Kitabı oku: «Die Gentlemen-Gangster», sayfa 10

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Das Fotoshooting hatte genauso stattgefunden, wie von Kirstin gewünscht. Dass Blaubart ein begeisterter Hobbyfotograf war, kam ihr sehr entgegen. Vieles, was er aufgenommen hatte, war bei ihrer Kundschaft begehrt. Großformatige Fotos in Schwarz-Weiß und in Farbe konnte sie nach ihren Auftritten verkaufen. Außerdem hingen die Bilder in den Schaukästen der kleinen Rotlichtbars, die es wegen der strengen behördlichen Auflagen jedoch vermieden, allzu freizügige Fotos zu zeigen, trotzdem aber ihrem Publikum einen Hauch von Erotik und großstädtischem Nachtleben vermitteln wollten.

Blaubart hatte in einem diskret arbeitenden Fotolabor die Abzüge in Auftrag gegeben, die er jetzt vorsichtig in Klarsichtfolien schob. Dabei befiel ihn jedes Mal dieser eifersüchtige Gedanke gegenüber jenen fremden Männern, die auf diese Weise zu einem Besuch eines Nachtlokals animiert werden sollten. Eine Vorstellung, die er zu verdrängen versuchte, denn er wollte Kirstin mit niemandem teilen müssen – wohl wissend natürlich, dass es deren Job war, das männliche Publikum anzustacheln. Allerdings, davon war Blaubart überzeugt, blieb es in den Bars bei der Zurschaustellung der weiblichen Reize. Darüber hinaus, so hatte Kirstin ihm schon mehrfach versichert, sei mit ihr nichts anzufangen. Ob sie jedoch außerhalb des Etablissements lukrativen Angeboten widerstehen würde, daran hatte er gewisse Zweifel. Mehrfach schon hatte sie ihm von Versuchen berichtet, von professionellen Zuhältern angeworben zu werden. Blaubart hatte sie davor gewarnt, auf derartige Geschäfte einzugehen. Inzwischen fühlte er sich sogar ein bisschen als ihr Beschützer.

Gerade als er das letzte von zwei Dutzend Fotos verpackt hatte, wurde die Stille des Frühlingsabends von einem Motorengeräusch gestört. Er richtete sich auf seinem Bürostuhl auf, um aus der Fensterfront in den noch hellen Hof hinausschauen zu können. Ein schwarzer BMW der gehobenen Klasse war direkt an das Gebäude herangefahren. Stuttgarter Kennzeichen. Lukas, durchzuckte es Blaubart, schnappte die verpackten Fotos und ließ sie in einer Schublade verschwinden.

Der Mann, den man mit seiner großen, kräftigen Statur gemeinhin als Kleiderschrank bezeichnen konnte, stieg aus dem Wagen und eilte zur Eingangstür, die unverschlossen war, sodass er Augenblicke später in Blaubarts Büro stand und sich vor dem Schreibtisch aufbaute. »Jetzt hör mal, my friend«, begann er mit sonorer Stimme, während Blaubart tiefer in seinen Schreibtischstuhl zu versinken schien. »Wir sollten klare Verhältnisse schaffen«, fuhr Lukas mit hörbar US-amerikanischem Akzent fort und machte mit seinem Dreitagebart und den kurz geschorenen schwarzen Haaren keinen sympathischen Eindruck auf Blaubart. »Ich hab mir da etwas überlegt. Und vielleicht bist auch du zur Besinnung gekommen.«

Blaubart erhob sich langsam. »Was willst du von mir? Mich einschüchtern?«

Lukas kam einen Schritt näher. »Ist mir egal, wie du das siehst. Ich mach dir einen Vorschlag: We forget die Sache mit dem Auto. Dafür machen wir einen anderen Deal.«

Blaubart starrte dem Amerikaner in die Augen. »Und zwar?«

»Gebrauchtwagen für den Osten«, knurrte Lukas und steckte die Hände tief in die Taschen seiner olivfarbenen Jacke. »Du besorgst sie, ich bring sie hin. Sehr gutes Geschäft. Aber nur Nobelmarken.«

»Wie soll das funktionieren?«, war alles, was Blaubart über die Lippen brachte.

