Kitabı oku: «Fröhliches Morden überall», sayfa 2

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2.

Ein herrliches Fleckchen Erde, stellte Margareta einmal mehr fest. Ganz anders als das hektische Ruhrgebiet. Nach einer einigermaßen ruhigen Nacht, einem chaotischen Frühstück mit zwei sich beharkenden Müttern und einem genervten Thomas waren die vier zur Ortsmitte gelaufen. Eleonore hatte geklagt, wieso ihr Sohn nicht den Wagen nehme, Waltraud hatte nichts mehr gesagt.

Margareta suchte die Kirche auf, Thomas ging hinauf zur kleinen Kreuzbergkapelle, während die alten Damen sich in den überfüllten Edeka-Markt pressten. Anschließend wurde im Gasthof Albers, in dem zünftigen, typisch sauerländischen Lokal zu Mittag gespeist. Sie hatten sich darauf geeinigt, das Mittagessen auswärts einzunehmen und den Abend mit Kartoffelsalat und Würstchen im Ferienhaus zu verbringen.

Während Margareta, Thomas und Waltraud das Bödefelder Schnitzel wählten, konnte Eleonore sich nicht entscheiden und machte einen Staatsakt aus der Bestellung. Etliche Male fragte sie sich und die anderen, ob sie ebenfalls das Bödefelder Schnitzel oder lieber das Hunauragout nehmen sollte. Nachdem Thomas, Margareta und Waltraud total genervt waren und der Hunger sie quälte, wählte sie endlich das Schnitzel, änderte jedoch sämtliche Komponenten. Statt Kroketten wollte sie Salzkartoffeln, statt mit Käse überbacken mehr Pilze, statt Rucola mehr Tomaten.

Als sie das Lokal gegen 15 Uhr verließen und bei strahlendem Sonnenschein Richtung Ferienhaus marschierten, beschloss Margareta spontan, eine Wanderung allein zu unternehmen, bevor sie sich der Gemütlichkeit des Heiligen Nachmittags hingeben würde. Thomas schaute sie traurig an, als sie ihm mitteilte, ihn nicht dabeihaben zu wollen.

Sie ging nicht den Waldweg entlang, sondern zurück in Richtung Ortsmitte, bog dann jedoch, bevor sie auf die Graf-Gottfried-Straße kam, rechts ein und lief ortsauswärts, passierte den voll bewirtschafteten Fronenhof und ging weiter über gefrorene Wiesen, den Wald immer zu ihrer Rechten. Links lag in einiger Entfernung die wenig befahrene L740. Irgendwann kreuzte die schmale Nebenstraße Mechterkuse, die zu einem Wanderparkplatz führte.

Ihr Handy klingelte. Der besorgte Thomas wies sie darauf hin, dass es bereits dunkel wurde und sie zurückkommen möge.

»Gleich, gleich komme ich«, vertröstete sie ihn, verspürte jedoch, als sie im Hintergrund die Stimmen der beiden Mütter hörte, absolut keine Lust dazu.

Sie ließ den gestrigen Abend Revue passieren. Eleonore hatte mindestens 20 Mal das Aussehen des tollen Weihnachtsbaumes kommentiert, eine duftende Blautanne, ganz in Blau geschmückt. Ja, es war total nett von der Vermieterin, ihnen einen Weihnachtsbaum aufzustellen, doch irgendwann hatte Margareta es nicht mehr hören können und sich bereits gegen 21 Uhr in ihr Schlafzimmer verzogen, um zu lesen. Thomas war noch bei den Müttern geblieben. Er hatte wohl Angst gehabt, die seine könnte ausrasten, wenn auch er sich vom Acker machte. Margareta hatte Thomas angemerkt, dass er sehr zwiegespalten war. Oft wusste er nicht, für wen er Partei ergreifen sollte: für seine dominante Mutter, der er durchaus hin und wieder die Meinung sagte, oder für seine immerhin fünf Jahre ältere Freundin. Mit seiner Mutter hatte er aber auch kein leichtes Los, dachte sie schmunzelnd. Darf eine zur Witwe gewordene Mutter eigentlich alles?

Von der ach so tollen neuen Strähnchenfrisur war am heutigen Morgen nicht mehr viel übrig gewesen. Eleonore hatte Margareta an einen alten Dachs erinnert.

Waltraud hatte ständig ihren Blick gesucht. Mutter und Tochter waren noch nicht dazu gekommen, sich zu zweit auszutauschen.

