Kitabı oku: «Menschen im Krieg – Gone to Soldiers», sayfa 12

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Bernice 2
Bernice auf Kontrollflug

Jeden Montag, jeden Mittwoch und jeden Freitag schwang Bernice sich morgens um sieben Uhr dreißig auf ihr Schwinn-Fahrrad und machte sich bei Regen oder Sonnenschein oder jahreszeitlich verspäteten Schneeschauern auf den Weg zum Flugplatz und hoffte, das Wetter würde ihr gestatten, pünktlich zu starten. Sie hatte eine alte Lederjacke von Jeff dabei – das Flugzeug war natürlich ungeheizt –, ihr Mittagbrot und eine kleine Plastikflasche mit einem Trichter, in die sie urinierte und die sie in ihrem leeren Provianteimer versteckte, wenn sie landete. Sie hatte keine Ahnung, wie andere Piloten zurechtkamen, denn sie hatte sich diese Methode selbst ausgedacht.

Bernice hatte es nie als Glücksfall betrachtet, mitten in Massachusetts zu leben, doch jetzt tat sie es. Frauen war nicht gestattet, für die Zivile Luftkontrolle über die Küstenregion zu fliegen, denn das galt wegen der deutschen U-Boote als gefährlich. Die Zivile Luftkontrolle sah Frauen, die für sie flogen, ohnehin schief an. Als Bernice sich meldete, hatte man sie streng informiert, dass Frauen nur Hilfstätigkeiten offen standen, Büroarbeiten. Sie hatte schon fast aufgegeben, nach wochenlangen Schreib- und Registrierarbeiten, aber der Bedarf an Piloten war groß, und Bernice hatte mindestens so viel Erfahrung wie die meisten Männer, die für die Zivile Luftkontrolle flogen. Sie blieb hartnäckig, bis nun auch sie regelmäßig flog.

Irgendwann Ende April oder Mitte Mai war es dann so weit, dass sie endlich zweihundert Flugstunden in ihr Logbuch eintragen konnte. Sie strebte heftiger denn je die Verkehrspilotenlizenz an, aber dazu fehlten ihr nicht nur Flugstunden, sondern vor allem das Geld. Die Freiwilligen der Zivilen Luftkontrolle arbeiteten ohne Bezahlung, und obendrein hatte sie jetzt wesentlich weniger Zeit, um Fakultätsmanuskripte abzutippen. Wenn sie wenigstens eine Ausbilderlizenz erwerben konnte, dann wurde sie vielleicht ins Kriegsdienstschulungsprogramm aufgenommen, in dem den Studenten das Fliegen beigebracht wurde. Alle Studentinnen waren aus dem Programm gefeuert worden, aber Ausbilderinnen wurden immer noch beschäftigt.

Auch wenn das Fliegen für die Zivile Luftkontrolle ihr keinen Cent brachte, so hatte sie doch drei Tage in der Woche Seligkeit, und wenn der Professor an diesen Abenden wegen seines Essens knurrig war, so hatte sie die Entschuldigung der Rationierung. Außerdem konnte er nichts daran aussetzen, dass sie sich freiwillig in den Dienst der Kriegsanstrengungen stellte.

Was ihr schwerfiel, war, plangemäß zurückzukehren, nachdem sie ihre Route abgeflogen und Überlandleitungen auf Sabotage und bewaldete Gebiete auf Feuer überprüft hatte. Sie spürte einen Drang, wohl ebenso stark wie der Paarungstrieb bei Hirschen oder Hunden, weiterzufliegen, bis sie den fernen, unbekannten Ozean erreichte. Sie hatte einen umfassenden Blick auf die kleinen verrunzelten Hügel ihrer Heimat, den breiten Connecticut, die nach Norden ziehenden Falken und die Scharen kleinerer Vögel, das Ackerland unter seinen Frühjahrslachen, die sich über den Berkshires zusammenballenden Regenwolken, die Aufwinde um Mount Tom. An drei Tagen jeder Woche war sie selig und nützlich, eins mit dem Werkstoffkörper, der ihren eigenen verlängerte. Seit dem Tod ihrer Mutter hatte es wohl keine Zeit mehr gegeben, da sie an drei Tagen jeder Woche glücklich war.

