Kitabı oku: «Cantata Bolivia», sayfa 7

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Gerade als die Kinderschar die Käserei betritt, gießt Urs die gemolkene Milch in den großen Trichter einer gewaltigen „Alfa Laval“-Maschine, an deren mächtiger, hölzerner Kurbel Hans Adler eifrig dreht.

„Was ist das?“, fragt Lissy verwundert.

Bärbel erklärt: „Das ist eine Zentrifuge. Die hat viele sehr dünne Metallhüte, die aufeinander liegen und die sich sehr schnell drehen müssen, damit der Rahm sich von der Magermilch trennt.“

„Und wozu macht ihr das?“, will Oliver wissen.

Jetzt ergreift Urs das Wort und bemüht sich redlich, nicht Schwyzer-, sondern Hochdeutsch zu sprechen: „Also, die Kuhmilch ist eine Mischung aus Fett und Wasser. Wenn diese beiden Bestandteile so vermischt sind, wie es die Kühe im Euter haben, dann sieht eben die Milch so weiß aus, wie wir sie kennen. Aber neben Fett hat die Milch noch viele andere, sehr wertvolle Inhaltsstoffe, die für die Ernährung von Mensch und Säugetieren so wichtig sind. Deswegen müssen vor allem Kinder sehr viel gesunde Milch trinken.“ Er macht eine Pause, weil der ständige Klingelton der Zentrifuge meldet, dass die erforderliche Drehzahl des Trichterpakets erreicht wurde. Er löst nun Hans an der Kurbel ab und dieser öffnet den kleinen Hahn am Trichter, damit die Milch in die Maschine fließen kann.

Bald darauf sagt Bärbel: „Seht her, aus dem größeren Auslaufrohr rinnt jetzt die Magermilch, aus dem anderen ein viel dünnerer Sahnestrahl.“

Die Flüssigkeiten werden in getrennten Gefäßen aufgefangen. Erst nachdem die gesamte, heute gemolkene Milchmenge durchgelaufen ist, hört Urs mit dem Kurbeln auf. Das Lamellenpaket schwirrt noch mit lautem Summen eine ganze Weile umher, bis es schließlich langsamer wird und am Ende ganz anhält.

Hans und Urs haben inzwischen die Magermilch in einen sehr großen Kessel gegossen. Darunter wird ein kleines Propangasstövchen angezündet, um die Milch zu erwärmen. „Jetzt geben wir etwas Lab dazu. Das ist ein Stoff aus dem Kälbermagen“, erklärt Urs, während er die Milch mit einer großen Holzkelle umrührt. „Das Lab haben die kleinen Tiere im Bauch, um die Milch besser zu verdauen. Wir brauchen es aber, um den Käsebruch in der Magermilch aus der Molke, also dem Milchwasser, herauszutrennen. Den Käsebruch kennt ihr ja, den habt ihr heute Abend gegessen, den Quark mit Schnittlauch. Und wenn wir diesen Quark zusammenpressen und ihn reifen lassen, dann bekommen wir den Schnittkäse, den ihr auch auf dem Brot hattet.“ Er hört auf zu rühren und löscht die Gasflamme. „So, jetzt lassen wir das Ganze ein paar Stunden ruhen, und dann fischen wir den Quark aus der Molke heraus.“

„Was passiert mit dem Rahm?“, fragt Oliver.

„Einen Teil schicken wir in den Milchkannen nach La Paz. Daraus können die Leute dann Schlagsahne machen. Den anderen Teil rühren wir hier so lange, bis daraus Butter geworden ist“, antwortet Hans.

„Und die Flüssigkeit, die dabei übrig bleibt, das ist Buttermilch, so wie wir sie wir heute Abend getrunken haben“, ergänzt Bärbel.

Mittlerweise haben Moses, Bärbel und ihre Mutter die Zentrifuge zerlegt. Die vielen, sehr empfindlichen Lamellentrichter aus dünnem Edelstahlblech sowie die Auslauftüllen werden sorgfältig in heißem Wasser gereinigt und danach zum Trocknen auf Leintücher gelegt.

