Kitabı oku: «Angst ist nur ein Gefühl», sayfa 4

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Sie sind selbst traurig oder niedergeschlagen und gehen mit vielen Sorgen durch die Straßen. Es kommt Ihnen jemand entgegen, ein wenig abgenutzte Kleidung, den Blick eher gesenkt, selbst traurig, vielleicht ein Obdachloser. Verziehen Sie angewidert das Gesicht? Schauen Sie spöttisch auf diesen Menschen herab und denken sich: „Na wenigstens geht es mir nicht so schlecht“? Lassen Sie vielleicht sogar Ihren Frust an einer vermeintlich schwächeren Person heraus? Oder vergessen Sie kurz Ihre eigenen Sorgen, Ihre eigenen Gedanken und schenken diesem Menschen ein aufmunterndes Lächeln und ein herzliches „Guten Tag“?

All das, und so vieles mehr, sind tägliche Sinnaufrufe, die wir in unserem Leben haben.

Unterschätzen Sie die Macht dieser Kleinigkeiten nicht. Ich nehme an, Sie kennen solche und viele ähnliche Situationen aus Ihrem täglichen Leben. Ihr Umgang mit diesen Situationen summiert sich und wird zu dem, was Ihr Leben ausmacht: zu Ihrem Erfolg, Ihrem Glück und Ihrem Blick auf die Welt.

Das bedeutet natürlich nicht, dass wir täglich mit der rosaroten Brille durch die Welt gehen müssen. Es heißt auch nicht, dass wir immer alles richtig machen und immer gut drauf sein sollen und können. Aber wir sollten versuchen, diese Sinnaufrufe zu erkennen und auch umzusetzen. Schon aus dem Grund, weil es uns gut tut für jemand oder für etwas da zu sein.

Genau das ist Selbsttranszendenz: genau das ist es, was einen großen Einfluss auf unsere Emotionen, Gedanken und somit auch auf unsere Ängste hat. Noch effektiver als die Selbstdistanzierung ist die Selbsttranszendenz, wenn wir in unseren Gedankenspiralen gefangen sind. Sie können sich, statt in Ihren Gedankengängen und Emotionen gefangen zu sein, voll auf Ihre Partnerin, Partner, Kollegin, Kollegen, Kind, Freundin oder Freund, Haustier oder wen auch immer konzentrieren und versuchen, für diese Person da zu sein. Und in der Situation wahrnehmen, was gerade eine sinnvolle Aufgabe für Sie ist.

Oder Sie können auch vollkommen in einer Sache aufgehen. Sie können sich beispielsweise voll auf die Arbeit konzentrieren, die vor Ihnen liegt und diese Tätigkeit mit Elan erledigen.

Oder Sie konzentrieren Ihre Energie auf ein Bild, das Sie malen möchten. Vielleicht aber auch auf die Hausarbeit, die Sie schon lange machen wollten. Das Sportprogramm, das Ihnen Freude macht und Sie weiterbringt, könnte auch eine Alternative zum Gedankenkarussell sein. Sport und Bewegung sind unglaubliche Energiebringer und Gedanken-Veränderer! Aus diesem Grund werde ich Ihnen später noch ein wenig mehr zum Thema Sport und Bewegung darstellen.

Gehen Sie in einer Tätigkeit also voll auf, einer die Ihnen Freude macht. Oder packen Sie die Aufgabe einfach an, die gerade vor Ihnen liegt, wenn Ängste hochkommen oder das Gedankenkarussell anspringt. Sie werden sich sehr schnell in einer ganz anderen Stimmungslage wiederfinden.

Das sind erste kleine Tipps, wie Sie mit Ihrer Angst umgehen können. Aber bei Ihren Entwicklungen in Bezug auf den Umgang mit Ängsten geht es auch immer darum, dass man an sich selbst arbeiten muss. Wenn Sie eine Veränderung möchten, dann führt kein Weg an der Arbeit an sich selbst vorbei. Der Umgang mit sich selbst, das Bereiten einer guten Basis, ist unumgänglich. Darum widme ich mich in diesem Buch ausführlich einer gelingenden Grundhaltung, die eine stabile Basis für ein schönes Leben mit all seinen Facetten darstellen kann. Das ist notwendig, wenn man seine Ängste in den Griff bekommen möchte.

In diesem Kapitel habe ich Ihnen dargestellt, was Sie tun können, um in die Selbsttranszendenz zu kommen. Wenn Sie für andere Menschen da sind oder in einer Sache voll aufgehen, dann bewegen Sie sich in Richtung Selbsttranszendenz. Der Vorteil dabei ist, dass es einem dabei selbst besser geht. Man kocht nicht im eigenen Saft der negativen Gedanken, sondern fokussiert sich auf eine Aufgabe oder einen Menschen. Man erfüllt dabei seinen eigenen Sinn, ganz automatisch.