Manchmal wurde sie an anderen Tagen gerufen, um als Kurier für Dokumente oder Chemikalien oder Blutplasma zu fungieren, um in einer Luftschutzübung einen feindlichen Bomber darzustellen, und zweimal, um nach einer abgestürzten Militärmaschine zu suchen. Ihr Leben hatte einen Sinn. Sie sagte die Sonntagsfilme mit Mrs. Augustine ab, denn sie musste die Hausarbeit nachholen und das Abtippen, das ihr die Verkehrspilotenlizenz erkaufen konnte, in ferner Zukunft, aber nicht mehr völlig undenkbar. Sie musste das gleiche Arbeitspensum, das bislang sieben Tage ausgefüllt hatte, in die verbliebenen vier hineinstopfen. Aber vor allem hatte sie drei Tage, das zu tun, wofür sie geboren war, drei Tage, an denen sie das kleine Flugzeug anlegte wie einen hauchzarten, erweiterten Körper, insektenartig um sie herum, schön wie eine Libelle, obwohl nur für sie mit Juwelen geschmückt, und schwang sich in die Lüfte.

Als sie an diesem Abend vom Flugplatz nach Haus radelte und nur hielt, um Flundern zu kaufen und das weiße Päckchen ordentlich im Lenkstangenkorb zu verstauen, wartete auf dem Tischchen im Flur ein Brief von Jeff. Er saß immer noch unten in Alabama fest und hasste jede Minute seines Lebens, die er dort vegetieren musste. Bernice hatte erwartet, Jeff würde in die Luftstreitkräfte der Armee aufgenommen werden, denn die Armee suchte angeblich verzweifelt Piloten und Jeff hatte seinen Pilotenschein, auch wenn er seit Jahren nicht geflogen war. Doch nein, die Armee hatte auf seine unentdeckten Talente als Ausbilder von Gewehrschützen gesetzt. Er war zu einem Offizierslehrgang geschickt und zum Leutnant ernannt worden und saß nun offenbar auf dem Schießstand fest. Er behauptete, inzwischen von Kopf bis Fuß mit Greisenbart bedeckt zu sein, dem in Schleiern von den Bäumen hängenden Spanisch Moos. Sie hatte eine Mischung aus Neid und bösen Vorahnungen empfunden, als sie Jeff in den Zug gesteckt hatte, aber wenigstens war er in Sicherheit, solange keiner seiner Schüler arg danebenschoss, und langweilte sich weit mehr als sie.

Sie brachte in diesen Tagen öfter Fisch auf den Tisch, nicht nur, weil rotes Fleisch rationiert, sondern auch, weil Fisch rasch zubereitet war. Sie konnte nach ihrem Patrouillenflug nicht vor sieben zu Hause sein. Unseligerweise war so der Professor an Flugtagen immer lange vor ihr daheim, und der neue häusliche Ablauf gefiel ihm ganz und gar nicht. Während sie hastig ihre Sachen in den Flurschrank warf und mit ihren Einkäufen durchs Wohnzimmer zur Küche eilte, fixierte er sie mit seinem besten, tadelnden ›Sie werden diesen Kurs verhauen, wenn Sie sich nicht zusammenreißen‹-Blick.

»Gibt es einen Grund, warum du heute Abend noch später kommst als sonst?«

»Vor dem Fischgeschäft war eine lange Schlange. Wegen der Fleischrationierung essen alle mehr Fisch.«

»Dass wir mehr Fisch essen, ist mir allerdings aufgefallen.«

Ihre Methode, mit der schlechten Laune ihres Vaters umzugehen – zumal er damit nicht offen herausrückte und ihr lauthals zu verstehen gab, was ihn erboste –, war, so zu tun, als bemerkte sie seine Verärgerung gar nicht. Nun warf sie ihm ein kurzes, freud- und bedeutungsloses Lächeln zu und eilte in die Küche.

»Du wirst dich doch nicht in diesem Mechanikeraufzug an den Abendbrottisch setzen?«

Als ob er je wahrnahm, was sie trug. Als ob irgendjemand je darauf achtete. »Essen ist bald fertig.«

Er gab ein Missfallensräuspern von sich, sagte aber nichts mehr, sondern stellte das Radio lauter. Jeden Abend las sie über den Krieg im Globe, hörte sich die Kommentare und Analysen an, studierte die Frontberichte mit dem Atlasband der dreizehnten Ausgabe der Encyclopedia Britannica offen auf dem Schoß. Die Alliierten waren schlichtweg überall deutlich am Verlieren. Auf einer Karte von den Philippinen verfolgte sie die Erosion der amerikanischen und philippinischen Stellungen. In Afrika wogten die Kämpfe hin und her, endeten aber gewöhnlich mit einem Rückzug der Alliierten.

