Kitabı oku: «Frau aus dem Volk», sayfa 2
LERNEN AUS INTERKULTURELLEN DYNAMIKEN
Gerade die lateinamerikanische Kirche weiß um diese Weggestalten des Glaubens und die „bildende Kraft“ der vielen Marienbilder. Die Formen der Volksfrömmigkeit sind dabei in kleine und größere „Wallfahrten“ eingebettet: zur „Virgen de la Copacabana“ im Hochland Boliviens, zur „Virgen la Tirana“ im Norden Chiles, zur „Virgen Aparecida“ in der Nähe von São Paulo und vor allem zur „Virgen de Guadalupe“, dem meist besuchten Marienwallfahrtsort der Welt im Norden der Megastadt Mexiko, entstanden in den Wirren der Conquista, aus dem Schmerz der eingeborenen Völker, des Verlustes ihrer eigenen Identität, in dem sie – so die Erzählung der Erscheinung Marias vor Juan Diego – über Maria und ihre Nähe zu den Indígenas „flor y canto“ („Blume und Gesang“, ein Symbol für Erlösung und Heil) wiedergefunden haben.7 Die lateinamerikanische Kirche weiß um die inkarnierte, leibliche Kraft des Glaubens, wie sie sich hier ausdrückt. Papst Franziskus weist darauf in seinem Apostolischen Schreiben Evangelii gaudium hin: „Die besonderen Formen der Volksfrömmigkeit sind inkarniert, denn sie sind aus der Inkarnation des christlichen Glaubens in eine Volkskultur hervorgegangen. Eben deshalb schließen sie eine persönliche Beziehung nicht etwa zu harmonisierenden Energien, sondern zu Gott, zu Jesus Christus, zu Maria oder zu einem Heiligen ein. Sie besitzen Leiblichkeit, haben Gesichter. Sie sind geeignet, Möglichkeiten der Beziehung zu fördern und nicht individualistische Flucht“ (Nr. 90). Der Blick auf Maria eröffnet Räume des Glaubens, von Heil, Erlösung und Befreiung, Räume des Lebens, wie es Papst Franziskus am Ende von Evangelii gaudium in seinem Mariengebet ausdrückt. Treten wir nun in sie ein.
„Mutter des lebendigen Evangeliums,
Quelle der Freude für die Kleinen,
bitte für uns.
Amen. Halleluja!“ (Papst Franziskus)
RÄUME, KREUZUNGEN UND ZWISCHENRÄUME
Befreiende interkulturelle Marien-Räume
EIN NARRATIVER EINSTIEG8
Maria ist – so die Inszenierung durch den Evangelisten Lukas (1,26–38) – auf dem Weg im Bergland von Judäa, sie hat gerade Abschied genommen von Elisabet … Etwas Großes ist geschehen, Gott, du hast Großes an mir getan. Noch immer und wohl immer unbegreiflich, dass ich selbst den Zusammenhang der Worte gefunden habe: „Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden“ (Lk 1,35). Ich, das Mädchen aus Nazaret: die Gebenedeite? Der Herr – mit mir? Was für Worte?! Unbegreiflich das Wort, das gesagt worden ist. Aber es hatte mich berührt in der Tiefe des Herzens, ich hatte „ja“ gesagt, auch wenn ich nicht wusste warum. Dann musste ich gehen. Aufgebrochen bin ich aus meiner kleinen Welt, in die die Größe Gottes eingebrochen ist, aufgebrochen aus der Enge der Stadt, die nicht verstehen wird – ja, für wen werden sie mich halten, das junge Mädchen, schwanger, in Schande gefallen? Das große Wort werden sie klein machen. Ich habe mich auf den Weg ins Bergland zu Elisabet gemacht, ein Aufbruch, der mir geholfen hat, hineinzuwachsen in das Wort, das das Leben ist. – Heute, drei Monate später, bin ich wieder auf dem Weg, es liegt ein neues Licht auf diesem Weg. Ich habe mich verändert. Der Aufbruch damals war der Beginn einer Veränderung, ein Aufbruch in die Freiheit: „Maria, fürchte dich nicht“ (Lk 1,30). Ein Aufbruch in die Freiheit, die Leben bedeutet. Ich bin in das Wort hineingewachsen, es wächst in mir. Das Ja, das mich auf den Weg schickte, ist in der Begegnung mit Elisabet zu einem gefüllten und erfüllenden Ja geworden. Wie leicht der Schritt, getragen von diesem Ja, dem meinen und mehr als meinem: dem Ja des Lebens Gottes, seiner Zusage.
