Kitabı oku: «Die flüsternde Mauer», sayfa 4

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Seyd gegrüsset

Als ich wieder aufwachte, sah ich gleich zu ihm herüber. Er schlief noch immer. Ich sah auf den Wecker. Der Markt hatte bereits geöffnet. Sollte ich ihn wecken? Nein, ich entschloss mich ihm einen Zettel hinzulegen, auf dem ich erklärte, wo ich war. Den Zettel legte ich auf die Kleidung. Würde er sie sehen und wissen, dass die Sachen für ihn waren? Ich hoffte es. Nach einem letzten Blick auf seine schlafende Gestalt verließ ich das Zelt und ging zu unserem Stand. Luisa würde sich sicher freuen, abgelöst zu werden und ich könnte ihr meine Geschichte ausführlicher erzählen.

Ein schriller Ton weckte ihn schlagartig. Er schnellte nach oben. Einen Augenblick dauerte es, bis er sich gesammelt hatte und ihm alles wieder einfiel. Er sah sich im Zelt um. Ganz hinten in seinem Kopf hatte er doch mitbekommen, wie Alanis ihn hergeführt hatte. Auf einem Schemel lag ein Stapel Männerkleidung und auf dem Tisch stand Essen und Trinken. Auf der Kleidung entdeckte er ein schneeweißes Pergament. Er nahm es auf, doch alles, was darauf stand, war ihm unbekannt. Er legte es auf den Tisch. Mit einem Mal überkam ihn ein starker Drang nach dem Wasser und Essen vom Tisch. Ohne in Frage zu stellen, ob es für ihn bestimmt war oder vergiftet sein könnte, machte er sich darüber her. Er begann mit dem Wasser. Jeder Schluck lief durch seine Kehle und schmeckte köstlich, wie der beste Wein, den er jemals getrunken hatte. Dort lagen auch Brot, seltsame Früchte und Gemüse. Bedächtig aß er ein Stück von diesem und eines von dem anderen, bis er glaubte platzen zu müssen, dabei hatte er noch nicht viel zu sich genommen. Doch durch die erzwungene Fastenzeit musste er vorsichtig mit seinem Magen umgehen. Würde er seiner Gier, seinem Hungergefühl nachgeben, er würde hinterher die größten Schmerzen bekommen, also beherrschte er sich.

Schließlich widmete er sich erneut der Kleidung. Sie hatte ihm ein Untergewand aus feinem Leinen, eine seltsame Leinenhose und ein edles Obergewand, das von einem teuren Zierband umsäumt war, hingelegt. Die Kleidung war nicht, wie er sie gewohnt war, doch auch nicht völlig fremd. Er zog mit steifen Fingern sein eigenes Gewand aus und kleidete sich neu ein. Mit den Händen strich er den Leinenstoff aus. Seine Kleidung lag halb in Fetzen zerrissen auf dem Boden. Er nahm seinen eigenen Gürtel und seinen Dolch, gürtete sich und strich sich durch den zotteligen Bart. Er musste aussehen wie ein Wilder! Dass sie ihn so fraglos mitgenommen hatte und sich seiner annahm, musste er ihr hoch anrechnen. Absichtlich schob er die aufkommenden Ängste und Gedanken an die seltsame Welt dort draußen zur Seite. Er hatte keinerlei Ahnung, was geschehen war. Nachdem die Dame von Feuerberg ihn eingemauert hatte, war er, als die Angst besiegt und der erste Schreck verflogen waren, in einen seltsamen Schlaf gefallen. Dieser Schlaf hatte ihn die Umwelt wahrnehmen lassen, ohne jedoch in irgendeiner Form Verbindung mit einem Menschen aufnehmen zu können, der ihm hätte helfen können. Er war gefangen in seinem Körper und in einem engen Mauerzwischenraum hinter dicken Steinen. Bis zu dem Tag, als er das tiefe Mitgefühl spürte, als ein Mensch vor der Wand gestanden und an ihn gedacht hatte. Mittlerweile vermutete er, dass es sich bei diesem Menschen um Alanis gehandelt haben musste. Er wusste noch, ganz versteckt in den Tiefen seines Gedächtnisses, dass er um Hilfe gerufen hatte. Er hatte seine um Hilfe suchenden Gedanken in die Welt hinausgeschickt, durch die dicken Steine der Mauer hindurch. War sie deshalb durch die Falltür gefallen? Er war aller klaren Sinne beraubt worden. Wie lange war er dort in der Gruft eingesperrt gewesen? Er hatte keine Ahnung, ob es sich um Wochen, Monate oder gar Jahre gehandelt hatte. Doch Alanis Einwand, er wäre dann längst gestorben, war nicht von der Hand zu weisen. Er zog seinen Dolch aus der Scheide. Die Klinge hatte arg unter dem Mörtel gelitten, doch vielleicht schaffte er es seinen Bart zu stutzen? Mühselig versuchte er die Barthaare zuerst zu kürzen und dann den Rest zu stutzen. Doch die Klinge war zu stumpf, der Bart zu verfilzt und er viel zu dünn und knochig. Er war versucht den Dolch in die Ecke zu schmeißen. Er straffte die Schultern, schob den Dolch zurück in die Scheide und machte sich auf den Weg zum Zelteingang. Würde er Alanis finden?