Als sie sich vom Wanderparkplatz aus auf den Rückweg am Wald entlang machte, fiel Margaretas Blick auf einen idyllischen Bauernhof im Wald. Magisch angezogen lief sie darauf zu. Inzwischen war es fast dunkel und die Heilige Nacht brach an. Das Wohnhaus lag rechts, die Fenster der unteren Etage waren weihnachtlich geschmückt und beleuchtet. Das Tor des großen Kuhstalls stand offen. Man hörte Metallstangen klirren und das Muhen der Kühe. Neonbeleuchtung schaffte dem Bauern und seiner Frau genügend Licht. Sie waren dabei, die Tiere zu füttern und zu melken sowie die Ställe zu säubern. Eine niedliche, dunkel getigerte Katze kam ihr schnurrend entgegen und rieb sich an ihren Beinen, als wollte sie sagen: »Nimm mich mit, irgendwohin, wo es warm ist.«

Nach einer Weile betrat Margareta den Stall und sah sich neugierig um, nachdem sie die Bauersleute freundlich begrüßt hatte. Die nette Frau grüßte wohlwollend zurück und fragte, was Margareta hier um diese Uhrzeit mache, ob sie sich verlaufen habe.

»Nein, nein, alles in Ordnung. Ich wohne mit meiner Familie in einem Ferienhaus oberhalb von Bödefeld und mache noch eine Abendrunde. Darf ich mir Ihre Tiere hier im Stall ansehen?«

Äußerst zuvorkommend führte die Frau, die sich als Ellen Voss-Grobe vorstellte, herum und erklärte ihr alles. Ihr Gatte, der auf die Hilfe seiner Holden angewiesen war, sah das gar nicht gerne. Die Zeit drängte, schließlich war Heiligabend. Er wollte essen und dann bescheren.

Margareta war von den neugeborenen Kälbchen begeistert, von deren unschuldigen Blicken regelrecht fasziniert. Zärtlich streichelte sie ihnen die warmen Nasen und das kuschelige Fell. Die beiden Ponys wurden bestaunt, anschließend die Ziegen begrüßt und schlussendlich die Hühner. Die Bäuerin verkaufte ihr auf Wunsch zehn Eier von den frei laufenden Tieren. Zufrieden verabschiedete sich Margareta von der Frau, bedankte und entschuldigte sich, ihr heute Abend die kostbare Zeit gestohlen zu haben. Sie trat in der Dunkelheit den Heimweg an, der jedoch gut ausgeleuchtet war. Sie liebte den Bauernhofgeruch von Heu und Stroh, Milch, warmen Tieren und Mist. Als Kind hatte sie etliche Urlaube auf Bauernhöfen verbracht und war die meiste Zeit im Stall anzutreffen gewesen.

Gegen 18 Uhr erreichte sie ein wenig durchgefroren das gemütlich warme Ferienhaus und konnte nicht verstehen, dass Thomas sich Sorgen gemacht hatte. Wer sollte ihr hier in diesem friedlichen Ort etwas Böses antun? Hier, wo bei einbrechender Dunkelheit die Bordsteine hochgeklappt wurden und nur noch Ruhe und Frieden herrschten.

Die beiden Mütter hatten nicht warten können und aßen bereits am spartanisch gedeckten Tisch den Kartoffelsalat, den Waltraud am Vormittag zubereitet hatte.

»Wo warst du?«, fragte Waltraud vorwurfsvoll und griff nach einer dampfenden Wurst.

Als Margareta von dem Besuch des ungefähr zwei Kilometer entfernten Bauernhofs berichtete und ihre Begeisterung über die vielen Tiere kundtat, zog Eleonore die Nase kraus. »Du warst in einem fremden Kuhstall?«

»Ja, wieso nicht? Das war äußerst interessant. Der Bauer und seine Frau bewirtschaften ihn ganz alleine, wie es aussah.«

»Du riechst nach Kuhmist!« Eleonore konnte sich den Kommentar nicht verkneifen. Sie warf einen abfälligen Blick auf den Eierkarton, den Margareta auf die Küchentheke gestellt hatte. »Eier habe ich bereits von Edeka mitgebracht.«

»Diese Eier hier sind von frei laufenden Hühnern, die ich heute persönlich kennengelernt habe. Das kann man nicht vergleichen mit Eiern aus Käfighaltung.«

»Pah«, schnaubte Eleonore.

Margareta, bis zu dem Zeitpunkt in einer friedvollen Heiligabendstimmung, kam die Galle hoch. Dieses abfällige »Pah« brachte das Fass zum Überlaufen. Wieso haben wir die bloß mitgenommen, fragte sie sich, die verdirbt uns die schönen Tage. Sie schaute Thomas an, der ihr jedoch keine Hilfe war. Er aß seine Wurst und starrte auf den TV-Bildschirm. Immerhin hatte er während ihrer Abwesenheit den Kaminofen angeheizt, was nicht nur schön anzusehen war. Die knisternden Holzscheite waren Musik in Margaretas Ohren.