Heute Abend waren die Nachrichten schrecklich, und sie merkte, dass sie sich in der großen Küche noch langsamer bewegte. General King hatte bei Bataan kapituliert. Es hörte sich an, als wäre ein kleiner Teil der Truppen nach Corregidor evakuiert worden, wo sich die Armee zu halten hoffte. Diese Festungsinsel war angeblich uneinnehmbar. Etwa 90 000 Filipinos und Amerikaner hatten sich den Japanern ergeben. In Russland tobten schwere Kämpfe tief im Landesinnern, wobei die Deutschen wieder auf dem Vormarsch waren.

Warum nahm sie die Niederlage so persönlich? Als ob es ihre eigene wäre. Sie durchlebte einen Augenblick glühenden und verzweifelten Zorns, während sie dastand und Kartoffeln, die sie im Morgengrauen gekocht hatte, in das Fett vom Sonntagshuhn schnitt, in dem schon Zwiebeln leicht bräunten. Ja, es roch köstlich, und doch war es ihr speiegal. Sie wollte keine Bratkartoffeln machen, während Millionen Menschen starben und die Welt in Flammen stand. Sie fühlte sich schuldig und hilflos zugleich, eingesperrt. Sogar ihre Fliegerei kam ihr absurd vor. Hier war sie und genoss die höchste Freude, die sie kannte, während auf den Philippinen ausgemergelte Soldaten in Gefangenenlager getrieben wurden und im deutschbesetzten Russland Partisanen gehängt wurden, weil sie gewagt hatten, Widerstand zu leisten.

In der Sowjetunion flogen Frauen Kampfeinsätze. Marina Reskowa, die Pilotin und Navigatorin, hatte drei Frauen-Luftwaffenregimenter aufgestellt, eines für Kampfflugzeuge und zwei für Bomber. In England wurden Flugzeuge regelmäßig von Frauen überführt. Hier wurden Frauen nicht einmal zu Inlandsflügen, zu Hilfsdiensten zugelassen. Sie sehnte sich danach, ihr Können, ihre Stärken einzusetzen. Sie würde keine Angst haben. Sie wusste, dass sie kämpfen konnte, wenn sie nur eine Chance dazu bekam.

Sie unterbrach ihre Gedanken und legte die Fischstücke, die sie zuerst in Mehl, dann in Eimilch und dann in Maismehl gewälzt hatte, in die Bratpfanne. Konnte sie töten? Sie glaubte schon, hatte aber das Gefühl, noch Beweise für diesen Glauben zu brauchen. Sie stellte Mausefallen auf. Sie hatte an einer Schweineschlachtung auf der Farm ihres Großvaters väterlicherseits teilgenommen. Ihr Großvater hatte dem Schwein rasch und ruhig die Kehle durchgeschnitten, war mit dem Messer auf das Schwein zugegangen und hatte einfach die Klinge über die Kehle geführt. Die Sau war etwas verwundert davongestakst, wobei das Blut heruntertroff, und dann in die Knie gesunken. Zwei Minuten später war das Schwein tot, und Jeff und sie hatten geholfen, kochendes Wasser über den Kadaver zu schütten und die Borsten abzukratzen. Der lange Einschnitt und das Herausziehen der Eingeweide aus dem Fett hatten sie eher fasziniert als entsetzt. Jeff war der Zimperlichere von ihnen, aber beide hatten sie das Schlachten und Zerlegen des Schweins als ein ihnen gewährtes Initiationsritual empfunden und nicht als eine Vorführung von Erwachsenenbrutalität.

Und Jeff, würde der je jemanden töten? Er war bei der Armee, aber der Kampf an der Front schien von ihm in Alabama mindestens so weit entfernt wie von ihr in Bentham Center. Im Gefecht selbst hatte man wohl wenig Zeit zum Philosophieren. Wahrscheinlich war man darauf trainiert zu reagieren, und man reagierte. Im Flugzeug hielt sie sich nicht mit Überlegungen auf, wie sie das Steuer drehen oder wie sie das Seitenruder treten sollte; sie las die paar Anzeigen und reagierte. Wenn sie sich im Luftkampf befand, dann sprach das Bordgeschütz bestimmt an, wenn sie es aktivierte, und das würde sie unter Bedrohung so selbstverständlich tun, wie sie die Quer- und Höhenruder bediente.

