Kitabı oku: «Allergien revolutionär», sayfa 7
Darm – Psyche, Psyche – Darm
Dass unser Körper auf unsere Emotionen reagiert, ist altbekannt und fest in unserer Alltagssprache verankert. Wenn wir wütend werden, läuft uns die Galle über, wenn wir schlechte Laune haben, ist uns eine Laus über die Leber gelaufen. Schlechte Nachrichten schlagen uns auf den Magen, wenn wir Angst bekommen, machen wir uns fast in die Hose und wenn wir verliebt sind, haben wir Schmetterlinge im Bauch. Schon lange kennt der Volksmund die Bedeutung unserer Gefühle auf den Verdauungstrakt und heute kann man die enge Verbindung zwischen Darm und Nervensystem auch wissenschaftlich belegen. Dabei wird deutlich, dass der Darm tatsächlich mehr leistet, als „nur“ Nährstoffe aufzunehmen. Er ist auch eine hochkomplexe Informationszentrale, die eine Unmenge von Daten speichert und Alarm auslöst, wenn etwas aus dem Ruder läuft.
Das Zusammenspiel zwischen dem Zustand unseres Darms und unserem Wohlbefinden ist nicht hoch genug einzuschätzen. 95 Prozent des Serotonins, das ist jener Stoff, der bei Depressionen eine große Rolle spielt, ist im Darm gespeichert. Serotonin wird auch beim Verdauungsvorgang freigesetzt, was einer der Gründe dafür sein könnte, warum wir uns nach einem guten Essen wohl und behaglich fühlen. Andererseits hat eine Verminderung der Serotoninproduktion durch ein Ungleichgewicht im Darm auch eine Senkung des Serotoninspiegels im Gehirn zufolge und dann geht es den Betroffenen meist nicht gut. Es ist ein gemeinsames Spiel, dessen einzelne Akteure heute noch nicht alle identifiziert sind, wobei mittlerweile aber klar ist, dass auch andere für das Gehirn wichtige Botenstoffe im Darm beheimatet sind.
Heutzutage weiß man, dass Gehirn, Darm und Mikrobiom in ständigem Austausch stehen, sich sozusagen in einem gemeinsamen Chat-Room befinden, der nie offline ist. Jeder darf mitreden und es ist keineswegs nur ein Monolog. Unsere Darmmikroben spielen nicht nur deshalb eine besondere Rolle, weil sie uns helfen, das Essen zu verdauen, sie haben auch einen großen Einfluss auf jene Gehirnareale, die unsere Emotionen, unser Verhalten und sogar unseren Geist steuern. Wenn wir Entscheidungen „aus dem Bauch heraus“ treffen, haben unsere Bakterien durchaus ein gewaltiges Wörtchen mitzureden.
Als Beispiel nehmen wir zwei Mäuse unterschiedlichen Charakters, die eine ist extrovertiert, die andere introvertiert. Man würde meinen, dass die Mäuse einfach von Geburt an so sind, es liegt eben an ihren Genen oder sie haben sich durch die Mäuseerziehung so entwickelt. Wie auch immer, sie sind einfach so, wie sie sind. Und jetzt kommt’s, auch wenn es zugegebenermaßen eine etwas gewöhnungsbedürftige Vorstellung ist: Entnimmt man aus dem Darm der Extrovertierten einen Haufen Darmbakterien und schleust sie in den Darm der Introvertierten ein, dann wird aus der stillen, zurückgezogenen Maus mit einem Schlag eine offene und neugierige. Die Bakterien verändern das Verhalten der Mäuse maßgeblich, sie sind fast nicht wiederzuerkennen. Dieses Verfahren nennt man Kottransplantation und es kann auch bei Menschen durchgeführt werden. Dadurch ändert sich zwar nicht gleich der Charakter des Empfängers, aber Symptome bei Erkrankungen wie Reizdarm-Syndrom können innerhalb kürzester Zeit gelindert werden [51]. Die Zusammensetzung unserer Darmbewohner ist also für unser Wohlbefinden entscheidend.
Die von uns aufgenommene Nahrung prägt unseren Bakterienmix. Deshalb sollten wir uns genau überlegen, was wir essen. Unser Speiseplan könnte unter Umständen weitreichendere Folgen haben, als wir jemals gedacht hätten.
