannst doch nicht aus dem Unterricht fortlaufen. Vielleicht kommt Thusnelda noch.«
Die Stunden vergingen, die Klassenkameradin kam nicht. Pucki musste immer auf den leeren Platz sehen. Die Freundin fehlte ihr. Ob Thusnelda vielleicht auch die Masern hatte? Gestern sah sie aber noch so frisch und vergnügt aus.
Das Försterskind nahm sich vor, sogleich nach Schulschluss in die Nebenstraße zu laufen, in der Thusnelda wohnte. Es konnte den Schluss des Unterrichts kaum erwarten. Heute trödelte es nicht auf dem Schulhof. Es verließ als eines der ersten das Schulgebäude, um zu Thusnelda zu eilen.
Pucki war schon oft in der dürftigen Hinterwohnung gewesen, die Thusneldas Mutter mit ihren fünf Kindern bewohnte. Sie wusste auch, dass Frau Reichert tagsüber selten daheim war, weil sie in fremden Häusern Wäsche wusch. Die Flurtür war nur angelehnt, Pucki schlüpfte in den dunklen Gang. Thusnelda, die die Schritte hörte, kam ihr entgegen.
»Oh«, sagte Pucki erstaunt, »du bist gar nicht krank und kommst nicht in die Schule?« Erst jetzt bemerkte die Kleine das verweinte Gesicht der Freundin. »Bist du vielleicht doch krank?« fragte Pucki mitleidig und streichelte Thusneldas Hand.
»Die Mutter – die Mutter«, rief Thusnelda, in Tränen ausbrechend. »Heute nacht ist sie plötzlich krank geworden. Wir wissen nicht, was ihr fehlt. Sie liegt da, und bald wird sie sterben.«
Puckis Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Wenn eine Mutter starb, das war das Schrecklichste, was es auf der Erde gab.
»Warum muss sie denn sterben?« fragte sie angstvoll.
»Weil die Käthe und die Emma das Fest mitmachen wollten. Nun hat die Mutter noch in der Nacht für sie genäht, und dann ist sie umgefallen. So hat Frau Huber gesagt.«
Dass Frau Huber die Nachbarin war, wusste Pucki. Dass die um zwei Jahre älteren Schwestern Thusneldas bei einer Aufführung in der Schule mitwirken sollten, war ihr auch bekannt. Warum aber deswegen eine Mutter sterben sollte, begriff sie nicht. Eine unerklärliche Angst erfasste sie.
»So sag doch, warum deine Mutter sterben muss?«
Aber Thusnelda lief davon, hinein ins Krankenzimmer. Pucki zögerte ein Weilchen, dann steckte auch sie den Kopf durch den Türspalt. Im Bett lag die fleißige Frau Reichert mit geschlossenen Augen. Sie sah weiß aus. Am Tisch stand Frau Huber und kochte irgend etwas auf dem Spirituskocher.
Aus der Küche tönte jetzt wieder leises Weinen. Pucki ging sofort hinein. Dort saß die Älteste der Reichertschen Kinder, die dreizehnjährige Marie. Pucki setzte sich schweigend zu ihr und wartete betrübt, ob Marie nicht etwas sagen würde. Als sie aber schwieg, sagte Pucki leise:
»Warum muss deine Mutter sterben?«
»Frau Huber sagt, sie hätte zu viel gearbeitet. Den ganzen Tag hat sie Wäsche gewaschen, abends kam sie sehr müde nach Hause. Wir haben gedacht, sie legt sich ins Bett und schläft, weil sie so zeitig wieder fortgeht. Aber sie hat sich nicht ins Bett gelegt, sie hat für Käthe und Emma die neuen Kleider genäht, weil beide für die Aufführung weiße Kleider haben mussten. Da hat sie noch in der Nacht fleißig gearbeitet und nicht geschlafen.«
»Weil sie der Käthe und der Emma Kleider machen wollte – –?«
»Ja, meine Schwestern wollten doch so gern das Schulfest mitmachen. Sie haben in der Schule gesagt, sie könnten nur in weißen Kleidern kommen. Mutter hat doch aber kein Geld, um neue Kleider zu kaufen. Da hat sie eben selbst die Kleider genäht und nicht geschlafen. – Heute nacht höre ich auf einmal, wie etwas fällt. Ich war so erschrocken, und als ich in die Stube komme, liegt die Mutter steif auf dem Boden. Das weiße Kleid hielt sie noch in den Händen.«
»Weißt du was, Marie, ich nehme meiner Mutter die weißen Kleider mit, damit sie sie fertig näht. Oh, das macht sie. Meine Mutti hat schon viel für andere genäht. Dann kann deine Mutter schlafen.«
»Sie macht die Augen nicht mehr auf und sagt auch nichts.«
»Habt ihr schon den Onkel Doktor gerufen?«
»Frau Huber meint, es wird schon wieder besser werden.«
Pucki war jedoch anderer Meinung. Wenn im Forsthaus jemand krank war, wurde sofort der Onkel Doktor gerufen, und der half. Sie wusste genau, wo der Onkel Doktor wohnte. Da wollte sie sogleich einmal hinlaufen und ihn zu der kranken Frau Reichert schicken, damit Thusneldas Mutti nicht zu sterben brauchte.