„So, und nun alle schleunigst zurück in die Casa Vieja!“, kommandiert Rosa Adler. „Höchste Zeit, um ins Bett zu gehen. Vamos, vamos!“

Rasch vergehen die nächsten Tage. Den Kindern werden täglich neue Erfahrungen und wertvolle Erkenntnisse vom Leben auf dem Lande geboten. Da Bärbel ständig auf Guayrapata lebt und sich keine öffentliche Schule in Reichweite befindet, erhält sie täglich Unterricht von ihrer Mutter Rosa. Der Aufenthalt von Ferienkindern im Winter und im Sommer ist daher der Mutter äußerst willkommen, weil dann bei den gemeinsam gehaltenen, täglichen Unterrichtsstunden ein fruchtbarer Wissensaustausch unter den Schulbesuchern verschiedenster Klassen stattfinden kann. Auch für die Ferienkinder ist eine Auffrischung ihrer Kenntnisse während der immerhin fast drei Monate andauernden Sommerferien von Vorteil. Von Moses erhält Bärbel vor allem Spanisch- und Englischunterricht, denn Spanisch beherrschen die beiden Adlers nur, soweit es für den täglichen Gebrauch notwendig ist, Englisch dagegen überhaupt nicht.

So wechseln sich die Kinder mit den zu verrichtenden Aufgaben täglich im Hühnerstall, bei Vater Schloß im Gemüsegarten oder im Rindercorral ab. Lissy hat beim Einpacken der Hühnereier in aus alten Zeitungen geschnittene Papierstreifen ein besonderes Geschick entwickelt. Sorgfältig umhüllt sie die Eier und entweder Alfred, Thea oder Oliver legen diese in die mit Sägemehl gefüllten Transportkisten. Ist eine Lage vollständig, kommt eine weitere Schicht Sägemehl darüber. Dieser Vorgang wiederholt sich so lange, bis die innen mit Zinkblech ausgeschlagene Holzkiste voll und mit einem Vorhängeschloss gesichert ist.

Dreimal in der Woche – montags, mittwochs und freitags – ist „Puente Villa“-Tag. Dann werden die Mulas auf den Hof getrieben, verarztet und gesattelt. Meistens sind es sechs bis acht Lasttiere, die auf die Reise gehen, sowie ein Reitmuli für Hans Adler, der in der Regel den Treck begleitet. Die Maulesel werden mit den Erzeugnissen der Hacienda – Käselaibe, frischer Quark und Butterpakete, Eierkisten und Sahnekannen sowie geflochtene Körbe mit Vater Schloß’ frischem Gemüse und Obst – beladen, die zum Verkauf nach La Paz kommen. Sind Gäste angemeldet oder im Begriff abzureisen, werden weitere Mulas zum Reiten gesattelt und mit den Alforjas – Satteltaschen – für das Gepäck der Besucher ausgerüstet.

An diesem Mittwoch ist es aber Urs Brunner, der mit der Karawane durch die Pforte hinausreitet. Bärbel kündigt den anderen Kindern an, dass sie sich heute das besondere Schauspiel im Kuhstall nicht entgehen lassen sollten. Das angekündigte Ereignis findet erst nach dem Melken und dem Auftrieb der Rinder statt. Hans Adler wagt sich mit einem großen Eimer mit angemachtem Afrecho auf die Koppel, wo sich sein Namensvetter, der Bulle Hans, befindet. Dieser trabt friedlich heran und macht sich sofort über den mitgebrachten Leckerbissen her. Währenddessen lässt er sich widerstandslos mit einem Strick, den ihm Hans um die Hörner legt, an einem der Holme festbinden. Während der Bulle gierig mit seinem Afrechoeimer beschäftigt ist, striegelt und bürstet ihm Hans das Fell. Dann bindet er den Bullen los und schiebt die Holme der Tranquera beiseite.

Weiter unten, zwischen dem kleinen Lagerhaus und dem Stallgebäude, gibt es eine mittelhohe Mauer, an der drei Rinder, zwei Milchkühe und eine Färse angebunden sind. Wild schnaubend trabt nun Bulle Hans den Weg hinab. Dann schnüffelt er abwechselnd an den Hinterteilen der ihm so dargebotenen Rinderdamen und macht dabei eine eigenartige Bewegung mit der Schnauze in der Luft. Dann plötzlich besteigt er zunächst die Färse, die laut muhend vergeblich versucht, sich gegen das immense Gewicht, das nun auf ihr lastet, zur Wehr zu setzen. Schon bald lässt Bulle Hans von ihr ab und wendet sich der nächsten Kuh zu, bei der er ebenfalls brav seine Pflicht erfüllt. Der dritten Kandidatin wendet er mit Verachtung den Rücken zu und trabt selbstzufrieden zu seiner Koppel zurück.

„Ja, Kinder, jetzt habt ihr gesehen, wie die kleinen Kälbchen gemacht werden“, ulkt Hans Adler grinsend.