Fallbeispiel: Süßer Schlaf
Natalie, 42 Jahre, findet ihr Anliegen selbst ein wenig komisch. Sie weiß, dass sie Fruktose nicht gut verträgt und generell bei Zucker aufpassen müsste. Aber es gelingt ihr nicht. Immer wenn sie einen anstrengenden Tag hatte und gestresst nach Hause kommt, kann sie sich kaum zurückhalten, etwas Süßes zu essen. „Ich weiß, es tut mir nicht gut! Aber ich kann sonst nicht einschlafen.“ Sie hat schon unzählige Ernährungsratgeber gelesen und es ist ihr vollkommen klar, was sie tun sollte, nur die Umsetzung klappt nicht.
Bei der kinesiologischen Testung stellt sich heraus, dass es sich um eine emotionale, energetische Speicherung handelt, als Natalie noch ein kleines Baby war. Natalie hat zwei ältere Geschwister und ist auf einem Bauernhof aufgewachsen. Die Mutter hatte nicht viel Zeit, sich ausgiebig um die Kleine zu kümmern, hat aber ihr Bestmögliches versucht. Nur war das bei der anfallenden Arbeit im bäuerlichen Betrieb, den Geschwistern und dem Haushalt nicht in dem Umfang möglich. Sie hat sich redlich bemüht, die Kinder gut zu versorgen, emotionale Nähe war aber im Alltag kaum möglich.
„Viel gekuschelt hat sie nicht mit mir,“ stellt Natalie nachdenklich fest. „Aber sie war sehr genau, sie hat mir letztens noch erzählt, dass sie mich immer zu exakten Zeiten gefüttert hat! Komme, was wolle!“ Beim Stillen und später Füttern war die Mutter anwesend, da konnte sie ihre Nähe spüren. Die Anwesenheit der Mutter hatte sie mit der Süße der Muttermilch codiert, da war sie nicht alleine. Und heute, als Erwachsene, wirkt genau diese Speicherung nach: Wenn sie etwas Süßes ist, beruhigt sich ihr Nervensystem.
Die wesentliche Rolle, die die Bakterienbesiedlung in unserem Darm spielt, sollte nicht unterschätzt werden. Manche Wissenschaftler gehen so weit, den Darm als unser zweites Gehirn zu bezeichnen. Der Bakterienmix kann einen so großen Einfluss auf unser Wohlbefinden haben, dass man sich Gedanken darüber machen müsste, wer da eigentlich wen steuert. Führen wir uns die enormen Auswirkungen unserer gemachten Erfahrungen auf unsere Gesundheit vor Augen, ist es wenig überraschend, dass diese Erinnerungen auch unsere Darm-Gehirn-Achse beeinflussen.
Dauert der Stress nur ein paar Minuten an, kann sich das System selbst wieder regulieren. Doch chronischer Stress oder auch längst vergangene, aber im Körper immer noch gespeicherte Stresssituationen verändern die Zusammensetzung unseres Darmmikrobioms. Sowohl bei Affen als auch bei Menschen zeigt sich, dass die entspannteren Individuen viel mehr nützliche Laktobazillen und Bifidobakterien in ihrem Inneren beherbergen. Das funktioniert auch umgekehrt: Der Genuss von fermentierten Milchprodukten und Probiotika kann nachweislich unsere Gehirnaktivität verändern [52]. Und zwar in jenen Arealen unseres Gehirns, in denen es um Emotionen und Wahrnehmung geht. Der Spruch „Du bist, was du isst“ bekommt hier eine noch gewichtigere Bedeutung.
Für jene Probiotika, die unser psychisches Wohlbefinden verbessern können, gibt es mittlerweile schon einen neuen Namen: Psychobiotika. Die Marketingmaschinerie läuft bereits und psychobiotics werden wohl bald zum neuen Trend werden. Doch bevor man sich auf teure Produkte stürzt, reicht es eventuell auch aus, auf seine Ernährung zu achten und öfter mal Rohmilchprodukte oder Fermentiertes zu genießen. Beispielsweise nicht pasteurisiertes Sauerkraut, auch wenn es dazu keine tollen Werbefilme gibt.