»Lieber nach Kuhmist riechen als nach verschwitzter Oma«, hielt sie dagegen, obwohl sie sich von der Frau nicht provozieren lassen wollte und ihre Worte, kaum ausgesprochen, bereits bereute.

»Ich rieche nach verschwitzter Oma?«, brüskierte sich Eleonore, stand von ihrem Stuhl auf und durchquerte nervös das Zimmer. »Thomas, nun sag doch was«, wandte sie sich an ihren Sohn und rüttelte ihn an der Schulter.

»Margareta, du solltest dich bei meiner Mutter entschuldigen. Schließlich haben wir Heiligabend!«, sagte er kleinlaut.

»Sag mal, tickst du noch richtig? Du schlägst dich auf die Seite deiner Mutter? Außerdem hat sie gestern und heute nicht geduscht. Diese Läppchenwascherei bringt doch nichts. Das ganze Zimmer stinkt nach Schweiß. Und schon wieder hat sie den gleichen Pullover an.« Margareta schämte sich. Musste sie sich auf dieses Niveau begeben? Sie war nicht besser als Eleonore. Nur Waltraud zuliebe blieb sie am Tisch sitzen.

Mit hämischem Grinsen verließ Eleonore wenig später das Wohnzimmer und suchte ihr Zimmer auf. Anscheinend telefonierte sie. Hin und wieder hörte man sie abwechselnd laut auflachen und übel schimpfen.

»Da steckt ein neuer Mann dahinter. Sie hat so Andeutungen gemacht«, brach Waltraud das Schweigen.

»Wie kannst du so etwas sagen«, ärgerte sich Thomas. »Mein Vater ist erst ein knappes halbes Jahr tot. Meine Mutter steckt noch mitten in der Trauerphase.«

»Davon merkt man nicht viel. Sie hat mir jedenfalls von einem Mann erzählt, den sie in der Kirchengemeinde kennengelernt hat. Vielleicht ist ja alles ganz harmlos.« Gedankenverloren trank Waltraud von ihrer Pfirsichbowle, die sie am Nachmittag zusammengeschüttet hatte.

»Mit Sicherheit ist alles ganz harmlos.« Margareta horchte allerdings auf. Eleonore hatte einen neuen Mann? Das ging aber schnell.

Thomas schien fix und fertig. »Mutti hat meinen Vater geliebt. Jawohl! Da sucht sie sich doch nicht so schnell einen neuen Kerl, kaum dass Papa kalt ist. So eine ist meine Mutter nicht!« Er holte sich eine Flasche Pils aus dem Kühlschrank, öffnete sie und trank direkt aus der Flasche.

Margareta fragte sich, wo seine guten Manieren geblieben waren. Haute ihn diese Nachricht dermaßen aus den Latschen?

»Ach, Junge, du hast keine Ahnung. In unserem Alter ist ein halbes Jahr eine lange Zeit. Wenn sie das Glück hatte, jemanden kennenzulernen, ist das doch was Tolles. Wer weiß schon, was morgen ist? Gönnst du ihr das nicht?« Waltraud traten Tränen in die Augen.

»Nein, das Trauerjahr sollte sie einhalten.« Da hatte Thomas klare Vorstellungen.

»Trauerjahr, Trauerjahr. In welchem Jahrhundert lebst du denn?« Waltraud füllte sich ihr Glas erneut mit der köstlichen Bowle und leerte es in einem Zug. Fast hätte sie sich an den Pfirsichspalten verschluckt. Ob sie doch besser, wie Eleonore vorgeschlagen hatte, Glühwein hätte zubereiten sollen? Plötzlich war es um sie geschehen. Sie schluchzte unvermittelt los und sackte regelrecht in sich zusammen. »Ich vermisse Sepp so sehr. Die letzten Jahre habe ich immer mit ihm zusammen Weihnachten gefeiert. Was hatten wir für schöne Zeiten! Dieses Jahr wollte er nicht. Ist bei seiner Frau geblieben.«

