Kitabı oku: «Apostasie», sayfa 6
diez
Während José von ketzerischen Küssen träumte, plagte Chiara in dieser Nacht die Schlaflosigkeit.
Als sie sich ihr Nachthemd angezogen hatte, stellte sie sich vor dem Schlafengehen an ihren kleinen Spiegel. Das Spiegelbild zeigte Josés Hand, die ihr sanft die Schläfe berührte, als befürchtete er, dass sie jeden Moment zerbräche.
Was geschah mit ihr? Sie schüttelte ihren Kopf, um diese dummen Gedanken zu vertreiben. Wie ein gewöhnliches Mädchen, das nicht an der Religion gebunden war, warf sie sich nonchalant auf das Bett und steckte ihr Gesicht in das Kissen.
In dieser Nacht schlief sie sofort ein und hatte zum ersten Mal ihre Gebete vergessen, die sie stets vor dem Schlafengehen rezitierte. Dadurch fügte sie etwas Weiteres auf ihrer Liste an Ereignissen hinzu, die sie nie zuvor getan hatte. Erst am nächsten Morgen erkannte sie ihr Fehlverhalten und bemerkte, dass sie immer nachlässiger wurde. Sie nahm sich vor, wieder die alte Chiara zu werden, die ihren lieben Gott niemals vergisst.
Als sich Chiara und José am späten Nachmittag zum Unterricht sahen, waren sie dieselben Personen wie immer: Er glaubte alles unter Kontrolle zu haben, einschließlich seiner Gefühle, während Chiara unfähig war zu sehen, dass ihr Wunsch ihm zu helfen, nichts mit Nächstenliebe zu tun hatte.
Wie sie am Tag zuvor abgesprochen hatten, berichtete an diesem Nachmittag José aus seinem Leben.
Er erzählte ihr von seiner Kindheit in Granada und von seinem Vater. Er beschrieb ihr Alhambra und wie idyllisch das Schloss war, welches über der Stadt thronte, so dass Chiara neugierig wurde.
„Ich war noch nie im Ausland“, offenbarte Chiara niedergeschlagen.
„ ¿Por qué?“, fragte er, aber Chiara konnte nicht antworten, sie ließ stattdessen ihren Blick im Ambiente und das Kloster wandern.
Er verstand.
„Es ist nicht einfach“, fuhr sie fort, bevor José ihr zu widersprechen versuchte.
„ Pero, nichts ist unmöglich.“
Chiara lächelte.
„Es heißt però, nicht pero“, korrigiert sie ihn, um das Thema zu wechseln. „ Pero ist ein Baum.“
Er stöhnte. „Chiara, estás wirst du unsympatisch.“
Zum Glück fing Chiara langsam an, den Josés Humor zu verstehen. Sie betrachtete ihn mit einem Lächeln, das einem Sonnenstrahl glich, in dessen Leuchten er sich verlor.
Es war herrlich zu lachen, dachte Chiara und verstand nicht, warum manche Geistlichen ausgesprochen ernst waren, als wenn sie heitere Gesichtszüge verabscheuten, welche die Fröhlichkeit ins Gesicht malten.
Unter verschiedenen Pausen und Korrekturen erzählte José weiter von seinem Leben, vom märchenhaften Granada und seiner vergangenen Arbeit auf den Schiffen. Er vertraute Chiara an, wie sehr er das Meer liebte und dass er sich auf ihnen frei fühle.
„ Yo quiero el olor del mare, ich liebe den Geruch des Meeres ...“, vertraute er ihr an. „Ich fühle mich auf ihm lebendig und libre.“
Freiheit. Fröhlichkeit und Freiheit.
Chiara sann im Geiste über diese Worte und wunderte sich über ihre Kraft.
Priesterschule
In der Tat erwiesen sich die Befürchtungen von Elena als begründet.
Es verging geraume Zeit, bis sich Michele und Elena sahen. Elenas Besuche an der Priesterschule waren durch die religiöse sowie väterliche Strenge begrenzt.
Michele war in eine Priesterschule gezogen, die wenige Stunden vom Zuhause entfernt war. Die kurze räumliche Distanz musste mit der Theologie wetteifern, welche die religiöse Welt von der gewöhnlichen trennte.