Werte und der Zusammenhang mit Emotionen

Bevor wir zum nächsten Punkt kommen, der beim Umgang mit Angst und anderen schwierigen Emotionen eine elementare Rolle spielt, habe ich noch eine kleine Aufgabe für Sie: es gibt etwas, das großen Einfluss auf unser Leben und unser Verhalten hat. Etwas, dessen wir uns oft nicht bewusst sind, das aber unterbewusst immer eine wesentliche Rolle dabei spielt, wenn es um Entscheidungen, Wut, Furcht und Angst geht. Wenn es darum geht, in welche Dinge wir uns hineinsteigern, wo wir beleidigt oder traurig sind.

Unsere Werte!

Werte spielen für uns Menschen eine herausragende Rolle im Leben. Dennoch sind sich nur die wenigsten Ihrer Werte bewusst. Wer seine Werte kennt, sein Leben daran orientiert, der lebt auch zufriedener, lebt seinem Sinn entsprechend, weiß bei welchen Themen er sehr emotional werden kann. Und dieses Wissen, bietet viele Vorteile. Kennen wir unsere Werte, dann können wir auch unser Leben sinnvoller gestalten. Wir können den Beruf ausüben, der uns erfüllt. Unser Privatleben können wir so gestalten, wie wir es in unserem Herzen gerne hätten. Und wir haben auch unsere Emotionen besser im Griff. Wir wissen, wovor wir uns fürchten. Wir wissen, wann wir explodieren. Wir wissen, was uns traurig oder beleidigt macht. Und durch dieses Wissen können wir uns gezielt auf diese Situationen vorbereiten. In der Erläuterung des Zusammenhangs von Werten und Emotionen wird deutlich, welche Rolle das Verstehen dieser Verbindung für den Umgang mit Ihrer Angst spielt. Nehmen Sie sich also eine Viertelstunde Zeit. Suchen Sie sich einen gemütlichen Platz, an dem Sie ungestört sind. Nehmen Sie sich Papier und Stift zur Hand, um das, was Sie sich jetzt notieren, durch die körperliche Bewegung Ihrer Hand auch in die untersten Windungen Ihres Gehirns eindringen lassen zu können.

Gehen Sie in sich und schreiben Sie sich die wichtigsten Werte in Ihrem Leben auf. Finden Sie so viele wie nur möglich. Es sind Ihre Werte! Was immer Sie als wichtig empfinden - schreiben Sie es auf.

Eine Liste beispielhafter Werte finden Sie ein kleines Stück weiter unten. Schreiben Sie Ihre Werte auf. So viele Sie finden. Je mehr Sie finden, umso besser. Schwierig ist es, wenn wir nur zwei oder drei große Werte haben. Denn bricht einer davon weg, kommt Ihr ganzes Leben in Schieflage. Daher sollten Sie immer bemüht sein, Ihr Leben auf viele Werte zu stützen. Sollten Sie nur wenige Werte in Ihrem Leben finden, dann suchen Sie nach Werten, die in den letzten Jahren ein wenig verschüttet wurden und versuchen Sie diese wieder in Ihr Leben zu integrieren. Das ist auch eine spannende Reise zu uns selbst und den Dingen, die uns im Leben wichtig sind. Das trifft aber auch zu, wenn Sie auf Anhieb sehr viele Werte in Ihrem Leben finden. Es ist immer spannend sich klarzumachen: was ist mir im Leben wirklich wichtig?

Werte können für jeden Menschen unterschiedlich sein, und das ist auch gut so. Daher ist es fast wie ein Abenteuer herauszufinden, was Ihnen im Leben wichtig ist. Wofür brennen Sie? Was macht Ihnen die größte Freude im Leben? Was macht Sie glücklich? Worauf könnten Sie in Ihrem Leben nur schwer verzichten?