Kaum war dieser Gedanke in dem Kinderköpfchen entstanden, als Pucki auch schon fortlief, um den guten Onkel Doktor zu holen. Der Arzt war daheim und versprach sogleich mitzukommen.
»Mach sie doch wieder gesund«, bat Pucki, »es sind so viele Kinder dort, da darf die Mutti nicht sterben. – Ach, ich habe so große Angst.«
Der Arzt kam. Er stellte Erschöpfung fest. Die tiefe Ohnmacht, in die Frau Reichert gefallen war, wiederholte sich noch mehrfach. Aber direkte Lebensgefahr bestand nicht. Die Kinder hatten nur einen furchtbaren Schreck bekommen, als sie die Mutter blass und leblos auf dem Fußboden liegen sahen.
Pucki atmete auf. Sie tröstete rasch Thusnelda noch ein wenig und versprach ihr, dass ihre Mutter die Kleider für die beiden Schwestern nähen würde. Dann verließ sie mit dem guten Onkel Doktor das Haus. Doktor Kolbe hatte sich inzwischen durch Frau Huber über die Verhältnisse orientiert.
»Weil sie die Kleider nähen wollte, ist sie krank geworden«, sagte Pucki.
»Aus übergroßer Liebe zu ihren Kindern hat sich die gute Frau überanstrengt, kleine Pucki. Hier kannst du wieder einmal sehen, was eine Mutter tut, um ihren Kindern eine Freude zu machen.«
»Ja, meine Mutti näht mir auch immer die Kleider.«
»Die gute Frau Reichert hat den ganzen Tag über zu arbeiten. Was sie verdient, braucht sie fürs Leben. Nun wollten ihre beiden Mädchen gern eine Freude haben, doch das Geld für weiße neue Kleider war nicht vorhanden. So hat die brave Frau Reichert außer ihrer schweren Tagesarbeit noch allerlei Näharbeit angenommen, um etwas extra zu verdienen. Von diesen ersparten Pfennigen kaufte sie den Stoff für die Kleider. Sie hat die halben Nächte hindurch gesessen und emsig genäht.«
»Da wird sie wohl oft sehr müde gewesen sein?«
»Zum Umfallen müde, mein Kind, doch daran hat sie nicht gedacht, nur immer daran, dass sie ihren Kindern eine Freude machen wollte. Siehst du, Pucki, solche Opfer bringt die Mutterliebe.«
»Die halbe Nacht genäht – –« sagte Pucki erstaunt.
»Darum kann ein Kind seiner Mutter gar nicht dankbar genug sein. Jede Mutter bringt an jedem Tage viele Opfer für ihre Kinder.«
»Onkel Doktor, meine Mutti ist auch sehr gut, sie näht jetzt für die Reichertschen Mädchen die Kleider fertig.«
An der Straßenkreuzung verabschiedete sich Pucki artig von dem Arzt und eilte beschleunigt dem Elternhause zu. Es war heute ohnehin schon eine halbe Stunde später als sonst. Die Eltern würden bereits mit dem Mittagessen warten.
»Du Bummler!« empfing Minna sie. »Wo steckst du denn? Oder musstest du nachsitzen?«
»Aber Minna, was denkst du! Ich war bei der kranken Mutter von der Thusnelda. Das muss ich der Mutti erzählen.«
Man saß bereits beim Essen, als Pucki ins Zimmer trat. Ehe Frau Sandler etwas sagen konnte, hing Pucki an ihrem Halse und drückte die Mutter stürmisch.