Die Sache mit der Hygiene...Schmutz weg, Asthma her?
Die Bedeutung eines bunt besiedelten Darms ist zwar heute nichts Neues, doch es hat einige Zeit gedauert, bis man die Keime nicht nur als negative Elemente angesehen hat. Auch bei Allergien wurde lange dazu geraten, die Kinder möglichst keimfrei aufwachsen zu lassen, um der Entstehung von Allergien vorzubeugen. Das Fehlen von eventuellen Allergenen in der Umgebung sollte das Immunsystem gar nicht erst sensibilisieren, so die Idee. Diese Keimfreiheit führte aber in die entgegengesetzte Richtung, da diese Kinder noch stärkere Allergien entwickelten.
Die zunehmende Hygiene wurde für die Allergieforschung ein Schwerpunktthema. Die Hygiene-Hypothese wurde erstmals 1989 von David Strachan postuliert, der aufzeigen konnte, dass die Anzahl der Kinder in einem Haushalt eine Auswirkung auf das Vorkommen von allergischen Erkrankungen hat. Das Hauptresultat seiner Forschungen: Je mehr Geschwister man hat, desto niedriger ist das Risiko Allergien zu entwickeln [53]. Je später ein Kind in der Geburtsfolge war, desto besser, denn die jüngsten hatten die besten Aussichten auf Allergiefreiheit. Strachans Erklärung war, dass die Familiengröße und der Bakterienaustausch unter den Geschwistern einen schützenden Effekt hatten. Er vermutete die häufigeren Infekte als Grund, weil sich die Kinder gegenseitig ansteckten. Weitere Untersuchungen gaben dieser Idee Rückendeckung: Kinder, die am Bauernhof (im Bestfall mit Tieren) oder in großen Familien aufgewachsen waren, zeigten auch weniger Allergien.
Bei der Frage, ob häufige Infekte vor Allergien und Asthma schützen oder nicht, war man sich in den darauffolgenden Jahren nicht wirklich einig. Ein Teil der Studien zeigte einen schützenden Effekt, andere Studien deuteten hingegen darauf hin, dass Infekte Allergien überhaupt erst zum Aufflammen bringen. Insbesondere bestimmte virale Atemwegserkrankungen wurden mit einem erhöhten Asthmarisiko in Verbindung gebracht. Andere Viren wiederum, wie beispielsweise die Masernviren, scheinen vor Allergien zu schützen. Kinder, die die Masernerkrankung durchgemacht hatten, waren auch weniger häufig allergisch (für jene, die gegen Masern geimpft waren, ließ sich dieser Effekt nicht nachweisen) [54].
Die Idee der Infekte als Allergiefaktor war demnach nicht so einfach, wie zunächst erhofft. Daraufhin begann man das Ganze etwas differenzierter zu betrachten, es hänge eben stark vom Erreger, Zeitpunkt und Dauer des Infekts ab, ob ein Schutzeffekt eintritt oder nicht. Ein wenig unpraktisch: Ein und derselbe Erreger kann völlig gegensätzliche Auswirkungen haben, einmal schützt er vor Allergien, ein andermal begünstigt er sie [55]. Besonders schlau wird man aus solchen Erkenntnissen nicht. Abgesehen davon ist die Sache mit den Infekten generell ziemlich kompliziert. Die Frage ist nämlich, wie der Infekt verläuft. Vieles hängt von der Art der Behandlung, den eingenommenen Medikamenten, dem Auftreten von Fieber, der individuellen Konstitution und einer Reihe von anderen Faktoren ab. Kranke Kinder lassen sich nicht einfach so in ein Vergleichsschema pressen.