„Wann kommen denn die heraus?“, fragt Lissy, noch benommen von dem soeben Erlebten.

„Das ist genauso wie bei uns Menschen“, antwortet Bärbel. „Die Tragezeit dauert etwa neun Monate und noch ein paar Tage dazu, dann kommen die Kälber zur Welt.“

Als die Kinder auf dem Rückweg in die Casa Vieja sind, kommt Lissy ganz nahe an Oliver heran und flüstert ihm ins Ohr: „Glaubst du wirklich, dass der Papi und die Mami so etwas auch machen?“

Oliver, ratlos, stottert: „Ich weiß es nicht genau, aber es muss ja so ähnlich sein, oder? Jedenfalls hat die Mami dich auch in ihrem Bauch getragen, bevor du geboren wurdest.“

7. Weihnukka

Ab und zu muss das täglich verbrauchte Brennholz im Lagerhäuschen der Hacienda wieder aufgefüllt werden. Hans Adler rekrutiert Freiwillige unter den Kindern, die ihn, Manuel und Iraya zum Holzholen auf den Berg hoch oben über dem Anwesen begleiten. Moses entschuldigt sich damit, dass diese Arbeit für seine feinen Geigenhände zu riskant sei, und außerdem müsse er heute seine in den letzten Tagen stark vernachlässigten Übungen unbedingt nachholen. Bärbel, Alfred und Oliver melden sich dagegen bereitwillig. Thea bleibt mit Lissy in der Casa Vieja und sie übernehmen für Bärbel das Eiersammeln im Hühnerstall.

Bewaffnet mit Seilen, Gurten, Macheten und einer Axt, macht sich der Trupp langsam auf den steilen Anstieg. Vater Schloß hat den Kindern von alten Reitstiefeln abgeschnittene Schäfte als Gamaschen über die Hosenbeine geschoben – zum Schutz gegen das stachelige Gebüsch, das sie am Wegesrand streifen wird. Es ist bereits zehn Uhr, und trotz der leichten Schleierwolken scheint die Sonne mit einer sengenden Hitze vom Himmel herab. Alle haben ihre Halstücher vor das Gesicht gebunden, um sich ein wenig gegen die wild herumschwirrenden Fliegen und Insektenschwaden zu wehren, die den aus den Poren tretenden Schweiß wittern.

Auf halbem Wege machen sie im Schatten eines kleinen Algarrobo-Wäldchens Rast. Allgarobo ist eine Art Johannisbrotbaum, dessen bereits abgeworfene bräunliche Samenhülsen überall herumliegen. Rundherum wuchern bereits neue Sprosse aus der nährstoffreichen Humuserde. Hans Adler reicht die mit Wasser gefüllten Feldflaschen herum, damit die Kinder ihren Durst stillen können. Beide Indios gehen in die Hocke und entnehmen dem Säckchen, das sie am Gürtel tragen, einige Cocablätter. Dann stecken sie sie in den Mund und kauen, um den dort bereits angesammelten Priemballen zu verstärken.

Manuel bemerkt den abschätzenden Blick der Gringos, so bezeichnen die Einheimischen alle weißen Zugereisten. „Da können Sie gar nichts gegen machen, Jefe Juán, nada, nada!“, meint er. So wird Hans Adler von den Indios genannt. „Ich weiß wohl, dass Don José-Patrón und Sie alle es gut mit uns armen Indios meinen und verurteilen, dass wir Coca kauen. Aber das haben wir schon vor Urgenerationen getan und werden es auch weiterhin tun. Ich habe wohl erfahren, dass es eine Droge enthält, die uns letztendlich nicht guttut und uns krank macht. Aber wir dürfen die Geister unserer Vorfahren nicht verprellen, es ist unser Schicksal!“

Hans Adler streckt ihm die Hand entgegen und hilft ihm beim Aufstehen.