»Ich weiß, Mutti, dass eine Mutti jeden Tag für ihre Kinder aus großer Liebe Opfer bringt. Darum habe ich dich so schrecklich lieb, Mutti.« Dann eilte sie zum Vater. »Ach, ich habe euch ja so lieb! Immerfort muss ich an Frau Reichert denken. Sie ist auf den Boden gefallen, weil sie aus Mutterliebe die ganze Nacht genäht hat. Da habe ich schnell den Onkel Doktor geholt. Und morgen bringe ich dir die Kleider von der Käthe und der Emma. Bitte, bitte, liebe Mutti, nähe die Kleider fertig! Du bist doch immer so gut und nähst für viele, nun hilfst du sicher auch der kranken Frau Reichert.«
Es dauerte eine ganze Weile, ehe Sandlers aus dem Geplauder ihrer kleinen Tochter klug wurden.
»Und nun seid ihr auch nicht böse, dass ich heute so spät heimgekommen bin?«
»Nein, mein liebes Kind, wir sind dir nicht böse«, sagte der Vater, »im Gegenteil, du hast sehr klug und überlegt gehandelt. Jetzt legt der Vati eine weiße Bohne in das Kästchen, das bei der Mutti steht.«
Pucki sprang jubelnd im Zimmer umher und musste erst energisch zum stillsitzen aufgefordert werden.
»Du hast dich ohnehin mit dem Essen verspätet, mein Kind, nun beeile dich.«
»Nur vier schlimme Taten und drei gute Taten«, stellte Pucki fest. »Da wird der liebe Gott und der große Claus seine Freude haben!«
»Und die schlimmen Taten, die der Harras gefressen hat?«
»Die sind weg, Vati! Die Rose hat auch gesagt, manchmal macht der liebe Gott einen dicken Strich durch alleschlimmen Taten, die der Mensch begangen hat. Das hat der Harras auch so gemacht.«
Die Förstersleute lächelten verstohlen. Ihr Kind wusste immer eine Ausrede. Selbstverständlich machte sich Frau Sandler noch am selben Tag auf den Weg nach Rahnsburg, um sich nach dem Befinden der fleißigen Wäscherin zu erkundigen. Es war für die Förstersfrau selbstverständlich, dass sie die Kleider für die beiden Mädchen fertig nähte. Pucki saß indessen in der Küche und erzählte Minna, dem Harras, dem Peter, dem Rehlein Plüschli und den beiden Ziegen, was Mutterliebe für eine schöne Sache sei, und dass eine Mutter für ihre Kinder alles täte. – –
Der Herbst war ins Land gekommen. Er riss von den Bäumen die letzten Blätter. An manchem Morgen war der Garten des Forsthauses damit wie besät. Besonders die Kastanienbäume schüttelten ihre gelben Blätter ab und ließen sie zur Erde fallen. An jedem Morgen ging Minna hinaus in den Garten und harkte die Blätter zusammen. Große Haufen lagen bereits da, und Pucki freute sich schon auf den Tag, an dem der Vater solch einen Haufen in Brand stecken würde. Es sah gar zu lustig aus, wenn der Haufen rauchte, wenn der Vati auch noch das alte Kartoffelkraut und dürre Äste herbeitrug, um alles von den Flammen verzehren zu lassen.
»Vati, brennste den Haufen bald an?« quälte das Kind tagtäglich. »Aber zünde ihn ja nicht an, wenn ich in der Schule bin. Ich freue mich schon so darauf.«
»Wenn du mir versprichst, nicht immer in den dicken Rauch zu laufen, will ich es tun. Der Haufen muss nun endlich weg, er liegt schon recht lange an seinem Platz.«
»Und wird immer größer, er ist schon wie ein richtiger Berg.«
Eines Tages, als Pucki aus der Schule gekommen war, sagte der Vater: »Heute ist es ganz besonders windstill, heute zünde ich den großen Haufen an.«
In aller Eile wurden die Schularbeiten gemacht. Dann stand das kleine Mädchen neben dem Vater und wartete darauf, dass der Haufen zu rauchen anfange. Minna hatte ihn hoch aufgetürmt. Nun kamen schon die ersten Rauchwolken oben heraus.
Pucki stand artig an der Seite des Vaters, der von Zeit zu Zeit mit einer Stange in dem Haufen stocherte. Jedes Mal wurde dann der Rauch noch dicker, und kleine Flämmchen tauchten hier und dort auf.
Ganz plötzlich vernahm Pucki dicht neben ihren Füßen ein Geräusch. Das war nicht das Knistern der Flammen. Die dürren Zweige, die an der einen Seite des Haufens lagen, bewegten sich, und schon kam ein rüsselförmiger kleiner Kopf zum Vorschein. Es war ein Tier mit graubraunem, stacheligem Fell.