Wir sprachen über uns, unseren Alltag, über das Kind, das in ihrem Leib wächst und das mir auf so unbegreifliche Weise verheißene Kind, wir tasteten uns heran an das, was es heißt, Mutter zu sein, an all das Neue, das in unser Leben einzubrechen begann. Und in all unser Reden war die Geschichte Gottes hineinverwoben, die Geschichte unseres Volkes, die Geschichte der Verheißung. In diesen Monaten bin ich hineingewachsen in das Ja, ich spüre es, in mir, im Wachsen des Lebens. Das Wort wächst in mir, es wächst in dem Wort, das mir gesagt worden ist und zu dem ich selbst gefunden habe. Groß bist du, Gott, groß preise ich dich, du, mein Erbarmer. Du erbarmst dich über alle, die dich fürchten, du stürzt die Mächtigen vom Thron, du erhöhst die Niedrigen, du beschenkst die Hungernden mit deinen Gaben, die Reichen müssen leer ausgehen. Das Wort der Verheißung ist wie eingebrannt auf meiner Stirn, in meinem Herzen. Es wird mich nicht verlassen, und ich werde es wahren, wenn ich dem Leben Raum gebe. Die Gemeinschaft mit Elisabet, meiner Base und Vertrauten im Glauben, hat mir geholfen, diesen neuen Horizont zu erschließen. In ihrem Gruß bin ich zum Leben erwacht. Die Worte haben ihren Zusammenhang gefunden in der Freude des Lebens, das von ihr selbst ausging. So ist in diesem Gruß mein Wort befreit worden zum Wort der Liebe, des Lebens, zum Wort Gottes. Und ich habe gewusst: Die Zukunft der Verheißung ist in mich eingebrochen, eingebrochen in die Welt, und das Heil unserer Väter und Mütter steht uns neu zur Seite. Auch das Kind hat die reine Freude des Grußes gespürt, in der Tiefe des Leibes, dort wo allein wirkliches Erbarmen wachsen kann: Und ich konnte sprechen zu Gott, meinem Befreier, unserem Erbarmer:
„Meine Seele preist die Größe des Herrn,
und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter.
Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut.
Siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter.
Denn der Mächtige hat Großes an mir getan,
und sein Name ist heilig.
Er erbarmt sich von Geschlecht zu Geschlecht
über alle, die ihn fürchten.
Er vollbringt mit seinem Arm machtvolle Taten:
Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind;
er stürzt die Mächtigen vom Thron
und erhöht die Niedrigen.
Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben
und lässt die Reichen leer ausgehen.
Er nimmt sich seines Knechtes Israel an
und denkt an sein Erbarmen,
das er unsern Vätern und Müttern verheißen hat,
Abraham und seinen Nachkommen auf ewig.“
Dieser narrative Einstieg „übersetzt“ den Zugang zu Maria, den der Evangelist Lukas (Lk 1,26–38) in den Zusammenhang der „Weihnachtsgeschichte“ stellt, der „Liebesgeschichte“ Gottes mit dem Menschen. Gott wird Mensch, es begegnen sich Himmel und Erde, der göttliche Logos, wie Johannes es schreibt, „inkarniert“ sich, nimmt Fleisch an. Maria, der jungen Frau aus Nazaret, von der selbst wir wenig wissen, kommt eine besondere Rolle zu in diesem großen Geheimnis christlichen Glaubens. Das ist das Entscheidende jedes Blickes auf Maria: Sie hilft, den Raum für das Christusgeheimnis zu öffnen, für das, was Ehrfurcht Gott gegenüber bedeutet. Lukas inszeniert in dieser vertrauten und wunderbaren Narration den „Einbruch“ Gottes in das „Lebens Marias“, die „Verkündigung“ an Maria: Sie öffnet sich, sagt „Ja“ und doch ist sie „verwirrt“; sie macht sich auf den Weg zu Elisabet – „gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade“, spricht diese – und in den Monaten bei ihrer Vertrauten und älteren Verwandten Elisabet wächst Maria hinein in dieses Geheimnis, lernt es anzunehmen, aus der Tiefe des Glaubens an den Gott der Väter und Mütter Israels. Und so kann sie dann das große Gebet sprechen, das Magnifikat, das zu einem der zentralen christlichen Gebete geworden ist und die Tagzeitenliturgie der Kirche am Abend beschließt. Maria wird vom Evangelisten Lukas als große Glaubende vorgestellt in der befreienden Tradition der Schriften Israels und des Evangeliums.