Das erste Mal als Elena in einen Zug stieg, der in Richtung des Dorfes fuhr, in das Michele gezogen war, war an einem regnerischen Sonntag im Oktober, mehrere Wochen nach dem Aufbruch ihres Bruders.
Elena wusste, dass ihre Eltern ihr nicht erlaubten, ihren Bruder zu besuchen. Sie schlich sich somit bei Sonnenaufgang heimlich aus dem Haus, wobei sie einen Zettel, den sie aus einem Schulheft gerissen hatte, auf der Konsole neben der Tür hinterließ. Er enthielt folgende Notiz:
Ich bin mit Maria an den See gegangen, bis heute Abend.
Elena
Ehrlich gesagt bezweifelte sie, ob ihre Eltern das glauben würden, aber um ihren Bruder zu besuchen, war sie bereit, das Risiko einzugehen.
Sie stieg somit in den gleichen Zug, den Michele vor ein paar Wochen genommen hatte. An einem Fenster sitzend, genoss sie die Bilder, die draußen an ihr vorbei schnellten.
Distanz bedeutete Freiheit.
Elena glaubte zu fliegen. Endlich ging sie fort, auch wenn nur für einen Tag, fort von diesem Käfig, der ihre Flügel zwang, geschlossen zu bleiben.
Aber dieser Tag gehört nur mir und Lele. Endlich! Wie als wir Kinder waren und zum See gingen, um Steine ins Wasser zu schmeißen, wetteifernd, wer am weitesten wirft.
Elena musste in diesem Moment an eine Anekdote in ihrem Leben denken: Als Kinder war sie mit Michele an einem Fluss entlang gelaufen, um auf einen kleinen Wasserfall zu stoßen, von dem ein kleines Rinnsal Wasser bergab floss. Zuerst sind sie ihm bergab gefolgt, der wenig geneigt war. Schließlich erreichten sie den See, der dem heißen August unbeeindruckt widerstand.
Schritt für Schritt, teilweise mit der Hilfe des anderen und teilweise allein kamen sie am Fuße des Wasserfalls an und sprangen in den flachen See. Als sie auftauchten, wollte Elena für sie beide eine Hütte bauen, in der sie sich zurückziehen würden, wenn sie der Vater ausschimpfte.
„ Auf, setzen wir den ersten Stein!“, rief die kleine Nymphe und zeigte auf ein paar Felsen in der Nähe.
Sie verbrachten die nächsten paar Stunden, indem sie Steine aufeinander setzten und versuchten vergeblich, die Struktur eines Hauses nachzubauen. Schließlich betrachteten die Geschwister erschöpft ihr ausgesprochen enttäuschendes Ergebnis.
„ Und wenn wir uns hier ohne Hütte zurückziehen?“, hatte Michele belustigt gefragt und betrachtete das Stonehenge in Miniatur.
Elena lachte von ganzem Herzen.
Der Zug war am Ziel angekommen und die Passagiere stiegen mit ihrem Gepäck, Mänteln und Hüten aus. Die Edelmänner trugen Spazierstöcke mit Silberknauf bei sich, die Damen bestickte Sonnenschirme.
Elena trug weder Gepäck noch Sonnenschirm, sondern ihre kleine Ledertasche und eine Tüte mit Süßwaren für Michele.
Sie verließ den Bahnhof und durchlief zu Fuß das Dorf. An der Stadtmauer angelangt, die den Ort umgrenzte, fragte sie einen Mann auf einem Fahrrad, wo sich die Priesterschule befände.
„ Die liegt zu Fuß 20 Minuten entfernt, Fräulein. Folgen Sie der Hauptstraße und biegen Sie in die Abzweigung auf der linken Seite. Von dort ist sie beschildert.“
„ Vielen Dank!“
„ Schönen Tag!“, antwortete der Mann, betrachtete Elena und dachte sich, dass eine solche Schönheit besser der Priesterschule fern bleiben sollte.
* * *
Große, hellwache Augen in den Farben einer Haselnuss. Helles Haar, in der Farbe nicht vollkommen reifer Kastanien. Ein dünner, schlanker Körper in einem roten Mantel, der sie wie eine Puppe aussehen ließ.