»Ein Igel«, rief Pucki jauchzend. »Guck mal, Vati, er kommt aus dem brennenden Haufen heraus. Es ist gut, dass er fortläuft. – Sieh doch, wie schnell er rennt.«
»Ein kluges Tier«, sagte der Förster. »Er will nicht verbrennen.«
»Wir wollen ihm nichts tun, Vati.«
»O nein, Pucki, du weißt doch, der Igel ist ein sehr nützliches Tier, das allerlei Ungeziefer vertilgt.«
»Sieh doch, Vati, jetzt rennt der Igel um den Haufen herum. – Sieh doch, wie fix er läuft! – Guck, immer weiter und weiter. Er soll doch rasch vom Feuer weggehen.«
Interessiert schaute Förster Sandler auf das Tier, das wie besessen um den Haufen lief. Einmal hatte es schon den Haufen umlaufen, nun schoß es wieder an dem Förster vorbei. Es schien in größter Aufregung zu sein.
»Ach«, sagte Pucki, »der ist vor Schreck ganz drieselig. – So lauf doch weg, lieber kleiner Igel, der Haufen wird ja immer heißer! – Nicht wahr, Vati, er hat unter dem Haufen gesessen?«
»Jawohl, Pucki, und nun ist es ihm zu warm geworden. Aber – –«
Förster Sandler schaute nachdenklich auf das Tier. So aufgeregt und närrisch gebärdete sich doch sonst ein Igel nicht. Jetzt lief er schon zum dritten Male um den Haufen herum.
Der Förster eilte nach dem Schuppen, holte eine eiserne Harke und begann, den brennenden Haufen schnell, aber mit allergrößter Vorsicht auseinander zu reißen.
»Vati, du machst ja das Feuer kaputt!«
»Im Haufen ist ein Igelbau, Pucki.«
»Was will der Igel in dem Haufen?«
Förster Sandler hatte keine Zeit, auf seine Tochter zu achten. Immer vorsichtiger arbeitete er. – Richtig, mitten im Gestrüpphaufen, vom Feuer noch nicht erfasst, weil ganz dicht am Erdboden, wurde der Igelbau gefunden. Wie stachelige kleine Bälle, fest zusammengerollt, lagen drei junge Igel dicht nebeneinander. Schon stürzte die Igelmutter hinzu und rollte eines der Tierchen ein wenig herum, dass es auf dem Rücken lag. Das hatte den kleinen Kopf mit den noch blinden Augen herausgestreckt und sich aufgerollt, so dass die Alte es am Bauche fassen und forttragen konnte. Sehr bald kehrte die Igelmutter zurück und holte auf dieselbe Weise das zweite und dann das dritte Igelkind. Sie lief mit ihnen davon, um ihnen ein neues und sicheres Nest zu bereiten.
»Wie er rennt!« sagte Pucki staunend.
»Hast du bemerkt, mein Kind, wie die arme Igelmutter in Angst war? Wie sie verzweiflungsvoll um den brennenden Haufen eilte, als sie sah, dass ihren Kindern Gefahr drohte?«
»Eine Mutter?«
»Ja, Pucki! Es ging um das Leben ihrer Kinder. – Da opfert sich jede Mutter auf.«
»Wenn du nun nicht gemerkt hättest, Vati, dass die Kleinen im Haufen lagen?«
»Dann wären sie verbrannt und vielleicht die Igelmutter mit, denn wenn sie gemerkt hätte, dass die Gefahr immer größer wurde, wäre sie wahrscheinlich in den brennenden Haufen hineingelaufen.«
Minutenlang sagte Pucki nichts mehr. Schweigend sah sie zu, wie der Vater das Reisig wieder zusammenwarf, damit der Haufen weiterbrennen konnte.
Plötzlich fühlte Förster Sandler, wie Pucki seine Hand erfasste. »So viel Mutterliebe hat sie gehabt, dass sie lieber mit verbrannt wäre, als allein zu leben. – Du, Vati, wenn ich einmal in einer Hütte sitze, und sie fängt an, fürchterlich zu brennen, kommst du oder die Mutti dann auch, mich herauszuholen?«
»Jawohl, mein liebes Kind, dann kommen wir auch. Oder meinst du, dass Eltern ihre Kinder verbrennen lassen und sich selber retten?«
»Nein, Vati, das glaube ich nicht. Ich weiß nun schon seit einer ganzen Weile, was Mutterliebe bedeutet, und heute habe ich es bei dem lieben kleinen Tier wieder gesehen. – Ach, Vati, der arme Igel, wie mag er gezittert haben!«
»Siehst du, genau so zittert jede Mutter um das Leben ihres Kindes, wenn ihm Gefahr droht.«
Da lief Pucki davon. Frau Sandler stand in der Küche und rührte Apfelmus durch ein Sieb. Pucki schoß wie ein Pfeil auf sie zu und hing ihr am Halse. Sie achtete nicht darauf, dass sie dadurch der Mutter das Sieb aus den Händen riß und der Apfelbrei zu Boden fiel. Aufgeregt rief das Kind:
»Mutti – Mutti – Mutti, ich bin dir so gut! Ach, was bist du für eine liebe Mutter! – Mutti, gib mir einen Kuss! – Wenn ich in Gefahr bin, holst du mich dann auch aus der brennenden Hütte heraus? Mutti, ach Mutti – ich will aber nicht, dass du verbrennst! Du sollst nicht sterben, Mutti, du sollst – du sollst –« Pucki begann heftig zu weinen.