Maria ist, so der Gruß Elisabets, die Benedicta, die „Gebenedeite“, die von Gott Gesegnete. Auf ihr liegt die Gnade Gottes, die charis, die ihr ein Charisma gibt, einen „Charme“, der in der Geschichte christlichen Glaubens Menschen immer wieder neu auf Maria blicken lässt, als Frau, die den Raum der Sehnsucht Gottes nach dem Menschen erschließen hilft und der Sehnsucht des Menschen einen konkreten Ausdruck gegeben hat. Diese Maria ist das junge, verwirrte Mädchen, das von Gott ein „empowerment“ erfährt, sie wird zur Frau aus dem Volk, die voll Kraft, voll „power“, zum Gott Israels beten kann: „Meine Seele preist die Größe des Herrn.“ Maria, das ist eine „Power-Frau mit Charme“, voll von der Kraft des Geistes Gottes, voll der Gnade, der charis, dem Charme, denn der Herr, der Gott Israels, ist mit ihr. Genau das ist der Zugang zu Maria, der in den Traditionen christlicher Volksreligiosität in den vielen Kulturen der Welt bewahrt worden ist, der immer wieder neu die Bilder Marias dekonstruiert hat, die aus ihr die demütige, nur im Hintergrund stehende Frau oder die unangreifbare und unnahbare Himmelskönigin gemacht haben. So drückt es auch ein anderes Magnifikat aus, das Lob der starken Frauen mit Namen Maria aus der Feder des brasilianischen Liedermachers Milton Nascimento9:
„Selbstbewusstsein und starken Willen braucht,
wer dieses Stigma trägt,
Maria, Maria!
Freude und Schmerz sind in dir zugleich.
Unterwegs zum Ziel
zählen nur Anmut und Träume.
Wer darauf setzt,
eigensinnig riskiert sie
den befremdlichen Glauben an das Leben.“
EINE BEFREIUNGSTHEOLOGISCHE UND FEMINISTISCH-THEOLOGISCHE HERMENEUTIK
Auf dem Hintergrund der biblischen Traditionen hat sich in der frühen Kirche in der Begegnung christlichen Glaubens mit den verschiedenen Kulturen, in denen das Evangelium verkündet wird und sich zu inkulturieren beginnt, auch in Verbindung mit der Verehrung Mariens an neuen religiösen Orten, die oftmals an heidnische Kultstätten anknüpften, eine Theologie entfaltet, die Maria in den Zusammenhang der großen Geheimnisse christlichen Glaubens stellt: der Frage nach Jesus, dem Christus, der Frage nach dem Menschen, nach Sünde und Schuld, nach Vergebung und Erlösung. Immer mehr wird Maria auch mit der Kirche in Verbindung gebracht, sie wird als „Typus“ der Kirche bezeichnet, als Bild der großen Glaubenden und Vorbild im Glauben. Im Laufe der Geschichte verselbständigt sich die an Maria angelehnte Einführung in den christlichen Glauben, eine Mariologie entsteht, in der die biblische Maria, die junge Frau aus Nazaret, die gläubige Jüdin Maria, verheiratet mit Josef, Mutter vieler Kinder, in den Hintergrund rückt und die Jungfrau, Mutter und Himmelskönigin im Vordergrund steht. Die biblische Maria wird in immer neue Schleier gehüllt. Keine andere Heilige ist so wie Maria „in Szene“ gesetzt worden, in Kunst, Literatur, Poesie, Musik „dargestellt“ worden. In der Geschichte hat sich eine Fülle von Bildern gesammelt: „Ich sehe dich in tausend Bildern / Maria lieblich ausgedrückt“, hat dies der Dichter Novalis ausgedrückt, „doch keins von allen kann dich schildern, / wie meine Seele dich erblickt.“10 Die Suche nach Maria hinter diesen Bildern, sie daraus hervortreten zu lassen, sie zu entschleiern, das war in den letzten Jahrzehnten ein Weg, den vor allem die feministische Theologie und die Befreiungstheologien eingeschlagen haben.