»Eine ganze Reihe von Jungen melden sich am Ende dieses Schuljahres zum Militär«, verkündete ihr Vater beim Abendbrot. »Ich weiß nicht, ob es noch einen Sinn hat, dieses College weiterhin zu betreiben. Aber sie richten hier vielleicht ein Regierungsprogramm ein, sagt die Verwaltung. Ich mag nicht so viel Paprika auf der Seezunge.«

»Entschuldige. Ich wollte mal etwas anderes ausprobieren.« Sie hatte über das Töten nachgedacht und gar nicht gemerkt, was ihre Hand tat. »Glaubst du, wir werden diesen Krieg verlieren?«

»Unsinn«, donnerte der Professor. »Was hast du dir denn da für isolationistischen Unflat angehört? Verzweiflung ist unproduktiv.«

Er redete nie mit ihr über Politik. Sie verstand nicht, warum, denn mit ihrer Mutter hatte er über alles geredet. Als Tochter blieb sie für ihn auf ewig unreif. »Die zweite Schicht ist nicht so stark gewürzt.«

»Gut. Das überdeckt nur den Eigengeschmack. Es sei denn, der Fisch war alt?«

»Nein, nein. Er war ganz frisch.«

Warum grübelte sie über den Kampfeinsatz an der Front? Weil sie vom Krieg auf die Probe gestellt werden, wesentlich daran teilnehmen wollte. Jeff tat vielleicht nichts, was er für wertvoll erachtete, aber das hatte er sich nicht ausgesucht. Er hatte sich der antifaschistischen Sache verschrieben, und wenn auch sein Einsatz nicht seiner Wahl entsprach, so hatte er trotzdem das ruhige Gewissen eines voll Beteiligten.

Sogar der Professor hatte die Last der Sehnsucht verspürt, sich nützlich zu machen. Er hatte verschiedenen Ministerien von seiner Arbeit im Ersten Weltkrieg geschrieben (wie er inzwischen genannt wurde, denn man begann, diesen den Zweiten zu nennen). Er erhielt Eingangsbestätigungen, die sich als Formbriefe herausstellten. Alle paar Wochen diktierte er ihr einen Brief über seine Kenntnisse und seinen Wunsch, von Nutzen zu sein, Briefe, die sie mit seinem Kurzlebenslauf an die von ihm genannten Amtsadressen schickte.

Der Professor hatte seinen alten Austin aufgeblockt, und zwar auf Kriegsdauer, ein Ausdruck, der inzwischen häufig gebraucht wurde. Auf Kriegsdauer geschlossen. Sie merkte, dass er seinen Teller weggeschoben hatte und sie erwartungsvoll ansah. »Was haben wir zum Nachtisch?«

»Nachtisch?« Sie hatte vergessen, welchen zu machen. »Lass mich schon mal den Kaffee aufsetzen«, versuchte sie Zeit zu gewinnen und floh in die Küche. Einen schnellen Maisstärkepudding machen? Zucker war rationiert, und sie war nicht erpicht darauf, ihre Monatszuweisung zu verbrauchen. Keine Kekse im Küchenschrank. Früher hatte sie sich für solche Fälle einen Süßigkeitenvorrat gehalten, aber das galt heutzutage als Hamstern. Dann fiel ihr ein, dass Mrs. Augustine ihr ein Glas eingeweckte Birnen geschenkt hatte, die von dem Baum im Hof der Augustines stammten. In diesem Jahr blühte der Baum noch nicht, öffnete eben erst seine Knospen. Sie fand die Birnen und überschüttete sie großzügig mit dem restlichen Rum aus der letzten Flasche.

»Was soll denn das sein?«, fragte er eisig und schaute missbilligend in sein Schälchen.

»Du weißt, ich kann bei der Zuckerrationierung nicht mehr die gleichen Nachspeisen machen wie früher. Das sind Birnen, von Mrs. Augustine eingeweckt und dann in Rum getränkt.« Nur für fünf Minuten, aber lass es durchgehen, bat sie ihn stumm.

»Wenn du knapp bist mit Zucker, könnte ich mir vorstellen, dass dir die Garfinkles etwas Ahornsirup überlassen würden. Wir haben immer unseren Sirup von ihnen gekauft.« Er kostete die Birnen und hüstelte. »Ist das der letzte Rum?«

»Fürchte, ja«, sagte sie forsch. Mit wenig Begeisterung löffelte sie ihren ersten Happen Birne. Sie merkte, sie hatte mehr Rum hineingetan, als sie dachte. Die Wirkung war rau, aber nicht unangenehm, wenigstens für sie, die den Tag in einem ungeheizten Flugzeug, wesentlich kälter als die Felder darunter, zugebracht hatte. Von Zeit zu Zeit genehmigte sich der Professor eine Flasche Wein, die er neben seinen Teller stellte und aus der er ihr gelegentlich ein bescheidenes Gläschen einschenkte. Beim Geschmack von Alkohol musste sie immer an Zach denken und an die Zeit, als Jeff und er unzertrennlich waren und als sie dabei sein durfte, wenn die beiden ihre Gesellschaft duldeten. Wenn ich je von zu Hause fortgehe, dachte sie, werde ich Flugzeuge fliegen und Whisky trinken. Sie lächelte.