Nein, der Rektor wäre nicht erfreut, sie herein zu lassen, dachte Carlo. Andererseits konnte er Geschwistern einen Kurzbesuch nicht verbieten, es handelte sich immerhin um ein Familienmitglied. Widerwillig ließ er sie eintreten und führte sie zum Innenhof.
„ Warten Sie hier, Michele wird in Kürze erscheinen.“
Elena wartete unter den Arkaden des Gartens auf ihn.
Michele musste seine Schwester nicht beim Namen nennen. Sobald er den Innenhof betrat, spürte Elena seine Anwesenheit. Sie wandte sich um und beschaute für ein paar Sekunden den jungen Mann, der ihr gegenüber stand. Er war ihrem Bruder, den sie innig liebte, ähnlich und doch anders. Im langen schwarzen Gewand stand Michele vor ihr, hielt das obligatorische Buch in der Hand und betrachtete sie mit sanftem Blick.
„ Lele!“ Ungestüm lief sie ihm entgegen, um ihn zu umarmen. Dieser zog sie an sich und ließ sie wie zu Kindeszeiten einem Karussell gleichend um sich kreisen. „Gott, was hast du mir gefehlt!“
„ Du hast mir ebenfalls gefehlt, Elena. Aber bitte erwähne nicht zwecklos den Herrn. Zumindest nicht hier, sonst holen dich meine Brüder.“ Er versetzte ihr einen Klaps auf die Wange, aber Elena stellte sich mürrisch.
„ Wer hat den Hochmut und nennt dich Bruder ?“
„ Na tu nicht so! Du weißt, dass wir uns alle Brüder nennen, da wir die Söhne Gottes sind.“
„ Ich weiß, ich weiß!“, erwiderte sie die Augen verdrehend. „Aber ich habe weiterhin den Vorrang.“
„ Sohn Gottes zu sein ist auf jeden Fall besser als Sohn unseres Vaters zu sein“, wollte sie noch hinzufügen, schwieg aber.
Sie verbrachten ein paar Stunden im Innenhof, liefen auf und ab, während sie über alles sprachen, was sie sich zu erzählen hatten. Die Zeit vergeht viel zu schnell, wenn wir sie mit dem verbringen, den wir lieb haben. Die Glocken der Priesterschule schlugen zum Angelusgebet und Michele wurde zum Abendessen gerufen.
„ Ich muss gehen Elena“, bedauerte Michele und drehte sich zur Eingangstür der Priesterschule. „Ich kann dich nicht mitnehmen, aber ich werde den Rektor fragen, ob es möglich ist, dich nochmals hereinzulassen.“
„ Wer hat behauptet, dass deine hübsche Schwester nicht mit uns essen kann?“, fragte eine autoritäre Stimme hinter ihnen, während sich eine Gestalt vor dem Licht des Innenhofs abzeichnete.
„ Herr Schuldirektor“, Michele senkte den Kopf, „wie sie gehört haben, bitte ich um Erlaubnis, den heutigen Nachmittag mit meiner Schwester zu verbringen. Sie ist allein gekommen, es würde mir leid tun, sie schon nach Hause schicken zu müssen.“
Er dachte bedrückt: ‚Wo sie keinen umgänglichen Vater vorfinden wird, der ihr die Flucht verzeiht.‘
„ Ich habe alles gehört und frage mich, warum du sie nicht eingeladen hast, mit uns zu Mittag zu essen“, lächelte er. Er beäugelte sie, Elena aber trat einen Schritt zurück, ohne zu wissen warum. Dann gewann sie ihre Fassung zurück und erwiderte das Lächeln des freundlichen Rektors.
Genau genommen wusste Michele nicht, ob er sich über die Güte des sonst steifen Rektors freuen sollte oder nicht. Er akzeptierte das Angebot und nahm seine Schwester bei der Hand, um sie allzeit zu beschützen.
Sie saßen an einem Tisch neben der Wand und warteten auf das Erscheinen aller anderen „Brüder“, um zu beten. Dabei fühlte sich Elena unwohl und mit ihr Michele.