Erneut mussten sich seine Augen an die Helligkeit gewöhnen, ehe er einen Blick rundherum wagte. Ein Lager aus Zelten und allerlei Leuten bot sich ihm dar. Unter einigen Zeltvordächern saßen Frauen, Männer und Kinder und aßen. Andere liefen schwatzend und scheinbar ziellos über den Platz. Wo war sie? Er suchte mit den Augen die Menschengruppen ab, doch er konnte sie nicht entdecken. Sollte er wirklich die vermeintliche Sicherheit des Zeltes verlassen und nach ihr suchen? Würde er im Notfall dieses Zelt wiederfinden? Womöglich hatte sie ihn ja auch in der Absicht zurückgelassen, niemals zu ihm zurückzukehren? Der Gedanke ängstigte ihn. Besser, er versuchte sich den Weg zu merken und sie zu finden.

Er folgte dem breiten Weg, auf dem die meisten Menschen zielstrebig in eine Richtung gingen. Unter seinen verzottelten Haaren versteckte er seine beobachtenden Blicke. Wahrscheinlich träumte er die ganze Zeit nur wieder einen seiner grausamen Träume, die ihm die Zauberin von Feuerberg geschickt hatte. Ein Albtraum, aus dem es kein Entrinnen gab. Er lief hinter den anderen Menschen her, bis er zur Schranke kam. Der Torwächter winkte ihn durch, er brauchte sonderbarerweise keinen Wegezoll zu verrichten, so wie all die anderen Menschen, die durch die Absperrung wollten. Als er den Wächter fragend anblickte, sagte dieser:

„Seid gegrüßt. Gewandete kommen umsonst herein, das wisst ihr doch?“

Er wusste es nicht, aber er war froh von Alanis Kleidung geliehen bekommen zu haben, denn hätte er nackt hier gestanden, wäre er womöglich nicht hereingekommen. Seltsame Sitten gab es hier. Die Gasse, die von der Schranke zur Burg heraufführte, war gesäumt von Zeltständen in denen allerlei Waren feilgeboten wurden. Solch eine große Ansammlung von fahrenden Händlern hatte er noch niemals gesehen und solch bunte und eigenartige Waren ebenfalls nicht. Und noch etwas war höchst merkwürdig; die Händler trugen Kleidung, wie er sie kannte, mehr oder weniger, doch die Käufer trugen völlig andere Kleidung. Die meisten Frauen trugen Beinkleider und teilweise so eng, dass er ihre Körper nicht nur erahnen musste, sondern auf das Deutlichste erkennen konnte. Sie zeigten mehr als sie verhüllten. Sie trugen ihre Haare oft kurz, höchstens bis zur Schulter, die Männer meist kurz geschoren. Zwischen all den eigenartigen Leuten liefen auch immer mal wieder Menschen in vertrauter Kleidung. Er konnte spüren, wie sich sein Körper gegen all das wehrte und schwächelte. Was machte er sich Sorgen, es war ja doch nur ein Traum!

Vor der Schmiede machte er Halt. Er beobachtete, wie der Schmied ein glühendes Stück Metall verarbeitete. Der aufsteigende Geruch des heißen Eisens und des Rauches stiegen ihm in die Nase. Ihm wurde übel. Wo war denn bloß seine Rettung? Wo war Alanis? Bevor ihm schwarz vor Augen wurde, legte er seine Hand in den Nacken und schloss die Lider. Er ging einige Schritte von der Schmiede weg und atmete tief durch. Schnell wurde es besser. Die Eindrücke überwältigten ihn. Er guckte über den Platz. Zelt an Zelt und Mensch an Mensch waren zu sehen. Er befand sich im äußeren Burghof. Besser weitergehen und sie suchen, nicht nachdenken. Er ließ seine Beine einfach laufen, ohne ein Ziel vorzugeben.