»Liebe Waltraud!«, sagte Margareta. Sie nannte ihre Mutter meistens beim Vornamen. »Bleib doch mal objektiv. Wie sahen sie denn aus, deine schönen Zeiten? Die Zeit, die er mit dir verbracht hat, hat er sich gestohlen, und ist danach ganz schnell wieder in die Arme seiner Alten geflüchtet, von der er sich nie lösen wird. Vergiss ihn endlich!« Margareta musste an das Weihnachtsfest denken, an dem sie den alternden Bandleader dieser Altherrencombo zum ersten Mal getroffen hatte. Ihre Mutter hatte ihn in einem zwielichtigen Tanzschuppen für Greise kennengelernt. Es war im Wohnzimmer ihrer Mutter Waltraud im Kreise der engsten Familie gewesen. Der Hesse aus Nidda hatte Unterschlupf bei ihrer Mutter gesucht. Und nicht nur das. Margareta hatte Felix, den Obdachlosen, mitgeschleppt, um ihm schöne Feiertage zu bescheren. Und da hatte auch Sepp am Tisch gesessen, dieser tattrige Opa, der am zweiten Weihnachtstag mit dem Geld aus dem Bankraub in Buer, welches er beschützen sollte, dreist getürmt war. Zum Glück hatte ihn die Polizei geschnappt. Das Geld konnte er daraufhin vergessen. Immer wieder hatte er danach vor Waltraud auf den Knien gelegen und um Verzeihung gebettelt. Immer wieder war er jedoch kurz darauf zu seiner Frau zurückgekrochen und hatte Waltraud ganz schnell vergessen. Gut, dass das jetzt hoffentlich ein Ende hatte.

Während Thomas den Tisch abräumte, betrat Eleonore vergnügt das Zimmer, als wäre nichts gewesen, und setzte sich auf ihren Platz am großen Küchentisch.

»Sag jetzt nichts Falsches«, zischte Margareta Thomas zu, während sie ihm beim Abräumen half.

»Wie wäre es mit einer Runde Halma? Ich habe im Schrank eine Spielesammlung gesehen.« Munter kramte Eleonore das Spiel heraus und setzte sich wieder an den Tisch.

»Wieso nicht«, meinte Thomas. »Spielen wir Halma.«

Der eventuell vorhandene Lover von Eleonore, der treulose Sepp, der Kuhstallmief sowie der Schweißgeruch waren schnell vergessen. Es wurde tatsächlich ein richtig schöner Heiligabend mit Pfirsichbowle, Pils und Spielesammlung und einem herrlichen Kaminfeuer.

Am anderen Morgen, dem ersten Weihnachtstag, hatte es geschneit. Eine ungefähr fünf Zentimeter hohe Schneeschicht überzog die Landschaft.

Thomas lief von Fenster zu Fenster und konnte sich gar nicht beruhigen. Ach, wie schön, ach, wie toll. Bereits fertig angezogen saß er anschließend am Frühstückstisch und wollte schnellstmöglich raus, zu Fuß zum Skigebiet Hunau, ungefähr vier Kilometer vom Ferienhaus entfernt. Auf Eleonores Einwand, er könne doch überhaupt nicht Ski fahren, wurde er knurrig. Nur schauen wollte er, einfach nur schauen.

»Und du? Willst du den ganzen Tag vor dem Fernseher abhängen? Da läuft die 5.000ste Wiederholung der Schwarzwaldklinik, und Waltraud und du starrt gebannt hin, als würdet ihr den alternden Gockel von Professor zum ersten Mal sehen. Seid ihr zum Fernsehen hergekommen?«

»Ich denke, wir haben Urlaub, da können wir machen, was wir wollen«, antwortete Eleonore ihrem Sohn, ohne den Blick vom tollen Professor Brinkmann in seinem wehenden Kittel abzuwenden.

»Ich finde, wir sollten die TV-Zeiten beschränken. Sagen wir: pro Tag zwei bis drei Stunden?«, schlug er vor.

»Bei dir piept es wohl, Junge. Ich entscheide immer noch selbst, wie ich meine Zeit verbringe«, meinte Eleonore.

Wenigstens hatte Mutter Scheffel am frühen Morgen ausgiebig geduscht, dachte Margareta. Und frische Klamotten trug sie auch. Sogar ihre Dachsfrisur hatte sie in Form gebracht. Gar nicht so falsch, mal was zu sagen. Margareta lächelte in sich hinein.

»Ihr zwei könnt hoch zur Kreuzbergkapelle marschieren, von dort aus rüber zum Wanderparkplatz Mechterkuse, und schon seid ihr wieder hier an der Hütte. Sind höchstens acht Kilometer. Bin ich gestern auch gelaufen. Heute ist es viel schöner bei Schnee«, schlug Thomas vor.

»Da hättest du den Bauernhof im Wald sehen müssen, den ich mir gestern angeschaut habe«, meldete sich Margareta zu Wort.