Sie können bei der Erstellung der Liste Ihrer Werte durchaus kreativ sein. Fertigen Sie eine klassische Tabelle an. Oder zeichnen Sie eine Sonne mit Strahlen, an deren Enden Ihre Werte vermerkt werden. Sie können Säulen zeichnen, die Sie mit Ihren Werten beschriften. Oder Sie malen einen Baum mit Wurzeln, Stamm und Ästen. Einen Wertebaum zu zeichnen ist meine liebste Variante. Wenn es darum geht, unsere eigenen Werte zu ergründen, ist das Sinnbild eines Baumes sehr passend. Zugleich hilft es Ihnen, sich über die unterschiedliche Qualität Ihrer Werte bewusst zu werden. Zeichnen Sie einen Baum auf das leere Blatt vor Ihnen. Wichtig ist, dass dieser deutlich erkennbaren Wurzeln, einen kräftigen Stamm und eine ausgedehnte Krone hat. Nun ordnen Sie Ihre Werte den passenden Bereichen Ihres Wertebaumes zu:

Schreiben Sie jene Werte zu den Wurzeln, die für Sie sehr wichtig sind und Ihnen im Leben Halt geben. Werte, die für Sie unverzichtbar scheinen, die Sie vielleicht schon viele Jahre begleiten.

In den Stamm schreiben Sie jene Werte, die Sie im Laufe Ihres Lebens immer wieder gestärkt haben, die auch in stürmischen Zeiten standhalten. Hier sollten auch Werte stehen, die Sie in Ihrem Alltag begleiten und für die Sie sich immer wieder bewusst entscheiden. Sie sind zwar weniger grundlegend als jene Werte, die bei den Wurzeln ihren Platz finden, haben aber trotzdem einen hohen Stellenwert beim Treffen Ihrer täglichen Entscheidungen.

Die Äste beschriften Sie mit Werten, die Ihnen zwar wichtig sind, die in stürmischen Zeiten jedoch an Wichtigkeit verlieren. Und auch mit Werten, die Sie vielleicht im Moment nicht so gut leben können, aber gerne wieder in Ihr Leben integrieren möchten.

Sie können Ihren Baum gestalten, wie Sie möchten. Er ist das Sinnbild für Sie, Ihr Leben und die Werte, die Sie in allen Situationen Ihres Alltags begleiten. Er ist stark, gut verwurzelt und streckt sich dem Himmel entgegen. Genauso wie Sie auf Ihrer Reise einem freieren Leben entgegen. Stellen Sie sich folgende Fragen:

Welche Werte will ich wieder verstärkt leben? Welche haben sich geändert? Welche neuen Werte würde ich mir gerne in mein Leben holen?

Das Wertesystem eines Menschen kann sich ändern. Manche Werte werden immer Bestand für uns haben und begleiten uns unser ganzes Leben. Andere Werte können sich verändern. Was mit 20 Jahren wichtig war, kann mit 40 als Familienvater nicht mehr von Bedeutung sein. Andere Werte, wie zum Beispiel Treue, Familie, Ehrlichkeit können mit 70 Jahren noch genauso wichtig sein, wie sie es mit 20 Jahren waren.

Nehmen Sie sich Zeit. Werden Sie sich Ihrer Werte bewusst. Was alles unter Werte fallen kann, führe ich in einer beispielhaften Auflistung an. Natürlich gibt es noch viele mehr. Und natürlich können Ihre Werte ganz andere sein. Aber hier einige Beispiele:

Treue, Hoffnung, Erfolg, Glück, Reichtum, Gesundheit, Familie, Freunde, Offenheit, Gleichberechtigung, Transparenz, Respekt, Wandern, Ruhe, Abenteuer, Phantasie, Reisen, Sport, Freiheit, Ordnung, Vertrauen, Loyalität, Kreativität, Herzlichkeit, verzeihen, Sicherheit, Sorgfalt, Disziplin, Ehrlichkeit, sensibel sein, Anstand, Empathie, Toleranz, Zielstrebigkeit, Dankbarkeit, Entwicklung.

Training

Mit einem lockeren Spruch und einem Lächeln auf den Lippen drehe ich mich von meinen Kollegen weg und gehe von der kleinen, überdachten Veranda direkt vor dem Gebäude in den Innenhof des gesicherten Areals. Staubig und erdig ist der Innenhof, wie meistens hier im Jemen. Fünf gepanzerte Fahrzeuge stehen dicht aneinandergereiht. Ich gehe in Richtung der freien Flächen des Innenhofes, direkt zwischen den geparkten Autos hindurch. Rechts von mir, neben dem eisernen Eingangstor, steht eine kleine Wachhütte. In ihr drängen sich der Wachmann des Gastgebers, die jemenitischen Fahrer, Personenschützer von zwei anderen Gästen und ein paar lokale Sicherheitskräfte. Ich kann sie nicht genau zuordnen. Aber das scheint mir gerade nicht so wichtig.