Dann sagt Bärbel lächelnd: „Akuli listo!“ – Pause vorbei! – und die Kolonne setzt ihren mühevollen Aufstieg schweigend fort. Nach einer weiteren halbstündigen „Tour der Force“ gelangen sie völlig durchgeschwitzt an das große Wasserreservoir, von dem aus die Hacienda versorgt wird. Man nutzt die Gelegenheit, um sich zu erfrischen sowie die engmaschigen Filter vor den Abläufen kurz anzuheben und diese von den darin angesammelten Blättern und wimmelnden Kleintieren zu befreien. Etwa fünfzig Meter weiter oben, inmitten eines dichten Waldes, treffen sie auf die Quelle. An drei Stellen quillt reichlich kristallklares Wasser aus dem quarzhaltigen Felsen. Es rinnt in kleinere betonierte Auffangbecken, von denen es mittels dicken, rohrartigen, durchlöcherten Guayacostämmen in die Zisterne geleitet wird. Alfred entdeckt ein leckes Rohr, aus dem Wasser heraustropft. Geschwind geht Manuel in den Wald und kehrt bald darauf mit einem frisch geschlagenen Guayaco – eine großkalibrige Bambusart – zurück. Nachdem er die benötigte Rohrlänge abgemessen hat, kürzt er geschickt den Stamm mit seiner Machete. Iraya hat mittlerweile eine lange Moniereisenstange herbeigeholt. Mit dieser werden nacheinander die inneren Knotenschichten mit kräftigen Schlägen durchbrochen und die Öffnung geweitet, um einen freien Durchfluss zu gewährleisten. An Anfang und Ende des Stammes entstehen besondere Kerben, die für eine dichte Leitung sorgen. Die Feldflaschen und die ausgehöhlten Kalebassen, die die Indios als Wasserbehälter nutzen, werden mit dem erfrischenden Quellwasser neu gefüllt.

Oliver ist von den bizarren Bäumen und der Überfülle an Vegetation des Waldes stark beeindruckt. Iraya nennt ihm einige Namen: „Sieh mal, Niñito, diese großen, hohen Bäume heißen Molles (peruanischer Pfefferbaum) und haben viele rote, sehr gut riechende kleine Körner. Vor jenem kleineren Churqui (Dornakazie) müsst ihr euch vorsehen, seine Stacheln sind sehr spitz und können euch verletzen. Der dort drüben ist der kleine, knorrige Torco. Und niemals dürft ihr den da oben, den übel stinkenden, sehr giftigen Palquistrauch, berühren. Seine Blätter, Blüten und Früchte sind lebensgefährlich. Man sagt, die Inkas haben ihre Feinde damit vergiftet.“

Nach dieser kurzen Botanik-Lektion machen sich die drei Erwachsenen daran, gefallene und entwurzelte Baumstämme aus dem Wald auf eine Lichtung zu ziehen und von Blättern und Geäst zu befreien. Die Yungas gehören zu den regenreichsten Regionen Boliviens. Häufig verursachen die herabströmenden Wassermassen Erdrutsche an den Berghängen und entwurzeln beiläufig so manchen Baum. Bärbel zeigt Oliver und Alfred, wie und wo man kürzere, aber als Brennholz noch taugliche Äste und dünnere Baumstämme ausmacht.

Als sie so viel Holz gesammelt haben, wie sie heute hinunterbefördern können, machen sie Halt. „Jefe Juán“ verteilt die belegten Brote, die er im Rucksack mitgebracht hat. Vor dem Essen spucken die beiden Indios diskret und etwas abseits ihre zerkauten Cocaprieme aus.

Als sie gegessen haben, werden je zwei oder drei dickere Stammenden mit Hilfe eines Gurtes gebündelt. „Wir gehen jetzt rasch den Hang hinunter und ziehen die Bündel hinter uns her. Ihr müsst gut aufpassen, dass ihr immer schneller seid als die nachrutschenden Stämme, sonst werdet ihr überrollt und könnt euch verletzen. Wenn ihr merkt, dass die Stämme zu schnell werden, dann springt einfach zur Seite und lasst sofort die Gurte los. Irgendwann kommen die Hölzer schon zum Liegen, die Hauptsache ist, ihr tut euch nicht weh!“ Als er das gesagt hat, geht Hans voran, gefolgt von Iraya und Manuel. Dahinter macht sich Bärbel mit drei kleineren Stämmen auf den Weg, Oliver folgt ihr, Alfred bildet die Nachhut. Mehr schlecht als recht, aber glücklicherweise unversehrt, schaffen es die beiden Buben, immerhin mit einem Teil ihrer ursprünglichen Holzladung in der Casa Vieja einzutreffen. Sie sind so geschafft, dass sie auf das Mittagessen verzichten und gleich auf ihr Zimmer gehen, um sich auszuruhen.

Am heutigen Freitag stehen auf der Hacienda Guayrapata größere Ereignisse bevor. Am späten Nachmittag, nachdem Miguel und Urs mit Bärbels und Moses’ Unterstützung die Rinder vom Weiden wieder nach Hause getrieben haben, sammelt Luisa alle Kinder vor dem Kücheneingang der Casa Vieja ein. Barfuß sitzen sie auf dem breiten Zementgehsteig und die Ersten baden schon ihre Füße in Wannen mit heißem Wasser.