Schließlich entdeckte er sie. Sie nahm gerade ein blaues Kleid vom Haken eines Zeltes, in dem sie stand. Sie gab es einer anderen Dame, die damit nach hinten ins Zelt ging. Alanis blickte unerwartet in seine Richtung und entdeckte ihn. Lächelnd hob sie den Arm und winkte ihn heran. Nur zu gern nahm er ihr Angebot an. So hatte sie ihn doch nicht zurückgelassen. Warum stand sie hier unter den Händlern und verkaufte Waren? Sie sah doch eher aus wie eine Edeldame. Er näherte sich dem Vordach, versuchte sich durch die Menschenmassen zu drängen. So viele Menschen hatte er bisher nur auf den allergrößten Turnierplätzen erlebt. Gab es hier auch ein Turnier? Er drängte sich weiter, spürte, wie ihn die Kraft verließ und er nun doch drohte ohnmächtig zu werden. Welch eine Schande! Er schaffte die letzten Schritte und konnte in ihren Augen erkennen, dass sie sich Sorgen um ihn machte und ihm ansah, wie er sich fühlte.

„Du bist ganz blass, komm setz dich hier hin.“ Sie schob ihn unter das Vordach und drückte ihn auf einen Schemel. Dann reichte sie ihm einen Becher mit Wasser, vom Warentisch. „Trink was.“ Sie wandte sich zu einer Frau um, die etwas fragte, sah aber noch einmal kurz zu ihm: „Entschuldige, ich komme gleich wieder.“

Sie widmete sich der Frau. Er versuchte wieder Herr seiner Sinne und seines Körpers zu werden. In was für einer seltsamen Welt war er gelandet? Entsprang das alles nur seiner Einbildung? Wenn er wirklich und leibhaftig hier herumlief, weshalb traf er dann keinen einzigen Menschen aus seiner Verwandtschaft? Keine Bediener, Knechte oder Mägde? Wie viel Zeit hatte er in seinem Verlies verbracht? Hatte ihn die Zauberin von Feuerberg auf Lebzeiten nicht nur eingemauert, sondern auch seiner klaren Sinne beraubt? Welcher Fluch lastete auf ihm? Er sah seine knochige Hand an, die noch immer den Becher hielt. Wie lange brauchte ein Mensch, bis er so heruntergekommen war wie er jetzt? Er konnte sich nicht erinnern und das machte ihm Angst. Am Anfang hatte er noch versucht die Zeit zu messen, doch irgendwann hatte er die Geräusche nicht mehr wahrgenommen und jegliches Gefühl verloren. Er war vollkommen auf die Hilfe dieser freundlichen Frau angewiesen, das musste er sich eingestehen. In seinem Zustand könnte er nicht einmal einen Kampf ausfechten. Er musste aufhören sich den Kopf zu zermartern, das führte zu keinem Ergebnis, außer, dass in ihm noch mehr Angst aufstieg.

Um sich abzulenken, beobachtete er Alanis. Sie redete mit ihren Käuferinnen und Käufern und manch ein Gewand schien den Besitzer zu wechseln. Hatte sie diese ganzen Gewänder genäht? Sie sah nicht aus wie eine Handwerkerin, sondern vielmehr wie eine Dame vom hohen Stand. Ab und zu sah sie zu ihm herüber und lächelte ihn an, sehr herzlich, fand er. Er lehnte sich an den Stützpfeiler, der hinter ihm stand und ruhte sich aus. Er kam sich vor wie sein eigener Urgroßvater. Nein, wahrscheinlich fühlte selbst der sich nicht so schlecht wie er!

Endlich wurde es ruhiger. Die Leute gingen nach Hause und aßen zu Mittag oder hielten Ruhe. Das würde sich gegen Nachmittag zwar wieder ändern, doch ein bisschen Zeit blieb. Ich beschloss, ihn zu fragen, wie er hieß. Noch immer kannte ich seinen Namen nicht. Hatte er womöglich wirklich keinen? Ich trat zu ihm und lächelte.

„Geht´s besser?“

Er nickte, obwohl er in Wahrheit am liebsten wieder auf das Lager im Zelt gefallen wäre.

„Wie ist eigentlich dein Name?“, fragte ich ohne lange Vorrede.