»Habe nicht drauf geachtet.«

»Das ist mir zu weit. Ich habe Hüftprobleme, ich kann nicht so weite Touren machen.« Mit schmerzverzerrtem Gesicht rieb sich Waltraud die rechte Hüfte. »Bis zur Ortsmitte schaffe ich es.«

»Dann lass uns in dieses Café gehen und dort was Schönes zu uns nehmen«, sagte Eleonore begeistert. »Die haben tolle Torten und weiße Trinkschokolade.« An ihren Sohn gewandt: »Und du heize schon mal den Kaminofen an, damit wir es gemütlich haben, wenn wir durchgefroren heimkommen.«

»Später«, antwortete Thomas einsilbig und verließ kopfschüttelnd den Raum. »Torte essen, so schnell nach dem Frühstück«, murmelte er dabei vor sich hin.

Margareta war froh, dass die beiden Frauen sich besser verstanden und sich keine Gemeinheiten mehr an den Kopf knallten wie am Vortag. Am späten Abend hatte Waltraud Eleonore die ganze Sepp-Lovestory haarklein erzählt, was ihr wohl Pluspunkte eingebracht hatte. Doch keine fromme Kirchenmaus, die gute Eleonore? Margareta musste schmunzeln. Hatte sie sich tatsächlich schon einen Kerl aufgerissen?

Arm in Arm schoben die beiden älteren Damen wenig später dick vermummt ab, was Margareta vom Wohnzimmerfenster aus beobachtete. Eleonores lautes Gemecker konnte sie durch die Scheibe hören.

»Hätte uns mit dem Auto mal nach Winterberg fahren können, mein lieber Sohn.«

Dem stimmte Margareta zu. Irgendwie war Thomas schon wie ein bequemer Opa, fand sie. Und das mit 42 Jahren. Trotzdem lächelte sie ihn an, als er sich ihr von hinten näherte.

»Haben wir uns überhaupt schon frohe Weihnachten gewünscht?«, fragte er mit sanfter Stimme und nahm sie in die Arme.

3.

Eleonore war missgelaunt. Sie fühle sich leer. Das Jahr ging zu Ende. Das neue konnte nur besser werden. Nun war Robert schon fast ein halbes Jahr tot. Einen qualvollen Tod hatte er gehabt. Zum Schluss hatte er sich die Lunge aus dem Hals gehustet und nur noch Blut gespuckt, bevor er endlich in ihrem gemeinsamen Schlafzimmer in Herten für immer die Augen schloss. Es war seinem Bergmannsposten unter Tage geschuldet, dass der Krebs seine Lunge aufgefressen hatte. Eine schlimme Zeit, ihn mithilfe des Pflegedienstes zu versorgen. Wie oft hatte sie daran gedacht, einfach das Weite zu suchen und abzuhauen, egal wohin, Hauptsache weg. Doch wäre das christlich gewesen? Er hatte ein Leben lang für sie gesorgt, da war es das Mindeste gewesen, ihn zu pflegen.

Letztendlich war sie froh, bis zum Schluss ausgeharrt und die liebende, sich kümmernde Ehefrau gespielt zu haben. Das hatte ihr besonders bei Pfarrer Ansgar Morgenrot der St.-Johannes-Gemeinde in Herten enorm viele Pluspunkte eingebracht. Voller Hochachtung lobte er sie in der gesamten Gemeinde, in der sie sich vor Roberts Erkrankung kaum hatte sehen lassen. Kirche und das ganze Drumherum gingen ihr am Allerwertesten vorbei, hatte sie jedem erzählt, der sie gefragt hatte, wieso sie nicht am Gemeindeleben teilnahm.

Wie rührend sich der Pfarrer trotzdem nach Roberts Tod um sie gekümmert hatte und es noch tat, verwunderte sie. Er hatte bei den zahlreichen Hausbesuchen in ihre verweinten Kuhaugen gestarrt und sich – wieso auch immer – verpflichtet gefühlt, genau diesem Schäfchen seine volle Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Diese beschränkte sich nach der Beisetzung zunächst auf die Vorbereitung des sonntäglichen Gottesdienstes am Samstagnachmittag. Nicht gerade nett von ihm, Ursula Kaminski diesen Posten zu entziehen und ihn Eleonore aufs Auge zu drücken. Besondere Umstände veranlassen ihn dazu, hatte er versucht, der Kaminski einzureden, die oft sehr zudringlich wurde. Kerzenständer polieren, Altarblumen dekorieren, Gesangsbücher ordnen, Messwein auffüllen und seinen Talar abbürsten zählten zu den Aufgaben einer Samstagnachmittagshelferin. An Eleonore war eine Schauspielerin verloren gegangen, so gut spielte sie ihre unterwürfige Rolle.