Währenddessen hält Luisa die Spitze einer mittelgroßen Nähnadel zunächst in die Flamme einer brennenden Kerze und taucht diese anschließend sofort in eine Wasserstoff-Superoxydlösung. Dann trocknet sie die Füße des ersten Kandidaten ab. Jetzt erst macht sie sich an das Entfernen der Piques, dieser höchst lästigen Sandflöhe, denn seit Tagen klagen die Kinder bereits über starkes Jucken an den Zehen. Eine über Jahre von den Siedlern gemachte Erfahrung besagt, dass man bereits sämtliche Abwehrmaßnahmen versucht habe, es jedoch nicht gelinge, dem Befall mit diesen immer wieder plagenden Piques zu entgehen.

Mit geübtem Auge erspäht Luisa einen nach dem anderen – winzige schwarze Punkte, die sich dicht unter oder neben den Fußnägeln befinden. Mit der Nadelspitze gräbt sie sich geschickt unter die Haut und entfernt behutsam jeden der goldgelben Eiersäcke. Diese werden sogleich in der Kerzenflamme exekutiert. Dann desinfiziert sie die winzigen Wundlöcher mit einem Tropfen Jodtinktur, was das bisherige Jucken durch ein ebenso ungemütliches Brennen ersetzt. Mehr oder weniger tapfer unterziehen sich alle Patienten nacheinander der Behandlung. Kein einziger schwarzer Punkt entgeht Luisas geübtem Auge. Nachdem alle dran waren und verarztet worden sind, verkündet Alfred lauthals: „Ich bin heute der Sieger, ich hatte acht Piques!“

Schließlich ruft Mutter Schloß wie jeden Tag: „Ab zum Duschen und Umziehen!“

Die Kinder sind voller Erwartung auf das Wiedersehen mit ihren Müttern, die heute eintreffen sollen. Die Ankunft der Väter steht erst für den nächsten Montag auf dem Programm. An diesem Wochenende vor Weihnachten haben sie alle noch eine ganze Menge Arbeit zu erledigen, bevor sie ein paar Ruhetage genießen dürfen.

Hans Adler ist mit mehreren gesattelten Maultieren nach Puente Villa hinuntergeritten. Es haben sich neben den Müttern der Ferienkinder weitere Besucher angemeldet, die über die Feiertage bleiben werden. Diesmal hat die Anreise offensichtlich besser geklappt, denn bereits gegen vier Uhr nachmittags erreichen die ersten Reiter die geöffnete Tranquera. Allen voran Frauke, gefolgt von Clarissa, die sofort nach dem Absteigen überglücklich ihre Kinder in die Arme schließt. „Kinder, seid ihr aber braun geworden!“, bewundert sie Olivers und Lissys gesunde Hautfarbe. „Tante“ Frauke freut sich ebenso über das Wiedersehen und wird wie Clarissa freudig begrüßt. Kurz danach erscheinen die Mütter Kahn und Kovacs, gefolgt von zwei weiteren Damen und drei unbekannten Herren. Hans Adler trifft als Letzter ein, zusammen mit den Lastmulas, von denen einige mit dem Gepäck der Reisenden beladen sind.

Nachdem der erste Durst mit einem erfrischenden Limatrunk im Speisesaal gelöscht ist, stellen sich zwei der Herren als die Brüder Leo und Benjamin Reichenbach vor. Ihre Ehefrauen – ebenfalls Geschwister – sind Emma und Bertha. Während beide Paare ursprünglich aus Breslau stammen, lässt der einzelne Herr, Zahnarzt Dr. Dieter Lahnstein, stolz verlauten, dass er Hannoveraner sei. Dass er aus Deutschlands Norden stammt, war allerdings schon in dem Moment klar, als er das spitze „st“ in seinem Namen betont hat.

Extrem witzig finden die Kinder die unterschiedlichen Erscheinungsbilder der neuen Gäste. Während Leo, glatzköpfig, groß und dick, mit der wortkargen, zierlichen Emma verheiratet ist, präsentiert sich Benjamin – „Ihr dürft mich Benny nennen!“ – mit voller, dunkelbrauner Haartracht, etwas kleiner und eher mager. Seine ziemlich leutselige Frau Bertha ist reich an Umfang und vollbusig. Sportlich und unauffällig hingegen käme Dr. Lahnstein daher, wäre da nicht der markant gezwirbelte Schnurrbart unter einer geröteten, runden Nase.