Frau Sandler, die anfangs ärgerlich über die stürmische Art ihres Töchterchens war, begriff nicht, was in ihr kleines Mädchen gefahren war.
»Was ist denn geschehen?«
»Ich möchte dir Dank sagen für deine Liebe – immerfort, immerfort!«
Und wieder drückte das Kind das tränenüberströmte Gesicht in die Schürze der Mutter.
»Komm mit mir ins Wohnzimmer, mein liebes Kind. Dort erzählst du mir, was vorgefallen ist.«
Frau Sandler trocknete dem Kind die feuchten Wangen.
Schließlich erfuhr Frau Sandler von ihrem Töchterchen, was sich draußen im Garten ereignet hatte. Sie schloss Pucki fest in ihre Arme und küsste sie herzlich. –
Seit diesem Vorfall war Pucki etwas stiller geworden als früher. Wenn die Mutter etwas für sie arbeitete, saß das Kind schweigsam daneben und schaute auf die Hände, die so emsig schafften. Mitunter kam es dann leise und zärtlich von Puckis Lippen:
»Immerfort arbeitest du für deine Kinder. – Du hast uns doch furchtbar lieb, Mutti.«
So hatte Pucki nun erfahren, wie gut Kinder beschützt und behütet sind, wenn Mutterliebe sie bewacht.
10. Kapitel: Die allerbeste Freundin
»Au«, rief Pucki. Thusnelda zwickte ihre Mitschülerin in den Arm.
»So pass doch endlich auf, Pucki!«
»Au – du hast mich gerade in den blauen Fleck gezwickt, den ich am Arm habe.«
»Sei still«, mahnte Thusnelda. »Fräulein Caspari guckt schon ganz böse zu uns herüber.«
»Wenn du mich doch direkt in meinen blauen Fleck zwickst.«
»Das sagst du immer. Jedes Mal, wenn ich dich antippe, hast du einen blauen Fleck.«
»Hab' ich auch«, bestätigte Pucki ernsthaft, »ich werde ihn dir nachher mal zeigen. Meine Arme und meine Beine haben noch viele blaue Flecken.«
»Warum denn?«
»Ich lerne boxen«, flüsterte Pucki geheimnisvoll. »Ich boxe mit Paul und Walter.«
»Du lernst boxen?«
»Ganz heimlich. – Au, das macht Spaß, und manchmal tut es mächtig weh.«
Da fing Thusnelda an, hell zu lachen. Sie vergaß völlig, dass sie sich in der Schule befand. Sie lachte auch noch, als die Lehrerin ihr mit dem Finger drohte.
»Aber Thusnelda«, mahnte Fräulein Caspari endlich, »warum lachst du denn so sehr?«
»Pucki will boxen lernen.«
»Was ist das für ein Unsinn!« tadelte die Lehrerin.
»Sie hat es doch eben gesagt.«
»Aber Pucki! – Ein Mädchen darf doch nicht boxen.«
»Ach, es ist doch so schön! Es ist noch viel schöner als am Barren turnen. Ich lerne boxen.«
»Ich möchte kein Boxer werden«, sagte die kleine blonde Trude, »ich möchte viel lieber eine Friseuse werden. Dann kann ich mir den ganzen Tag die Haare kringeln. Dann bin ich so schön wie meine Mutter.«
In der Klasse setzte ein lebhaftes Durcheinanderreden ein. Jedes der Mädchen wollte Fräulein Caspari erzählen, was es einmal werden möchte.