Wer ist diese Maria, wofür steht sie? Wer hat die Bilder konstruiert und Maria in Räumen festgehalten, die sie selbst in ihrem Magnifikat gesprengt hat? Die Bilder, die von Maria in der Geschichte christlichen Glaubens entstanden sind – und das ist im Besonderen die Anfrage des kritischen Ansatzes feministischer Hermeneutik gewesen, wie er sich seit den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts in der westlichen Theologie, dann aber auch weltweit im Sinne einer feministischen Befreiungstheologie entwickelt hat –, sind auch durch „Männerblicke“ auf die Frau Maria geformt worden; Marienbilder und Frauenbilder sind aufs Engste miteinander verknüpft worden. Maria in diesem Sinn zu „entschleiern“, sie ihren eigenen Raum einnehmen zu lassen und gerade auch Frauen mit Maria Räume des Heils, der Befreiung und Erlösung zu öffnen, ist sicher kein Unterfangen, das frei davon ist, neue Schleier für Maria zu weben. Aber eine „Hermeneutik des Verdachts“, wie sie die feministische Theologie vorlegt, tut Not, um Marienbilder zu dekonstruieren, die spezifische Gestalten des Frauseins fixieren und ein Bild „der Frau“ im Singular ausprägen, „das Frauen auf die Rolle der Ehefrau und Mutter, ersatzweise auf die der sich aufopfernden unverheirateten Frau festlegte, die sich jeder sexuellen Regung enthält“11. Ein solcher Weg macht aber auch deutlich, dass die vielen Schleier, die auf Maria liegen, die vielen Bilder, aus denen sie uns entgegentreten kann, in den unterschiedlichen Epochen der Geschichte und den verschiedenen Räumen, in denen sich christlicher Glaube ausgeprägt hat, Versuche von Menschen, Männern und Frauen, gewesen sind, ihrer Glaubenserfahrung – über den Blick auf Maria – einen Ausdruck zu geben. Sich Maria anzunähern, bedeutet auch immer, sich selbst zu hinterfragen, der eigenen Sehnsucht nachzuspüren, Grenzen und Engen auf den Grund zu gehen und konkrete Räume für Bilder des Heils und der Erlösung auszutarieren. Darum war Maria immer nah, weil der Blick auf sie dem Christusgeheimnis einen konkreten Ausdruck gegeben hat. Und genau darum, um dieses Geheimnisses willen, ist es immer wieder neu notwendig, Maria aus den Bildern treten zu lassen und sie zu entschleiern.
Der feministisch-theologische Blick auf Maria ist in den Jahren nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil gewachsen. Fruchtbar sind die 70er-Jahre für die feministische Theologie vor allem auf exegetischem Gebiet; Elisabeth Schüssler Fiorenza entwickelt eine befreiende biblische Hermeneutik, die auch einen neuen Zugang zu Maria ermöglichen wird, der dann in den systematisch-theologischen Ansätzen von Rosemary Radford Ruether und Catharina Halkes weiter entfaltet wird. Das von einem ökumenischen Team – darunter Elisabeth Gössmann und Elisabeth Moltmann-Wendel – herausgegebene Wörterbuch der feministischen Theologie, bis heute für den deutschsprachigen Raum Standardwerk des theologischen Feminismus, 1991 erschienen, 2002 wieder aufgelegt und ergänzt durch Beiträge der jüngeren Generation, ist von dieser befreienden Hermeneutik geprägt. Ansatz ist ein historisch-kritischer und feministisch-kritischer Zugang zu den biblischen Texten und ihrer Auslegungsgeschichte, wie er von Helen Schüngel-Straumann für die alttestamentliche und von Luise Schottroff für die neutestamentliche Exegese entfaltet worden ist. Für die Rückfrage nach Maria ist von Bedeutung, dass die biblischen Texte, die in Zusammenhang mit Maria stehen, neu interpretiert werden. Vor allem das Gebet Marias, wie Lukas es vorgelegt hat, wird zum Referenzpunkt einer biblischen Mariologie. Die Maria des Magnifikat wird zum Inbegriff und Symbol der Befreiung. Mirjam aus Nazaret entstammt einer ökonomisch armen, politisch unterdrückten jüdischen Bauernkultur, sie lässt sich auf eine gefährliche Schwangerschaft ein, sie flieht in ein fremdes Land, sie verliert ihren Sohn in seiner Hinrichtung am Kreuz, sie lebt als verwitwete Ältere in der nachpfingstlichen Gemeinde.12 So wird sie zur „Schwester marginalisierter Frauen“, die in ihr ein Symbol befreiten und freimachenden Glaubens entdecken können.