Wenig später hatte er sie in die Seniorenstube eingeführt. Da biss er bei dem alteingesessenen Stamm allerdings auf Granit. Vier Frauen der ungefähr 20 Mitglieder waren seit vielen Jahren befreundet und trafen sich auch privat. Dazu zählte Ursula Kaminski, was die Sache nicht leichter machte. Carola Blasius, Angelika Thomas und Petra Halstenbach empfand Pfarrer Morgenrot auch als aufdringlich, jedoch längst nicht so unerträglich wie die Kaminski. Eleonore hatte sich mächtig ins Zeug gelegt, um von dieser kleinen Gruppe wahrgenommen zu werden und sich ihr anschließen zu dürfen.

Nach Roberts Tod hatte sich Eleonore einer aufwendigen Rundumerneuerung unterzogen, wozu eine neue Frisur gehörte, die diese altbackene Haarpracht abgelöst hatte. Die gesamte Omagarderobe war in Säcken zum Roten Kreuz gewandert, die riesigen hautfarbigen Baumwollschlüpfer mit Bein hatte sie durch tolle Dessous in den schönsten Farben ersetzt. Sie hatte ein stattliches Sümmchen vom Sparkonto abgehoben und sich neu eingekleidet. Thomas und seine Margareta hatten Bauklötze über die Verwandlung gestaunt, jedoch nichts gesagt.

Trotz ihres Alters von 72 Jahren, war Eleonore eine schöne Frau, fand sie. Das Leben als Hausfrau und Mutter hatte ihr viel abgefordert in den vergangenen Jahren. Sie hatte regelrecht gespürt, wie dieses Leben tagtäglich Unze für Unze ihres Sex-Appeals auffraß. Was war zum Schluss von ihr geblieben? Ein einsames, übel aussehendes, verkümmertes Mütterlein, das seine Zeit am Herd verbracht hatte.

Nun erwachte wieder Leben in ihr. Nach der äußerlichen Veränderung fühlte sie sich mindestens zehn Jahre jünger. Grund für die Veränderung war jedoch nicht das hinterlistige Frauenquartett aus der Seniorenstube, das ging Eleonore sonst wo vorbei. Interessant war für sie einzig und allein das männliche fünfte Rad am Wagen: nämlich Fritz. Fritz brachte Saiten in ihr zum Klingen, die sie längst vergessen geglaubt hatte. Die vier Weiber betrachteten diesen Mann als ihr Eigentum und umgarnten ihn. Komischerweise waren sie dennoch nicht eifersüchtig aufeinander.

Fritz genoss das. Bei jedem Kompliment, das aus einem der Frauenmünder kam, schwoll ihm der Kamm. Fritz Wennemann war 72 Jahre alt, groß und schlank, dunkelhaarig mit grauen Strähnen. Stets modisch gekleidet und wunderbar duftend. Unter seinen markanten Augenbrauen wachten braune Augen, die wie eine Überwachungskamera hin und her wanderten und denen nichts entging. Sein äußerst charmantes Lächeln setzte er ein, wo immer er es für angebracht hielt, dazu ein flotter Spruch, den er aus seinen schönen Lippen fallen ließ, und die Frauen schmolzen dahin. Er wusste, was weibliche Wesen, besonders die älteren grauen Mäuse, hören wollten. Das hatte er wahrscheinlich in seiner jahrzehntelangen Tätigkeit als Kneipenwirt zigmal getestet. Doch er besaß noch etwas, auf das die Damen scharf waren, und zwar einen silbernen Volvo V70, mit dem er die pfundige Carola Blasius regelmäßig zum Wochenmarkt fuhr, obwohl sie selbst einen fahrbaren Untersatz hatte. Außerdem half er ihr beim Marmelade-Einkochen, die sie anschließend bei Veranstaltungen zugunsten benachteiligter Leute verscherbelte.

Allein vom Äußeren her war die stets hilfsbereite Carola kein Frauentyp, der zu Fritz passte. Mit ihrem grauen fettigen Haarknoten im Nacken und der verwaschenen Trachtenkleidung am Leib passte sie eher in den Schwarzwald auf einen maroden Bauernhof als in den Kohlenpott.

Die mollige Angelika Thomas, ebenfalls Trägerin einer Knotenfrisur, erkochte sich das Herz von Fritz mit Rindsrouladen und Stielkottelets. Ihr gehörten der Dienstag und der Donnerstag. Fritz kutschierte sie zum Einkaufen und zum Friseur, der ihr den gefärbten Wischmopp im Nacken aufbrezelte. Eleonores Vorstellungsvermögen reichte nicht aus, um sich Fritz vorzustellen, wie er die biedere Angelika über ihre geblümte Tagesdecke zog und dabei das Haarkunstwerk in Unordnung brachte.