Er stutzte. Wie hatte er so unhöflich sein können? Unglaublich! Er erhob sich, verneigte sich leicht und wollte ihr antworten. Kein Wort kam über seine Lippen. Er wusste seinen Namen nicht mehr! Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schwerthieb. Er guckte entsetzt auf den Boden, versuchte sich zu erinnern. Er sah sie wieder an. Er konnte ihr seinen Namen beim besten Willen nicht nennen. Und plötzlich merkte er, dass er auch die Namen seiner Verwandten vergessen hatte. Einzig ein Name kreiste in seinem Kopf. Sarwiga, die Zauberin von Feuerberg. Er spürte, wie er das Gleichgewicht verlor und das Blut aus seinem Gesicht wich.

Sie drückte ihn zurück auf den Schemel.

Er musste ihr etwas sagen. Nur was? Konnte er ihr die Wahrheit sagen, ohne dass sie ihn daraufhin vor die Tür warf? Sie wartete auf seine Worte.

„Ich könnt es euch nicht sagen!“, brachte er schließlich leise hervor.

„Wieso, ist es ein Geheimnis?“

„Neyn, das sey es nicht!“, beeilte er sich zu versichern. „Ich hätt ihn vergessen!“

„Was?“ Sie sah ihn ungläubig an. „Das ist doch nicht möglich.“

„Ich schwöre es bey allem was mir heylig sey, ich weyß nicht eynmal mehr die Namen meyner Eltern oder Geschwister.“

Also doch der Ritter ohne Namen, schoss es mir durch den Kopf. Er wirkte verstört. Ich glaubte ihm. Das, was er erlebt hatte, war ja auch schrecklich und sicherlich schockierend, so dass er in eine rettende Vergesslichkeit geraten war.

„Wir werden deinen Namen schon wiederfinden“, sagte ich, um ihn zu trösten. Er saß zusammengesunken wie ein Häufchen Elend auf dem Schemel. In der neuen Kleidung sah er zwar nicht mehr ganz so lumpig aus, doch seine Haare und er konnten dringend ein Bad gebrauchen. Ich wollte ihm ja nicht zu nahe treten, aber …?

„Hast du Lust auf ein Bad?“

Er sah zu mir auf, schien über mein Angebot nachdenken zu müssen, schließlich nickte er, wenn auch halbherzig.

„Das Badehaus und der Bader sind schräg gegenüber, ich bringe dich hin, gerade sind kaum Leute da, das passt schon.“

Er erhob sich und folgte mir. Wieder schien er so abwesend. Möglicherweise ertrank er noch im Wasser? Ich musste dem Bader sagen, dass er ein Auge auf ihn hatte. Das Wasser war gerade frisch aufgefüllt worden und es hatten höchstens zwei oder drei Leute darin gebadet, gute und angenehme Voraussetzungen, fand ich.

„Hey, Frank, hast du einen Badeplatz für meinen Bekannten frei?“

Frank grinste, während er sich den Ritter ohne Namen von oben bis unten ansah.

„Der hat´s nötig.“ Er lachte auf. „Danach muss ich allerdings wohl wieder das Wasser wechseln!“

„Könnet ihr mir auch gar den Bart stutzen? Und vielleycht die Haare eyn wenig reynigen und bürsten?“, fragte der Ritter ohne Namen.

Frank nickte. „Den Bart schon, da hab´ ich ja Mal richtig was zu tun, die Haare dagegen, das ist nicht mein Aufgabenbereich.“

Der Ritter ohne Namen zeigte seine Hände, die langen und teils abgebrochenen Nägel. „Was sey mit denen, könnet ihr daran etwas ändern?“

Frank verzog angeekelt die Lippen. „Mann, wie lange hast du die denn nicht mehr geschnitten?“ Er nickte zum Zeichen, dass er sie einkürzen würde.

„Ich dank euch sehr.“

Ich sah zu meinem Stand, zwei Leute sahen sich die Kleider an. „Ich muss rüber.“ Ich ging schon los, drehte mich noch einmal zu ihm um. „Das mit den Haaren machen wir später, ich helfe dir.“

„Habet Dank, Frouwelin!“

Er sah ihr nach. Wenigstens konnte er sie von hier aus sehen und das gab ihm Trost. Er gab sich vertrauensvoll den Händen dieses Mannes hin, obwohl er früher seinen Bart immer selber gestutzt hatte. Schließlich nahm er ein Bad und wusch sich die Haare.

Ein völlig neues Lebensgefühl, als seine Nägel geschnitten waren, und der Bader hatte nicht mal seine Füße ausgelassen. Er genoss das warme Wasser, das seinen ausgelaugten Körper umspülte und ließ sich in die Entspannung fallen. Das hatte er lange nicht mehr gehabt. Der Bader hatte die vorhandenen Vorhänge zugezogen, sodass er ganz für sich allein war und niemand ihm unerwünschte Blicke zuwerfen konnte.