»Ich werde ein Mädchen für alle Sachen«, sagte Thusnelda, »dann kann ich kochen, was ich will, alles blank putzen und die Stuben scheuern, dass kein Staub zu finden ist.«
»Und ich werde Lehrerin«, sagte Meta. »Dann müssen mir alle gehorchen, und alle müssen hören, was ich sage.«
»Wenn ich nicht Boxer werden kann«, sagte Pucki nachdenklich, »dann weiß ich noch was anderes Schönes. – Dann werde ich eine Mutti und habe viele Kinder. Die Kinder setze ich dann ganz dicht um mich herum und erzähle ihnen schöne Märchen. Dann haben mich meine Kinder alle furchtbar lieb, und das ist schön. Aber ich weiß noch nicht, was ich werde. Ich muss erst mal mit Paul und Walter reden.«
Schließlich unterbrach Fräulein Caspari die angeregte Plauderei. Die Kinder schwiegen, nur Meta sagte noch:
»Wenn ich erst Lehrerin bin, müssen mir alle gehorchen. Aber ich würde die Kinder noch weiter erzählen lassen. Das ist so schön.«
»Und ich«, sagte Fräulein Caspari streng zu Meta, »verlange, dass du sofort in die Ecke spazierst, denn ich bin schon Lehrerin, und ihr habt mir zu gehorchen.«
Als der Unterricht beendet war, hielt Pucki ihre Freundin Thusnelda fest.
»Willst du mal sehen?« Sie streifte den Ärmel des gestrickten Jumpers hoch und zeigte Thusnelda die zahlreichen blauen Flecken am Arm.
»Ich finde es hässlich«, sagte Thusnelda. »Warum boxt du denn mit den frechen Jungens?«
»Weil ich mal ein großer Boxer werden will.«
»Ach Pucki, ich würde das Boxen lieber bleiben lassen, das gefällt mir nicht.«
»Aber, es macht mir doch so viel Spaß!«
»Erlaubt denn deine Mutter, dass du dich mit den Niepeljungen boxt?«
»Das habe ich ihr gar nicht gesagt«, erwiderte Pucki leise.
»Ich sage meiner Mutter alles.«
»Ich auch, aber wenn es eine Überraschung werden soll, sage ich es nicht.«
Tatsächlich benutzte das Kind seine Besuche bei Niepels dazu, um mit Walter oder Paul heimlich zu boxen. Die beiden Knaben hatten sich aus Lappen dicke Boxhandschuhe gefertigt, und in einer leeren Scheune wurde der Boxkampf geübt. Wäre Pucki nicht so sehr gewandt gewesen, dann hätte sie wohl schon manchen bösen Schlag erhalten. Doch sie wich dem Angreifer immer mit großer Geschicklichkeit aus. Während in der Scheune geboxt wurde, musste Fritz draußen aufpassen, damit weder Vater noch Herr Hupfer kamen und den Kampf störten. Es ging dabei natürlich nicht ohne Geschrei ab.
Auch heute freute sich das kleine Försterskind wieder auf das Boxen, das in der Niepelschen Scheune geübt werden sollte. Waltraut spielte im Zimmer mit der kleinen Dora. Die beiden Kinder hatten ihre Puppen und kümmerten sich nicht um die anderen. Paul hatte die beiden Mädchen für heute aufs Gut geladen, weil der Hauslehrer seinen freien Nachmittag hatte und nach Rahnsburg fahren wollte.
Nachdem alle im Gutshause Kaffee getrunken hatten, liefen die drei Knaben mit Pucki nach der Scheune. Dort wurden die Boxhandschuhe hervorgeholt.
»Heute wird's ernst«, sagte Paul, »ich habe zwei neue Boxhandschuhe. Ich habe 'ne alte Lederjacke gefunden; daraus habe ich mir echte Boxhandschuhe gemacht. Heute knallt es.«
Pucki betrachtete kritisch die unförmigen und derben Wülste, die sich Paul von Walter um das Handgelenk festbinden ließ.
»Wo das hintrifft«, sagte Walter, »wächst kein Gras mehr.«
Dann ging es los. Schon nach den ersten Schlägen verzog Pucki schmerzhaft das Gesicht.
»Nein«, sagte sie energisch, »mit so harten Dingern boxt man nicht. Das geht nicht. Wenn du damit ins Gesicht triffst, geht meine Nase kaputt.«
»Feigling!« klang es zurück.
»Ich bin kein Feigling«, rief Pucki erzürnt. »Also los!«
Schon nach wenigen Sekunden ertönte ein lauter Schmerzensschrei. Paul hatte Pucki mit dem Lederhandschuh derb aufs Ohr geschlagen. Das Kind fiel zu Boden. Für Augenblicke war es Pucki, als sei alles schwarz um sie herum.