Nach der Vorstellung macht sich die Gruppe, angeführt von Frauke, auf zur Casa Nueva. Dort bezieht Elena Saavedra gerade die Gästebetten. Hans Adler befreit die Lasttiere von ihrem Gepäck und treibt sie wieder zur Casa Vieja hinunter. Beide Ehepaare richten sich indessen in ihren Doppelzimmern, Dr. Lahnstein in einem der Einzelzimmer, ein. Wegen des Besucherandrangs teilen sich Clarissa und Frauke sowie die Damen Kahn und Kovacs vorerst je eines der Doppelzimmer.

„Sie können sich alle erst einmal frisch machen“, sagt Frauke. „Bitte kommen Sie um halb sieben runter ins Haupthaus – dann gibt es Abendbrot.“

Lissy, die Clarissa hinauf begleitet hat, bemächtigt sich glücklich des Schoßes ihrer Mutter und berichtet begeistert von ihren zahlreichen Erlebnissen.

Indessen hat Bärbel eine der unten verbliebenen Mulas, die ihre Last unter einer Plane verdeckt trägt, auf den Wink ihres Vaters an der Trense zur Rückseite des Hauptgebäudes geführt und dort festgebunden. Vater Schloß kommt hinzu und beide entladen die sechs gleich großen hölzernen Käfige, durch deren Maschendrahttüren man jeweils drei bis vier weiße und braune Stallhäsinnen erspähen kann. Der Rammler hat seinen eigenen Käfig. Die Tiere haben die strapaziöse Reise offensichtlich wohl überstanden, denn sie zeigen sich quicklebendig. Die Käfige werden auf die bereits dafür vorgesehenen, an der Wand hoch angebrachten Regale gestellt. Nachdem Vater Schloß die Käfige gesichert und die Tiere mit frischem Streu, Grünfutter und Wasser versorgt hat, deckt er die Käfige mit einem zusätzlichen engen Maschendraht ab, der als Schutz gegen Marder und andere Räuber dienen soll. Die ganze Aktion wird heute noch geheim gehalten, denn die Tiere sollen eine Überraschung für die Kinder sein.

Es ist ein wunderschöner Dezemberabend, der so typisch ist für diese bezaubernde Gegend. Die Sonne ist gerade hinter den Bergen untergegangen und die Hitze des Tages weicht allmählich einer leichten, lauen Brise. Das Abendrot entrückt rasch, während die neuen Gäste den von rauschenden Eukalyptusbäumen gesäumten Weg abwärts gehen. Sie werden begleitet von dem unaufhörlichen Konzert laut zirpender Grillen und Zikaden.

In der Casa Vieja erwartet sie ein üppiges Nachtmahl mit zahlreichen schmackhaften und frischen Erzeugnissen, welche die Hacienda Guayrapata ihren Gästen zu bieten vermag. Sofort nach der Ankunft hat Hans Adler die drei Dutzend Literflaschen mit dem süffigen Pilsner Bier der Cervecería Nacional La Paz-Huari im Magazin in eine Zinkwanne mit kühlem Wasser gestellt. Nun erfreuen sich die erwachsenen Gäste am doch leider immer noch ein wenig lauen Gerstensaft.

Ausnahmsweise heute erst um acht Uhr wirft Rosa Adler ihren vielsagenden Blick auf das Jungvolk. Nacheinander erheben sich die Kinder artig, sagen ihren Müttern und den anderen Erwachsenen Gute Nacht und folgen dann lautlos dem Schein der Petroleumlampe, der ihnen den Weg hinauf zu ihren Schlafgemächern weist. Schließlich begibt sich auch Familie Adler in ihre Gemächer im Corral. Sie benötigen keine Beleuchtung, denn das fahle Abendlicht der Sterne und die vielen Glühwürmchen, die sie begleiten, erleuchten ihren Nachhauseweg. Indessen unterhält sich der Rest der Gesellschaft im Speisesaal sehr angeregt noch bis spät in die Nacht.

Dieses verregnete Wochenende zieht mit quälender Langsamkeit vorbei. Die dunklen Regenwolken am bleiernen Himmel läuten die Regenzeit ein. Es nieselt unaufhörlich, nur gelegentlich unterbrochen von kurzen, aber heftigen, manchmal gewittrigen Wolkenbrüchen. Der Einzige, der sich über den Regen freut, ist Vater Schloß, denkt er doch an seine neu eingesetzten Kaffeebäumchen. „Si Señor, no Señor, wie kommst du mir denn vor?“, singt er wiederholt und stößt dabei genüsslich den Rauch seiner ausnahmsweise angezündeten Pfeife durch die Nase aus.