Warum konnte er sich nicht an seinen Namen erinnern? Das war zum Verrücktwerden. Er wusste wohl, dass er auf dieser Burg gelebt hatte und auch mit welchen Menschen, doch alle Namen waren wie fortgeblasen. Er konnte sich lediglich an ihre Gesichter erinnern. Aber nur an einen Namen: Die Dame von Feuerberg! Eine weitere Tücke der Zauberin? Er schob mit seinen knochigen Händen das Wasser zur Seite und erzeugte dadurch kleine Wellen und Kreise, die er beobachtete. Bei all dem, was er erlebte, fiel es ihm sehr schwer sich zu entspannen, jedenfalls bis in die Tiefe. Durch einen Spalt zweier Vorhangteile beobachtete er weiterhin Alanis, die mehr als einmal herüber sah. Sie war eine wirklich außergewöhnlich schöne Frau. Und sie war so ganz anders, als alle anderen, die er kannte. Er schloss die Augen, lehnte sich an die Wandung des Zubers und versuchte, sich auf seinen Atem zu besinnen. Und ganz unerwartet war er da, sein Name: Askwin! Er war der Ritter Askwin von Steinberg.

Ein Scherz?

Ich hing gerade ein Kleid zurück an seinen Platz, als er zurückkam. Ich erkannte ihn kaum wieder. Obwohl sein Gesicht so knochig und schmal wirkte und die Wangen eingefallen waren, sah er in meinen Augen außergewöhnlich gut aus. Und diese Augen! Diese Farbe und der durchdringende Blick. Gleichsam lag in ihnen tiefe Einsamkeit und Traurigkeit vergraben. Ich lächelte ihm entgegen.

„Du siehst gut aus.“

„So?“

„Wirklich.“ Ich hatte das Gefühl, er glaubte mir nicht, was vielleicht auch besser war. Es lag eine eigenartige Verbindlichkeit zwischen uns. Ich kannte ihn nicht, wusste nichts von ihm, außer dass er in einer noch viel schrecklicheren Lage gewesen war als ich. Wer ihm das angetan hatte? Keine Ahnung! Allerdings schien er zu wissen, wer es gewesen war, doch er verspürte offenbar nicht den geringsten Drang, seinen Peiniger der Polizei zu melden. Hatte er Angst? Suchte ihn denn keiner? Wurde er von niemandem vermisst? Und nun erinnerte er sich noch nicht einmal an seinen Namen. Ich war vermutlich wieder viel zu vertrauensselig, wie immer!

„Der Markt wird sich gleich wieder füllen, willst du zurück ins Zelt?“

Er überlegte, ehe er nickte. „Ich glaubt, ich hätt genug von vielen Menschen am heutigen Tage.“ Er griff mit einem Mal nach meinem Arm. „Ich hätt meynen Namen wiedergefunden.“

„So?“, fragte ich erstaunt.

„Er sey Askwin von Steynberg!“

„Askwin!“ Mir gefiel der Name. Im Geiste wiederholte ich ihn ein paarmal, während ich ihn möglichst unbefangen fragte: „Soll ich dich schnell hin bringen?“

Er wollte ihr sagen, dass er den Weg alleine finden würde, doch er fühlte sich in ihrer Begleitung viel sicherer. „Habet Dank.“

Er hatte nur noch den Wunsch allein zu sein, mit sich und seinen Gedanken und so war er froh, dass sie wieder zurück zu ihrem Marktzelt ging. Er sah ihr nach, bis sie das Zelttuch am Eingang heruntergelassen hatte, setzte sich auf die Bettstatt und starrte vor sich auf den Boden. Er schloss die Lider, gab sich den Geräuschen hin, wie er es in der Zeit des Eingesperrtseins auch getan hatte. Er versuchte, sich erneut zu erinnern, doch alles, was vor seinem Erwachen durch Alanis geschehen war, schien von einem dicken Nebelschleier geschluckt worden zu sein. Es tauchten Bilderfetzen auf, sobald er den Gedanken daran jedoch halten wollte, verschwanden sie im Nebeldunst. Dabei schien es ihm doch erst gestern gewesen zu sein. War es möglich, dass er dort tatsächlich Jahre verbracht hatte, möglicherweise in einer Art Winterschlaf, wie ein Bär? Sie war eine mächtige Zauberin und eine schrecklich böse noch dazu. Hatte sie seine Familie umgebracht, schoss es ihm durch den Kopf? Er musste an Alanis denken. Sie hatte so ausdrucksstarke Augen. Niemand konnte sich ihrem Blick entziehen, bestimmt nicht. Er legte sich auf die Bettstatt zurück und kreuzte die Arme hinter dem Kopf, während er in den Zelthimmel blickte.