Der Professor fragte: »Schmeckt dir das?«

»Ja, doch. Wenn es dir nicht zusagt, tut es mir leid, dann lass es einfach stehen und ich esse es.«

Während sie den Tisch abräumte, tat sie genau das, nahm den rumversetzten Sirup, den er in seiner Schale gelassen hatte, und trank ihn aus einem Glas, während sie das Geschirr abkratzte und für den Abwasch stapelte. In Zachs vorletztem College-Jahr waren sie alle in einer Juninacht auf den Jumpers Mountain gestiegen, und Zach hatte eine silberne Taschenflasche in Form eines Fisches herumgehen lassen, aus der sie Gin tranken. Vom Gin musste sie sich schütteln, aber sie fühlte sich, als tränke sie vom Blut des Erwachsenseins. Ein Übergangsritus. Sie war in Zach verliebt, und dass ihre Lippen das Silber der Flasche berührten, an dem eben noch sein Mund gehangen hatte, machte sie trunkener als der Alkohol.

Der Mond hatte die Farbe seiner Taschenflasche und schien wie ein Fisch in leichtem Dunst zu schweben. In der Stadt hatte schwerer, süßlicher Ligusterduft gehangen, aber hier roch die Luft nach Balsampfeilkraut und Rottannen. Oben auf den kahlen Felsen des Berges schauten sie in den Mond, dem nur ein Tag zum Vollmond fehlte, und sie hatte das Gefühl, als sähe sie dem Mond aus gleicher Höhe ins Gesicht.

Es war nicht gänzlich töricht gewesen, sich in Zach zu verlieben: Sie hätte ihn schon aus schlichter Dankbarkeit anbeten müssen, denn er hatte ihr den Weg aus ihrem Raupendasein gezeigt, und wenn sie immer noch überwiegend in einem Kokon lebte, so wusste sie wenigstens, was sie sein wollte, eine Jägerin wie der Mond, die frei durch die Wolkenberge und Windströme streifte.

Ein- oder zweimal hatte sie hinter dem Steuer eines von Zachs schnittigen schnellen Autos die Freude jener Erweiterung gespürt, jenes Einswerdens mit einer hochempfindlichen, kraftvollen Maschine, die ihre Sinne über sie selbst hinaustrug, während sie auf ihre Entscheidungen, ihren Willen, ihr Können reagierte. Bernice war keine schlechte Fahrerin, aber gegenüber der Möglichkeit, über den Luftraum zu gebieten, war ein Sportwagen einfach unterlegen. Das leichteste, klaterigste Flugzeug mit einem 40-PS-Motor konnte in eine Dimension vordringen, die dem teuersten Renn-Ferrari der Welt verwehrt war.

Gleichgültig, wie dürftig ihr Leben zeitweilig war, ihr gehörte die gesamte Hälfte eines Flugzeugs. Sie hatte Steven sein Viertel abgekauft, als er zum Militär ging. Der andere Besitzer, ein Rechtsanwalt, flog meistens zur Entspannung und gelegentlich, wenn ihm der Sinn danach stand, um einen Klienten aufzusuchen. Für ihr Empfinden war es eigentlich ihr Flugzeug, denn sie war diejenige, die es am häufigsten flog, und sie war diejenige, die es reparierte und pflegte und verhätschelte. Eines Tages würde sie den Rechtsanwalt auskaufen. Er redete schon davon, sich nach dem Krieg etwas Schickeres zuzulegen. Sie konnte diese Maschine noch jahrelang in Betrieb halten. Wenn sie sich mit dem Abwasch beeilte, konnte sie noch wenigstens zwei Stunden lang tippen, obwohl ihre Hände von der Kälte im Flugzeug geschwollen waren. Machte nichts. Sie würde es schon schaffen.

Sie nahm sich vor, an dem Tag, an dem sie endlich ihre Verkehrspilotenlizenz bekam, mit einer irgendwo ergatterten Flasche Whisky oder Gin auf den Jumpers Mountain zu steigen und dazusitzen und Lieder zu singen und den Mond zu grüßen. Sich ihr Fest zu bereiten. Es Jeff zu erzählen, der sich bestimmt mit ihr freute, wenn auch nur am Telefon. Denn dann hatte sie endlich etwas Eigenes vollbracht.