Nach dem Frühstück ist Clarissa als einzige Erwachsene im Speisesaal geblieben. Bärbel, Thea, Alfred und Oliver lesen. Lissy malt die Tiere in ihrem Zeichenblock mit Farbstiften an. Moses übt heute ausnahmsweise oben im Schlafzimmer. Die restlichen Besucher halten sich in der Casa Nueva auf. Endlich findet Clarissa Zeit und Muße, in ihr so lange vernachlässigtes Tagebuch zu schreiben.

Liebes Tagebuch, lang ist’s her, dass ich mich zuletzt mit dir unterhalten konnte. Vieles ist seitdem passiert. Vor allem aber freue ich mich sehr, dass Oliver den schwierigen Sprung in die erste Klasse inmitten des Schuljahres so gut gemeistert hat. Er hat wirklich sehr fleißig gearbeitet und wir sind stolz auf ihn! Auch unsere Lissy macht sich gut in Kindergarten (ich muss jeden Tag über dessen putzigen Namen – „Der Milchtropfen“ – lächeln). Beide Kinder haben sich diesen wunderschönen Ferienaufenthalt redlich verdient und für sie ist das gesunde Landleben in dieser traumhaften Natur ein wahrer Segen. Gemessen an all dem, was die beiden erzählten, kann ihnen wohl kein Biologieunterricht mehr beibringen als das, was sie hier erfahren. Wunderbar, dass Josef und Frauke unseren Kindern, und mitunter auch uns, diese einmalige Gelegenheit bieten.

Wir können übrigens unseren lieben Freunden niemals genügend dafür danken, dass sie uns letztlich errettet und zur Aufnahme in diesem Land verholfen haben. Als wir damals als Kinder in Oldenmoor zusammen spielten, hätte ich es mir niemals träumen lassen, irgendwann einmal inmitten dieser grünen bolivianischen Yungas ein paar Tage Urlaub machen zu können.

Heiko arbeitet schwer in der Bäckerei, aber er liebt seine Tätigkeit, und auch die Espinozas sind sehr froh, dass sie einen so engagierten Betriebsleiter haben. Obwohl der Umsatz nicht zuletzt wegen der allwöchentlichen Berchesbäckerei ordentlich gesteigert werden konnte, beklagt Heiko immer wieder die sehr engen und eingeschränkten Betriebsbedingungen. Offensichtlich sind aber die Eigentümer nicht bereit, einer erneuten Erweiterung zuzustimmen. Schade!

Bärbel unterbricht die heilige Ruhe. Um zehn Uhr steht sie plötzlich auf, zieht das Regencape an und fragt provokant: „Wer begleitet mich in den Hühnerstall?“ Trotz des nicht aufhören wollenden Regens müssen die täglichen Obliegenheiten ja irgendwie erledigt werden.

Alfred und Oliver sehen sich zunächst nur an.

„Ach ja, und wer jetzt mitkommt, kann auch eine schöne Überraschung erleben“, verkündet sie mit vielsagender Miene.

„Dann komme ich mit“, erklärt Alfred.

Oliver blickt Clarissa fragend an.

„Du solltest auch gehen, Oliver. Ziehe dir Gummistiefel an und nimm einen Regenschirm mit.“

Bärbel wendet sich an Lissy und Thea: „Ihr könnt ja noch hierbleiben. Wir bringen die Körbe mit den Eiern nachher mit herunter ins Magazin. Ihr dürft die Überraschung später auch erleben, wenn ihr zum Eiereinpacken kommt.“

Mit Gummistiefeln und Regenschirmen bewaffnet, machen sich Bärbel, Oliver und Alfred auf den Weg. Als sie hinter dem Haus entlanggehen, entdeckt Oliver die neuen Käfige auf dem Wandregal. Neugierig geht er mit Alfred heran und sie entdecken hocherfreut die niedlichen Mümmeltiere. Erschreckt von ihrem plötzlichen Erscheinen huschen diese aufgeregt im Käfig hin und her. Bärbel entnimmt dem Futterkorb eine dicke Mohrrübe und teilt sie mit ihrem Fahrtenmesser in vier lange Streifen, die sie anschließend durch die Maschen steckt. Die Tiere lassen sich nicht lange bitten, und schnell ist ein regelrechter Kampf um die Leckerei entfacht.