»K. o.!« schrie Walter.
Pucki sagte gar nichts darauf. Sie erhob sich langsam, taumelte und fiel wieder zu Boden.
»Was ist denn los?« riefen die Knaben besorgt. Fritz stand außerhalb der Scheune, um aufzupassen.
»Es tut so weh!«
Die Boxhandschuhe wurden abgelegt, und hastig kleideten sich die Knaben wieder an. Pucki saß in der Ecke der Scheune und hielt sich das Ohr.
»Ein Zahn wackelt.« Die Finger des Kindes wanderten in den Mund. Als sie wieder herausgenommen wurden, waren sie blutig. Da begann Pucki laut zu weinen. Die beiden Knaben setzten sich sorgenvoll neben sie.
»Es ist doch nicht schlimm«, tröstete Walter, »es hört gleich wieder auf.«
Aber Pucki schrie immer noch lauter. Da kam Fritz in die Scheune gelaufen.
»Macht doch keinen Krach, der Vater kommt!«
»Es tut so weh«, klagte das Mädchen.
Das Weinen wollte nicht verstummen. Die Scheunentür öffnete sich, und Gutsbesitzer Niepel kam herein.
»Nanu – was ist denn hier los?«
Erst schwiegen alle, dann mussten Paul und Walter ein Geständnis ablegen. Herr Niepel wandte sich sogleich an Pucki.
»Wo schmerzt es denn?«
»Alles tut mir weh, der ganze Kopf.« Pucki lehnte das Köpfchen müde an die Schulter Niepels, der das Kind auf den Arm genommen hatte. Er trug es ins Haus. Die Zähne bluteten noch immer stark. Dann wurden Paul und Walter eingehend verhört. Sie mussten die Lederhandschuhe zeigen, mit denen Pucki geschlagen worden war.
»Ich lasse sogleich anspannen«, sagte er zu seiner Frau, »und die Kinder ins Forsthaus zurückbringen. Es kann sein, dass der Schlag schlimme Folgen hat. Aber mit meinen Jungens werde ich einmal ordentlich abrechnen. Zehnjährige sollten schon wissen, dass sie nicht derartig zuschlagen dürfen.«
Im Forsthause war man sehr bestürzt, als Frau Niepel mit den beiden Mädchen ankam. Pucki weinte noch immer leise vor sich hin. Immer wieder drückte sie die Hand an das schmerzende Ohr. Die linke Wange war angeschwollen.
»Es wird das beste sein, wir lassen Doktor Kolbe kommen.«
Man telefonierte nach dem Arzt. Während der eingehenden Untersuchung wurden seine Mienen immer ernster.
»Ich kann Genaues jetzt noch nicht sagen, Frau Sandler, doch fürchte ich, dass die Kleine viel aushalten muss. Der Vorwitz bekommt wieder einmal eine harte Strafe.«
Doktor Kolbe behielt recht. Rasende Schmerzen stellten sich bald ein. Pucki wurde zu Bett gebracht und fand auch des Nachts keinen Schlaf. Weinend und stöhnend wälzte sie sich in den Kissen. Die Mutter stand häufig auf, um dem leidenden Kinde durch heiße Umschläge die Schmerzen im Ohr zu mildern.
»Ach, Mutti, warum habe ich geboxt!«
»Ich glaube, du wirst es nun unterlassen, mein Kind.«
»Nie wieder, liebe Mutti! – Ach, es tut ja so weh!«
Eines Tages hörte Pucki, wie der Onkel Doktor mit der Mutti flüsterte. Er sprach davon, dass Pucki vielleicht ins Krankenhaus müsste.
Und nun war das Kind in größter Angst. Es sollte fort von Vater und Mutter, in ein großes Haus, zu fremden Menschen?
Tage größter Unruhe vergingen. Die Schmerzen ließen nicht nach. Pucki hatte die frischen roten Bäcklein verloren, Essen und Trinken schmeckten nicht mehr. Wenn sie nachts wach lag und sich im Bettchen wälzte, musste sie daran denken, wie ungehorsam sie gewesen war. Was hatte der Onkel Oberförster gesagt? Wenn sie weiterhin so unnütz wäre, würde sie bald niemand mehr lieb haben. Sie würde bald keine Freundinnen mehr besitzen.
Da weinte das Kind noch heftiger. Und plötzlich fiel ihr ein, dass noch keine der Schulfreundinnen zu ihr gekommen war, obwohl sie nun schon mehr als acht Tage im Bett lag und große Schmerzen hatte.