»Das überlass mal mir. Und noch etwas«, er zog sich einen Stuhl heran und setzte sich, »auch mit der Kirstin könnte was laufen. Die ist viel zu schade, um in einem Provinz-Striptease-Schuppen zu verkommen, wenn du verstehst, was ich meine.«

Blaubart spürte einen Kloß in der Kehle. »Das kann nicht dein Ernst sein.«

»Kirstin ist ein Goldschätzchen«, grinste Lukas überheblich. »Wir müssen sie nur ein bisschen auf Spur bringen. So sagt man doch, oder?« Weil Blaubart nichts erwiderte, lehnte sich der Amerikaner genüsslich zurück und ergänzte wissend: »Schöne Fotos hast du wieder gemacht. Du solltest sie nur nicht in verbeulte Autos setzen. So eine Beule lenkt vom Wesentlichen ab.«

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Nach den neuerlichen Ermittlungen hatte Soko-Leiter Zeller einige Tage später seine Mannschaft in Stuttgart zu einer Besprechung zusammengerufen. »In Göppingen machen die wildesten Geschichten die Runde«, stellte er fest. »Unsere Aufgabe muss es deshalb auch sein, denen entgegenzuwirken.«

»Andererseits«, so warf sein Kollege Häberle ein, »kann man’s den Leuten ja nicht verdenken. Aber wenn erst bekannt wird, dass eine Sparkassenangestellte demnächst einen der Geldboten heiraten will, dann dürfen wir uns auf neue Schauergeschichten einstellen.«

»Nun mal langsam«, riet Zeller zu nüchterner Betrachtungsweise. »Es wäre sicher zu kurz gedacht, das Mädchen und den Geldboten als Drahtzieher des Ganzen zu verdächtigen.«

»Trotzdem sollten wir uns die Dame mal genauer ansehen«, warf eine Kriminalistin ein und erntete die Zustimmung des Soko-Leiters: »Meine ich auch. Und unser Kollege August«, er wandte sich an Häberle, »sollte sich noch intensiver in Göppingen umhören, wo er sich ja bestens auskennt.«

Häberle nickte. »Aber vergesst bitte nicht: Das alles liegt jetzt schon 15 Monate zurück.«

»Vielleicht gibt es ja doch einige Zusammenhänge zu den Geschehnissen der jüngsten Zeit«, meinte die Kriminalistin und zählte auf, was sie meinte: »Familiendrama, Fahrt in den Bodensee …«

»Bitte nicht schon wieder«, wehrte Zeller ab. »Halten wir uns an die Fakten und lassen uns nicht durch andere Dinge ablenken.«

»Aus den Augen lassen dürfen wir die aber nicht«, mahnte ein Älterer aus dem Kreis der Ermittler. »Schlimmstenfalls haben wir’s doch mit einer ganzen Organisation zu tun. Jedenfalls war die Sache so gut eingefädelt, dass wir bis heute nicht die geringste Spur haben. Das müssen wir uns eingestehen. Dass man nichts findet, aber auch wirklich gar nichts, das ist allein schon dubios genug.« Es klang wie ein Vorwurf gegen den wesentlich jüngeren Soko-Chef.

Häberle, der längst dafür bekannt war, auch quer denken zu wollen, meinte stirnrunzelnd: »Vielleicht sind wir schon auf einer Spur, ohne es zu ahnen.« Er blickte in verständnislose Gesichter und fügte an: »Ich misch mich mal in Göppingen unters Volk. Und schau auch mal bei dieser Sparkassenangestellten vorbei. Die wohnt in Lorch, nicht weit von Göppingen, im Remstal.«

»Im Remstal?«, echote einer der Ermittler, der die Diskussion, an der Wand lehnend, verfolgt hatte.