Links von mir sehe ich die französischen Kollegen. Ich winke ihnen entspannt zu. Sie sitzen bei geöffneten Türen in ihrem gepanzerten Fahrzeug und widmen sich begeistert einem Video auf ihrem Tablet. Ich atme durch. Alles ist bisher gut gelaufen. Wir befinden uns in einer der gefährlichsten Gegenden von Sanaa. Naja, sichere Gegenden gibt es im Jemen des Jahres 2014 ohnehin nicht mehr. Aber hier, in der Altstadt, sind wir alles andere als willkommen. Dennoch verlief die Fahrt hierher ruhig, und genauso entspannt und planmäßig verläuft auch alles andere.

Es ist ein verhältnismäßig kühler Abend. Ich empfinde das als sehr angenehm, da mir als Mitteleuropäer die stets sehr hohen Temperaturen zu schaffen machen. Die Sonne ist schon längst untergegangen. Das Dinner der Botschafterin ist für heute meine letzte Ausfahrt. Ich bin müde, aber zufrieden mit dem bisherigen, langen Tag. Meine Uhr zeigt schon nach 21 Uhr und ich fühle mich entspannt. So gehe ich noch einige Schritte weiter und komme auf die kleine, freie Fläche im Innenhof des Anwesens. Das Areal ist typisch für die wohlhabende Schicht im Jemen gestaltet. Ein großes Haus, umgeben von hohen Beton- und Ziegelmauern. Dazu ein üppiger Innenhof als Parkplatz für Fahrzeuge und vor dem Haus eine kleine Parkanlage. In diesem Fall war die Parkanlage, wenn ich sie mir so ansehe, eher ein Graben. Ein ungepflegter Graben vor dem Haus. Aber diesen Graben, der mir gar nicht zugesagt hatte und über den ich mir noch dachte: „Wie kann man so einen Graben direkt vor der Veranda des Hauses als Garten anlegen?“, sollte mir schon in wenigen Minuten sehr willkommen sein.

Meine Chefin, die Botschafterin, saß auf der anderen Seite des Hauses in einem abgeschirmten Bereich des Gartens. Dieser Bereich konnte weder von hinten noch von der Seite eingesehen oder betreten werden, was mich sehr beruhigte. Meine jemenitische Nummer Eins, also mein Stellvertreter an diesem Abend, war bei ihr. Sie lachte und aß, zusammen mit den anderen Gästen dieses Abends, gut schmeckende, traditionelle Speisen des Landes. Nachdem ich anfangs sehr skeptisch war, hatte ich nun doch ein Gefühl der Ruhe und Zufriedenheit. Wie in Sanaa üblich, war der Strom wieder ausgefallen und das Notstromaggregat unseres Gastgebers arbeitete laut. Die meisten wohlhabenden Menschen hatten ein Notstromaggregat, denn Stromausfälle wie dieser gehörten zum Alltag. Die Fenster in den Häusern, die eng und teilweise recht hoch rund um uns aufragten, waren dunkel. In dieser Gegend konnte sich außer unserem Gastgeber kaum jemand ein Notstromaggregat leisten. Damit blieb es in den Häusern und Wohnungen dunkel. Der neben dem Haus befindliche, kleinere Platz, an dem das Dinner stattfand und die Diplomaten saßen, war ringsum gut geschützt von sehr hohen Mauern. Anders als dort, wo ich mir gerade die Beine vertrat. Hier waren die Mauern niedriger und man konnte von den Häusern ringsum gut auf den Platz sehen. Die Fenster waren dunkel, all das gefiel mir nicht.

Ein Stromausfall ist nie gut, da er es zulässt, dass sich weniger netten Menschen gut in den dunklen Gebäuden verstecken konnten.