Die streitsüchtige Petra Halstenbach, die Mineralwasser soff, als bekäme sie dafür einen Preis, fuhr er zum Getränkemarkt und zum Tennis. Auf dem Tennisplatz war Fritz allerdings nur Zuschauer. Er durfte der tollen Petra zusehen, wie sie mit ihrer raspelkurzen grauen Kerlsfrisur altersschwache, sabbernde, arg zitternde Männer zum Match herausforderte. Warum Fritz sich das antat, erschloss sich Eleonore auch nach Monaten nicht.

Dann wäre da noch die langnasige Ursula Kaminski, die Fritz einmal die Woche zu ihrer Tochter nach Dortmund fuhr. Als Belohnung lud sie ihn auf eine Bottroper Schlemmerplatte in der angeblich besten Pommesbude im Ruhrgebiet ein, in den Distel-Grill in Herten.

Fritz tat das alles, ohne zu murren, man hatte tatsächlich das Gefühl, er mache das gern. Mit wem er sich heimlich, zu was auch immer, traf, blieb sein Geheimnis. Eleonore musste sich schwer zusammenreißen, um bei den Cafébesuchen, zu denen sie Fritz einlud, nicht über die vier Frauen abzulästern und Hass zu schüren. Kommt Zeit, kommt Hetzen, sagte sie sich. Also lächelte sie nur, starrte auf Fritz’ sehnige Hände mit den gepflegten Fingernägeln und sprach stets Gutes, wenn Fritz sie auszuhorchen versuchte. Immerhin gehörte ihr der Sonntag, was eine große Auszeichnung und den vier Gegnerinnen ein Dorn im Auge war. Stolz ließ sie sich in die schönsten Cafés am Rande des Ruhrgebiets kutschieren, um den Anekdoten des lebenserfahrenen Fritz zu lauschen und dabei herrliche Torten zu verspeisen. Im Blick immer seine schönen Hände, die sie gerne überall an ihrem Körper spüren würde.

Eleonore wusste nicht, dass er für die Maniküre seiner langen Griffel jede Woche 35 Euro investierte, was seine Wirkung bei Frauen anscheinend nicht verfehlte. Dafür sparte er bei der Fußpflege. Seine Hornhauthacken, die man mittlerweile ordentlich mit dem Hobel bearbeiten konnte, sah sowieso niemand. Seine Devise lautete: Nachts sind alle Hacken grau, und notfalls kann man die Socken dabei anlassen.

Der Schnee knirschte bei jedem ihrer Schritte. Ihr Weg führte sie durch verschneite Felder Richtung Ortsmitte, zur Pfarrkirche St. Cosmas und Damian in Bödefeld, zum Jahresabschlussgottesdienst. Ewig mit Thomas, Margareta und Waltraud abzuhängen, nervte sie. Die beiden Verliebten zu beobachten, gab ihr jedes Mal einen Stich und machte sie wütend. Waltraud, mit der sie sich in den letzten Tagen arrangiert hatte, konnte sie auch nicht immer um sich haben. Obwohl ihre Geschichten, die sie ihr in den letzten Tagen von Combo-Sepp erzählt hatte, sehr lustig waren. An den Nachmittagen zwischen den Jahren hatte sie täglich mit Waltraud in dem schönen Café in der Ortsmitte gesessen und sich durch das Tortenangebot geschlemmt. Zwei Sorten pro Tag. Waltraud war jedenfalls besser als diese ollen Weiber des Quartetts aus der Seniorenstube. Ob Fritz Waltraud attraktiv finden würde? Ihre lustige Art wäre was für ihn, da war Eleonore sich sicher.

Sie hätte in den vergangenen Tagen gerne Ausflugsfahrten in die herrliche winterliche Gegend gemacht, doch dazu hatte sie ihren Sohn nicht überreden können. Er wolle seine Ruhe haben und seine Beine benutzen, hatte er auf ihre Bettelei nach einer Ortsveränderung geantwortet. Nein, er wolle nicht nach Winterberg. Viel zu voll, viel zu laut, zu viele Holländer, zu viel Alkohol, nichts für ihn.

Einem Abstecher nach Schmallenberg in die Falke-Strumpffabrik hatte er nur zugestimmt, weil Margareta dort hinwollte und sie ihm einen Sehnsuchtsblick schenkte. Das riesige Warenangebot hatte Eleonore begeistert, aber auf der Rückfahrt hatte sie sich schwarzgeärgert über die Summe, die sie dort ausgegeben hatte. Und das für Strümpfe und ein paar Schlüpfer. Und einen blauen Pullover für ihren Sohn, das war der dickste Posten auf der Rechnung. Ob sie für Fritz auch so ein schickes Teil hätte kaufen sollen? Diese Frage hatte sie die ganze Rückfahrt über gequält. Nein, hatte sie sich letztendlich gesagt. So hoch war ihre Rente schließlich nicht.