Eine andere Frage in diesem Zusammenhang wäre, ob der weit verbreitete immunologische Trainingsgedanke überhaupt richtig ist. Muss ein Immunsystem tatsächlich anhand von Krankheiten üben? Dass wir auf die Bakterienfreunde angewiesen sind, wissen wir. Auch die Vielfalt der Mikroben ist wichtig. Aber ist es eine ausgebrochene Krankheit auch? Dieser Gedanke basiert auf unserer heutigen Einstellung, die Üben, harte Arbeit und Training stark hervorhebt. In anderen (Denk-)Kulturen betrachtet man Krankheiten generell als Antwort auf eine vorangegangene Schädigung des Körpers, als eine Folge eines Ungleichgewichts. Man erkrankt nicht einfach so durch den Angriff eines bösartigen Erregers, sondern irgendetwas ist im Vorfeld passiert, sodass der Körper geschwächt wurde und sich die Krankheit ausbreiten konnte. Diese Philosophie betrachtet nicht den Erreger als Auslöser einer Erkrankung, sondern den vorher geschwächten Organismus: Wenn alles passt, muss man gar nicht krank werden.
Unabhängig davon, welche Einstellung zu Krankheiten einem besser gefällt: Die Infekte und deren Zahl alleine sind in Bezug auf Allergien jedenfalls nicht ausschlaggebend.
Die Zahl der Geschwister ist für das Allergierisiko weiterhin bedeutsam, nur geht es dabei anscheinend nicht nur um die gegenseitige Daueransteckung. Etliche weitere Untersuchungen konnten ebenso belegen, dass die Familiengröße durchaus entscheidend ist und vor Allergien schützt [56]. Auch wenn noch nicht klar ist, wie das Geschwister-Phänomen zustande kommt. Gemutmaßt wird sogar schon damit, dass jedes weitere Kind bereits während der Schwangerschaft jeweils anders „programmiert“ wird.
Was ein größerer Haushalt mit mehreren Kindern auf jeden Fall bewerkstelligen kann, ist ein größerer Reichtum an Mikroben. Wenn da noch ein felliges Haustier mit dabei ist, scheint die Mikrobenkomposition perfekt. Man muss nicht unbedingt Wissenschaftler sein, um bestätigen zu können: Wer Zwei- oder Vierbeiner unter seiner Obhut hat, stellt schnell fest, dass die Putzpläne bei steigender Anzahl der anwesenden Lebewesen dramatisch an Umsetzungskraft verlieren.
Die Mikrobenvielfalt in der Kindheit bietet demnach tatsächlich Schutz vor Allergien, auch wenn die genauen Zusammenhänge und die Effekte der einzelnen Erregerarten noch nicht vollständig geklärt sind. Eine Reihe von Studien hat den sogenannten Bauernhof-Effekt bestätigt, das ist die Beobachtung, dass das Leben auf dem Bauernhof vor Allergien schützt. Ob in der Schweiz, in England, Finnland oder Australien – Kinder, die auf dem Bauernhof aufgewachsen sind, zeigen deutlich weniger Allergien als Stadtkinder [57]. Interessanterweise gilt das nicht nur Menschenkinder, sondern ist auch für Mäuse belegt. In einer Studie wurde die Allergiebereitschaft von Mäusen verglichen, von denen die eine Gruppe im Labor aufwuchs und die andere Gruppe auf einem Bauernhof [58]. Auch bei den Nagern zeigte sich, dass die Labormäuse weitaus allergischer reagierten als ihre Artgenossen, die im Stall aufgewachsen waren. Was sich der Bauer des untersuchten Hofes dabei gedacht hat, steht leider nicht im Artikel.
Natürlich ist nicht jeder Bauernhof ein Bio-Vorzeigebetrieb. Doch der Kontakt mit einer größeren Auswahl an Mikroben als in der Stadt, verstärkt durch das Zusammenleben mit Tieren, wurde von den Forschern als allergieschützend definiert. Steril geht es dort jedenfalls nicht zu. Das ursprünglichere Leben auf dem Land, zusammen mit dem Kontakt zu natürlicher Luft und Erde, sind für unser Immunsystem eine willkommene Beruhigung.
Zusätzlich haben die Forscher ein Element des Lebens am Bauernhof besonders hervorgehoben: Rohmilch. Echte, nicht pasteurisierte, naturbelassene Milch [59]. Die ist alles andere als keimfrei. Und genau das ist der große Vorteil, denn mit jedem Schluck nimmt man einen Haufen guter Bakterien auf. Bauernhof-Kids trinken sie entweder frisch vom eigenen Hof oder von der Nachbar-Farm. Keine langen Anfahrtswege, keine industrielle Bearbeitung, keine Haltbarmachung werden da mitgetrunken, sondern im Grunde einfach nur natürliche Milch.