Es blitzt, gefolgt von lautem Donnern. „Kommt“, drängt Bärbel, „wir müssen weiter. Gleich gießt es wieder und dann sollten wir lieber schon im Hühnerstall sein!“ In der Tat, kaum sind sie im Trockenen angelangt, entlädt sich ein gewaltiger Schauer.

* * *

Am Abend des nächsten Tages schreibt Clarissa:

Erst im Laufe des heutigen Sonntags kam der willkommene Wind auf, der die grauen Wolken über die Berge hinfort jagte.

Nachmittags schien dann die Sonne und dicke Nebelschwaden erhoben sich gen Himmel. Neben der zunehmenden Hitze wurde es unerträglich feucht. Urs und Miguel trieben die Rinder vor sich her. Schlecht gelaunt trafen sie hier ein und berichteten, dass ein Bergrutsch eines der Tiere in der Quebrada, eine seit langer Zeit durch Regenwasser tief ausgehölte Schlucht, böse erwischt habe. Sie hatten den Jungbullen schon gestern, allerdings erst nach ihrer Ankunft im Stall, vermisst, dann aber wegen des heftigen Regens auf eine nochmalige Suchpartie verzichtet.

Heute suchte man nun nach dem verschollenen Tier. Verstärkt durch Santiago und Manuel wurden sie auf die drei hoch oben am Himmel kreisenden Gallinazos aufmerksam. Das äußerst sensible Gespür dieser Aasgeier, die wohl dort unten schon eine mögliche Beute ausgemacht hatten, führte sie zum Fundort. Sobald die Herde in den Stall zurückgebracht war, begleitete ich Urs und Miguel zusammen mit dem alarmierten Hans Adler zur Unfallstelle. Ich durfte auf einem der drei stärksten Mulis reiten, die mit Westernsatteln ausgestattet waren. Weitere waren mit den zur Bergung des Jungbullen benötigten Utensilien beladen.

Als wir an der Absturzstelle eintrafen, hatten sich die beiden Indios bereits gut vorgearbeitet. Mit größter Mühe und sehr vorsichtig, um nicht von den Hörnern des gestressten Bullen erfasst zu werden, war es ihnen gelungen, zwei starke Seile unter dessen Körper durchzuziehen. Diese Lassos befestigte Urs an zwei Sattelhörnern, während das dritte Maultier vor die beiden anderen gespannt wurde. Dann, unter lauten „Vamos, vamos“-Rufen, stemmten sich die Maultiere ins Zeug und schafften es tatsächlich, das schwere und arme, laut brüllende Tier zentimeterweise aus der Schlucht emporzuhieven. Ich war sehr betroffen, als Urs und Hans mir sagten, dass es für den Jungbullen keine Rettung mehr gäbe. Der starke Santiago holte einen großen Fels herbei. Hans stand mit einem großen Messer in der Hand neben dem Tier. Ich konnte es nicht mit ansehen und drehte mich um.

Als ich meinen Blick wieder auf das Geschehen wendete, zog das Muligespann gerade das geschlachtete Tier an einen mächtigen, gegabelten Baum, den man Ceibo nennt und der seine, einem Papageienschnabel ähnliche, herrliche rote Blütenpracht entfachte. Ich mochte dem blutigen Verlauf dessen, was nun folgen würde, nicht mehr beiwohnen und bestieg mit Hans’ Hilfe einen der Mulis und ritt zurück.

Morgen erwarten wir sehnlich die Ankunft unserer Männer. Hoffentlich kommen sie ungehindert in der Casa Blanca an, denn der gestrige starke Regenfall könnte Straßenschäden verursacht haben. Sehr oft nach solchen wilden Niederschlägen rutschen gewaltige Lawinen auf die Straße, oder es geht ein Steinschlag nieder, hier „Derrumbes“ genannt. Naturgewalten wie diese unterbrechen manchmal den Autoverkehr tagelang. Es wäre furchtbar, wenn wir Weihnachten ohne unsere Lieben verbringen müssten!

Total geschafft schleppen sich spät abends die todmüden Männer samt ihren voll beladenen Mulis zurück zur Casa Vieja. Später hängen im Magazin die in weiße Leinentücher gehüllten Rinderviertel von den dicken Trägerbalken. Die nutzbaren Innereien des Bullen sowie Kopf und Beine werden in großen glasierten Tonschüsseln daneben gestellt und abgedeckt.

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Yaş sınırı:
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Litres'teki yayın tarihi:
22 aralık 2023
Hacim:
554 s. 58 illüstrasyon
ISBN:
9783957446794
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