»Ja, Remstal«, bestätigte Zeller. »Und falls sich jemand hier im Saal mit der Geografie nicht so auskennt: Lorch liegt nur ein paar Kilometer östlich von Schorndorf, wo die besagte Hütte steht. Im Remstal.«

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Heidi Offenbach hatte ihre Stelle bei der Kreissparkasse gekündigt und bei einem Steuerberater in Schwäbisch Gmünd einen Teilzeitjob angenommen. Das war weniger stressig und ersparte ihr die Fahrt über den Höhenrücken zwischen Remstal und dem Filstal. Häberle hatte sich telefonisch angemeldet und konnte sich mit der jungen Frau auf einen der folgenden Nachmittage verabreden. Er wollte sie nicht in ihrer Wohnung aufsuchen, weshalb sie sich in einem Café in der Lorcher Innenstadt trafen. Heidi war von schlanker Gestalt, hatte ein sympathisches Lächeln und trug sportliche Kleidung. »Schön, dass Sie Zeit für mich haben«, sagte Häberle charmant, nachdem sie sich begrüßt und in eine stille Ecke des Cafés gesetzt hatten.

»Wenn die Kripo ruft, muss man folgen«, sagte sie freundlich und musterte den Kriminalisten. »Kommen Sie öfter mal nach Lorch?«

»Um ehrlich zu sein: nein. Wahrscheinlich gibt’s hier zu wenig Ganoven.«

Sie lachte laut. »Und ich bin auch keiner. Schade, was?«

Häberle wusste nicht so recht, wie er diese Bemerkung deuten sollte. Jedenfalls war die junge Frau äußerst einnehmend.

»Von Lorch kennt man halt das Kloster«, führte er den begonnenen Small Talk fort. »Und dass hier der Limes im rechten Winkel abknickt.«

Sie lächelte wieder. »In Geschichte sehr gut aufgepasst, Herr Kommissar. Droben beim Kloster hat man sogar einen römischen Wachturm rekonstruiert. Überhaupt lohnt es sich, den Limes entlangzuwandern. Das haben Sie noch nicht gemacht?«

»Nein«, räumte Häberle ein, während die Bedienung die Getränkekarte brachte.

»Aber ich nehme an, Sie sind nicht gekommen, um sich mit mir über den Limes zu unterhalten«, fuhr Heidi fort und blätterte beiläufig in der Karte, um sich schließlich für einen Latte macchiato zu entscheiden.

»Nein, bin ich nicht. Obwohl ich mit Ihnen vielleicht auch gerne darüber plaudern würde«, entgegnete Häberle.

»Ich könnte Ihnen auch etwas über steuerlich begünstigte Geldanlagen erzählen«, grinste sie.

»Wenn ich mal viel Geld habe, greife ich gerne auf dieses Angebot zurück«, gab sich Häberle aufgeschlossen, um dann aber zur Sache zu kommen: »Am Telefon hab ich Ihnen gesagt, worum es eigentlich geht: 8. März voriges Jahr. Sie haben damals erst Stunden später mitgekriegt, was im Gebäude der Sparkasse vor sich gegangen ist«, konstatierte der Kriminalist und bestellte bei der Bedienung einen Espresso.

»Und jetzt denken Sie, ich hätte mit den Gangstern etwas zu tun?«

Häberle wunderte sich über die forsche Art und Weise, mit der die junge Frau das Thema anging. »Nein, das denke ich nicht«, wiegelte er ab. »Wir klopfen nur noch mal alle Verbindungen ab, die es voriges Jahr gegeben hat. Stichwort Herr Nolte …«

»Ja, Sie haben das am Telefon erwähnt. Wolfgang – ich meine Herr Nolte – ist ein ganz lieber Kerl. Gelernter Polizist, also absolut in Ordnung. Aber das müssten Sie ja wissen …«

»Ich hab ihn noch nicht persönlich kennengelernt. Mein Kollege Zeller war bei ihm und hat erfahren, dass Sie beide demnächst heiraten werden.«

»Ja, so ist es, im November«, hauchte sie, als sei dies noch geheim.

»Darf ich fragen, seit wann Sie Herrn Nolte kennen?«

Ihre Gesichtszüge veränderten sich. »Ist das wichtig?«

Häberle sah tief in ihre blauen Augen. »Das sind alles Fragen, wie wir sie in ähnlicher Form derzeit vielen Menschen stellen. Das hat nichts damit zu tun, dass wir jemanden verdächtigen. Wir wollen nur ein Gesamtbild erstellen.«

»Ein Puzzle zusammenbauen«, schlussfolgerte Heidi nickend.