Trotzdem war ich entspannt, denn alles schien gut zu laufen. Ich stand im kleinen freien Bereich des Innenhofes, warf einen Blick auf mein Handy und atmetet nach einem langen Tag mit herausforderndem Ende tief durch. „Doch alles ganz easy gelaufen“, dachte ich mir. Mein zweiter internationaler Kollege war mit zwei anderen Kollegen aus dem Team bereits zurück in unsere Unterkunft gefahren. Ich war nun das einzige internationale Mitglied unseres Teams. Die Verantwortung für die Botschafterin, unsere jemenitischen Personenschützer und unsere Polizisten lag nun ganz auf meinen Schultern. Das kam öfter vor, aber in dieser Gegend wäre mir ein wenig Unterstützung trotzdem willkommen gewesen. Als dreißig Minuten nach unserer Ankunft das Abendessen der Botschafterin seinen Lauf gefunden hatte und auch in der Umgebung alles ruhig war, befanden wir es für sinnvoll, dass mein Kollege zurück in die Unterkunft fährt, da er gesundheitlich angeschlagen war und die Ruhe gut gebrauchen konnte. Anfangs machte es mir ein wenig Kopfschmerzen, dass ich den einzigen zusätzlichen internationalen Teamleiter außer mir nicht hier hatte. Auch die beiden jemenitischen Teammitglieder, die ihn begleiten mussten, würde ich schmerzlich vermissen, wenn etwas passieren würde. Doch nach einer gemeinsamen Situationseinschätzung und der wirklich ruhigen Lage waren wir der Meinung, dass der Abend problemlos verlaufen würde. Ich blieb kurz stehen, blickte zu meinen beiden Jungs auf der Veranda, den beiden französischen Personenschützern im Auto, nach oben zu den dunklen Häusern auf der Rückseite des Compounds. Ich dachte im Geiste zurück an einen gelungenen Tag. Ich hatte dieses Land, trotz der permanenten Lebensgefahr, die es für mich bedeutete, irgendwie lieben gelernt. Und ich liebte meinen Job. Eine wirklich tolle Berufung, von der ich mein Leben lang geträumt hatte. Viele Jahre hatte ich mir es vorgestellt, visualisiert, wie ich als Leiter einer Personenschutzgruppe in einem Krisengebiet tätig bin. Blaulicht, schwere Bewaffnung, verantwortlich für viele Menschenleben. Und nun war ich seit einigen Monaten hier. Es war genau so, wie in meinen kühnsten Tagträumen. Ich hatte es geschafft, mein großes Ziel erreicht. Und es fühlte sich gut, erfüllend und spannend an. Ja, man lässt seine Lieben und sein ganzes Leben zuhause zurück. Beziehung, Familie und Freunde. Aber so ist es manchmal, wenn man seinen Träumen folgt. Ich lächelte nur für mich selbst, erfüllt vom Moment und der absoluten Zufriedenheit über mein Leben.

Gerade wollte ich mich umdrehen, um kurz zu den Sicherheitskräften in der Hütte am Eingangstor zu gehen. Besonders die lokalen Sicherheitskräfte freuten sich immer sehr, wenn man mit ihnen ins Gespräch kam. Die meisten von ihnen waren wirklich nette Menschen, ich mochte sie sehr. Doch gerade als ich mich umdrehen wollte, geschah es.

Der Knall war durch das laute Notstromaggregat und das Lachen der Wachleute kaum zu hören. Der Staub, der einen guten Meter vor mir aufwirbelte, zusammen mit dem eigenartig leisen Knall überschattet durch die anderen Lärmquellen ließ mein Unterbewusstsein trotz allem sehr schnell anspringen. Die eine oder zwei Sekunden, die ich dastand und meine Sinne versuchten zusammenzuführen, was da gerade geschehen war, kamen mir in diesem Moment, und auch im Nachhinein betrachtet, wie eine Ewigkeit vor. Ich stand da, blickte noch auf den Bereich, an dem der Staub eben noch in dichten Wolken umherwirbelte und versuchte den leisen Knall einzuordnen. Da durchfuhr mich die Erkenntnis wie ein Blitz – es war ein Schuss.

Noch gar nicht Herr meiner Sinne, übernahm das Unterbewusstsein die Kontrolle. Mehr als Co-Pilot meines Körpers hechtete ich vor die Motorhaube des französischen Panzerfahrzeuges, um den Schutz des stabilen Gefährts für mich zu nutzen und zog meine Waffe. Zeitgleich hörte ich wieder einen Knall. Auch diesmal wurde er von den Nebengeräuschen stark überdeckt. Noch mehr Staub flog in kleinen Wölkchen von der Stelle hoch, an der die Kugel in den Boden knallte. Genau an der Stelle, an der ich vor 2 Sekunden noch gestanden hatte. Die französischen Personenschützer sahen mit großen Augen durch die Windschutzscheibe ihres Wagens auf mich. Sie wirkten verwirrt und konnten noch nicht genau einordnen, was hier gerade passiert war.

Mit einer Handbewegung deutete ich ihnen, die Wagentüre zu schließen. Meine Waffe steckte ich wieder zurück in den Holster. Mir wurde klar, wie sinnlos es war, mich mit einer einfachen Handfeuerwaffe gegen diese unbekannte Gefahr zu verteidigen. Vielleicht gab sie mir ein Gefühl der Sicherheit, aber ausrichten konnte ich nicht viel. Der Schütze war mit Sicherheit gut dreißig Meter entfernt, am Dach des Hauses hinter uns oder in einem der Fenster, sodass ich ihn aus meiner Position nicht klar erkennen konnte. Die Hormone schossen durch meinen Körper und mein Gehirn lief auf Hochtouren. Die vorher noch gut gelaunten Wachleute am Wachhäuschen sahen verwirrt zu mir herüber. Ich rief ihnen zu, dass sie alle in das Wachhäuschen gehen sollten. Ängstlich und aufgeregt folgten sie meinem Rat und sahen vorsichtig zur offenen Tür und dem kleinen Fenster hinaus.