Es ist schwer, sich vor den Todsünden zu bewahren. Manchmal ist die Unterdrückung nichts anderes als eine Form des Aufrufs zum Begehren. Plötzlich starrte alle (oder fast alle) das junge, hübsche Mädchen mit neugierigen Blicken an, teilweise wenig religiös und zum Teil feindselig.
War es die ungewohnte Anwesenheit von Elena? Michele wusste es nicht. In dieser Situation nahmen sie ein weiteres Hindernis wahr, dass sich ihnen in den Weg stellte, so dass Elena nicht häufig zur Priesterschule kommen konnte.
Schlimmer als das Verabschieden war die Heimkehr, wo ihr Vater mit verschränkten Armen und verdrossenem Gesichtsausdruck hinter der Tür saß und auf Elena wartete.
Elena stand vor einer Mauer aus Ärger.
„ Entschuldigung, ich komme spät, aber ...“ Sie konnte den Satz nicht beenden, als ihr eine schwere Hand ins Gesicht schlug. Elena führte instinktiv ihre schlanken Finger zur brennenden Haut. Ein weiterer Schlag folgte. Geduckt stürzte sie zur Treppe.
„ Wo warst du, kleine Schlampe?“, fluchte der Vater. Da er ihren Arm nicht erwischt hatte, versuchte er sie an den Haaren zu packen.
„ Papa, lass mich, bitte!“, schrie Elena, während er sie zu sich heranzog. „Ich habe nichts verbrochen, das schwöre ich! Ich war ...“ Ein weiterer Schlag ließ Blut aus ihrem Mund tropfen.
„ Lüg mich nicht an! Du warst nicht mit Maria zusammen. Wir haben ihre Mutter in der Stadt getroffen! Wo warst du?! Mit wem warst du zusammen?“ An den Haaren zog er sie zur Couch. Die starke und doch empfindliche Elena schützte sich mit den Händen ihren Kopf und ihr Gesicht.
„ Wo warst du?“, donnerte ihr Vater erneut, während ihre Mutter sie wortlos von der Küchentür aus anstarrte.
„ Ich war bei Michele ...“, flüsterte sie resignierend. „Er hat mir gefehlt, deshalb bin ich zu ihm gefahren.“
„ Warum hast du uns nicht darüber informiert?“, schaltete sich die Mutter ein.
„ Weil ich dachte, dass ihr mich nicht gehen lasst.“
Für ein paar Sekunden herrschte im Hause Gentile Stille und Elena dachte, dass sie ihre Flucht verstanden hätten. Die Stille und die Illusion weilten nur für einen kurzen Augenblick.
„ Genau“, fuhr ihr Vater mit kalter Stimme fort. „Hast du dich gefragt, warum wir dich nicht hätten gehen lassen?“
Elena starrte ihm terrorisiert in die Augen.
„ Schau mich nicht mit diesem gefälscht unschuldigen Blick an!“
Sie senkte umgehend ihren Blick, aber der nächste Schlag ließ nicht auf sich warten und ließ sie wie ein Kaninchen vor dem kreisenden Adler zusammenkauern.
„ Ich habe nichts Böses getan ...“, flüsterte sie mit fadendünner Stimme. Mutig hielt sie seinem angsteinflößenden Blick stand: „Ich war bloß bei meinem Bruder. Mir ist nicht verständlich, warum ihr euch nicht im Geringsten um meine Gesundheit sorgt. Warum war ich weg ohne es euch mitzuteilen? Ihr fragt euch mit wem ich zusammen war und was ich mache. Warum aber versucht ihr nicht eure Tochter zu verstehen?“
„ Freche Göre! Wage es nicht nochmal, deinem Vater Widerworte zu geben!“ Er packte sie erneut an den Haaren. „Du sollst deinen Bruder nicht besuchen, weil du eine kleine Dienerin des Teufels bist. Michele soll durch dich keine Probleme bekommen!“
„ Sie ist zur Priesterschule gegangen!“ Die Mutter richtete ihre Augen und Arme nach oben als wäre das ein schrecklicher Skandal. „Sie ist zur Priesterschule gegangen, um dort mit ihrem Gesicht einer kleinen Hure Unruhe zu stiften!“ Dann verschwand sie in der Küche und murmelte undefinierbare Sätze.