Duvey 1
Viele Stürme kennt das Meer

Duvey verbrachte die ersten drei Monate 1942 auf der karibischen Tour und war deshalb heilfroh, jetzt die nordatlantische Geleitzug-Route zu schippern. Er war auf Tankern gefahren, jetzt zum Glück nicht mehr. Er hatte fünf Freunde verloren, von denen er wusste, und wahrscheinlich noch mehr, von denen er keine Ahnung hatte. Alle hopsgegangen auf Tankern, vor der Küste torpediert, nah genug, dass man’s vom amerikanischen Festland riechen und den Feuerschein sehen konnte. Cape Hatteras war am schlimmsten, aber die gesamte Küste war tödlich.

Eine Frau in einer Bar erzählte ihm von ihrer Mutter in Vero Beach, wo die Dodgers ihr Winterlager hatten und wo jeden Morgen am Strand Arme, Ohren und Rümpfe ohne Kopf zusammen mit verbogenem Metall angespült wurden. Meistens ging die Tankerbesatzung in einer großen Stichflamme drauf, und vielleicht war das gut so, denn die armen Kerle, die von Bord sprangen – er hatte geholfen, welche davon aus dem Wasser zu fischen. Ihm war lieber, sofort hochzugehen, statt ins flammende Meer zu springen und mit Verbrennungen am ganzen Körper »gerettet« zu werden und langsam im Krankenhaus zu verrecken oder als Schreckgespenst durch Detroit zu humpeln.

Die U-Boote führten Krieg, wie sie Lust hatten, lauerten vor der Küste und spielten vor den Lichtern von Miami, Charleston, Savannah und New York Schießbude mit den Tankern. Die Städte waren nicht mal verdunkelt. Das Leben von Seeleuten war billig. Die Helden waren in der Armee und in der Marine, aber krepieren taten die Seeleute, und wenn irgendwer an Land meinte, der Krieg konnte ohne die Nahrungsmittel, das Öl und den Nachschub von ihren Frachtern gewonnen werden, dann war der so bescheuert, wie er es den meisten schon immer unterstellt hatte. Wenn England durchhalten sollte und wenn die Vereinigten Staaten sich wirksam in den Krieg einschalten sollten, dann mussten die Frachtschiffe ihre Ladung ausliefern.

Er hatte sich entschieden. Er dachte nicht daran, sich vom Militär in die Zwangsjacke stecken zu lassen und jedes Arschloch zu grüßen, das zufällig Annapolis absolviert hatte. Er war immer Malocher gewesen, und er blieb einer. Das war die richtige Kriegsarbeit, wie er sie verstand, und er war es gewohnt, Städte von ihren Hafenvierteln und ihren Nachtseiten zu sehen. Sie hatten sich für ihre Gewerkschaft den Arsch aufgerissen, und jetzt zogen sie zu Gewerkschaftstarifen in den Krieg. Die Nationale Seemännische, eine CIO-Gewerkschaft wie die von Tate, hatte sie von vierzig Dollar im Monat und von Quartieren, die nur für Schweine taugten, auf hundert Dollar im Monat gebracht, und jetzt bekamen sie noch mal hundert Gefahrenzulage. Ein paar Amtsschimmel wollten ihnen die Heuer kürzen, aber erst sollten mal die Schiffseigner ihre riesigen Profite ausspucken, dann ließ sich über Lohnkürzungen reden: Das sagte die Gewerkschaft, und das sagte er.

Wenn er daran dachte, schrieb er rasch einen Brief nach Hause, denn er wollte nicht, dass Mame sich Sorgen machte. Er passte auf, was er schrieb, füllte seine Briefe mit Fragen und Lügengeschichten. Sie dachte, weil er nicht bei der Marine war und nicht kämpfen musste, war er sicher. Besser, sie blieb dabei. Er hatte nicht vor, ihr ein Licht aufzustecken. Er hatte ihr immer Ärger ins Haus gebracht, obwohl er das gar nicht wollte. Als Ältester wusste er, wie schwer das Leben für sie gewesen war.