»So könnte man sagen. Sie haben sich in der Sparkasse kennengelernt?«

»Rein zufällig, wie das manchmal so kommt. Ich war in der Tiefgarage, und er war mit einem Kollegen gerade dabei, dort mit dem Geldtransporter rauszufahren.«

»Wie lange ist das her?«

»Das kann ich Ihnen ganz genau sagen: Es war am Montag, dem 21. Juni 1982.«

Die Antwort kam für Häberle überraschend schnell: »Das wissen Sie so genau?«

»Ja, es war Sommersonnwende. Wir haben uns morgens in der Tiefgarage getroffen, und er hat gefragt, wo ich die kürzeste Nacht des Jahres verbringen werde. Das war total witzig. Dann haben wir uns für den Abend in einer Pizzeria verabredet.«

»Ausgerechnet zur kürzesten Nacht«, grinste Häberle nun auch.

»Nicht so, wie Sie denken«, lächelte die junge Frau, während die Bedienung das Bestellte brachte.

Häberle konstatierte: »Dann haben Sie ihn also erst ein Vierteljahr nach dem Überfall kennengelernt, wenn ich das richtig nachgerechnet habe.«

»Das sehen Sie absolut richtig. Wir hatten uns nie zuvor gesehen. Keine Chance also, ihm Details aus der Sparkasse zu verraten – falls Sie darauf spekuliert haben.«

Häberle nippte an seinem Espresso und wurde ernst: »Und Herr Reinicke? Wie war das mit dem?«

Aus Heidis Gesicht verschwand der Glanz. »Helmut? Hat man Ihnen auch davon erzählt?«

»Herr Reinicke war auch ein …«, Häberle überlegte eine passende Formulierung, »… eine Tiefgaragen-Bekanntschaft?«

»Wie sich das anhört«, empörte sich Heidi jetzt. »Das mit Herrn Reinicke war nur von kurzer Dauer. Kein halbes Jahr. Er war zwar nett und zuvorkommend, aber nicht auf meiner Wellenlänge.«

»Sie haben sich getrennt?«

Heidi wurde misstrauisch und stocherte mit dem Trinkhalm in der aufgeschäumten Milch. »Muss ich jetzt rechtfertigen, mit wem ich zusammen war?«

»Müssen Sie nicht. Aber Herr Reinicke gehört halt auch zu jenem Personenkreis, über den wir uns ein Bild verschaffen müssen.«

»Er gehört auch zu dem Puzzle, wie ich«, gab sich Heidi jetzt leicht verschnupft.

»So könnte man es sagen, ja.«

Heidi rang sich wieder ein Lächeln ab. »Wolfgang, also Herr Nolte, ist ein ganz anderer Typ.«

»Sie haben die Beziehung mit Herrn Reinicke beendet«, rekapitulierte Häberle.

»So ist es. Einer nach dem anderen, wenn Sie so wollen«, grinste sie und hob eine Augenbraue.

»Noch eine sehr persönliche Frage«, riskierte Häberle einen weiteren Vorstoß. »Eine Frage, die Sie mir nicht beantworten müssen.«

»Fragen Sie ruhig.«

»Erwarten Sie Nachwuchs?«

Heidis feine Gesichtszüge wurden kantig. »Entschuldigen Sie, aber halten Sie diese Frage für angebracht?«

47

Je mehr Zeit verstrich, desto seltener traf sich die Sonderkommission. Zeller fühlte sich dennoch von den regelmäßigen Anrufen der Göppinger Journalisten genervt, auch wenn die Abstände zwischen den telefonischen Nachfragen immer größer wurden. Häberle, der in einer Göppinger Vorortgemeinde wohnte, ließ jedoch auch in seiner Freizeit nichts unversucht, auf Volkes Stimme zu lauschen. Schließlich wäre es ein riesiger beruflicher Erfolg, bekäme ausgerechnet er den entscheidenden Hinweis auf die Bankräuber oder auf ein mögliches kriminelles Geflecht innerhalb der Stadt. Als aktiver Sportler, der er in der Judo-Abteilung der Turnerschaft war, hatte er vielfältige Beziehungen und traf gelegentlich mit den Honoratioren der Stadt zusammen, von denen die meisten auch in Vereinskreisen verkehrten.