Elena konnte nicht begreifen, was sie ihren Eltern getan hatte, dass diese sie derart verachteten. Sie befreite sich aus dem Griff des Vaters und eilte in Richtung Zimmer. In ihrer Hast rempelte sie an den Couchtisch, auf dem eine fast leere Weinflasche und ein Tulpenglas standen, die zu Bruch gingen.
Blutrot war der Fleck, der sich auf dem Teppich ausbreitete und in die Textur des Gewebes drang. Ein beißender Geruch an Alkohol füllte die Luft. Elena starrte einen Augenblick auf das Szenenbild. Dieser kleine Schaden würde ein weiterer Grund für übertriebene Vorwürfe sein. Sie versuchte nicht das Missgeschick zu beheben, sondern hastete zielstrebig die Treppe zu ihrem Zimmer hinauf, um. weiteren Gräueltaten zu entgehen.
In dieser Nacht erwachte Michele mit schweißgebadeter Stirn und schwerem Atem, da er glaubte, Elena schreien zu hören.
Zum Glück war es nur ein böser Traum!
once
Die Zeit verflog wie ein Rosenblatt, das sich an einem Herbsttag aus der Blütenkrone löst und vom Wind in ferne Länder transportiert wird. Die Wochen vergingen schnell ab dem Tag, an dem Chiara und José den Unterricht aufnahmen.
Zwischen Chiaras humanitären Arbeiten und Josés Arbeiten als Landarbeiter erschien der Unterricht von vier bis fünf Uhr als ein Moment der Entspannung.
In diesen 60 Minuten lernten sie neben dem Italienisch mehr voneinander und fanden im jeweils anderen einen Freund, den sie nicht erwartet hatten zu begegnen.
Aber Chiara merkte, dass José etwas aus seiner Vergangenheit vor ihr verbarg. José hingegen fragte sich, warum das hübsche Mädchen beschlossen hatte, ihr Gelübde abzulegen.
‚ Wie dumm ich bin! Wie kann ich mir derart offensichtliche Fragen stellen?‘, fragte er sich. ‚ Sie hat sich es einfach gewünscht.‘
Andererseits fragte sich Chiara, warum er seine Arbeit auf den Schiffen aufgegeben hat, zumal er die Arbeit zu mochte. Warum war er ausgerechnet hier gelandet? - In den weltverlassenen Hügeln von Florenz.
„Wie lange bleibst du?“, hatte sie ihn kurz vor Schluss einer Unterrichtseinheit gefragt.
Er war von dieser Frage überrascht. Er hatte bisher nicht an den Zeitpunkt gedacht, an dem er das Kloster verlassen würde.
Er betrachtete Chiara bevor er ihr antwortete und bemerkte ein leichtes Zittern ihrer Hände, als hätte sie Angst vor der Antwort.
‚ Aber wo denkst du hin‘, dachte er .
„Ich hoffe noch lange Zeit zu bleiben“, gestand er mit ernstem Gesichtsausdruck und ihr Zittern hörte auf.
Was wollte er mit diesem Satz sagen? Chiara konnte ihn nicht verstehen, aber sie errötete sobald Josés Lippen diese Worte aussprachen, obwohl es sie nicht beunruhigte, was er ihr anvertraut hatte.
Chiara errötete, da sie bemerkt hatte, dass sie für einen Augenblick (aber nur für einen Augenblick) seinen Mund intensiv beäugelt hatte.
‚ Wie viele Mädchen hat er geküsst?‘, fragte sie sich als sie seine Lippen betrachtete, die von einem leichten Stoppelbart umgeben waren. ‚ Haben sie versucht José Velasco zu küssen?‘
„Ich muss jetzt gehen“, beendete sie den Unterricht und ging schnellen Schrittes aus der Bibliothek und ließ José ein weiteres Mal entgeistert zurück, der sie schweigend betrachtete während sie sich von ihm entfernte.
Schwester Costanza betrat die Bibliothek von einer Seite, die Chiara und José verborgen war. Sie legte ein Buch des Evangeliums zurück und nahm sich ein neues Buch.
Obwohl das Kopftuch ein Symbol der Güte ist, gab es nicht viel Sanftmut im Herzen von Schwester Costanza. Sie war Chiara abgeneigt, sowie vielen erfreulichen Dingen der Welt.