Er war auf seine Art ein Härtefall, aufgewachsen im tiefsten Keller der Depression, hatte fast alles entbehren müssen, was Spaß machte. Arty sah nicht über seinen Tellerrand raus. Ruthie, die konnte vielleicht was aus sich machen. Die hatte zwar so was Artiges, Redliches an sich, was er zum Kotzen fand, aber sie war ganz in Ordnung und half Mame. Vielleicht kam sie ja sogar irgendwann durchs College, die erste Studierte in der Familie, wenn sie nicht so blöde war zu heiraten. Die Ehe machte kaputt. Frauen fingen an, Kinder zu kriegen, und bald sahen sie aus wie ihre Mütter und konnten nur noch nachplappern, was ihre Mütter mal gesagt hatten. Männer kriegten so was Ausgelaugtes, Gebeugtes, und die Bäuche quollen ihnen über den Hosenbund.

Das war nichts für ihn. Daran hatte er nie auch nur im Traum gedacht. Ihm gefielen Frauen, die er zu Hause nicht vorzeigen konnte. Die einzigen Mädels, die in seinen Augen die Mühe wert waren, das waren die, die es gewohnt waren, sich selber durchzubringen, eine Kellnerin oder eine Barfrau oder eine Maniküre oder eine Nutte, die keinem Zuhälter gehörte, eine, die auf sich aufpasste, damit man sich bei ihr nicht was holte. Das süßeste Mädel, das er je gehabt hatte, war eine Farbige, Delora mit Kupferhaut und langen tollen, tollen Beinen und einem Hintern, den sie nur über die Straße tragen musste, damit die Männer auf die Knie fielen. Aber ein farbiges Mädel zu haben brachte Zoff. Sie konnten fast nirgendwohin was essen oder trinken gehen, ohne dass er mit weißen Wichsern aneinandergeriet oder mit Farbigen, denen es stank, dass er sich mit ihren Frauen einließ, als ob jede Frau der gleichen Hautfarbe ihnen als Gruppe gehörte. Duvey hatte nichts gegen eine Keilerei, aber doch nicht jedes Mal, wenn sie aus dem Haus gingen.

Er war mit Farbigen in der Nachbarschaft aufgewachsen, und er verstand nie, warum die Weißen sich so anstellten. Ein russischer Jude und ein Schwede zum Beispiel, oder ein Schotte und ein Sizilianer, die waren genauso verschieden. Aber jedes Mal, wenn man mit einem reden wollte, der auf dem Gebiet eine Macke hatte, dann fing der an: Wäre es dir vielleicht recht, wenn ein Farbiger deine Schwester heiratet? Als ob alle Schwarzen nichts anderes im Sinn hatten, als jemandes schielende, lahmende Schwester zu heiraten. Klar waren sie neugierig, mit einer Weißen ins Bett zu steigen, genau wie er beim ersten Mal neugierig auf eine Farbige gewesen war, aber danach war es ein bestimmtes Lächeln oder ein Gang oder ein schlagfertiger Spruch, auf den er anbiss.

Detroit hatte viele farbige Einwohner, und es wurden immer noch mehr, weil die Farbigen aus ihrem Sackgassendasein im Süden hochkamen und Arbeit in den Fabriken suchten. Wie bei den Juden waren die Gescheitesten wahrscheinlich die, die es im schwarzen Gegenstück zum Schtetl nicht mehr aushielten und sich was suchten, wo sie vorankamen und anständig verdienten. Die Farbigen in Detroit, das waren oft gescheite, aufgeweckte, fixe Leute, mit dem Bauch voll Wut über die Scheiße, die sie fressen mussten.

Auf der Montauk waren sechs Schwarze, alle unten im Maschinenraum. Sie blieben meistens unter sich, und wenn er ihnen auch guten Tag sagte, falls sie ihm über den Weg liefen, hatte er doch nicht viel mit ihnen zu tun. Außer ihm war noch ein Jude an Bord, der Funker, aber der war Offizier. Wenn der gefragt wurde, ob er Jude war, gab er es zu, aber freiwillig sagte er das nie, nur, wenn er wusste, dass er mit einem Juden redete. Sobald du sagtest, du warst Jude, wollten sie dir ans Leder. Die hielten alle Juden für Matschbacken und Schlappschwänze, und du musstest ein doppelter Kerl sein.

Wenn ihn welche ausfragten, sagte er: »Ich bin aus Detroit, Jack, wo die Autos rassig sind und die Weiber noch rassiger. Wir werden auf Rädern geboren, und wir verlöten den Schnaps wie Benzin.« Dann hatten sie was zum Reinbeißen.