Beim Wurm genommen
In den letzten Jahren ist in der Wissenschaft nicht nur das Interesse an Bakterien, sondern auch an Würmern und Parasiten gestiegen, auch wenn das vielleicht ein etwas ungewöhnliches Interessensgebiet ist. Paradoxerweise gibt es in der Immunantwort auf Parasiten und auf Allergien einige Parallelen. Beide Erkrankungen führen zu höheren IgE-Werten, einer höheren Anzahl von Th2-Zellen, Eosinophilen und Mastzellen. Das kann natürlich auch dazu führen, dass die Allergiediagnose von Menschen mit Parasitenbefall vielleicht weniger genau ausfällt, wie wir noch sehen werden.
Die Sache mit diesen etwas ekligen Lebewesen ist aber vor allem folgende: Parasiten sind in der Lage, unsere Abwehr auszutricksen, um zu überleben. Wie man die Reaktionen des Immunsystems unterdrückt, haben sie im Laufe der Evolution herausgefunden und da sie den Menschen schon seit Jahrtausenden begleiten, sind sie wahre Meister darin. Gerade die Herunterregulierung des Immunsystems ist es, die die Wissenschaftler interessiert, denn genau das würde sich so mancher Allergiker wünschen.
Der Wurmbefall hat es somit in die Hygiene-Hypothese geschafft, weil man in den Ländern, in denen Würmer im Darm noch zum Alltag gehören, auch weniger Allergien festgestellt hat. Schützt möglicherweise Wurmbefall vor Allergien? War es vielleicht ein Fehler, alle Parasiten zu bekämpfen, da sie uns doch die ganze Menschheitsgeschichte lang begleitet und unser Immunsystem währenddessen in Schach gehalten haben?
Parasiten schaffen es nämlich, Botenstoffe abzusondern, die das Immunsystem in die Schranken weisen. Es gibt eine ganze Reihe von Parasiten, die es sich im menschlichen Darm gemütlich einrichten können. Bezogen auf ihre Auswirkung auf das Immunsystem sind die relevantesten von ihnen die sogenannten Geowürmer (geohelminths). Der Name kommt daher, weil sie ohne Zwischenwirt über Erde oder verschmutzte Böden in den menschlichen Körper gelangen können. Manche Forscher gehen davon aus, dass chronische Parasiteninfektionen einen Schutzeffekt haben könnten, andere weisen darauf hin, dass man aufgrund von Wurmbefall überhaupt erst allergische Symptome entwickeln kann. Egal, ob Kritiker oder Befürworter: Die Studienlage ist ergiebig und zwar in beide Richtungen, die Sache aber weiterhin unklar [60].
Es gibt Belege dafür, dass Personen nach einer medikamentösen Entwurmungskur auf diverse Allergietests positiv reagiert haben, obwohl sich zuvor, also noch mit den Würmern, keine Allergie abgezeichnet hatte [61]. Wo vorher keine Sensibilisierung war, hat sich erst nach der Eliminierung der Parasiten eine solche gezeigt. So kam man überhaupt auf die Idee, dass die Parasiten vielleicht vor Allergien schützen können. Es wäre alles so einfach, wenn es nicht so kompliziert wäre. Denn es hängt viel davon ab, ob die Infektion akut oder chronisch verläuft und um welchen Parasiten es sich handelt. Unklar ist auch, ob Parasiten tatsächlich vor Allergien schützen oder nur die Ergebnisse der Allergietests beeinflussen. Die Hypothese „Würmer schützen vor Allergien“ könnte streng genommen auch lauten: „Würmer machen Allergietests unbrauchbar“. Forschungen in Vietnam an über 1.400 Kindern haben ergeben, dass eine Entwurmungskur zwar eine Auswirkung auf die Allergietests hat, aber keinen Einfluss auf die Stärke oder Häufigkeit der klinischen Symptome [62]. Das heißt, wenn die Würmer weg sind, zeigt der Allergietest an, dass man allergischer reagiert als vorher, die Beschwerden nehmen jedoch gar nicht zu. Das heißt keineswegs, dass die Betroffenen auch tatsächlich mehr oder weniger unter Allergien leiden. Oft werden nämlich nur Allergiemarker gemessen, ohne die Betroffenen nach ihrem Befinden zu fragen.