Missmutig erinnerte sie sich an Chiaras Aufnahme im Kloster als sie noch in normalen Kleidern gekleidet war. Alle hatten sich umgedreht und gefragt, ob es möglich war, dass ein derart hübsches Mädchen ein Gelübde ablegt.
„Habt ihr gesehen, wie bildhübsch sie ist?“, hatte sie nicht nur die Ordensschwestern reden hören, sondern auch die Pilger und Arbeiter.
„Schwester Chiara“, hatte einst jemand in der Post des Dorfes kommentiert, „ist eine der Novizinnen. Man behauptet, sie sei bildhübsch und ausgesprochen freundlich.“ Dann hatte die plaudernde Gruppe die Anwesenheit von Costanza bemerkt und wechselte das Gesprächsthema.
Sie war ebenfalls ein Neuling und hatte das Kopftuch ein Jahr vor Chiara aufgesetzt, aber niemand hatte ihr jemals nachgeschaut, wie alle die fast Zwanzigjährige anstarrten.
‚ Was hat sie, was ich nicht habe?‘, fragte sie sich.
‚ Schönheit konkurriert nicht mit einer Nonne‘, antwortete sie während sie ihre wenig anmutige Figur im Spiegel betrachtete. ‚S olch eine Ordensschwester hat niemals einen wahren Glauben, sondern profitiert von ihrer Schönheit als Werkzeug des Teufels.‘
Nervös bürstete sie ihre dunklen Haare und ging voller Zorn schlafen. Während sie dalag und versuchte einzuschlafen, erinnerte sie sich, wie sie als Kind wegen ihrer Sommersprossen und dem wenig weiblichen Körper verspottet wurde.
Chiara hatte mehrmals versucht, sich mit der jungen Nonne mit dem finsteren Benehmen anzufreunden, aber Schwester Costanza erwiderte es nie. Sie gab es auf und lebte damit, mit einer Person unter einem Dach zu leben, von der sie verabscheut wurde.
Als Schwester Costanza Chiara von diesem attraktiven jungen Mann fortlaufen sah, der sie unter anderem nicht beachtete, ging ihr ein Licht mit einen nicht sehr christlichen Gedanken auf. Dieser Gedanke bestätigte ihre alten Theorien.
Sie war überzeugt, dass es ihr gelingen würde, sie aus dem Kloster zu vertreiben, wo sie nicht hingehörte.
Schwester Costanza konnte nicht nachvollziehen, dass Chiara einen starken Glauben hatte. Sie hatte ein klares Gemüt und war dadurch einfach zu durchschauen.
Es vergingen weitere Wochen und der Unterricht ging weiter seinen Lauf. José lernte schnell und nach zwei Monaten sprach er beinah fließend Italienisch. Die beiden jungen Menschen vertrauten sich weitere Details aus ihren Leben an.
Chiara sprach von ihrem Bruder Alberto, mit dem sie häufig telefonierte, auch jetzt, wo er in England Maschinenbau studierte.
Sie erzählte ihm von ihrer Mutter und ihrem Vater, die immer liebenswürdig und verständnisvoll mit ihr umgingen. Selbst ihre Entscheidung hinsichtlich dem Gelübde unterstützten sie ohne Einwände, sondern freuten sich mit ihr. In diesem Augenblick war José kurz davor, sie die Frage zu stellen, die ihn beschäftigte, schwieg aber.
José zeigte ihr ein Schwarz-Weiß-Foto von seiner Mutter, einer attraktiven Frau mit hellen Haaren, die wie seine waren, aber mit tiefen, dunklen Augen.
„Hast du deine Augen von deinem Vater?“, fragte Chiara. „Deine sind nicht so dunkel.“
„Ja“, antwortete er lächelnd, „ tengo el color de ojos de mi padre.“
Chiara schaute ihn vorwurfsvoll an, so dass José stöhnte und den Satz dann wiederholte. „Die-Farbe-meiner-Augen-ist-die-meines-Vaters, ¿vale?“
Die junge Nonne stimmte lächelnd zu. „ Vale.“
José wusste nicht warum, aber er war froh zu wissen, dass Chiara seine Augen wahrgenommen hatte, obwohl es offensichtlich war, zumal sie seit einiger Zeit täglich eine Stunde zusammen verbrachten.