Ich trat leise ein, weil ich mir nicht sicher war, ob er wieder schlief. Er lag auf dem Bett, hatte die Augen geöffnet und sah mir entgegen. Als ich näher kam, erhob er sich und stand auf.

„Bleib doch liegen.“

„Ich wollt mich noch für eure Freundlichkeyt bedanken. Ihr habet mich gerettet und aufgenommen ohne weyter zu fragen, das ehrt euch besonders.“

„Schon in Ordnung.“

„Wer seyn die anderen?“

„Meine Mitbewohner. Luisa und Leonhard, und Mattes.“

„Dieser Mattes, sey er euer Anverlobter?“

Ich musste lachen. „Nein, wie kommst du darauf?“

„Er machte mir den Eyndruck, als er euch und mich so ansah.“

Ich schüttelte den Kopf heftig. Ich mochte Mattes, sehr sogar, aber ich war nicht verliebt in ihn und eine Beziehung mit ihm konnte ich mir gar nicht vorstellen. Während ich über seine Worte und Vermutungen nachdachte, suchte ich den Kamm und die Bürste aus meiner Tasche. Als ich sie gefunden hatte, hielt ich sie hoch und wedelte damit herum.

„Wollen wir uns an deine Haare machen?“

„Ich glaub gar, da helfet nur noch eyn Messer!“

„Ich kriege das hin, ich hab Erfahrung mit verknoteten Haaren.“ Schmunzelnd fielen mir die Pferde ein, denen ich bisher ihre Mähnen entfilzt hatte. Ich würde ihm nicht sagen, dass meine Erfahrung auf Pferdehaaren beruhte. Hauptsache war doch, ich entwirrte seine Mähne. Ich deutete auf den Hocker. Er setzte sich erwartungsvoll.

„Es wird eine ganze Weile in Anspruch nehmen.“

Er nickte ergeben und ich begann von unten die einzelnen Strähnen aufzulockern und zu kämmen und immer wieder zog ich tote Haare heraus. Wir sprachen kein Wort.

Er hatte kaum noch die Kraft zu sitzen, so lange dauerte es. Er fragte sich, ob sie zu schneiden nicht schneller und angenehmer gewesen wäre. Doch wie hätte er sich mit kurzen Haaren fühlen müssen? Wie ein Unfreier oder ein Geächteter. Es war so schon alles beschämend genug, er war dankbar, dass sie die Geduld aufbrachte, ihn wenigstens vor dieser Schande zu bewahren.

Es dämmerte schon, als ich die letzte Strähne entfilzt hatte. Seine Haare reichten ihm beinahe bis zu seiner Körpermitte.

„Soll ich sie ein wenig einkürzen und begradigen?“

„Ihr meynt sneyden?“ Er langte nach einer Strähne und holte sie über die Schulter nach vorn. Es war lange her, dass er seine gekämmten Haare in der Hand gehalten hatte. „Hm“, durch sein Nicken gab er ihr sein Einverständnis. „Sie sollten nicht gar viel länger seyn als bis unter meyn Schulterblatt.“

„So kurz?“ Ich mochte gar nicht so viel abschneiden.

Er nickte selbstsicher. „Doch es sey besser, erst eynmal.“

Ich holte die Schere hervor und begann seine Haare zu schneiden, bis sie gleichmäßig um seine Schultern fielen. Zufrieden strich ich mit der Hand darüber. Er hatte wunderschöne volle und gesunde Haare. Und die Farbe war so außergewöhnlich wie die seiner Augen. Ein ganz dunkles rotbraun, ähnlich einer Kastanie, dass sich allerdings aus vielen verschieden getönten Strähnen zusammensetzte. Gern hätte ich ihm einen Zopf geflochten, doch ich traute mich nicht zu fragen.

„Fertig!“ Ich zog den Handspiegel aus der Reisetasche und hielt ihn ihm vor das Gesicht.

Er erschrak. Was war das? Er hatte sich selbst noch niemals in solch einer Klarheit gesehen. Wie machte sie das? Er starrte in das eigene Gesicht, zog seine Haare nach vorn über die Schulter. Der Mann dort sah erbärmlich aus. Schlimmer als jeder Bettler, den er kannte. Sein Bart wirkte als hätten sich die Motten darin ausgebreitet. Seine Haare waren tatsächlich wieder glatt und sauber, ein Wunder, wenn er an die Verfilzung dachte.