Eine andere Fragestellung ist, ob die Allergiehäufigkeit nicht erst durch die Präparate steigt, die die Parasiten vertreiben sollen. Vielleicht lösen genau diese Medikamente etwas aus, das zu einer Sensibilisierung führt. Das Entwurmungsmittel Albendazol beispielsweise wurde in einer Studie in Uganda schwangeren Frauen verabreicht, auch den Frauen, die gar keine Würmer hatten. Und es zeigte sich, dass deren Kinder später häufiger an Ekzemen litten [63]. Vielleicht ist es gar nicht das Fehlen der Würmer an sich, sondern es sind die Nebenwirkungen der Medikamente und die Folgen der Entwurmung, die die Anzahl der Allergiker wieder steigen lassen. Denn auch ein toter Wurm kann einen Einfluss auf unser Immunsystem haben (nicht durch Zombiedasein, sondern weil beim Absterben der Parasiten Toxine in Umlauf geraten).
So kann keineswegs allgemein behauptet werden, dass Parasiteninfektionen vor Allergien schützen, was das Interesse an den kleinen Wesen aber nicht schmälert. Die für den Menschen infrage kommenden Arten heißen Necator americanus und Ancylostoma duodenale. Abgesehen von der generellen Frage, was man lieber haben möchte, eine Allergie oder Würmer, sind die dahinterliegenden Prozesse noch ungeklärt. Auch wenn man den Schutzeffekt in einer Reihe von Fällen beobachten konnte, weiß man bis heute nicht, was da wirklich abläuft und wie die Parasiten vor Allergien schützen. Aufgrund der Hinweise, dass Hakenwürmer in der Lage sein sollen, das Allergierisiko zu senken, wurde bereits eine Geschäftsidee entwickelt: Die Wurmtherapie [64]. 2008 kostete die Basisvariante dieser Behandlung knapp 4.000 Dollar, wie die New York Times berichtete [65]. Die Preise sind mittlerweile gesunken, online findet man schnell einen Wurmshop, zehn Hakenwürmer beispielsweise sind schon um 130 Dollar zu haben. Die Idee ist schnell erklärt: Die Würmer geben dem gelangweilten Immunsystem eine nette Beschäftigung und unterdrücken nebenbei die überschießenden Reaktionen und weg ist die Allergie. Soweit zumindest die Theorie. Bei den Unerschütterlichen, die es tatsächlich ausprobiert haben, gibt es, abgesehen von der Wurminfektion, keine eindeutigen Ergebnisse. Bei manchen verschlimmert sich die Allergie, bei anderen wird sie gemindert.
Doch wie viele von den Dingern muss man schlucken, damit es hilft und nicht schadet? Und mit welchem Wurm kann man der Allergie am besten zu Leibe rücken? Das weiß man trotz des wachsenden Geschäftszweiges nicht genau. Hakenwurminfektionen haben häufig Nebenwirkungen, die von schweren Verdauungsstörungen bis hin zur Degenerierung der Darmzotten reichen können. Man sollte daher mit der Dosierung sehr vorsichtig sein. Da der Darm eine zentrale Rolle im Allergiegeschehen einnimmt, ist es logisch, dass auch die Darmwürmer eine Auswirkung darauf haben, da sie das Darmmikrobiom beeinflussen. Nur ist noch nicht geklärt, was genau die eventuelle Schutzwirkung bedingt. Eine andere Frage ist, ob man diesen Effekt nicht auch mit weniger Ekelfaktor und weniger Nebenwirkungen erreichen kann.
Natürlich klingt es nach einer einfachen, wenn auch etwas widerlichen Lösung, nur ein paar Würmer schlucken zu müssen, um seine Allergie zu heilen. Derzeit suchen Forscher nach jenen Substanzen der Parasiten, die für die schützende Wirkung verantwortlich sind. Ziel wird es sein, diese zu identifizieren und zu isolieren und gegebenenfalls ein Patent zu erwirken, falls man Parasitenbestandteile patentieren kann.
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