Vorhin beim Kaffeetrinken hatten die anderen sie aus großen Augen angeblickt, als sie verkündet hatte, dass sie gern den Gottesdienst besuchen würde. Waltrauds Angebot, sie zu begleiten, hatte sie abgelehnt. Eleonore wollte für sich sein, ihren Gedanken freien Lauf lassen. Gedanken, die sie immer wieder zu Fritz führten. Eben noch hatte sie mit ihm telefoniert. Bald würde sie wieder bei ihm sein. Er hatte sie zu sich in sein Heim eingeladen. »Fernsehabend, ein bisschen knabbern und so weiter«, hatte er am Telefon verlauten lassen. Was er mit »und so weiter« meinte, malte sie sich jetzt auf ihrem Weg zur Kirche aus, sah seine Hände vor sich und hoffte, die Worte richtig gedeutet zu haben.

Wie er den heutigen Silvesterabend verbrachte, wollte sie nicht wissen. Ob mit seinem Sohn und dessen Familie oder mit einer dieser vier Weiber, was ihr gar nicht in den Kram passen würde. Händchenhaltend, Nüsse knabbernd und um Mitternacht Sekt trinkend. Vielleicht mit Angelika, diesem Besen? Oder mit der biederen Carola? Bloß nicht daran denken, schalt sie sich.

Sie zog sich die rote Mütze tief ins Gesicht und schloss den blauen Thermomantel hoch am Hals. Es herrschten noch immer Minusgrade. Eleonore sehnte sich nach Frühjahr und Wärme, blühenden Blumen und mehr. Der Schneefall, der vor einigen Minuten eingesetzt hatte, nahm an Intensität zu. Die ansonsten schöne Eisenbahnlandschaft wirkte wenig einladend auf sie in dem harten Winter und zu dieser späten Stunde. Vor ihr lief ein schnatterndes Paar, wohl ebenfalls der Kirche entgegen. Angst verspürte sie kaum. Der Weg war beleuchtet, der Schnee schaffte zusätzliche Helligkeit.

Sie fragte sich zum wiederholten Mal, wieso sie mitgefahren war. Wieso hatte sie zugestimmt, als ihr Sohn sie zu diesem Weihnachtsurlaub eingeladen hatte? Weil er es gut meinte und sie aus dem Trauerloch holen wollte? Wahrscheinlich. Dabei befand sie sich nicht in diesem Loch, das er ihr einzureden versuchte. Er sagte, sie sehe bald wieder Licht am Ende des Tunnels. Dabei war sie längst am Ende des Tunnels angekommen. Was sie sah, war jedoch kein Licht, sondern Fritz. Nur Fritz. Doch Fritz sollte vorläufig ihr Geheimnis bleiben. Trauerjahr abwarten? Quatsch, sie trauerte ja gar nicht. Zwei Tage musste sie noch aushalten, dann ging es heimwärts, zurück nach Herten.

So schlecht war dieser Urlaub nicht gewesen, stellte sie fest. Ihr Sohn und auch Margareta samt Mutter hatten sich alle Mühe gegeben, es ihr recht zu machen. Obwohl, Margareta hatte sich schon sehr rar gemacht. Während Thomas durch die verschneiten Wälder streifte, hing sie auf diesem Bauernhof ab und stank bestialisch, wenn sie heimkam. Und dann diese ewige Knutscherei der beiden vor dem Fernseher. Thomas hätte durchaus etwas Rücksicht nehmen können. Fritz hatte sie noch kein einziges Mal geküsst. Über ihr Haar hatte er gestrichen. Eine kleine, zarte Geste.

Eleonore seufzte. Alles war besser, als jetzt bei denen am Tisch zu sitzen, in diesem Haus am Wald, und schon wieder Kartoffelsalat mit Würstchen zu essen. In der Kirche würde sie sich Fritz ganz nahe fühlen. Später stand Bleigießen auf dem Programm. So ein Unsinn. Das hatte sie bereits gehasst, als Thomas noch klein war und sie es zu Silvester praktiziert hatten. Vater und Sohn hatten gelacht wie Verrückte, wenn sie was angeblich besonders Originelles gegossen hatten. Nur Dreck hatte das gemacht. Löcher in Tisch und Tischdecke. Und gestunken hatte es außerdem.

Türler ve etiketler
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22 aralık 2023
Hacim:
283 s. 6 illüstrasyon
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9783839269107
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