Duveys Spitzname war der steile Dave, wegen seines Erfolgs bei den Weibern im Hafen. Noch auf der Highschool hatte Duvey sich ausklamüsert, Frauen lohnten sich für ihn nur, wenn sie es genauso wollten wie er, und so brauchte man sich nur darüber zu einigen, ob man sich genug mochte und wann und wo, und das Ganze war keine Sache von Gebettel und Gerangel und Versprechungen, für die man sowieso nicht das nötige Kleingeld hatte, Pflaumenpfingsten.

Am 24. April formierte sich der Geleitzug. Sein Schiff war voll mit Weizen, in Montreal gebunkert. Sie waren den St. Lorenz-Strom runtergefahren, hatten dann vor Halifax gewartet, wo der Geleitzug zusammengestellt wurde. Konvoi HX-152 war beeindruckend, als er in der Fahrrinne vorandampfte: vierunddreißig Schiffe unter Geleit von einem alten Zerstörer und drei Korvetten, von denen die Matrosen sagten, sie würden selbst auf nassem Gras dahingleiten wie geschmiert. Der Geleitzug war ein großartiger Anblick, eine Schiffsparade hinaus auf den Atlantik bei leichtem Seegang und sanfter Sonne. US-PBY Catalina-Patrouillenflugzeuge hatten von oben ein Auge drauf. Da waren ein früheres Passagierschiff mit kanadischen Truppen, ein Tanker, ein Haufen alte Trampdampfer unterschiedlichster Registrierung und Nationalität und Seetüchtigkeit, ein schmucker norwegischer Frachter mit eigenen Bordkanonen und Frachterungetüme mit ragenden Ladebäumen.

Die Montauk selber war das neueste Schiff, auf dem er je gefahren war, ein Liberty-Schiff, das erst zweimal draußen gewesen war. Alle Liberty-Schiffe waren langsam, aber ganz in Ordnung, zuverlässig, außer sie wurden mittschiffs getroffen, dann brachen sie auf wie ein Laib Schnittbrot. Die Mannschaftsquartiere waren in den Decksaufbauten, vier Kojen pro Kajüte, für insgesamt vierundvierzig Mann mit den Offizieren. Die Libertys fuhren mit Dampfmaschinen, und die Maschinen waren gut. Es gab sogar gekachelte Duschen für die Mannschaften. Er war auf Schiffen gefahren, wo ein Eimer alles war, was man an Sauberkeit bekam.

Nebel wickelte sie am zweiten Tag ein, bis sie ihre Nachbarn um sich herum nicht mehr sehen konnten. Das Fahren in Geleitzügen fing in der Karibik und auf den Küstenrouten erst an, so dass es für Duvey neu war. Auf den Großen Seen sah man ein anderes Schiff im Detroit River oder in den Schleusen, aber draußen auf den Seen kam man nicht mal in Rufweite. Es war ihm unbehaglich, bei dichtem Nebel in solch einer Herde schwerfälliger Frachter zu dampfen, wo jedes Schiff näher an den anderen war, als er sicher fand. Sie hatten keinen Geleitschutz durch Flugzeuge, die nach U-Booten Ausschau hielten, aber der Tag verging ohne Angriff. Der Nebel schloss sich dick und klamm und dumpfig um sie, die Luft war wie gasförmiges Eis. Zwei der Schiffe entgingen nur knapp einem Zusammenstoß. Eine der Korvetten musste zurückhängen, um Nachzügler einzutreiben.

Ohne Sicherung aus der Luft setzten sie ihren Weg die nächsten vier Tage lang fort, bis Duvey mitten in der Nacht vom 29. auf den 30. April eine Detonation hörte. Sogar durch den Nebel konnte er die Feuersäule sehen, was hieß, dass ein Tanker getroffen war, wahrscheinlich die Fitzpatrick. Er hörte Geschützfeuer. Der Zerstörer belegte das U-Boot mit Wasserbomben, so klang es. Dichter Rauch trieb mit Nebel vermischt über das Wasser. Von dem Petroleumgestank wurde ihm leicht übel. Er hörte eine weitere schwere Detonation. Sein Körper stemmte sich gegen die Wucht der Druckwelle. Jede Minute konnte die Montauk die Nächste sein. Automatisch fasste er nach der zugeknöpften Tasche mit seinen Papieren und seinem Geld in einem zugeknoteten Präser. Wenn er die Torpedos überlebte, dann hatte er sie dabei; wenn nicht und wenn die Leiche an Land gespült wurde, dann konnte er identifiziert werden.

Türler ve etiketler
Yaş sınırı:
0+
Litres'teki yayın tarihi:
22 aralık 2023
Hacim:
1360 s. 1 illüstrasyon
ISBN:
9783867548724
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