Ich blickte auf die andere Seite. Zwei meiner jemenitischen Teammitglieder standen da, die Waffen gezogen, den Rücken an die Hausmauer gepresst. Sie blickten zu mir und warteten auf meine Anweisungen. Anweisungen von mir! In dieser Situation! Angst durchströmte mich für eine Sekunde. Ich, der kleine Bauernbub aus einem 700 Einwohner Dorf in Österreich. Ich war jetzt gefordert, Entscheidungen zu treffen! Es lag an mir, diese Sache zu bereinigen. Eine ganz schöne Bürde, die ich da zu tragen hatte. Aber bevor mich die Angst überkam, wurde mir wieder bewusst, was meine Aufgabe war. Anstelle der Angst Raum zu geben, den Hormonen freien Raum zu lassen und mich so auf mein Stammhirn zu beschränken, konnte ich mir bewusst machen, was meine Aufgabe war und was ich in diesem Moment zu tun hatte. Und so übernahm ich Verantwortung in dieser Ausnahmesituation. Ich lebte Selbsttranszendenz. In dieser Situation gab es Menschen, die mich brauchten und eine Aufgabe, die ich zu erfüllen hatte. Es war eine Situation, in der das Leben an mich einen Sinnaufruf stellte. Und ich war gefordert, meinen Sinn in dieser Situation zu erfüllen.

Ich deutete einem meinem Kollegen, er solle sich auf den Weg zur Botschafterin machen.

Dann gab ich meinen ersten Funkspruch durch. Vor dem Tor waren noch drei Männer unseres jeminitischen Teams, die den Großteil unserer Waffen und weitere Ausrüstungsgegenstände in unserem gepanzerten Begleitfahrzeug hatten. Und natürlich drei Polizisten, die uns zugewiesen waren. Wir vertrauten ihnen und sie vertrauten uns. Vertrauen, Loyalität und Verlässlichkeit kann man im Jemen kaufen. Deshalb bekamen die Polizisten, die uns zugeteilt waren, immer ein paar zusätzliche Dollar zu ihrem Gehalt. Wir kauften uns so nicht nur ihr Vertrauen, sondern auch unsere Sicherheit – unser Leben. Ich funkte an meine Leute, dass es Schüsse gegeben hatte. Meine Anweisung war, dass sie die Schutzausrüstung anlegen, die AK47 bereit machen und im Panzerwagen warten sollten.

Den Polizisten teilte ich mit, dass sie die Straße entlang zur Hinterseite des Hauses fahren und die direkt angrenzenden Häuser überprüfen sollten. Ich wusste, dass dies der im Moment undankbarste Job war. Sie würden die ersten sein, die mit möglichen Angreifern zu tun hätten. Und wären auch noch unvorbereitet. Ich hatte fast ein schlechtes Gewissen sie dort hinzuschicken. Doch ich hoffte inständig, dass sie ihren Job gut machen würden.

Die ersten Entscheidungen waren getroffen. Ich sah die französischen Männer noch immer im Auto sitzen, sich verwirrt umblicken und den Beifahrer zaghaft am Funkgerät sprechen.

„Die Männer haben gerade keine Ahnung, was sie tun sollen“, ging mir durch den Kopf.

„Ich bin wohl auf mich allein gestellt“, lautete mein Conclusio daraus. Mein Blick fiel zum Haus. Vom Ende der Motorhaube bis zum Haus waren es knapp zehn Meter. Zehn verdammt lange Meter, die ich ohne Deckung überwinden musste. Und der beste und schnellste Läufer war ich ohnehin nie. Das bereute ich in dem Moment ein wenig. „Mache das Unangenehmste immer zuerst“, so ein Ratschlag, den ich einmal irgendwo gelesen hatte. Also fasste ich mir ein Herz, atmete durch und rannte los. Mir ging der Gedanke durch den Kopf, ob es wohl sehr schmerzhaft sein würde, wenn mich eine Kugel treffen würde. Und wo würde sie mich treffen? Auf der halben Strecke zum Haus nahm ich im Augenwinkel wahr, dass etwas vom Haus hinter mir geworfen wurde und in unsere Richtung flog. Bis ich das wirklich realisiert hatte, war ich schon unter dem Vordach der Veranda und zog meinen Kollegen nach unten, sodass wir beide flach am Boden lagen. Warum, wusste ich in dem Moment selbst nicht genau. Heute, aufgrund meiner psychologischen Ausbildungen kann ich es mir besser erklären. Einfach gesagt, war es in diesem Moment lediglich Intuition, ein Gefühl. Und dieses Gefühl war richtig.