„Und, zufrieden?“, fragte sie neugierig.

Er konnte den Blick nicht von seinem Bildnis lösen und wischte einmal mit der Hand darüber, es verschwand nicht und es bildeten sich auch keine Kreise wie im Wasser. Und es musste doch alles nur ein Traum sein! Einer der wirren Träume, die ihm Sarwiga die Zauberin von Feuerberg schickte, um ihn zu quälen. Wie aus heiterem Himmel machte es ihn wütend, all dies, ihre Nettigkeit und das ganze Drumherum. Er schlug ihr das Brett mit seinem Bildnis aus der Hand, dass es scheppernd zu Boden fiel und sprang auf. Sie musste doch wissen, wie er sich fühlte! Er packte sie grob an den Schultern, sah in ihr erschrecktes Gesicht.

„Ihr müsset es doch wissen, Weyb! Ihr müsset doch wissen, wie ich mich fühle. Warum quälet ihr mich so? Was hätt ich euch getan?“ Er ließ sie wieder los. Sie floh sofort einige Schritte zur Seite. Er wusste nicht mehr aus noch ein. Verzweifelt ließ er sich auf die Bettstatt fallen und bedeckte seine Augen mit dem Arm. Sie sollte nicht sehen, dass ihm die Tränen so ungewohnt locker saßen. Warum ließ sie ihn so leiden?

Ich war versucht nach draußen zu rennen und um Hilfe zu rufen. Doch ich blieb stehen, wo ich war. Er war nicht wirklich bösartig, er war durchgeknallt, verzweifelt. Warum hatte gerade der Spiegel solch eine Wirkung gehabt? In Wahrheit wollte er mir nichts tun. Zu ihm gehen mochte ich jetzt allerdings auch nicht. Er saß da, den Arm vor dem Gesicht, als weinte er. Ja, ich war sicher, er weinte. Leise sagte ich:

„Tut mir leid, ich wollte dir doch nur …“, ich wusste nicht weiter. Es war doch nichts dabei, in einen Spiegel zu sehen. Warum entschuldigte ich mich eigentlich. Ich half ihm, bot ihm alles, warum wusste ich selber nicht und er dankte mir das mit einem unbeherrschten Ausbruch. Das war nicht im Geringsten gerecht.

Er wischte sich mit dem Arm das Gesicht ab und erhob sich. Ich hätte lieber laufen sollen, als es noch ging, schoss es mir durch den Kopf. Er sah mich unerwartet wieder an.

„Ich geh zur Burg zurück. Dort erhielt ich vielleycht die Antworten, die ich suchte und nur dort sey ich meynen Verwandten nahe.“ Er trat einen Schritt vor und sah mich eindringlich, zornig an.

„Ich wüsst nicht, was ihr mit der Zauberin von Feuerberg zu tun hättet, ihr könnet ihr ausrichten, dass ich keyne Angst mehr vor ihren Träumen hätt!“ Mit ausholenden Schritten ging er aus dem Zelt und ließ mich zurück.

Ich konnte ihn doch nicht gehen lassen, oder doch? Ja, ich konnte und ich sollte. Er war irgendwie verrückt und ich sollte tatsächlich froh sein, noch zu leben. Die Kleider musste ich als Verlust verbuchen, geklaut, na und, dafür hatte ich noch mein Leben. Wer konnte sagen, ob das so bliebe, wenn ich ihm jetzt nacheilte? Ich ging zum Eingang und sah ihm nach, wie er mit großen Schritten hinauf zur Burg eilte. Er sah sich nicht einmal um, gut so!

Ich fühlte mich schlecht. Sollte ich ihn bei der Polizei melden, womöglich wurde er gesucht? Ich sah ihm so lange hinterher, bis ich ihn in dem Gedränge nicht mehr erkennen konnte. Ich wandte mich dem zerbrochenen Spiegel zu, der neben seinen abgeschnittenen Haaren lag. War es recht, ihn allein zu lassen? Ich setzte mich wie ausgelaugt auf das Bett und starrte durch den offenen Eingang in die Dämmerung, ohne wirklich zu sehen. Ich hatte das Gefühl ihn zu verraten. Was verband uns? Wir waren Fremde. Er brauchte doch offensichtlich Hilfe. Nicht von mir! Ich schüttelte den Kopf, um wieder klar zu werden und ging zügig nach draußen. Noch war der Markt nicht zu Ende, ich hatte anderes zu tun, als mich um einen durchgeknallten Mittelalterschwärmer zu kümmern. Sollten das andere übernehmen.