Es ist interessant, dass ähnliche Blicke auf Maria auch von protestantischen Theologinnen geworfen worden sind, von Elisabeth Moltmann-Wendel oder Dorothee Sölle. In den Spuren der Magnifikat-Interpretation Luthers wird des jungen Mädchens aus Nazaret erinnert, die Frau aus dem Volk und Witwe im Kreis der Jünger. Dorothee Sölle setzt dabei auch bei den Traditionen des Volkes an; mit Maria, der „Wohnung Gottes“, geht es „um Gottes Präsenz in der irdischen Welt, und das bedeutet: in seinem Volk. Und genau darin stimmt die Theologie … mit der Mariologie des Volks von unten überein: Es gibt nie genug Namen und Bilder für das, was wir lieben.“13 Die US-amerikanische Theologin Elizabeth A. Johnson hat die jüngste Mariologie aus Frauenperspektive vorgelegt; in Truly our sister setzt auch sie bei den befreienden Traditionen des Volkes an, bei den religiösen Praktiken, wie sie sich im Umfeld der Wallfahrtsorte ausgebildet haben und die auch an in den Tiefenschichten der Kultur gesammelte Symbole anknüpfen, um von dort ausgehend auf dem Fundament der biblischen Texte die mariologischen Dogmen neu zu erschließen. Hier können europäische und nordamerikanische Theologinnen von den Erfahrungen von Frauen aus anderen Weltkontexten lernen; gerade in Lateinamerika ist Maria ein befreiendes Symbol für Frauen und Männer.
MARIENBILDER – FRAUENBILDER
Notwendige Dekonstruktionen
„Mit einer Maria, die als duldende und sprachlose Magd gezeichnet wird, können und wollen sich Frauen heute nicht länger identifizieren“, so die Dominikanerin und Theologin Stefanie Aurelia Spendel.14 Gerade hier setzt die kritische Perspektive einer feministischen Hermeneutik an: Sie will die Schleier lüften, die von Männern auf Maria gelegt worden sind, und macht aufmerksam, dass die Marienbilder zutiefst mit den Frauenbildern verwoben sind. Der feministischen Hermeneutik geht es um befreiende Frauenblicke auf Maria, weil dies dann auch befreiende Blicke auf die Frau sind. Den Bildern und den Blicken entkommen wir nicht, aber Frauen lernen, ihre eigenen Bilder zu gestalten und selbst die Schleier zu weben, mit denen Maria geschmückt wird. Die Räume der Erlösung, zu denen Maria einlädt, sollen einladende und befreiende Räume – für Frauen und Männer – sein.
Gerade das große „marianische Jahrhundert“, das 19. Jahrhundert, hat Marien- und Frauenbilder geprägt, die sich bis heute in kirchlichen und theologischen Dokumenten niederschlagen. Der Frau werden – das zeigt sich bis heute in einer klassischen katholischen Theologie der Ehe oder auch des weiblichen Ordenslebens – ganz spezifische Orte zugewiesen, Räume des Privaten, in Haus oder Ordensgemeinschaft. Jungfräulichkeit auf der einen oder Mutterschaft auf der anderen Seite galten als „die“ Ausprägungen des Frauseins, wie es noch Johannes Paul II. in seinem Apostolischen Schreiben Mulieris dignitatem („Über die Würde der Frau“, 1988), skizziert.15 Maria selbst ist immer mehr idealisiert worden, sie wurde – so Elisabeth Gössmann – zum „Inbegriff der Passivität, der Selbstvergessenheit, des schweigenden Duldens“, Sinnbild der Frau und Mutter, die sich still und demütig für Familie und Kinder aufopfert. Aber: „Je höher Maria in der kirchlichen Rangordnung aufstieg, desto niedriger, minderwertiger wurde die Frau, die verheiratete Frau zumal, bewertet.