Er sah mich verwirrt und erschrocken an, als wir zusammen am Boden lagen. Dann folgte auch schon der Knall. Hatte ich mir vor einigen Minuten noch gedacht, wie hässlich doch dieser ungepflegte Graben war, der als Garten hätte dienen können, so froh war ich jetzt darüber, dass es ihn gab. Der Gegenstand, den ich während meines Sprints noch im Augenwinkel wahrgenommen hatte, flog von hinten in den Graben vor dem Haus, in dem die Botschafterin gerade ihr Dinner hielt. Er explodierte. Es war keine allzu große Explosion, aber auch kein Tischfeuerwerk vom letzten Kindergeburtstag. Keine Granate, so viel war mir klar, aber keinesfalls ein Kinderspielzeug.

Was sich nun abspielte, kann man sich so gar nicht vorstellen. Spätestens jetzt war jedem klar, dass ich kein Verrückter war, sondern dass es hier jemand ernst meinte. Die Sicherheitskräfte am Tor schrien in ihrer Hütte auf Arabisch Dinge, die ich nicht einmal ansatzweise verstand. Die Franzosen hatten endgültig die Türen ihres Autos fest verschlossen und setzten panisch Funksprüche ab, da sie niemanden auf der Rückseite des Gebäudes, bei ihrer Schutzperson, hatten. Ich hörte die Sirene der Polizei auf der Rückseite des Hauses und dachte mir: “Hoffentlich machen die Jungs ihren Job!“

Mein Kollege sah mich erschrocken an. Ich lächelte kurz, klopfte ihm auf die Schulter und wir standen auf. Mein Gehirn arbeitete so schnell, so ruhig, so unfassbar präzise - ich konnte es selbst nicht glauben. Einer meiner größten Werte, das Schützen und Unterstützen, als auch die Sinnhaftigkeit, die ich in meiner Aufgabe erkannte, halfen mir, klar und konzentriert all das zu tun, was getan werden musste. Wieder auf den Beinen sah ich mich im Chaos um und wog die möglichen Optionen in Sekundenschnelle ab. Das Gebäude und den Innenhof zu evakuieren, kam aus mehreren Gründen nicht in Frage. Zwei Autos versperrten das schmale Tor, welches unser einziger Ausweg war. Zuerst das Tor freizumachen und danach zu evakuieren hätte viel zu lange gedauert und uns nur noch angreifbarer gemacht. Und was wäre danach gekommen? Wir wären mitten in der Altstadt von Sanaa gewesen. Schmale Gassen, keine Ausweichmöglichkeiten, ohne Chancen zu entkommen. Gepanzerte Fahrzeuge sind ein guter Schutz. Aber in so schmalen Gassen würden die Angreifer mit einem ihrer Fahrzeuge den Fluchtweg versperren und die Häuser neben uns als Schützenstände verwenden. Denn nicht nur wir, sondern auch unsere Angreifer wissen, dass auch gepanzerte Fahrzeuge irgendwann einem Sieb gleichen.

Und dann war da noch ein Problem: meine Chefin, die Botschafterin. Sie würde sich niemals einfach so evakuieren lassen. Ich müsste sie schon ins Fahrzeug zerren. Zu mutig, zu stolz, zu selbstsicher war sie, um sich wegen zwei Schüssen und einer kleinen Explosion geschlagen zu geben.