Die Klubhäuser ersetzten oftmals das, was in früheren Zeiten die Stammtische in den vielen längst verschwundenen schwäbischen Gasthäusern waren. Der Sommer war bereits weit fortgeschritten und die Urlaubszeit für viele schon vorbei, als sich Häberle in einem der Vereinsheime mit einem kurzen »Hallo« an einen ovalen Tisch setzte, an dem er bekannte Gesichter erspäht hatte. Er bestellte ein Weizenbier und lauschte der heftigen Diskussion über Gott und die Welt, vor allem aber über Helmut Kohl, der voriges Jahr im September nach dem Zerbrechen der Bonner SPD/FDP-Koalition ins Amt gekommen war. »Ich sag euch: Dem Helmut Schmidt und seinen Genossen hat die seltsame Haltung zum NATO-Doppelbeschluss das Genick gebrochen«, meinte Fahrlehrer Hans Siebeneicher emotional aufgeheizt.

»Da geht noch einiges ab«, prophezeite die einzige Frau am Tisch, die Juwelierin Analena Heuberg: »Wartet ab, was im Oktober erst los ist, wenn die Friedensinitiativen es schaffen, eine Menschenkette von Stuttgart bis Neu-Ulm zu organisieren. Das wird ein gigantisches Signal gegen die Aufrüstung. Da wird Kohl dran zu knabbern haben.«

Heiko Emmerich, der im Tennisoutfit gekommen war und sich einen delikaten Wurstsalat munden ließ, war als Verantwortlicher der Industrie- und Handelskammer um Mäßigung bemüht: »Der Wirtschaft tut ein Mann wie Kohl sicher gut. Warten wir ab, was sich entwickelt, vor allem, ob er es schafft, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.«

»Die Politik kann keine Arbeitsplätze beschaffen«, unterbrach ihn Siebeneicher energisch und wandte sich bewusst an Analena Heuberg, die Frau, die ihm überaus attraktiv erschien, jedoch bei diesen abendlichen Treffen seine Annäherung nicht erwiderte. »Die Frau Heuberg wird keine zusätzliche Juwelierin einstellen, nur weil jetzt Helmut Kohl an der Regierung ist«, keifte er, ohne eine Antwort zu erhalten.

Häberle verfolgte das Gespräch gelassen, obwohl es ihm nicht gefiel, zwischen der Ulmer Goldschmiedin und dem Autohändler Blaubart zu sitzen, der ihm aber schon bei früheren Zusammentreffen nicht sonderlich sympathisch erschienen war. Er hatte sogar schon mal recherchiert, ob Vorstrafen gegen ihn registriert waren. Erstaunlicherweise hatte es keine gegeben. Er nahm einen Schluck Weizenbier und stellte insgeheim fest, dass er in dieser erlauchten Runde zu den Jüngsten gehörte. Doch aufgrund seines sportlichen Engagements und seines Berufs war er angesehen und von allen akzeptiert.

Wie immer, wenn er in unregelmäßigen Abständen an diesem Stammtisch auftauchte, zu dem man sich einmal monatlich nach der Arbeit traf, galt das Interesse dem Fall, wie der Bankraub des vergangenen Jahres kurz genannt wurde. Arno Zumwinkel, der ebenfalls als äußerst sportlich galt, zumal er im Oktober vorigen Jahres am New York Marathon teilgenommen hatte, machte deutlich, wie sehr ihm als Banker die Geiselnahme am Herzen lag: »Kriegt ihr denn die Sache nicht gebacken? Oder waren die Täter wirklich solche Profis, dass ihr auf Granit beißt?«

Häberle fühlte sich an seiner Ehre gepackt. »Es vergeht keine Woche, in der wir nicht irgendeine Spur verfolgen. Außerdem hoffen wir noch immer auf einen entscheidenden Hinweis aus der Bevölkerung.«

»Von uns womöglich«, höhnte Niels Adamus, der wieder sein blaues Poloshirt trug, dessen Aufschrift ihn sogar in der Freizeit als Vertreter der Handwerkskammer auswies. Leutselig wandte er sich an Häberle: »Mensch, Herr Kommissar, Ihnen ist hoffentlich bewusst, dass wir alle, wie wir hier sitzen, in großer Sorge sind, halb Göppingen könnte darin verwickelt sein.«