Als Askwin schließlich im zweiten Burghof vor dem Eingang zur Halle stand, war er am Ende seiner Kräfte. Er rüttelte an dem Tor, doch es war verschlossen. Auch der Nebeneingang war zugesperrt. Er lehnte sich in der hereinbrechenden Dunkelheit an die Mauer und schloss die Lider. Er versuchte sich all die Menschen ins Gedächtnis zurückzuholen, die er liebte. Er sah ihre Gesichter, doch noch immer fehlten die Namen dazu. Er fühlte sich wie ein Verräter, wie konnte er die Namen der Menschen vergessen, die er liebte, die zu seinem Leben gehörten wie die Luft zum Atmen? Würde es ihm helfen, morgen noch einmal in das geheime Verlies zu gehen? Niemals! Er würde niemals mehr freiwillig in diese Gruft zurückkehren! Ein Schauer lief ihm über den Rücken, wenn er nur daran dachte. Und was wollte er dann hier? Niemand war hier, um ihm zur Seite zu stehen und die Einzige, die ihm geholfen hatte, hatte er durch sein Verhalten gekränkt und verängstigt. Dabei war er ein eher ruhiger Mann. Während des Weges hierher hatte er genug Zeit gehabt, um über sein Verhalten und seine Worte nachzudenken. Sie hatte nichts mit der Zauberin von Feuerberg zu tun! Es war zu spät. Sollte er doch wieder in die Gruft gehen und dort sterben! Er öffnete seine Augen, zog den Zauberschlüsselstein aus seinem Beutel und sah auf ihn herunter. Konnte der ihm helfen? Konnte er damit die Macht Sarwigas brechen? Er schloss die Finger darum, bildete eine Faust und drückte ihn so fest, bis es schmerzte, ehe er ihn zurück in den Beutel schob.

„Und, hast du deine Antworten erhalten?“

Da stand sie, mit einer Fackel in der Hand, einen wärmenden Umhang um die Schultern, einen zweiten über dem Arm. Er hatte ihr Herannahen nicht bemerkt. Wie hatte er nur einen Augenblick an ihrer Ernsthaftigkeit zweifeln können? Er näherte sich bedächtig bis auf zwei Schritte, wollte sie nicht erneut verschrecken, da sie zu ihm gekommen war.

„Ich hab dir einen Umhang mitgebracht, dir ist bestimmt kalt!“ Ich streckte die Hand aus und ich reichte ihm den Umhang. Er strich über das Wollgewebe, ehe er ihn über seine Schultern legte.

„Warum, wertes Frouwelin, seyd ihr mir nicht böse?“

Ich zuckte die Schultern: „Keine Ahnung!“ Ich lächelte ihn an. „Wenn wir zum Abschlussfest auf den Markt wollen, sollten wir uns beeilen.“ Ich räusperte mich, weil ich unsicher war. „Wie könnte ich ernsthaft glauben, du wolltest mir etwas tun, du hättest doch längst die Gelegenheit dazu gehabt!“

„Ich euch Böses tun wollen? Gewiss nicht!“ Er band seinen Umhang zusammen. „Ihr seyd doch die Eynzige, die mir helfen wollet.“

„Und ohne dich würde ich noch immer in diesem Loch sitzen!“

„So wie ich gleychermaßen.“

Ich nickte und reichte ihm die Hand. „Komm.“

Er zögerte. „Wartet, da wär noch eyns. Welches Jahr schreybet ihr?“ Er wollte es wissen, selbst wenn es bedeutete, dass er erfuhr, schon seit Jahren dort gefangen gewesen zu sein.

„Das Jahr zweitausendundneun.“

Er blickte mich entgeistert an. „Ihr meynet nicht das Jahr zweitausendundneun nach der Geburt des Herren Jesus Christus?“

„Doch, natürlich.“ Ich fühlte, wie er an meiner Hand strauchelte und mit seinem Gleichgewicht kämpfte. Ich sah ihn fragend an.

„Wollet ihr noch wissen, seyt wann ich in der Gruft gesessen hätt?“

„Klar. Wenn es dir jetzt wieder einfällt.“

„Seyt dem Jahre Eyntausend, eynhundert und neun nach der Geburt des Herren Jesus.“

Ich stieß unwillkürlich ein grunzartiges Lachen aus. „Du willst mich auf den Arm nehmen?“

„Dazu wäre ich nicht in der Lage, bey meynem derzeytigen Zustand.“ Er wusste nicht, was das mit seiner Äußerung zu tun hatte, und weshalb hatte sie gelacht?

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