“16 In ihrem Kommentar zu Mulieris dignitatem setzt Elisabeth Gössmann bei dieser Kritik an, sie macht aber deutlich, dass die Enzyklika eine wichtige Korrektur gegeben hat. Maria steht an der und auf der Seite des Menschen, eine „Apotheose“ des Weiblichen in Maria wird vermieden. „Dem entspricht es, wenn Marias Selbstbezeichnung als ‚Magd des Herrn‘ im Sinne ihrer Geschöpflichkeit ausgelegt und wenn sie in einem weiteren Schritt dem Jesus, der sich als ‚Menschensohn‘ bezeichnet, mit seinem Selbstbewusstsein als ‚Gottesknecht‘, an die Seite gestellt wird. Maria eine Vorahnung der erlösten menschlichen Beziehungen in der messianischen Gemeinschaft zuzuschreiben, ist ein der Meditation würdiger Gedanke.“17 Und doch spricht der Papst noch vom Bild der Frau, eine zu kurz greifende Vereinfachung angesichts der Pluralität von Lebensentwürfen. Hier bleibt die Enzyklika Idealisierungen in Theologie und Volksfrömmigkeit des 19. Jahrhunderts verhaftet, auf die Marion Wagner in ihrer Studie Die himmlische Frau. Marienbild und Frauenbild in dogmatischen Handbüchern des 19. und 20. Jahrhunderts hingewiesen hat.18
Die jüngere lehramtliche Mariologie ist von den Impulsen des Zweiten Vatikanischen Konzils angeleitet. Paul VI. hatte in Marialis cultus vom 2. Februar 1974 gefordert, vom „völlig gewandelten anthropologischen Denken und psychologischsoziologischen Empfinden der heutigen Zeit“ her ein neues Marienbild zu zeichnen, das „den Lebensbedingungen der Gegenwart, vor allem den Lebensbedingungen der modernen Frau“, gerecht wird.19 Mit dem Aufdecken von ideologischen Verzerrungen und Eingrenzungen des Marien- und Frauenbildes werden Grundlagen für eine solche erneuerte Anthropologie gelegt. Marienbilder waren vor allem durch das sich seit den späten Schriften des Alten Testamentes und in der Kirchenvätertradition ausbildende verzerrte Bild Evas geprägt. „Von einer Frau nahm die Sünde ihren Anfang, / ihretwegen müssen wir alle sterben“, so der biblische Weisheitstext Jesus Sirach 25,24, der in der allegorischen Interpretation der Kirchenväter zu einer polaren Gegenüberstellung von Eva und Maria führte. Während Eva mit der Sünde verbunden wird, ist Maria die „Reine“, von der Sünde Verschonte. Die Moraltheologin Regina Ammicht Quinn interpretiert auf feinsinnige Weise das Bild im Missale des Berthold Furtmeyr (1470–1501), entworfen für Erzbischof Bernhard von Rohr, auf dem auf den beiden Seiten des Paradiesbaumes Eva und Maria zu sehen sind, zwei identische Frauen, die eine nackt, die andere züchtig bekleidet. „Die nackte Eva“ wird mit „Körperlichkeit, Geschlechtlichkeit und Sünde assoziert“; Maria ist nicht der Körperlichkeit verhaftet, sie steht für ein doppeltes Weiblichkeitsideal, das noch Mulieris dignitatem durchzieht: „das Ideal der Jungfrau-Mutter, der Königin, dem körperfreien weiblichen Ort, der Zuflucht und – spirituelle – Intimität gewährt und das Ideal der demütigen, selbstlosen und sexualitätsfreien Dienerin, die durch ihren Vorsprung der unbefleckten Empfängnis von anderen Frauen nie ganz einzuholen ist, der aber in Selbstverleugnung dennoch nachzueifern ist.“20 Diese „geheimen Körper-Bilder Eva und Maria“ prägen bis heute die Frauenbilder – von Männern und Frauen. Darum tut immer noch eine feministisch-theologische Hermeneutik Not, die zu einer Bilderkritik beiträgt und fehlgelaufene Interpretationen der Schöpfungsgeschichte aufdeckt, vor allem die Assoziation der Frau mit der Sünde und die zutiefst frauenfeindlichen Interpretationsgeschichten des Textes in der christlichen Tradition.21