Er war erfreut, dass sie die Details in seinem Gesicht wahrnahm: Die Details sind es, die den Dingen Bedeutung verleihen.
Zumindest bei wichtigen Beziehungen.
¿Relaciones? Me estoy volviendo loco.
Ich werde verrückt.
An was zum Teufel für eine Beziehung dachte er? Für einen Moment runzelte er die Stirn, aber Chiara bemerkte seine Nervosität zum Glück nicht. Sie blätterte im Buch und suchte eine Übung.
Wie hübsch sie war, wenn sie sich auf einen Satz oder ein Wort konzentrierte. Für einen Augenblick wünschte sich José, das Objekt ihres Interesses zu sein; besser noch das Subjekt, um wie ein Buch von Chiaras sanften Augen gelesen zu werden.
In dieser Nacht träumte José erneut, Chiara zu küssen. Dies passierte zu oft. Er erwachte mitten in der Nacht und konnte nicht mehr einschlafen. Er beendete somit seine Suche in der Bibliothek.
Es fehlten noch zwei Regale. Er hatte sich wenige Stunden zuvor ins Bett gelegt, da er zu müde war und die Suche verschieben musste. In seiner Schlaflosigkeit wollte er jetzt die letzten Bücher durchsuchen, die den Schlüssel enthalten müssten.
Bei seinen unerlaubten Streifzügen des Nachts war José nicht immer vom Glück begünstigt. Wenn die Tür zum Innenhof abgeschlossen war, kletterte er an der Klostermauer hoch und ließ sich auf der anderen Seite hinab.
José ahnte nicht, dass ihn in dieser Nacht jemand sah, als er durch die Dunkelheit des Innenhofs huschte und von der Klostermauer herabsprang.
Chiara konnte ebenfalls nicht schlafen und war aufgestanden. Im Morgenmantel ging sie ein paar Schritte im Flur auf und ab. Bis sie einen Schatten von der Mauer hatte springen sehen. Neugierig ging sie zum Fenster, um zu sehen, was es war und wer es war, bevor sie das Kloster aufweckt.
Sie sah José somit - ihren José, der Unerlaubtes beging. Chiara wusste nicht was er trieb, vielleicht wollte sie es nicht einmal wissen, aber sie fühlte sich betrogen.
Ja, sie fühlte sich betrogen. Er tat etwas, was nicht rechtens war. Und wenn er das Kloster betrog, tat er es somit auch ihr gegenüber.
Dann dachte Chiara an die jungen Frauen, die in dem religiösen Institut für eine Probezeit wohnten. Junge Menschen, die mit Gott eine Ehe eingehen wollten, aber ihr Gelübde noch nicht abgelegt hatten. Ergo, sie waren hier, um festzustellen, ob ihr Weg der richtige ist oder nicht.
Chiara hatte diese Phase übersprungen, da sie von ihrer Entscheidung überzeugt gewesen war. Es war eine sehr wichtige Zeit, denn nicht alle Mädchen wurden im Kloster aufgenommen.
War José zu ihnen gegangen? Hatte er eine Affäre mit einem der Mädchen? Chiara wusste, dass sie es nicht zu interessieren hatte; sie wusste auch, dass sie die Äbtissin über ihre Entdeckung informieren musste. Einerseits konnte sie den Zorn nicht zügeln, der sie überkam, andererseits wollte sie für dieses Mal schweigen.
Sie ging mit feurigem Herzen schlafen sowie mit geröteten Wangen, die vor Wut glühten. Sie hasste José Velasco nicht für das, was er tat, sondern weil er das gesamte Kloster beleidigte.
Chiara nahm sich vor, kein Wort mehr mit José zu sprechen.
José hingegen setzte sich entmutigt auf den Fußboden der Bibliothek und lehnte seinen Rücken an die Wand.
„Es ist nicht da“, flüsterte er hoffnungslos. „Das Buch gibt es nicht.“
Für einen Augenblick verzweifelte er. Zumindest hatte er perfektes Italienisch gelernt.
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