Also: was tun? Ich überlegte, welche Möglichkeiten sich mir boten. Allerdings fiel mir gerade nicht sehr viel ein. Daher streckte ich meinen Kopf ein wenig bei der Hausecke hervor, um nach hinten sehen zu können. Ich wollte mir etwas mehr Überblick über die Situation verschaffen als ich sah, wie der nächste Gegenstand auf uns zugeflogen kam. Ich konnte ihn in der Luft erkennen, scheinbar in Zeitlupe seine Flugbahn verfolgen, obwohl es recht dunkel war. Ähnlich wie zuvor landete der Sprengsatz auch diesmal in dem verrückt anmutenden Graben, der wohl doch seine Berechtigung hatte. Ich ging leicht in die Knie, drückte meinen Kollegen mit nach unten und musste in dem Moment sogar grinsen. Mir kam in dem Moment der Gedanke: „Als hätten sie den Garten extra so ekelhaft und tief gemacht, damit die ganzen Sprengsätze dort reinfliegen können“. Mein jemenitischer Kollege sah mich verwirrt an, als wir so kniend nebeneinandersaßen und ich lachen musste, als die nächste Explosion zu hören war. Ich sah ihn an, zuckte mit den Schultern und stand wieder auf. Der Stoppel des Funkgerätes in meinem Ohr sendete mir ununterbrochen Funksprüche, die mir in der Hektik gar nicht mehr aufgefallen waren. Plötzlich wurde ich mir der Funksprüche bewusst. Ich bekam mit, dass nun auch die französischen Kollegen ihre Polizisten auf die Hinterseite des Gebäudes geschickt hatten. Sie hatten mehr Personal und mehr Feuerkraft als unsere Polizisten. Das beruhigte mich ungemein. Ich unterbrach meine Jungs am Funk und gab die Anweisung, dass sie zu zweit oder zu dritt von draußen hereinkommen sollten. In voller Schutzausrüstung und mit ihren Schnellfeuerwaffen. Nur der Fahrer sollte beim Auto bleiben. Danach wies ich meinen Kollegen an, hier auf der Veranda zu bleiben und die Situation aus dieser Stellung zu beobachten. Jetzt stand mir das Schwerste bevor - das Gespräch mit meiner Chefin.

Ich ging bis ans Ende der Veranda, bog nach rechts ab und stieß auf zwei Männer, die etwas beunruhigt für den Schutz der Botschafterin sorgten. Die Diplomatinnen und Diplomaten saßen noch am Tisch im Freien und genossen ihr Abendessen. Ich merkte, dass die Stimmung zwar etwas gedämpfter als zu Beginn des Abends war, doch dass alle bemüht waren, sich ruhig und gelassen zu geben. Ich musste das natürlich auch tun. Gerade ich musste das tun. Ich ging zum Tisch und klopfte dabei meinen beiden Kollegen auf die Schulter. „Gut gemacht!“, sagte ich ihnen dabei. Dann verbeugte ich mich vor den Personen am Tisch und schenkte ihnen ein breites Lächeln, bevor ich mich zu meiner Chefin hinunter beugte. „Das waren Explosionen, haben sie uns gegolten?“, fragte sie mich. Sie spielte wie immer die vollkommen Ruhige, Gelassene, Beherrschte. „Ja Chefin. Zwei Schüsse, zwei Explosionen. Wir versuchen gerade herauszufinden, wo die Personen sind. Ich hole Verstärkung von unserem Team und gehe dann mit den Kollegen aufs Dach.“ „Sehr gut. Ich hatte schon Angst, sie würden mich hier vom Tisch wegzerren und evakuieren“, sagte sie lächelnd, während sie kurz zu den anderen am Tisch sah.

In der Zwischenzeit war auch ein französischer Kollege nach hinten gekommen und sprach mit seiner Schutzperson, also dem französischen Botschafter. Die beiden Diplomaten grinsten sich über den Tisch an, jeder wollte zeigen, dass er der Nervenstärkere war.

„Chefin, es ist schon spät, ich bin zu müde Sie hier vor allen Leuten wegzuzerren. Außerdem würde das so aussehen, als würde ich Sie entführen wollen. Das würde kein gutes Licht auf mich werfen und doch zu Spekulationen in der internationalen Gemeinschaft führen“, flüsterte ich ihr lächelnd ins Ohr. Sie musste ein wenig lachen. Wir verstanden uns mittlerweile sehr gut. Der Teil des Gartens war sehr sicher, dennoch musste ich meine Schutzperson ins Haus bringen. Ich wusste aber auch, dass das nicht einfach werden würde. Ich konnte allen am Tisch vorschlagen, ins Haus zu gehen. Ich konnte es notfalls sogar im Streit erzwingen, denn wenn es um Sicherheit ging, hatte ich das letzte Wort. Aber beide Varianten würden Zeit brauchen, die ich nicht hatte. Und es würde zu Streitigkeiten kommen, die ich im Moment noch weniger brauchen konnte. Noch stehe ich vor der Herausforderung, an diesem Abend in der Mitte der von Aufständischen beherrschten Altstadt von Sanaa meine Chefin dazu zu bewegen, in das sichere Haus zu gehen. Und das auf eine Art, die es ihr ermöglicht, ihr Gesicht vor den anderen anwesenden Diplomaten zu bewahren.

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