Häberle konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass einige gehaltvolle Getränke die Stimmung dieser Herrschaften angeheizt hatte. Nicht schlecht, dachte er. Vielleicht konnte er dem einen oder anderen ein paar interessante Worte entlocken. »Ich weiß nicht, wie hier über die Vorkommnisse des vergangenen Jahres gedacht wird«, begann er und wurde sogleich von Siebeneicher unterbrochen: »Wer wird denn da noch an Zufälle glauben, wenn ganze Familien ausgelöscht werden und jemand im Bodensee mit dem Auto untergeht und ertrinkt?« Und ironisch an Blaubart gewandt: »Ich hoffe, es war kein Auto von dir.«

Blaubart, der als Einziger am Tisch vornehm gekleidet war und rein äußerlich gar nicht zu den Freizeitsportlern passen mochte, zuckte mit einer Wange und sagte energisch: »Meine Autos rollen nicht von der Fähre.«

Siebeneicher gab sich erneut vorlaut: »Deine Autos eignen sich ja auch eher zu was anderem …«

Die meisten Männer am Tisch lachten lauthals, während Häberle keine Miene verzog und Analena Heuberg sich verwundert umsah, obwohl sie zu ahnen glaubte, worauf Siebeneicher anspielte.

Blaubart ließ sich nicht irritieren und hatte einen Seitenhieb auf Siebeneicher parat: »Sei doch du mal ehrlich: Nur Insider wissen schließlich, wozu Autos auch taugen.« Er warf dem Angesprochenen einen provokanten Blick zu, ohne ihn bloßstellen zu wollen. Deshalb beeilte er sich, einen anderen Aspekt anzusprechen: »Ihr solltet auch mal auf unsere amerikanischen Freunde achten. Nicht jeder GI ist ein strammer Soldat. Vergesst nicht, wir haben permanent rund 3.000 Amerikaner in der Stadt.«

»Was willst du uns damit sagen?«, hakte Heiko Emmerich nach.

»Dass sich darunter nicht nur Ehrenmänner befinden, Heiko. Es ist wie in jeder Bevölkerungsschicht: Ein gewisser Prozentsatz ist kriminell.«

»Na ja«, winkte Häberle ab, »falls Sie auf unseren Fall anspielen, kann ich Sie beruhigen: Die drei Gangster haben allesamt schwäbisch oder leicht badischen Dialekt gesprochen.«

Blaubart konterte: »Aber woher wollen Sie denn wissen, dass es nur diese drei Gangster gegeben hat? Wenn Sie nicht mal eine Spur von denen haben, könnten doch ohne Weiteres noch einige im Hintergrund gestanden sein.«

»Was bei dieser Vorgehensweise zu befürchten ist«, ergänzte Banker Zumwinkel und erntete kräftiges Kopfnicken der meisten anderen Stammtischler. Nur Häberle zeigte keine Regung.

48

Ein weiteres Dreivierteljahr später – man schrieb inzwischen 1984 – gab’s zwar im Kriminalfall nichts Neues, dafür aber bei der örtlichen Tageszeitung: Der bisherige Redaktions-Vize Manfred Grüninger übernahm die Redaktionsleitung von Doktor Wolfgang Schmauz, der in den Ruhestand ging. Schmauz war mehr als 30 Jahre lang der Chef gewesen. Schon ab 1948 hatte er als junger Mann die Lokalredaktion verstärkt, nachdem ihm, wie damals nach dem Krieg üblich, ein amerikanischer Presseoffizier auf den Zahn gefühlt hatte.

Dass er nun die Aufklärung des großen Sparkassenraubs nicht mehr journalistisch begleiten konnte, bedauerte er in diesen Tagen des Abschieds.

Der Fall wurde zwar keinesfalls zu den Akten gelegt, wie Soko-Leiter Zeller bei Anfragen immer wieder betonte, aber sogar bei der Göppinger Bevölkerung schien die Erinnerung an den spektakulären Überfall langsam zu verblassen.