»Mutti«, schluchzte sie, »ich habe gedacht, ich hätte so viele Freunde, und nun habe ich gar keine. Sie mögen mich alle nicht mehr leiden. Nur der Harras kommt zu mir und der Peter.«
»Du irrst, Pucki, es sind schon so viele kleine Mädchen aus deiner Klasse hier gewesen, um dich zu sehen. Aber der Onkel Doktor hat nicht erlaubt, dass sie zu dir kommen dürfen. Erst muss es dir wieder besser gehen, erst müssen wir wissen, ob dein Ohr nicht noch kränker wird.«
»Du gute Mutti – – du kommst immer zu mir, bei Tag und bei Nacht. Nicht einmal ruhig schlafen kannst du.«
Wieder vergingen zwei Tage. An einem wunderschönen Oktobermorgen, als Minna die Fenster des Krankenzimmers weit öffnete, flogen zwei Finken aufs Fensterbrett. Pucki sah die beiden Vögel.
»Ihr lieben Tierchen, kommt ihr doch zu mir? Wundert ihr euch, warum ich nicht im Garten bin?«
Das Kind lauschte beglückt dem leisen Piepen der Tiere.
Der treue Harras kam täglich ans Bett des Kindes, legte sich am Boden nieder und schaute mit traurigen Augen zu seiner kleinen Spielgefährtin auf. Und wenn Pucki leise stöhnte, ließ auch er ein kurzes Jaulen hören. Dann setzte er sich auf die Hinterpfoten, legte die Vorderbeine aufs Bett des Kindes und schaute es treuherzig an.
»Du hast mich doch noch lieb? Die anderen mögen mich alle nicht mehr leiden, dabei haben sie in das Buch der Freundschaft geschrieben, dass sie mich lieb haben.«
In der Schule fragten alle Kinder immer wieder nach Pucki. Sie sehnten sich nach der fröhlichen Kameradin. Und als es eines Tages hieß, dass nun endlich ein Besuch im Forsthaus vom Arzt erlaubt sei, brach lauter Jubel in der Klasse aus.
»Ich gehe zu Pucki!«
»Nein, ich! Ich bringe ihr Schokolade mit!«
»Meine Mutter bäckt Waffeln, weil Pucki Waffeln so gerne isst.«
»Ich gehe auch hin«, sagte Thusnelda. »Ich habe fünfzig Pfennige geschenkt bekommen, davon kaufe ich Pucki ganz etwas Schönes.«
In der Pause standen die Mädchen zusammen und berieten, wie sie die Schulfreundin erfreuen könnten. Auf allen Gesichtern lag helle Freude, dass sie nun endlich ins Forsthaus zu Pucki gehen durften.
Am Nachmittag pilgerte eine Schar kleiner Mädchen und Knaben hinaus zum Forsthaus Birkenhain. Jeder trug ein kleines Päckchen, jeder wollte Pucki eine Freude bereiten.
Frau Sandler blickte voller Erstaunen auf die Ankommenden. Soviel Besuch würde dem kranken Mädchen nicht gut tun. Doch die Kinder versprachen, sehr ruhig zu sein, sie wollten die Freundin nur wiedersehen und ihr ihre Gaben bringen.
Leise öffnete Frau Sandler die Tür zum Krankenzimmer. Auf Zehenspitzen gingen die Kinder zum Bett. Im Flüstertone sagte die erste:
»Wir sind alle da, liebe Pucki, du tust uns so leid. – Bist du nun bald wieder gesund? Wir haben dich doch so lieb.«
Puckis Augen glitten über die Klassenfreundinnen hinweg. Ein beglückendes Gefühl kam über das kleine Mädchen, als eine nach der anderen an das Bett trat und voll liebevoller Rücksichtnahme etwas sagte und dabei das mitgebrachte Geschenk auf die Bettdecke legte. Nun kamen alle zu ihr, standen an ihrem Bett und sagten ihr ein liebes Wort.
»Wir mögen dich doch alle so gut leiden, Pucki.«
»Du bist meine allerbeste Freundin.«
»Ich habe immerfort gedacht, wie ich dir eine Freude machen kann.«
Pucki konnte nicht antworten. Die Liebe, die ihr heute von allen Seiten gezeigt wurde, überwältigte sie. Noch vor zwei Tagen war sie ja in dem Glauben gewesen, dass niemand mehr etwas von ihr wissen wollte. Und heute kamen so viele zu ihr, um ihr etwas zu schenken. Heute bestätigten die Mitschülerinnen, dass man sie lieb hätte. Das waren also alles ihre Freundinnen.