Der „Sündenfall“ wird als Verlust der Gottebenbildlichkeit interpretiert; durch Jesus Christus, „den“ neuen Adam (1 Kor 15,45), wird diese wiederhergestellt. In der Kirchenvätertradition werden unterschiedliche Interpretationen vorgelegt, die immer mehr der Frau diese auf dem Weg der Erlösung durch Jesus Christus wiederhergestellt Gottebenbildlichkeit absprechen. Der Apologet Irenäus spricht davon, dass nach dem Sündenfall die „Ähnlichkeit“ mit Gott (similitudo) verloren gehe, nicht jedoch die „Bildhaftigkeit“ (imago), und in Jesus Christus wird auch die Ähnlichkeit mit Gott wiederhergestellt. Augustinus geht weiter, indem er im Blick auf die imago und similitudo von Mann und Frau Dualismen transportiert, die aus gnostischen und manichäistischen Traditionen herrühren. Da die Frau mit der Körperlichkeit verbunden wird und nicht mit dem intellectus, wird ihr die imago abgesprochen, der Mann ist Gottes „Ebenbild“, die Frau ist Gott nur „ähnlich“. Die jüngeren exegetischen Arbeiten haben diese Tradition, die durch die theologische Anthropologie des Thomas von Aquin gestützt wurde und gerade darum eine jahrhundertelange Breitenwirkung hatte, aufgebrochen. In der priesterschriftlichen Schöpfungserzählung (Gen 1,27) ist Adam nicht als Eigenname zu verstehen, sondern als Gattungsbezeichnung: Menschheit, Mensch. Die Aussagen über die Gottebenbildlichkeit sind demnach auf Mann und Frau in gleicher Weise zu beziehen. Der Genesistext steht für die Gleichwertigkeit von Mann und Frau und deren gemeinsamer Würde der Gotteskindschaft und Gottebenbildlichkeit. Mann und Frau sind in gleicher Weise als Bild Gottes geschaffen und mit dem gleichen Segen und der Sorge im Blick auf die Schöpfung ausgestattet.
Das ist auch in der Enzyklika Mulieris dignitatem rezipiert worden. Sie bricht die frauenfeindliche Interpretation der Schöpfungsgeschichte auf und sieht in Eva als „Mutter aller Lebendigen“ (Gen 3,20) die „Zeugin des biblischen ‚Anfangs‘, in dem die Wahrheit über die Erschaffung des Menschen nach dem Bild und Gleichnis Gottes und die Wahrheit über die Erbsünde enthalten sind“ (Nr. 11). In gleicher Weise ist Maria „Zeugin des ‚Anfangs‘“ und der „neuen Schöpfung“, weil sie, in ihrer Beziehung zu Jesus Christus, Anteil am Erlösungsgeheimnis gewinnt. Papst Johannes Paul II. hat hier neue Wege bereitet, auch wenn die Mariologie selbst und das in ihr implizierte Frauenbild von den frauenfeindlichen Traditionen gezeichnet sind.
Das Bild Marias verändert sich, wenn die frauenfeindlichen Hermeneutiken entlarvt werden, und Eva und Maria rücken auf eine neue Weise zusammen, als Frauen in aller Leiblichkeit und Körperlichkeit, als Gottes Meisterwerke – beide. „Maria“, so Johannes Paul II., „bedeutet in gewissem Sinne das Überschreiten jener Grenze, von der das Buch Genesis (3,16) spricht, und das Zurückgehen zu jenem ‚Anfang‘, an dem wir die ‚Frau‘ so vorfinden, wie sie im Schöpfungswerk, also im ewigen Plan Gottes, im Schoß der Heiligsten Dreifaltigkeit, gewollt war. Maria ist ‚der neue Anfang‘ der Würde und Berufung der Frau, aller Frauen und jeder Einzelnen“ (Nr. 11). Gott steht zu seinem ersten „Meisterwerk“, zu Eva, trotz aller Schuld und Sünde. Der Paradiesgarten ist nicht verloren, sondern er wird – in heilsgeschichtlicher Perspektive – zu einem befreienden und Zukunft eröffnenden Symbol. Maria – in einem Gebet wie dem Rheinischen Marienlob22 als „Paradiesgärtlein“ bezeichnet – ist ebenso ein „Meisterwerk“, sie wird zum Symbol der göttlichen Zusage wahren und befreiten Lebens für alle, Frauen und Männer. Wenn sich Eva und Maria auf diese neue Weise begegnen, gerät vor allem auch nicht eines aus dem Blick: die ganz konkrete Frau, in der Vielfalt ihrer Lebensentwürfe, in aller Freude, allem Schmerz, in aller Sinnen- und Sinnhaftigkeit, und es werden neue, von falschen Idealisierungen und fehlgehenden Eva-Maria-Typologien befreite Beziehungen zwischen Männern und Frauen möglich.
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