Noch immer trat Kirstin im Luna auf, denn sie hatte hartnäckig allen Versuchen widerstanden, sich tiefer ins Rotlichtmilieu einschleusen zu lassen. Zwar hatte der Amerikaner einmal sogar mit Gewaltanwendung gedroht, doch Blaubart war energisch dagegen vorgegangen. Mittlerweile hatte er sich mit Lukas darauf geeinigt, sich auf andere Geschäfte zu konzentrieren. Immerhin schien der Amerikaner beste Beziehungen nach Osteuropa zu haben, was wiederum den Argwohn von Blaubart geweckt hatte. Einmal hatte er sogar eine Nachfrage riskiert: »Diese Geschäfte Richtung Osten vereinbaren sich mit deinem Job bei der Armee?«

»Das lass mal meine Sorge sein«, hatte Lukas geantwortet und angemerkt: »Die im Osten sind nicht nur das Reich des Bösen.«

Daran musste Blaubart aber denken, als er am 22. März 1984 die örtliche Tageszeitung aufschlug und im Lokalteil die Schlagzeile las: Seit 17 Jahren für die DDR spioniert: In Florida schnappte die Falle zu.

Seit über einem Jahr, so hieß es in dem großen Bericht, sei jeder Schritt eines Mannes überwacht worden, der nun in Tampa/Florida dem amerikanischen FBI ins Netz gegangen war. Es handelte sich um einen 43-Jährigen, der in einer Göppinger Nachbarstadt eine Kfz-Werkstatt betrieben hatte. Eine Kfz-Werkstatt, hallte es in Blaubarts Kopf nach. Die folgenden Sätze verschlang er mit rasendem Puls. Demnach war der Mann aus der DDR übergesiedelt und hatte mehrfach seinen Wohnsitz gewechselt. Zuletzt habe er in einer kleinen Ortschaft bei Göppingen in einem Dreifamilienhaus eine Wohnung gemietet gehabt. Seinem Geständnis zufolge sei er 17 Jahre lang Spion für den Osten gewesen.

Weiter hieß es im Text: Über seine Kfz-Werkstatt, die er seit fünf Jahren in einem ehemaligen Firmenkomplex bei Göppingen betrieb, knüpfte er Kontakte zu US-Soldaten, die sich ihre Fahrzeuge gerne bei ihm reparieren ließen. Mehrfach sei er in den vergangenen Jahren mit der Pakistan Airline von Frankfurt nach New York geflogen. Noch vor einigen Monaten hatten die Ermittler offenbar große Anstrengungen unternommen, um festzustellen, ob sich im Pass des Mannes auch Ostblockstempel befanden.

Der Göppinger Lokaljournalist Georg Sander hatte offensichtlich aufwendig recherchiert, denn im Text hieß es weiter: Auch wenn die Kontakte des Mannes möglicherweise nicht bis zu hohen Offizieren reichten, hatte er über die Angehörigen der US-Streitkräfte die Möglichkeit, sich über Ausrüstung, Aufmarschpläne, Waffensysteme und Kasernenanlagen zu informieren. Zur Frage, in welche Kategorie der mutmaßliche Ost-Agent einzustufen sei, äußerte sich ein Kenner der Szene gestern so: ›Daran, dass er internationale Verbindungen hatte, lässt sich erkennen, dass er keinesfalls ein kleiner Fisch ist.‹

Blaubart überflog den Artikel noch einmal, doch das Gelesene steigerte seine innere Unruhe noch mehr. Natürlich war mit dem Spion nicht Lukas gemeint, aber es konnte doch durchaus sein, dass es Zusammenhänge gab. Beide waren Amerikaner – und beide hatten mit Fahrzeugen zu tun. In Blaubart machte sich eine aufwühlende Ahnung breit: Sollte womöglich auch er in ein Spionagenetzwerk involviert werden? Er, der sich mit den amerikanischen Fahrzeugen seit Langem in den Kreisen der in Göppingen stationierten 1. Infanteriedivision bewegte und gleichzeitig Kontakt in die Kommunalpolitik pflegte? Und hatte man auch mit Kirstin etwas im Schilde geführt?

Blaubart faltete die Zeitung zusammen, steckte sie in eine Schreibtischschublade und blieb nachdenklich sitzen. Am besten würde es wohl sein, mit Lukas gar nicht darüber zu reden, sondern im Umgang mit ihm vorsichtig zu sein und auf alles zu achten, was er sagte und wollte.

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26 mayıs 2021
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